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Lilienkampf

von

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Endlich frei?

Als ich an diesem Abend ausgeraubt wurde, wusste ich noch nicht, wie sehr mir dieser Junge einmal bedeuten würde. Er ging mir am Anfang ziemlich auf die Nerven. Im Laufe der Zeit war er der Grund, warum ich wieder begann, um mein Leben zu kämpfen.
 

Es war an einem späten Abend. Gut, es war mitten in der Nacht. Ich wollte einfach nur den Kopf frei bekommen. Ich war gerade auf dem Weg nach Hause und dachte über mein ach so tolles Leben nach.

Familie, Freunde, Geld – nichts davon. Wie auch.

Ich glaube es war ca. zwei Uhr morgens. Ich lief durch eine dunkle Gasse in der Nähe des Fernsehturms, um schneller nach Hause zu kommen. Es war kühl, aber aus irgendeinem Grund war mir nicht kalt. Der Wind blies mir ins Gesicht. Wenn ich in einen Spiegel schauen würde, wäre meine Wange feuerrot. Jeder normale Mensch würde sein Gesicht in seinen kuscheligen Schal vergraben oder den Jackenkragen hochschlagen. Aber ich fand es angenehm. Denn das Brennen, was der Wind auf meinen Wangen hinterließ, zeigte mir, dass ich lebe. Wenn man es denn „Leben“ nennen kann.

Ich lief weiter, dachte darüber nach, was ich zu Hause machen sollte. Geld für Alkohol habe ich nicht. Alleine Feiern, abgesehen von meinem Zustand, nicht möglich. Freunde? Guter Witz. Vielleicht hätte ich auch einfach dort bleiben sollen. In den vier Wänden, die ich inzwischen auswendig kannte. Hatte schließlich Jahre lang Zeit, um sie zu studieren.

Ich ging weiter, bis ich von einem Unbekannten angehalten wurde. Ich dachte es würde wieder einer nerven. Um diese Zeit torkeln genug Betrunkene auf der Straße herum, die einen auf den Wecker gehen.

Doch noch bevor ich reagieren und ihm sagen konnte, dass er mich in Ruhe lassen soll, spürte ich seine Faust in meinem Bauch. Ein dumpfer Schmerz, der mir die Luft raubte, durchfährt meinen Körper. Ich war wie gelähmt und konnte mich nicht wehren. Ich fiel zu Boden. Hatte gehofft, dass sie mich in Ruhe lassen, wenn ich sowieso schon so schnell zusammensacke und mich nicht wehre.
 

Aber nein. Ein weiterer Mann stoß dazu und durchsuchte meine Taschen, während der andere weiter auf mich eintrat. Allerdings bekam ich nicht mehr viel mit, denn die Tritte, die ich in meiner Magengrube spürte, sorgten kurzzeitig dafür, dass ich das Bewusstsein verlor. Zumindest glaube ich das, denn da war irgendwo so ein schwarzes Loch, wo meine Erinnerungen völlig erloschen sind.

Das nächste woran ich mich erinnere, ist ein einzelner Schnitt unterhalb des Brustkorbes. Schließlich weiß ich noch, wie sie dann abgehauen sind. Mit all meinen Schätzen. Auch wenn es keine waren, denn in meinem Portemonnaie waren nicht mehr als 20€ und das Handy ist irgendein zehn Jahre altes Ding. Deren Opfer wäre also nicht nötig gewesen. Aber es freute mich, dass es mich erwischt hatte. Denn es würde heißen, dass ich endlich gehen darf. Nicht mehr diese hässlichen vier Wände sehen muss. Es selbst zu tun hatte ich mich nicht getraut… ich war zu feige.

Wie tief kann man sinken? Ich hatte nichts, wofür sich das Kämpfen lohnte und dann brachte ich es nicht über mich, eine Dosis zu nehmen, weil mich meine Angst heimsuchte.

Ich legte mir die Hand auf die Wunde. Nicht, dass ich die Blutung stoppen wollen würde, aber ich wollte mich vergewissern, dass es wirklich Blut ist und ich mir nicht vor Schiss in die Hose gepisst hab. Aber ich hatte Glück. Denn ich sah die rote, zähe, dickflüssige Substanz an meinen Händen und wie sie sich auf dem Boden ausbreitete.

Ich wusste nicht warum, aber ich musste lächeln.

Als ich an mir hinunterschaue, sah ich, dass der Stich in der Nähe der Lunge angesetzt wurde. So, als hätten sie es gewusst.

Zum Glück haben sie mir das Handy abgenommen. Wahrscheinlich wäre ich wieder zu feige, um zu sterben und würde den Krankenwagen rufen. Auch wenn ich es in jeder Hinsicht vermeiden wollte je wieder einen Fuß ins Krankenhaus zu setzen.

Aber jetzt war es soweit. Denn ich lag alleine da, in der Nacht. Keine Menschenseele war zu sehen und auch nicht zu erwarten. Glück gehabt.
 

Ich lag auf dem Boden, hatte die Augen geöffnet. Immer mal wieder fuhr ein Auto vorbei, aber zu schnell, um mich überhaupt zu bemerken. Ich lag schließlich im letzten Eck einer Gasse. Ein passender Ort zum Sterben.

Aber es muss wohl Schicksal gewesen sein, denn schon nach kurzer sah ich eine Person, der Körperform nach zu urteilen männlich, die ausgerechnet in diese Gasse einbog. Wahrscheinlich, um sich zu entleeren, oder was auch immer so jemand an so einem Ort will. Er trat immer und immer näher. Sein Gesicht war lediglich vom Display seines Handys erleuchtet, aber ich konnte nicht viel erkennen. Auch wenn er vollkommen von der Dunkelheit umhüllt wurde, konnte ich erkennen, dass er ein Anzugträger war. Super. Ausgerechnet so ein Spielverderber. So ein Spießer.
 

Ich beobachtete das Wenige, was ich sehen konnte. Die dunklen Augen, dessen Farbe ich durch die Tageszeit nicht wirklich identifizieren konnte. Ich glaube sie waren grün. Seine Gesichtszüge waren angespannt. So, als ob er voll konzentriert wäre, eine Nachricht zu schreiben. Sein Haar wirkte rabenschwarz und die Haut hatte durch die wenige Beleuchtung nur wenig Sonnenbräune und schien durch das grelle Licht sehr blass. Er war so sehr in sein Handy vertieft, dass er mich nicht mal beachtete. Ein Beweis mehr. Wer würde mich auch schon sehen. Ich bin so unsichtbar auf dieser Welt, dass ich sterben könnte, was ich in Moment auch tat und niemand würde es merken.
 

Ich zuckte zusammen als ich eine Art Knirschen hörte. Es war, als würde jemand mit Metall auf dem Asphalt kratzen. Abrupt blieb der Fremde stehen, bewegte sich keinen Millimeter mehr. Das Licht seines Handys ging aus und er blieb einen weiteren Augenblick stehen als wäre er angewurzelt. Vermutlich mussten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Dann hob er sein linkes Bein leicht an und ich sah genau, wie sich sein Kinn zu Boden senkte, damit er sehen konnte, worauf er getreten ist. Mein Blick folgte ihm und ich sah das Messer, welches vor wenigen Minuten noch meinen Brustkorb durchlöchert hatte.
 

„Oh mein Gott…“, hörte ich ihn plötzlich sagen. Seine Stimme war leise, aber rau. Schockiert und fürsorglich, aber nicht aufdringlich.

Ich sah ihn an. Konnte ihn nun das erste Mal richtig erkennen, obwohl die Dunkelheit immer noch vieles verbarg. Aber was mich am meisten verwirrte, er war gar nicht so viel älter als ich. Sogar ziemlich genau in meinem Alter. Vielleicht 22, möglicherweise auch ein oder zwei Jahre älter. Ich weiß nicht warum, aber diese Erkenntnis schockte mich so sehr, dass ich ihm ungewollt meine gesamte Aufmerksamkeit schenkte.

„Hey, hey kannst du mich hören?“ sagte er zu mir. Ich war zwar bei vollem Bewusstsein, hatte aber trotzdem das Gefühl nicht anwesend zu sein. Ich antworte nicht und gab auch keine Anzeichen dafür, dass ich ihn verstehen konnte. Ich bemühte mich wirklich ihm zu antworten, doch ich fand keine Kraft dazu. Es war, wie wenn du einen Befehl abgibst, du etwas machen willst, aber alles in dir weigert sich, diesen Befehl auszuführen.

Ich glaube, ich hatte nur in eine Richtung gestarrt. Seine Hände spürte ich auf meiner Brust, er versuchte die Blutung zu stoppen. Ich griff nach seiner Hand und wollte sie von meiner Brust schieben. Ich wollte nicht, dass er die Blutung stoppt, wollte ihm deutlich machen, er solle keinen Krankenwagen rufen, doch er verstand nicht was ich wollte. Unsere Blicke trafen sich und zum ersten Mal. Ich sah also in seine Augen. Trotz der Dunkelheit bestätigte sich meine Vermutung. Sie waren wirklich grün. So grün, wie Smaragde. Ich sah Ratlosigkeit und Überforderung. Sorge und Unwissenheit.

Mit einer blutverschmierten Hand zückte er sein Handy und ich hörte wie er zu mir sagte, ich solle durchhalten und er würde einen Krankenwagen rufen. Ich wollte ihn davon abhalten, ich wollte nicht ins Krankenhaus, denn ich wusste, wenn sie mich wieder einliefern würden, bliebe ich erst mal eine ganze Weile dort – mal wieder.

Ein kleines „Danke“ brachte ich nur leise hervor. Ich wusste nicht genau wofür ich mich bedankte. Ich wollte nicht ins Krankenhaus, eigentlich auch nicht gerettet werden. Wieso dankte ich ihm? Am liebsten würde ich ihn von mir wegstoßen, denn er machte nur alles kaputt. Aber ich hatte nicht die Kraft dazu. Der natürliche Überlebensinstinkt, den jeder Mensch besitzen sollte, hatte sich doch irgendwie eingeschaltet, obwohl ich versucht habe dagegen anzukämpfen.

Ein hoffnungsvolles Lächeln machte sich kurz auf seinen Lippen breit.

„Keine Angst, der Krankenwagen wird gleich hier sein... Ich heiße Tim und du?“

Es interessierte mich nicht, wie er hieß. Aber trotzdem war ich fasziniert von seiner Stimme. Wie fest sie war, wie sicher, obwohl er gleich eine Leiche sehen würde.

Also ich wollte ihm antworten…nur um nochmal eine Antwort zu bekommen, damit ich seiner Stimme lauschen konnte, doch bevor ich mich zumindest mit meinem Namen vorstellen konnte, hörte ich schon die Sirenen des Krankenwagens. Das Blaulicht näherte sich und blieb direkt neben uns auf der Straße stehen. Die Sanitäter erkannten mich natürlich – was mich auch nicht wunderte. Sie versuchten die Blutung so gut es ging zu stoppen, luden mich in den Transporter und das Letzte was ich noch mitbekam, war, dass Tim mit in den Krankenwagen stieg - warum auch immer.



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