Schatten über Kemet von Moonprincess ================================================================================ 52. Kapitel ----------- Yugi hatte Herzklopfen. Seine Hände waren feucht und sein Körper fühlte sich klebrig an. Er schluckte, doch nicht mal das vertrieb die Trockenheit aus seiner Kehle. Er zog an seinem Schurz, die Schutzamulette daran klirrten. Das schwere Gold um seinen Hals machte es ihm fast unmöglich, noch durchzuatmen. Und wer hatte geglaubt, ihm goldene Reifen um die Knöchel zu legen, würde ihm das Gehen erleichtern? Er sprang fast aus der Haut, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte.   „Yugi? Mana? Es geht gleich los“, versprach Meister Mahaad mit einer so ruhigen Stimme, daß Yugi am liebsten die Wände hinaufgekrochen wäre, um ihr zu entkommen. Das machte alles nur noch schlimmer!   „Ich glaube, ich überleb das nicht“, murmelte Mana neben Yugi. Sie trug ein blütenweißes Kleid mit einem goldenen Gürtel. Auch an ihren Armen, Beinen und an ihrem Hals hing Goldschmuck. Ihr Haar war zurückgekämmt und mit einem goldenen Reif und schwer duftenden Blumen geschmückt.   Yugi atmete tief durch, versuchte, den Raum nicht zu sehr an seinen Nerven zehren zu lassen. Der große Audienzsaal, dessen Wände mit den Bildern von Göttern und Pharaonen geschmückt war. Säulen in prächtigem Rot und Grün stützten die Decke und in der Mitte des Raumes führte eine Treppe hinauf zum Horusthron aus purem Gold. Und am Rande des Saales unzählige Zuschauer. Männer, Frauen, Kinder. Priester, Berater, Beamte, Minister, Diener, die Gemahlinnen des Pharaos…   Yugi schwindelte. Nie zuvor in seinem Leben hatten sich so viele Menschen für ihn interessiert, ihn angesehen… Und seine Mutter war auch darunter. Sie konnte Yugi aber nicht sehen, dafür seinen Großvater, aufrecht und mit breitem Lächeln, der neben dem Thron wartete. Yugi versuchte sich an einem schwachen Lächeln.   „Ihr werdet es beide meistern“, erklang nun Meisterin Isis sanfte Stimme, gerade so laut, daß Yugi und Mana sie hören konnten. „Ihr werdet euch daran gewöhnen. Glaubt mir, es ist nicht schlimm. Ihr könnt das. Wir haben gestern alles durchgesprochen, nicht?“   Yugi nickte. Dennoch fühlte sich die Luft in seinen Lungen beklemmend schwer an. Erst als sich die Türen öffneten und Atem in den Thronsaal schritt, umwehte Yugi eine angenehm kühle Brise. Während die meisten anderen sich auf den Boden warfen, durften Yugi und Mana stehen bleiben. Mit den Priestern verneigten sie sich ehrerbietig.   Auch Atem war heute in makelloser Aufmachung erschienen: Von der Doppelkrone auf seinem Haupt über das weiße Gewand mit durchsichtigem, gefälteltem Überwurf bis hin zu den weißen Sandalen aus Ochsenleder. In den Händen hielt er Krummstab und Geißel, er trug sogar den zeremoniellen Bart aus Ziegenhaar.   Yugi seufzte leise. Perfekt! Besonders als Atem den Thron erreicht hatte und sich nun der Versammlung zuwandte. Sein Lächeln dabei galt allein Yugi. Yugis Großvater verkündete derweil, daß die Anwesenden sich nun wieder erheben durften. Einen Moment war der Thronsaal mit dem Rascheln von Stoff erfüllt, dann kehrte wieder Ruhe ein. Aller Augen ruhten allein auf dem Pharao.   „Ich habe heute eine große Verkündung für euch.“ Atem breitete beide Arme aus. „Vor einer Woche, beim Fest der großen Hathor, haben zwei Personen mein Leben gerettet. Sie bewahrten mich davor, in meiner Trunkenheit von einem losen Stück einer Statue erschlagen zu werden. Beide haben mir ihre Treue und ihre Wahrhaftigkeit gezeigt, doch nicht nur mir!“   Rahotep trat nun in die Mitte des Raumes. „So war es! Ich sah, wie diese zwei Personen den Pharao vor einem gräßlichen Schicksal bewahrten. Ihr schnelles Eingreifen zeigte auch mir, wie loyal sie sind. Yugi, ehrenwerter Enkel des Wesirs Siamun, Mana, geliebtes Kind der Königsgemahlin Teti und des Osiris-Pharaos Aknamkanon, ich spreche für euch vor Menschen und Göttern. Möget ihr ewig leben und unserem Herrn, dem Pharao, dienen, wie allem Volke Kemets und allen Göttern.“   „Ihr habt nun gehört, was der ehrenwerte Gaufürst von Waset, Rahotep, damals gesehen und heute vor euch allen bezeugt hat“, fuhr Atem fort. „Mana und Yugi haben beide ihre Fähigkeiten bewiesen. Fähigkeiten, die zu übergehen eine Schande wären und die dem gesamten Reiche Kemets zu Gute kommen müssen. Als Schüler sollen die beiden in den engsten Kreis meiner Berater eintreten. Meine auserwählten Priester werden sich persönlich ihrer beider annehmen, um ihre Fähigkeiten weiter zu schulen und neue in ihnen zu erwecken. Mana und Yugi werden vom heutigen Tage an allein direkt meinen Priestern und mir unterstehen. Sie genießen beide mein vollstes Vertrauen und mein Wohlwollen. So steht es geschrieben, so soll es geschehen.“   „So steht es geschrieben, so soll es geschehen!“ wiederholten die anwesenden Menschen.   Yugis Großvater bedeutete Mana und Yugi nun, vorzutreten, was die beiden dann auch taten. Sie knieten dann vor den Stufen nieder. Yugi hielt den Atem an. Er hörte Schritte, dann tauchten Atems goldgeschmückte Füße vor seinen Augen auf.   Atem wandte sich zuerst an Mana, fragte sie, ob sie einverstanden sei, diese Bürde auf sich zu nehmen. Ihr Ja war laut, wenn auch ein wenig zittrig. Dann fühlte Yugi Atems Blick im Nacken. Ihm wurde heiß.   „Yugi, wirst du diese Bürde auf dich nehmen, zum Wohle Kemets und seines Volkes?“   Yugi schluckte mühsam, dann: „Ja, Großer Horus. Ich nehme sie auf mich.“   Nun hieß Atem Yugi und Mana aufzustehen. Yugi lächelte, glücklich, erleichtert, als er in die Augen seines Liebsten sah. Dieser übergab sowohl Mana wie auch ihm selbst einen goldenen Anhänger, Zeichen ihrer neuen Position.   Yugi hängte sich seinen sofort um. Es war geschehen, es war vorbei! Er hatte es überstanden, obwohl ihm das Herz noch immer bis zum Halse klopfte. Um sie herum brandete nun Jubel auf, der den neu ernannten Beratern galt. Mana und Yugi drehten sich nun zur Hofgesellschaft, lächelten und winkten.   Yugi entdeckte nun seine Mutter, die neben General Mai stand. Sie strahlte. Vorhin hatte sie noch gesagt, daß auch Yugis Vater unglaublich stolz sein mußte. Yugi hoffte, daß dem so war. Jetzt mußte er beweisen, daß er dieser Ernennung auch würdig war vor mehr Menschen als seiner Familie, seinen Freunden oder seinem Liebsten. Yugi spürte eine wärmende Hand auf seinem Rücken. Aber sie alle auf seiner Seite zu wissen, das war ein beruhigendes Gefühl. Er würde sein Bestes für alle geben. Das nahm er sich fest vor. Er sah sich um, winkend, da glaubte er, aus dem Augenwinkel einen dunklen, unförmigen Schemen zu sehen. Doch als er an die Stelle blickte, entdeckte er lediglich einen jungen Mann in einer durchscheinenden Tunika, das lange, schwarze Haar zurückgebunden. Auch er klatschte, doch seine grünen Augen waren kalt.   Yugi schenkte ihm sein strahlendstes Lächeln, dann mußte er sich zu seinem Großvater drehen, der ihm gratulieren wollte. Doch noch immer hatte er das Gefühl, von Dolchen durchbohrt zu werden. Er wußte, er konnte nicht auf jedermanns Wohlwollen zählen, das war schlicht unmöglich, doch etwas an diesem einen Mann verursachte bei Yugi eine Gänsehaut. Als Yugi sich wieder umdrehen konnte, war der seltsame Mann verschwunden.   „Alles in Ordnung?“ erkundigte Atem sich leise wie ein Windhauch.   „Ja. Da war wohl nur jemand nicht glücklich über meine Berufung“, murmelte Yugi.   „Du wirst bald auch den letzten Zweiflern und Neidern bewiesen haben, daß meine Wahl richtig war.“ Atem lächelte. „Mach dir keine Sorgen.“   Yugi nickte. Atem hatte recht. Es waren nur Yugis Nerven, die sich gemeldet hatten. Yugi würde sein Bestes geben!   ***   Otogi bebte noch eine halbe Stunde später am ganzen Leibe. Was für eine Farce! Doch er hatte mitspielen müssen. Es ging hier um das Leben des Pharaos und den Erhalt der Maat. Wie dieser boshafte Hexer ihn angelächelt hatte… Voller Triumph! In dem abscheulichen Wissen, daß er sich eine perfekte Position gesichert hatte, um alles und jeden in den Untergang reißen zu können, wenn er es wünschte. Und wie der Pharao am Hintern dieser widerlichen Kreatur herumgetatscht hatte! Ahnungslos, verhext, eine Marionette in den Machenschaften des Hexers.   Mit einem Schrei ließ Otogi sich auf sein Bett sinken. Zum Glück waren alle anderen aus dem Harem noch bei dem Fest, das nun zu Ehren der Neuernannten stattfand. Er war allein… Bitter zog er die Mundwinkel nach unten. Auf mehr als nur eine Weise allein.   Doch wie sollte er an den Hexer herankommen? Er war immer von anderen umgeben und das Haus des Wesirs war gut bewacht. Otogi wäre schneller tot als er auch nur einen Pfeil auf eine Sehne spannen könnte. Er müßte an Yugi herankommen, ohne daß jemand es auffiel. Dann könnte er vielleicht mit einem Dolch… Aber nein, sobald das verdorbene Blut fließen würde, würde Otogi schon sein eigenes Leben aushauchen. Wenn er Yugi beseitigen wollte, mußte er sich etwas anderes einfallen lassen. Etwas, was man nicht mit ihm in Verbindung bringen konnte. Etwas, das einen Menschen, selbst einen Hexer, schnell und effektiv töten konnte.   Da blieben nicht viele Möglichkeiten. Die beste davon war…   „Gift.“   Otogi schoß hoch, keuchend, starrte Marik an, der plötzlich mitten in seinem Schlafgemacht stand, ein breites Lächeln im Gesicht. „Wie kommst du hier rein?“   „Unwichtig. Wichtiger ist, daß wir uns des Hexers jetzt entledigen können. Ein für allemal!“   „Aber wie?“   „Ich sagte doch schon: Gift. Sag nicht, du hast nicht eben auch daran gedacht.“ Marik trat an Otogis kleines Regal und musterte die Ansammlung von Würfeln aus Knochen, Steinen, Holz und anderen Materialien, die insgesamt zwei von vier Regalbrettern einnahmen. „Hübsche Sammlung.“ Er berührte einen kleinen Quader, der in einem silbrigen Ton zu leuchten schien. „Ein Geschenk unseres Königs?“   „Ja, also laß deine Finger davon“, knurrte Otogi, der inzwischen aufgestanden war. „Und ja, ich habe dran gedacht. Aber ist das nicht eine der feigsten Methoden überhaupt? Und was, wenn er dagegen immun ist?“   „In letzterem Fall haben wir immer noch eine Chance an einem anderen Tag“, antwortete Marik als sei er die Ruhe selbst. „Feige mag die Methode sein, aber auch sehr effektiv. Der Hexer kann dich nicht verfluchen, wenn er nicht weiß, wer ihn vergiftet hat. Simpel, oder? Außerdem mußt du ja zuerst Yugi das Gift irgendwie unterjubeln. Das allein braucht sehr viel Mut.“   „Ich allein, ja?“   „Auf dem Fest wirst du nicht auffallen, du hast schließlich jedes Recht dort zu sein. Noch zumindest.“ Otogi ballte die Hände zu Fäusten. „Ich hingegen“, fuhr Marik fort ,„würde sofort Verdacht erregen und man würde versuchen, mich zu töten, bevor ich auch nur in die Nähe des Hexers gekommen wäre.“   Otogi mahlte mit den Backenzähnen, dann atmete er scharf aus. „Schön, ich bin unauffälliger. Aber ich habe kein Gift zur Hand. Du vielleicht?“   Marik lächelte und zog als Antwort eine kleine Phiole aus seinem dunklen Überwurf. Er hielt sie hoch, sodaß Otogi den kristallklaren Inhalt darin sehen konnte.   Otogi schluckte trocken. „Das ist…“   „Ein perfektes Gift für unsere Zwecke. Farblos wie du sehen kannst, außerdem geschmacks- und geruchslos. Wenige Tropfen genügen, um einen erwachsenen Mann zu töten. Wird nicht innerhalb weniger Minuten das Gegengift verabreicht, ist der Tod unausweichlich. Mein Freund, die Befreiung Kemets ist zum Greifen nahe und du wirst dem Pharao deine unauslöschliche Treue beweisen.“   „Ja, der Pharao wird frei sein, er wird mich nicht mehr fortschicken wollen…“   Marik nickte, dann drückte er die Phiole in Otogis Hand, schloß dessen Finger um sie. „Geh einfach auf das Fest. Wenn dich jemand fragt, wo du in der Zwischenzeit warst, sag, du hattest eine längere Sitzung auf der Toilette.“   Otogi nickte. „Also schön. Und du?“   „Ich kann nicht in den Festsaal, aber wisse, ich werde dir immer nah sein, mein Freund. Sollte etwas schiefgehen, werde ich dich nicht im Stich lassen, das verspreche ich dir.“   „Ich danke dir.“   „Nein, Otogi, Dank gebührt dir dafür, daß du dich diesem Diener Isfets stellst.“   Otogi stürzte einen Becher Bier hinunter, bevor er genug nervliche Kraft aufgebracht hatte, um sich zur Festgesellschaft zu gesellen. Daß Marik, kaum hatte Otogi den Becher abgesetzt, schon wieder verschwunden gewesen war, war nicht hilfreich, aber Otogi mußte darauf vertrauen, daß sein Verbündeter ihn unterstützen würde.   Der Festsaal war voller Menschen, Gelächter und lauten Gesprächen. Musik erklang und einige Tänzerinnen zeigten in der Mitte des Raumes ihre Kunst. Doch Otogi konnte sich jetzt nicht auf ihre wirbelnden Körper konzentrieren. Er suchte mit den Augen den Saal ab, bis er sein Ziel erspäht hatte.   Yugi saß tatsächlich neben dem Pharao und dessen Großer Königlicher Gemahlin, strahlend, und trank immer wieder aus einem durchscheinenden Alabasterbecher. Otogi biß die Zähne zusammen. Er würde nicht auf dieses harmlose Getue hereinfallen, auf diese großen Augen, die jeden einzuladen schienen, hineinzusehen. Zweifellos ein weiterer Trick, um seine Opfer zu hypnotisieren.   Otogi spürte die kleine Phiole auf seiner Haut brennen, die er in den Gürtel seines Schurzes geschoben hatte. Er brauchte nur etwas Mut, nur etwas Glück auf seiner Seite. In Gedanken flehte er die Götter an, seinen Plan gelingen zu lassen, wenn schon nicht um seinetwillen, dann um des Pharaos willen.   Es dauerte eine Weile, bis Otogi sich durch Menschentrauben geschoben und einige Freunde dabei gegrüßt hatte, ein falsches Lächeln im Gesicht. Da, endlich, jetzt war er frei. Nur noch wenige Meter trennten ihn von dem Hexer. Der unterhielt sich lachend mit seinem Großvater, Mana und dem Pharao. Die große Herrin Tausret hatte sich Yugis Mutter zugewandt. Keiner von ihnen beachtete Otogi.   Das würde sich bald ändern, schwor Otogi sich. Den Kopf gesenkt schlüpfte er zwischen die Diener, die die Königsfamilie und ihre Ehrengäste umschwärmten. Dort ein Teller mit Gebratenem, da ein Krug mit Wein. „He, Junge, überlaß doch den schweren Krug mir“, sprach Otogi einen der jüngeren Diener an. Der Knabe wirkte erleichtert und übergab das schwere tönerne Gefaß an Otogi. Nicht mehr viel drin. Vielleicht noch ein Becher Wein. Das war perfekt! Die Götter waren auf Otogis Seite!   Er zog sich hinter eine Säule zurück, zog schnell die Phiole hervor und träufelte ihren kompletten Inhalt in den Wein. Sicher war sicher! Otogi ließ das leere Gefäß an Ort und Stelle fallen, dann schlüpfte er zurück unter die Diener und eilte zum Tisch. Alle waren noch immer abgelenkt, sahen weder nach links noch rechts noch auf ihre Teller oder Becher.   Der Hexer stellte seinen Becher gerade ab, um dann irgendeine belanglose Geschichte übers Töpfern zu erzählen. Otogi hielt sein Gesicht glatt, dann huschte er neben den Hexer, neigte den Krug. Die blutrote Flüßigkeit plätscherte in den Becher bis auf den allerletzten Tropfen. Otogi zog sich mit weiterhin gesenktem Kopf zurück, doch nun erlaubte er sich ein Lächeln. Jetzt mußte der Hexer nur noch trinken und sein Schicksal war besiegelt und der Pharao befreit! Otogi entledigte sich in einer dunklen Ecke des Kruges, dann mischte er sich wieder unter die Feiernden.   Sein Herz flatterte in seiner Brust wie ein kleiner Vogel. Geschafft, geschafft! Otogi hielt sich so, daß er den Tisch des Pharaos im Blick behalten konnte. Er wollte es sich nicht entgehen lassen, wenn der Hexer… Aber… Otogi wurde plötzlich eiskalt, daß er kein Glied mehr rühren konnte, als der Pharao, ohne sich umzusehen, nach seinem Becher griff. Nur daß es nicht sein Becher war!   Otogi riß seine Beine vom Boden los und stürzte vor. Das Blut rauschte ihm in den Ohren. Nein! Er streckte eine Hand aus, doch er war zu weit weg… Viel zu weit! Und der Becher berührte beinahe schon die göttlichen Lippen. „Mein Pharao, nicht!“   Da schoß eine schlanke, braune Hand vor und der Alabasterbecher flog in hohem Bogen durch die Luft. Klirrend traf er auf dem Boden auf und verspritzte überall Wein. Plötzlich war alles ganz still.   Der Pharao blinzelte, dann blickte er die Priesterin Isis an, Mahaad neben ihr. Ihrer beider Gesichter waren bleich wie der Tod. „Gift“, stieß Mahaad hervor.   Alle am Tisch sprangen auf und wichen zurück als könnten die Speisen und Getränke sie beißen.   Der Pharao sah sich um, entdeckte Otogi. „Du! Du wußtest davon. Wer hat das getan?“   „Ich, äh…“ Otogis Gedanken rasten. Was nun, was nun? Ah, das war noch besser! Er hob den Zeigefinger, um anklagend auf den Hexer zu deuten. „Er war’s! Er hat etwas in den Becher geschüttet, Großer Horus, dann diesen in deine Hände geschoben. Er wollte dich töten!“   Aller Augen richteten sich auf den Hexer, der nun kalkweiß war. Innerlich lächelte Otogi zufrieden. Da öffnete der Hexer den Mund und spuckte Blut über den ganzen Tisch.   Der Pharao schrie auf und stürzte zu dem widerlichen Hexer, der nun zusammensackte. Auch der Wesir und seine Schwiegertochter eilten zu der dämonischen Kreatur.   Otogi keuchte. Das sollte ihm auch recht sein! Nichts konnte das Ende dieses Dieners der Isfet noch aufhalten.   „Dieser Mann lügt! Dunkelheit lauert in seinem Herzen!“   Otogi wirbelte herum. Hinter ihm stand der Priester Aknadin, dessen goldenes Auge gefährlich im Schein der Lampen blitzte.   „Ich spreche die Wahrheit! Dieser Yugi ist ein Hexer, ein Dämon, er ist an all dem Chaos der letzten Monate schuld. Er hat sogar den Pharao verhext.“   Ein Schmerzensschrei erklang hinter Otogi, dem davon ganz schlecht wurde. Nein, Dämon! Kein Mitleid für einen verdorbenen Hexer.   „Ich kann die Wahrheit sehen… und die Lüge“, erwiderte Aknadin, die Stimme fest, sein hochaufragender Körper unbeweglich wie ein Standbild aus Granit.   Otogi wich zurück, seine Augen sprangen hin und her. Er mußte… mußte verschwinden!   „Warum, Otogi, warum?“   Der Schrei des Pharaos riß an Otogis Seele, an seinem Herzen. Otogi preßte die Augen zusammen, da prallte er mit dem Rücken gegen einen anderen Körper, kräftige Arme legten sich um ihn.   „Ich bin’s“, zischte Marik ihm ins Ohr, bevor er um sich schlagen konnte. Dann erklärte der lauter: „Wir werden Kemet von allen Dienern Isfets säubern! Ihr werdet noch nach uns rufen! Zuerst vernichten wir diesen Hexer, dann alle seine Helfer!“   Otogi krallte sich an Marik fest, als das Bild des Festsaals vor ihnen verschwamm und sich dann auflöste wie Farbe im Wasser. Das letzte, was er sah, waren die Augen des Pharaos. Voller Zorn und Schmerz und beides galt allein Otogi. Hosted by Animexx e.V. 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