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Sunray, das Geheimnis der Sternstadt

von

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Kapitel 01

Sunray

das Geheimnis der Sternenstadt
 

Kapitel 1

Sunray war alles andere als ein Glückspony. Für ein Pegasuspony waren seine Flügel sehr kurz geraten, so sehr, dass er es mit viel Mühe gerade so schaffte, sich für kurze Zeit wenige Meter über dem Boden zu halten.

Tatsächlich war es ihm nie gelungen wie die anderen Pegasi zu fliegen. Sunray war an die Erde gebunden wie ein Stein.

Sunray lebte in der großen Stadt Hoofston. Er hatte es seiner Mutter und sich selbst nicht immer leicht gemacht. Es war nicht so, dass Sunray den Ärger suchte, eher das Gegenteil war der Fall. Irgendwie schien Sunray die Probleme magisch anzuziehen. Und heute sollte er in den größten Schlamassel seines Lebens geraten.

Es begann mit der großen, neuen Ausstellung im Museum. Verborgene Schätze aus aller Herren Länder lockten unzählige Ponys ins Museum.

Schätze, ferne Länder. Diese Ausstellung war genau nach Sunrays Geschmack, außerdem war der Eintritt heute frei. Dass sich an eben diesen Tag finstere Gestalten mit ebenso finsteren Absichten vor dem Museum befanden bemerkte er nicht, als er durch die Pforten eintrat.

Es herrschte ein gewaltiger Andrang. Sunray versuchte niemanden auf die Hufe zu treten, während er sich durch die Menge einen Weg zu einer Gruppe von Besuchern bahnte, die gespannt einer Ponydame zuhörten, die von dem großen Wandteppich hinter sich berichtete. Soweit Sunray es erkennen konnte, zeigte dieser Wandteppich eine Szene mit drei Ponys und einer geisterhaften Gestalt, die Sunray einen Schauer über den Rücken jagte. Die Ponydame erzählte: „Dieser Teppich stellt den Kampf des Königspaares von Surbonien gegen ihren bösen Widersacher dar, der, um das Königreich an sich zu reißen einen Pakt mit einem bösen Geist einging.“

Sunray hatte keine große Lust so einem bösen Geist, wie er hier dargestellt wurde, jemals zu begegnen und er war froh als sich die aufgeregt murmelnden Ponys wieder in Bewegung setzten.

Trotzdem hatte er das unbehagliche Gefühl, dass ihn die Augen des Geistes verfolgen würden und für den Rest der Ausstellung hörte Sunray nur noch mit einem halben Ohr zu.

Bis sie zum letzten Ausstellungsstück kamen: in der Mitte eines sonst leeren und abgedunkelten Raumes stand in einer von Sicherheitsponys bewachten Vitrine ein goldenes Zepter, an dessen Spitze ein Sternförmiges Juwel befestigt war. Obwohl es im Raum nur wenig Licht gab, ging von dem Juwel selbst ein regenbogenartiger Schimmer aus, der alle Ponys in seinen Bann zu schlagen schien. Die Ponys drängten sich so dicht wie möglich um die Samtschnur, als würden sie von dem Stein magnetisch angezogen.
 

Die Museumsführerin erzählte derweil weiter, obwohl ihr wahrscheinlich niemand wirklich zuhörte: „Dies hier ist der Sterndiamant. Gefunden wurde er in Grabungsstätten in Surbonien. Trotzdem glauben manche, dass es sich um ein Relikt aus der sagenumwobenen Sternstadt handelt. Nur konnte die Existenz dieser Stadt nie bewiesen werden und gilt unter vielen auch heute noch als Mythos.“

Die Ponys drängten noch dichter heran und alle machten: „Uuhhhh.“
 

„Bitte halten Sie sich zurück“, sagte die Ponydame nervös. „Bei Berührung der Vitrine wird ein Alarm ausgelöst.“

Sunray hätte auch gerne etwas gesehen, doch die Masse an Ponys quetschte ihn gegen einen Sicherheitsbeamten, der, unerschütterlich wie ein Fels in der Brandung, sich keinen Millimeter vom Fleck rührte. Die Folge war ein Missgeschick, wie nur Sunray es zustande bringen konnte: zuerst trat er dem Sicherheitsbeamten auf den Huf und als er selbst schnell seinen eigenen wegnehmen wollte, stellte er sich dafür auf den eines Muskelhengstes.

„He, pass doch auf!“, schnaubte dieser unwirsch und versetzte Sunray einen kräftigen Schubs, infolgedessen dieser stolperte und bei dem Versuch sich irgendwo festzuhalten, einem Ponymädchen etwas zu nahe kam.

„Bitte kein ungesittetes Verhalten, die Herrschaften“, hörte Sunray die Museumsführerin noch rufen, als die Hinterläufe des Ponymädchens ihm im Gesicht trafen und ihn im hohen Bogen aus der Menge fliegen ließen. Damit nicht genug hatte gerade ein unvorsichtiger Hausmeistereinen Eimer Wasser und ein Stück extrarutschige Seife nebeneinander auf dem Boden abgestellt und zwar genau an dem Punkt wo Sunray landete. Zuerst steckte sein Kopf im Eimer fest. Ohne Augenlicht versuchte Sunray panisch den Eimer abzunehmen, doch er trat dabei auf die extrarutschige Seife, welche ihn durch den ganzen Raum rutschen ließ. Und nicht nur das. Die Seife beförderte Sunray aus dem Zepterraun hinaus, in die anderen Ausstellungshallen, durch das Herrenklo, das Damenklo, den Keller, den Dachboden und schließlich wieder in die Eingangshalle, bis er endlich mit einem freien Bein in einem Mülleimer stecken blieb und er gegen eine Säule knallte, was ihn schmerzhaft zum Anhalten zwang.

Als er endlich den Eimer vom Kopf bekommen hatte, stellte Sunray fest, dass sich eine Menge verärgerter Ponys um ihn geschart hatten, die dieses alberne Verhalten seinerseits äußerst missbilligten ( nicht, dass sich jemand nach seinem Wohlergehen erkundigt hätte).

Sofort drängte sich ein finster dreinblickender Hengst mit dichtem Schnurrbart zu ihm hindurch. Ein Namensschild wies ihn als Sicherheitschef Tassel aus.

„Sososo“, sagte er laut und hob Sunray hoch, aber nur um ihn in einen eisernen Griff festzuhalten. „Was haben wir denn da? Einen äußerst ungeschickten Dieb. Dachtest wohl du känntest hier hereinspazieren und ein paar Sachen klauen, was? Aber nicht mit mir, Kleiner. Unter meiner Aufsicht ist in diesem Museum noch nie etwas gestohlen worden.“

„Ich bin kein ungeschickter Dieb“, murmelte Sunray beleidigt. „Ich bin nur ein ungeschicktes Pony.“

„Achja? Das wird sich noch herausstellen“, sagte Sicherheitschef Tassel und Sunray musste seine Satteltaschen leeren. Sicherheitschef Tassel war nämlich fest davon überzeugt Sunray würde etwas geklautes darin verstecken. Als aber nichts gefunden wurde, wurde auch Sicherheitschef Tassel immer missmutiger. Einen Dieb auf frischer Tat zu ertappt zu haben, hätte ihn bestimmt eine Beförderung eingebracht.

„Kann ich jetzt gehen?“, fragte Sunray vorsichtig.

„Na schön, von mir aus!“, blaffte Sicherheitschef Tassel. „Aber pass bloß auf. Ich behalte dich im Auge.“

Sunray schaute sich also noch ein wenig im Museum um. Wobei ihm auffiel, dass sich die anderen Ponys von ihm entfernten sobald er näher kam. Sie hatten sich schon ein Urteil über ihn gebildet und wenn er auch kein Dieb war, so war ein Pony das so viel Aufsehen erregte wie er kein guter Umgang.

Außerdem spürte er, die verstohlenen Blicke von versteckten Sicherheitsbeamten hinter ihm. Deswegen entschied sich Sunray kurz darauf zu gehen, doch dann sah er aus einiger Entfernung einen anderen Wandteppich, der so schön war, dass Sunray ihn sich einfach anschauen musste.

Natürlich gingen ihm die Ponys auch diesmal aus dem Weg, kaum dass sie ihn erblickt hatten und hatten auch nichts als vorwurfsvolle Blicke für ihn übrig, aber davon ließ er sich nicht beirren. Er machte ein teilnahmsloses Gesicht und begutachtete den Wandteppich in aller Ruhe. Die Stickereien zeigten die Gesichter von zwei Ponys von der Seite, so dass ihre Konturen ein Herz bildeten. Ein berührendes Bild.

Wenigstens gab es kein Gedränge, wenn niemand in seiner Nähe sein wollte.

Ja, so etwas war er gewohnt. Wie gesagt, Sunray war alles andere als ein Glückspony. Ständig brachte er sich in irgendwelche Schwierigkeiten. So wie damals, als er in das Führerhäuschen eines Zuges gestiegen war und an einigen Hebeln und Kurbeln herumgespielt hatte. Die Lock war plötzlich losgerollt und unkontrolliert durch die Straßen gefahren. Oder das eine Mal, als er bei dem großen Schokoladenfest die gewaltige Schüssel mit geschmolzener Schokolade aus versehen umgestoßen hatte und zwar auf alle Zuschauer. Oder damals als...

Aber egal wie oft er in irgendeinen Schlamassel geriet, seine Ma war immer für ihn da gewesen, hatte ihn wieder aufgebaut und Mut gemacht. Seine Ma war das beste Pony auf der ganzen Welt. Trotzdem auch wenn seine Ma immer wieder sagte, es sei alles in Ordnung, und dass sie nicht böse auf ihn sei schämte Sunray sich oft. Manchmal, da hatte er das Gefühl, dass er zu gar nichts taugte, außer seiner Ma Probleme zu bereiten.

Plötzlich passierte etwas. Ein Einhorn stand neben ihm, so plötzlich und unerwartet, dass Sunray erstaunt einen Satz zur Seite machte.

„Ist er nicht wunderschön?“, sagte das Einhornmädchen ohne den Blick von dem Wandteppich zu nehmen.

„Oh, äh, ja“, erwiderte Sunray verwundert, denn er war es nicht gewohnt von fremden Mädchen aus heiterem Himmel angesprochen zu werden. „Wunderschön.“

„Ich bin Serenity“, sagte sie leise und rückte noch etwas näher an Sunray heran, der rot anlief.

„S... Sunray“, stellte er sich vor und riss seine Augen von ihr los. Während Serenity in aller Ruhe den Wandteppich betrachtete, starrte Sunray nur angestrengt geradeaus, unfähig etwas anderes zu tun, weil sein Herz gerade im Dreieck sprang.

„Weißt du, wer das ist?“, fragte das Mädchen.

„Nein.“

„Das ist das letzte Königspaar der Sternstadt. Bevor die Stadt unterging, herrschten diese beiden dort.“

„Aha“, sagte Sunray, fragte aber lieber nicht woher sie das so genau wissen wollte.
 

Nach einer kurzen Weile sagte Serenity: „War mir eine Freude, Sunray.“

Sunray wollte gerade fragen, was sie damit meinte, da gab sie ihm auch schon einen kleinen aber kräftigen Schubs, Sunray stolperte über seine Hufe und krachte in die Absperrung. Sofort schrillten die Alarmglocken los, alle Augen richteten sich sofort wieder auf Sunray, der von einer Meute Sicherheitsleute umzingelt wurde.

Ehe Sunray es sich versehen konnte, hatte man ihn schon weg von der Ausstellung in einen kleinen Raum gesteckt und ihm gegenüber saß finster dreinblickend und mit zitterndem Schnurrbart Sicherheitschef Tassel. Er Trug eine Sonnenbrille und seine Augenbrauen formten ein tiefes V auf seiner Stirn.

Sicherheitschef Tassel nahm die Sonnenbrille ab, lehnte sich über den Tisch und bohrte seine Augen in Sunrays.

„Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte er kalt.

„Man hat mich geschubst“, versuchte Sunray zu erklären.

„Geschubst hat man dich. So so“, sagte Sicherheitschef Tassel und setzte seine Brille wieder auf.

„Genau.“

Tassel nahm seine Brille wieder ab. „Und wer hat dich geschubst?“

„Serenity.“

Brille auf. „Und wer ist diese Serenity?“

„Das weiß ich nicht. Ich bin ihr heute zum ersten Mal begegnet.“

Brille ab. „Du kennst also den Namen von einem völlig fremden Pony?“

„J... ja“,sagte Sunray zögernd.

Brille auf. „Warum hat dich dieses Pony geschubst?“

„Ich weiß es nicht!“ Langsam begann Sunray zu verzweifeln, was auch Sicherheitschef Tassel merkte. Der war nämlich der festen Überzeugung einen dreisten Dieb vor sich zu haben und er war nicht gewillt ihn ohne ein Geständnis gehen zu lassen. Also bohrte er weiter: „Wie heißt du?“, fragte er und nahm die Brille wieder ab.

Sunray sagte es ihm.

Brille auf. „Wo wohnst du?“

Sunray sagte es ihm.

Brille ab. „Wie alt bist du?“

Sunray sagte es ihm.

Brille auf. „Wieso wolltest du den Wandteppich klauen?“

„Ich wollte ihn nicht klauen! Ich wollte überhaupt nichts klauen! Dieser Wandteppich ist viel zu groß und zu schwer um ihn zu klauen!“

Jaja, red' du nur, dachte Tassel im Stillen. Ich hab noch jede Nuss geknackt und du hältst nicht mehr lange durch.

Plötzlich pochte es wild an der Tür und ein Pony vom Sicherheitsdienst kam hereingestürzt. „Sicherheitschef Tassel“, redete der Ankömmling drauf los. „Bitte kommen Sie schnell! Es ist ein Notfall!“

Sicherheitschef Tassels Schnurrbart zuckte ungehalten. „Jetzt? Ich bin mitten in einer Überführung!“

Überführung, dachte Sunray. Dieser Sicherheitschef hält mich wohl wirklich für einen Dieb.

„Bitte, Chef! Es ist absolute Alarmstufe rot!“

Sicherheitschef Tassel stand auf und nahm seine Brille ab. „Du bleibst schön hier und wartest, bis ich wieder da bin“, sagte er zu Sunray. Damit folgte er dem anderen Pony nach draußen. Sunray saß da, wartete und überlegte, wie lange er wohl bleiben müsse. Er stand auf und ging ein wenig im Raum auf und ab.

Was wohl seine Ma zu alle dem sagen würde? Sie wäre bestimmt nicht froh darüber zu hören wie er in einen Diebstahl hineingezogen worden war.

Ob sie wieder enttäuscht sein würde?

Oh Mann,so ein Schlamassel, dachte Sunray. Der einzige Lichtblick war, dass man ihn ohne Beweise wohl oder übel gehen lassen musste, aber dieser sture Sicherheitschef würde ihn bestimmt so lange wie möglich hier behalten.

So ein Schlamassel, dachte Sunray noch einmal.

Aber natürlich hatte er keine Ahnung, dass das gerade erst der Beginn von einem viel größeren Schlamassel war.

Plötzlich ging das Licht aus und Sunray konnte nicht mal mehr den Huf vor Augen erkennen. Dann ging die Tür auf, jemand rannte ins Zimmer und direkt in Sunray hinein und zusammen polterten sie über seine Satteltaschen.

„Aua“, sagte Sunray.

„Verdammt“, sagte das andere Pony.

Dann ging das Licht wieder an und Sunray erkannte das Pony das ihn umgerannt hatte sofort.

„Serenity!“

Serenity sprang auf, schnappte sich eine der Satteltaschen und raste durch die Tür davon. Sunray wollte sie verfolgen, doch als er auf den Flur trat wurde er ein weiteres Mal umgeworfen, diesmal von einer Horde Sicherheitsponys, die auch Serenity verfolgt hatten und ganz vorne weg Sicherheitschef Tassel.

Der Sicherheitschef funkelte Sunray wütend an.

„Ups. Tut mir leid“, sagte Sunray.

Serenity blieb verschwunden.

Kapitel 02

Kapitel 2

„Du arbeitest mit dem Dieb zusammen! Gib es zu!“ Sicherheitschef Tassels Wut war kurz davor ihn in einen ausbrechenden Vulkan zu verwandeln. Seine Auge sprühten Funken, eine gewaltige Ader an seinem Kopf pulsierte und sein Schnurrbart wackelte so bedrohlich hin und her, als wolle er jeden Moment vom Gesicht abspringen und sich auf das nächstbeste Opfer stürzen.

Dummerweise war Sunray dieses Opfer.

Die Sicherheitsponys hatten einen engen Kreis um Sunray und Sicherheitschef Tassel gebildet. Sunray konnte förmlich spüren, wie sie ihn durch ihre Sonnenbrillen anblickten.

„Aber ich wollte den Wandteppich doch gar nicht klauen“, sagte Sunray.

Sicherheitschef Tassel nahm die Sonnenbrille wieder ab. „Hör mir doch auf“, sagte er. „Ich habe dich durchschaut. Du steckst mit diesem Mädchen unter einer Decke. Der Wandteppich war nur eine Ablenkung, damit sie den Sternendiamanten stehlen konnte. Und bei der Flucht hast du ihr auch geholfen. Nur du selbst konntest nicht entkommen.“

„Der Sterndiamant ist gestohlen worden?“

„Aha!“, rief Sicherheitschef Tassel aus und setzte seine Brille wieder auf. „Da hast du dich jetzt aber ordentlich verplappert, mein Kleiner. Woher weißt du denn, welcher Diamant gestohlen wurde?“

Sunray schaute den Sicherheitschef verdutzt an. „Äh... das haben Sie gerade selbst gesagt.“

Sicherheitschef Tassel merkte, dass er in seine eigene Falle getappt war und das machte ihn noch wütender und noch stärker glaubte er daran in Sunray einen Dieb gefunden zu haben. Und er wusste auch, wie er ihn zum Gestehen bringen würde.

„Na schön, Kleiner“, sagte er und nahm seine Brille ab. Er schloss die Augen und von Sekunde zu Sekunde wirkte seine Miene angestrengter, so als würde er alle seine inneren Kräfte sammeln. Die anwesenden Ponys tuschelten, denn sie ahnten, was nun kommen würde. Sie hatten schon von der legendären Fähigkeit ihres Chefs gehört, der mit einem einzigen Blick einem Pony die Wahrheit entlocken konnte. Nun sollten sie Zeugen dieses sagenhaften Schauspiels werden.

Gerade als Sunray sich fragte, ob es dem Sicherheitschef nicht gut ging sprang dieser auf den Tisch und stierte ihn mit einem einzigen, weit aufgerissenen Auge an.

Einen Moment lang standen die beiden sich so dicht an dicht gegenüber. Sunray rührte sich nicht.

Dann sagte Sicherheitschef Tassel: „Und? Wirst du nun gestehen?“

„Was?“

„Leugnen ist zwecklos. Mit meinem Blick dringe ich in deinen Geist ein und entlocke dir die Wahrheit.“

„Ehrlich gesagt“, sagte Sunray langsam, „Habe ich nicht das Gefühl, dass irgendwas in meinen Kopf eindringt.“

„Du wagst es also, zu behaupten meine Technik hätte keine Wirkung auf dich?“, er packte Sunray am Kragen. „In dir muss ein wirklich böser Kern stecken.“

Da klopfte es plötzlich an der Tür und eine Ponydame trat ein. Und was für eine Ponydame! Sie hatte eine hohe Statur, die Sunray sonst nur mit Prinzessin Celestia vergleichen konnte. Auch wenn er diese noch nie zuvor persönlich getroffen hatte. Ihr Fell war von einem reinem Weiß und ihre wallende Mähne von unsagbar schimmernder Schwärze. Sie kam herein und alle Ponys einschließlich Sunray konnten nicht anders als bei so viel Schönheit anerkennend zu pfeifen. Nur Sicherheitschef Tassel schien dem Neuankömmling nicht so viel abgewinnen zu können.

„Wer sind Sie? Was wollen Sie hier?“, bellte er.

„Mein lieber Sicherheitschef Tassel“, erwiderte die Dame freundlich. „Ich bitte Sie. So behandelt man doch keine Dame, nicht wahr?“

„Nein, tut man nicht“, meldete sich ein hoffnungslos verliebtes Sicherheitspony.

„Nein, ganz und gar nicht“, stimmte ein zweites zu und wischte sich den Sabber aus dem Gesicht.

„Nicht bei einer Dame wie ihnen“, meinte ein Dritter sagen zu müssen.

„Seid Still!“, fauchte Sicherheitschef Tassel. Dann räusperte er sich und fügte hinzu: „Tut mir Leid, aber ich bin gerade in einer Überführung Miss...“

„Mein Name ist Lady Mysteria“, gab die Dame höflich zurück. „Mir gehörte der Sternenkristall der gestohlen wurde.“

„Ah das trifft sich gut“, sagte Sicherheitschef Tassel und schüttelte Sunray. „Dieser Bengel hier war gerade kurz davor alles zu gestehen.“

Lady Mysteria schaute von Sicherheitschef Tassel zu Sunray und zurück.

„Mein Lieber Sicherheitschef“, sagte sie dann. „Es tut mir leid ihnen das sagen zu müssen, aber ich fürchte Sie irren sich.“

Sicherheitschef Tassels Gesicht war ein Ausdruck purer Bestürzung.

„W... wa.... was?“, stammelte er.

„Was?“, fragte Sunray.

„Sie haben schon richtig verstanden“, erwiderte Lady Mysteria, trat näher und betrachtete Sunray durch ihre wunderschönen, smaragdgrünen Augen. Sunray stockte der Atem.

„Dieser Junge hat nichts mit dem Diebstahl des Sterndiamanten zu tun“, sagte die Lady.

„Madam“, sagte Sicherheitschef Tassel versöhnlich. „Dieser Junge wurde bei direktem Kontakt mit der Diebin gesichtet und hat vorsätzlich ihre Festnahme verhindert.“

„Ach, tatsächlich?“

Sunray schüttelte den Kopf.

„Sicherheitschef Tassel“, sagte Lady Mysteria. „Ich würde vorschlagen, dass Sie diesen armen Jungen jetzt gehen lassen. Er hat schon genug für einen Tag durchgemacht.“

„Ja, aber... ja, aber... ja, aber...“, stammelte Sicherheitschef Tassel.

„Wie ich schon sagte, bin ich davon überzeugt, dass dieser Junge nichts mit dem Diebstahl zu tun hat. Er war einfach nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.“

„Ja, sowas passiert mir häufiger“, rutschte es Sunray heraus.

Widerstrebend ließ Sicherheitschef Tassel Sunray los. „Na schön, Bursche“, knurrte er. „Wenn die Dame es so will, kann ich nicht viel dagegen machen. Aber merk dir eins: Dem Huf des Gesetzes wirst auch du nicht ewig entkommen.“

Das war das letzte was man zu Sunray sagte, als er endlich gehen durfte und das Museum verlassen konnte. Die Augen von Lady Mysteria hatten sich in seinen Kopf gegraben.

Kapitel 03

Kapitel 3

Serenity drückte sich in eine dunkle Seitengasse und lehnte sich gegen die kalte Häuserwand. Endlich hatte sie es geschafft. Sie war im Besitz des Sterndiamanten. Jetzt konnte doch noch alles gut werden.

Ein wenig tat ihr dieser Sunray schon leid, aber sie hatte keine Wahl gehabt.
 

Und Hilfe wird kommen von den Strahlen der Sonne. -
 

Sunray – also Sonnenstrahl.

Viel mehr hatte sie sich ihn zunutze gemacht, als dass er ihr freiwillig geholfen hatte. Aber vielleicht war auch gar nicht von ihm in dem Vers die Rede.

Wie auch immer. Jetzt hatte sie was sie brauchte.

Freudig öffnete Serenity ihre Tasche und erstarrte.

Das was da drin war, war ganz und gar nicht der Sterndiamant.
 

Es war schon dunkel als Sunray an der leeren Bahnstation stand und auf die Straßenbahn wartete, für die Hoofston übrigens berühmt war. Es war kein einziges Pony auf den Straßen, aber Sunray wurde trotzdem das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.

Er begann ein wenig den Bahnsteig auf und ab zu schlendern und versuchte dabei unauffällig in alle möglichen Richtungen zu schauen, aber er sah niemanden.

Bestimmt bildete er sich das alles nur ein.

Seufzend setzte er sich auf eine Bank. Heute war einfach zu viel passiert.

Sunray schaute hoch zu den Sternen. Plötzlich merkte Sunray, wie ihn eine unsichtbare Macht hochhob, und schon wurde er in eine dunkle Ecke des Bahnhofs gezogen. Kopfüber baumelnd hing er wehrlos in der Luft. Aus dem Schatten trat eine Gestalt, die ihr Gesicht unter einer großen Kapuze versteckte.

Sunray hätte gerne geschrien, aber sein Mund war auf einmal wie zugeklebt.

„Psscht!“, sagte die Gestalt. „Für wen arbeitest du? Wo ist der Diamant? Was hast du damit vor?“

Sunray schaute verdutzt mit den Augen hin und her.

„Nun?“, sagte die Gestalt.

„Mmmhh“, machte Sunray.

„Oh“, sagte die Gestalt und der Zauber um Sunrays Mund verschwand.

„Jetzt antworte!“

„Ich weiß nicht genau, welche dieser Fragen ich zuerst beantworten soll“, krächzte Sunray.

Ein kurzer Moment des Überlegens. „Der Diamant. Wo ist er?“

„Der Diamant aus dem Museum?“

„Natürlich.“

„Ist geklaut worden.“

„Ja, Von dir.“

„Nein, nicht von mir. Von einem Einhorn namens Serenity.“

„Du Dummkopf.“ Die Gestalt ließ Sunray zu Boden fallen und warf sich Kapuze zurück. „Ich bin Serenity.“

Sie war es tatsächlich. Verdutzt starrte Sunray sie an.

„Beantworte meine Frage“, verlangte sie.

„Ich habe doch keine Ahnung wo dieser Diamant ist. Du hast ihn doch gestohlen.“

„Und du hast es dann mir gestohlen.“

„Ich – WAS?“

„Stell dich nicht dumm.“ Serenitys Augen funkelten. „Als wir zusammengestoßen sind, hast du den Diamanten ausgetauscht und mir das hier untergejubelt.“ Sie hielt Sunray etwas unter die Nüstern, das er selbst erst auf den zweiten Blick als die extrarutschige Seife erkannte.

Also wenn Serenity die Seife anstatt des Diamanten hatte und der Diamant im Museum nicht aufgetaucht war, wo war er dann? Sunray Blick fiel auf Serenitys Satteltaschen.

„Das sind meine“, entfuhr es ihm. „Das sind meine Satteltaschen.“

„Was?“

„Ja, das sind meine Satteltaschen. Du musst sie vertauscht haben, als wir zusammengestoßen sind.“

„So ein Quatsch! Gar nichts habe ich vertauscht.“

„Aber das sind meine.“

„Sind sie nicht.“

„Doch.“

„Nein.“

„Dann sieh mal her“, sagte Sunray, nahm Serenity die Taschen ab und öffnete sie. Auf einem eingenähten Zettle stand.

Eigentum von Sunray

Bei Verlust zurückzugeben an Sunray.

Sunray, kapiert?

Darunter war ein ziemlich schlecht gezeichnetes Bild von Sunrays Gesicht.

„Siehst du?“, sagte Sunray.

Serenity erwiderte kühl Sunrays Blick und versuchte sich die Beschämung nicht anmerken zu lassen.

Sunray öffnete die Tasche die er mitgenommen hatte.

Und tatsächlich, das was er herausholte war wirklich der Sterndiamant.

Sunray hatte ihn also die ganze Zeit gehabt.

Sofort griff Serenity danach mit ihrer Einhornmagie. Aber Sunray hielt ihn weiter fest.

„Lass los“, verlangte Serenity und versuchte Sunray den Stein zu entreißen. Sie ließ den Stein hoch und wieder runter sausen, ließ ihn eine enge Zickzackbahn und Spiralen fliegen, aber auch das rasend schnelle um sich selbst drehen brachte Sunray nicht dazu loszulassen. Es brachte ihm höchstens Übelkeit.

„Lass endlich los!“

„Nein“, würgte Sunray hervor. „Du bischt 'ne Diebin. Ma hat immer gesagt, man soll nicht klauen.“

In der Ferne ertönte der Schlag einer Glocke.

„Ich hab für sowas jetzt keine Zeit. Lass endlich los und verschwinde von hier sonst bist du auch noch in Gefahr.“

„In Gefahr? So wie ich das sehe bin ich jetzt schon in Gefahr“, erwiderte Sunray, der kopfüber mehrere Hengstlängen über dem Boden baumelte.

Die Glocken schlugen weiter.

Na gut wenn nicht auf die harte Tour, dann eben auf die sanfte. Serenity ließ Sunray sinken und schaute ihm eindringlich in die Augen.

„Bitte, Sunray, bitte“, sagte sie mit flehender Stimme. „Bitte gib mir den Sterndiamanten. Es ist sehr, sehr wichtig, dass er nicht in die falschen Hufe gerät. Bitte.“

Sunray sah sie an, sah ihre großen, wunderschönen Augen, die fast schon mit Tränen zu ringen schienen, sah, dass es ihr wirklich wichtig sein musste, dass sie nicht log in diesem Moment.

„Nö“, sagte Sunray und schloss die Hufe noch enger um den Sterndiamanten.

„Du blöder, dummer, Heukopf!“, fauchte Serenity.

Sie versuchte Sunray von dem Diamanten zu lösen, da schlug die Glocke ein letztes Mal.

Ein dunstiger, eiserner Nebel füllte die Straßen wie von Geisterhuf. Eine drückende Stille senkte sich über sie. Als wäre die Zeit plötzlich aus den Fugen geraten. Sunray hatte plötzlich ein ganz schlechtes Gefühl und dieses Gefühl hatte sich dummerweise noch nie geirrt.

„Was ist los?“, wollte er flüstern, doch Serenity die gespannt die Straße herunterblickte hielt ihm den Mund zu.

„Wff ift lof?“, sagte er.

„Schht!“

Hufgetrappel, quietschende Räder.

„Du musst hier weg“, sagte Serenity. „Schnell.“

„Was?“

Sie schubste Sunray, dass er sich endlich bewegte. Doch da stürmten plötzlich zwei Ponys aus dem Nebel. Pechschwarz waren sie, mit eisernen Masken und rot leuchtenden Augen. Ihre Hufe schlugen weiße, beißende Funken bei jedem Schritt auf dem Boden. Hinter sich her zogen sie eine eiserne Kutsche. Sie galoppierten an dem loslaufenden Sunray vorbei und versperrten ihm den Weg. Die Tür schwang von allein auf. Drinnen saß ein schmaler Hengst mit hagerem Gesicht, einer runden Brille auf der Nase und kühlen Augen.

„Den Schlüssel. Gib ihn mir“, sagte er.

Serenity stampfte mit dem Huf auf. „Wenn du glaubst, dass ich ihn dir freiwillig gebe“, sagte sie, „hast du nichts weiter als Stroh im Kopf.“

Der schmale Hengst blickte zu Serenity. „Halte mich nicht für dumm. Ich weiß, dass du den Diamanten nicht hast.“ Seine kalten, eisblauen Augen fielen auf Sunray. „Sondern er.“

Die eisernen Ketten mit denen die dämonischen Ponys die Kutsche gezogen hatten, fielen rasselnd zu Boden und schnaubend traten sie auf Sunray zu.

Serenity rief: „Schnell, hau ab!“

Sunray hatte gerade keine Ahnung was vor sich ging. Total verwirrt blickte er alle nacheinander an. Was sollte er tun?

„Jetzt mach schon!“

Die dämonischen Ponys fauchten, Rauch quoll unter ihren Hufen hervor, ihre Augen loderten grimmig.

Nun war Sunrays Stunde gekommen. Schließlich konnte er nicht zulassen, dass ein Mädchen allein den Kampf gegen diese bösen Wesen aufnahm. Todesmutig stellte er sich zwischen die dämonischen Ponys und Serenity. Aber Sunray wäre nicht Sunray, wenn nicht auch diese edle Heldentat mächtig in die Hose gehen würde. Er machte einen Schritt auf die dämonischen Ponys zu, doch dabei verhakten sich irgendwie seine Beine und er stürzte auf seine Gegner drauf und riss sie zu Boden, wobei alle drei mit den Köpfen zusammenstießen.

Allen dreien konnte man deutlich ansehen, dass in ihren Köpfen gerade die Sterne tanzten.

„Ihr Idioten!“, schrie der hagere Hengst.

Serenity hob Sunray mit ihrer Magie auf und preschte davon.

Sunray der kopfüber neben ihr in dem Magiefeld flog murmelte etwas wie: „Schmausebrause. Uooahhh.“

„Du Heukopf“, sagte Serenity.

Vielleicht lag es an der Gehirnerschütterung die er hatte, aber er glaubte zu hören, wie Serenity ein klein wenig lachte.

„Ich kann dich nicht mehr lange halten“, keuchte Serenity. „Du musst laufen.“

„Ich sehe immer noch Funken tanzen“, lallte Sunray.

Serenity warf einen Blick zurück.

„Das ist nicht in deinem Kopf“, sagte sie. „Sie sind hinter uns her.“

Mit einer überponischen Geschwindigkeit holten die dämonischen Ponys auf.

Serenity ließ Sunray laufen. Das eine dämonische Pony galoppierte plötzlich neben ihm und versuchte Sunray abzudrängen. Sunray und das dämonische Pony blitzten sich an und dann krachten beide in eine Reihe von Mülleimern.

Serenity wurde von dem anderen dämonischen Pony überholt und aufgehalten. Ihr Horn schimmerte bedrohlich, doch sie wich zurück.

Sunray konnte sich vor dem dämonischen Pony aus dem Müll befreien, sah, dass Serenity in Schwierigkeiten war, sprang auf und griff sich eine Mülltonne.

Das dämonische Pony im Müll zischte warnend, als Sunray sich unbemerkt nähern wollte. Das andere dämonische Pony fuhr herum und erblickte Sunray, der mit erhobener Mülltonne hinter ihm stand.

Das dämonische Pony fauchte und Sunray, er rutschte auf einer Bananenschale aus, fiel zu Boden und die Mülltonne fiel mit dem offenen Ende über ihn.

Die dämonischen Ponys sahen sich verdutzt an und dann geschah etwas seltsames: die beiden fingen an zu lachen.

„Hey“, sagte Sunray beleidigt.

Serenity nutzte ihre Chance. Sie packte das dämonische Pony und warf es zu dem anderen in den Müll. Mit von Abfall überhäuften Köpfen, sahen sich die beiden an, das eine begann wieder zu lachen und bekam dafür von dem anderen einen faulen Apfel in den Mund gesteckt.

Dann begannen beide sich zu prügeln.

Sunray und Serenity konnten sich dadurch unbemerkt aus den Staub machen.

Kapitel 04

Kapitel 4
 

Es war klar, dass jetzt erst Mal ein gutes Versteck her musste. Aber dafür konnte Sunray ohne weiteres Sorgen. Er führte Serenity durch einige Straßen und dann stiegen sie durch ein schmales Fenster in einen dunklen Keller.

„So, hier sind wir erst mal sicher“, sagte Sunray.

Serenity fühlte sich sehr unwohl. Sie war die Hilfe von anderen Ponys nicht gewohnt, hatte alles, was sie hierher geführt hatte, bis jetzt allein bewältigt. Niemand hatte ihr ihre Geschichte glauben wollen, wenn sie sie erzählt hatte. Man hatte sie ausgelacht und verrückt genannt. Irgendwann war Serenity klar geworden, dass sie nicht auf die Hilfe anderer bauen konnte und so hatte sie sich einzig und allein auf sich selbst verlassen.

Und jetzt war da Sunray. Der tollpatschige, liebenswürdige Sunray, der versucht hatte ihr zu helfen.

Sie konnte nicht anders. Sie musste ihm wenigstens etwas erzählen. Das war sie ihm schuldig. Auch wenn er sie gleichfalls wie alle anderen auslachen und wegschicken würde.

„Sunray“, begann Serenity nervös. „Ich weiß du hast jetzt bestimmt eine Menge Fragen...“

„Also mich interessiert im Moment nur, was es heute zu essen gibt.“

„Du Heukopf. Ich meine es ernst. Diese Leute sind gefährlich. Wenn sie herausfinden wo du wohnst, werden sie dich jagen, genauso wie mich. Sie werden vor nichts zurückschrecken um an den Sterndiamanten heranzukommen.“

„Das Ding muss ja echt ein Vermögen wert sein“, bemerkte Sunray.

Serenity schüttelte den Kopf. „Es geht ihnen nicht um Geld. Der Sterndiamant ist viel mehr Wert als alle Bitz der Welt zusammen. Er ist ein Schlüssel.“

„Stimmt, dieser komische Hengst hat doch auch so was gesagt.“

„Genau. Dieser Diamant ist Wegweiser und Schlüssel zu einer untergegangenen und fast vergessenen Stadt. Er ist das letzte Überbleibsel der Sternstadt.“

Jetzt war es raus. Bestimmt würde Sunray sie jetzt vor die Tür setzen.

„Wow“, sagte Sunray. „Krass.“

Serenity sah ihn verdutzt an. „Das ist alles, was du dazu zu sagen hast?“

„Ähm... Mega-wow. Doppel-krass.“

„Du Heukopf. Jedenfalls...“

„A-a-a. Lass mich raten. Die anderen sind echt böse Leute die die Herrschaft über die Sternstadt anstreben oder sowas und du willst das verhindern.“

„Ähm... ja“, sagte Serenity überrascht. „Mehr oder weniger stimmt das. Woher weißt du das?“

„Ach, in den Geschichten ist das doch immer so. Oh Mann, hab ich einen Hunger.“

Plötzlich ging die Kellertür auf und Licht flutete herein. Ein kleines Fohlen stand auf der Treppe und blickte überrascht von Sunray zu Serenity. Dann rief es nach draußen: „Mum, Sunray hat seine Freundin mit in den Keller genommen.“

Sofort schnellte Sunray vor und hielt dem Fohlen den Mund zu, doch schon drängten sich mindestens ein dutzend weitere Ponys in die Tür, alle verschieden alt und hämisch grinsend.

„Uuuhhh“, sagte ein Mädchen. „Sunray hat 'ne Freundin.“

„Stimmt doch gar nicht“, keifte Sunray peinlich berührt.

„Sunray hat 'ne Freundin, Sunray hat 'ne Freundin“, sangen die Ponys.

„Und ihr habt gleich meinen Huf in euren Hintern.“

„Aber Sunray“, mahnte ein kleines Pony mit dicker Brille. „Doch nicht vor deiner Freundin.“

Das brachte Sunray dazu sich auf seine Geschwister zu stürzen, die sich ebenfalls auf ihn warfen und eine große Balgerrei entstand, wie es für Sunrays Familie aber durchaus üblich war.

Bis Sunrays Mutter kam. Sie war ein rotes, leicht rundliches Erdpony mit blonder zu einem Zopf gebundener Mähne.

„Was ist hier los?“

Sofort hörten die Geschwister mit ihrer Streiterei auf und blickten als verknotete Masse auf ihre Mutter.

„'tschuldige, Ma.“

„Sunray hat 'ne Freundin mitgebracht“, drang es aus den unergründlichen Tiefen des Ponyhaufens. „Aus. Sunray hat mich getreten!“

„Stimmt nicht!“, sagte Sunray. „Das war Pennymouth.“

„Weil Mirinda meine Schleife genommen hat“, erwiderte Pennymouth.

„Passt doch auf meine Brille auf“, sagte Fleck.

„Pass doch selbst auf“, sagte Flitter.

„Okay. Jetzt ist Schluss! Alle miteinander!“, sagte Sunray's Mutter streng und begann ihre Kinder zu entknoten. Dann sah sie Serenity. Sie zog Sunrays Kopf in die Höhe. „Sunray warum hast du nicht gesagt, dass du Besuch mitbringst?“

„'tschuldige Ma. Ich wusste aber selbst nicht, dass ich welchen mitbringe.“

„Naja, ist ja halb so wild. Dann wirst du halt eine Portion weniger essen, damit unser Gast etwas hat.“

„Was? Oh mann!“

„Keine Sorge, dass muss nicht sein“, sagte Serenity. „Ich wollte eh nicht lange bleiben.“

Sunray blickte auf. „Du willst gehen?“

„Verehre deinem Geliebten doch wenigstens noch einen Abschiedskuss“, sülzte Pennymouth.

„Halt die Klappe.“ Sunray konnte Serenity doch nicht einfach so gehen lassen, nicht wenn noch immer diese dämonischen Ponys da draußen waren. Er konnte sie doch nicht bei so einer Gefahr allein lassen.

„Oh, ich glaub ich weiß was hier los ist“, sagte Sunrays Mutter. „Sunray, hast du schon wieder etwas ausgefressen und dieses nette hunge Mädchen damit in Schwierigkeiten gebracht?“

Sunrays Augen rutschten zwischen Serenity und seiner Mutter hin und her. „Naja, so ungefähr.“

„Hab ich's doch gewusst!“, rief Sunrays Mutter aus und stürmte auf Serenity zu um sie fest an sich zu drücken. „Oh mein liebes Kind, bitte nimm es Sunray nicht übel. Er ist ein Magnet was Probleme angeht. Aber was auch immer passiert ist, ist passiert und du musst dir darüber überhaupt keine Sorgen machen.“

„Das ist wirklich nett von ihnen, aber...“

„Nein, nein“, sagte Sunrays Mutter entschieden. „Ich will kein aber oder nein hören. Ich lasse dich doch nicht zu so später Stunde vor die Tür. Und was immer Sunray angestellt hat, können wir wenigstens mit einem Abendessen ein wenig wiedergutmachen.“

„Hör lieber auf sie“, raunte Sunray Serenity zu. „Sie wird dich nicht eher gehen lassen und außerdem bist du Erstmal in Sicherheit vor denen.“

„Ich weiß wirklich nicht, ob...“

„Komm schon. Ich kann dein Magenknurren bis hierher hören.“

„Das ist dein Magenknurren.“

„Stimmt. Oh Mann, hab ich einen Hunger.“

Sunrays Mutter nickte zufrieden. „Na dann, richten wir das Abendessen an.“
 

Serenity wurde von der lärmenden Schar Fohlen förmlich mit geschwemmt und in ein winziges Zimmer bugsiert, in dem nur ein Tisch stand um den sich alle Ponys zwängten.

Es gab Heuauflauf mit Karotten und Apfelsaft. Alle langten fröhlich zu und lachten und schnitten Grimassen. Für Serenity war so ein Abendessen etwas ganz neues.

„Es tut mir leid“, sagte Sunrays Ma zu ihr. „Dass mein kleiner Sunray dir Probleme bereitet hat.“

„Aber er hat doch gar nicht...“, sagte Serenity.

„ABER ICH HAB DOCH GAR NICHT...“, brüllte Sunray, wurde von seiner Mutter aber schnell durch einen gezielten Möhrenwurf zum Schweigen gebracht.

„Du hältst mal den Mund. Es kommt selten genug vor, dass du eine Freundin mit nach hause bringst.“

„Seine erste Freundin“, säuselte Buster und verteilte Kusshufe über den Tisch.

„Sie.. sie ist nicht meine erste Freundin und sie ist nicht meine Freundin. Sie ist zwar eine Freundin aber sie ist nicht meine Freundin.“

„Also Sunray. Deine Beziehung zu diesem Mädchen so abzustreiten.“ Sunrays Ma schüttelte enttäuscht den Kopf und die Kinder taten es ihr gleich.

Und Serenity sah Sunray mit großen, großen, zum Stein erweichen glänzenden Augen an, klimperte mit den Wimpern und sagte mit gespielt verletzter Stimme: „Genau Sunray. Nach allem was wir heute erlebt haben und du zu mir gesagt hast.“

Sunrays Mundwinkel krachten auf den Tisch und sprachlos starrte er Serenity an. Dann prusteten alle anderen am Tisch laut los und peinlich berührt sank Sunray in seinem Stuhl zusammen. Aber Sunray bemerkte trotzdem, dass Serenity gerade wirklich gelacht hatte.
 

Die beiden dämonischen Ponys hätten sich wohl noch die ganze Nacht lang gestritten, wenn nicht der hagere, graublaue Hengst aufgetaucht wäre und die beiden mit gekonnten Hufschlägen auseinanderbrachte.

Wütend betrachtete er die beiden dämonischen Ponys, die sich mit dicken Beulen auf den Köpfen entschuldigend vor ihm verbeugten.

Jemand hatte die beiden mit Freude gefüllt. Er konnte ihr Lachen noch immer in der Luft riechen.

Leere und Nichts waren die Namen der beiden dämonischen Ponys, entstanden nur um zu dienen und nicht um zu fühlen oder zu lachen.

„Steht auf, ihr beiden“, zischte er sie an und seine Augen blitzten kalt. „Findet sie und findet den Schlüssel.“

Leere und Nichts salutierten und rannten los, getrieben von Angst.

Er ahnte, dass seine Herrin sehr unzufrieden mit ihm sein würde.
 

Ein so ausgelassenes Abendessen hatte Serenity noch nie erlebt. Zum ersten Mal in ihrem Leben fühlte sie sich richtig Wohl.

Sie konnte sich nicht daran erinnern jemals in ihrem Leben so viel gelacht zu haben.

Bis Sunrays Mutter sich über den Tisch beugte und sagte: „So jetzt muss ich es aber wissen. Wie habt ihr euch denn kennengelernt?“

Alle wurden still starrten sie und Sunray an.

„Jetzt rück schon raus mit der Sprache“, sagte Sunrays Ma streng. „Du bist in Schwierigkeiten, das sehe ich dir von der Nasenspitze ab an. Sunray.“

Serenity schaute zu Sunray. Sie hatte eigentlich gedacht sie wäre gemeint gewesen.

Sunray presste die Lippen aufeinander, schaute zur Decke, wackelte mit den Ohren und scharte mit den Hufen.

„Äääähhhhm.“

Besorgt legte Sunrays Ma ihre Stirn in Falten. „Sunray, was hast du diesmal angestellt?“

Da stand Sunray auf, ging in den Flur und kam mit seiner Satteltasche zurück. Er stülpte sie um und der Sterndiamant landete auf dem Tisch.

Wäre es irgend möglich gewesen, die Augen der Ponys wären noch größer geworden.

Sunray wurde von dem Blick seiner Mutter aufgenagelt.

„Kinder, geht ins Bett“, sagte sie so streng, dass keiner zu widersprechen wagte.

Am Schluss waren Sunray und Serenity mit seiner Mutter allein im Zimmer.

Sunrays Ma schloss die Tür und drehte sich zu ihrem Sohn um.

„Sunray. Was hast du getan?“

„Es ist nicht, wonach es aussieht“, schaltete Serenity sich ein. „Sunray hat ihn nicht geklaut.“

„Glaub mir, das weiß ich nur zu gut“, sagte Sunrays Ma. „Sunray würde niemals etwas stehlen, dafür ist sein Herz zu gut und seine Hufe zu ungeschickt. Aber, dass er so etwas wertvolles nicht gleich zurückbringt und dabei noch so einem netten Mädchen ärger macht ist nicht gut. Sunray, du hättest es wirklich besser wissen sollen.“

„Aber ich hatte doch keine Wahl...“

„Man hat immer eine Wahl“, erwiderte Sunrays Ma streng. „Solange man nur das richtige tut. Es ist mir egal, wie du an den Diamanten herangekommen bist, aber hier bleibt er nicht.“

Sunray machte den Mund auf um etwas zu sagen.

„Keine Widerrede“, fuhr ihm seine Mutter über den Mund. „Du gehst jetzt in die Küche und spülst das Geschirr ab.“

Sunray blickte auf den Tisch voller Teller, Schüsseln, Messern, Gabeln, Löffeln, Gläsern, Tassen, Pfannen und Töpfen.

„Och, Ma. Das ist so unfair!“

Sunrays Ma klatschte ihm einen Löffel ins Gesicht.

„Wirst du wohl.“

„Ist ja schon gut.“

Kapitel 05

Kapitel 5

Während Sunray mit dem Berg an Geschirr in der Küche kämpfte, wurde Serenity von Sunrays Ma in ein kleines Wohnzimmer gebracht. Im Kamin brannte Feuer und auf dem Sims reihten sich Bilder der Kinder. Auf einigen spielten sie, auf anderen lachten sie, auf wieder anderen balgten sie.

Serenity ging die Reihe der Bilder entlang und erkannte auf einigen Sunray. Komisch. Je älter er wurde, desto mehr Kinder waren auf den Bildern. Manche die älter waren als andere tauchten erst nach den jüngeren auf. Wie war das möglich?

„Entschuldigen Sie“, sagte Serenity. „Aber sind das alles ihre Kinder?“

Sunrays Ma blickte lächelnd auf die Fotos. „Ja, das sind alles meine Kinder. Ich weiß was du sagen willst und du hast recht. Ich bin nicht ihre leibliche Mutter, aber das muss ich auch gar nicht sein um sie so zu lieben wie nur eine Mutter es kann. Über die Jahre wurden es immer mehr. Aber Sunray war der erste.“ Sie nahm ein Foto und reichte es Serenity. Darauf war ein ganz kleiner Fohlen Sunray zu sehen, wie er alle Viere von sich gestreckt mit dem Bauch über einer Couchlehne lag und tief und fest am schlafen war.

„Das war kurz nachdem ich ihn gefunden habe. Der arme Kerl. Ich weiß nicht wieso, aber eines Abends schau ich aus dem Fenster und seh ihn da Mutterseelenallein die Straße entlangstreifen. Er hatte keinen Vater und auch keine Mutter. Da hab ich ihn aufgenommen. Ich hab ihn hochgehoben und gesagt: Ab heut bin ich deine Ma. Und mit der Zeit wurden es immer mehr. Aber Sunray war der erste. Er war mein Ansporn, verstehst du? Sunray ist jemand dem man begegnet und dann nicht mehr aus seinem Leben wegdenken möchte, selbst wenn er am Anfang etwas schwierig ist.

Aber leider...“, sagte Sunray Ma und verstummte plötzlich mit einem traurigen Lächeln.

„Was?“, fragte Serenity.

„Ach, es ist nur... Sunray ist ein guter Junge, vom ganzen Herzen. Und vom ganzen Herzen liebe ich ihn, nur schafft er es nicht, auf eigenen Hufen zu stehen. Sunray versucht immer dem Ärger aus dem Weg zu gehen oder wenigstens so schnell wie möglich los zu werden. Aber heute hat er sich dazu entschieden allen Ärger über sich ergehen zu lassen und der Grund dafür bist du.“

Sunrays Ma klang ungeheuer stolz. „Es wird schon lange Zeit, dass Sunray für eine Sache einsteht. Er muss lernen eigene Entscheidungen zu treffen und mit den Konsequenzen zu leben, ohne dass ich ihn wieder raushaue.“

Serenity war sich nicht sicher, ob sie darauf etwas antworten sollte.

„Wusstest du, dass Sunray schon ewig davon träumt, die Welt zu sehen? Ich sehe ihn immer in die Ferne schauen, aber er schafft es einfach nicht sich ins Blaue zu stürzen und loszuziehen. Er braucht einen Ansporn, etwas das ihn dazu bringt den ersten Schritt zu machen.

Ich glaube, dass du genau das Pony bist, auf das wir gewartet haben.

Sunray wirkt auf den ersten Blick ungeschickt und hilflos. Aber in ihm steckt noch so viel mehr. Er muss nur lernen es zu zeigen. Und das kann er nicht, wenn er ewig nur zu Hause bleibt.“

Danach brachte Sunrays Ma Serenity auf Sunrays Zimmer, die typische Rumpelbude eines Jungen, mit herumliegenden Klamotten und verstreuten Spielsachen, einem Globus in einer Ecke einem Regal mit abgegriffenen Büchern und einer Hängematte unter dem Fenster das zur Straße zeigte. Sunrays Ma holte eine große Strohmatratze hervor und breitete einige Kissen und Decken darauf aus.

Serenity fühlte sich plötzlich sehr Müde. Ein paar Stunden Schlaf würden ihr bestimmt nicht schaden. Sie legte sich aufs Bett und schlief fast sofort ein. Und sie konnte sich nicht erinnern, jemals so gut geschlafen zu haben.
 

Nach einiger Zeit kam Sunray ins Zimmer, wobei er natürlich prombt über irgendetwas stolperte und mit einem dumpfen Aufschlag auf die Nase fiel.

Serenity schlug die Augen auf.

„Tut mir leid“, flüsterte Sunray. „Ich wollte dich nicht wecken.“

„Ist schon okay“, erwiderte Serenity und setzte sich auf.

Einen Moment lang herrschte Schweigen.

Sunray brannte eine Frage auf der Zunge, auch wenn er sich sehr unwohl fühlte sie zu stellen. „Was“, fragte er langsam, „hast du jetzt eigentlich vor?“

Serenity hob fragend die Augenbrauen.

„Ich meine, du kannst gerne hier bleiben, wenn du willst“, sagte Sunray schnell. „Das ist kein Problem. Aber Ma hat recht. So ein wertvoller Diamant kann hier nicht bleiben. Und zurückbringen wirst du ihn ja wohl auch nicht, oder?“

Serenity sah Sunray an und sagte: „Ich muss in die Sternstadt.“

„Okay, und wie kommt man da hin?“, fragte Sunray.

Serenity war verwundert.

Hätte sie das zu anderen Ponys gesagt, wäre sie ausgelacht und für verrückt erklärt worden. Man hätte sie für schwachsinnig gehalten und für eine Lügnerin. Niemand hätte ihr geglaubt.

Aber Sunray tat es. Sunray war anders.

Auf eine nette Art war er eigentlich einfach nur Naiv. Ihr einfach so zu glauben, was sie da sagte.

Aus ihrer Satteltasche holte Serenity die Karte heraus, eine Schriftrolle, die in einem hübschen Gehäuse aus Metall aufgerollt war.

Sie entrollte das Papier und legte es zwischen sich und Sunray auf den Boden. Sunray schaute es nachdenklich an. Dann sah er auf.

„Was ist das?“, fragte er.

„Das ist die Karte zur Sternstadt“, antwortete Serenity.

„Aber“, sagte Sunray. „Da steht ja gar nichts drauf.“

Er hatte recht. Das Papier war völlig unberührt, abgesehen von einigen Zeilen am Rand.
 

Das Königreich das zu den Sternen führt

schon vergangen vor langer Zeit

der Stein der dazu den Schlüssel birgt

im Königreich der zwei Schwestern weilt
 

Des Sternreichs letzte Erbin

sieht, dass die Zeit nun komme.

Weiß nicht ob sie leben wird oder sterben

Und Hilfe wird kommen von den Strahlen der Sonne.
 

Durch Streit getrennt und auf die Prop' gestellt

Freundschaft ist was Herzen bindet

Einer der stets zum andern hält

Und mit dem Herz sich immer findet.
 

Erreicht sie dann die Sternstadt

weiß nicht was kommt, was war, was ist,
 

Die letzten zwei Zeilen, verdeckte Serenity mit ihrem Huf.

Sie wollte nicht, dass Sunray las, was dort geschrieben stand.

Der schaute sie wieder nur verständnislos an.

„Und was soll das bedeuten?“, fragte er.

„Na eben alles“, erwiderte Serenity. „Das ist eine Vorhersage, die schon vor mehr als tausend Jahren niedergeschrieben wurde. Sogar noch früher. Noch vor dem Fall, des Sternreichs.

Sunray blinzelte. „Aha.“

Serenity seufzte. „Du verstehst es nicht, oder?“

Sunray schüttelte den Kopf. „Ich war noch nie gut im Rätsel lösen.“

„Na schön, ich erkläre es dir“, sagte Serenity und rückte näher. „Der erste Teil geht so: Das Königreich das zu den Sternen führt/ schon vergangen vor langer Zeit.

Damit ist ganz klar das Sternkönigreich gemeint.“

Sunray nickte einverstanden.

„Und dann kommt: Der Stein der dazu den Schlüssel birgt/ Im Königreich der zwei Schwestern weilt. Das Königreich der zwei Schwestern ist ganz klar Equestria, das von Prinzessin Luna und Prinzessin Celestia regiert wird. Und der Stein oder auch der Schlüssel, der zum Sternkönigreich führt, ist der Sterndiamant.“

Wieder zustimmendes nicken von Sunray.

„Jetzt der zweite Teil: Des Sternreichs letzte Erbin/ sieht, dass die Zeit nun komme/ weiß nicht ob sie leben wird oder sterben/ und Hilfe wird kommen von den Strahlen der Sonne.“

„Des Sternreichs letzte Erbin“, wiederholte Sunray nachdenklich. „Die letzte Überlebende einer längst untergegangenen Stadt. Die muss ja Uralt sein.“

„Du Heukopf. Sie sitzt direkt vor dir.“

„Du bist damit gemeint?“, stieß Sunray ungläubig hervor.

„Ja natürlich bin ich damit gemeint!“, erwiderte Serenity unwirsch. „Was dachtest du denn?“

„Keine Ahnung“, stammelte Sunray. „Ich dachte du arbeitest für irgendeine uralte Schrulle, oder sowas.“

„Wie kommst du denn auf so etwas?“

„Keine Ahnung“, sagte Sunray noch einmal. „Ich meine... wie... woher weißt du denn, dass du diese Erbin bist? Das Königreich ist doch schon vor Ewigkeiten untergegangen.“

Natürlich hatte Sunray recht. Serenity musste einen Beweis erbringen. Schließlich konnte, ja jeder behaupten von königlichem Geblüt zu sein, ohne, dass es wahr war.

„Manche Dinge überdauern die Zeiten“, sagte Serenity. Damit deutete sie auf ein Zeichen, welches Hufgroß neben den Zeilen zu sehen war. Es schien eine Art Erkennungszeichen zu sein, ein Emblem, ein...

„Das ist das Wappen der Könige der Sternstadt“, sagte Serenity.

„Und?“, fragte Sunray.

„Das gleich Zeichen“, sagte Serenity, stand auf und drehte sich ein wenig zur Seite, „ist mein Cutiemark.“

Tatsächlich. Das Zeichen auf Serenitys Flanke war das gleiche, wie auf der Karte. Die Zeichen glichen sich wie ein Ei dem anderen. Es gab keinen besseren Beweis für Serenitys Herkunft als diesen. Ein Cutiemark war ein Sinnbild welches die inneren Stärken, Besonderheiten oder Fähigkeiten offenlegte. So etwas ließ sich nicht ohne weiteres fälschen. Oder etwa doch?

Sunray zog ein Tuch hervor und versuchte damit Serenitys Cutiemark abzureiben.

„Was soll denn das?“, rief Serenity wütend und verpasste Sunray eine scherzhafte Kopfnuss.

„Ich wollte nur wissen, ob das Cutiemark echt ist“, röchelte Surnay am Boden.

„Natürlich ist es echt, du Heukopf.“

„Okay“, sagte Sunray und setzte sich auf. „Du bist also die Erbin der Sternstadt. Und wie geht’s weiter?“

„Und Hilfe wird kommen von den Strahlen der Sonne“, las Serenity vor. „Drei mal darfst du raten, wer damit gemeint ist.“

Sunray blickte sie an, wie jemand der sich fragt, ob er gerade auf den Arm genommen wird.

„Ich?“, sagte er langsam.

„Ja, genau du.“ Serenity nickte. „Was die anderen Zeilen zu bedeuten haben, weiß ich auch noch nicht. Das muss sich erst noch zeigen.“

Wieder verdeckte sie die letzten zwei Zeilen mit ihrem Huf. Sie wollte selbst nicht lesen, was da geschrieben stand.

Sunray blickte verträumt vor sich hin. „Ich komme in einer Prophezeiung vor“, murmelte er. „Das wird mir nie jemand glauben.“ Dann blickte er auf. „Aber eins versteh ich trotzdem nicht. Du hast doch gesagt das sei eine Karte. Aber, wie gesagt: Das Ding ist blank.“

Serenity sah ihn mit einem verschwörerischen Lächeln an. Sie ließ den Sterndiamanten hervor schweben und legte ihn auf die Mitte der Papierrolle. Dann löschte sie das Licht.

Dunkelheit umfing sie. Nur ein Mondstrahl fiel durch das Fenster und direkt auf den Sterndiamanten. Dieser begann zu funkeln und zu leuchten, sich mit dem Licht vollzusaugen. Und das Licht zog Bahnen über das Papier, kreuz und quer, bis schließlich eine vollkommene Karte darauf zu erkennen war.

Komisch. Das was da zu sehen war, sah aus wie Hoofston. Und es war auch Hoofton. Der Sterndiamant zeichnete eine Karte seiner direkten Umgebung und ein leuchtender Punkt, der wie ein Fingerzeig von ihm ausging, deutete energisch in Richtung Süden, über die Grenzen Equestrias hinaus, das wussten beide.

„Nach Süden also“, murmelte Serenity.

„Das sieht ziemlich weit aus“, meinte Sunray, obwohl er eigentlich keine Ahnung hatte.

„Das ist egal“, erwiderte Serenity entschieden. „Ich muss dahin.“

„Und wie willst du dahin kommen?“, fragte Sunray.

„Zuerst werde ich den Zug Richtung Süden nehmen. Danach sehe ich weiter.“

„Und... und wann willst du los? Doch nicht schon jetzt, oder? Und ganz allein.“

Serenity sah auf. Sie wusste, was in ihm vorging. „Sunray“, sagte sie. „Ich kann dich nicht mitnehmen. Das ist viel zu gefährlich. Du hast mir heute schon so geholfen, wie noch nie jemand zuvor. Du hast hier deine Familie, setz das nicht aufs Spiel wegen mir.“

Sunray schluckte schwer.

„Okay“, sagte er mit belegter Stimme.
 

Es war schwer für Sunray Schlaf zu finden.

Er lag wach in seiner Hängematte am Fenster und blickte raus auf die Straße. Immer wieder schoben sich die gleichen Gedanken durch seinen Kopf, ohne, dass er sie abstellen konnte.

Er würde Serenity so gern begleiten. Aber wäre er wirklich eine Hilfe? Wohl eher nicht. Die Liste seiner Misserfolge war nahezu endlos lang, er war sich nicht einmal sicher, ob er jemals irgendetwas richtig gemacht hatte. Es ging hier schließlich um das Schicksal eines gesamten Königreichs. Um die Heimat von Serenity. Das konnte er doch nicht aufs Spiel setzen, nur um sich selbst zu beweisen, dass er doch zu etwas gut war.

Dabei würde er Serenity doch so gern begleiten.
 

Während Sunray langsam einschlief, blieb Serenity wach und dachte nach. Eine solche Gastfreundschaft und Herzlichkeit hatte sie noch nie erlebt und wenn ihr doch einmal jemand hilfsbereit gegenübergestanden hatte, hatte sie diese Bereitschaft mit kühle und zurückweisung erwidert.

Im Moment war sie nicht sicher was sie fühlte. Es war eine Art von Angst, die ihr bis dahin völlig fremd gewesen war: die Angst nicht nur um sich selbst sondern auch um jemand anderen, nämlich Sunray und seine Familie.

Als Sunray endlich leise zu Schnarchen anfing schlüpfte Serenity aus dem Bett, warf sich ihre Satteltaschen über den Rücken und schlich nach unten.
 

Schließlich musste er doch eingeschlafen sein, aber nur ganz kurz, denn es hatte sich kaum etwas verändert. Es war noch immer tiefste Nacht und der Mond war nicht gewandert und – Serenity war weg! Sie war nicht mehr da.

Sunray fiel aus der Hängematte und stolperte die Treppe hinunter. Serenity wollte das Haus durch den Hinterausgang verlassen. Sie hatte ihre Satteltaschen umgelegt und hob gerade den Huf zur Klinke, als Sunray rief: „Warte!“

Serenity zuckte zusammen und drehte sich zu ihm um. „Sunray“, zischte sie. „Was machst du denn hier?“

„Das könnte ich dich auch fragen“, entgegnete Sunray.

„Ich muss los.“

„Du haust ab.“ Sunrays Stimme klang vorwurfsvoll. „Ohne dich zu verabschieden.“

„Je eher ich fort bin, desto eher sind deine Familie und du sicher“, verteidigte sich Serenity. „Der erste Zug nach Süden kommt in ein paar Minuten. Bis zum Bahnhof schaffe ich es noch. Mach's gut.“

Ehe sie sich umdrehen konnte, streckte Sunray den Huf nach ihr aus.

„Serenity warte!“

Sie blickte ihn an. Sunray schwieg. Blickte sie nur an.

„Was denn?“, fragte Serenity.

Sunray druckste. „Keine Ahnung. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“

„Du Heukopf“, stöhnte Serenity.

Plötzlich trommelte wildes Türklopfen durch das ganze Haus. Wütend hämmerten Hufe gegen Vorder- und Hintertür.

„Das sind sie“, hauchte Serenity.

Und tatsächlich stand vor jeder Tür ein Dämonisches Pony und beide sagten von draußen: „Hallo, wir sind's. Lasst uns rein, wir wollen euch den Schlüssel abnehmen.“

Tiny Sue, eine von Sunrays kleinen Schwestern, hatte gerade in der Küche ein Glas Wassser getrunken und trat nun verschlafen in den Flur vor die Haustür.

„Ja?“, sagte sie und rieb sich ein Auge.

„Lass uns rein“, verlangten die Dämonischen Ponys.

„Wer ist denn da?“, frage Tiny Sue.

„Nichts“, war die Antwort. „Und Leere. Jetzt lass uns rein.“

„Tut mir leid. Wenn niemand vor der Tür steht, kann ich auch niemanden reinlassen.“

Wieder hämmerten die Dämonischen Ponys gegen die Türen. Sie warfen sich dagegen, dass sie fast aus den Angeln flogen. Sunray stürmte zur Vordertür und stemmte die Tür mit aller Kraft zu, Serenity tat das Gleiche mit der Hintertür. Aber lange würden sie das nicht durchhalten können.

Sie saßen in der Falle.

„Hättest du mich doch einfach gehen lassen!“, rief Serenity wütend.

„Dann wären sie dir auch schon auf den Fersen“, erwiderte Sunray.

„Ja, aber nur mir.“

„Wie kann man nur so stur sein?“

„Das sollte ich eigentlich fragen.“

„Wieso willst du dir nicht helfen lassen?“

„Ich habe bis jetzt alles gut allein hinbekommen.“

„Ja, aber jeder braucht doch mal einen Freund. Und wir sind doch Freunde, oder?!“

Serenity wusste nicht, was sie darauf antworten sollte. Und das musste sie auch nicht, denn Sunrays Ma kam mit der ganzen Familie die Treppe hinunter, verärgert über diese späte Störung.

„Was ist hier los?“, wollte sie wissen.

„Ma“, rief Sunray. „Die sind hinter ihr her. Wir müssen Serenity hier raus schaffen.“

Mehr musste er nicht sagen.

„Los Kinder! Helft Sunray mit der Tür!“, kommandierte sie.

Sofort drängten sich die Kinder um Sunray und halfen die Tür zuzuhalten. Aber Leere, der von der anderen Seite eindringen wollte, schaffte es endlich die Tür, die Serenity zuzuhalten versuchte, aufzutreten. Serenity stolperte nach hinten und Leere sprang herein. Bei dem Anblick des Dämonischen Ponys brachen die Kinder in wildes Geschrei aus und Sunrays Ma schob sie schnell in die Küche. Nun brach auch die Haustür und Nichts trat ein.

Sunray und Serenity drückten sich Rücken an Rücken. Gleich würden sich die Dämonischen Ponys auf sie stürzen.

Aber Sunrays Familie war nicht aus Angst in die Küche geflüchtet, sondern um sich zu bewaffnen. Mit Helmen aus Töpfen und Pfannen und Holzlöffeln und allem was man zum draufhauen benutzen konnte als Waffen, stürmten sie aus der Küche und prügelten in einer gewaltigen Wolke auf die Dämonischen Ponys ein.

„Macht das ihr hier wegkommt!“, rief Sunray's Ma mit einem Nudelholz bewaffnet ihm und Serenity zu. „Los!“

„Aber Ma“, stammelte Sunray.

„Du weißt, was ich immer sage, Sunray: Es ist alles gut, solange man das richtige tut.“

Sunray sah zu Serenity und dann zu seiner Mutter. Er nickte. Er würde das tun, was er für richtig hielt. Und diesmal würde es nicht in einer Katastrophe enden.

„Ma, ich werde Serenity helfen“, rief er ihr zu.

„Tu das“, sagte seine Ma und zog einem der Dämonischen Ponys eins über. Sie war noch nie so stolz gewesen.

„Mach's gut“, sagte Pennymouth.

„Bring mir was mit“, meinte Tiny Sue.

„Pass auf deine Freundin auf“, grinsten Fleck, Blue Ribbon, Flitter und Mirinda.

„Du schaffst das schon“, riefen Thin Jim, Big Mick und Small Tall.

„Jetzt mach schon, dass du wegkommst. Wir kümmern uns um alles“, sagte Buster und schwang seine Nunchakus.

Sunray drängte Serenity nach draußen.

„Aber deine Familie“, sagte sie.

„Die kommen klar“, erwiderte Sunray, doch Tränen standen in seinen Augen. Er hätte seiner Ma so gern gesagt, wie leid ihm das alles tat. Der ganze Ärger, den er ihr über all die Jahre gemacht hatte. All die Probleme die er bereitet hatte. Und trotzdem hatte sie ihn nie aufgegeben.

Serenity blickte ihn mitfühlend an.

„Sunray.“

„Komm schon“, sagte er. „Wir müssen einen Zug erwischen.“

Kapitel 06

Kapitel 6

Sie rannten so schnell sie konnten. Sunray ein klein wenig voraus, denn er kannte den Weg zum Bahnhof bestens. Der Zug würde, es war jetzt fast halb eins, in wenigen Minuten abfahren und eine solche Gelegenheit würden sie so schnell nicht wieder bekommen.

Aber eine Hürde sollten sie noch überwinden müssen und die hieß: Sicherheitschef Tassel.

Dieser war nämlich, gedemütigt von seinem Misserfolg, die ganze Nacht durch die Straßen der Stadt gewandert und hatte vor sich hin gegrübelt. Es passte ihm einfach nicht, dass dieser ungeschickte Pegasus nichts mit dem Diebstahl des Sterndiamanten zu tun haben sollte.

Und wie der Zufall so wollte, kreuzten sich ihre Wege kurz vor dem Bahnhof. Das heißt, Sunray lief mit voller Wucht in ihn rein.

Zuerst schüttelte Sicherheitschef Tassel noch benommen den Kopf, doch dann erkannte er Sunray.

„DU!“, schrie er.

„Wah! Der Schnurbart!“, schrie Sunray.

„Ich heiße Sicherheitschef Tassel!“

„Ihr Vorname ist echt Sicherheitschef?“

Der Zug ließ ein Pfeifen hören.

Serenity rief: „Sunray! Komm schon.“ was die Aufmerksamkeit des Sicherheitschefs auf sie lenkte.

„Ah, die Diebin“, entfuhr es ihm triumphierend, denn er sah sich nun in all seinen Vermutungen bestätigt. „Ich wusste doch, dass ihr zusammen arbeitet.“

Er schlang seinen Vorderhuf um Sunray's Hals und drückte ihn fest an sich. Dieser fing an zu lachen.

„Was ist los?“, verlangte Sicherheitschef Tassel zu wissen. „Was ist so lustig?“

„Nichts“, kicherte Sunray. „Nur der Bart ist so kitzelig.“

„Du kannst dem langen Huf des Gesetzes...“, begann Sicherheitschef Tassel, doch, weil er seinen Mund bewegte kitzelte der Bart nur umso mehr an Sunrays Nacken und wurde von dessen schallenden Gelächter übertönt.

„Du kannst dem langen Huf des Gesetzes...“, versuchte der Sicherheitschef es noch einmal, aber schon wieder wurde er von Sunray unterbrochen.

„... Dem langen Huf des Gesetzes...“

Sunray quietschte mit Tränen in den Augen vor Lachen.

„Verdammt, hör schon auf zu Lachen“, schrie Sicherheitschef Tassel wütend und schüttelte Sunray.

„Ich kann nicht“, keuchte dieser. „Der lange Bart des Gesetzes ist so kitzelig.“

„Das heißt nicht der lange Bart, sondern der lange Arm“, verbesserte Tassel.

„Arm?“, fragte Sunray verdutzt. „Was ist denn ein Arm?“

„Ach, ich meine natürlich Huf. Dem langen Huf des Gesetzes...“

Wieder prustete Sunray los.

Wieder ein Pfiff und der Zug setzte sich langsam in Bewegung.

„Sunray!“, schrie Serenity.

Sunray sah zur Seite und fragte erstaunt: „Was ist das denn?“

Der Sicherheitschef fiel auf den alten Trick rein. „Was?“, fragte er und schaute ebenfalls zur Seite.

Diese kurze Unaufmerksamkeit reichte Serenity aus. Sie blendete den Sicherheitschef mit einem kurzen Licht. Sunray konnte sich aus der Umklammerung lösen und er und Serenity stürmten auf den losfahrenden Zug zu, über den Bahnhof, vorbei an erstaunten und verschlafenen Schaffnern.

Serenity sprang zuerst auf, doch gerade als Sunray ihr folgen wollte, hörte er ein schnaufen hinter sich und er warf einen Blick über die Schulter. Sicherheitschef Tassel jagte hinter ihm her und sein Gesicht war die Grimasse eines wütenden Teufels mit rot glühenden Augen. Dieser Anblick beflügelte Sunrays Hufe und ein gewaltiger Angstschrei drang aus seinem Hals. (Mädchenschrei)

„Na warte, wenn ich dich in die Hufe kriege!“, schrie Sicherheitschef Tassel.

Serenity lehnte sich vor und streckte die Hufe aus. „Sunray, komm schon, spring!“

Sie waren fast am Ende des Bahnhofs, nur noch wenige Meter und der Zug würde in eine Kurve einbiegen. Sunray sprang, flatterte vergeblich mit seinen zu kurzen Flügeln und – bekam Serenitys Hufe zu fassen. Mit ihrer Magie hievte sie ihn hinauf.

Die kleiner werdende Gestalt von Sicherheitschef Tassel fluchte laut: „Ich krieg dich schon noch! Wart's nur ab! Ich krieg dich schon!“

Serenity kicherte.

„Was ist denn so lustig?“, fragte Sunray.

„Dein Schrei“, antwortete sie. „Du hättest dich schreien hören sollen.“

„Du hättest sein Gesicht sehen sollen“, erwiderte Sunray und schnitt eine Grimasse. „So hat der ausgesehen.“

Serenity prustete los und auch Sunray konnte sich nicht mehr halten.

Dann sagte Sunray grinsend: „Lass uns lieber reingehen. Für heute habe ich genug vom verfolgt werden.“
 

Da sie natürlich keine Fahrkarten hatten, konnten Sunray und Serenity sich nicht einfach so in einen der Gästewagons setzen, sondern sie stiegen in den Güterwagon ein, wo das Gepäck verstaut wurde. Es gab zwar nur wenig Licht, aber zwischen den ganzen Kisten und Koffern fühlte es sich angenehm und behaglich an. Außerdem waren beide so müde, dass ihnen ihre Umgebung, solange sie nur warm, trocken und Dämonische Ponys frei war, herzlich egal war.

Sunray schlief fast sofort ein, kaum, dass er sich hingelegt hatte. Serenity blieb noch einen Moment wach. Sie wusste nicht viel über Freundschaft, aber im Moment war sie sehr froh darüber, Sunray bei sich zu haben. Dann schlief auch sie ein.
 

Die dämonischen Ponys hatten ordentlich Prügel bezogen. Leere hatte ein Veilchen und Nichts wuchs eine dicke Beule auf dem Kopf.

„Nutzlos.“ Die Stimme des grauen Hengstes war kaum mehr, als ein Hauchen und doch durchbohrte es die beiden, wie Dolche aus Eis. „Ihr seid Wertlos, so wie ihr jetzt seid.“

Es war ihm nicht entgangen, dass Leere und Nichts, die beide eigentlich keine Spur von Gefühl haben sollten, immer mehr Emotionen an den Tag legten, je länger sie auf der Welt wandelten. Sie hatten sich schon mit Freude gefüllt, die er ihnen wieder ausgetrieben hatte. Das sollte er zu seinen Gunsten ausnutzen.

Wenn sie so leicht zu füllen waren...

Mit den Richtigen Gefühlen...

Die Prinzessin war in den Zug nach Süden gestiegen. Es würde ein leichtes sein für den Grauen Hengst Leere und Nichts an eine geeignete Stelle zu bringen. Und er würde den beiden ein kleines Präsent mitgeben.
 

Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte, aber als sie aufwachte, sah sie Sunray, wie er ein Ohr an die Tür legte.

„Was machst du da?“, fragte sie.

„Ich horche.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

„Warum?“

„Ich glaube... da kommt jemand!“

Sunray und Serenity sprangen auf. Verstecken! Schnell!

Schon hörten sie, wie die Tür aufgeschoben wurde. Serenity sprang in ein Apfelfass, aber Sunray hatte keine Ahnung, wo er sich verstecken sollte. Panisch drehte er sich auf den Hinterhufen umher, stolperte zuerst vorwärts, dann rückwärts, gegen eine Stapel von Koffern, der mit lautem Gerumpel über ihm zusammenstürzten und ihn mit allen möglichen Kleidungsstücken bedeckten. Der eingetretene Schaffner richtete seine Taschenlampe auf den Haufen aus Kleidung, aus den Sunray stöhnend emporstieg.

„Wer da?“, verlangte der Schaffner zu wissen. „Oh“, sagte er dann überrascht. „Verzeihung Miss, aber was machen Sie hier?“

Miss? Ja, Sunray war tatsächlich in das Kleid einer Ponydame geraten, zudem hatte ein Hut mit breiter Krempe auf seinem Kopf Platz gefunden, weswegen der Schaffner ihn wohl mit einem Gast verwechselte.

Aber Sunray sagte nur: „Hä?“

Dann sah er an sich herab und begriff die Situation. Er klaubte einen Fächer vom Boden auf, versteckte sein Gesicht dahinter und legte sich eine Stimme zu, die seiner Meinung nach sehr Feminin war. „Ähähähähähähä“, kicherte er, was so dämlich klang, dass Serenity sich den flachen Huf ins Gesicht klatschte.

„Äh, ich habe etwas gesucht“, antwortete Sunray dem Schaffner, „aber, äh, jetzt habe ich es gefunden und es ist alles in Ordnung.“

Oh Mann, dachte Serenity, nur ein Vollidiot würde auf so eine schlechte Ausrede reinfallen.

„Ah, ich verstehe.“ Der Kontrolleur nickte verständnisvoll. „Dann ist ja alles gut. Kommen Sie, Ich begleite Sie zu Ihrem Platz.“

Sunray starrte den Kontrolleur verdattert an, fasste sich wieder und folgte ihm noch ein wenig dämlich kichernd.

Oh Mann, so ein Schlamassel, dachte Sunray, während er dem Schaffner folgte. Irgendwie musste er ihn und dieses Kleid loswerden. Es rutschte und saß nicht richtig, außerdem passte die Farbe nicht zu seinem Fell. Zudem war Sunray es nicht gewohnt sich in Damenkleidern zu bewegen und so stolperte er über den Saum und rempelte gegen den Schaffner, der Sunray auffangen musste. Besorgt brachte dieser sein Gesicht ganz nah an Sunrays, der den Fächer schnell dazwischen brachte.

„Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte der Hengst.

Sunrays Magen grummelte laut und „Boah, hab ich einen Hunger“, platzte aus ihm heraus.

Der Schaffner starrte Sunray an, der wieder in sein dämliches Kichern verfiel. „Ähhähähähäh.“

„Nun, wenn das so ist“, sagte der Schaffner, mit einem vielsagenden Lächeln. „Dort drüben ist der Speisewagen. Wie wär's? Ich könnte ihnen Gesellschaft leisten.“

Jetzt starrte Sunray den Schaffner an.

„Oh, Mist“, entfuhr es ihm, als ihm klar wurde, was gerade passierte. „Äh, ich meine: Oh, mit Vergnügen.“

Der Schaffner lächelte glücklich.
 

Der Schaffner führte Sunray, der sich so gut es ging hinter seinem Fächer versteckte, durch mehrere Wagons in einen luxuriösen Speisewagen. Sunray fühlte sich sofort unwohl. Teures Porzellan, empfindliche Gläser und offenes Feuer, auch wenn es sich nur um Kerzenflammen handelten, in Verbindung mit seiner natürlichen Ungeschicklichkeit waren noch nie eine gute Kombination gewesen.

„Madame“, sagte ein affektiert wirkender Hengst an der Garderobe, als sie eintraten und machte eine Geste um Sunray den Hut abzunehmen.

„Hi“, erwiderte Sunray und schlug in den Huf ein.

Der Hengst hob eine Augenbraue.

„Ihr Hut, Madame?“, versuchte er es noch einmal.

Und Sunray erwiderte: „Ja, das ist meiner. Ich habe eine Quittung um es zu beweisen.“

Bevor der Hengst noch etwas passendes erwidern konnte, wurde Sunray vom Schaffner auch schon weitergezogen. Sie setzten sich im Speisewagen an einen Tisch und der Schaffner bestellte zwei Apfeltees.

„Also“, sagte der Schaffner und beugte sich interessiert nach vorne um Sunray besser zu begutachten. „Wo kommen Sie her?“

Sunray begann zu schwitzen. „Ähm, Hoofston“, antwortete er mit piepsiger Stimme.

„Ah, verstehe“, sagte der Schaffner. „Oh, verzeihen Sie mir, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Ticket Keeper. Und mit wem habe ich das Vergnügen?“

Sunray schlürfte lange laut an seinem Apfeltee um nachzudenken. Dass sich deswegen einige Köpfe ungehalten nach ihnen umwandten schien Ticket Keeper gar nicht zu bemerken.

Sunrays Kopf raste. Irgendwie musste er diesen Schaffner loswerden. Und was machte Serenity gerade?

Als die Tasse leer war sagte Surnay das beste was ihm einfiel: „Appledash. Appledash Rarelight Mcflutterpie.“

Er hatte selbst keine Ahnung wie er auf diesen Namen gekommen war. Sein Magen grummelte wieder laut auf.

„Sie müssen ja halb verhungert sein“, sagte Ticket Keeper besorgt.

„Ja, ich äh, mache Diät“, erwiderte Sunray schnell. „Mein Gewicht. Ich bin so fett. Sie verstehen?“

Ticket Keeper beugte sich so weit über den Tisch, dass sein Gesicht unter Sunrays Nase lag. „Also ich finde sie wirklich – bezaubernd“, sagte er schmeichelnd und ließ seine Augenbrauen hüpfen.

Sunray hätte dem Erdpony den Tee beinahe ins Gesicht gespuckt. Hatte der nicht irgendwie eine Arbeit, der er nachgehen musste?

Dann bestellte der aufdringliche Schaffner auch noch das komplette Frühstücksmenü. Heubrötchen, Frischgrassandwiches, Apfeltaschen, Möhrencroosaints, Butterkuchen mit Sahne und Pudding. Sunrays Magen rumorte bei dem Duft, der ihm in die Nase stieg und in seinem Mund sammelte sich das Wasser.

„Bitte, greifen Sie zu Miss Mcflutterpie“, sagte Ticket Keeper gönnerhaft, als alles auf dem Tisch stand.

Sunray brauchte einen Moment um zu begreifen, dass mit ihm gesprochen wurde.

„Hä?“, fragte er.

Ticket Keeper hob eine Augenbraue. „War das nicht ihr Name? Miss Appledash Rareligth Mcflutterpie?“

„Ah, doch, doch. Ja richtig“, sprudelte es aus ihm heraus. „Das ist mein Name. Meiner. Von niemandem sonst. Meiner. Nennen Sie mich einfach Appledash. Der Rest ist so lang.“

Das Lächeln auf Ticket Keepers Gesicht wurde breiter und er errötete leicht. „Also, Appledash. Lassen Sie es sich schmecken.“

Und das tat Sunray. Er stürzte über das Essen her, schlang es herunter, schlürfte, stopfte und krümmelte alles voll. So, wie es halt üblich ist, wenn Jungs essen.

Aber das schien Ticket Keeper gar nicht zu kümmern. Im Gegenteil.

„Also ich muss schon sagen“, sagte er schwärmerisch und Surnay blickte auf, den Mund voller Schokopudding. „Einer Frau wie ihnen begegnet man nur überaus selten.“

„Ja...“, sagte Sunray langsam und schmatzte. „Einer Frau wie mir...“

„So gut wie nie, möchte ich meinen.“

„Da könnte was dran sein.“

„Ich kann einfach nicht glauben, dass ich einer Stute wie ihnen, bei meiner täglichen Arbeit so unverhofft über den Weg laufe“, seufzte Ticket Keeper und blickte Sunray plötzlich ganz ernst an. „Das muss Schicksal sein.“

Sunray gefiel ganz und gar nicht, wie Ticket Keeper ihn ansah.

Dieser war allgemein bekannt dafür, sich Hals über Kopf in jede Stute die er sah zu verlieben, doch bis jetzt war er ausnahmslos von jeder abgewiesen worden. Dabei war Ticket Keeper gar kein Schürzenjäger, sondern nur jemand, der sich allzu schnell verliebte und seine Gefühle waren immer aufrichtig und ehrlich gewesen. Da nun aber Sunray ihn nicht direkt in die Schranken verwiesen hatte, wuchs in Ticket Keeper die Überzeugung, den Partner seines Lebens gefunden zu haben.

„Ja“, sagte dieser mehr zu sich selbst. „Ja, ich bin mir sicher. Das ist Liebe.“

„Was?“

Er ergriff Sunrays Hufe. „Fühlst du nicht genauso? Flammt in dir nicht auch das Feuer einer heißen Liebe?“

„Jetzt mach mal halblang!“, rief Sunray. Mehrere Passagiere drehten sich schon zu ihnen um.

„Oh, Appledash. Du und ich sind füreinander geschaffen! Komm wir Knutschen!“

Ticket Keeper spitzte die Lippen und lehnte sich über den Tisch. Sunray versuchte sich aus dem Griff des Schaffners herauszuwinden.

„Also, jetzt warte mal einen Moment“, sagte er, ohne dabei die Stimme zu verstellen. Endlich gelang es ihm, sich aus dem Griff loszueisen und er sprang auf. „Ich muss aus Klo“, platzte es aus ihm heraus. Alle im Wagen starrten ihn an. „Um mich frisch zu machen“, fügte er hinzu und stakste in Richtung Ausgang, als sich ihm jemand in den Weg stellte. Es war ein gut gekleidetes Ponymädchen das ihn, zu seiner Verwunderung, voller Zorn musterte.

„Dieses Kleid“, sagte sie. „Wo hast du das her?“

Wieder kicherte Sunray dämlich. „Ähähähähähä... Schön nicht?“

„Dieses Kleid gehört dir nicht“, sagte das Mädchen mit funkelnden Augen.

„Wohl“, sagte Sunray.

„Nein.“

„Doch.“

„Stimmt nicht. Es ist nämlich mein Kleid!“

Sunray wurde blass. „Du lügst“, sagte er wenig überzeugend.

„Tue ich nicht. Mein Name steht auf dem Etikett.“

Gemurmel erhob sich. Alle Augen richteten sich auf Sunray.

„Appledash, was ist los?“, fragte Ticket Keeper und stand ebenfalls auf.

Das wütende Mädchen vor ihm, der liebestolle Kontrolleur hinter ihm. Was sollte Sunray jetzt tun? So ein Schlamassel, dachte er sich.

Und es wurde noch schlimmer.

Sie fuhren gerade in einen Bahnhof ein, der Zug wurde langsamer und aus dem Augenwinkel sah Sunray zwei Gestalten. Leere und Nichts. Sie sahen abgekämpft aus, eines der beiden dämonischen Ponys hatte eine gewaltige Beule auf dem Kopf, das andere ein blaues Auge.

Wie hatten die beiden es geschafft schneller als der Zug hier zu sein?

Sie stiegen in eines der vorderen Abteile ein. Wahrscheinlich würden sie den gesamten Zug nach ihm und Serenity durchsuchen.

„Oh, das riecht nach Ärger“, murmelte Sunray.

„Das kannst du laut sagen“, schnaubte das Ponymädchen, das dachte, Sunray hätte zu ihr gesprochen. „Jetzt, gib mir mein Kleid zurück.“

So ein Schlamassel, dachte Sunray.

Kapitel 07

Kapitel 7
 

Wo blieb Sunray?

Serenity machte sich langsam Sorgen. Sie wartete jetzt schon eine gefühlte Ewigkeit auf ihn und er war immer noch nicht aufgetaucht. Hatte er den Schaffner hinters Licht führen können? Oder hatte man ihn durchschaut und rausgeworfen und jetzt trottete er verzweifelt auf den Schienen dem Zug hinterher?

Aber nein. Sie hatten nicht angehalten und man warf blinde Passagiere nicht einfach aus fahrenden Zügen. Wo blieb er dann? Was trieb er so lange?

Sie wartete noch ein paar Minuten, dann noch einen Augenblick und schließlich hielt sie es nicht länger aus. Sie stand auf und öffnete vorsichtig die Tür des Wagons.

Draußen war niemand.

Sie schlüpfte hinaus und machte sich auf die Suche nach Sunray. Sie öffnete ein Abteil, schaute schnell hinein und ging dann weiter, wodurch sie sich einige fragende Blicke seitens der Passagiere einfing. Also wirklich. Mit Sunray hatte man nichts als Ärger.

Fast hätte sie nicht gemerkt, wie am vorderen Ende des Wagons sich eine Tür öffnete und zwei Schaffner, die gerade Pause hatten, den Wagen betraten. Doch glücklicherweise redeten beide so laut miteinander, dass Serenity sie früh genug bemerkte, sie aber nicht von ihnen bemerkt wurde.

Schnell schlüpfte sie durch eine Tür, die zu den Toiletten führte, schloss sie leise und vorsichtig und legte ein Ohr an. Da hörte sie den einen sagen: „Hast du die Kleine gesehen, die Ticket Keeper wieder abgeschleppt hat?“

„Ja, Mann.“

„War'n echt heißer Zahn, oder?.“

„Ja, Mann.“

„Die haut das Essen weg wie sonst was.“

„Ja, Mann.“

„Hey, glaubst du wenn Ticket Keeper es wieder verhaut, hab ich dann 'ne Chance bei der Süßen?“

„Nein, Mann.“

„Du Blödmann.“

Serenity lauschte noch, bis sie die Stimmen der beiden nicht mehr hören konnte und ganz sicher war, dass sie den Wagon verlassen hatten. Dann hörte sie ein Räuspern hinter sich.

„Ähem.“

Sie drehte sich um und sah in die Gesichter dreier Erdponys, die sie erstaunt musterten. Serenity war zwar in eine Toilette gegangen, nur war die für die Hengste bestimmt. Bevor irgendwelche Fragen aufkommen konnten, tat Serenity das einzig Richtige: sie schrie. Egal für wen die Toiletten gedacht sind, wenn eine Frau darin schreit, wird diese Einrichtung von allen Männer so schnell wie möglich und peinlich berührt unter vielen Entschuldigungen verlassen, selbst wenn sie gar keine Schuld trifft. So auch hier. In drei Sekunden war Serenity allein auf der Toilette.

Das Gespräch das sie gerade belauscht hatte... konnte Sunray damit gemeint gewesen sein?

Sie hatte nicht viel Zeit sich darüber Gedanken zu machen, denn als sie wieder hinaus trat, fuhr der Zug gerade in den nächsten Bahnhof ein und das Pony, das gerade in den Wagon einstieg, ließ ihr den Atem stocken. Es war Sicherheitschef Tassel. Er war tatsächlich die ganze Nacht und den halben Tag hindurch ununterbrochen gerannt, um den Zug noch einzuholen, aber immerhin war er Sicherheitschef Tassel, größte Spürnase und dreimaliger Gewinner, des Ironstallion-Marathons.

Jetzt war er schweißbedeckt und sein Atem war schwer, seine Beine und sein Bart zitterten und er stand kurz vor dem Umfallen, aber seine Sturheit hielt ihn aufrecht.

„Hab ich dich gefunden, kleine Diebin“, keuchte er.

„Mein Gott, Sie sind ja echt hartnäckig.“

„Niemand entkommt Sicherheitschef Tassel.“

„Ich habe jetzt wirklich keine Zeit für sowas.“

„Du bleibst schön hier“, sagte Sicherheitschef Tassel und wankte mehr auf Serenity zu als dass er ging. „Du und dein kleiner Pegasusfreund werdet schon bald hinter Gittern landen.“

Da griff Serenity nach der Tür und schlug sie Sicherheitschef Tassel mit alle Kraft ins Gesicht. Der torkelte zurück und Serentiy schubste ihn in die Damentoilette, die zurzeit gut besucht war und eine ganze Schar empörter Ponydamen stürzte sich auf den Sicherheitschef.

Serenity rannte Richtung Speisewagen. Jetzt war keine Zeit mehr für Heimlichkeiten.
 

Die Lage im Speisewagen spitzte sich zu.

Vor sich ein wütendes Ponymädchen, hinter sich ein verknallter Schaffner und um ihn herum überall Ponys die ihn anstarrten. Zudem zwei gemeingefährliche Dämonische Ponys, die jederzeit auftauchen konnten. Sunray wusste weder ein noch aus.

„Wird's bald“, sagte das Ponymädchen. „Gib mir mein Kleid zurück.“

„Appledash“, sagte Ticket Keeper. „Was ist hier los?“

In diesen Moment stürzte Serenity in den Speisewagen und alle Blicke richteten sich auf sie. „Sunray.“

Ticket Keeper blickte verwundert auf. „Sunray?“, wiederholte er, dann sah er mit einem entsetzten Ausdruck zu seiner vermeintlichen Appledash, als ihm bewusst wurde, wen das Einhorn gerade angesprochen hatte. „Du bist 'n Kerl?“

„Serenity, wir haben ein Problem“, sagte Sunray schnell, ohne auf den entrüsteten Schaffner zu achten und dann sagten beide gleichzeitig: „Wir bekommen gleich ungewollten Besuch.“

Ein Pfiff ertönte und der Zug setzte sich wieder in Bewegung.

„Und zum Abspringen scheint es jetzt wohl auch zu spät zu sein“, fügte er hinzu.

Und schon öffnete sich die Tür und Leere und Nichts traten ein. Alle Blicke richteten sich auf sie.

Sunray hörte Serenity stöhnen: „Die sind auch hier?“

Die beiden dämonischen Ponys wiederum starrten einfach nur Sunray im Kleid an. Dann lachten sie laut auf.

„Was trägst du denn da für einen Fetzen?“, riefen sie.

„Hey“, sagte Sunray beleidigt.

„Verdammt, wird man euch denn überhaupt nicht los?“, sagte Serenity.

„Du bist 'n Kerl?“, fragte Ticket Keeper noch einmal den Tränen nah.

„Fetzen...“, murmelte das Ponymädchen.

Eine Sekunde später brach Sicherheitschef Tassel durch die Tür. Er grinste triumphierend, als er Serenity sah. Dann sagte er laut: „Meine Damen und Herren. Bitte bewahren Sie ruhe, aber unter uns befinden sich Subjekte der niedersten Art und Ich, Sicherheitschef Tassel bin hier, um diesen hinterhältigen Halunken das Hufwerk zu legen.“

Sunray stöhnte: „Der ist auch hier?“

Sicherheitschef Tassel erwiderte Sunrays Blick. „Der Pegasus? Was ist das für eine geschmacklose Verkleidung?“

„Geschmacklos“, wiederholte das Ponymädchen monoton.

Da standen sie also, Sunray und Serenity, in der einen Richtung die zwei dämonischen Ponys in der anderen Sicherheitschef Tassel.

„Und? Hast du eine Idee, wie wir hier rauskommen?“, fragte Sunray.

„Ich denk ja schon nach“, erwiderte Serenity.

„Du bist wirklich ein Kerl?“

Sicherheitschef Tassels Blick fiel auf die beiden Dämonischen Ponys.

„Hey, wer sind denn die beiden? Die sehen mir sehr verdächtig aus.“

Leere und Nichts fauchten. „Misch dich nicht ein, du wandernder Oberlippenbesen. Wer wir sind, geht dich gar nichts an.“

Doch im Kopf des Sicherheitschefs hatte sich schon eine Theorie festgesetzt. „Sind das etwa Eure Mittelsmänner? Oder gar eure Auftraggeber? Dieser Zug war bestimmt als Übergabeort ausgehandelt, aber da habt ihr die Rechnung ohne mich gemacht.“

Leere und nichts tauschten fragende Blicke aus. „Verdammt, wer bist du?“

Der Sicherheitschef warf sich mit funkelnden Augen in die Brust. „Ich rieche jeden Verbrecher auf zwanzig Meilen Entfernung und es ist mir noch kein Tunichtgut entkommen. So wie das fließende Wasser keine Form hat und der Wind unsichtbar ist, so können auch Verbrechen all möglichen Formen annehmen. Es gibt nur eine Wahrheit und ich finde sie. Man nennt mich Sicherheitschef Tassel.“

Der ganze Wagon trabte anerkennend Beifall. Nur Sunray, Serenity und die dämonischen Ponys wechselten fragende Blicke und ratloses Kopfschütteln miteinander.

Plötzlich hatte Serenity eine Idee und trat vor.

„Sie haben ganz recht, Sicherheitschef Tassel“, sagte sie. „Diese beiden da, sind tatsächlich unsere Auftraggeber und ihre Absichten sind höchst...“

„Böse?“

„Intrigant.“

„Niederträchtig?“

„Geradezu diabolisch.“

„Wirklich?“

„Ja! Sehen Sie sich die beiden doch nur einmal an!“, rief Serenity aus und deutete auf die beiden Dämonischen Ponys, die an sich herunterblickten. „Wäre es nicht wesentlich besser, sich nicht nur die Diebe zu schnappen sondern auch die, die sie angeheuert haben. Eine solche Leistung würde Sie in alle Zeitungen Equestrias bringen.“

„In alle Zeitungen?“

„Sie würden unglaublich berühmt werden.“

„Berühmt.“

„Die Stuten würden sich um Sie reißen.“

Sicherheitschef Tassel sabberte auf den Boden. Dann fing er sich wieder und nahm wieder seinen Befehlsmäßigen Ton an. „So, da der Fall nun absolut klar ist, nehme ich euch alle Vier fest, im Namen des Gesetzes.“

Er trat auf die Vier zu und sagte: „Und leistet ja keinen Widerstand.“

Aber es dachte keiner daran auf ihn zu hören. Leere schlug ihm mit voller Wucht ins Gesicht schickte ihn auf die Bretter. Im selben Moment griff Nichts Serenity an und Leere stürzte sich auf Sunray, der über sein Kleid stolperte und so wurden beide zu einem wilden Knäuel auf dem Boden.

„Passt auf mein Kleid auf!“, schrie das Ponymädchen entsetzt.

Leere nagelte Sunray auf den Boden und grinste ihn fies an. „Nettes Faschingskostüm.“

„F... Faschingskostüm?“, wiederholte das Ponymädchen nahezu unhörbar. Dann nahm sie den nächstbesten Gegenstand in ihrer Nähe (ein silbernes Serviertablett) und zog es dem Dämonischen Pony über den Schädel.

„Das ist dafür, dass ihr mein Kleid ein Faschingskostüm genannt habt.

Als nächstes bekam Nichts eins drauf.

„Das ist dafür, dass ihr mein Kleid einen Fetzen genannt habt.“

Sicherheitschef Tassel rappelte sich wieder auf. „Was?“, fragte er benommen und schon schickte ihn das Ponymädchen mit einem kräftigen Hufschlag wieder zu Boden, wobei sie ihm auch noch einen Zahn ausschlug.

„Das ist dafür, dass Sie gesagt haben mein Kleid sei geschmacklos.“

Strauchelnd richteten sich die Dämonischen Ponys auf. Man konnte ihnen ansehen, dass um ihre Köpfe gerade sirrende Sterne rauschten.

„Du gehst uns auf die Nerven mit deinem blöden Kleid“, sagten sie zu dem Ponymädchen und stellten sich neben Sunray.

Aber anstatt ihn gefangen zu nehmen sagte Nichts: „Hier. Jetzt zeigen wir dir, was wir wirklich davon halten“, und riss einen der Ärmel ab.

„Ja, genau“, pflichtete Leere bei und riss den anderen ab und beide klatschten es dem Ponymädchen ins Gesicht.

Jetzt gab es für das Ponymädchen kein halten mehr. Wie ein zorniger Wirbelsturm warf sie sich auf die beiden Rüpel und in einer dicken Staubwolke prügelte sie auf Dämonischen Ponys ein, während Sunray aus selbiger hervorkroch.

„Weißt du“, meinte Sunray zu Ticket Keeper während er aus dem Kleid schlüpfte. „Wenn du ein richtiger Gentlecolt sein willst, kannst du ja dem echten Mädchen da helfen.“

Ticket Keeper sah Sunray einen Moment lang mit einem glasigen Blick an, dann schaute er zu dem Ponymädchen und den Dämonischen Ponys, sein Blick wurde grimmig und er stürzte sich ebenfalls auf Leere und Nichts.

Serenity schob Sunray auffordernd an. „Komm schon. Hauen wir ab.“ Doch schon löste sich Nichts aus dem Gewusel und sprang auf Serenity's Rücken - und mit einem Mal flog der Sterndiamant im hohen Bogen durch die Luft und landete auf dem Boden.

Einen Moment lang wurden Blicke getauscht. Dann stürmten Sunray, Serenity und die dämonischen Ponys alle gleichzeitig auf den Diamanten zu. Natürlich wurde Sunray von Leere zur Seite geschubst, er landete in einem Pfirsichkuchen, während Serenity versuchte beide Dämonischen Ponys aufzuhalten. Natürlich war das leichter gesagt als getan, sie stellte Leere ein Bein und Riss Nichts mit sich zu Boden und alle drei krochen auf den Sterndiamanten zu und Leere streckte schon den Huf danach aus, hatte ihn fast. Doch bevor das Dämonische Pony den Diamanten erreichen konnte, tat Sunray etwas; er riss sich den Pfirsichkuchen vom Gesicht, stolperte dann auf zwei Hufen hin und her und griff bei dem Versuch nicht hinzufallen nach einer Leine die an der Decke durch den ganzen Wagon führte. Mit einem Mal, ertönte ein gewaltiges, eisernes Kreischen und ein gewaltiger Ruck fuhr durch den ganzen Zug, als dieser eine Vollbremsung machte. Der Diamant rollte von dem nach ihm greifenden Huf weg und Leere und Nichts knallten schmerzhaft gegen die Wand.

„Gut gemacht, Sunray“, rief Serenity, sprang auf und schnappte sich den Sterndiamanten.

„Hä?“, fragte Sunray, der keine Ahnung hatte, was gerade passiert war und folgte Serenity. Sie rannten die Wagons hinunter, bis zu dem letzten, dem Gepäckwagen. Serenity griff mit ihrer Magie nach dem Hebel der Abkopplung.

„Was machst du da?“, fragte Sunray. Was nützte schon das Abkoppeln. Immerhin stand der Zug. Trotzdem stemmte auch er sich gegen den Hebel. Serenity wusste bestimmt genau was sie vorhatte.

Sunray drückte sich mit seinem ganzen Gewicht dagegen.

Langsam bewegte sich der Hebel, doch schon sahen Sunray und Serenity Leere und Nichts durch den letzten Wagon auf sie zustürmen.

„Schnell!“, rief Serenity und schon legte der Hebel sich vollständig um und der Wagon löste sich vom Rest des stehenden Zuges. Und da sie auf abfallendem Gelände standen, begannen sie Rückwärts zu rollen. Erst langsam und dann immer schneller. Aber leider nicht schnell genug um Leere und Nichts zu entkommen. Die Beiden sprangen mit einem großen Satz durch die Luft und konnten sich noch am Geländer festhalten. Ihre Augen funkelten plötzlich zornig und Sunray war sich sicher, dass irgendetwas anders mit den beiden war.

Und damit hatte Sunray ganz recht. So wie sie schon mit Freude gefüllt gewesen waren, hatte der graue Hengst den beiden Gefühle eingeflößt, die sie zu perfekten Jägern machen sollten. Sie waren blutrünstig und getrieben von einer Lust zu jagen, wie es sonst nur Raubtiere sind.

Irrte Sunray sich oder hatten sie auf einmal lange Fangzähne bekommen?

Leere schnappte nach ihm. Nein, sie hatten wirklich lange Fangzähne.

Serenity packte Sunray am Nacken und riss ihn mit sich in den Wagon. Sie knallte die Tür zu und sie und Sunray warfen alle Koffer und Kisten die sie finden konnten davor.

„Da kommen die niemals durch“, befand Sunray.

Doch da täuschte er sich gewaltig.

Die Tür war zwar versperrt, aber die Wände nicht. Die Hufe der beiden Dämonischen Ponys krachten zu beiden Seiten der Tür durch und fuchtelten wild in der Luft umher. Funkensprühende Augen spähten durch die Löcher. Es würde nicht lange dauern bis die Wand nur noch Kleinholz sein würde.

Serenity sah sich verzweifelt nach etwas nützlichem um, aber sie hatten schon alles vor die Tür gestapelt und einen weiteren Ausgang gab es nicht mehr.

„Und was machen wir jetzt?“

„Wie wär's wenn wir fliegen?“, schlug Sunray am anderen Ende des Wagons vor.

„Ja, klar. Und wie?“

„Na, mit diesem Ballon hier.“

„Was?“ Serenity drehte sich zu ihm um. Er stand tatsächlich vor einer Kiste, die bis zur Decke reichte und den gesamten hinteren Teil des Wagens füllte. Eine prunkvolle Schrift verkündete: Whirlwinds Speedballoon. Darunter prankte das Bild des Ballons.

„Das ist ein Geschwindigkeitsballon, für Kurzstreckenrennen“, erklärte Sunray. „Ich kenne die Dinger.“

Serenity blickte auf. „Kannst du so eins fliegen?“

Mit einem gekonnten Tritt fielen die Seitenwände der Kiste zu Boden und ein kleines Gerüst kam zum Vorschein indem ein kleiner grüner Korb stand. Sunray sprang an eine Seite des Gerüsts, an dem ein Hebel angebracht war und drehte ihn wie eine Kurbel. Langsam faltete sich ein Ballondach in die Höhe.

„Hör zu, Serenity“, keuchte Sunray und drehte so schnell er konnte. „Wenn ich es sage, musst du das Dach des Wagons öffnen. Das muss ein Klappdach sein, sonst hätten die die Kiste hier nie reinbekommen.“

„Okay“, sagte Serenity und wollte schon anfangen, doch Sunray hielt sie zurück.

„Nein, warte, noch nicht! Der Ballon braucht Zeit, bis er abheben kann. Dann wenn ich es sage, öffnest du das Dach.“

„O...okay.“ Serenity war ganz erstaunt von Sunrays plötzlicher Selbstsicherheit. „Aber beeil dich“, fügte sie hinzu und feuerte Zauber durch die Löcher auf Leere und Nichts. Die brachten aber nicht viel. Schmerzen schienen ihnen plötzlich nicht mehr so viel auszumachen. Sie standen einfach wieder auf und hieben auf die Wand ein, die schon so durchlöchert war, wie ein Nüstergrunder Käse.

„Beeil dich, Sunray!“

„Ich... mach... ja... schon...“, schnaufte er zurück. Er kurbelte so schnell er konnte. Endlich war das Ballondach nahezu vollständig gespannt, es fehlte nur noch ein bisschen, jetzt war nur noch das Wagendach im Weg.

„Jetzt, Serenity!“, schrie er.

Serenity sprang in den Korb, doch anstatt das Dach einfach nur aufzuklappen, explodierte es in einer gewaltigen Rauchwolke.

„Upps!“, sagte Serenity. „Etwas zu viel des Guten.“

Langsam stieg der Ballon an, doch er war noch nicht vollständig gespannt. Sunray musste noch ein paar mal Kurbeln, ansonsten würde der Ballon wieder in sich zusammensacken.

In demselben Moment in dem Sunray die richtige Spannung erreicht hatte und die Kurbel einrastete brachen die Dämonischen Ponys durch.

Sunray kappte das Seil mit dem der Ballon befestigt war und versuchte in den Korb zu springen, konnte sich aber nur noch an der Kante festhalten, während sie immer höher stiegen.

Das nächste was er spürte war, wie sich etwas in seinem Schweif verbiss. Leere, er war sich ziemlich sicher, dass es Leere war, hatte tatsächlich die Zähne in seinem Schweif versenkt und Nichts hing auf Leeres Rücken und versuchte hinaufzuklettern.

Glücklicherweise überquerte der Ballon in diesem Augenblick, geschoben von einem frischen Wind eine Reihe von Bäumen, gerade so tief, dass der Korb die Wipfel nur leicht streifte, aber die beiden Dämonischen Ponys eine volle Ladung peitschender Äste, stechender Nadeln und wütender Vögel abbekam und sie letzten Endes am Stamm des superklebrigen Honigharzbaumes hängen blieben.

Sunray kletterte zu Serenity in den Ballon und gemeinsam streckten sie den Dämonischen Ponys die Zungen raus, während der Wind sie davontrug.

Kapitel 08

Ob es nun Zufall oder ein Wink des Schicksals war, es fügte sich, dass der Wind den Ballon in dem Sunray und Serenity saßen, sie in die richtige Richtung, nach Südwesten trug.

Sunray wusste tatsächlich, wie der Ballon zu steuern war.

Die meisten Ballone werden lediglich vom Wind getragen, alles was man selbst tun kann ist, ihn auf und absteigen zu lassen. Doch dieser Ballon war ein Sportballon. Sein Dach war nicht blasenförmig, sondern war in eine Richtung leicht Oval, spitz zulaufend, wie bei einem Zeppelin und besaß zwei halbrunde Flügel an seinem Dach, die durch Schnüre mit dem Korb befestigt waren. Dadurch konnte man den Ballon mehr oder weniger lenken.

Doch was so einfach aussah erwies sich für Serenity, die es selbst einmal probieren wollte, als größere Herausforderung, als sie erwartet hatte. Der Wind der unter die Flügel fuhr glich plötzlich einem holprigen Boden, sie schaffte es nicht die Schnüre so stramm zu halten, wie Sunray es tat und er schien dabei noch nicht einmal Probleme zu haben.

„Wo hast du gelernt so einen Ballon zu fliegen?“, fragte Serenity erstaunt, als sie sich gegen die Seitenwand des Korbes lehnte.

„Von meinem Onkel“, antwortete Sunray, den Blick stets geradeaus gerichtet. „Er hat mich einmal mitgenommen. Das war das erste Mal, dass ich über den Wolken war. Damals hab ich auch mein Cutiemark bekommen.“

Er dachte an damals zurück. Es war jetzt schon so lange her und trotzdem erinnerte er sich noch so gut daran. Das erste Mal über den Wolken, in den Himmel eintauchen. Der Wind fuhr auffordernd durch das Gefieder seiner Flügel, als wolle er ihn hochheben, die Sonnenstrahlen waren wie Arme gewesen, an denen er sich hätte festhalten können.

Jetzt spürte Sunray es wieder, das Verlangen in ihm, einfach aus dem Korb zu springen und sich von den Strömen tragen zu lassen, der Sonne so nahe zu sein.

Sein Onkel hatte den Ballon durch majestätische Gebirgsketten aus Wolken gelenkt, auf denen sich das Licht der Sonne ergossen hatte, mal violett besprenkelt oder gelb gestrichen, mal rosa und weiß bemalt, mal bauschig und voluminös, mal zart und verspielt.

Und dann hatte sein Onkel den Ballon höher steigen lassen, in eine Wolkenhöhle.

Sie waren durch eine Art Tunnel in der Wolke geflogen und noch während Sunray sich gefragt hatte, was nun passieren würde, strömte plötzlich goldenes Licht, wie Wasser an den Wänden des Tunnels hinunter. Und dann waren sie raus aus dem Tunnel und um sie her war ein Meer aus Wolken, ein Himmel aus Wolken, eine Welt aus Wolken. Alle beschienen und golden gefärbt von einer warmen, nahen Sonne.

Sein Herz hatte vor Aufregung so laut in seiner Brust geschlagen, dass er die Worte seines Onkels nicht hatte hören können.

Dann war er in Ohnmacht gefallen.

Als Sunray dann wieder aufgewacht war, waren sie wieder am Boden. Weit weg von diesem wundervollen Ort und Sunray hatte das Gefühl, als ob noch ein Teil von ihm da oben wäre und ihn bat, wieder zu ihm zu kommen.

Aber das war unmöglich.

Dann hatte sein Onkel ihn darauf Aufmerksam gemacht, dass da etwas an seiner Flanke wäre. Und tatsächlich war da eine Sonne zu sehen.

Sunray hatte sich keine Gedanken gemacht, was sein Cutiemark denn wohl genau bedeuten mochte und auch heute noch war es ihm ein Rätsel.
 

Die Strafe des Grauen Hengstes war hart. Er hatte mit Leere und Nichts allmählich die Geduld verloren.

„Ihr seid nutzlos! Ich gebe euch Stärke und ihr versagt. Ich gebe euch Bosheit und ihr versagt. Ich gebe euch Macht und ihr versagt! Doch das war das letzte Mal, dass ihr mich enttäuscht habt! Ihr steht nicht länger in meinem Dienst.“

Und damit löste er die Ketten, mit denen die beiden Dämonischen Ponys an ihn gebunden waren. Für Leere und Nichts war das ein schwerer Schlag, denn nun hatten sie keine Pflicht mehr, keine Aufgabe, keinen Sinn in ihrem Leben. Und es gibt wohl kaum etwas, das so hart ist, wie den Sinn des eigenen Lebens zu verlieren.

Das war Schlimmer für sie, als der Tod.

„Bitte!“, flehten sie. „Bitte gebt uns noch eine Chance!“

Doch der Graue Hengst ließ sich nicht erweichen. Er hatte nichts übrig für die beiden. Bettelnd umschlangen sie seine Hufe. Angewidert blickte er auf die beiden herab.

„Nun gut, ich gebe euch noch eine Chance“, sagte er. Die Dämonischen Ponys blickten auf. „Ich gebe euch noch eine Chance eure erbärmlichen Leben vor mir in Sicherheit zu bringen, ansonsten werde ich euch langsam und qualvoll jeden Funken Leben ausmerzen den ihr habt.“

Leere und Nichts blickten in die Augen des Grauen Hengstes. Dann standen sie langsam auf, wichen vor ihm zurück und dann flohen sie.

„Aber, aber, mein Lieber“, sagte eine sanfte Stimme und der graue Hengst verbeugte sich.

„Lady Mysteria“, sagte er.

„Sag mir, wie wollen wir in den Besitz des Sterndiamanten gelangen, wenn niemand für uns auf die Jagd danach geht?“

Der Graue Hengst blickte in die Ferne.

„Es gibt noch mehr alte Mächte auf der Welt, als nur mich“, sagte er. „Sie werden den Geistschluckersumpf durchqueren müssen. Es ist noch niemand unbeschadet aus ihm heraus-gekommen.“
 

Die Grenzen von Equestria waren nicht mehr fern. Sie überflogen gerade die Badlands als Sunray ein gutes Stück voraus eine lose Kette von Bergen erkannte, die Equestria auf natürliche Weise von den fremden Ländern dahinter trennte. Bald würden sie die letzte Sicherheit einer Heimat hinter sich lassen und in nahezu unbekannte Gefilde vordringen.

Es gab nur Gerüchte über die Länder die so weit südlich von Equestria lagen. Gerüchte von der Art, die einen davon abhielten solche gefährlichen Gegenden zu betreten.

Sie flogen zwischen zwei Bergspitzen hindurch, überquerten die Grenze und es war, als wolle ihnen dieses Land mit allen Mitteln klar machen, dass das nicht mehr Equestria war.

Das Erste, was sie sahen war nämlich – absolut gar Nichts.

In Equestria wird das Wetter von den Pegasi unter Kontrolle gehalten. Wind, Wolken, Regen, Schnee, alles was das Wetter betrifft wird koordiniert und gelenkt.

Doch das Wetter in diesem Land war wild und ungezähmt und jetzt glitten Sunray und Serenity durch eine dichte Nebelwand. Vorne, Hinten, Links, Rechts, Oben, Unten. Alles war in schales Weiß getaucht.

Serenity entrollte die magische Karte, die jetzt nicht mehr Equestria anzeigte, sondern das Gebiet in dem sie waren Geistschluckersumpf nannte.

Es gab einige, nicht allzu schöne Geschichten über diesen Sumpf, der direkt an den Grenzen zu den Balands lag.

Nur wenige Ponys die ihn betreten hatten waren je wieder hinausgekommen und wenn doch, dann hatten sie wirres Zeug gemurmelt und waren gar nicht mehr ansprechbar gewesen. Schlimme Dinge mussten in diesen Sumpf lauern. Dinge die einem den Verstand austrieben.

Deswegen nannte man ihn, den Geischluckersumpf.

Serenity war schon froh, dass sie einfach darüber hinwegfliegen konnten, als Sunray ein kleinlautes: „Oh-oh, so ein Schlamassel“, von sich gab.

Vor ihnen ballte sich plötzlich ein gewaltiges Gebirge aus dunklen Wolken auf, auf das sie unaufhaltsam zutrieben. Und schon fing es an zu Regnen, wie aus Strömen. Der Wind nahm zu und pfiff ihnen um die Ohren. Anstatt vom weißen Nebel, wurden sie nun von schwarzen Wolken umklammert. Blitze zuckten gefährlich nah an ihnen vorbei und ein mächtiger Donner ließ den Ballon erbeben.

„Wir sollten landen“, drängte Serenity.

„Ich kann nicht!“ Sunray hatte genug damit zu kämpfen den Ballon in der Höhe zu halten. Ihn jetzt noch zu lenken oder gar ordentlich zu landen war unmöglich. Sie wurden umher geschleudert als wären sie nur ein Spielzeug .Es war nur ein Ballon für Kurzstreckenrennen, eine solche Belastung würde er nicht aushalten.

„Sunray, du musst uns runter fliegen!“, schrie Serenity.

„Ich kann so aber nicht lenken!“

„Nein, ich meine: Du musst uns runter fliegen“, sagte Serenity und sprang auf seinen Rücken.

„Was?!“

„Jetzt mach schon. Spring!“

In diesem Moment wurde der Ballon von einer Windbö erfasst, eine Leine riss durch, der Korb neigte sich in die Tiefe und Sunray und Serenity rutschten über die Kante.

„Jetzt mach schon!“, brüllte Serenity in sein Ohr. „Flieg!“

„Ich versuch's ja!“ Doch Sunray's Flügel waren einfach zu kurz, Serenity zu schwer, die Geschwindigkeit mit der sie fielen zu hoch, dass Sunray fürchtete der Wind würde seine Flügel abreißen.

„Jetzt mach schon Sunray! Flieg!“

„Verdammt noch mal! Ich konnte noch nie fliegen!“

„Was?!“

Sunray schlug verzweifelt mit seinen Flügeln. Wenn er auch nicht fliegen konnte, konnte er vielleicht den Sturz etwas abmildern.

Sie stießen durch Schichten dicker Gewitterwolken und plötzlich konnte Sunray unter sich schemenhaft das Land erkennen.

Er steuerte auf eine einzelne dicke Wolke zu, riss beim vorbeistürzen ein großen Teil heraus und klemmte es sich unter den Bauch, wie es Pegasusfohlen bei ihren ersten Flugversuchen machten und schlug weiter mit den Flügeln.
 

Das Gute daran, dass sie in einen Sumpf stürzten war, dass die Wolke und der matschig weiche Boden sie auffingen wie ein matschig nasses Kissen. Das schlechte daran, dass sie in einem Sumpf stürzten war, dass sie in einem Sumpf stürzten.

Mühselig schleppten sie sich durch das brackige Sumpfwasser zu einem Stück festen Boden auf dem sie sich fallen ließen.

„Geschafft“, japste Sunray.

Aber Serenity war nicht so positiv gestimmt.

„Dummkopf“, sagte sie zu ihm. Und da das noch nicht ausreichte um ihren Unmut über ihn zu beschreiben fügte sie hinzu: „Idiot! Trottel! Esel! Hast du eigentlich nur Stroh in der Birne?!“

Entgeistert setzte Sunray sich auf. „Was?“

„Warum hast du mir nicht gesagt, dass du nicht fliegen kannst?“

Beleidigt schlug Sunray mit seinen zu kurzen Flügeln. „Ist das nicht offensichtlich genug?“

„Du hättest es aber wenigstens mal erwähnen oder andeuten können.“

„Das ist nun wirklich nichts, was ich gerne rumerzähle.“

Serenity schlug sich vor die Stirn. „Na toll. Ich reise mit dem einzigen Pegasus in ganz Equestria der nicht fliegen kann!“

Da sprang Sunray auf und wütend funkelte er sie an. „Toll. Danke. Danke, dass du mich daran erinnerst!“ Er hatte genug. Er war wütend. Er stapfte davon und ließ Serenity zurück und sie fragte sich, ob sie sich die Tränen in seinen Augen nur eingebildet hatte.



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Kommentare zu dieser Fanfic (1)

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Von:  KFutagoh89
2019-06-08T14:37:45+00:00 08.06.2019 16:37
Die Geschichte ist super. Gefällt mir sehr :) Freu mich auf die Fortsetzung. :)


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