Wege des Schicksals von Saph_ira (Oder eine kleine Zusatzstory zu "Schicksalswege") ================================================================================ Kapitel 1: Schicksalsschlag --------------------------- „Emilie, warte doch auf mich!“ Catherine beeilte sich ihrer Freundin nachzukommen und schob sich immer schneller durch das Gedrängel auf dem großen Markt.   „Du bist einfach zu langsam für dein Alter!“, hörte sie nicht weit entfernt die helle Stimme ihrer Milchschwester und wechselte abrupt die Richtung zu einem Stand. Immer mehr Menschen drängten sich zusammen und versperren ihr den Weg, als sich unerwartet das Gedränge lichtete und sich eine Lücke bildete.   Sie schlängelte sich zwischen den Körper der Käufer und andere Gaffer hindurch, sodass Catherine um sie herum laufen musste und kam endlich an ihr Ziel. Völlig außer Puste erreichte sie ihre Freundin, die gerade ein sattgrünes Haarband in Augenschein nahm. „Für mein Alter?“, Catherine spielte die beleidigte: „Soweit ich weiß, zählst du genauso sechzehn Jahre wie ich! Und bist...“, Sie rechnete schnell nach: „...sogar zwei Monate jünger als ich!“   „Sag ich doch, du wirst langsam alt...“, Emilie zuckte beiläufig mit ihren schmalen Schultern und nahm das grüne Band zwischen Daumen und Finger. „Wie samtweich es ist...“   „Wie bitte?“, Catherine war empört. Aber eigentlich waren solche Sticheleien bei ihrer Freundin nichts Neues.   „Wollt Ihr das Haarband kaufen, Mademoiselle?“, mischte sich der Verkäufer ein und zauberte ein sehr nettes Lächeln auf sein Gesicht: „Es ist aus feinster Wolle gemacht, wenn ich bemerken darf. Auch würde es zu Eurem Kleid hervorragend passen und Euer Haar sehr gut zusammen halten.“   Emilie lächelte und strich sich das blonde Haar, das ihr in Wellen fast bis zu Hüften reichte, von der Schläfe hinters Ohr. „Ich binde mein Haar nie zusammen und trage es immer offen – so wie meine Mutter. Aber das Haarband kaufe ich trotzdem – es passt zu der Augenfarbe meines Vaters.“   „Eine sehr gute Wahl!“ Der Verkäufer packte zufrieden die Ware in einen kleinen Beutel und nannte den Preis.   Emilie bezahlte es umgehend. Ihre Freundin starrte sie nur verdattert an. „Wozu braucht dein Vater noch ein Haarband?! Er hat schon dutzende davon!“   „Ja, ich weiß.“, Emilie sah darüber hinweg. „Aber mein Vater mag es so sehr, wenn ich ihm etwas schenke. Im übrigen, hat meine Mutter ihm sein erstes Haarband noch lange vor meiner Geburt geschenkt.“   Catherine verdrehte die Augen – die Geschichte kannte sie schon zu genüge. „Dein Vater mag es nicht weil du es ihm schenkst, sondern weil er in dich und deine Mutter zu sehr vernarrt ist, um es ablehnen zu können.“   „Na und? Meine Mutter und ich sind genauso in ihn vernarrt.“ Emilie nahm die eingepackte Ware an sich und bedankte sich beim Verkäufer.   „Ich habe zu danken“, erwiderte dieser freundlich. „Und besucht uns wieder, Mademoiselle.“   „Gern. Wir sind den ganzen Monat in Paris.“ Emilie schenkte ihm noch ein letztes Lächeln und drehte sich um, als ihr zufällig ein alter Mann am gleichen Stand auffiel. Es war nichts besonderes an ihm, aber trotzdem kam sie nicht umhin, ihn zu betrachten: Er war vornehm gekleidet, hager gebaut und stützte sich auf einen Gehstock. Sein graues und zu einem Zopf gebundenes Haar, verhärmte Gesichtszüge und tiefe Falten auf seiner Stirn - sowie unter den Augen und den Mundwinkeln, verrieten ein langes und nicht gerade leichtes Leben. „Wie viel kostet dieses Band?!“, fragte er den Verkäufer rau und zeigte auf eine schwarze Haarschleife.   Seine Stimme... so hart... Emilie wusste nicht warum, aber sie konnte sich nicht mehr vom Fleck rühren. „Komm, wir müssen los“, drängte Catherine und zerrte sie schon am Arm.   „Warte noch einen Augenblick...“, murmelte Emilie und machte kurze Schritte in Richtung des Mannes. Was machte sie denn da eigentlich? Und was wollte sie ihm überhaupt sagen? Sie kannte ihn doch gar nicht!   „General Jarjayes!“, Ein anderer Mann, etwas jünger, kam von der anderen Seite angelaufen und blieb bei dem Älteren stehen. „Ach, da seid Ihr! Ich habe Euch schon überall gesucht!“   Emilie verlor beinahe den Boden unter den Füßen. „Ist das denn möglich...“   „Emilie!“ Catherine wurde lauter und rüttelte sie schon von der Seite. „Hörst du mir überhaupt zu?“   Darauf bekam sie keine Antwort. Die beiden Herren hatten sie gehört und drehten rasch ihre Köpfe zu ihnen. Deren Augen wurden immer größer - Unglaube und Entsetzen zeichneten sich darin. Dem älteren Herr fiel gar das gekaufte Haarband aus der Hand. Er bewegte sich – steif, aber auch schnell und blieb direkt vor Emilie stehen. Sein eisiger Blick schien sie in Stücke zu zerreißen. „Wie war dein Name?“   „Em... Emilie, Monsieur... Emilie Grandier...“, stotterte Emilie und war wie versteinert. Sie hatte vor diesem Mann keine Angst. Es war nur... es war nur... Sie konnte nicht einmal den richtigen Ausdruck dafür finden, was das war – aber es kam ihr vertraut vor... Und eigentlich gab sie niemals ihren Namen einem Fremden preis, aber nachdem sie gehört hatte wie dieser Mann genannt wurde, konnte sie sowieso nicht mehr klar denken.   Der General verengte seine Augen zu Schlitzen und beugte sich näher zu Emilie hinüber. Sie spürte seinen Atem direkt auf ihrem Gesicht. Er roch leicht nach Tabak, aber das blendete sie aus. Sein hartgesottener Blick jagte ihr einen eisigen Schauer über den Rücken.   „Nein, du kannst nicht meine Emilie sein... sie ist schon lange tot...“, Dann richtete er sich auf und kehrte ihr abrupt den Rücken zu. „..und ich kenne keinen Grandier!“ Er marschierte, bemerkenswert schnell für einen alten Mann mit dem Gehstock zu dem Stand zurück. „Wir gehen, Girodel! Ich habe mich hier zu lange aufgehalten!“   „Jawohl, General.“ Besagte Girodel starrte noch immer ungläubig auf Emilie. Dann schüttelte er fassungslos den Kopf und folgte dem General.   „Emilie! Emilie!“, drang die besorgte, beinahe ängstliche Stimme von Catherine zu ihr. Sie spürte wie sie dabei am Arm gezerrt wurde und kehrte langsam in die Wirklichkeit zurück, als die zwei Männer im Gedrängel der Menschen auf dem Markt aus der Sicht verschwunden waren. „Das war doch nicht etwa mein...“   „Lass uns gehen, Emilie!“, Wieder die besorgte Stimme von Catherine und das Ziehen an ihrem Arm. „Bitte, Emilie, mir gefällt es hier nicht mehr...“   „Ja...“, murmelte Emilie und setzte ihre Füße in Bewegung. „...das müsste er gewesen sein...“ Ihre Schritte wurden immer schneller. Sie musste zu ihren Eltern! Diese außergewöhnliche Begegnung durfte sie ihnen nicht vorenthalten – vor allem ihrer Mutter nicht...       - - -       „Dieses Mädchen...“, sprach Girodel die Begegnung wieder an, als er mit dem General in der Kutsche nach Hause fuhren. „Sie sah aus wie...“   „Ich weiß, wie sie aussah!“, schnitt ihm Reynier barsch das Wort ab. Seine Gesichtszüge wurden immer härter, seine Stimme schroffer: „Lasst das, Girodel! Oscar ist tot und es gibt daher nichts mehr, was von ihr übrig geblieben ist!“   „Jawohl, General...“ Im Gegensatz zu Reynier, grübelte Girodel weiterhin über die Begegnung mit dem Mädchen nach, welches seiner unerfüllten Liebe zum Verwechseln ähnlich sah. Er würde noch heute Abend zurück nach Paris fahren und sich über diese Emilie näher erkundigen – aber ohne den wortkargen General, der nichts mehr davon hören und wissen wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)