Die Grotten von Necrandolas von -wolfsmoon- ================================================================================ Kapitel 34: Die Hütte --------------------- Ächzend hielt Harry sich den Kopf. Wo war er? Warum war alles so dunkel? Er tastete nach seinem Zauberstab und es dauerte eine Weile, bis er ihn unter einem Stein hervorzog. Er sprach Lumos und sah zuerst nur Steinbrocken. Er lag auf einem großen Haufen Geröll und auch auf ihm lagen einige Steine. Ächzend zog er sein Bein unter einem besonders großen hervor, aber verletzt war er anscheinend nicht. Er klopfte sich den Staub ab, als ihm einfiel, dass er ja nicht alleine war. „Professor?“, rief Harry und kletterte auf den Steinen herum, um den anderen zu suchen. Dort lag er, halb begraben und bewusstlos. Schnell befreite Harry den Slytherin und schüttelte ihn, damit er erwachte, doch es kam keine Reaktion. An seiner Schläfe lief Blut herunter, doch besonders schlimm schien die Wunde nicht zu sein. Die Gliedmaßen waren wohl auch nicht gebrochen, zumindest lagen sie so, wie sie gehörten. Was sollte er jetzt mit ihm machen? Harry stand auf und leuchtete den Gang entlang. Er war größer als die Tunnel, in denen sie vorher waren. Und da vorne war eine Holzverkleidung... Holz? Harry lief skeptisch darauf zu, um es genauer zu betrachten und stellte überrascht fest, dass das eine Tür war. Was hatte eine Tür hier unten zu suchen? Unsicher sah Harry zu Snape hin und wieder zurück zur Tür. Sollte er sie öffnen? Es könnte auch eine Falle sein. Mit erhobenem Zauberstab atmete Harry einmal tief durch, wappnete sich für das schlimmste und öffnete schnell die Tür, doch dahinter verbarg sich kein Monster und es wurde auch kein Zauber ausgelöst. Sein Zauberstab erhellte einen Raum in dem sogar Möbel standen. Konnte er es wagen da reinzugehen? Ganz vorsichtig ging er näher heran und leuchtete den Raum aus. Es schien eine richtige kleine Wohnung zu sein. Ihm gegenüber war ein Regal mit... „Essen!“, rief er aus. Doch das roch doch erst recht nach einer Falle, oder? Testweise nahm Harry einen Stein und warf ihn in den Raum. Nichts geschah. Ganz ganz langsam ging er näher heran und wagte es einen Fuß über die Schwelle zu strecken. Noch immer passierte nichts. Dann sprang er mit einem Satz hinein. Immer noch nichts. Schien sicher zu sein. Neugierig sah Harry sich um und ging weiter hinein. Viel Ausstattung gab es hier nicht, aber es gab noch zwei weitere Räume. Alle hatten kahle Steinwände und -böden, doch besser als diese Tunnel war es allemal. Im größten Raum lag sogar eine Art Pritsche und in der Ecke... Der Gryffindor musste schlucken. Da lag ein menschliches Skelett. War diese Wohnung hier doch tödlich? Oder hatte diese Person hier nur so lange ausgeharrt bis sie von alleine gestorben war? Sonderlich verdächtig erschien es dem Grünäugigen eigentlich nicht. Er entdeckte einige Öllampen, entfachte sie und verteilte sie im Raum. Wirkte wirklich ganz harmlos hier und vor allem sicher vor den Biestern da draußen. Schnell lief Harry zurück zum Slytherin, der noch immer bewusstlos dalag. Zuerst versuchte er ihn hochzuheben, doch das war leichter gesagt als getan, also probierte er den Schwebezauber und bemühte sich Snape nirgendwo anstoßen zu lassen. So manövrierte er ihn langsam in die Wohnung und legte ihn auf die Pritsche. Zuerst zögerte Harry die Tür zuzumachen, wer weiß, ob dann nicht irgendetwas ausgelöst wurde oder sie vielleicht nie wieder herauskamen, doch dann hielt er es doch für das beste. Und tatsächlich geschah nichts. Erleichtert durchatmend wandte er sich wieder dem älteren zu. Warum erwachte der nicht? War er vielleicht doch verletzt? Vorsichtig tastete Harry seine Arme ab, doch die Knochen schienen wirklich in Ordnung zu sein. Dann knüpfte er nach einigem Zögern die Robe und das Hemd auf und erschrak. Die gesamte rechte Hälfte der Brust war ein einziger riesiger blauer Fleck, ein ziemlich übler noch dazu. Er hatte doch nicht etwa innere Blutungen? Langsam wurde der Gryffindor panisch und überlegte fieberhaft, was er tun sollte. Es konnten auch die Rippen sein. Waren die Rippen gebrochen? Wenn ja stellte sich dann noch die Frage, ob die Rippen die Organe verletzt hatten, vielleicht die Lunge. Na super, wo Snape sich doch nicht selbst heilen konnte und Harry beherrschte die nötigen Zauber nicht. Seufzend strich Harry sich übers Gesicht und versuchte herunterzukommen. Er konnte Snape nicht helfen, wenn er keinen kühlen Kopf bewahrte. Der Slytherin atmete ruhig und es hörte sich nicht so an, als habe er dabei Schwierigkeiten, also ging es den Lungen vermutlich gut. Wenn er Episkey verwendete, würde er doch erfahren, ob die Rippen gebrochen waren, oder? „Komm schon“, murmelte Harry und versuchte sich zu konzentrieren. „Episkey.“ „Ah!“, erwachte da sogleich der Tränkemeister wegen dem Schmerz. Harry hatte es knacken hören, doch bezweifelte er, dass die Knochen geheilt waren. „Nicht so stark atmen“, warnte er den Erwachten. „Was...“, begann Snape und wollte sich erheben, doch schon bei der kleinsten Bewegung schoss ihm erneut Schmerz durch die Brust. „Ruhiger atmen“, wiederholte Harry. „Ich glaube Ihre Rippen sind gebrochen.“ „Das merke ich“, ächzte Snape und versuchte so flach wie möglich zu atmen. Dann sah er sich irritiert um. „Wo sind wir?“ „Immer noch im Labyrinth aber diese Tür war in die Wand eingelassen“, deutete Harry hinter sich. „Und dann spazierst du hier einfach so rein?“, murrte der Tränkemeister immer noch mit schmerzverzerrtem Gesicht. Offenbar war das Reden doch zu viel für ihn, denn er legte den Kopf nach hinten, schloss die Augen und versuchte sich so wenig wie möglich zu bewegen. „Ich war vorsichtig“, grummelte Harry, wollte jedoch keinen Streit anfangen. Schließlich hatte er doch ein wenig Mitleid mit dem anderen. „Es gibt hier was zu essen, auch wenn ich es noch nicht gewagt habe es anzufassen.“ „Wie zum Teufel soll hier so lange Essen gelagert haben?“, flüsterte Snape mit geschlossenen Augen. „Ich hatte gehofft Sie könnten mir das sagen.“ „Dazu müsste ich es erst sehen.“ „Sie können so doch unmöglich aufstehen.“ „Wenn wir nicht sterben wollen, muss ich es eh“, murrte Snape weiter. „Verwende Episkey.“ „Habe ich schon versucht“, murmelte Harry leicht frustriert. „Nochmal“, meinte der Tränkemeister. „Mit einem ausholenden Schlenker wie beim Aufrufezauber.“ Zuerst zögerte Harry, doch dann hob er erneut den Zauberstab und konzentrierte sich. Mit dem Zauberstab ausholend, rief er: „Episkey.“ Wieder gab Snape Schmerzenslaute von sich, doch dieses Mal versuchte er sich zurückzuhalten, um den Brustkorb nicht zu sehr zu bewegen. „Es hat nicht geklappt, oder?“, fragte Harry. „Wenigstens scheinen sie jetzt richtig zu liegen“, murmelte Snape und versuchte aufzustehen. Nach kurzem Zögern half Harry ihm und sehr umständlich schaffte Snape es tatsächlich auf die Beine zu kommen. Langsam und steif lief er in den vorherigen Raum, wo das Regal stand. Brot, Äpfel, Käse und Huhn lagen darauf. „Wo ist mein Zauberstab?“, fragte der Tränkemeister, während er das Regal nicht aus den Augen ließ. Harry wühlte in seinem Umhang, zog den Zauberstab heraus und reichte ihn dem anderen. Vorsichtig nahm dieser das Brot vom Regal, musterte es und ließ es dann mit einem Zauber zu Staub zerfallen. „Sie können doch nicht...!“, protestierte Harry sofort. Doch dann sah er, was der Slytherin bezweckt hatte. Auf dem Regal war ein neues Laib Brot erschienen. „Deshalb ist es noch frisch“, erklärte der Tränkemeister. „Es erneuert sich immer wieder. Eine unerschöpfliche Nahrungsquelle.“ Die Augen des Gryffindor wurden groß. Unerschöpflich? Das waren endlich mal gute Neuigkeiten! Kein Hungern mehr, keine widerlichen Biester mehr! „Aber... Essen aus dem Nichts zu beschwören...“ „Das funktioniert natürlich nicht“, warf Snape sofort ein. „Selbst du solltest Gamps Gesetz kennen. Irgendwie hat man es geschafft, dass es nach so langer Zeit immernoch eine Quelle für die Nahrungsmittel gibt.“ Völlig unbeeindruckt von Snapes Argument starrte Harry die Lebensmittel weiterhin wie das achte Weltwunder an, weshalb der Slytherin ihn skeptisch musterte. „Jetzt sag mir nicht, dass du darüber nachdenkst, bis ans Ende deiner Tage hier zu bleiben, nur wegen dem Essen?“, maulte Snape sogleich wieder. Sich leicht ertappt fühlend wurde Harry verärgert. „Nein! Blödsinn.“ Eine Augenbraue hebend, sah Snape ihn tadelnd an. Um dem zu entgehen, ging Harry mürrisch zurück in den anderen Raum und wollte nun den letzten erkunden, wo er sich noch nicht umgesehen hatte. Mit einer der Öllampen leuchtete er den Raum aus und als erstes entdeckte er ein steinernes Becken und darüber... „Ich fasse es nicht!“, machte er seiner Freude Luft. Das war ein Waschbecken! Ein ziemlich schäbiges aber es war ein Waschbecken. Und daneben ein Plumpsklo (immerhin etwas)... Harry sah sich im ganzen Raum um. Das hier war ein komplettes Bad. Eilig lief der Gryffindor zum Wasserhahn und drehte ihn auf und tatsächlich floss Wasser daraus. „Hier gibt es fließend Wasser!“, rief er Snape aufgeregt zu und hielt fasziniert seine Hand unter den Wasserstrahl, als hätte er noch nie so etwas gesehen. „Blödsinn“, rief der andere zurück und kam herüber. „Das Labyrinth ist zu alt, um Wasserleitungen zu...“ Mitten im Satz brach er ab als er den Raum sah und vor allem Harry am Waschbecken. „Wie ist das möglich?“, murmelte er und sah sich das Becken genauer an. „Es scheint sogar Medizin zu geben“, meinte Harry noch aufgeregter und besah sich die Gegenstände im offenen Hängeschrank. Zaubertränke gab es zwar nicht, aber einige Salben. „Dann könntest du dich ja endlich mal um deinen Rücken kümmern“, sagte Snape und besah sich ebenfalls die Salben. „Was?“, fragte Harry irritiert nach. Seinen Rücken? Was war damit? Irritiert sah Snape ihn an. „Jetzt sag nicht du merkst davon nichts.“ Noch immer sah der Grünäugige ihn verwirrt an. „Dein ganzer Rücken ist voller Blut.“ Harry runzelte die Stirn und griff sich so gut es ging an den Rücken. Hatte er sich doch verletzt? Und tatsächlich merkte er, dass sein Pullover nass war und jetzt, wo er ihn gegen den Rücken drückte, brannte es auch ein wenig. Augenverdrehend kam Snape zu ihm. „Zeig her.“ Der Gryffindor drehte sich um und Snape zog den Pullover hoch, um sich die Verletzung anzusehen. Seit wann fiel es ihnen beiden eigentlich so leicht dem anderen mal eben das Oberteil auszuziehen? War es schon so sehr zur Gewohnheit geworden? Der Blick des anderen auf sich zu spüren, fand Harry nun doch etwas merkwürdig. „Die geht einmal über den ganzen Rücken“, murmelte der Tränkemeister. „Von hier...“, damit legte er Harry einen Finger mittig auf sein linkes Schulterblatt, „bis hier“, und berührte Harry nun rechts an der Taille. Harry schluckte. Irgendetwas stimmte gerade nicht mit ihm. Dieses seltsame Kribbeln musste von der Verletzung kommen, anders konnte er es sich nicht erklären. „W-Was“, begann der Grünäugige und hätte sich dafür ohrfeigen können das er stotterte, „sind denn da für Salben? Sind die noch haltbar?“ „Ich denke schon“, ging Snape zum Glück drauf ein und wandte sich wieder dem Regal zu. „Alles hier scheint unter einem besonderen Zauber zu stehen, der alles aktuell hält. Deshalb gibt es auch fließend Wasser.“ Er nahm eine Salbe nach der anderen in die Hand. „Halten“, hielt er Harry eine hin, der sie ihm murrend abnahm. „Die hier müsste helfen“, sagte Snape letztendlich, öffnete eine der Tuben und forderte Harry auf den Pullover hochzuhalten. Wieder musste Harry schlucken, doch der Tränkemeister schien nichts zu bemerken. Ohne weiteren Kommentar, zog der Grünäugige seinen Pullover hoch und wartete. Sogleich spürte er Snapes Finger auf seinem Rücken, die die Salbe verteilten. Nun brannte es doch ein wenig, doch viel mehr störten Harry seine Nackenhaare, die sich aufgestellt hatten. Was zum Teufel war mit ihm los?! Dieses Labyrinth musste seinem Hirn deutlich geschadet haben! „Die Formel für die Substanz ist leider veraltet“, murrte der Slytherin. „Also wird es nicht sofort verheilen.“ Stumm nickte der Gryffindor. War der Kerl endlich mal fertig? Er wanderte gerade mit der Hand Richtung Wirbelsäule und hielt dann inne. Hatte er etwas bemerkt? Hatte er vielleicht Gänsehaut am Rücken bekommen? Snape machte Anstalten etwas zu sagen und Harry überlegte sich schon fieberhaft Ausreden, doch dann blieb der Slytherin stumm und verteilte weiter die Salbe. Hatte er nun etwas bemerkt oder nicht? Als Snape ihn aufforderte, den Pullover wieder runterzumachen und Harry sich zu ihm umdrehte, deutete jedenfalls nichts darauf hin. Aber was hatte er dann sagen wollen? „Steck die am besten ein“, hielt Snape ihm die Tube hin. Dafür verlangte der Slytherin nun nach der anderen Salbe, die Harry noch immer in der Hand hielt und verließ dann damit den Raum. Der Grünäugige nutzte die Gelegenheit, um sich kurz zu sammeln. Okay, das gerade war einfach nie passiert, er hatte da sicherlich nur was durcheinander gebracht. Ihm war nur nicht wohl bei dem Gedanken, Snape den Rücken zu kehren und hatte dieses Gefühl fälschlicherweise positiv gedeutet. Ja, das muss es gewesen sein. Langsam seufzend folgte er dem anderen. Snape hatte sich auf die Pritsche gesetzt und verteilte die Creme nun auf seinem Brustkorb. Den Blick abwendend, ging Harry hinüber ins vorderste Zimmer. „Heißt das jetzt ich kann diesen Kram hier ohne Sorge essen?“, rief er dem anderen zu und sah hungrig zum Regal. „Vermutlich schon“, kam die Antwort. „Vermutlich“, murmelte Harry leise vor sich hin, nahm den Apfel und musterte ihn kritisch. Ein Apfel war vielleicht die schlechteste Wahl, um zu testen, ob das Essen vergiftet war oder nicht. Mit einem komischen Gefühl im Magen, legte Harry den Apfel zurück und nahm stattdessen den Käse. Snape war wieder hinter ihm aufgetaucht und sagte: „Du traust dem Apfel nicht?“ „Erinnert mich zu sehr an Schneewittchen“, antwortete der Gryffindor und biss vom Käse ab. „Das ist eine Märchenfigur von den...“ „Ich weiß wer das ist“, unterbrach Snape ihn knurrend. „Falls du es vergessen haben solltest, hatte ich als Kind eine Freundin, die muggelstämmig war.“ „Woher soll ich wissen was Sie wissen?“, zitierte Harry den anderen leicht bissig. Dem Slytherin schien es ja schon wesentlich besser zu gehen, wenn er wieder blöde Sprüche bringen konnte. „Wir werden wieder frech, was?“, knurrte Snape zurück. „Pff“, gab Harry nur von sich und ignorierte den anderen. Das er auch immer so tun musste, als sei er ihm überlegen. Wer hatte denn gerade noch mit Höllenschmerzen auf der Pritsche gelegen? Allerdings musste der Gryffindor zugeben, dass sich Snape mit Wehklagen ziemlich zurückhielt. Gebrochene Rippen waren sicherlich nicht das angenehmste, doch statt sich auf der Pritsche auszuruhen, versuchte er sich ganz normal zu verhalten. Als Harry sich satt gegessen hatte, wanderte er wieder in den hinteren Raum, um sich mit dem Wasser im 'Bad' zu waschen. Herrlich, dieses wunderbare Nass in seinem Gesicht zu spüren und sich nicht mit Reinigungszaubern zufrieden geben zu müssen. Und das alles ohne den Zauberstab nebenbei halten zu müssen, um Licht zu haben. Diese Öllampen waren schon ein Luxus, die mussten sie unbedingt mitnehmen. Bei dem Gedanken stockte Harry. Mitnehmen, wohin denn? Sie waren noch immer im Labyrinth und nur weil er dieses Versteck hier gefunden hatte, hatten sie noch lange keinen Ausweg gefunden. Sich am Beckenrand abstützend, dachte er an die Kreaturen, denen sie bereits begegnet waren. Es gab hier noch viel mehr von denen und einige waren vielleicht sogar genauso gefährlich wie der Basilisk oder der Nundu. Oder so hinterhältig wie der Pogrebin... er konnte es diesem verstorbenen Zauberer nicht verdenken, der den Rest seines Lebens hier in der Hütte verbracht hatte. Für einige Zeit ließen es sich die beiden gut gehen. Sie hatten alles was sie brauchten, um wieder Energie zu tanken, dennoch wussten sie, dass sie nicht ewig dort bleiben konnten. Sie sprachen es zwar nicht offen an, doch beide waren sich bewusst, dass sie bald wieder in diesen Tunnel hinaus mussten. Da die Salbe für Harrys Rücken nicht so wirkungsvoll war, wie modernere Salben, musste Snape Harrys Rücken ein zweites Mal eincremen. Wieder hielt er kurz bei der Wirbelsäule inne und rang mit sich. Schließlich fragte er zögerlich: „Wo hast du diese Narbe her?“ Dabei strich er neben der Wirbelsäule ein Stück auf und ab, was Harry wieder Gänsehaut bereitete. „Ähm...“, dachte der Gryffindor schnell nach. „Kommt vom Trimagischen Turnier.“ „Hör auf zu lügen, die Narbe ist viel älter“, murrte der Slytherin. „Sie hat sich durch den Wachstum völlig verzerrt.“ „Warum sollte ich es Ihnen erzählen?“, knurrte Harry plötzlich abwehrend. „Schön“, meinte Snape nur knapp, rieb die Wunde fertig ein und wandte sich dann ab. Was denn, er bohrte nicht weiter nach? Er respektierte ihn? Nun doch zögernd, gab der Gryffindor seine verkrampfte Haltung auf. „Sie kennen die Situation bereits, in der sie entstanden ist“, murmelte er also. Fragend hob Snape eine Augenbraue, während Harry sich zu ihm umdrehte. „Sie haben es im Okklumentikunterricht gesehen. Oder den Anfang zumindest.“ „Das reicht nicht ganz, um darauf zu kommen, Potter“, wusste Snape noch immer nicht, wovon der andere sprach. „Sie hatten damals gefragt, ob so etwas öfter vorkam“, zuckte Harry mit den Achseln. Der Slytherin schien nun zu begreifen, dass Harry die Szene meinte, in der Onkel Vernon ihn geschlagen hatte. Die Augen analytisch verengend, sagte der Tränkemeister: „Du hast gesagt es sei nicht mehr viel passiert.“ „Ist es auch nicht“, wischte Harry das ganze mit der Hand weg. „Ich bin gegen einen Stuhl gekracht und da ist ein Stuhlbein abgebrochen. Das hat die Narbe verursacht.“ Schweigend beobachtete Snape den anderen, als ob er nicht glauben würde, dass das alles war. Also beteuerte der Gryffindor nochmals: „So etwas ist nie wieder passiert. Und so schlimm wie es klingt war es auch nicht.“ Wirklich überzeugt schien der Tränkemeister nicht zu sein, doch er wandte den Blick ab und schien das Thema abzuschließen. Harry wusste inzwischen, warum Snape so empfindlich bei solchen Themen reagierte. Damals hatte er sich noch gefragt, warum es ihm so wichtig war, wie er von Onkel Vernon behandelt wurde, doch nachdem er das von Snapes Vater erfahren hatte, leuchtete ihm das alles ein. So kalt Snape auch wirkte, Gewalt gegen Kinder verabscheute er. „Wir sollten nicht mehr lange hier bleiben“, wechselte der Slytherin das Thema. „Meinen Sie denn das geht mit Ihren Rippen?“, zweifelte Harry ein wenig. Der Schmerz schien wirklich abgeklungen zu sein, vermutlich wegen der Salbe, doch dafür lief der Tränkemeister extrem steif und wäre bei einem Kampf völlig unbeweglich. „Willst du ernsthaft hier bleiben bis die Knochen verheilt sind?“, zog Snape ungläubig eine Augenbraue hoch. Harry musste zugeben, dass das hauptsächlich eine Ausrede war. Er wollte nicht zurück in die dunklen Tunnel, wo sie jederzeit getötet werden konnten. „Du hast doch die großen Reden geschwungen, dass du den Ausgang finden willst“, murrte Snape weiter. „Schon...“, zögerte der Gryffindor. „Du hast Angst“, stellte Snape fest. „Nein!“, brauste Harry sofort auf. „Meinetwegen können wir weiter.“ Damit schnappte er sich seinen Mantel und kontrollierte, ob er das Messer eingesteckt hatte. Snape musterte ihn skeptisch mit hochgezogener Augenbraue. „Es wäre schlauer vorher nochmal auszuschlafen und zu essen. Wir können nur einmal Essen mitnehmen, danach müssen wir uns wieder was fangen.“ Murrend legte Harry seinen Mantel wieder weg. „Wer will jetzt länger hier bleiben?“ Also ruhten sie sich aus und schlugen sich die Bäuche voll. Nach vielen Stunden machten sie sich tatsächlich zum Aufbruch bereit. Sie räumten das Regal leer, füllten ihre Flaschen mit Wasser und nahmen die Salben mit, die Snape für nützlich hielt. Im letzten Moment fiel Harry noch ein, dass er eine Lampe mitnehmen wollte. Fertig gerüstet atmeten sie tief durch, ehe sie die Tür öffneten, durch die sie vor einigen Tagen gekommen waren, und blickten in die unerbittliche Dunkelheit. Harry schluckte und folgte dann Snape, der als erstes seinen Mut zusammennahm. Da waren sie wieder, im dunklen, kalten, unendlichen Tunnel. Harry wurde das Herz schwer. Das bisschen Luxus, das sie genossen hatten, war nun wieder fort. Nur die Lampe machte das Ganze ein bisschen besser, denn ihr Licht war nicht so kalt wie das des Zauberstabs. Allerdings würde ihnen bald das Öl ausgehen. Sie waren noch gar nicht weit gegangen, da hörten sie hinter sich ein merkwürdiges Geräusch. Irgendetwas schien über den Boden zu fleuchen. Mit erhobenen Zauberstäben drehten sich die beiden Zauberer um... und erstarrten vor Schreck. Eine junge Frau kroch auf sie zu, von oben bis unten mit üblen Wunden übersät. Sie erinnerte mehr an eine Leiche als an einen lebendigen Menschen. Sie keuchte und ächzte und ihr langes, rotes Haar verdeckte größtenteils ihr Gesicht. Doch als sie dichter kam, hob sie den Blick und streckte ihren halb verwesten Arm Snape entgegen. Seine schwarzen Augen trafen auf grüne. Mit aufgerissenen Augen machte der Slytherin einen Schritt zurück und jetzt erkannte auch Harry, wer diese Frau war. Übelkeit überkam ihn, der Schock wanderte wie Strom durch seinen Körper und beinahe hätte er die Lampe fallen lassen. Die Frau kam näher und nun wich auch Harry panisch zurück. Nach langem Zögern schaffte der Tränkemeister es endlich sich zu einem Zauber zu überwinden, den er gegen die kriechende Person verwendete. Augenblicklich veränderte sich die Gestalt. Leichter Rauch stieg auf und die Frau stand schlagartig auf. Überrumpelt stolperte Snape nach hinten, stürzte und ließ seinen Zauberstab fallen. Dann veränderte sich die Frau und wurde zu einem hochgewachsenen Mann mit kurzen, dunkelbraunen Haaren und einer Hakennase. Grimmig sah er auf Snape hinab und ging auf ihn zu. Langsam schaltete sich wieder Harrys Verstand ein und er begriff, was sie da vor sich hatten: Einen Irrwicht. Eilig kroch Snape vor, um sich seinen Zauberstab zu schnappen, doch da packte der Mann ihn am Bein und zog ihn wieder zurück. Mit Entsetzen starrte der Slytherin in die Augen des Mannes, der zum Angriff überging. Doch endlich löste sich Harry aus seiner Starre. Er musste Snape helfen. Er musste den Irrwicht auf sich lenken, aber wie wenn er nun schon fast über Snape gebeugt war? Ohne groß nachzudenken, machte der Gryffindor einen Satz nach vorne, hockte sich neben den Slytherin und brachte sich zwischen Snape und Irrwicht. Sofort veränderte dieser wieder seine Gestalt und schon hatte Harry einen Dementor vor sich. „Ridikkulus“, rief Harry schnell und ein Windstoß ließ den Umhang des Dementors hochfliegen, sodass eine rot-weiße Ringelhose zum Vorschein kam. Schnell versuchte der Dementor den Umhang wieder runter zu schieben, doch das gelang ihm nicht und so schwebte er nervös rückwärts, ehe er die Flucht ergriff. Keuchend und zitternd hockte Harry da und brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass er nicht mehr schützend über dem anderen kauern musste. Fahrig erhob er sich und sah zum anderen hinunter. Snape schien noch nicht wieder im Hier und Jetzt angekommen zu sein, sondern starrte weiterhin ins Leere. Sein Atem war zittrig und er nahm keine Notiz von Harry. Seine erste Bewegung ging zum Zauberstab, den er eilig aufhob und versuchte sich dann gerade hinzusetzen. Dabei strich er sich ächzend über den Brustkorb und verzog das Gesicht. Der Gryffindor war ein wenig mit der Situation überfordert. „Ähm... ich... kann die Rippen nochmal richten.“ Erst jetzt schien der Slytherin Harry wieder wahrzunehmen. Er sah kurz auf, senkte den Blick jedoch schnell wieder und rutschte dann zur Wand, um sich anzulehnen. Dann strich er sich durchs Haar und versuchte sich wieder zu fangen. „Ist wohl notwendig“, presste er hervor und begann sein Hemd aufzuknüpfen. Sich neben Snape hockend, versuchte Harry den anderen nicht anzusehen und wartete. Ein Irrwicht nahm die Gestalt von dem an, wovor man am meisten Angst hatte. Beide Gestalten waren an Snape gerichtet gewesen. Der Tod von Lily schien den Slytherin mehr zu verfolgen, als Harry gedacht hatte. Auch für ihn war es ein riesiger Schock sie so zu sehen, dieses Bild würde er bestimmt nicht mehr so schnell los werden. Und die zweite Person war Snapes Vater gewesen. Dem Tränkemeister war sicherlich bewusst gewesen, dass er einen Irrwicht vor sich hatte, sonst hätte er keinen Zauber angewendet, doch trotzdem hatte er es nicht geschafft sich gegen ihn zu wehren. Nun riskierte der Gryffindor doch einen Blick zum anderen. Snape gab sein bestes, um sich nichts mehr anmerken zu lassen, doch man sah ihm noch an, dass der Schock ziemlich tief saß. Verdammt, er war ein Todesser und dennoch war es sein Vater, vor dem er am meisten Angst hatte? Anscheinend hatte er Snape damals wirklich übel zugerichtet. Und wieder hatte der Grünäugige das Gefühl mehr zu wissen, als es Snape lieb war. Das Hemd war offen und der Gryffindor konzentrierte sich auf den Zauber. Er hatte ihn nun schon einige Male angewendet, doch geheilt bekam er die Knochen einfach nicht, sondern nur zurechtgerückt. Aber wenigstens hatte die Salbe die blauen Flecken minimieren können. „Achtung... Episkey“, warnte Harry Snape vor und dennoch konnte der einen Schmerzenslaut nicht unterdrücken. Er konzentrierte sich darauf möglichst flach zu atmen und beruhigte sich langsam wieder. Noch immer unsicher saß Harry da und beobachtete ihn. Sein Blick fiel auf die zwei Ketten, die Snape um den Hals trug und die Harry schon mehrmals aufgefallen waren. Er hielt Snape nicht für jemanden, der gerne Schmuck trug, aber bei genauerem Hinsehen erkannte Harry einen der Anhänger. Das Medaillon. Ein Familienerbstück, wie Snape selbst gesagt hatte. Und was hatte es mit dem Wolfsanhänger auf sich, der neben dem Medaillon baumelte? Während das Medaillon noch irgendwie magisch wirkte, schien die Wolfsfigur einfach nur ein normaler Anhänger zu sein. „Tu mir den Gefallen und erwähne diesen Vorfall nicht. Nie“, sagte der Tränkemeister und zögerlich nickte der Gryffindor. Kurz wurde er vom Slytherin scharf gemustert, ehe sich dieser erhob und auch Harry kam hastig auf die Beine. „Wir sollten möglichst weit laufen solange wir noch ausgeruht sind“, murmelte Snape und schickte Harry voran. Verärgert dachte der Gryffindor, Snape wolle ihn als Schutzschild missbrauchen, doch dann kam ihm der Einfall, dass der Slytherin vielleicht nicht von ihm beobachtet werden wollte.   „Ernsthaft, Ritter Luckless?“ runzelte Harry die Stirn. „Ging es nicht ein bisschen einfallsreicher?“ „Potter, das ist ein Märchen für Kinder“, murrte Snape. „Natürlich ist da alles unrealistisch und rosarot. Zum Schluss finden die auch ohne den Brunnen ihr Glück, weil sie an ihre eigenen Stärken geglaubt haben.“ „Dumm ist das aber nicht. Die Moral von Märchen ist eigentlich nie verkehrt.“ „Trotzdem wäre mir so ein Brunnen jetzt recht“, knurrte der Slytherin zurück. Zum ersten mal seit sie in Necrandolas waren, waren die beiden Zauberer in Smalltalk gefallen und das nur, weil Snape meinte, sie könnten den Brunnen des Glücks aus einem Märchen gebrauchen. Da Harry keine Märchen aus der Zaubererwelt kannte, hatte er Snape dazu genötigt, ihm dieses zu erzählen. „Manchmal ist Glück auch von der Betrachtungsweise abhängig. Wie bei Hans im Glück“, erklärte Harry. Snape schüttelte leicht den Kopf. „Das kenne ich wiederum nicht. Ich war gezwungen mir ständig Dornröschen anzusehen, weil das Lilys Lieblingsmärchen war...“ Bei dem Gedanken an Lily verstummte der Tränkemeister sofort und verstohlen betrachtete Harry ihn aus dem Augenwinkel. Sie hatten zum ersten mal in ihrem Leben ein simples Gespräch geführt, da musste der Slytherin doch nicht gleich wieder abbrechen. „Zu Hause wurde selten über Märchen gesprochen, weil Dudley mit so etwas nichts anfangen konnte. Aber in der Schule wurden uns andauernd welche erzählt“, versuchte Harry die Unterhaltung etwas unbekümmerter weiterzuführen. „Ich schätze bei Dudley sind einfach bestimmte Hirnareale zu verkümmert, um hinter solche Geschichten zu steigen. Er hat nie gemerkt, was für einen Zauber sie doch haben.“ Zum Schluss hin wurde Harry immer nachdenklicher. Schon seltsam auf diese Zeit zurückzublicken, jetzt wo er wusste, dass es so etwas wie Magie wirklich gab. „Das waren einfach nur Geschichten, größtenteils gruselige noch dazu. Was für ein Zauber sollte bitte auf so etwas liegen?“, murrte der Slytherin skeptisch, was Harry belustigt zum Schmunzeln brachte. Das war so typisch Zauberer. „Ich glaube das verstehen nur diejenigen, die bei Muggeln aufgewachsen sind.“ Plötzlich hielt Harry inne und lauschte. Auch der Slytherin hatte etwas gehört und sah in die Dunkelheit. Da war es wieder, ein Grunzen. Und es kam näher, immer näher, aber es war absolut nichts zu sehen. Der Gryffindor hatte das Gefühl, dass dieses Etwas bereits direkt vor ihnen war, doch im Lichtschein war absolut nichts zu sehen. Ratlos sah er zum anderen, der überlegend die Augen zusammengekniffen hatte. Dann hörte Harry es wieder, ein Grunzen und Schnauben direkt vor ihm. Erschrocken machte er einen Satz nach hinten und hob seinen Zauberstab und auch Snape zückte seinen. „Was ist das?“, fragte Harry irritiert. Ahnungslos schüttelte der andere langsam den Kopf ohne den Blick vom Ort zu nehmen, wo er das Geräusch her vermutete. Wieder ein Schnauben, dann Getrappel und dann... „Autsch!“, rief Harry aus, während er zu Boden segelte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)