A Myriad Of Feelings von Puppenspieler ================================================================================ Shame Is Always Easier To Handle If You Have Someone To Share It With --------------------------------------------------------------------- Hitoka starrte in den Spiegel, den Mund verkniffen verzogen, ihr Blick zwischen hoffnungsvoll und kritisch und überfordert. Ihre Mutter hatte ihr geholfen, ein Outfit zu finden, das hübsch aussah und nicht zu aufdringlich war – genau das richtige für einen Mädelstag, wie sie gesagt hatte. Aber was Hitoka im Spiegel sah, war kein süßes Mädchen, das sich mit einer Freundin zum Shoppen traf. Sie sah ein Nervenbündel mit zitternden Knien, mit einer Bluse, die an ihrer Mutter atemberaubend ausgesehen hätte, aber an ihrem nicht wirklich kurvigen Körper irgendwie unglücklich hinunterhing – zumindest war das Hitokas Sicht der Dinge! – und inzwischen war sie sich nicht einmal mehr sicher, ob das Haargummi mit der hübschen, großen Blüte, das sie gegen ihre üblichen Sternchen eingetauscht hatte auf Mutters Anraten hin, so eine gute Idee gewesen war. Sah sie dadurch nicht nur noch mehr wie ein kleines Mädchen aus?   Sie holte tief Luft, starrte ihr Spiegelbild entschlossen an.   „Ich gehe da jetzt raus!“, verkündete sie laut und warf sich dabei in einem Versuch von Selbstbewusstsein in die Brust, „Und dann werde ich Spaß haben mit Shimizu-Senpai!“   Genau. Darum ging es schließlich.   „Und ich muss mich auch gar nicht schämen!“   Aber Hitoka… schämte sich. Schämte sich, weil sie jetzt schon wusste, dass sie neben der überirdischen Schönheit, die Shimizu Kiyoko war, aussehen würde wie ein Kartoffelsack, den man in hübsche Kleider gesteckt hatte. Und wenn sie daran dachte, dann fühlte sie sich auch gleich wie ein Kartoffelsack! Und die Kartoffeln, die lagen in ihrem Magen, und das zentnerschwer.   Sicher würde Shimizu nichts sagen. Sie würde grinsen, und sich freuen, dass Hitoka gekommen war, und sicherlich würde sie keinen Gedanken daran verschwenden, dass sie mit einem teuer eingekleideten Kartoffelsack unterwegs war – weil sie so ein unglaublich toller Mensch war. Und das sorgte nur dafür, dass Hitoka sich nur noch viel mehr schämte. Shimizu war so umwerfend! Und Hitoka wagte es, ihre Schönheit mit ihrem Kartoffeltum zu beschmutzen! Vielleicht hätte sie doch zum Make-Up greifen sollen? Hätte das drüber hinweggeholfen? Unwillkürlich bildete sich in ihrem Kopf das Bild eines Kartoffelsacks in schicker Klamotte mit einem Gesicht aus Lidschatten und Lippenstift und falschen Wimpern und – Hitoka erschauderte. Nein. Das war nicht besser.   Kein Make-Up.     Noch einmal holte sie tief Luft, dann kehrte sie ihrem Spiegelbild den Rücken zu und stapfte steifbeinig los. Aus dem Haus. Zur U-Bahn. In die U-Bahn hinein. In die Stadtmitte. Niemand beachtete sie, und das war gut so. Man hörte doch immer von diesen Perversen in Zügen, und Hitoka wollte sie sicher nicht persönlich kennenlernen!   Sie war pünktlich, doch als sie ihren Treffpunkt erreichte, stand Shimizu bereits dort – und wie sie da stand! Sie sah umwerfend aus. Schlicht gekleidet, ein simpler Faltenrock und ein wirklich hübscher Rollkragenpullover, und dazu schöne, feingliedrige Damenschuhe, die Hitoka niemals tragen könnte, ohne darin auszusehen wie eine Sechsjährige, die sich an Mamas Kleiderschrank vergriffen hatte. Das Haar hatte sie seitlich unter dem Ohr zusammengebunden, mit einem großen, hellen Haargummi, das perfekte Akzente zu ihrem Rock setzte.   Ob Hitoka einfach noch abhauen und sich dann panisch entschuldigen konnte, weil sie doch nicht kommen konnte?   „Ah, Hitoka-Chan!“   Nein. Eindeutig nicht.   „Sh-Shimizu-Senpai!“ Hastig eilte sie auf das andere Mädchen zu, kam strauchelnd vor ihr zum Stehen. „H-hast du lange warten müssen?“ Sie verneinte, und trotzdem spürte Hitoka ihre Wangen vor Scham brennen. Natürlich hätte sie früher als pünktlich kommen müssen! Wie unhöflich von ihr! Und wer wusste schon, was alles hätte passieren können! Es wäre ja nicht das erste Mal, dass irgendwelche halbstarken Kerle Shimizu wegen ihrer Handynummer belästigten… Das war so unverantwortlich von ihr gewesen!   „Es tut mir Leid, dass ich dich den halbstarken Rowdys ausgesetzt habe, Shimizu-Senpai!!!“   Einen Moment lang blickte Shimizu sie an, als wisse sie nicht, was sie mit Hitokas Worten anfangen sollte – sofort spürte Hitoka, wie ihr die Schamesröte noch mehr ins Gesicht schoss und am liebsten hätte sie sich irgendwo versteckt –, dann lachte sie, und es klang viel zu fröhlich, viel zu heiter, und viel zu wunderbar, als das Hitoka es ihr irgendwie hätte übelnehmen können. Ein bisschen war sie erleichtert, dass sie Shimizu zum Lachen bringen konnte. Das war etwas wert, oder?   Sie setzten sich in Bewegung, einträchtig nebeneinander herlaufend. Hitoka merkte schnell, während niemand sie eines Blickes gewürdigt hatte, während sie alleine unterwegs gewesen war, jetzt, wo sie Shimizu und ihre überirdische Schönheit bei sich hatte, drehten sich ständig Menschen nach ihnen um. Was sie wohl sahen? Shimizu, die ihren hübsch angezogenen Kartoffelsack spazieren führte. Wie peinlich. Hitoka biss sich auf die Unterlippe und senkte den Blick, in der Hoffnung, dass die Leute, die zu ihnen hinübersahen, sie einfach noch mehr übersehen würden, als sie es ohnehin schon taten. Neben einer strahlenden Prinzessin fiel Dorfbewohnerin B doch sowieso nicht auf.   „Ach übrigens, Hitoka-Chan.“   Shimizus Stimme riss sie aus ihren Gedanken und sie blickte auf, direkt in das fröhlich grinsende Gesicht ihrer Begleitung. Shimizu tippte an den Punkt, an dem der kleine Zopf zusammengebunden war, den Hitoka in ihren Haaren trug, an die große Blume, für die sich Hitoka zwischendrin schon viel zu sehr geschämt hatte, weil sie bestimmt viel furchtbarer aussah, als der Spiegel es ihr weismachen wollte.   „Das steht dir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)