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How to kiss a japanese Boy

von

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Lektion 1: Der stürmische Kuss - Nicht immer eine gute Idee...

Der Schulgong ertönte, als die Lehrerin den neuen Schüler in den Klassenraum führte. Auf den ersten Blick konnte jeder im Zimmer erkennen, dass er aus dem Ausland stammen musste, denn er hatte einen leicht gebräunten Teint, dunkelgraue, gestylte Haare, stechend wirkende, rote Augen und er war ziemlich groß. Alle starrten ihn neugierig an und ihre Gesichter verrieten, was sie sich insgeheim fragten: Woher stammte der neue Schüler? Warum wechselte er gerade im letzten Jahr der Oberstufe die Schule? Wer war er wohl?

Die Lehrerin setzte sich und bat den Jungen sich vorzustellen. Sein Blick schweifte einmal durch den ganzen Raum, um einen ersten Eindruck seiner neuen Mitschüler zu erlangen. Dann wandelte sich sein ernster Gesichtsausdruck zu einem breiten Grinsen und er erhob seine Stimme: „Konnichiwa! Ich heiße Ray Lancaster und ich freue mir euch zu lernen kennen.“

Er stand sehr selbstsicher da, doch die ganze Klasse brach in Gelächter aus. Die Mädchen kicherten und die Jungen lachten schallend laut. Einer von ihnen rief: „Der kann ja noch nicht mal richtig japanisch! Was 'ne Lachnummer!“.

Die Lehrerin räusperte betont laut und die Schüler wurden wieder ruhiger. Ray war sichtlich überrascht, denn er war sich nicht bewusst, etwas falsch gemacht zu haben.

Die Lehrerin sah ihre Klasse ermahnend an und erklärte: „Ray kommt aus den USA und hatte nicht allzu viel Zeit sich auf seine Zeit hier vorzubereiten. Bitte zeigt ein wenig Nachsicht mit ihm!“. Dann stand sie wieder auf, ging zu Ray und sprach leise zu ihm auf englisch: „Und du solltest noch etwas an deinem Japanisch arbeiten. Versuch dir einfach viel von deinen Klassenkameraden abzuschauen.“. Er kratzte sich verlegen am Hinterkopf und legte ein etwas idiotisch wirkendes Lächeln auf.

Nun schaute die Lehrerin suchend ins Zimmer bis ihr Blick auf einem freien Platz stehen blieb. „Ah du kannst dich dorthin setzen neben Kaneki. Ich denke, das trifft sich gut, er wird dir helfen. Kaneki-san, du zeigst ihm bitte alles Nötige und hilfst, wenn er Fragen hat!“

Gemeint hatte sie einen zierlich wirkenden, blonden Jungen mit riesen großen, pinken Augen. Er zuckte etwas zusammen, als die Lehrerin seinen Namen sagte, so, als wäre er gedanklich abwesend gewesen. Nun sah er überrascht nach vorn, wobei sein verwirrter Blick verriet, dass er wirklich nicht zugehört hatte. Er starrte Ray an und musste sich wohl fragen, wer er war. Um zu verschleiern, dass er mit den Gedanken ganz woanders gewesen war, antwortete er trotzdem höflich: „Natürlich, das mache ich!“ und lächelte zuckersüß.

Ray ging zu besagtem freien Platz und ließ seinen Rucksack daneben fallen. Dann streckte er die Hand zu dem blonden Jungen und grinste: „Nice to meet you! Äh...ich meine, schön dich kennen zu lernen. … Aber sag mal bist du nicht vielleicht in der falschen Klasse?“. Ray deutete auf Kanekis Köprergröße an, denn er war nicht einmal 1,60 m groß und wirkte zudem recht jung.

Der Kleinere legte den Kopf etwas schief und sah Ray verwundert an. Dann plusterte er aber die Wangen auf, wandte den Blick schmollend ab und entgegnete: „Gibst du jedem gleich die Hand? Wie unhygienisch ist das denn? Igitt!“.

Ray – sichtlich überrascht von dieser Reaktion – setzte sich nun und betrachtete den Jungen aus dem Augenwinkel heraus. Er hatte vergessen, dass es in Japan ganz und gar nicht höflich war, jedem Fremden zur Begrüßung die Hand zu reichen. Seufzend holte er einen Block und einen Kugelschreiber heraus. Die Lehrerin hatte bereits mit dem Unterricht begonnen, also konnte Ray sich nicht mehr bei Kaneki entschuldigen. Er beschloss deshalb auf ein Blatt Papier zu schreiben: „Hey Kaneki-san, richtig? Es tut mir wirklich leid, also...sorry meine ich. Ich muss mich eher verbeugen, ich weiss. Aber jetzt mal ehrlich, du siehst jung aus, das mein ich nicht böse oder so.“ Nun schob Ray den Block etwas weiter Richtung seines Nachbars, sodass dieser die Nachricht lesen konnte.

Er war eigentlich schon wieder mit den Gedanken abwesend, aber bekam Rays Geste gerade noch mit. Er las, was auf dem Zettel stand, schaute dann zur Lehrerin, um sicher zu gehen, dass sie gerade abgelenkt war und schrieb dann unter Rays Nachricht: „Ich heiße Kaneki Shutaro, aber nenn mich bloß nicht beim Vornamen! Und wie alt ich bin geht dich gar nichts an. Ich frag dich doch auch nicht nach deiner Sozialversicherungsnummer oder?“. Dann schob er den Block wieder zu Ray und warf ihm einen genervten Blick zu.

Ray musste angesichts dieser Zeilen lachen, verkniff es sich allerdings so gut wie möglich um nicht die Lehrerin auf sich aufmerksam zu machen. Er blätterte um, damit er mitschreiben konnte, was gerade an der Tafel vorn gezeigt wurde und warf alle paar Minuten einen neugierigen Blick zu Kaneki und dessen Notizen.

In einer der längeren Pausen verließ der Kleine das Klassenzimmer und Ray sah seine Chance gekommen, seinen Mitschüler besser kennenzulernen. In den kürzeren Pausen zuvor gelang ihm das nicht, weil er ständig von neugierigen Mitschülern ausgebremst wurde, die etwas über den neuen Mitschüler wissen wollten. Er folgte Kaneki also und lief neben ihm her.

„Hey äh...Kaneki-chan, also nochmal sorry wegen vorhin. Ich hab's echt nicht so meint.“

Der Blonde seufzte etwas genervt, sah nach vorn und lief weiter. „Ist ja gut, es sei dir verziehen. Ach und es heißt „GEMEINT“ und nicht Kaneki-chan, sondern -san!“ Wahrschenlich hoffte er, dass er seinen Verfolger mit den paar Worten abschütteln konnte, aber Ray dachte gar nicht daran zu gehen. Sie kamen beim Schulkiosk an und stellten sich in die Schlange von Schülern.

„Was gibt es denn hier alles so?“ fragte Ray, während er das Angebot auf der Kiosktafel studierte.

Kaneki antwortete gar nicht darauf, weil er es für eine rhetorische Frage hielt. Solche Fragen waren seiner Meinung nach komplett überflüssig und alles Überflüssige, was Menschen sagten, ignroierte er von Natur aus. Er kam zuerst dran und kaufte sich einen Schokoriegel. Ohne auf Ray zu warten, ging er sofort wieder in Richtung des Klassenzimmers. Ray schaute ihm nervös hinterher und entschied sich, dasselbe zu kaufen wie er. Er bezahlte noch hastig und eilte dem Kleinen dann hinterher.

„Jetzt warte doch mal! Ohne dich verlauf ich mich doch!“ rief Ray und lief nun wieder neben Kaneki her.

Bevor dieser wieder eine genervte Antwort geben konnte, wurde er unterbrochen. Eine ganze Gruppe Mädchen aus verschiedenen Klassen stürmte auf die beiden Jungen zu. Ray ging natürlich sofort davon aus, dass sie wegen ihm so aufgeregt waren, schließlich war er neu, aus dem Ausland und hielt sich für die Coolness in Person. Er nahm sofort seine gewohnt lässige Haltung ein und setzte sein Sunnyboy-Lächeln auf.

„Hey Mädels! Nicht alle auf einmal, es ist doch genug für alle da!“ tönte er in wahrer Macho-Manier.

Als aber keines der Mädchen zu ihm kam und nicht einmal sein Name fiel, schaute er verwundert neben sich. Die ganze Gruppe war zu Kaneki gestürmt und umzingelte ihn jetzt förmlich. Dabei gaben sie hohe, kreischende Töne von sich und es wirkte, als wollte jede von ihnen ihn wenigstens einmal anfassen. Ray stand vollkommen verdutzt daneben und musste mit ansehen, wie der Blonde nur sehr höflich und etwas verlegen lächelte und das Ganze einige Minuten über sich ergehen ließ. Er konnte sich schließlich nur befreien, indem er vorheuchelte auf Toilette zu müssen. Als das ganze Geschehen vorbei war, stand Ray immernoch an gleicher Stelle und konnte sich kaum rühren. Irgendwann kam er wieder zu sich, schüttelte den Kopf und stieß ein lautes und recht hohes „What the fuck was THAT????“ aus. Kaneki war längst verschwunden, genauso wie die Mädels und Ray musste sich wie ein kompletter Loser fühlen, denn niemand hatte ihn beachtet. Schließlich merkte er, dass keiner da war, um ihm zu antworten und so trottete er enttäuscht zum Klassenzimmer zurück.

Kaneki saß unlängst wieder auf seinem Platz und Ray ließ sich leicht deprimiert neben ihm auf seinen Stuhl fallen.

„Sag mal, Kaneki-san...Was war das denn eben auf dem Gang für 'ne Freakshow??“ fragte er mit gedämpfter Stimme und lehnte sich zurück.

Der Kleine genoss gerade seinen Schokoriegel, schaute etwas fragend zu Ray und überlegte kurz, was dieser denn gemeint haben könnte, bis es ihm schließlich einfiel. „Achso die Mädels. Naja, die mögen mich eben. Wieso?“ Anscheinend war er besser gelaunt als vorher, weil er etwas Süßes zu Essen bekommen hatte.

„Mögen??? Die sind ganz verrückt nach dir. Was hast du denn gemacht? Bist du sowas wie'n Rockstar oder so? Hab mal gehört kleinere Menschen haben lautere Stimmen...Bist du vielleicht Sänger???“ Ray wirkte, als wäre ihm die Erleuchtung gekommen, aber Kaneki lachte nur etwas gehässig.

„Ich und Sänger? Nee, nee. Ich bin nur klein und hab große Augen. Achso ja und etwas Geld hab ich auch. Schätze die Kombi reicht, damit die mich mögen.“

Ray war noch verdutzter als vorher. „Also muss man hier nur klein und putzig sein, um bei den Weibern anzukommen? Na toll, dann hab ich ja schon verloren.“ Er wirkte resigniert und sein Gegenüber bekam wohl etwas Mitleid.

„Wie gesagt, Geld zu haben hilft auch oder bist du etwa arm wie 'ne Kirchenmaus?“

Erneut schien Ray einen Geistesblitz zu haben, der aber nichts mit Kanekis Kommentar zutun hatte. „Das ist es! Wenn einer beliebt ist und du nicht, dann sei sein Freund!“ gluckste Ray, packte Kaneki an den Schultern und gab ihm spontan einen stürmischen Kuss.

Der Kleine ließ vor Schreck gleich seinen Schokoriegel auf den Tisch fallen und zappelte hysterisch herum. Nachdem Ray von ihm abgelassen hatte und sich selbst gerade für seine hervorragende Idee beweihräuchern wollte, gab sein empörter Gesprächspartner ihm die härteste Kopfnuss, die er drauf hatte. Dann wischte er sich angeekelt den Mund ab und quietschte mit hoher Stimme: „Bist du bescheuert??? Was knutschst du mich einfach ab? Ich weiss ja nicht, ob man das bei den Amis so macht, aber ich steh da gar nicht drauf, dass das mal klar ist!!!“. Dann schnappte er empört seinen Schokoriegel und verließ fluchtartig das Klassenzimmer.

Ray kniff ein Auge zusammen, rieb sich seine Beule und schaute Kaneki hinterher. „Ich glaub das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft!“ sagte er grinsend und biss zufrieden in seinen Schokoriegel.
 


 

Liebes Tagebuch,
 

Heute hab ich meine neue Schule kennengelernt und auch sofort meine erste Freundschaft geschlossen, weil ich ja so ein offener Typ bin, den jeder mag. Leider muss ich wohl noch an meinem Japanisch arbeiten, denn ich hab mich gleich mal vor der ganzen Klasse zum Deppen gemacht. Keine Ahnung, was ich gesagt hab, aber die haben sich schlapp gelacht. Naja, lieber die Menschen zum Lachen gebracht, als zum heulen, nicht wahr?

Also mein erster neuer Freund heißt Kaneki Shutaro, ich soll ihn aber Kaneki-san nennen. Und der ist total klein. Ernsthaft, der geht mir grade mal bis zur Brust. Ich war ja auf kleine Menschen gefasst, als meine Eltern mit mir nach Japan zogen, aber eigentlich nicht auf Hobbits. ;) Jedenfalls hab ich mich erstmal total dämlich angestellt, weil ich vergessen hab, dass Japaner sich verbeugen und nicht Händeschütteln. Die reagieren da echt allergisch drauf, voll krass! Nachdem ich mich aber bei ihm entschuldigt hatte, ging es bergauf. Wir waren zusammen am Kiosk, haben uns Süßkram besorgt und dann hatte ich 'ne Begegnung der fünften Art! Eine ganze Horde Mädels kam auf dem Gang zu uns gerannt. Also, nicht, dass ich kreischende Mädels in meiner Umgebung nicht gewöhnt wäre, aber etwas erschrocken war ich schon. Das Abgefahrene daran war aber nicht, DASS sie kamen, sondern WARUM! Ich machte mich nämlich schon bereit zum Gruppenkuscheln. Wäre ja kein Wunder gewesen, wenn sie mich gleich mal hätten näher kennenlernen wollen. Bei so einem coolen und heißen Amerikaner kann man schonmal ins Kreischen kommen. Jedenfalls stand ich da so cool es nur ging, aber alle rannten zu dem Hobbit, äh ich meine zu Kaneki-san! Der war plötzlich von all den heißen Weibern umgeben und das Einzige, was ihm einfiel war etwas Lächeln und süß gucken. Ich war echt sprachlos und das gibt’s auch nicht alle Tage...

Als ich ihn dann später drauf ansprach, verriet er mir, dass er einfach nur klein und niedlich sein muss und schon fahren die Weiber hier auf ihn ab. Hilfreich ist auch noch, dass er wohl etwas mehr Schotter haben muss. Was sind das denn für Mädchen???? Die spinnen, die Japsen... Aber egal, ich hab mich entschieden, dass ich das zu meinem Vorteil nutzen werde! Mit klein und niedlich kann ich selber nicht dienen, aber wenn ich immer schön in Kaneki-sans Nähe bleibe und mich mit ihm gut stelle, werden doch sicher mal ein paar von den süßen Mädels für mich abfallen. Ich geb zu, diesen Einfall hab ich etwas überschwänglich gefeiert...Naja ich hab Kaneki-san gleich geknutscht vor Freude. Schätze, das fand der nicht so toll, denn er hat mir gleich voll die Kopfnuss verpasst. Ob man's glaubt oder nicht, auch Hobbits schlagen verdammt hart zu! Jedenfalls denke ich, er ist ein interessanter, kleiner Kerl, mit dem ich noch viel Spaß haben werde. :D Außerdem bin ich schon ganz scharf drauf, die Verhaltensweisen eines waschechten Japaners in freier Wildbahn zu studieren. Ich werde mir meinen neuen Freund also ganz besonders genau anschauen.
 

Bis dann!
 

Ray

Lektion 2: Don't call him Shutaro! - Gefährliches Gebiet für Ray

Während seiner ersten Tage an der neuen Schule ließ Ray nichts unversucht seinen Plan sich mit Kaneki anzufreunden in die Tat umzusetzen. Das Unterfangen sollte sich jedoch als schwieriger herausstellen, als er angenommen hatte, denn bei seinen freundlichen Annäherungsgesten trat Ray in ein Fettnäpfchen nach dem anderen. Die japanischen Gepflogenheiten waren mit seinen reichlich schwer in Einklang zu bringen. So versuchte er ständig, seine Mitschüler, vor allem Kaneki, bei den Vornamen zu nennen, was diese natürlich eher kränkte als freute. Auch Gesten wie das amerikanische High-Five oder das Händeschütteln waren nur sehr schwer abzugewöhnen. Die Klassenkameraden fanden den Neuen zwar schon interessant, aber durch seine sehr direkte Art, schoss sich Ray ein ums andere Mal ins Aus und so nahmen sie gleich wieder Abstand. Sein eigentliches Zielobjekt, Kaneki, blieb nicht viel Anderes übrig, als sich mit Ray auseinander zu setzen, weil sie nebeneinander saßen. Sonderlich begeistert war der Kleine davon aber nicht. Ray war zwar kein Kind von Traurigkeit, aber so langsam wusste er sich auch keinen Rat mehr, wie er Kaneki für sich gewinnen konnte.
 

Allerdings spielte der Zufall ihm in die Hände, als er eines Schultages sah, wie sein Zielobjekt in der Pause etwas versteckt mit einer Handheld-Konsole spielte. Ray konnt bisher nichts über Kanekis Hobbies herausfinden, aber dass er auf Videogames stand, hätte er nie gedacht.

„Du fährst also auf Videospiele ab, Kaneki-san?“ fragte er ihn wieder einmal sehr direkt, versuchte aber dabei höflich zu klingen.

Der Blonde schreckte etwas hoch, denn er war völlig in sein Spiel vertieft. Er pausierte es und schaute zu Ray auf. „Äh...Naja schon. Studien belegen, dass Videospiele förderlich für die psychische und physische Koordination eines Menschen sind. Je nachdem, welchen Typ von Spiel man spielt, kann es außerdem mathematische und logische Fähigkeiten verbessern.“

Rays Mund stand angesichts dieser sachlichen Erklärung offen, denn ein einfaches „Ja, ich zocke gern.“ hätte ihm vollkommen gereicht.

Kaneki bemerkte an Rays Blick wohl, dass er es mit der Sachlichkeit etwas übertrieben hatte, denn er schaute etwas verlegen, kratzte sich am Kopf und sprach: „Das war wohl etwas fehl am Platze...Gomenasai.“. Dabei wurde er sogar ein wenig rot im Gesicht.

Ray konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, kramte einen Moment in seinem Rucksack und holte ebenfalls eine Konsole wie die von seinem Nachbarn heraus. „Dann müsste ich ja mathematisch und logisch voll auf'm Damm sein! Aber cool, dass du auch gern zockst. Ist auch meine Leidenschaft.“

Kaneki sah überrascht aus und musterte die Konsole seines Gegenübers kritisch. „Das ist aber ein altes Modell. Hast du kein Neueres? Da kann man ja voll viele neuere Spiele gar nicht drauf spielen.“

Ray schaute ertappt und etwas peinlich berührt und entgegnete: „Naja die Neuere konnte ich mir noch nicht besorgen. So viel Taschengeld geben mir meine Eltern nicht. Ich soll ein gutes Verhältnis zum Geld entwickeln sagen sie.“. Ray zuckte mit den Armen um zu signalisieren, dass er es nicht schlimm fand, eine ältere Konsole zu haben.

Kaneki zog eine Augenbraue nach oben, schüttelte verständnislos den Kopf und rückte etwas näher zu Ray. „Was für ein Quatsch. Wenn man nicht das neueste Modell hat, braucht man auch gar nicht erst zu spielen, finde ich.“ sagte er und spielte weiter, aber absichtlich so, dass Ray zuschauen konnte. „Siehst du? Die Grafik ist viel besser als bei dem alten Teil und viel handlicher ist sie auch. Du brauchst unbedingt die Neue, das kann ich mir ja sonst nicht mit ansehen.“ Kaneki sprach, während er spielte und einen neuen Rekord aufstellte.

Ray riss die Augen weit auf angesichts des spielerischen Könnens des Kleinen. „Krass! Wie hast du das denn gemacht??? So einen Score hab ich ja noch nie gesehen!“

Der Blonde kicherte nur etwas und gab die Konsole Ray. „Dann zeig doch mal, was du so drauf hast.“ Der neue Schüler nahm die Herausforderung an und fing an zu spielen. Die beiden spielten so die ganze Pause hindurch, vergaßen sogar zu essen und bemerkten gar nicht, wie die Lehrerin hereinkam. Erst als die Schulglocke ertönte, schauten sie sich erschrocken um, packten schnell die Konsole weg und setzten sich richtig hin. Beide mussten allerdings die Unterrichtssunde hindurch immer wieder etwas schmunzeln und suchten den Blickkontakt. Anscheinend war es Ray tatsächlich gelungen einen Zugang zu Kaneki zu finden.
 

Jedoch fühlte er sich wohl ein wenig zu sicher, denn gleich am nächsten Tag begrüßte er Kaneki mit „Hallo Shutaro! Ich hab das neueste Games-Magazin mitgebracht, wollen wir's uns zusammen reinziehen?“.

Kaneki verzog nur das Gesicht, ließ seinen Hefter, den er grade auspacken wollte auf den Tisch fallen und warf Ray einen vorwurfsvollen Blick zu. „Hör endlich auf mich beim Vornamen nennen zu wollen! Wie oft denn noch?!“

Ray zuckte zusammen, wie ein Kind, das von seiner Mutter ermahnt wird und lächelte auf seine leicht idiotische Art. „Sorry, aber...Ich dachte Freunde darf man beim Vornamen nennen? Nicht erlaubt?“

Kaneki schaute etwas ungläubig, legte den Kopf schief und musste lachen. „Ja, Freunde! ENGE Freunde! Du kennst mich doch kaum!“ Er klang fast schon etwas gehässig.

Ray fühlte sich wohl ungerecht behandelt, denn nun verzog er die Miene zu einem ernsteren Gesichtsausdruck. Mit verschränkten Armen schaute er seinen Mitschüler an und sagte zerknirscht: „Deine Kleinligkeit macht einen echt fertig. Gibt's überhaupt irgendwen, der dich beim Vornamen nennen darf?“. Kaneki grübelte kurz und schüttelte dann den Kopf. „Dann hast du also keine Freunde, ja? Wär's dann nicht mal Zeit, einen zu finden? Ich beiße auch nicht, versprochen.“ fuhr Ray fort. „Lass uns Freunde sein, bitte.“ Er streckte Kaneki die Hand hin und verbeugte sich gleichzeitig ein wenig. Anscheinend wollte er seine und die japanischen Sitten vereinen mit dieser Doppelgeste.

Der Kleine schaute Rays Hand nur überrascht und etwas geschockt an. Ihm war anzusehen, dass die Worte ihn getroffen hatten. Trotzdem konnte er sich nicht durchringen, die Geste zu erwidern. Er wandte sich von Ray ab, gab nur ein verächtliches „Was weisst du schon!“ von sich und setzte sich. Als Ray wieder aufschaute, würdigte Kaneki ihn keines Blickes mehr, sondern beschäftigte sich lieber mit Unterrichtsmaterialien. Diese Ignoranz ging auch nach der ersten Unterrichtsstunde des Tages weiter. Ray konnte tun und sagen, was er wollte, sein Nachbar reagierte einfach nicht. Einzig und allein auf andere Klassenkameraden zeigte er eine Reaktion, wenn sie ihn etwas fragten oder mal wieder kreischend um ihn herum standen. Ray beobachtete Kaneki dabei ganz genau. Den ganzen restlichen Tag verbrachte Ray damit, sein Zielobjekt zu observieren, meistens aus der Ferne, wenn er nicht gerade neben ihm saß. Sogar einige Notizen machte er sich dabei, als wäre er ein Verhaltensforscher und Kaneki eine seltene Tierart, deren Verhalten noch unerforscht war.

Als schließlich an diesem Tag der Unterricht vorbei war und alle Schüler sich auf den Heimweg machten, fing Ray den Blonden vor der Schule ab. Es war ein heißer Tag und die Luft flimmerte über den Dächern, den Straßen und den Autos. Obwohl die Schule sich in einer Stadt befand, hörte man nichts als das überlaute Zirpen der Zikaden.

Ray stellte sich Kaneki in den Weg und schaute ihn mit ernstem Blick an. Dieser blieb stehen, sah sein Gegenüber genervt an und wollte einfach an ihm vorbei gehen. Ray aber machte einen Schritt zur Seite und ließ ihn nicht gewehren. „Einen Moment!“ sagte er.

Der Blonde schaute ihm, immernoch sichtlich genervt, ins Gesicht, rollte mit den Augen und sagte spöttisch: „Willst du mich jetzt etwa verprügeln? Ich hörte, dass Amis immer ihre Probleme mit Gewalt lösen. Zeugt nicht wirklich von viel Intellekt, wenn du mich fragst.“.

Ray musste schmunzeln, versuchte aber ernst zu bleiben. „Sehr witzig, du kleiner Rassist. Nein, ich verklopp keine Schwächeren, keine Sorge. Ich hab dich heute beobachtet.“

Kaneki zog eine Augenbraue hoch und atmete genervt aus. „Sag nicht, du bist einer von diesen Stalkern. Muss ich jetzt etwa umziehen, meine Identität ändern und im Untergrund als Mafiaboss leben?“ Seine Stimme war durchdrungen von Sarkasmus und leichter Verachtung. Er nahm Ray nicht ernst und wollte ihm gar nicht erst zuhören. Erneut versuchte sich der Kleine an seinem ausländlischen Mitschüler vorbei zu drängeln. Diesmal schaffte er es auch, aber Ray erhob noch einmal die Stimme.

„Lass mich wenigstens ausreden, bevor du türmst, Herr Mafiaboss! Du bist einsam und willst es dir nicht mal eingestehen. Allen Mitschülern begegnest du mit einem super freundlichen Lächeln, um bloß nicht negativ aufzufallen. Aber niemand hier kennt dich wirklich. Ich glaub nicht mal, dass irgendwer von den Pfeifen jemals mitbekommen hat, dass du gern zockst. Warum sperrst du dich dann so dermaßen gegen jemanden, der dein Freund sein will?“

Kaneki blieb stehen, drehte sich aber nicht zu Ray um, als er dessen Worten lauschte. Dann hielt er ein wenig inne und es herrschte Stille. „Weil Freundschaft in meiner Welt niemals ehrlich sein kann. Sie bedeutet nur, dass jemand etwas von mir braucht und deshalb versucht, sich mit mir gut zu stellen. Ist doch so oder Herr Ich-will-beliebter-werden!“ Kaneki ballte die Fäuste zusammen und wartete auf eine Antwort.

Ray gab einen Seufzer von sich und drehte sich zu dem Kleinen um. „Okay, ich geb zu uneigennützig hab ich auch nicht gedacht. Aber ich will wirklich mit dir befreundet sein. Du bist der einzige, den ich hier bisher mal zockend gesehen hab und das ist voll cool. Außerdem siehst du aus wie...naja irgendwie hübsch.“ Da hatte er sich doch glatt etwas verhaspelt und die letzten Worte kamen ihm nur widerwillig und immer leiser über die Lippen. Verlegen schaute Ray zur Seite, als Kaneki sich wieder zu ihm umwandte.

„H-hübsch?“ Er schaute ihn mit seinen großen pinken Augen an und blinzelte mehrmals nacheinander. Dann schwiegen sie sich eine Weile an, denn beide sahen peinlich berührt aus. Ray hatte es anscheinend die Sprache verschlagen, denn er wich nunmehr Kanekis Blicken aus, welcher ihn nach einer Antwort suchend anschaute. Die Situation wirkte zunehmend angespannter, so als würde einer von beiden gleich das Handtuch werfen und gehen, als Kaneki plötzlich schmunzeln musste. Ein kleines Lächeln, wurde schließlich zum leisen Kichern, dass er sich zurück zu halten versuchte. Er hielt sich eine Hand vor den Mund und kniff die Augen zusammen, doch es half alles nichts. Er lachte lauthals los bis ihm sogar kleine Tränchen in die Augen schossen. Ray war sich unschlüsslig, ob er mitlachen sollte, deshalb stand er nur da, legte den Kopf schief und schaute sein lachendes Gegenüber an.

„Ähm...Alles...okay?“ fragte er vorsichtig. Kaneki versuchte zu antworten, jedoch musste er zuerst seinen Lachanfall beenden, vorher wollten keine deutlichen Worte seinen Mund verlassen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte er es schließlich geschafft sich zu beruhigen. Er atmete immernoch flach und hastig und suchte nach den richtigen Worten.

„Gomen...Ich wollte nicht unhöflich erscheinen, aber...hübsch hat mich nun echt noch keiner genannt. Vor allem kein Junge!“ Wieder musste der Blonde etwas glucksen, konnte sich einen weiteren Lachanfall aber verkneifen. Er fuhr fort: „Du scheinst echt – Wie sagt man bei euch? - crazy drauf zu sein, Lancaster-san.“. Nun atmete Kaneki noch einmal tief durch. „Gut, du darfst mich Shu nennen, aber bloß nicht Shutaro, sonst schau ich dich nie wieder auch nur mit dem Hinterteil an! Sieh es als eine Art Probephase an, also das mit der Freundschaft. Missbrauchst du mein Vertrauen oder sowas, dann sind wir sofort wieder beim Nachnamen-san.“

Ray schaute etwas ungläubig, schüttelte kurz den Kopf, um sicher zu gehen, dass er grade nicht träumt und fing schließlich an zu grinsen. „Echt? Du meinst das ernst oder? Wehe du verarschst mich jetzt! Wenn das so ein japanischer Scherz ist, dann...“

Shu drehte sich um und ging weiter. Dann sagte er im Laufen: „Kommst du jetzt?“. Ray war völlig perplex, lief aber schließlich dem Kleinen nach und strahlte den gesamten Heimweg über mit der Sonne um die Wette.
 

Liebes Tagebuch,
 

Japaner sind echt ein eigenartiges Völkchen. Bei ihren ganzen Sitten und Gebräuchen und bei allem, was man in ihrer Gesellschaft nicht machen darf, fällt es mir wirklich schwer, Umgang mit meinen Mitschülern und Lehrern zu pflegen. Die scheinen mich langsam aber sicher alle für 'nen amerikanischen Freak zu halten, denn ich schaff's immer wieder sie zu vergraulen, wenn sie mit mir reden. Ich brauch echt dringend einen Benimmregelkurs...

Wenigstens konnte ich einen echten Durchbruch mit meinem neuen Freund Kaneki-san, nein – jetzt Shu – erringen! Wir haben das gleiche Hobby, wir zocken leidenschaftlich gerne Videospiele. Das hätt ich ihm irgendwie gar nicht zugetraut. Und der ist sowas von verdammt viel besser als ich! Sein Score lag jenseits von Gut und Böse. x___x Naja, jedenfalls dachte ich, wenn wir schon ein gemeinsames Hobby haben, sind wir doch jetzt bestimmt Freunde, richtig? Falsch! Als ich ihn, wie Freunde das ja machen, mit dem Vornamen begrüßt hab, wurde er richtig sauer und hat den ganzen Tag nicht mehr mit mir geredet. Der hat's echt drauf gehabt, micht zu ignorieren, aber nicht mit mir! Ignoriert werden ist so eine Sache, die kann ich gar nicht ab. Also schnappte ich mir meinen Block und konzentrierte mich den ganzen Tag lang darauf, Kaneki-san zu beobachten, um zu notieren, was mir auffiel. Also er ist auf jedenfall schonmal ein notorischer Lügner, denn keiner in seiner Umgebung kennt ihn oder weiss so richtig, wie er so ist. Wenn unsere Mitschüler mit ihm reden, kehrt er immer den höflichen kleinen Zwerg raus und bei Mädels macht er sowieso einfach auf süß und putzig. So fragt keiner weiter nach oder geht seiner Perönlichkeit auf den Grund. Außerdem versucht er anscheinend immer alles mit Logik anzugehen, wie ein Roboter. Wenn ihm etwas Unlogisch erscheint, dann versteht er es nicht und tut es gern als nicht existent oder unwichtig ab. So viel konnte ich auf jedenfall schon aus seinem Verhalten anderen gegenüber herauslesen. Außerdem ist er in Wirklichkeit total einsam, auch, wenn dauernd jemand was von ihm will.

Am Ende des Tages hab ich ihn dann draußen vor der Schule abgefangen und mit meinen Ergebnissen konfrontiert. Natürlich wollte er es einfach nur abtun und gar nichts davon wissen. Aber dann traf ich wohl doch noch einen wunden Punkt. Für kurze Zeit zeigte er mir, wie er wirklich dachte. Alle Welt will immer nur zu ihm, wenn sie was braucht oder wissen will. Doch nach seinem Wohlergehen oder seinen Wünschen erkundigt sich niemand jemals wirklich. Keiner hört ihm zu oder fragt ihn, was er denkt oder fühlt. Genauso hatte ich die Situation auch eingeschätzt. Leider ist mir bei meiner ganzen psychologischen Souveränität auch noch rausgerutscht, dass ich ihn hübsch finde. Mann, das war vielleicht peinlich. Ich hab gehofft, er hätte es nicht gehört, aber natürlich hatte er es ganz genau gehört. Ich hätte allerdings nie gedacht, dass mir gerade diese Bemerkung den Hals retten würde. Er musste daraufhin so heftig lachen, dass er keinen ganzen Satz mehr heraus brachte. Auf einmal war er wie ausgewechselt und bot mir eine Art Probefreundschaft an. Ich muss sozusagen beweisen, dass ich wirklich sein Freund sein und ihn nicht nur ausnutzen will. Also darf ich ihn absofort wirklich beim Vornamen nennen. „Shutaro“ mag er jedoch überhaupt nicht, deshalb soll ich ihn Shu nennen. Trifft sich gut, dass kann ich mir wenigstens gut merken. ^-^ Ich sag ja, Japaner sind eigenartig, Fazit des Tages!

Mein Untersuchungssubjekt ist jetzt also mein erster richtiger Freund hier in Japan und ich werde ihn jetzt noch viel besser unter die Lupe nehmen können. Ich bin schon höchst neugierig, was sich da noch für Seiten ergeben werden.
 

Bis später!
 

Ray

Lektion 3: Kenne deine Feinde! - Noch wichtiger: Kenne deine Freunde!

Die ersten Wochen des Schuljahres gingen ins Land und Ray verstand sich immer besser mit Shu, vor allem, da sie sich meistens über Games, Konsolen oder Computer unterhielten. Aber Ray erzählte Shu auch Vieles von sich: dass er einen jüngeren Bruder namens Soel hatte, der aber auf eine andere Schule gekommen war oder dass seine Mutter manchmal eine echte Furie sein konnte und sein Vater ziemlich locker war. Somit wusste Shu immer mehr über seinen neuen Mitschüler, aber umgekehrt blieb es das ganze Gegenteil. Auch nach der Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, wusste Ray immer noch fast gar nichts über Shu. Er wusste nicht wo er wohnt, wer seine Eltern waren, warum sie eigentlich so reich waren oder sonst irgendetwas. Der Kleine wusste immer, wie er gekonnt um Details herum reden konnte.

Eines war Ray allerdings an seinem neuen Freund schon desöfteren aufgefallen. Er hatte manchmal eine seltsame Art sich auszudrücken, sehr sachlich und fast wie ein Lehrer oder Professor. Auch sein Wissen über Videospiele und Technik im Allgemeinen ging über ganz normales Nerdwissen weit hinaus. Was Schulleistungen anging, war Shu auch außergewöhnlich gut, jedenfalls in Fächern der Fremdsprachen oder in Naturwissenschaften. Umso mehr überraschte es Ray, dass sich Shu in anderen Fächern wie Musik, Sport, Kunst usw. eher unbeholfen zeigte und dementsprechend dort auch nicht die perfekten Leistungen erbrachte wie in anderen Fächern. Sobald es aber um theoretiches, logisches Denken ging, leuchtete Shu förmlich vor Wissen und Enthusiasmus. Ray wiederum hatte die meiste Zeit keine Ahnung, was der Blonde da für Floskeln von sich gab.

Nach einer weiteren Naturwissenschaftsstunde voller Fragezeichen über Rays Kopf, wandte er sich schließlich an Shu und wollte es wissen. „Okay, wie machst du das? Was hast du für 'nen Trick drauf, dass du all dieses Zeug im Kopf hast, was der Lehrer da grade wissen wollte?“

Shu schaute Ray fragend an, dann wanderte sein Blick nachdenklich nach oben, bevor er antwortete: „Ich weiss nicht was du meinst. Die Aufgabe war doch mit etwas Logik leicht zu lösen.“

Ray verzog das Gesicht, schnaubte etwas frustriert und stellte sich hin. Dann beugte er sich zu Shu hintunter, kam mit seinem Gesicht sehr nah an dessen und sagte: „Und wenn ich dich an den Beinen packen und die Infos aus dir raus schütteln muss, ich krieg schon raus wie du das machst! Aber viel wichtiger: Wollen wir heute nach der Schule was zusammen machen?“. Nun hatte sich Rays Gesicht zu einem lächelnden gewandelt. Shu zuckte mit den Schultern und nickte nur.

„Gut, dann komm ich mit zu dir, abgemacht! Meine Mutter hat heute ihren Frühjahrsputztag, den hat sie alle paar Wochen mal. Da kriegt sie 'nen Vollknall und stellt die ganze Bude auf'm Kopf. Glaub mir, du willst da echt nich' anwesend sein.“

Shu zuckte zusammen, schaute dann etwas verunsichert und schluckte. „Äh, zu mir? Aber das geht nicht, weil...“

Ray unterbrach ihn: „Wieso geht es denn diesmal nicht,hm?“. Er richtete sich wieder auf, um etwas Abstand zu dem Kleineren zu gewinnen und schaute etwas zerknirscht drein.

Sein Ärger hatte einen guten Grund, denn die ganze Zeit über, die sich die beiden in letzter Zeit angefreundet hatten, waren sie nach der Schule nur zu Ray gegangen, um zu zocken. Er hatte schon oft nachgefragt, ob sie nicht einmal zu Shu gehen könnten, denn er wollte auch gern wissen, wo sein Freund wohnte. Außerdem versprach er sich von Shus Zuhause ihn noch besser durchschauen zu können.

Der Kleinere wirkte nun ziemlich nervös. Seine Blicke wanderten im Raum hin und her, so als müsste er sich schnell eine Antwort überlegen.

Ray fühlte sich gekränkt von Shus Verhalten, wandte sich ab und nahm seinen Rucksack. „Ist schon gut, wenn du nicht willst...“ sagte er und ging mit diesen Worten aus dem Klassenzimmer, denn sie hatten als nächstes Sport, dafür mussten sie in die Turnhalle gehen. Shu sah Ray etwas traurig hinterher, so als wollte er ihm noch etwas nachrufen. Aber er tat es nicht, nahm seine Schultasche und trottete deprimiert aus dem Zimmer.

Das Thema der Sportstunde hieß diesmal Völkerball und Shu und ein anderer Schüler durften ihre Teams wählen. Trotz der düsteren Blicke Rays, wählte der Kleine ihn gleich als erstes in sein Team, denn die vergangenen Sportstunden hatten gezeigt, dass Ray einen wirklich heftigen Schlag drauf hatte. Niemand wollte ihn freiwillig als Gegner auf dem anderen Spielfeld stehen haben. Somit hatte sich Shu gleich den besten Spieler am Anfang gesichert. Ray stand auf, als er gewählt wurde und ging zu Shu, warf ihm aber immer noch einen eher verärgerten Blick zu. Shu war sein schlechtes Gewissen förmlich anzusehen, aber die Stunde musste weitergehen.

Als schließlich beide Teams vollständig waren, ging das Spiel los. Shu hasste Ballspiele, gerade welche, bei denen man abgeschossen werden musste. Er war zwar klein und somit auch flink, aber leider zielte trotzdem alle Welt immer zuerst auf ihn. Er hatte beim Sport eine etwas tollpatschige Ader, denn so schnell wie er war, so oft ging er auch zu Boden, weil er zum Beispiel stolperte. Trotz, dass er ein beliebter Schüler war, hatten die Klassenkameraden beim Sport keine Gnade mit ihm.

Auch diesmal war der Kleine sofort Abschussziel Nummer eins und sobald der Ball bei den Gegnern landete, hatte er nur noch mit flüchten und springen zutun. Ray schaute sich das Ganze eine Weile an, war er doch selbst nicht in Gefahr, denn so gut wie er im Schießen war, so gut konnte er auch fangen. Die anderen Schüler wussten das und nur wenige trauten sich überhaupt auf ihn zu schießen, denn sie wollten den Ball nicht gleich wieder an ihn verlieren. Nachdem Shu immernoch nicht getroffen worden, aber dafür völlig außer Puste war, bekam der zweitbeste Spieler der Klasse den Ball in die Hände. Er fixierte Shu förmlich und wollte ihm einen ordentlichen Schuss verpassen. Dieser schloss schon mit dem Spiel ab, denn ausweichen hätte er wahrscheinlich nicht mehr können, dafür war er zu abgehetzt und die Wahrscheinlichkeit, dass er einen Ball gerade von diesem Schüler schaffen würde zu fangen, ging gleich gegen Null.

Der Gegener schoss, allerdings viel zu hoch, denn laut des Lehreres sollte auf die Beine oder den Unterkörper einer Person gezielt werden. Dieser Ball flog allerdings genau in Shus Kopfhöhe auf ihn zu. Der Kleine stand wie versteinert vor Schreck da und würde jeden Moment den Ball mitten ins Gesicht bekommen, da sprang plötzlich ein Schatten vor ihn, gegen den der Ball stattdessen prallte. Es war Ray, der im letzten Moment vor Shu gehechtet war und nun den Ball gegen den Oberkörper bekam. Durch dieses Manöver konnte er ihn allerdings nicht fangen und somit schied Ray tatsächlich als erster in diesem Spiel aus. Die ganze Klasse stand wie versteinert da, als er wortlos das Spielfeld verließ und sich auf eine Bank setzte. Auch Shu war wie erstarrt, wahrscheinlich noch vor Schreck, schaute dann aber Ray nach. In seinem Gesicht stand ein imaginäres, großes Fragezeichen.

Wenig später schied Shu trotzdem aus und setzte sich neben seinen Freund auf die Bank. Sie sahen dem weiteren Spielverlauf zu und schwiegen eine Weile.

„Warum hast du dich freiwillig abschießen lassen?“ unterbrach Shu irgendwann das Schweigen. „Du wärst bestimmt viel länger im Spiel geblieben als ich und jetzt bin ich ja sowieso raus geflogen. Es hat sich also nicht mal gelohnt.“ fuhr er fort und schaute zu Ray hinüber.

Dieser lehnte sich an die Turnhallenwand an und schmunzelte. „Darum ging es nicht. Wärst du vorhin getroffen worden, hättest du im schlimmsten Fall 'ne gebrochene Nase davon getragen. Davor hab ich dich bewahrt, also gelohnt hat es sich auf alle Fälle würde ich sagen.“ Ray schaute weiter aufs Spielfeld, während er sprach. „Es geht nicht immer nur darum, ob sich etwas lohnt oder rentiert. Jemanden vor Schaden zu bewahren, den man gern hat, ist viel wichtiger als jeder Gewinn der Welt.“

Shu schaute Ray mit großen Augen an, welche verrieten, dass er diese Sichtweise nicht kannte und noch niemals über Derartiges nachgedacht hatte. Er wandte sich wieder von Ray ab und schaute aufs Spielfeld. „Du kannst heute nach der Schule gern mit zu mir kommen. Aber...Tick bitte nicht aus, das musst du mir versprechen.“ murmelte Shu leise, aber für Ray verständlich vor sich hin. „Wenn du irgendwie ausrastest, dann...können wir nicht mehr befreundet sein.“ fuhr der Kleine mit ernstem Ton fort.

Ray schaute überrascht Shu an und blinzelte ein paar Mal. Dann wandte er sich wieder dem Spiel zu und gab nur ein kurzes „Okay!“ von sich.

Nach der Schule gingen sie den gewohnten Weg bis dahin, wo sich ihre Wege normalerweise immer getrennt hatten. Dann liefen sie um eine Ecke, wo auf einmal eine große, teuer aussehende Limousine wartete. Ein Mann stieg aus, der aussah wie ein Chauffeur und er hielt die Tür auf. Dann sah er Shu an, lächelte freundlich und sagte: „Guten Tag junger Herr, ich hoffe, der Schultag war angenehm und von Erfolgen gekrönt.“

Shu nickte ihm nur zu und stieg in das Auto. Ray blieb etwas sprachlos vor dem Auto stehen, starrte den Mann entgeistert an und folgte dann geistesabwesend dem Kleineren. Der Fahrer schloss die Tür, stieg ins Auto und fuhr los. Im Inneren war alles mit Leder überzogen und mit der modernsten Ausstattung versehen.

Ray beobachtete die ganze Zeit den Fahrer, beugte sich dann zu Shu und flüsterte: „Sag mal, wo fahren wir denn jetzt hin?“.

Shu sah nur gelangweilt aus dem Fenster und sagte mit monotoner Stimme: „Na nach Hause, was sonst?“.

Ray sah etwas eingeschüchtert aus und schwieg sogar die gesamte Fahrt, was gar nicht typisch für ihn war. Der Weg führte sie in das beste Viertel der Stadt, in dem die Villen von reichen Menschen standen. Das Auto fuhr schließlich zu genau so einer Villa, die etwas abgelegen von den anderen war. Sie war von einem riesigen Grundstück umgeben, dass eher an einen Park erinnerte mit Springbrunnen und schön verschnittenen Hecken und Büschen. Das Haus selbst war riesengroß und in einem europäischen Baustil gehalten.

Der Chauffeur ließ die beiden Jungen schließlich aussteigen und Shu ging voraus in die Villa hinein. Ray folgte ihm, war allerdings immernoch völlig überwältigt. Er lief dem Kleinen einfach schweigend nach und schaute sich staunend um. Im Hinterkopf hatte er stets, dass Shu ihm gesagt hatte, dass er sich nicht aufregen sollte. Jetzt wurde ihm auch klar, womit diese Aussage begründet war. Jeder normale Mensch würde beim Anblick dieser Villa die Fassung verlieren. Shu ging durch die Villa und geleitete Ray durch viele Gänge und Zimmer, bis sie schließlich in einer Art Appartement ankamen. Jetzt blieb Shu endlich stehen und drehte sich zu seinem Freund um.

„Also, das hier ist mein Reich.“ Er lächelte und breitete die Arme aus. Ray schaute sich um und es war unschwer zu erkennen, welche Hobbies der Blonde verfolgte. Ein fast die ganze Wand einnehmender Flatscreen erstreckte sich über einer Anrichte, auf der jegliche Konsolen standen, die Ray kannte. Dem gegenüber befand sich ein riesiges Sofa, das Platz für eine ganze Fußballmannschaft geboten hätte. Im nächsten Raum, den Ray von seinem Standpunkt aus zumindest teilweise einsehen konnte, sah er einen Schreibtisch, über dem drei große Computermonitore angebracht waren. Allgemein war die von außen herrschaftlich und altehrwürdig wirkende Villa im Inneren sehr modern und mit viel Technik ausgestattet.

Ray atmete einmal tief durch, um all die Eindrücke sacken zu lassen und schaffte es so sich etwas zu beruhigen. Normalerweise wäre er bei all den Konsolen, Computern und Bildschirmen sofort vor Freude in die Luft gesprungen.

„Hier wohnst du also ja? Schon echt krass...Aber wo sind denn deine Eltern?“ Er versuchte so normal wie möglich zu wirken, aber seine Hibbeligkeit konnte er wohl nicht vollständig verstecken, denn Shu musste etwas kichern.

„Die sind wahrscheinlich unterwegs oder arbeiten, so wie meistens.“ Er musterte Ray kurz, schmunzelte erneut und fügte hinzu: „Na gut, jetzt hör schon auf alles zurück zu halten, sonst platzt du noch.“

Ray ließ sich das nicht zwei Mal sagen und fing sofort an sich hektisch umzuschauen. „Oh mein Gott, das ist ja der Wahnsinn! Hier ist nichts dabei, was älter als ein Jahr oder so ist! Alles die neueste Technik!!“ Seine Augen leuchteten förmlich, als er sich alles anschaute. Shu sah ihm nur interessiert zu und schmunzelte in sich hinein.

„Das ist das reinste Paradies! Du musst nicht nur „etwas“ mehr Kohle haben Kleiner!“ sagte Ray aufgeregt und kam zu dem Blonden zurück.

Shu seufzte, ging zu seinem Laptop, der auf dem Sofa lag und setzte sich hin. „Weisst du, ich wundere mich echt, dass du nicht mal weisst, wer ich bin, obwohl du meinen Nachnamen kennst. Google ist dein Freund, sag ich nur.“ Er grinste Ray gehässig an und deutete auf seinen Laptop. Sein Desktophintergrund erschien und dieser bestand aus einem großen Firmenlogo, dass Ray nur allzu gut kannte.

„Moment...“ Ray war erstarrt vor Schreck. „Warte...Kaneki...Doch nicht etwa...????“ Er stotterte herum und schaute Shu immer entgeisterter an.

Dieser grinste nur noch breiter und nickte. „Mein Dad leitet die größte japanische Firma, wenn es um Computertechnik, Games, Konsolen usw. geht.“

Ray schwieg nun und wurde plötzlich ziemlich blass im Gesicht. Bevor er aber umkippen konnte, setzte er sich lieber neben Shu und starrte vor sich hin. Dass ein Bediensteter hereinkam und beiden einen Kakao auf den Couchtisch stellte, bekam Ray gar nicht richtig mit. Sein Hirn hatte auf Standby geschaltet. Shu trank inzwischen in aller Ruhe seinen Kakao und schaute immer wieder zu Ray, der jetzt endlich wieder zu sich zu kommen schien.

„Das...ist ja....meeeeeega geil!“ quietschte Ray in einem hohen Ton. „Mein Freund ist ein super reiches Computerkind!“ Er hatte beide Hände zu Fäusten geballt und in die Luft gestreckt, als er schließlich seinen Kakao entdeckte. „Oh...äh danke?“ Er schaute sich verwirrt um, weil er keine Ahnung hatte, wo das Getränk hergekommen war.

Shu stellte seinen Kakao ab und sah ernst zu seinem Freund. „Alle in der Schule wissen natürlich, wer ich bin, aber ich mag's nicht zu viel Aufmerksamkeit zu erregen. Deshalb auch die Limousine weiter weg von der Schule und so...“

Ray trank einen Schluck Kakao und schmunzelte dann Shu an. „Keine Sorge, ich hätte dich auch gern, wenn du unter 'ner Brücke wohnen würdest. Wie könnte man dich auch nicht mögen?“

Das sagte er in seiner sehr direkten Art, womit Shu nicht besonders gut umgehen konnte. Er wurde gleich etwas rot und schnappte sich schnell wieder seine Tasse, um seine Verlegenheit zu kaschieren. „Du redest manchmal echt ganz schön viel Mist, Senpai!“ nuschelte der Kleine, bevor er trank.

Ray war schon öfters aufgefallen, dass Shu ihn so genannt hatte und er hatte herausgefunden, dass man so nur ältere Schüler nannte. Deshalb stockte er kurz, überlegte und sagte dann: „Sag mal, wenn du mich Senpai nennst...Bist du dann etwa jünger als ich?“. Er legte einen süffisanten und etwas gruseligen Ton in seine Worte, so als hätte er den Blonden ertappt. Dieser verschluckte sich gleich etwas am Kakao.

„D-Das hab ich nicht gesagt!“ versuchte er es abzustreiten. Ray aber durchbohrte ihn mit einem alles sehenden Röntgenblick, sodass Shu keine andere Wahl hatte, als die Wahrheit zu sagen. Er seufzte ganz tief und gab es zu. „Ja ich bin zwei Jahre jünger als du und unsere Klassenkameraden. Ich wurde hochgestuft, weil ich unterfordert war.“

Ray grinste siegessicher. „Ich wusste es! Solche Noten kann kein normaler Teenager haben! Bist du dann sowas wie ein Superhirn?“

Shu seufzte erneut und erklärte: „Naja...Eigentlich nennt man das hochbegabt. Ich bin in naturwissenschaftlichen Fächern und Fremdsprachen sehr gut, dafür hab ich andere Defizite, wie bei Musik oder sportlichen Aktivitäten.“.

Ray legte eine Hand ans Kinn, wie bei einer Denkerpose. „Hm verstehe. Deshalb redest du auch manchmal so komisch. Das ist ja hoch interessant.“ Nun grinste er und schaute Shu an, als wäre er ein Forschungsprojekt. Dieser fühlte sich dank dieses Blickes sichtlich unwohl und lenkte ab.

„Wollten wir nicht was zocken?“ Er machte seinen riesen Flatscreen an und versuchte Ray einfach nicht mehr anzuschauen, weil ihm sonst der reinste Gänsehautschauer über den Rücken lief. Er wusste nicht recht warum, aber sein Freund hatte in ihm seltsame Gefühle geweckt, die er vorher nicht gekannt hatte.
 


 

Liebes Tagebuch,
 

Heute hab ich echt mal viel erlebt! Endlich konnte ich über mein Forschungssubjekt, ich meine natürlich Shu, mehr herausfinden. Aber eins nach dem anderen...

Wir hatten heute wiedermal Naturwissenschaften und ich hab von all dem x hoch 2 mal Wurzel aus was weiss ich mal wieder gar nichts kapiert. Shu dagegen meldet sich und lässt eine Lösung los, die mindestens zwei oder drei Zeilen lang ist. Selbst der Lehrer musste das erstmal nachrechnen und nachschlagen, bis er schließlich bestätigen konnte, dass der Kleine Recht hatte. Echt krank, was der sich so in seinem Kopf zurecht legen kann. Ich wollte deshalb endlich mal wissen, wie er das macht. Aber er kam mir nur wieder mit Ausreden und druckste rum. Das hat mich echt angekotzt, immerhin erzähl ich ihm doch auch alles Mögliche von mir. Ich bin jedenfalls wütend von dannen gezogen, aber lange kann ich ihm irgendwie nicht böse sein. Er hat sowas an sich, was meinen Beschützerinstinkt anspricht. Keine Ahnung... Na jedenfalls spielten wir im Sportunterricht Völkerball. Ich liebe dieses Spiel, denn da darf man legal Leute verkloppen! Na gut...Im übertragenen Sinne, weil man ja einen Ball dafür benutzt, aber trotzdem macht es Spaß. Shu war natürlich wiedermal Ziel Nummero Uno und so rannte er von einer Ecke zur nächsten um sich vor den Schüssen unserer Gegner zu retten. Er erinnerte mich dabei irgendwie an ein kleines Kaninchen. Die großen Augen, die geringe Körpergröße, die flinken Beine... ;)

Er war aber recht schnell am Ende durch das ganze Rumgehetze und dann hätte er fast den Ball voll ins Gesicht bekommen. So weit konnte ich es dann doch nicht kommen lassen, auch, wenn das Ganze bis dahin echt unterhaltsam gewesen war. Ich hätte den Ball ja gefangen, aber ich hab ein bischen zu spät reagiert, also blieb mir nichts Anderes übrig, als einfach vor Shu zu springen und den Ball in voller Breitseite auf den Brustkorb zu bekommen. Mann, das gab einen Bumms! Ich hab jetzt noch 'nen blauen Fleck davon. Der Junge, der geschossen hat, ist gar nicht mal übel. So kam es also, dass das historische Erignis eintrat, dass ich, Ray Lancaster, bei einem Völkerballspiel als erster ausschied. Wenn das Soel erfährt, erschieß ich mich...

Naja wenig später wurde Shu natürlich trotzdem raus geschossen, aber wenigstens trafen sie ihn so nur am Bein. Er schien ein echt schlechtes Gewissen zu haben und fragte mich, warum ich mich denn davor geworfen hatte. Eigentlich doch ganz logisch oder? Wer würde schon untätig zusehen, wie ein Freund sich eventuell die Nase bricht? Er schien das nicht wirklich zu verstehen, jedenfalls sah er aus, als hätte er die Erleuchtung des Jahrhunderts, als ich ihm das erklärt hatte. Auf einmal hatte er auch seine Meinung bezüglich meines Besuchs bei ihm geändert. Also durfte ich nach der Schule mit zu ihm. Er stellte nur die Bedingung, dass ich nicht ausrasten dürfte, wenn wir bei ihm waren. Ich willigte zwar ein, hab mich aber ernsthaft gefragt, was das wohl zu bedeuten hatte. Vielleicht wohnte er so schlecht, dass ich mich ekeln könnte? Oder waren seine Eltern vielleicht einfach peinlich drauf? Ich hätte niemals den Grund in Betracht gezogen, an dem es letztendlich lag.

Als wir von der Schule schon einige Zeit weg waren, kamen wir zu einem echt schnieke aussehenden, fetten Auto. Das war mal voll der große Jaguar! Und innen auch noch mit hammer Ausstattung! Und sogar ein Chauffeur war dabei, der ließ uns einsteigen, sprach Shu mit „Junger Herr“ an und fuhr uns dann zu Shu nach Hause. „Zu Hause“ bedeutet bei ihm erstmal ein riesengroßes Anwesen im Villenviertel dieser Stadt! Allein das Grundstück um das Haus herum war der reinste Park. Ich wette, da würde ich mich verlaufen! Und das Haus selber...Da hätte die Wohnung meiner Familie bestimmt fünf bis zehn mal reingepasst. Also ja, mein Freund wohnt in einer fucking Villa!!! Natürlich hat er dort nicht nur ein Zimmer, nein, er bewohnt gleich ein ganzes Appartement! Außerdem war das Gebäude von oben bis unten vollgestopft mit der neuesten Technik und Hightech-Ausstattung. Allein in Shus Appartement hing ein riesen großer Flatscreen, damit könnte man prima Kinovorstellungen geben! Und unterhalb dieses Babys - ich traute meinen Augen kaum - noch viel, viel wertvollere und tollere Babys!! Konsolen über Konsolen! Alle möglichen, die ich mir nur vorstellen kann... Ich dachte, ich bin gestorben und das ist der Himmel. Da ist der Gamer-Computer mit den drei großen Monitoren im Nebenzimmer schon fast untergegangen.

Ich musste mich wirklich heftig zusammenreißen, um nicht augenblicklich die ganze Bude zusammenzuschreien, aber ich hab mich beherrscht. Shu bekam aber irgendwann Mitleid mit mir. Ich muss wohl echt leidend gewirkt haben. Er gab mir die Erlaubnis kurz mal alles raus zu lassen und so bekam ich meine fünf Minuten. Als ich mit dem Ausflippen fertig war, fragte ich Shu, wo eigentlich seine Eltern waren und wie reich er eigentlich sein musste, um das alles zu besitzen. Er eröffnete mir, dass seine Eltern meistens arbeiten oder unterwegs sind und dann machte er breit grinsend seinen Laptop an. Seinen Desktop zierte das Logo einer der größten Software- und Technik-Firmen auf diesem Globus. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Kaneki! Der Name steckt auch in dem Firmennamen mit drin und mir wurde schlagartig bewusst, wer Shu ist. Er ist doch tatsächlich der Sohn von dem Firmenchef dieser Firma!!! Ich kann jetzt noch mein Glück kaum fassen und zittere bei dem Gedanken daran, was Shu alles in seinem Appartement stehen hat...

Allerdings versteh ich nun auch, warum er so ungern darüber spricht, wer er genau ist. Niemand will mehr dein richtiger Freund sein und alle ziehen nur ihre Vorteile aus der Bekanntschaft mit dir. Das muss ein hartes Los sein. Er hatte sicher Angst, dass ich genauso bin. Ich hab ihn natürlich gleich vom Gegenteil überzeugt, schließlich würde ich ihn noch genauso mögen, wenn er Arm wie eine Kirchenmaus wäre.

Oh übrigens, er ist wirklich jünger! Ich hab's mir doch von Anfang an gedacht, hehe... Er nennt mich immer Senpai und da ich ja nicht ganz blöd bin, hab ich herausgefunden, dass Japaner das nur zu älteren Schülern oder Kollegen sagen. Ich sprach ihn also drauf an und er musste nach einigen Ausfluchtversuchen tatsächlich zugeben, dass er ganze zwei Jahre jünger ist als ich und der Rest der Klasse. Er wurde nur vorgestuft, weil er – und jetzt kommt's – hochbegabt ist. Hab ich doch gleich gewusst, dass kein normaler Mensch SOLCHE Dinge so perfekt im Kopf haben kann wie er. Mein Forschungssubjekt und Freund wird von Tag zu Tag interessanter. Ich weiss ja, dass Hochbegabte meistens soziale Defizite aufweisen und sich in Gegenwart von Personen manchmal seltsam verhalten. Aber ich konnte sowas noch nie am lebenden Objekt erforschen. Wahrscheinlich werde ich durch Shu ganz neue Perspektiven des Lebens kennenlernen und vielleicht – das hoffe ich jedenfalls – kann auch ich ihm ein bischen was beibringen.
 

Ciao Bella!
 

Ray

Lektion 4: Wie man einen kleinen Teufel bekehrt - Moralapostel Ray?

Endlich hatte Ray seinen neuen Freund besser kennengelernt und verstand ihn besser als noch vor einigen Tagen. Doch trotzdem kam es desöfteren zu Situationen, in denen er für das Verhalten des kleinen Japaners kein richtiges Verständnis aufbringen konnte. Man könnte meinen, es lag daran, dass Shu hochbegabt war und deshalb manchmal Floskeln von sich gab, die Ray nicht verstehen konnte. Aber das war es nicht, was ihn störte. Er konnte sich gut damit abfinden, dass Shu nunmal in einigen Bereichen großes Wissen besaß und Ray hörte ihm sogar so aufmerksam zu wie er konnte, wenn er mal wieder fachsimpelte.

Die Momente, die Ray nicht ausstehen konnte waren anderer Natur. Zum Beispiel sprach der Kleinere ihn immer und immer wieder, wenn sie in der Schule zockten, darauf an, dass Rays Handheld-Konsole veraltet wäre und ob er sich nicht endlich mal die Neuere besorgen wollte. Egal wie oft Ray versuchte ihm klar zu machen, dass er nunmal nicht so viel Geld besaß, Shu schien es nie richig zu begreifen. Meistens schüttelte er ungläubig den Kopf, schlug einen leicht gehässigen Ton an und sagte Dinge wie: „Dann spart man halt mal ein oder zwei Wochen, meine Güte...“.

Dieses totale Unverständnis für Menschen, die nicht so viel Geld besaßen, wie er selbst zeigte sich öfters und nicht nur Ray gegenüber. Dieser musste sich allzu oft verkneifen richtig wütend zu werden, weil Shu schließlich sein Freund war. Außerdem verstand der Amerikaner durchaus, dass Kinder, die unter Reichtum aufgewachsen sind nicht so leicht nachvollziehen können, wie es ist sich nicht jederzeit alles kaufen zu können.

Schließlich war es eines Tages so weit: Ray hatte endlich genug Geld gespart um sich eine neuere Konsole kaufen zu können. Natürlich führte er sie am nächsten Tag auch sofort mit stolz geschwollener Brust seinem Freund vor. Doch die erwartete freudige Reaktion blieb aus. Shu begutachtete das Gerät von allen Seiten und gab es Ray wieder. Dann zog er eine Augenbraue hoch und schaute skeptisch. „Das ist aber doch immernoch nicht die neueste. Ich glaub die haben dich über'n Tisch gezogen. Den Laden würd ich verklagen an deiner Stelle.“

Nun, er konnte nicht wissen, dass Ray das Gerät gebraucht gekauft hatte und deshalb nicht so viel dafür bezahlen musste wie für die aller neueste Version. Er war einen kurzen Moment baff von Shus Reaktion. Dann legte er seine Konsole auf den Tisch, stemmte einen Arm in die Seite und schaute seinen Freund vorwurfsvoll an. „Alter, ich weiss selbst, dass das nicht die aller neueste Version ist. Aber sie kann fast dasselbe wie die Neuere und die hier konnte ich mir wenigstens leisten. Ich hab die mit Absicht gekauft.“

Shu schaute etwas erstaunt, bevor er gehässig auflachte. „Da hättest du doch nur noch etwas mehr sparen müssen und schon wär die neueste Konsole auch drin gewesen. Das war mal 'ne dumme Entscheidung.“ Er winkte desinteressiert ab und wollte sich abwenden um seine Schultasche auszuräumen.

Ray war von so viel Ignoranz und Dreistigkeit erzürnt. Er hielt Shu am Oberarm fest, sodass dieser sich wieder ihm zuwenden musste. „Kleiner, sei froh, dass ich dich echt mag, sonst würde ich dir jetzt ungebremst meine Faust in die gehässige Fresse schlagen! Du solltest an deinem Umgang mit Menschen dringend mal arbeiten, sonst sind wir die längste Zeit Freunde gewesen!“ Dann erhöhte er für einen kurzen Moment den Druck auf Shus Arm, ließ ihn aber gleich wieder los. Er ließ Shu keine Chance sich zu rechtfertigen, sondern wandte sich ab, um sich um sein Schulzeug zu kümmern. Durch die etwas grobe Geste hatte Shu aber eindeutig gemerkt, dass er einen Fehler gemacht haben musste. Er wurde etwas blass, hielt sich den Arm und schaute geschockt Ray dabei zu, wie er seine Hefter auspackte. Dieser ignorierte ihn nun aber gekonnt und würdigte ihn keines Blickes mehr.

Auch zu späterer Stunde ließ Ray seinen Freund weiterhin schmoren. Shu überlegte unterdessen ganz angestrengt hin und her, was er denn falsch gemacht hatte und was er hätte anders machen sollen. Für ihn war sein Verhalten einfach nur direkt und völlig normal. Warum auch drum herum reden und nicht die ehrliche, ungeschönte Meinung sagen? Es beschäftigte ihn so sehr, dass er in jeder Stunde kaum etwas vom Unterricht mitbekam. Bei jedem anderen Schüler wäre solch eine Standpauke gar nicht erst richig zu ihm durchgedrungen, aber es war Ray! Das konnte er nicht einfach vergessen oder ignorieren. Er musste unbedingt wissen, warum sein amerikanischer Freund so wütend auf ihn war. Von selbst kam er aber einfach auf keine Antwort, also nahm er allen Mut zusammen und hielt Ray nach dem Unterricht bei den Spinten auf. Dieser wollte gerade gehen, als sich der Kleine vor ihn stellte und ihn mit schmollendem Blick und geballten Fäusten anschaute.

Ray war überrascht und blieb stehen. Dann musterte er Shu von oben bis unten und musste grinsen. „Also da wo ich herkomme, bedeutet diese Haltung, dass du dich mit mir prügeln willst. Ich hoffe doch mal, da verstehe ich was falsch oder?“

Shu behielt seine ernste Miene bei und ging gar nicht auf das Gesagte ein. Er atmete noch einmal tief durch und zögerte kurz. Anscheinend fiel ihm schwer, was er zu sagen hatte. „Was genau hast du heute vormittag gemeint als...naja als du so wütend wurdest?“ Es war dem Blonden augenscheinlich peinlich, dass er nicht von selbst auf eine Antwort gekommen war. Schließlich fand er doch sonst immer selbst eine Lösung, in der Mathematik, in der Physik, überall. Nur Ray war für ihn ein großes ungelöstes Rätsel und genau das ärgerte ihn.

Dieses „Rätsel“ hörte auch jetzt nicht auf zu grinsen, im Gegenteil, sein Ausdruck wurde etwas gehässig. „Das konntest du nicht selbst rausfinden? Hast dich den ganzen Tag deshalb fertig gemacht, konntest keine Ruhe finden?“ Shu musste nicht antworten, sein schmollendes Gesicht sagte schon alles. So fuhr Ray fort: „Gut, dann sieh das als eine Art Lektion. Wenn du scheiße zu mir bist, geb ich dir soziale Rätsel auf, dass dir Hören und Sehen vergeht!“. Jetzt musste Ray lachen, weil er seinen eigenen Spruch zu cool fand.

Sein Freund fand das hingegen gar nicht lustig. Er plusterte die Wangen auf, schaute vorwurfsvoll und fing an mit dem Fuß auf dem Boden zu tippen. Der Größere legte den Kopf schief, aber dann fiel es ihm ein. „Ach du willst natürlich noch eine Antwort. Sorry.“ Er lächelte verlegen und kratzte sich am Kopf als die Erklärung endlich folgte. „Weisst du...DU hast mega viel Geld und kannst dir immer alles sofort kaufen: die neusten Spiele, die neuesten Konsolen, die neueste Technik eben. Aber...Du musst lernen dich auch mal in deine Mitmenschen zu versetzen, vor allem, wenn sie dir wichtig sein sollten. Sie können sich nicht ständig alles leisten. ICH kann mir die neueste Konsole nunmal nicht leisten. Und ein paar Wochen mehr zu sparen, hätte daran beiweitem auch nichts geändert. Ich hätte eher noch Monate oder so sparen müssen.“

Shu sah nun aus als würde ihm ein Licht nach dem anderen im Kopf aufgehen. „Aber du bekommst doch Taschengeld. Kriegst du denn SO wenig???“

Ray warf ihm einen ungläubigen Blick zu und erwiderte: „Äh...JA?????? Die meisten Kids in unserem Alter bekommen nicht so viel Taschengeld. Deshalb sparen sie ja über Monate, wenn sie sich was Größeres kaufen wollen.“

Der Kleinere war völlig baff, denn er hatte nie darüber nachgedacht, dass andere Teenager meistens grade so viel eigenes Geld zur Verfügung hatten, dass sie sich mal kleinere Wünsche erfüllen konnten. „Ihre Eltern müssen wahre Barbaren sein, dass die denen so wenig Taschengeld geben!“ schlussfolgerte Shu.

Ray musste erneut lachen. „Glaub mir, meine Eltern sind wirklich toll. Aber wenn sie sich mal ein neues Auto, einen Urlaub oder andere große Anschaffungen leisten wollen, können sie ihren Kindern nicht jeden Wunsch erfüllen. Außerdem ist das nicht gut für den Charakter, wenn man alles bekommt. … Also das war jetzt keine Beleidigung an dich oder so ...“ Jetzt hatte Ray sich doch tatsächlich etwas um Kopf und Kragen geredet. Er zielte eigentlich nicht darauf ab, Shu zu kränken und hatte nun Angst, dass er genau das gerade aus Versehen getan hatte.

Der Kleine schaute aber nur etwas betroffen zu Boden und nuschelte: „Nicht gut für den Charakter, ah ja...“. Dann schaute er wieder auf und sah Ray mit großen Augen an. Er war weder wütend, noch traurig, wie eigentlich erwartet. „Okay, also hätte ich dir all das nicht sagen dürfen?“

Es war ein bischen wie früher, als Ray und sein Bruder noch klein waren und Letzterer ihn ständig über alles mögliche ausfragte. „Naja ich will ja nicht, dass du mir nicht sagst, was du denkst oder fühlst. Aber etwas netter verpacken könntest du so etwas schon. Oh und vor allem solltest du aufpassen, dass du andere nicht so gehässig auslachst und behandelst. Sowas verletzt Menschen.“

Shu nickte wie ein Schüler, der sich versuchte die Lektionen seines Lehrers einzuprägen und sah hoch konzentriert dabei aus. Dann sah er Ray ganz erwartungsvoll an, so als wartete er auf eine weitere Lektion von ihm.

Dieser kratzte sich etwas ratlos an der Wange und sagte schließlich: „Naja das war eigentlich auch schon der ganze Trick an der Sache, weisst du? Behandele andere einfach mit Respekt und Freundlichkeit. Das ist besser als jede formelle Höflichkeit.“. Ray lächelte und konnte nicht anders als Shu über die Haare zu streicheln.

Der Kleine nickte noch einmal heftig und lächelte ebenfalls. „Okay, ich glaube, ich hab es verstanden. Ich werde es versuchen umzusetzen!“ Die Motivation war in seinen Augen förmlich zu sehen. Anscheinend war Rays Lektion für ihn wie eine Herausforderung bei einer Schulaufgabe, die ihn richtig forderte.

Dass er dazu gelernt hatte, konnte Shu gleich am nächsten Tag beweisen. Ein Mitschüler der beiden musste in der nächsten Stunde einen Vortrag halten. Dafür versuchte er seinen Laptop mit dem Schulbeamer zu verbinden. Jedoch hatte er Probleme und es funktionierte nicht so wie es sollte. Nachdem er beinahe verzweifelt war, fiel ihm ein, dass er Shu um Hilfe bitten könnte. Ray und der Kleine unterhielten sich gerade angeregt, als der Schüler höflich nach Shus technischen Fähigkeiten fragte.

Dieser sah Ray fragend an und bekam ein Nicken als Antwort. Beide gingen also mit dem Schüler zusammen zu seinem Laptop und Shu nahm davor Platz. Zu erwarten wäre gewesen, dass er gleich darauf hinweisen würde, was für ein veralteter Laptop das war und dass die Lösung des Problems doch ganz einfach war, wenn man kein kompletter Stümper war. Ray wartete ab, was Shu tun würde. Doch dieser blieb vollkommen ruhig und machte am Laptop einige Handgriffe, die schließlich dazu führten, dass die Verbindung mit dem Beamer hergestellt werden konnte. Danach nahm der Kleine den Dank des Mitschülers höflich und lächelnd entgegen und ging mit Ray auf ihre Plätze zurück.

Dort angekommen legte Ray seine Hand auf Shus Schulter und lächelte. „Ich bin sehr stolz auf dich, das war super. Ich meine...der Kerl scheint ein absoluter Technik-Honk zu sein, so einfach wie das war und der Laptop war 'ne echte Ruine, aber du bist freundlich gewesen.“

Shu atmete sehr tief durch, schaute dann etwas leidend Ray an und antwortete etwas verzweifelt klingend: „Wie kann man denn so wenig Ahnung vom eigenen Laptop haben und wie kann der denn so 'ne alte Schüssel für so einen wichtigen Vortrag benutzen??? Dass ist doch komplett hirnrissig! So ein Idiot! Der wird mal nichts anderes als Sekretär oder sowas!!“.

Auch, wenn dieser kleine Ausbruch voller kleiner und großer Gemeinheiten dem anderen Schüler gegenüber steckte, musste Ray nur lachen. „Du bist so unerhaltsam, ich brauch nie wieder einen Fernseher!! Aber richtig so. Alles rauslassen kannst du, wenn er es nicht mitkriegt.“ Er war so stolz, dass er sich sogar zu seinem Freund hinunter beugte und ihm einen kurzen Kuss auf den Kopf gab. „Du bist auf dem richtigen Weg Kleiner!“ sagte er noch bevor er sich setzte, weil der Lehrer ins Klassenzimmer kam.

Shu war von Rays Geste völlig überrascht, sodass er einfach stehen blieb. Er sah aus als wäre er zur Salzsäule erstarrt. Hätte Ray ihn nicht am Ärmel gepackt und runter gezogen, sodass sich Shu setzen musste, hätte er vermutlich erst etwas vom Lehrer mitbekommen, wenn dieser ihn ermahnt hätte. Doch auch im Sitzen war Shu immer noch völlig durcheinander. Sein Herz tat ihm weh, weil es schlug, als hätte er gerade einen Marathon absolviert. Erst nach etwa 10 Minuten beruhigte er sich wieder und konnte sich einigermaßen konzentrieren. Das klappte aber auch nur, weil er einfach komplett ausblendete, was gerade passiert war. Später würde ihm das aber bestimmt noch viel Stoff zum Nachgrübeln bieten.
 


 

Liebes Tagebuch,
 

Stell dir vor, ich glaube, ich hab's tatsächlich geschafft Shu zu erziehen! Im Umgang mit anderen Menschen ist er immer schrecklich unbeholfen und oft auch ziemlich unfreundlich oder verletzend. Ich hab aber gemerkt, dass er selbst es nicht mitbekommt, wie er seinem Gegenüber mit manchen Bemerkungen weh tut. Mich hat er ja mittlerweile oft genug drauf hingewiesen, dass meine Handheld-Konsole nicht gerade das neueste Modell ist. Stimmt ja auch, aber das muss er mir doch wirklich nicht dauernd vorhalten! Na jedenfalls hab ich's jetzt endlich geschafft mir den Nachfolger davon zu kaufen! Und das sogar für 'ne recht verträgliche Summe! Ich natürlich gleich morgens in der Schule stolz mit dem Teil zu Shu gekommen, da guckt er es doch tatsächlich nur kritisch an und fängt dann an sich drüber lustig zu machen, dass die ja trotzdem noch nicht die modernste Version ist. Ich dachte echt, ich muss ihn schlagen. Wäre ich noch in den USA gewesen und einer hätte sowas auf diese gehässige Art abgelassen, dann hätt's aber gescheppert! Ich hab mich aber zusammen gerissen, schließlich ist er so klein und zierlich. Ich glaub, wenn ich einmal zuhaue, geht er zu Boden und das war's dann erstmal...

Stattdessen hab ich ihn lieber mit Worten runter geputzt, denn seine hochnäsige Art ärmeren Menschen gegenüber war mir schon oft aufgefallen und ging mir sowieso gehörig auf die Nerven. Danach hab ich ihn dann den ganzen Tag lang mit Missachtung gestraft und siehe da, es zeigte Wirkung! Nach dem Unterricht kam er angekrochen, schmollend und etwas frustriert. Zuerst dachte ich, er wollte sich mit mir anlegen! Wenn einer vor mir steht und die Fäuste ballt, ist das eigentlich das internationale Zeichen für „Ich will Stress!“. Aber er sah mich nur an und fragte ernsthaft, was es denn war, dass er falsch gemacht hatte. Ja richtig, er dachte, sein Verhalten am Morgen war vollkommen passend. Innerlich fiel ich aus allen Wolken. Ich wusste ja, dass er sozial etwas unbeholfen ist, aber dass er so wenig Verständnis vom Miteinander mit anderen Personen hatte, schockierte mich doch ganz schön. Wie er da so vor mir stand, mit großen Augen, die versuchten mich mit ernstem Blick zu fixieren und kleinen, etwas zitternden Fäusten, das war schon irgendwie süß anzusehen. Ich konnte augenblicklich nicht mehr sauer sein, deshalb erklärte ich ihm recht locker und so genau wie möglich, was ich von seinem Verhalten hielt und was daran falsch war. Er kann einfach nicht so arrogant auf andere herabsehen, sie zu Menschen zweiter Klasse degradieren und dann noch erwarten, dass sie ihm das nicht übel nehmen.

Jedenfalls fruchtete meine Erklärung, denn an seinem Gesicht konnte ich sehen, dass förmlich ein Licht in seinem Kopf aufging. Der Aha-Effekt, den er hatte, muss riesig gewesen sein, denn er war sofort total wissbegierig und eifrig bei der Sache. Ich fühlte mich etwas wie früher, als ich Soel alles Mögliche erklären musste und der einfach nicht aufhörte zu fragen. Aber ich muss sagen, es machte richtig Spaß Shu Sachen zu erklären. Er war total motiviert meine Tipps umzusetzen.

Jetzt zum eigentlich Grund meines Stolzes... Als heute einer unserer Mitschüler ein kleines technisches Problem mit seinem Laptop hatte, fragte er Shu um Hilfe. Ich meine, ich muss zugeben, sein „Problem“ war eigentlich selbst für Technik-Noobs total idiotensicher und einfach zu lösen, aber er hat's einfach nicht hingekriegt. Noch dazu war sein Laptop ein wahrer Dinosaurier. Ich hab schon drauf gewartet, dass von Shu einige gehässige Kommentare kommen, aber weit gefehlt! Der Kleine blieb ganz ruhig, löste das Problem und wurde von unserem Noob mit Dank überschüttet. Erst als wir wieder an unseren Plätzen waren und ich ihm meinen Stolz bekundete, musste er dann doch mal alles raus lassen. Es war so witzig! Als hätte er ewig seine Luft angehalten und jetzt musste schnell wieder geatmet werden, nur eben mit Beschimpfungen und Gehässigkeiten. Ich konnt's ihm nicht mal übel nehmen, denn diesmal war ich seiner Meinung. Außerdem ist es immer noch besser, sowas abzulassen, wenn derjenige, den es betrifft es nicht mehr mitbekommt. So verletzt man denjenigen nicht damit. Hach ich war sowas von stolz... Moment, mir fällt grad was ein! O___O Ich glaub, ich hab Shu schon wieder geküsst! Fuck! … Das war voll automatisch... Ich hab ihn vor lauter Freude über sein Verhalten auf den Kopf geküsst. Shit, das war ihm bestimmt super peinlich. Ich glaub, ich sollte ihn darauf vielleicht nochmal ansprechen, damit er es nicht falsch versteht. Ich steh ja schließlich nicht auf ihn oder so. Das war rein freundschaftlich, genau! … Das macht man halt so! … Mann, 'nem Tagebuch kann man nichts vor machen! ~.~ Ich mag ihn schon ziemlich gern und finde ihn irgendwie süß. Außerdem wird es mit ihm nie langweilig und er ist so interessant...

Egal, mit ihm reden muss ich trotzdem. Er ist bestimmt voll verwirrt, der arme Kerl. Ich erzähl dann später davon.
 

Bis dann!
 

Ray

Lektion 5: Fang den Shu! - Und lass ihn nicht mehr los!

Ray hatte selbst erst viel später bemerkt, dass er Shu geküsst hatte. Es war eher eine nebensächliche Handlung, ganz automatisch. Da ihm aber klar war, dass der Kleine deshalb bestimmt verwirrt war, wollte er mit ihm reden. Das war jedoch einfacher gesagt, als getan! Shu kam immer so kurz vor dem Unterrichtsbeginn ins Zimmer, dass Ray keine Chance hatte mit ihm zu reden. Wenn dann die Pause anfing, verschwandt der Blonde so schnell aus dem Klassenraum, dass man schon fast eine Staubwolke hinter ihm hätte erkennen können. Somit hatte Ray sich erstmal der Aufgabe zu stellen seinen Freund in die Finger zu kriegen, bevor er mit ihm reden konnte. So hatte er sich das nicht vorgestellt. Spätestens am Spint würde er den Kleinen erwischen, dessen war Ray sich absolut sicher.

Doch der Plan ging nicht auf. Shu hatte es irgendwie geschafft so viel eher abzuhauen, dass er bereits auf dem Heimweg war, als sein Freund bei den Spinten ankam. Damit stand zumindest fest, dass Ray seinen Freund WIRKLICH verwirrt hatte. Das Wochenende war angebrochen, also wollte Ray Shu bei ihm zu Hause besuchen. Er fuhr mit seinem Schülerticket durch die halbe Stadt bis ins Villenviertel und musste dann noch eine halbe Stunde laufen, um an der Villa anzukommen, in der sein Freund wohnte. Um genau zu sein war er dann erst einmal am Einganstor zur Villa angekommen.

Er klingelte und stellte sich durch die Gegensprechanlage dem Bediensteten vor, der sich meldete. „Hallo...ähm also ich bin ein Freund von Shu...Äh Kaneki-san und ich würde ihn gern besuchen, wenn das möglich ist.“ Ray versuchte sich so höflich wie möglich auszudrücken.

Der Bedienstete antwortete, dass er den Schüler in einigen Minuten am Tor abholen würde. Ray war über diese Antwort heilfroh, denn er hatte schon befürchtet zu Fuß direkt bis zur Villa laufen zu müssen und dann hätte er sich unter Garantie verlaufen.

Nachdem der Bedienstete Ray abgeholt und mit einem Auto zur Villa gefahren hatte, führte er ihn netterweise auch noch bis zu Shus Appartement. Auch das war bitternötig, denn Ray hätte sich nicht mehr an den richtigen Weg erinnert und wäre am Ende vielleicht noch in den Privaträumlichkeiten von Herrn und Frau Kaneki gelandet.

Der freundliche Bedienstete klopfte an Shus Appartementtür und man hörte nur seine Stimme rufen: „Ja, komm rein!“. Es klang, als wäre er grade sehr beschäftigt.

Der Mann öffnete die Tür, ließ Ray hinein und verließ das Zimmer gleich wieder. Shu saß auf dem Sofa, hatte eine Virtual-Reality-Brille auf und spielte ein Spiel auf seinem Flatscreen. Ray musste bei diesem Anblick leise schmunzeln und schlich sich ganz langsam und klammheimlich von hinten an Shu an. Dieser rief nur, weil er dachte, ein Bediensteter hätte den Raum betreten: „Was ist denn los? Jetzt sag schon was.“.

Ray musste schnell handeln, bevor der Kleine das Spiel pausierte und sich die Brille abnahm. Also legte er die Arme blitzschnell um Shus Hals und flüsterte ihm mit extra gruseliger Stimme zu: „Ich komme, um dich zu hoooooolen!“.

Ein eiskalter Schauer lief über Shus Rücken und er zuckte regelrecht zusammen, während er gleichzeitig einen sehr hohen, schrillen Schrei von sich gab. Dann sprang er auf, nahm seine Brille ab und schaute Ray entgeistert und panisch an, drohte ihm aber gleichzeitig mit dem Controller. „Wa...Was??? Du???“

Der „Eindringling“ musste bei diesem Anblick herzhaft lachen bis ihm fast die Tränen kamen. „Dein Gesicht!!! Und erst der Schrei! Fast wie ein Mädchen! Zu geil, Kleiner!!“

Shu zeigte Ray sein typisches Schmollgesicht mit aufgeplusterten Wangen und zischte: „Du bist so gestört, ey! Ich hätte fast den Controller nach dir geworfen, das wär teuer geworden!“.

Ray beruhigte sich und setzte sich aufs Sofa, als wäre er hier zu Hause. „Ach komm, jetzt nimm's mir nicht übel. Die Chance konnt' ich mir nicht entgehen lassen.“

Shu legte die Brille und den Controller ab und rief mit seinem Handy eine Nummer an. Dann sprach er: „Hallo? Bringt uns bitte zwei Kakao!“. Dann legte er auch das Handy wieder weg und setzte sich seufzend neben Ray, allerdings mit genügend Abstand, dass noch eine drtte Person dazwischen gepasst hätte. „Also, warum bist du hier? Und wieso kannst du vorher nicht Bescheid sagen?“ fragte er dann.

Ray schmunzelte und sagte: „Naja ich hatte dich schon gestern in der Schule versucht zu erwischen, aber du warst ja richtig auf der Flucht. Da dachte ich, es wäre vernünftigt heute her zu kommen, um mit dir zu reden.“.

Shu schluckte, denn er hatte wohl gehofft, dass Ray alles einfach auf sich beruhen lassen würde. Er schaute verlegen zur Seite und zischte erneut: „Ich hab mit dir aber nichts zu bereden!“.

Nun zog der Amerikaner die Augenbrauen nach oben und schaute seinen Freund skeptisch an. „Willst du jetzt ewig vor mir wegrennen und nie wieder drüber reden, dass ich dich geküsst hab? … Mal wieder.“

Shu schaute ruckartig und empört zu Ray, so als hätte dieser ein Tabuthema angesprochen. Dadurch fühlte er sich aber nur bestätigt.

„Es tut mir leid, wenn ich dich mit der Geste verwirrt hab. Ich war nur so stolz auf dich und super glücklich. Manchmal verleihe ich dann Gefühlen mit solchen Gesten Ausdruck.“ Auch Ray war es durchaus unangenehm, das sah man am Erröten seines Gesichtes.

„Aber DIESE Geste macht man nicht einfach nur, weil man glücklich ist! Man küsst doch Menschen nur, wenn man die...naja lieb hat oder so.“ Shu regte sich auf, wurde jedoch immer leiser dabei. „Und...das trifft jawohl nicht zu! Immerhin bist du ein....und ich ein...“ stotterte der Kleine weiter.

Ray fand es etwas kindisch, dass Shu über so ein Thema nicht richtig reden konnte. Allerdings rief er sich dann ins Gedächtnis, dass das auch am Altersunterschied liegen mochte. Er vergaß es gern mal, aber der Kleine war immerhin zwei Jahre jünger als Ray selbst. Er musste angesichts dessen etwas lächeln. „Naja du weisst aber schon, dass auch ein... und ein... sich lieben können?“ Jetzt forderte er Shu etwas heraus, um zu sehen, wie er wohl darauf reagieren würde.

Das ganze Gesicht des Blonden wurde tiefrot und er schüttelte hastig den Kopf. „Aber...aber...so einer bist du doch gar nicht...oder?“ Anscheinend war seine Neugier geweckt, denn er musterte Ray von oben bis unten und schaute ihm dann fragend ins Gesicht.

Mit der ersten Reaktion hatte der Größere gerechnet, aber mit dem Interesse zeigenden Blick von Shu war er für einen Moment überfordert. „So einer? Meinst du ein Homo?“ fragte er einfach ganz direkt, weiterhin testend wie sein Gegenüber sich in diesem schwierigen Gespräch schlug. Aber die Röte in Shus Gesicht nahm ab und er blinzelte und schaute weiter mit neugierigem Blick Ray an. Sogar etwas näher heran gerutscht kam er.

„Naja...ja. Also ich meine du hast doch mal behauptet, du warst in Amerika der Frauenheld schlechthin. Also...geht das doch nicht oder?“ Tatsächlich hatte der Grauhaarige immer geprahlt, dass die Mädels in seiner alten Schule ihm allesamt verfallen waren. Deshalb musste er kurz nachdenken, wie er sich ausdrücken sollte.

„Also...es stimmt schon, die fanden mich alle mega heiß, was natürlich zu hundert Prozent auch stimmt. Aber...um ehrlich zu sein. Ich hatte noch nie eine Freundin. Die waren mir alle zu langweilig. Ob ich also homo bin, kann ich nicht mal hundert pro abstreiten.“ Ray hatte das noch niemandem je gestanden, denn alle gingen immer automatisch davon aus, dass er bestimmt schon zig Freundinnen gehabt haben musste.

Jetzt war Shu endgültig mitgerissen und er rutschte richtig an Ray heran, um ihm genau in die Augen schauen zu können. „Gerade du? Aber wenn die dir zu langweilig waren, worauf stehst du denn dann überhaupt? Ich mein, bist du asexuell?“ Er nahm kein Blatt vor den Mund und seine großen Augen blinzelten ganz aufgeregt vor sich hin.

Ray war das Gespräch mittlerweile sichtlich unangenehm geworden, aber er wusste, dass er nicht abhauen konnte. Shus Fragen musste er sich stellen, das hatte er sich selbst eingebrockt. Er versuchte nachzudenken, aber er musste immer wieder in Shus große, pinke Augen schauen, die ihn ablenkten. „Jetzt hör doch auf mich so anzuschauen! Wie soll ich denn so denken?!“ sagte Ray ganz nervös.

Shu hatte aber keine Gnade und sah ihn weiter unverändert neugierig an. Der Ältere von beiden seufzte sehr tief, schloss dabei kurz die Augen und konnte so endlich nach Worten suchen. „Worauf ich stehe... Ich mag es auf jedenfall mit dir zusammen was zu machen. Du bist einfach wahnsinnig intelligent und trotzdem gleichzeitig so herrlich dämlich. Es macht Spaß dir Sachen zu erklären oder etwas von dir zu lernen. Ich bin fest entschlossen, dass ich mit deiner Hilfe sogar einige mathematische Sachen und sowas verstehen könnte. Das hat noch kein Lehrer bisher bei mir hingekriegt. … Und deine Augen …“ Ray stockte kurz, weil er nicht wusste, was er alles sagen sollte und was er besser für sich behalten sollte.

Shu schaute zwar wegen der Bemerkung mit dem „dämlich“ etwas vorwurfsvoll, aber als sein Gegenüber verstummt war, wollte er nun auch noch den Rest wissen. „Ja? Meine Augen?“

Ray hatte Angst sich um Kopf und Kragen zu reden, aber ein Zurück gab es jetzt nicht mehr. „Naja die sind einfach schön und mega groß. Wenn du mich anschaust, dann fühl ich mich ganz komisch...irgendwie kribbelig und glücklich. Du bist einfach süß mit deiner ganzen Art und damit meine ich nicht das „Kleiner-Hamster-oder-kleines-Häschen-Süß“, sondern...einfach einzigartig und toll.“

Jetzt hatte er Shu eher verwirrt, denn dieser zog die Augenbrauen zusammen und fragte: „Was zum Geier willst du denn mit all dem sagen? Du sprichst in Rätseln.“.

Ray wurde sich selbst erst jetzt klar, was er gerade aussagen wollte. Er riss die Augen auf und sah aus als hätte er einen Geist gesehen. „Oh Gott...ich glaub...ich will damit sagen, dass ich auf dich stehe.“ Anscheinend erschrak es ihn selbst sich das einzugestehen. Aber mindestens genauso überrascht sah Shu aus. Es herrschte mehrere Minuten eiserne Stille und mittlerweile war eine Bedienstete reingekommen und hatte die Kakaos auf den Tisch gestellt. Sie wunderte sich zwar über die seltsame Stimmung im Raum, aber verließ ihn genauso schnell wieder, wie sie gekommen war.

Ray war sich anscheinend sicher seinen Freund verloren zu haben. Er stand auf und sagte resignierend: „Tut mir echt leid. Ich sollte vielleicht gehen. Ich werd dich natürlich nicht nochmal küssen oder sonst irgendwie belästigen. Das war...nicht richtig von mir.“. Er wandte sich ab und wollte hinter dem Sofa entlang gehen, um zur Tür zu gelangen.

Shu drehte sich aber in diesem Moment um, sodass er über die Sofalehne schauen konnte, und hielt Ray am Handgelenk fest. Dieser schaute überrascht zu dem Blonden hinunter.

„Warte bitte...Mach es noch einmal, ja?“ Der Stehende wusste gar nicht gleich, was der Kleine gemeint hatte, zog die Augenbraue nach unten und schaute einfach fragend. Shu versuchte sich direkter auszudrücken.

„Na das Küssen. Mach es nochmal. Bitte.“ Seine Stimme klang zögerlich, fast gehaucht und als hätte er Angst, dass es jemand hören könnte, würde er lauter sprechen.

Ray war natürlich überrascht, aber gleichzeitig fand er die Reaktion seines Freundes interessant. Er drehte sich also wieder herum, beugte sich hinunter zu Shu, der sich schon so groß machte wie es nur ging und küsste ihn auf den Mund. Der Blonde war etwas perplex, denn er hatte eigentlich mit einem Kuss auf die Stirn, die Wange oder den Kopf gerechnet, nicht aber auf den Mund. Trotzdem beobachtete er, was Ray machte und als dieser die Augen schloss, tat er es ihm gleich. Kaum hatte Shu die Augen geschlossen, spürte er plötzlich etwas seltsames, ihm völlig unbekanntes. Es fühlte sich an, als würde in seinem Mund eine kleine Explosion stattfinden, etwa so, als würde er das Eis essen, das er als Kind so geliebt hatte. Es fing auf der Zunge an zu knistern, sobald man daran geleckt hatte. Genau so ein Knistern spürte er auch jetzt, bloß ohne, dass er Eis gegessen hatte. Schließlich realisierte er, dass Ray ihm gerade einen Zungenkuss gab. Sein Kopf sagte ihm, dass er die Augen öffnen und Ray sofort von sich wegstoßen sollte. Doch keiner seiner Muskeln tat dergleichen.

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Ray wieder von seinem Gegenüber ab, richtete sich aber nicht wieder auf. Er schaute ihm fast schon suchend in die Augen, als wollte er unbedingt Shus Reaktion auf den Kuss erforschen. Diese kam auch prompt, denn Shu lief knallrot an und gab vor lauter Aufregung Ray eine Kopfnuss.

„Auuuu!“ Ray wich einige Zentimeter zurück und hielt sich die Stirn. Allerdings musste er lachen, denn wieder einmal hatte der kleine Japaner ihn überrascht. Shu tat es anscheinend leid, denn er sah selbst sehr erschrocken aus.

„Ent-entschuldige. Das war keine Absicht, aber...aber...was sollte das denn auch??? Ich sagte „küssen“ und nicht „Leck mich ab!““ Er stotterte und war so aufgeregt, dass seine Stimme sich beim Reden fast selbst überholte.

Ray musste erneut lachen und antwortete: „Das war ein Zungenkuss! Du hattest nicht gesagt, WOHIN und WIE ich dich küssen soll.“. Dann grinste er süffisant und richtete sich wieder auf. „Und? Wofür war das jetzt eigentlich gut? Ich meine, dass du überhaupt nochmal geküsst werden wolltest.“

Shu überlegte kurz und schaute dann zu Ray auf. „Ich wollte wissen...ob ich mich wieder so komisch fühle wie letztes Mal und...das hab ich.“ Dann stand er auf, ging um das Sofa herum und nahm Rays Hand, welcher den Kopf schief legte und nicht ganz wusste, wie ihm geschah. Der Kleine schaute ihn toternst an, immernoch völlig rot im Gesicht und sagte staubtrocken: „Schätze aber, es sind weitere Untersuchungen nötig!“.
 


 

Liebes Tagebuch,
 

Erstmal Entschuldigung, dass mein letzter Eintrag so verwirrend endete. Ich hoffe nur, dass dieser hier nicht noch viel schlimmer wird. Wo fang ich nur an?

Ich wollte ja mit Shu über meinen versehentlichen Kuss sprechen. Aber das war gar nicht so einfach! Der Kleine ist den ganzen Schultag vor mir geflüchtet! Sogar am Spint konnte ich ihn nicht schnappen, er war schon lange weg. Also beschloss ich heute zu ihm nach Hause zu fahren, weil ja Wochenende ist. Erst einmal musste ich feststellen, dass es ohne Auto und Chauffeur ganz schön aufwendig ist zu Shus Villa zu gelangen. Zum Glück wurde ich dann am Eingangstor von einem netten Mann abgeholt und bis in die Villa und zu Shus Appertement geführt. Ich wette, hätte ich das auf eigene Faust versucht, wäre ich nächste Woche noch nicht da angekommen.

Ich komm also bei Shu an, da zockt er grade ein VR-Game! Die Chance musste ich einfach nutzen, also schlich ich mich von hinten an und erschrak ihn so richtig schön zu Tode. Er hat mich deshalb sogar mit seinem Controller bedroht. Putzig oder? Jedenfalls stimmte ich ihn dann wieder milde und kam endlich zu meiner Unterhaltung. Am liebsten wollte er gar nicht darüber reden, so unangenehm war ihm das. Zuerst hab ich ihn immer verlegener gemacht, was ja zu erwarten war. Als ich dann aber darauf hinaus wollte, dass ja auch Mann mit Mann kann … Da wurde der auf einmal hellhörig! Ja, ernsthaft! Ich war selber total perplex. Plötzlich war's eher als würde er MICH ins Kreuzverhör nehmen. Ich musste vor ihm sogar zugeben, dass ich noch gar keine Freundin hatte, weil mir die Weiber bisher alle einfach zu langweilig waren. Mann, ich hab meinen Ruf als Loverboy echt genossen. So'n Mist! Durch seine riesigen Augen sagte ich ihm alles, was er wissen wollte und auch ein bischen mehr... Ja, ich hab ihm gestanden wie toll ich ihn finde und dann musste ich auch noch selbst einsehen, dass ich mich ernsthaft in den Zwerg verliebt hab. Glaubste nicht? Ist aber wahr! Ich weiss auch nicht. Er ist einfach...so wahnsinnig interessant. Ich könnte den ganzen Tag mit ihm verbringen und er würde mich niemals langweilen. Das schätze ich sehr an ihm. Dazu kommt seine putzige Art... Den will man einfach lieb haben und beschützen, egal wie hart man drauf ist.

Ich sprach also aus, dass ich auf ihn stehe und dachte natürlich: „Gut das war's! Such dir am besten gleich mal irgendeinen neuen Freund, auch, wenn du nie wieder einen wie ihn finden wirst.“. Ich schloss mit allem ab und wollte gehen. Wer will schon von seinem besten Freund hören, dass der einen liebt? Aber wieder passierte was völlig Unerwartetes. Shu hielt mich fest und verlangte noch einen Kuss! Ich dachte erstmal, das wäre 'ne Falle. Aber dann fiel mir ein, dass er gar keinen Grund hätte mir eine zu stellen. Ich hatte eh nichts mehr zu verlieren, jetzt wo er alles wusste. Also beugte ich mich zu ihm runter und gab ihm einen Zungenkuss à la Ray Spezial! Gut, mit SO EINEM Kuss hatte er wohl nicht gerechnet, denn er war schon etwas empört danach. Aber es hatte sich gelohnt. Der Kuss war hinreißend und ich würde es jederzeit wieder tun.

Shu erklärte mir, dass er mich nochmal küssen wollte, um zu überprüfen wie er sich dabei fühlte. So weit so gut, aber dann kam das Beste! Er nahm meine Hand, schaute mich mega ernst an und sagte mit noch ernsterer Stimme: „Schätze aber, es sind weitere Untersuchungen nötig.“ Also mein Mund stand eine gefühlte Stunde offen! Tja was das für Untersuchungen sein werden, darauf bin ich schon sehr gespannt. Ich sag nur so viel: Er scheint nicht so unschuldig zu sein, wie er gern tut. ;)
 

Thanks for your Attention!
 

Ray



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sternenprinzessiin
2017-03-11T18:12:54+00:00 11.03.2017 19:12
Ist die Handlung jetzt angeschlossen?
Antwort von:  Raitoki
30.03.2017 17:40
Hi Sternenprinzessiin!
Ja diese FF ist mit 5 Kapiteln abgeschlossen.

LG Chill
Von:  Saiki
2017-01-13T14:34:00+00:00 13.01.2017 15:34
Hallo,

ich muss zugeben, dass ich die FF jetzt nur gelesen habe, weil ich das Cover so toll fand. XD Ich habe bestimmt ewig keine Boys Love Story mehr gelesen, werde diese wohl aber dann mal weiter verfolgen. ;) Die Handlung klingt zumindest sehr interessant und ich bin gespannt wie sich die Beziehung der beiden entwickelt.

Die Lehrerin fand ich ja ziemlich hart. XD Erst noch betonen, dass er keine Zeit hatte sich vorzubereiten, dann aber direkt nen Kommentar à la "Arbeite gefälligst an deinem Japanisch" abzulassen... tze. Dass die Klasse dann auch so lacht ist aber sehr unsozial U_U

Ich weiß noch nicht so recht, was ich von den beiden halten soll. Wenn ich dieses Kapitel jetzt mit dem Cover vergleiche, hätte ich rein von der Art, wie die beiden Charaktere sich hier darstellen und die Haltung der beiden auf dem Cover die Charaktere glatt umgekehrt zugeordnet. ^^"
Das mit dem Kuss konnte ich jetzt nicht ganz nachvollziehen. Also warum Ray das getan hat und warum scheinbar nur die beiden in der Klasse saßen. Aber das sind nur kleine, für mich unlogische, Details mit denen ich auch leben kann und die mich im weiteren Verlauf vorerst nicht stören.

Bin gespannt wie es weiter geht. :)

Liebe Grüße
Saiki
Antwort von:  Raitoki
21.01.2017 22:37
Hi Saiki,
vielen Dank, dass du das erste Kapitel gelesen hast und danke natürlich auch für deinen Kommentar.
Dass die Lehrerin ganz schön fies ist, stimmt irgendwie, aber naja... Welcher Lehrer ist das mal nicht? e.ê Und die Schüler...naja sagen wir's so, Kinder können grausam sein. XD
Ich denke die Charaktere werden im weiteren Verlauf der Story noch etwas klarer und dann kannst du sie vielleicht auch dem Cover etwas besser zuordnen. ^^'
Ray erklärte den Kuss im Tagebucheintrag ja selbst nochmal. Er freute sich so überschwänglich, dass er sein Gegenüber glatt umknutschte. XD Keine normale Reaktion, das stimmt, aber, dass du so verwundert und überrascht darüber bist, ist genau das, was die Szene auch beim Leser auslösen sollte. ;) Dass nicht beschrieben wird, wie die anderen Klassenkameraden auf den Kuss reagieren, kommt eigentlich nur daher, dass die Konzentration komplett auf Ray und Kaneki liegen sollte und es mehr oder weniger wie ein "Schlussschocker" wirken sollte.
Wir würden uns freuen, wenn du die Fanfiction weiter verfolgen würdest und ebenso über zukünftige Kommentare von dir.

Liebe Grüße.

Chill
Von:  Shizana
2017-01-10T15:43:39+00:00 10.01.2017 16:43
Ein amüsantes Kapitel und guter Einstieg in die Geschichte. Ich finde es angenehm, dass Ray seine kleinen Schwierigkeiten mit der japanischen Sprache hat und sich gleich zu Beginn in die ersten Fettnäppchen setzt. Kaneki wirkt etwas zickig, wobei ich nicht weiß, ob das mehr an Ray liegt oder tatsächlich sein Charakter ist. Das wird sich sicher noch zeigen.
Das Ende kommt sehr überrumpelnd. Nicht jeder denkt bei "Freundschaft schließen" sofort an einen Kuss. Ich bin ein wenig skeptisch, was das Setting bei dieser Szene anbelangt: Bekommt das keiner im Klassenzimmer mit? Ich kann mir schwerlich vorstellen, dass eine solche Aktion kein Aufsehen und Reaktion provoziert. Zumal eine Reaktion des Umfelds auch positiv zu der Handlung beisteuern würde.

Zuletzt entnehme ich deinem/eurem Steckbrief, dass konstruktives Feedback gewünscht ist. Wenn dem so ist, möchte ich noch einen Tipp an die Hand geben:
Ich rate zu mehr Absätzen im Text. Insbesondere wenn es um wörtliche Rede und Interaktionen zwischen den Charakteren geht, sind Absätze hilfreich und nicht zuletzt der Verständlichkeit wegen erforderlich. Viele Leser, denen Textgestaltung wichtig ist, werden von unstrukturierten Textblöcken abgeschreckt.

Eine letzte Anregung: Ihr entwerft im Übrigen immer sehr hübsche und optisch ansprechende Cover für eure Geschichten. Das ruft in mir die Frage auf, wieso ihr eure Projekte nicht als Doujinshi gestaltet? Ihr könntet damit eine noch größere Palette an interessierten Lesern abdecken. Vielleicht ist es einen Gedanken wert?


Liebe Grüße und weiterhin gutes Gelingen mit euren Projekten
Shizana
Antwort von:  Raitoki
21.01.2017 22:29
Hallo Shizana,
erstmal danke für deine konstruktive Kritik und diesen Kommentar. Wir freuen uns vor allem immer über Kommis, die mehr aussagen und ruhig auch mal etwas hinterfragen. ;)
Dass das Ende des Kapitels dich etwas überrumpelt hat, ist eigentlich eher gut, denn genau das sollte dieser Kuss beim Leser auch erzeugen. Ray beschreibt ja selbst später im Tagebucheintrag, dass er nicht genau weiss, warum er seine überschwängliche Freude gerade so zeigen musste. Es kam einfach so über ihn. ^^' Dass bei dieser Szene die Reaktionen des Umfeldes komplett fehlen mag vielleicht etwas stören, aber beim Schreiben selbst fiel es gar nicht so auf und die Konzentration lag komplett nur auf Ray und Kaneki.
Das mit den Absätzen ist uns erst dank deines und anderer Kommentare aufgefallen, denn im Original waren durchaus mehr vorhanden. Animexx scheint diese aber irgendwie "geschluckt" zu haben. Deshalb wurde das Ganze im Nachhinein jetzt nochmal bearbeitet und abgeändert.
Zu guter Letzt zu der Idee mit dem Doujinshi: Einen haben wir ja bereits hier bei Animexx hochgeladen, allerdings fehlt im Moment die Zeit für Douji-Projekte. Sobald es aber zeitlich wieder möglich ist, wäre es natürlich aber eine Überlegung wert, die Fanfictions oder auch andere Projekte in Doujinshi-Form zu veröffentlichen.

Liebe Grüße zurück.

Chill


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