Die Sache mit den Nachrichten von Quiana (Sasuke × Naruto) ================================================================================ Viertens -------- Etwas unbeteiligt stehe ich auf dem Campus vor dem Mast, an dem noch immer kein neues Schild hängt. Zumindest sollte ich für andere unbeteiligt aussehen. Dafür, dass ich noch vor wenigen Tagen so oft auf mein Handy und nach einer neuen Nachricht schauen musste, bin ich erstaunlich ruhig. Ein wenig so, als würde ich gleich einen Vortrag in einem Seminar halten müssen. Ich fühle mich etwas anders, es drückt ein wenig in der Magengegend, ansonsten bin ich aber gelassen. Und ich hoffe, dass es auch dabei bleiben wird. Es hat ein wenig gedauert einen passenden Tag zu finden, aber letztendlich haben Naruto und ich uns für heute verabreden können. Kein Wunder, dass ich ihn hier vorher noch nie gesehen habe. Unsere Stundenpläne sowie meine zusätzlichen Arbeitszeiten sind nicht wirklich miteinander kompatibel. Naruto … Der Name passt zu ihm. Aber das war es dann auch schon, was ich in den wenigen Nachrichten über ihn in Erfahrung gebracht habe. Nachgefragt habe ich natürlich auch nicht weiter, zumal mich sein 'einfach nur um zu reden' etwas ratlos zurücklässt. Das kann vom Erdkern bis zur Mondoberfläche so gut wie alles bedeuten. Und da ich seine Worte auf so viele Art und Weisen interpretieren könnte, habe ich es lieber dabei belassen, lediglich ein Treffen zu vereinbaren. Kerl – also Naruto, hätte eigentlich ein Seminar gehabt, das in dieser Woche allerdings nicht stattfindet. Da mein Tag für heute auch beendet ist (zwei langatmige Vorlesungen hintereinander und ein mehr oder weniger effektives Lerndate mit Neji, von dem ich mir den spitzen Kommentar anhören durfte, dass ich nur meine Kontaktlinsen trüge, weil ich sonst befürchte, dass ich Naruto nicht gefallen würde. Schwachsinn), fiel die Entscheidung, dass wir uns heute treffen, nicht unbedingt schwer aus. Und hier stehe ich nun und warte darauf, dass die Uhr ein wenig schneller läuft, als sie es normalerweise tut. Selbst die wenigen Wolken an dem ansonsten blauen Himmel scheinen sich nicht zu bewegen. Natürlich läuft hier nichts in Zeitlupentempo ab, aber es ist eine bekannte Tatsache, dass Zeit langsamer abläuft, wenn man auf etwas Bestimmtes wartet. Die einzige Bewegung, die hier stattfindet, kommt von den wenigen Leuten, die an mir vorbeikommen und den Ästen der Bäume, durch die der Wind weht. Eine neue Welle an Studenten quellt aus einem der Gebäude. Auf dem Campus wird es wieder etwas lauter und ich kann ein paar mir bekannte Gesichter zwischen all den Köpfen ausmachen. Die leichte Unruhe in mir macht sich wieder bemerkbar. Vor allem, als ich in der Weite endlich Narutos blonden Haarschopf erkenne, der sich gerade aus der großen Flügeltür schiebt. Ich kann nicht erkennen, ob er sich umsieht, dazu stehen zu viele Leute vor ihm, aber es sollte schwer sein, mich überhaupt zu verfehlen. So viele Treffpunkte wie diesen gibt es hier nämlich nicht. Es dauert noch einmal einen Moment, dann sehe ich, dass Naruto auf mich zukommt. Und ich sehe auch, dass er langsamer wird. Ich frage mich, ob das ein schlechtes Zeichen ist. Auch dann noch, als er mit einem sehr schiefen Grinsen, das meiner Meinung nach fast schon ein bisschen gequält aussieht, vor mir stehenbleibt. Er hat mich also immerhin erkannt. Aber warum sollte er es auch nicht tun? "Hey." Naruto kratzt sich am Kopf. "Cool, dass das geklappt hat. Also, das mit dem Treffen meine ich." "Hm." Ich nicke ihm lediglich leicht zu. Ich kann nicht genau sagen, was ich mir vorgestellt habe, aber sicherlich nicht, dass es sich schon nach wenigen Sekunden so merkwürdig anfühlt. "Also … ist es in Ordnung, wenn wir irgendwo einen Kaffee holen? Ich glaube, ich sterbe, wenn ich nicht gleich einen bekomme." Ich atme einmal tief ein und aus. "Okay." Das würde spaßig werden. Mit unseren Pappbechern in den Händen laufen wir eher ziellos durch die Straßen und dann durch einen nahegelegenen Park, der hier angelegt wurde, damit die Stadt ein wenig grüner aussieht (auf mich wirkt es eher wie der traurige und gescheiterte Versuch zu vertuschen, dass die Stadt nun einmal einfach nicht schön anzusehen ist. Da hilft auch keine Parkanlage mehr). Unsere Unterhaltung zieht sich eher schleppend dahin und besteht bis zu diesem Moment aus den glorreichen Themen Uni und Wetter. Ich merke, dass Naruto ziemlich unruhig ist und er eigentlich irgendetwas bestimmtes sagen möchte, sich aber nicht traut. Für Smalltalk hat er sich nämlich sicherlich nicht mit mir treffen wollen. Es sei denn, dass es so seine Art ist, um neue Freunde zu gewinnen. Erst mit ihnen rummachen und dann über Belangloses unterhalten, als wäre nie etwas vorgefallen. Ich schiele ihn aus den Augenwinkeln an und versuche, den Kerl von der Party in ihm ausmachen zu können. Manchmal glaube ich, ihn erkennen zu können, aber die meiste Zeit läuft da dieser unbeholfene Typ neben mir, der nicht weiß, wohin mit sich selbst. Wir laufen seit einiger Zeit schweigend nebeneinander her, als es plötzlich aus ihm herausplatzt. "Ich bin nicht schwul!" Wir bleiben beide gleichzeitig am Rand des breiten Weges stehen und ich drehe mich ihm zu. Er hat den Becher in seiner Hand leicht zusammengedrückt und ich hoffe wirklich, dass dort kein Kaffee mehr drinnen ist. "Also glaube ich", fügt Naruto noch hinzu, bevor ich selber überhaupt etwas sagen oder überhaupt denken kann – auch wenn ich nicht weiß, was er überhaupt von mir erwartet. Hätte ich bereits meinen Mund aufgemacht, hätte ich ihn spätestens jetzt eh wieder geschlossen. Mir fallen auf Anhieb drei Wendungen ein, die diese Szene annehmen könnte. Normalerweise bin ich gut darin, Situationen zu deuten, aber diese lässt mich (wie auch schon Narutos Nachricht) ratlos zurück. "Und deswegen wolltest du dich mit mir treffen?", frage ich, um überhaupt etwas zu sagen. "Um mir zu sagen, dass du eigentlich nicht schwul bist?" "Nein! Naja, also … ich weiß auch nicht? Können wir vielleicht weiterlaufen? Es macht mich nervös, wenn wir hier herumstehen." Ich nicke nur, noch immer etwas ratlos, was ich denn nun eigentlich sagen soll und wir setzen uns wieder in Bewegung. Der eigentlich kleine Park ist mir noch nie so groß vorgekommen. Ein Baum nach dem anderen zieht an uns vorbei und ist so ungefähr das einzige, was schon wieder passiert. Nicht schwul. Ich kann nicht ganz erkennen, was er mir damit, abgesehen von der offensichtlichen Aussage, dass er nicht auf Typen steht, sagen möchte. Etwas zieht sich unangenehm in mir zusammen und vor meinem geistigen Auge schwebt ein großes, rotes Ausrufezeichen. Ich fühle mich wie in einem sehr, sehr schlechten Film. Um die Szene zu vervollständigen, müsste sich jetzt nur noch eine große Wolke vor die Sonne schieben, damit es etwas dunkler wird. "Und jetzt befürchtest du, dass du schwul sein könntest, weil du mit mir rumgemacht hast?" Diese Option scheint mir die nahegelegenste, allerdings kann ich mir dabei nicht ganz erklären, warum er sich mit mir treffen wollte. Ich werde ihm ganz bestimmt nicht erzählen, wie okay es ist, wenn man sich einfach mal ausprobieren möchte und er sich bei der ganzen Sache überhaupt keine Gedanken machen muss und einfach alles vergessen kann, nur damit es ihm bessergeht. Denn das ist zum einen Blödsinn und zum anderen auch ganz bestimmt nicht meine Aufgabe. "Was? Nein!" Na, immerhin etwas. "Eigentlich …", setzt er weiter an, verstummt dann aber wieder. "Spuck es schon aus. Ich werde dir schon keine reinhauen", sage ich und knuffe ihn mit dem Ellenbogen in die Seite. Das wohl für mich untypischste und wahrscheinlich auch das dümmste, was ich in diesem Moment hätte machen können. Aber zu meiner Verteidigung möchte ich dazu anmerken, dass ich mich wahrscheinlich in einer alles anderen als alltäglichen Situation befinde. Trotzdem werde ich augenblicklich leicht rot im Gesicht und am liebsten hätte ich mir selbst gegen die Stirn geschlagen. Ich bin verwirrt und weiß mittlerweile nicht mehr, wie ich die ganze Situation deuten soll. Naruto schmeißt seinen Becher in einen Mülleimer, an dem wir vorbekommen, und holt dann tief Luft. "Ich habe noch nie einen Kerl geküsst. Und dann warst du da auf Inos Party und ich habe dich sogar mit zu mir genommen und ich … also. Eigentlich dachte ich, dass es das damit wäre. Ich meine, es gibt bestimmt viele Typen, die mit anderen … rumgemacht haben, ohne schwul zu sein. Aber irgendwie hat es mich doch stärker beschäftigt? Also ich musste immer wieder daran denken? Und vielleicht sollte ich mich auch bei dir entschuldigen." Oh Scheiße. "Entschuldigen?" Immerhin lichtet sich der Nebel etwas und ich kann jetzt tatsächlich sagen, in welche Richtung das ganze hinauslaufen wird. Trotzdem fällt es mir schwer, nach seinem plötzlichen Wortschwall einen klaren Gedanken zu fassen. Noch schwerer ist es zu wissen, wie ich reagieren soll. Ich kenne Naruto nicht, also weiß ich nicht, wie ich mich jetzt ihm gegenüber verhalten soll und was er denkt, wie ich mich verhalten werde. "Ich habe dich einfach überrumpelt und dich dann irgendwie ausgenutzt, finde ich. Das ist nicht unbedingt meine Art", sagt er nach einigem Zögern, als wisse er nicht, ob er erst auf meine Frage antworten oder sich selbst erklären soll. "Ausgenutzt? Keine Sorge, das hast du nicht." Ich schnaube einmal fast amüsiert. "Ich hätte es dir schon deutlich gemacht, wenn du mir blöd gekommen wärst." Naruto sieht ein wenig erleichtert aus, dann wird er rot im Gesicht. Welcher Gedanke ihm wohl gerade durch den Kopf gegeistert ist … "Das ist gut", murmelt er und kneift dann wieder die Lippen aufeinander. Wir überholen eine Frau mit Kinderwagen, ein älteres Ehepaar und laufen an einem Spielplatz vorbei, aber Naruto sagt kein weiteres Wort mehr. Ich seufze innerlich, denn ich bin merkwürdig angespannt und ungeduldig. "Du kannst mit mir darüber reden. Also, dass du einen Kerl geküsst hast. Tu einfach so, als wäre ich jemand anderes", rutscht es deshalb aus mir heraus. Was auch immer in mich gefahren sein mochte. Hoffentlich habe ich nicht allzu genervt geklungen. Gleichzeitig meldet sich ein kleiner Teil in mir. Ein Teil, der mich darauf aufmerksam machen möchte, dass mir die Begegnung mit Kerl nach der Party ebenfalls nicht aus dem Kopf gegangen ist und dass sich ein noch kleineres Etwas in mir erhofft hat, ihn wiederzusehen. Und das sehr interessiert wahrnimmt, dass auch Narutos Gedanken ähnlich waren. Wenn scheinbar auch in einem anderen Zusammenhang. Ich bin nicht unbedingt der Typ der Emotionen, deshalb fühle ich mich, als würde ich mich auf einer emotionalen Achterbahnfahrt befinden. In mir passiert so viel, dass ich mich entscheiden kann, wie ich auf ihn reagieren soll. Ich bin genervt, dass er es nicht schafft zu sagen, was er sagen möchte. Ich bin gespannt auf das, was er sagen möchte. Ich mache mir sogar ein wenig Hoffnungen auf das, was er sagen möchte. Ich denke es ist das beste, wenn ich versuche, einfach ruhig zu bleiben. "Fang einfach damit an, wie es überhaupt dazu gekommen ist, dass du ausgerechnet zu mir gekommen bist", sage ich, weil Naruto auch nach meinem Angebot noch immer nicht den Mund aufmacht und ich ehrlich gesagt auch ein wenig neugierig bin, wie es überhaupt zu der gesamten Situation gekommen ist. Warum diesen Moment also nicht gleich ausnutzen? "Oh." Naruto kratzt sich am Hinterkopf und plötzlich, für einen kurzen Augenblick, ist da wieder dieses breite Grinsen, das er mir auch schon auf der Party so oft entgegengestreckt hat. "Das ist eigentlich ein eher alberner Grund." Alberne Gründe sind genau die, die ich meistens am wenigsten mag. Super. "Kiba meinte, ich würde mich nicht trauen, das Spiel mit den Schokoladensticks mit einem Kerl zu machen. Also habe ich mich auf die Suche nach irgendjemanden gemacht und dich dann in der Küche gefunden. Du hast cool ausgesehen und irgendwie auch so, als hättest du besseres zu tun, als dort mit Ino und ihren Freundinnen abzuhängen und Tipps für das Auftragen von Nagellack auszutauschen. Also habe ich dich mitgenommen." Tatsächlich kein Grund, den ich besonders toll finde, aber so schlimm kommt er mir nun auch wieder nicht vor. Und letztendlich hatte ich nur deswegen doch noch einen mehr oder weniger guten Abend gehabt – und bin darum herumgekommen, Tipps für das Auftragen von Nagellack austauschen zu müssen, die ich natürlich auch habe. "Und jetzt weißt du nicht, was du tun sollst, weil du mit …", ich überlege kurz, wie ich es am besten ausdrücken kann, "einem Typen herumgemacht hast." Er nickt. Ich denke wieder kurz nach. "Hat es dir gefallen?", frage ich gerade heraus, nur um das Gespräch hoffentlich zum Rollen zu bringen. Naruto schaut mich überrumpelt von der Seite an. Die Sonne, die immer wieder zwischen den Baumkronen hervorkommt, scheint gegen seine Augen und er sieht mit einem Mal wieder merkwürdig unschuldig aus. Nicht wie ein kleiner Junge, sondern wie jemand, der nicht weiß, was er sagen soll und wohin mit sich selbst. "Naja … schon, irgendwie? Anfangs war es komisch, aber dann …" Naruto wird schon wieder rot im Gesicht, aber ich habe Antwort genug. Meine Gedanken von vorhin bestätigen sich. Wärme breitet sich plötzlich in mir aus und ich habe meine liebe Mühe damit, mir ein Lächeln zu verkneifen. Meine Mundwinkel zucken verräterisch und um nicht aufzufliegen steuere ich direkt auf den nächsten Mülleimer zu, um auch endlich meinen längst leer und kalt gewordenen Pappbecher wegzuschmeißen. Wir kommen zu dem Ende des Parks, ohne dass auch nur einer von uns noch etwas gesagt hat. Auf Narutos Wangen liegt noch immer ein leichter Rotschimmer und ich mache mir Gedanken darüber, ob es angebracht ist zu fragen, ob er dem männlichen Geschlecht nun ebenfalls nicht abgeneigt ist. Schließlich hat er gerade zugegeben, dass es ihn nicht unbedingt gestört hat, dass wir miteinander rumgemacht haben. Allerdings möchte ich nicht mit der Tür ins Schloss fallen – immerhin kennen wir uns eigentlich nicht wirklich. Ich bin in den aller meisten Fällen kein neugieriger Mensch, Privatsphäre ist mir wichtig, vor allem bei Themen wie diesem, aber Naruto hat es doch geschafft, dass ich wissen möchte, was in ihm vorgeht. Eigentlich ist es für mich offensichtlich, aber ich kann nicht einschätzen, wie weit er in diesem Prozess ist … "Treffen wir uns bald noch einmal?" Naruto bleibt plötzlich stehen und reißt mich damit und auch mit seiner Frage aus meinen Gedanken. Für einen kurzen Moment, in dem er beginnt, mit der Fußspitze unsichtbare Muster auf den Boden zu zeichnen, wie mir auffällt, schaue ich ihn an. "Das fragst du nur, weil du dich irgendwie schuldig fühlst und der Meinung bist, etwas wiedergutmachen zu müssen, oder …?" "Nein!", fällt Naruto mir sofort ins Wort. "Ich mag dich … irgendwie. Und ich habe doch schon gesagt, dass ich denke, dass du cool bist." Ich gestehe, ich bin positiv überrascht. ☆ Wir treffen uns tatsächlich wieder. Und noch mal. Und noch einmal. Ich kann nicht einschätzen, wohin diese Reise führt, aber ich denke, wir sind in der Zwischenzeit so etwas ähnliches wie Freunde geworden. Nicht nur das erste, aber auch noch ein paar darauffolgende Treffen waren noch ein wenig merkwürdig, aber mit der Zeit hat sich eine Art Routine eingespielt. Ich bin mir sicher, dass Naruto auch etwas für Kerle übrighat. Er sagt es nicht explizit, es sind mehr die Fragen die er stellt, von denen ich denke, dass ich es daran festmachen kann (ein schönes Beispiel, das ich persönlich zudem sehr amüsant finde, weil Naruto noch immer herrlich rot wird, wenn er sich ertappt fühlt: "Hast du denn einen Freund?" – "Nein? Wir haben … Ich fahre nicht zweigleisig." – "Und würdest du dich im Moment gerne mit jemanden treffen?" – "Wenn das eine Frage nach einem Date sein soll, dann musst du daran noch einmal üben."). Es ist einfach, sich mit Naruto zu unterhalten, vor allem, seit er nicht mehr herumdruckst und um seine Worte verlegen ist. Wir haben Themen, über die wir uns über Tage hinweg unterhalten können, weil wir einer Meinung sind, oder eben nicht und manchmal überrascht er mich mit dem, was er als wichtig empfindet. So fies es auch klingt, manchmal ist Naruto ein wenig trottelig und scheint ein wenig naiv durch die Welt zu laufen, aber er hat ein ernstes Interesse an der Politik, sei es vergangene oder aktuelle. Gleichzeitig hat er mich an seinen glorreichen Gedanken, ob es nicht vielleicht doch Vampire gibt, teilhaben lassen und mich dazu gebracht, wieder an seinem Verstand zu zweifeln. Er schafft es, dass ich jedes Mal vom neuen anders über ihn denke. "Oh, man. Sorry. Ich wollte wirklich früher da sein." Naruto lässt sich auf den Stuhl fallen und schmeißt dann seinen Oberkörper, samt ausgestreckter Arme, theatralisch auf den Küchentisch. Wir waren vor über einer halben Stunde bei ihm verabredet, aber zu meiner Überraschung hat mir nicht er, sondern seine Mitbewohnerin aufgemacht. Genau diejenige, die am Tag nach Inos Party damals neben 'Kerl' am Tisch saß und Kaffee getrunken hat. Naruto hat sie mir als Sakura und sehr nette Mitbewohnerin vorgestellt, die dabei ist, sich eisern durch ihr Medizinstudium zu kämpfen und dabei auch noch recht erfolgreich ist. "Hm", murmle ich und unterdrücke den Drang, mit den Augen zu rollen. Ich mag es nicht sonderlich, wenn man zu spät kommt – schon gar nicht eine halbe Stunde. Und muss ich noch einmal extra erwähnen, dass Naruto außerdem zu spät zu seiner eigenen Wohnung gekommen ist? Wäre ich von Sakura hineingelassen worden, hätte ich schon längst wieder einen Abgang gemacht. "Ich habe nicht damit gerechnet, dass der Prof gleich zwanzig Minuten länger machen würde …" Naruto richtet sich wieder auf und fährt sich durch seine Haare, die aussehen, als hätte er gerade einen Marathon hinter sich. Immerhin hat er sich wirklich beeilt. Es ist noch immer etwas komisch für mich, bei Naruto zu sein. Das hier ist das zweite Treffen in seiner Wohnung – und dann ist da natürlich noch die Nacht, die ich hier verbracht habe, aber die zähle ich nicht dazu. Auch wenn ich ihn schon sehr viel besser kenne, fühle ich mich, als würde ich mit diesen Besuchen sehr viel tiefer in seine Privatsphäre eindringen, als es angebracht ist. Ich war noch einmal kurz in seinem Zimmer, ansonsten haben wir in der Küche gesessen, so wie jetzt auch. Ich kann sehen, wie vertraut die Bewohner dieser Wohnung miteinander sind. Im Flur hängen, neben Familienportraits, wie ich mal annehme, sogar Bilder von Naruto und Sakura im Kinderalter. Beide haben einen Arm um den jeweils anderen geschlungen und grinsen breit. Naruto hat eine riesige Zahnlücke, weil ihm die Schneidezähne fehlen und eine Schirmmütze auf dem Kopf, Sakura hält in ihrer freien Hand eine Sandkastenschaufel in die Höhe. Überall liegen Dinge herum, die davon Zeugen, dass die beiden nicht gerade eben erst Freunde geworden sind. Es gibt natürlich ein Wohnzimmer, allerdings sieht dieses seit einiger Zeit eher so aus, als hätte sich Sakuras private Bibliothek voller medizinischer Fachbücher dort breitgemacht und sollte am besten nicht betreten werden. Laut Naruto hat er einmal den Fehler gemacht und es gewagt, einige Hefte zur Seite zu räumen. Sakura soll nicht nur durch die Decke, sondern gleich durch das Hausdach gegangen sein. Deswegen – und weil es der ordentlichste Raum hier ist – halten wir uns in der Küche auf. "Oh hey! Du trägst ja eine Brille!" Verwundert schaut Naruto mich an und lehnt sich dann auch noch vor, um mich besser anschauen zu können. "Du hast mir gar nicht erzählt, dass du eine hast. Und getragen hast du sie auch noch nie, wenn ich dabei war." "Ist das denn wichtig, dass du das weißt?", frage ich, aber er hat recht. Ich kann nicht sagen, ob es absichtlich war, aber die Male, die wir uns getroffen haben, habe ich immer meine Kontaktlinsen getragen. Allerdings habe ich mich heute ohne jegliche Intention für meine Brille entschieden – außer vielleicht, dass sie für mich bequemer ist und ich mir nicht erst mühsam in meinen Augen herumstochern muss, damit ich vernünftig sehen kann. "Ich glaube, es gibt noch eine ganze Menge, die wir nicht voneinander wissen." Naruto zuckt mit den Schultern und belässt es dann bei dieser Aussage. "Blende einfach aus, dass es hier so unordentlich ist, ja?" Mit den Füßen schob er für mich natürlich total unauffällig, ein paar Klamotten unter sein Bett, während er ein paar Bücher von seinem ungemachten Bett zusammenklaubte und dann als einen einzigen, sehr schiefen Stapel auf seinem Nachttisch deponierte. Wenigstens lag hier kein benutztes Geschirr oder ähnliches herum. Aber trotzdem sah es so aus, als hätte eine Bombe in Narutos Zimmer eingeschlagen. Nur sein Schreibtisch war wieder aufgeräumt und tatsächlich vernünftig benutzbar. "Setz dich und mach es dir bequem. Ich muss nur noch schnell die Kontroller anschließen." Naruto deutete mit einem Kopfnicken auf das Fußende seines Bettes, platzierte seinen Laptop auf seinem Tisch, der dem Bett gegenüberstand und angelte von wer weiß wo zwei schwarze Kontroller her. Er hatte mich dazu überredet, ein paar Runden Autorennen gegen ihn zu spielen. Meine Warnungen, dass ich in solchen Sachen nicht unbedingt der beste bin, haben ihn nicht weiter interessiert. Ich setze mich also auf das Bett (noch ein weiteres komisches Gefühl, schließlich habe ich darin schon einmal geschlafen, obwohl Naruto mir eigentlich vollkommen fremd war) und warte darauf, dass Naruto und sein Laptop in die Pötte kommen. Ich hoffe nur, dass er nicht zu diesen übertrieben Enthusiasten gehört, die nur gewinnen können und sich über alles andere aufregen. Ich rechne zwar nicht damit, auch nur irgendwie mit ihm mithalten zu können, aber meine Nerven werden es ihm danken, wenn er ruhig bliebe. Naruto bleibt nicht ruhig. Er brüllt zum Glück nicht herum oder verflucht mich und mein Leben, aber dafür hopst er sehr wüst auf der Matratze hin und her, legt sich, wenn sein Auto im Spiel einen Bogen schlägt, selbst mit in die Kurve und versucht, mich durch ständiges Anstupsen abzulenken. Er geht sogar so weit, dass er mit Schwung eines seines Beine über meine wirft und immer mal somit an mir wackelt, damit ich mich weniger konzentrieren kann. Ich schlage mich nicht schlecht, kann aber, wie bereits erwartet, Naruto bei weitem nicht einholen. Er befindet sich seit Beginn mit an der Spitze und liefert sich gegen die vom Computer gesteuerten Spieler ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Manchmal feuert er sich selbst an, andere Male lacht er mich aus, weil ich wieder drei Plätze nach unten gefallen bin und zu dem Schlusslicht der Rangliste gehöre. "Mensch, ich dachte, du hättest zuhause auch irgendeine eine Konsole stehen. So schlecht kann man doch gar nicht sein!", spöttelt er, als eines der Rennen endlich beendet ist. "Ich habe nun einmal keine Spiele, in denen man Rennen fahren muss oder so", zucke ich nur mit den Schultern und versuche, mir ein genervtes Aufstöhnen zu verkneifen als ich sehe, dass ich laut aktuellem Zwischenergebnis vorletzter geworden bin. "Nicht? Du hast bestimmt nur welche, in denen man andere Leute auf die brutalste Art und Weise umbringen muss." Als Antwort zucke ich wieder nur mit den Schultern, woraufhin Naruto mir einen entgeisterten Seitenblick zuwirft. "Echt jetzt?" Sein Finger schwebt über einem der Knöpfe, um das nächste Rennen zu starten. "Macht dir so ein Scheiß Spaß?" "Zum Abreagieren ist es ganz gut." "Zum Ab- … Alter! Du weißt schon, dass es ganze Debatten zu solchen Sachen gibt, oder?" Ich verdrehe die Augen. "Du bist einfach nur eine Memme, die schon anfängt zu heulen, wenn ein Schmetterling in einem Spinnennetzt landet." Es macht Spaß, Naruto zu triezen, wie ich bei unseren letzten Treffen bereits feststellen durfte. Es macht unglaublich viel Spaß zu sehen, wie er versucht ruhig zu bleiben und nicht an die Decke zu gehen, weil ihm etwas gegen den Strich geht. "Ich hasse dich so was von!", grollt er und startet mit Wucht die nächste Runde Autorennen auf seinem Laptop. "Tust du nicht", schmunzele ich und bin dabei so amüsiert, dass ich dabei sogar über meinen Fehlstart hinwegsehen kann. Ich würde ja eh wieder auf einem der letzten Plätze landen. "Tu ich doch." "Tust du nicht", widerspreche ich weiter und kann mir ein neckisches Grinsen nicht mehr verkneifen. "Du magst mich nämlich." Leider kann ich den Kontroller nicht loslassen, aber ich versuche trotzdem, mit meinen Händen über sein Bein zu fahren. "Lass das!", mault er und zuckt einmal mit seinem Bein. "Du lenkst mich ab!" Wie zur Bestätigung kann ich auf seiner Hälfte des Bildschirmes sehen, dass er sein Auto gegen eine Wand gesetzt hat. "Dann rutsch wieder auf deinen Platz zurück. Ich bin hier nur dabei, ein vernünftiges Rennen zu fahren. Es steht dir frei, alle deine Gliedmaßen wieder zu dir zu nehmen." "Nein", grummelt Naruto wieder nur und wird dabei rot im Gesicht. Dafür, dass ich das sehen darf, nehme ich sogar in Kauf, im hohen Bogen aus der Rennbahn zu fliegen und von dem Computer umständlich und in Zeitlupentempo wieder auf die Fahrspur gesetzt zu werden. "Ich hasse dich!" Naruto kann doch sehr aufbrausend werden, wie ich lernen muss. Ich kann nicht sagen, wie ich es geschafft habe, aber aus irgendeinem Grund ist es mir gelungen, mein Auto fast an die Spitze zu setzten und Naruto dabei auf die hinteren Plätze zu verbannen. Aus lauter Empörung ist er mir, während unzähliger Bemühungen, mich abzulenken, halb auf den Schoß geklettert. Er fährt sein Rennen beinahe nur noch halbherzig, so versessen ist er darauf, dass ich irgendeinen Fehler mache. Er drückt mir die Schultern gegen die Brust, versperrt mir die Sicht und haut mit seinem Kontroller immer mal wieder gegen meine Finger. "Tust du nicht", sage ich heute nun schon um wahrscheinlich hundertsten Mal. Ich habe es mit etwas Anstrengung geschafft, schnell meine Arme rechts und links an seinem Oberkörper vorbei zu legen, ohne dabei im Spiel großartig zurückzufallen. Immer, wenn er mich sabotieren möchte, drücke ich ihm meine Ellenbogen in die Seiten oder puste schnell in seinen Nacken. Ich kann nicht genau sehen, ob er Gänsehaut bekommt, aber er zieht jedes Mal unweigerlich den Kopf ein wenig ein. "Warum kannst du das plötzlich so gut?", grummelt er und wirft sich plötzlich mit seinem ganzen Gewicht gegen mich. Damit hatte ich nun überhaupt nicht gerechnet. Ich falle leicht nach hinten und vor lauter schreck schließe ich meine Arme fester um Naruto und ziehe ihn mit mir. Mit einem weniger schönen Geräusch reißen die Kontroller aus den Anschlüssen des Laptops und das Spiel bricht ab. "Oh", ist das einzige, was wir beide sagen. Es braucht einen Moment, bis wir uns beide wieder gesammelt haben. "Das hast du ja sehr toll hinbekommen, Sasuke. Ehrlich." Er schaut mich, mit einer sehr uneleganten und vor allem ungelenken Drehung seines Oberkörpers in meine Richtung, an. Sein Gesicht schwebt knapp über meinem und ich kann sehen, wie Narutos Blick von meinem rechten zum linken Auge, zu meinem Mund und wieder zurückhuscht. Sein Mund öffnet sich mehrmals, als ob er etwas sagen möchte, aber ihm entweicht kein einziger Ton. Dann, für einen ganz kurzen Augenblick, denke ich, dass er sich noch weiter zu mir lehnt. Stattdessen schaut er schnell und mit rotem Gesicht über meinen Kopf hinweg und befreit sich umständlich aus meinem Griff. Kurz steht Naruto unschlüssig vor mir herum, ehe er die losen Kabel vom Boden aufliest, die Kontroller, die eigentlich auf der Bettkante gelegen haben, dabei auch noch herunterreist und sie dann wieder an den Laptop anschließt. Seine Hände zittern dabei, das kann er nicht verbergen. "Wirklich. Du bist wirklich richtig blöd", murmelt er vor sich hin. ☆ "Ist es okay, wenn ich … Würdest du mich noch einmal küssen?" Ich bin nun das dritte Mal bei Naruto, sitze wieder in seiner Küche und habe, wie er auch, eine Tasse Kaffee vor mir stehen. Und zusätzlich weiß ich nicht, ob ich mich gerade getäuscht habe, oder ob Naruto wirklich das gesagt hat, was ich verstanden habe. Nach dem kleinen Vorfall in seinem Zimmer hat er nämlich so getan, als ob nie etwas gewesen wäre. "Also …", setze ich an, stoppe aber, als ich den beinahe panischen Blick sehe, der für einen kurzen Moment in seinen Augen aufflackert. "A-Aber auch nur, damit ich mir sicher sein kann! Also wie es nun aussieht! Denn es hat sich eigentlich wirklich gut angefühlt, was wir auf Inos Party gemacht haben und jetzt bin ich mir wirklich unsicher! Und jetzt will ich wissen … Also, was ich sagen will ist … Vielleicht mag ich auch Kerle", haspelt Naruto unbeholfen vor sich hin, aber darauf kann ich mich gerade nicht wirklich konzentrieren. Vielleicht mag er auch Kerle. Er hat es gesagt. Endlich. Eine innere Anspannung in mir fällt weg, weil ich endlich eine sichere Antwort habe und weiß, dass ich in die richtige Richtung gedacht und mir nicht nur Dinge eingebildet habe, die ich mir eigentlich von ihm erhoffe. Ich atme einmal tief ein, eigentlich nur, um mich selber noch einmal zu sammeln. Ich kann mein Herz bis in meinen Hals klopfen fühlen – das ist mir zuletzt passiert, als ich ein kleiner Junge war und meine Eltern mir erlaubt haben, dass ich mir von meinem eigenen Taschengeld einen kleinen ferngesteuerten Hubschrauber kaufen durfte – und ich bin am überlegen, ob ich mich einfach über den Tisch hinweg zu ihm beugen oder lieber aufstehen soll, aber so weit komme ich gar nicht. "Sorry, das war eine wirklich blöde Frage von mir! Vergiss einfach, dass ich überhaupt etwas gesagt habe. Eigentlich war das nicht nur eine blöde Frage, sondern überhaupt eine blöde Idee, ich meine …" Narutos Redeschwall dauert an und ich habe schnell aufgehört, auch nur irgendeinen Sinn darin zu verstehen. Manchmal kommen mir die Sätze sogar so zusammenhangslos vor, dass ich mich frage, ob er nicht selbst bemerkt, dass er nur wirres Zeug von sich gibt. Er versucht sich für Dinge zu entschuldigen und beinahe schon zu rechtfertigen, die mir in diesem Moment vollkommen egal sind. Eigentlich dachte ich, dass ich mich nun tatsächlich selbst vorlehnen muss, damit er endlich die Klappe hält. Ich habe wirklich nicht damit gerechnet, dass er sich von alleine unterbricht, sich ein ganz kleines Stück erhebt, um sich zu mir zu lehnen und mich dann küsst. Für ein paar Sekunden. "Und?", frage ich, als er seinen Hintern wieder auf den Stuhl plumpsen lässt. "Magst du mich?" Ich ziehe provozierend eine Augenbraue in die Höhe. "Halt die Klappe!" 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