Freaky Hell von Platan ================================================================================ [Akt 1] Kapitel 3: Auch Heldentaten haben Folgen ------------------------------------------------ Auch für einen Sohn von Lucifer gab es im Blutmärpalast noch reichlich versteckte Ecken, von deren Existenz Lux bisher sicherlich nicht einmal etwas ahnte, und leider gab es keine Karte vom Innenleben des Gebäudes – deshalb wäre es durchaus angebracht, endlich eine zu erstellen. Sich hier zu verlaufen war mit eine der größten Gefahren, die auf einen lauerten. Warum hatte Lux das noch nicht mit auf seine Liste gesetzt? Gedanklich machte er sich dazu eine Notiz, hoffentlich vergaß er das nicht. Glücklicherweise kannte sich Lux an diesem Ort – er wohnte immerhin hier – dennoch gut genug aus, um allen anderen Wachen, bestehend aus bunt gemischten Rassen, problemlos durch einige Geheimgänge aus dem Weg gehen zu können und somit zu verhindern, dass sie zu früh etwas von seinem Ausbruch bemerkten. Also reichte sein aktueller Wissenstand über den Blutmärpalast aus, er kam gut voran. Jetzt hieß es zügig das Ziel zu erreichen, bevor Diabolus oder sein Vater etwas von alldem erfuhren. Im Gegensatz zu den meisten Wachen besaßen die beiden ein besonderes Gespür dafür, zu erahnen, wann Lux etwas anstellte, und demnach könnte seine Zeit begrenzt ausfallen. Draußen hatte der blutrote Himmel inzwischen einen dunkleren Farbton angenommen, wodurch der späte Abend zu erkennen war. Lux holte sich eines der, mit dämonischen Kräften kontrollierten, Skelettpferde aus dem königlichen Stall und ritt auf dessen Rücken zu seinem Einsatzort, dem Gefängnis der Dämonenschoßtierchen. Sicher, er hätte auch wieder laufen können, aber so war er deutlich schneller. Der Palastgarten breitete sich nämlich über eine großzügige Fläche aus. Am Ziel angekommen, bei den Seelenbäumen, schickte er das Reittier mit einem Befehl zum Palast zurück, ehe er sich auf seine Mission konzentrierte. Vorsichtig schlich Lux zu dem Seelenbaum hinüber, an dem er mit seinem Dolch heute vorsorglich einige Markierungen eingeritzt hatte, und kletterte dort wieder hinauf. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, denn aus den mit Gewalt zugefügten Unebenheiten im Holz strömten kaum sichtbare Geistersphären hervor, die sich in der Nähe der Einkerbungen sammelten. Geistersphären waren klitzekleine Kugeln und leuchteten in einem geheimnisvollen Blau. Sie konnten Störungen verursachen, sobald eine große Menge von ihnen in Erscheinung trat. Genau diese Störungen wollte Lux nutzen, damit er ungesehen die Dämonenschoßtierchen befreien zu konnte. Welche Aufgaben diese Geistersphären eigentlich hatten und was sie ursprünglich symbolisierten war unklar, da sie als heilig galten und nicht von unreinen Wesen wie Dämonen erforscht werden durften. Einzig das Himmelreich besaß die Erlaubnis dazu, diese merkwürdigen Erscheinungen näher unter die Lupe zu nehmen und selbst die konnten sich nach mehr als 1000 Jahren immer noch nicht erklären, woher die Geistersphären kamen oder was sie genau bedeuteten. Alles, was man bis zum heutigen Tage über sie herausgefunden hatte, war, dass sie auf manche Lebewesen eine heilende Wirkung ausübten und unter anderem in den Seelenbäumen ruhten, wo sie vermutlich bei der Reinigung halfen. Und sie waren nachtaktiv. Aus diesem Grund konnte Lux seine Rettungsaktion sowieso erst gegen Abend beginnen, wenn es dunkel genug war, so wie in diesem Augenblick. Daher war der Zeitverlust, den er durch das Gespräch mit seinem Bruder und bei der Flucht aus dem Palast erlitten hatte, im Grunde doch nicht allzu tragisch gewesen. Solche Hindernisse sah er trotzdem nicht gern, sie blieben störend, und die Nacht zu gefährlich für die Flüchtlinge. Wenigstens hatten sich auf diese Art bereits einige von den heiligen Leuchtkügelchen bilden können, was angeblich eine Weile in Anspruch nahm. Behutsam strich er über das Holz des Seelenbaumes und hielt kurz den Atem an. „Entschuldige bitte“, flüsterte Lux dem wertvollen Gewächs zu. „Aber es ist für eine gute Tat, ehrlich. Deine Wunde heilt wieder.“ Er nahm seinen Dolch zur Hand und holte weit genug aus, um genug Schwung für den folgenden Schlag aufbringen zu können, mit dem er die Einschnitte im Holz weit genug vergrößern wollte, damit noch mehr Geistersphären erschienen. Mit aller Kraft bohrte er das Metall tief in das Holz hinein und erschrak, als ihn plötzlich eine heftige Windböe vom Ast fegte. Wie ein Stein fiel er geradewegs zu Boden und prallte unsanft mit diesem zusammen. Statt vor Schmerz aufzuschreien, knirschte er nur mit den Zähnen. Autsch! Verdammter Mist, was war denn das?! Aus dem Schnitt im Holz war auf einmal dieser starke Wind gekommen. Ihm verschlug es die Sprache, als er einen prüfenden Blick nach oben warf. Zahlreiche blaue Lichter fluteten wie ein Wasserfall aus der Einkerbung heraus und verteilten sich in der gesamten Gegend, viel weiter als geplant. Wie tausende Glühwürmchen tanzten die Geistersphären elegant in der Luft herum, mit jeder Sekunde wurden es mehr. „Krass! Mit so vielen hätte ich nie im Leben gerechnet, Wahnsinn!“ „Hey du!“, hörte er jemanden alarmiert aus der Ferne brüllen. „Was treibst du da?! Hier ist kein Spielplatz! Verschwinde oder-“ Mitten im Satz verblasste die Stimme schon wieder, noch bevor Lux ausmachen konnte, woher sie gekommen war und vor allem wem sie gehört hatte. Eigentlich gab es aber nur eine Möglichkeit. Zur Vorsicht kontrollierte er rasch mit einem flüchtigen Blick zu den Wachtürmen, ob dort jemand auf ihn aufmerksam geworden war, doch offenbar hatte sein Plan Erfolg. Er konnte sich ein stolzes Lächeln nicht verkneifen, als er niemanden mehr entdeckte. Demnach mussten die Gerüchte wahr sein. Diese sogenannten Störungen, die durch Geisterspähren zustande kamen, erschufen eine Art Parallelwelt. Eine neue Ebene, die man nicht auf normalem Wege erreichen konnte, es sei denn, man befand sich während der Entstehung der Störung vorher bereits im Kern des Geschehens, was bei Lux und den Dämonenschoßtierchen der Fall war. Dafür hatte er schließlich extra den passenden Seelenbaum ausgesucht, damit dies sichergestellt werden konnte. Also, das hier wird echt die epischste Aktion von mir, die ich je durchführt habe. Da die Wachposten außerhalb des Radius waren, befanden sie sich zu diesem Zeitpunkt noch in der realen Ebene der Hölle. Auf den ersten Blick mochten sich zwischen den beiden Welten zwar keinerlei Unterschiede erkennen lassen, allerdings war es hier im Gegensatz zur Wirklichkeit unnatürlich still. Nahezu geräuschlos. „Jetzt habe ich Zeit, die Dämonenschoßtierchen zu befreien, ohne dabei gestört zu werden~.“ Seine Stimme schien doppelt so laut zu sein wie üblich, durch diese unheimliche Stille. Wie lange die Störung anhielt, wollte er lieber nicht austesten, sondern machte sich gleich auf dem Weg zum Gefängnis der verängstigten Wesen, die dicht beieinander hockten. Praktischerweise war die magische Barriere ebenfalls verschwunden, weil sich deren Schöpfer nicht in dieser Ebene befanden. Alles funktionierte bislang, wie es sollte. Angenehm reibungslos. „Warum hockt ihr denn alle noch hier herum? Ihr könnt jetzt abhauen!“, trieb Lux die Dämonenschoßtierchen zum Aufbruch an, doch sie starrten ihn nur entgeistert an. Jeder außerhalb der Unterwelt hätte mit Sicherheit behauptet, solche Wesen eher im Himmel zu erwarten, denn sie sahen alles andere als dämonisch aus. Das auffälligste Merkmal bildeten ihre rosafarbenen – genau, nicht schwarz oder rot – und molligen Körper, sie waren nicht mal einen halben Meter groß. Manche von ihnen trugen kleine Hörner auf dem Kopf, andere besaßen sogar winzige Flügel, jedoch schienen diese nicht allzu geeignet zum Fliegen zu sein. Das waren Dämonenschoßtierchen. Schwache, hilflose, kleine Geschöpfe, deren Stand mit den Haustieren der Menschen verglichen werden konnte. Nur missbrauchte man sie in der Hölle als Diener oder Sandsack, zum Stressabbau. Ihr Leben mussten sie in engen Käfigen aus magischen Barrieren verbringen, bis sie jemand zu sich holte. So etwas durfte Lux nicht länger zulassen! „Bewegt euch doch schon! Oder wollt ihr weiterhin hier eingesperrt bleiben?“ Ihre großen, runden Augen suchten ratlos nach einer Erklärung für das seltsame Geschehen und Lux' Verhalten. Sie zitterten sogar vor Angst. Spürten sie denn nicht, dass er ihnen helfen wollte? Anscheinend hatte die Gefangenschaft sie stark traumatisiert und ihnen die Fähigkeit zu vertrauen genommen. Wie es aussah, musste Lux sie selbst bewegen, auch wenn das die Rettungsaktion unnötig schwerer und komplizierter machte. Ich bin ein Held, solchen Wendungen muss ich mich stellen. Gerade wollte er sich entschlossen einen von den kugelrunden Kaugummis – damit verglich er sie ganz gern – schnappen, als sie plötzlich innerhalb von Sekunden vor seinen Augen zu einer einzigen, großen Masse verschmolzen, die langsam im Boden versickerte. Ungläubig schüttelte Lux den Kopf und wich einen Schritt zurück. „W-was? Nein ... was soll das? Was ist denn jetzt los?“ Hitze begann sich in seinem Körper zu bilden und ihn wie ein hochansteckender Virus mit Panik zu erfüllen. Auch nach mehrmaligem Blinzeln blieben die Dämonenschoßtierchen fort, nur diese klebrig wirkende Substand lag vor seinen Füßen. Zu allem Überfluss wurde ihm dann auch noch allmählich schwindelig. Wurde er krank? Mitten in einer Mission. Keuchend rieb er sich die Augen, hielt jedoch inne, als sich ein unangenehmes Kribbeln von unten in seinem Körper ausbreitete. Reflexartig blickte Lux nach unten und ihm stockte abrupt der Atem. Er löste sich auf! Seine Beine waren bereits unauffindbar, einfach weg, und schleichend verlor sich auch der Rest seines Körper ins Nichts. „Nein!“, stieß er panisch hervor. Schwankend kippte er nach hinten, auf den Boden. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht, das konnte nur ein Alptraum sein. Bestimmt war er in seinem Zimmer auf dem Bett eingeschlafen, nachdem er sich über Diabolus aufgeregt hatte. Er musste nur aufwachen. Aufwachen! „Nein! So war das nicht geplant!“, protestierte Lux missbilligend. „Das darf nicht wahr sein ... bitte, lass das nicht wahr sein. Ich wollte doch nur die armen Kaugummis retten.“ Von den Dämonenschoßtierchen war schon bald nichts mehr übrig, nicht mal mehr diese Flüssigkeit. Allesamt hatte sie der Boden förmlich verschluckt, der sich aufzuheizen schien. Oder kam das von der Hitze in Lux? Konnten Träume sich derart real anfühlen? Was, wenn das hier wirklich passiert? Ein erschreckender Gedanke. Etwas Unheimliches ging hier vor sich und das verstörte Flimmern der Geistersphären bestätigte sein ungutes Gefühl. Vor allem weil sich diese heiligen Lichter kein Stück mehr rührten, wie ihm erst jetzt auffiel. Regungslos schwebten sie wie versteinert auf der Stelle, schienen ihn jedoch zu beobachten. Sie wirkten beinahe bedrohlich. Kopfschüttelnd rutschte Lux unbeholfen über den Boden. „Ich ... ich habe nichts Böses getan! Ich wollte doch nur helfen! Wirklich!“ Keine Reaktion. Von wem erwartete er auch eine Antwort? Was soll ich denn jetzt machen?, fragte er sich selbst verzweifelt. Ich habe keine Ahnung, was hier abgeht. Ich habe echt Schiss. Jemand muss mir helfen. Bitte. Unaufhaltsam löste sein Körper sich immer weiter auf, was seltsamerweise keine Schmerzen mit sich brachte, vielmehr Leere. Eine unbeschreiblich leblose Leere. Er fühlte sich schrecklich hilflos, obwohl er sich noch etwas bewegen konnte. Weglaufen hätte die Sache aber wahrscheinlich auch nicht besser gemacht, jedenfalls glaubte er nicht daran. Sollte er etwa einfach so ins Nichts verschwinden? Hatte er endgültig versagt? „Lux!“, riss ihn eine vertraute Stimme aus seinen düsteren Gedanken. Sofort keimte Hoffnung in Lux auf und er er blickte sich hastig um. „Diabolus? Bist du das? Gott sei Dank!“ „Kannst du nicht mal jetzt aufhören mit diesen aufständischen Aussagen?“, reagierte sein großer Bruder tadelnd. „Gott ist nicht unser Herr.“ „Das ist mir gerade so was von scheißegal! Wo bist du?! Ich kann dich nicht sehen.“ Sein Sichtfeld war verschwommen, aber er konnte keinerlei Bewegungen ausmachen. Diabolus' Stimme konnte er aber klar und deutlich hören, als würde er direkt neben Lux stehen. Tatsächlich wünschte er sich gerade mehr als alles andere, er könnte Diabolus sehen. An seiner Seite würde Lux sich gleich sicher fühlen, sein Bruder besaß nämlich erstaunliche Kräfte. Garantiert wäre er sogar dazu fähig, zu verhindern, dass Lux einfach verschwand. „Keine Zeit für Erklärungen. Nimm meine Hand!“, forderte Diabolus. „Schnell!“ „Ich sehe doch nichts!“, wiederholte Lux nervös. „Wo denn?!“ „Hier! Schau genau hin.“ Lux kniff die Augen zusammen, in einem Versuch, auf diese Weise vielleicht etwas besser sehen zu können. Mühevoll suchte er seine nähere Umgebung ab und tatsächlich: Nur wenige Schritte vor ihm tauchte in der Luft eine Hand auf, gemeinsam mit dem restlichen Körper von Diabolus, der nur schemenhaft zu erkennen war. Ohne zu zögern und weiter nachzudenken, schaffte es Lux irgendwie, wieder auf die Beine zu kommen, die gar nicht mehr da waren. Taumelnd kam er seinem Bruder entgegen und nahm dessen Hand. Augenblicklich wurde er von Dunkelheit eingehüllt. *** „Lux?“, drang Diabolus' Stimme besorgt an sein Ohr, wie ein fernes Echo. „Lux, kannst du mich hören? Wach auf.“ „... Hm?“ Erschöpft öffnete Lux zögerlich die Augen und erblickte als erstes den dunkelroten Abendhimmel über sich. Von den Geistersphären gab es weit und breit keine Spur mehr, dabei waren es so viele gewesen. Also doch nur ein Traum? War er unterwegs etwa von einer Sekunde zur nächsten eingeschlafen? „Bin ich noch am Leben?“, murmelte Lux zweifelnd. Er fühlte sich mehr als schlapp, dabei hatte er eigentlich nichts Anstrengendes getan. Direkt neben ihm kniete sein älterer Bruder, Diabolus, der ihn aufmerksam musterte. Außer ihm hatten sich noch einige andere Personen um sie beide herum versammelt, hauptsächlich Wachen, darunter befanden sich auch Wutz und Taro. Alle machten einen sehr merkwürdig besorgten Eindruck. Falls Lux wirklich nur eingeschlafen war, wunderte er sich sehr darüber. Warum schauten denn alle so dumm aus der Wäsche? „Ja, scheint so“, antwortete Diabolus schließlich. Prüfend legte der älteste Sohn eine Hand auf die Stirn seines kleinen Bruders und kontrollierte zudem einige andere Lebenszeichen, bis er sich endlich sicher sein konnte, dass es Lux halbwegs gut ging. Offenbar war er nur mit knapper Not noch mal davon gekommen, zumindest sagte das Diabolus' Gesichtsausdruck aus. Genau das schienen ebenso die anderen Anwesenden in diesem Moment zu denken, wenn man von ihrer Mimik ausging. Diabolus seufzte leise. „Du hast also deine Entscheidung getroffen ...“ „Entscheidung?“, fragte Lux absolut konfus. Noch etwas schwankend richtete er sich auf, wobei Diabolus ihn vorsichtshalber stützte. „Wie meinst du das?“ Schweigend deutete der erste Sprössling in eine Richtung und Lux' Blick folgte ihm zu dem ehemaligen Käfig der Dämonenschoßtierchen, von denen kein einziges mehr da war. Bis auf die magische Barriere wies nichts mehr darauf hin, dass dort einst etwas gefangen gehalten wurde. Nichts als Leere. Freuen konnte Lux sich darüber aber nicht. Waren sie nun entkommen? „Was ist passiert?“, wollte er wissen. Statt zu antworten, stellte sein Bruder eine Gegenfrage: „Kannst du laufen? Wir müssen uns beeilen.“ „Beeilen?“, hakte er unruhig nach. Noch bevor Diabolus etwas dazu sagte, packte Lux eine überaus böse Vorahnung, als er dann auch den abgebrannten Seelenbaum in der Nähe entdeckte. „Lux, Vater will dich sehen. Unverzüglich.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)