Momentaufnahmen von -Kiara ================================================================================ Kapitel 15: Sohnemann --------------------- Es gab wenige Tage, an denen Judai freiwillig und völlig von alleine zur früher Morgenstunde erwachte. Heute war so ein besonderer Tag. Kein Wunder, unten im Erdgeschoss schlummerte in Johans Bett ihr kleiner Gast. Für Judai war es ein bisschen wie der Weihnachtsmorgen. Doch statt Geschenke auszupacken, würde er dem kleinen Yuya, bevor er zur Schule gebracht werden musste, ganz viel Liebe schenken. Eigentlich hatte Judai es immer noch nicht so ganz realisiert. Wer nahm schon spontan ein Kind bei sich auf? Und so ein liebes dazu. Aber es kribbelte ihn, es sich jederzeit wieder ins Gedächtnis zu rufen. Verschlafen streckte Judai die Glieder kurz von sich, ehe er sie wieder an Yusei schmiegte. Dieser öffnete die Lider, den Schlaf mehrmals aus den Augen blinzelnd. Dann lächelte er Judai wissend an. „Guten Morgen“, säuselte Judai leise und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. „Morgen“, brummte Yusei glücklich. Sie genossen ihre traute Zweisamkeit unter der warmen Decke ein Weilchen und kuschelten zum Wachwerden ausgiebig. Solange zumindest, bis ihrer beider Aufregung sie nicht mehr still liegen ließ. Ein Blick auf die Uhr bestätigte, dass sie allmählich aus den Federn kommen sollten. Leise schlichen Yusei und Judai die Wendeltreppe hinunter, vor Johans Zimmertüre, welche noch von gestern Abend einen Spalt weit geöffnet war. Vorsichtig lugten sie hinein, ob der Kleine noch schlief. Und das tat er. Eingerollt lag er da, in der Mitte des riesigen Bettes, das Stoffnilpferd fest in den Armen. Die Decke hob und senkte sich stetig bei jedem seiner ruhigen Atemzüge. Judai seufzte leise bei Yuyas friedlichem Anblick. Es war eigentlich zu schade, ihn aufzuwecken. Vorsichtig traten sie an das Bett heran und hockten sich auf den Boden, um Yuya auf Augenhöhe zu begegnen. Sanft legte Judai eine Hand auf seine Schulter und streichelte sie in kleinen Bewegungen mit seinem Daumen. „Yuya. Es ist Zeit zum Aufstehen“, flüsterte Yusei leise. Erst schien der kleine Junge nur langsam aus dem Land der Träume zu gleiten, doch kaum hatte er den Besitzer der Stimme erkannt, schlug er wachsam die Lider auf. Große grüne Augen schauten sie in der Morgendämmerung an. Dann fing Yuya an breit zu grinsen. „Judai! Yusei!“ Rasch setzte er sich auf, das Nilpferd stets an sich gedrückt. „Hast du gut geschlafen?“, fragte Judai und streichelte durch Yuyas Schopf. Dieser nickte nach kurzem Nachdenken. So gut, wie man die erste Nacht in einer fremden Wohnung wohl schlief, dachte sich Judai. „Wir machen gleich Frühstück. Also, falls du Hunger hast.“ Yuya nickte erneut, nach kurzem Zögern. „Was möchtest du? Wir haben Cornflakes, können Toastbrot machen oder Pancakes oder Reis mit Misosuppe“, unterbreitete Judai ihm ein paar Vorschläge. Wieder eine Pause. Vielleicht war er doch noch nicht ganz wach. Wer konnte es ihm verdenken? Kaum machte er die Augen auf, schon bombadierten sie ihn mit Fragen. „Cornflakes“, sagte Yuya leise und es klang eher unsicher, als würde er eine Frage stellen. „Okay, dann kriegst du Cornflakes. Möchtest du eine warme Milch dazu, wie gestern?“ Dieses Mal nickte Yuya in den Kopf des Plüschtieres. Gerade so versteckte es ein herzhaftes Gähnen. Es traf Judai erneut direkt ins Herz. Er war so süß. Vor allem in dem Bärchen-Onesie, den er sich am Tag zuvor ausgesucht hatte. Für einen Moment war Judai wieder völlig vernarrt in den Kleinen. Dann wurde ihm bewusst, warum er hier bei ihnen war und sein Herz wurde mit einem Mal sehr schwer. Wie konnte man einen so lieben kleinen Jungen nur so schlecht behandeln? Judai wusste natürlich nicht, was vorgefallen war, aber allein, dass Yuya nicht zu seiner Mutter wollte, ließ ihn schlimmes erahnen. Dass seine Mitschüler ihn schrecklich hänselten, weckte nur noch mehr Mitleid in ihm. Das hatte Yuya definitiv nicht verdient. Judai beschloß, sich die größte Mühe zu geben, damit es Yuya von nun an besser gehen würde. --- „Hast du genug Platz? Ist es bequem?“ Unsicher rutschte Judai im Bett herum. Es war definitiv groß genug für drei Personen, immerhin hatten sie sogar schon mit Johan darin geschlafen, ohne, dass einer rausgefallen war. Judai wollte, dass sich Yuya geborgen fühlte. Dafür war ein gewisses Maß an Nähe angebracht. Aber er wollte ihn nicht bedrängen. Oder, dass Yuya Angst hatte, zwischen ihnen zerquetscht zu werden. Insgeheim hatte Judai jedenfalls diese Sorge. „Ich mag es so“, sagte Yuya leise. Zufrieden kuschelte er sich noch etwas tiefer ins Kissen. Ruhig beobachtete auch Yusei, wie der Kleine sich einmummelte und Judai versuchte, sich zu entspannen. Seine Hand streichelte sanft durch Yuyas Haare. „Wenn etwas ist, sagst du uns Bescheid, okay? Du darfst uns ruhig wecken“, versicherte er dem Jungen. Judai konnte sich gut vorstellen, dass Yuya heute vielleicht einen Albtraum haben könnte. Er wünschte es ihm auf keinen Fall. Aber nachdem, was an diesem Tag vorgefallen war… Wer hätte denn auch ahnen können, dass seine Mutter bei seiner Schule aufschlägt und ihn einfach aus dem Unterricht holte. Yuya hatte nicht viel erzählt, aber der rote Abdruck einer Ohrfeige an seiner Wange sprach Bände. Er hatte sich ihr entrissen und war weggelaufen, auf der Suche nach dem Haus, wo Judai und Yusei wohnten. Letztendlich hatte ein freundlicher Polizist ihn an der richtigen Adresse abgeliefert. Nein. Yuya durfte definitiv nicht zurück zu seiner Mutter. Das Jugendamt hatte ihnen bestätigt, dass er bei ihnen bleiben dürfe. Und damit er diesen Abend nicht wieder ganz alleine in der unteren Etage verbrachte, schlief er heute bei Judai und Yusei mit im Bett. Und wenn er wollte, durfte er das auch die ganze Woche lang tun. „Herr Ni möchte euch Gute Nacht sagen“, kam es von Yuya, der sein lilanes Plüschnilpferd anhob. Er drückte es sanft erst an Judais Wange und dann an Yuseis, als würde es kleine Küsse verteilen. „Gute Nacht, Herr Ni.“ „Schlaf gut, Herr Ni.“ Dann fand sich das Plüschtier wieder auf seinem Stammplatz an Yuyas Brust ein. Judai hatte Yusei selten so unglaublich warmherzig lächeln gesehen. Es musste auch für ihn Liebe auf den ersten Blick gewesen sein. An so etwas glaubte Judai eigentlich gar nicht. Liebe brauchte Zeit, fand er. Aber Yuya hatte sie einfach wie mit einem Pfeil direkt ins Schwarze getroffen. „Und du, Yuya, schlaf auch gut. Und träum etwas schönes“, murmelte Yusei und strich dem Kleinen erneut durch die Haare. „Und wenn du nicht schlafen kannst, dann schauen wir uns gemeinsam noch etwas die Sterne an, bis du soweit bist“, fügte Judai leise hinzu. Fragend blinzelte Yuya ihn an. „Sterne? Aus dem Fenster?“ Judai schüttelte ruhig den Kopf. „Viel besser. Wirst du gleich sehen. Gute Nacht, Yuya.“ Er neigte den Kopf ein Stückchen vor, um einen sanften Kuss auf Yuyas Stirn zu hauchen. Schließlich legte er sich höher in die Kissen und gab auch Yusei einen Gute-Nacht-Kuss, bevor dieser das Licht losch. Yuyas Augen funkelten vor Erstaunen, als er die Sterne und Galaxien an der Decke sah, die mit einem Mal sichtbar wurden. Je einen Arm umeinander und über Yuya gelegt, folgten sie dem Blick des kleinen Jungen, bis ihnen alsbald allen dreien die Äuglein zufielen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)