Kaleidoskop - Facetten einer Liebe von dreamfighter ================================================================================ Kapitel 1: Die Farbe Grau - Berlin ---------------------------------- Der leicht angerostete Schlüssel mit dem Notenschlüsselanhänger, wurde sachte- fast behutsam in das Schlüsselloch einer heruntergekommenen Tür gesteckt. Langsam drehte sich das Schloss unter leisem Knacken und die Tür sprang mit einem viel zu lauten Knarzen auf. Das flackernde Licht der kaputten Lampe des Treppenaufganges warf einen Kegel aus Helligkeit in den dunklen Flur. Aus der Plattenbauwohnung drang der übliche modrige und eingesperrte Geruch. Jener Geruch von tagelang nicht durchlüfteten Räumen, offenen Alkoholflaschen und Zigarettenrauch. Michiru schloss kurz die Augen und zählte innerlich bis 3, der Griff um den Henkel ihres Geigenkoffers verstärkte sich und sie betrat die Wohnung. „Mama? Ich bin wieder zuhause…“ rief sie und machte das Licht im Flur an und die Tür hinter sich wieder zu. Der Flur lag vor ihr, wie sie ihn vor 3 Tagen verlassen hatte: Die Mülltüten stapelten sich rechts an der Kommode nach oben, die leeren Alkoholflaschen hatte sie bei ihrer letzten Aufräumaktion ordentlich auf den kleinen Telefontisch und darunter aufgereiht. Die alten Dielen knarzten unter ihren Füßen und die Wände waren durch jahrelanges Rauchen in der Wohnung gelblich verfärbt. Kurz wartete sie angespannt, an der Eingangstür verharrend auf eine Antwort. „Mama?“ Erst nach 5 Minuten traute sich Michiru ihren Geigenkoffer abzustellen und entledigte sich schnell ihrer alten Daunenjacke. Darunter kamen nicht bessere Kleidungsstücke zum Vorschein: Sie trug einen viel zu weiten Grobstrickpullunder über einer aus den 80er Jahren stammenden weißen Spitzenbluse. Große blaue Augen hefteten sich auf einen verschmutzen Wandspiegel mit Rissen. Michiru war klein, zierlich und blass. Eine zu große Brille mit rotem Gestell saß auf einer hübschen geraden Nase. Ihre hüftlangen, gewellten Locken trug sie stets zu einem geflochtenen Seitenzopf gebunden. Ein lautes Seufzen entwich der Violinistin. Sie wirkte eher wie ein 14- jähriges Mädchen aus den dunkelsten DDR Zeiten, als eine Schülerin kurz vor ihrem Abitur. Schnell wandte sie ihren Blick ab und griff erneut nach ihrem Geigenkoffer. Mit schnellen kurzen Schritten erreichte sie ihr Zimmer. Mit fast zittrigen Händen nahm sie den zweiten Schlüssel der sich an ihrem Schlüsselbund befand und steckte ihn in das Schloss einer erstaunlich schönen und sauberen Tür. Ein Blick auf Michirus Armbanduhr verriet ihr, dass es keinen Grund zur Sorge gab. Es war 23 Uhr an einem Mittwochabend und mehr zu sich selbst murmelnd sagte sie:“ Keine Sorge Michiru… keine Sorge. Um die Zeit arbeitet Mama noch in der Bar, danach geht sie mit Karl noch ihr Trinkgeld in „der Traube“ versaufen…Bis sie zuhause ist vergehen noch 4 Stunden… du hast genug Zeit um deine Hausaufgaben zu machen, dein neues Video zu schneiden und … „plötzlich schlich sich ein Lächeln auf die rosigen Lippen der Schülerin:“…und um mit Haruka zu chatten.“ Sie betrat schnell ihr Zimmer und verschloss eilig die Tür hinter sich. Sie hatte zusätzlich 3 Schlösser angebracht und verriegelte diese zusätzlich. Michiru machte das Licht an und ließ ihren Blick über ihre wenigen, aber sehr gut ausgewählten Habseligkeiten schweifen. Die Wände des Zimmers waren in einem sanften Blauton gestrichen, weißer Stuck veredelte die Decke und verlieh dem Zimmer eine fast deplatzierte Eleganz in diesem alten Berliner Plattenbau. An der Wand stand ein wunderschöner weißer Schminkspiegel mit sorgsam aufgereihten Utensilien. Daneben war ein Notenständer platziert und eine Staffelei. An der gegenüberliegenden Wand stand ein großer betagter Kleiderschrank, den Michiru liebevoll selbst restauriert hatte. Nun erstrahlte er in einem matten weiß mit einem goldenen Schloss. Eine Seite des Zimmers war ganz von einem großen Fenster mit bodenlangen Vorhängen eingenommen. Ein Bett mit Himmel stand in der Mitte des Raumes und war mit Lichterketten und Traumfängern in weiß dekoriert. Zielsicher steuerte die Musikerin mit der Violine in der Hand auf ihr Schmuckstück zu: Einem großen weißen Holzschreibtisch mit einem kleinen Mischpult, einer kleinen Filmanlage und einem neuen PC mit zwei großen Flachbildschirmen darauf. Wenn man nur Michirus Zimmer sah, würde man nie glauben, dass sie die Tochter einer Stripperin war. Einer alkoholabhängigen Stripperin die kettenrauchend immer irgendwelche Kurzzeitfreunde mit nachhause brachte. Alle hatten irgendwie ähnliche Namen und alle bezogen sie Harz 4. Ihr jetziger Freund Karl war der Erste der einer geregelten Beschäftigung nachging. Er war der Türsteher des Nachtclubs in dem Sachiko arbeitete. Er war zur Abwechslung kein Junkie, kein Alkoholiker und auch schlug er ihre Mutter nicht windelweich… oder sie. Seufzend ließ sich Michiru auf ihren blauen Bürostuhl sinken. Er hatte jedoch eine andere Vorliebe: junge Mädchen. Um das plötzlich unkontrollierte Zittern ihrer Hände zu beenden, krallte sich Michiru an der Tischplatte fest. „Denk an etwas Anderes Michiru. Mach einfach deine Matheaufgaben und beende das Deutsch Referat!“ Sie verlangsamte ihre Atmung in dem sie wieder langsam bis 3 zählte. Sie schloss kurz die Augen und machte sich dann an ihre Arbeit. Als sie nach zwei Stunden ihr neustes Musik Video auf ihrem YouTube Kanal hoch lud, entspannte sich die junge Künstlerin. Sie versank ganz in der Ausarbeitung ihres Musikkanals, in der Beantwortung der Kommentare unter ihrem neuesten Covern und Stücken und im Schneiden ihrer neusten Werke. Sie betrieb seit 3 Jahren einen der bekanntesten YouTube - Kanäle für klassische Violinen Musik in Deutschland. Mit ihren fast 2 Millionen Followern konnte sich Michiru durch geschickte Produktplatzierungen und das Freischalten der Werbung während ihren Videos all diese Dinge leisten. Ihr Traum nur von der Musik zu leben, rückte mit jedem Monat näher. »Nur noch 10 Monate. Dann werde ich 18! Dann kann ich den Plattenvertrag in New York unterschreiben und werde auf einer der anerkanntesten Universitäten der Staaten gehen…so lange…« Sie schob die Ärmel ihres Pullunders nach oben. Die blauen Flecken in Form von Fingerabdrücken, zeichneten sich auf dem rechten Unterarm ihrer weißen Haut ab. Sie schüttelte den Kopf und versuchte sich wieder auf ihr Ziel zu konzentrieren, als ein leises `Pling` ihre Aufmerksamkeit forderte: Haruka! Eine zarte Röte schlich unmerklich auf ihre Wangen, als ein weißes Fenster mit einem kurzen „Hi Michiru! :)“ auf dem rechten Bildschirm erschien. Schnell tippte sie zurück: „Du bist spät dran Tennoh- kun! :)“ Und eine völlig losgelöste und fröhliche Michiru tippte munter kecke Sprüche in die Tasten: Auf japanisch. Und das schon seit mehr als 4 Monaten. Nach 3 Stunden knallte draußen im Flur die Tür und schwere schlurfende Schritte hallten durch die Wohnung. „Mi..iru…bisch..zuhas..“ drang eine lallende Stimme dumpf in das Zimmer der jungen Violinistin. Ein dumpfer, kraftloser Schlag einer viel zu kleinen Hand prallte gegen die einzige saubere Tür der Wohnung. Michiru hielt den Atem an und schloss die Augen. Ihr Atem hatte sich beschleunigt. Noch ein Schlag gegen ihre Tür und diesmal war sie stärker: „MICHIRU! BIST DU WACH DU KLEINE HURE!“ Die Tür erbebte leicht. Eine tiefe, derbe Stimme hatte die lallende ersetzt: Karl! Die Finger auf der leicht beleuchteten Tastatur bebten und sie bemerkte wie ihr leicht der Angstschweiß die Stirn entlang rann. „…die kleine Schlampe ist wahrscheinlich schon schlafen…“ hörte sie nach einigen Minuten in denen er immer wieder gegen ihre Tür gedonnert hatte. Nach weiteren Minuten, die Michiru wie Monate vorkamen, war es wieder leise in der Wohnung. „Entschuldige. Ich war auf der Toilette… “ tippte sie schnell in die Tasten und klickte auf senden. Haruka: „Ich muss mich eh von dir verabschieden…“ Michiru: „Was jetzt schon?“ Haruka: „Nicht für immer ;-). Ich habe mich noch nicht an die deutsche Zeit gewöhnt! Ich muss morgen in die Schule. :)“ Michiru:“…“ Haruka: „Bist du sprachlos?“ Michiru: „Ja sehr… Wann hattest du vor mir zu sagen dass du in Deutschland bist????“ Haruka: „Hab ich doch gerade! “ Michiru: „Typisch für dich...aber wie kommt das?“ Haruka: „Ich habe einen neuen Sponsor der mich in Deutschland groß rausbringen will… es musste alles sehr schnell gehen...wenn du willst sehen wir diese Woche!“ Michiru: „…“ Haruka: „Ich lebe vorerst in Berlin! Vielleicht hast du Lust auf einen Kaffee? Und wenn wir gerade dabei sind: Du könntest mir ruhig mal ein Bild von dir schicken! Ich kenne dich nur vom Hals an abwärts.“ Michiru starrte entgeistert auf den Bildschirm. Ihre blauen Augen waren rot unterlaufen und ihre Brille war leicht nach vorne gerutscht. Der sinnliche Mund war leicht geöffnet und aus dem starren Blick wurde ein Glotzen. Aus dem Glotzen wurde ein panisches Gefuchtel mit den Armen und Händen. In ihrem Geiste rannte nur ein Satz in Dauerschleife: „Haruka ist in Deutschland! Sie will mich sehen! Sie weiß nicht wie ich aussehe! Wenn sie mich sieht, wird sie mich nicht mögen!“ Michiru: „Das wird nicht gehen Haruka. Berlin ist sehr groß und ich… habe viel zu tun!“ Haruka: „Was? Ach komm! Du willst mich wohl verarschen :/. Ich werde ab morgen auf ein Gymnasium gehen das „Goethe-Gymnasium“ heißt. Kennst du das?“ Nun verlor Michiru -trotz aller Vorsicht- die Fassung und sie sprang auf und schrie laut: „WAS????? FUCK!! MEINE SCHULE?? “ Im gleichen Moment bereute sie ihren emotionalen Ausbruch und setzte sich sogleich wieder. Sie schlug sich schwer atmend die Hände vor den Mund. „… shit.. shit…“ murmelte sie. Wieder zählte sie auf 3 runter und atmete tief ein und aus. Ein und aus. Michiru: „Ja das kenne ich. Das ist aber nicht meine Schule. Meine ist am anderen Ende von Berlin. Ich muss jetzt wirklich Schluss machen... gute Nacht Haruka! Äh.. gib mir am besten deine deutsche Handynummer, wenn du sie hast… dann machen wir was aus!“ Haruka: „Okay...? Also… dann bis bald Michiru.“ Michiru: „Gute Nacht, Tennoh…“ Als der Bildschirm schwarz wurde und nur die digitale Anzeige des Weckers 5:oo Uhr anzeigte, wusste Michiru, dass sich ihr Leben dass sie so heimlich und behutsam im Stillen geführt hatte ab Morgen ein jähes Ende nehmen würde.. Woher sie das wusste? Der einzige Freund auf dieser Erde war in Deutschland. Und sie würde ihr nicht aus dem Weg gehen können…. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)