Die Grotten von Necrandolas von -wolfsmoon- ================================================================================ Kapitel 12: Das Medaillon ------------------------- „Syndia, Nein!“, rief Severus seiner Schwester zu und eilte zu ihr. Nun völlig irritiert starrten die Schüler ihren Tränkeprofessor an, welcher zu Syndia rannte und sie an den Schultern packte. „Syndia, beruhige dich! Hier sind Kinder!“, flüsterte Severus seiner Schwester energisch zu und versuchte zu verhindern, dass diese endgültig die Kontrolle verlor. Denn ihre Energie war es, die dieses Flimmern und das klirren der Gläser verursachte. Genauso wie jetzt hatte bei ihr immer ein Gefühlsausbruch begonnen, der für alle Personen in der Umgebung höchste Gefahr bedeutete. „Syndia, du musst dich wieder in den Griff bekommen!“, redete der Slytherin weiterhin auf seine Schwester ein, doch diese schien ihn einfach zu überhören. Stattdessen starrte sie noch immer auf den Gegenstand in ihrer Hand und streckte ihn auf einmal ihrem Bruder entgegen. „Du weißt, was das hier ist!“, schrie sie ihn auf einmal an und Tränen bahnten sich ihren Weg über ihre Wangen. „Du weißt was das ist und du weißt auch, was das bedeutet!“ Ihre Stimme erstickte und sie fing bitterlich an zu weinen, wobei sich die Magiewelle erweiterte. Erst jetzt sah Severus auf den Gegenstand und erstarrte. Es war ein goldenes Medaillon, welches eine silberne Krone mit kleinen, weißen Edelsteinen als Wappen eingeprägt hatte. Doch das Schmuckstück konnte seinen Glanz nicht zeigen, da es komplett mit Blut beschmutzt war. „Es war seines und es ist mit Sicherheit auch sein Blut!“, schrie Syndia verzweifelt aus. „Jetzt beruhige dich erst einmal, Syndia!“, forderte der Tränkemeister und verstärkte den Griff um die Schultern der Hexe. Diese weinte jedoch nur weiter und senkte den Blick. Leicht panisch sah Severus zu den Tischen und beobachtete, wie die Gläser bereits einzeln am Zerspringen waren und die Flammen der Kerzen um das dreifache wuchsen. „Syndia hör mir zu! Hör mir zu!“, murrte ihr Bruder energisch und schüttelte sie leicht. „Hier sind überall Kinder um dich herum. Und hier ist auch überall Glas und Feuer, das sie verletzen könnte. Ich bitte dich, reiß dich zusammen, wenn du nicht willst, dass du jemanden verletzt!“ Kurz hielt die Verteidigungslehrerin in ihrem Schluchzen inne und hob langsam den Blick. Severus sah die pure Verzweiflung in ihren Augen. „Komm, wir verschwinden“, flüsterte er seiner Schwester noch ins Ohr, ehe er sich von ihr löste und sie bestimmt am Arm aus der Großen Halle führte. 'Erstmal die Schüler in Sicherheit bringen.', dachte sich der Tränkemeister und führte die Schwarzhaarige nach kurzem Überlegen hinaus zum See, da sie draußen am wenigsten Schaden anrichten konnte. Zum Glück regnete es gerade nicht und sie konnten eine Stelle am Ufer finden, die windgeschützt war. „Jetzt setz dich erstmal hin“, befahl Severus Syndia leicht murrend und bugsierte sie auf einem großen Stein, auf den sie sich schniefend niederließ. In ihren zittrigen Händen hielt sie das Medaillon, welches Severus ihr zögernd abnahm, um es genauer zu betrachten. Das Blut musste noch relativ frisch sein und der Tränkemeister zweifelte nicht daran, dass es das seines Neffen war. Er kannte das Medaillon, denn diese Krone war das Wappen der Familie Prince. Seine Mutter hatte ihm damals erklärt, dass dieses Familienerbstück von Generation zu Generation weitergegeben wird, um die Familie zu beschützen. Denn nichts anderes war dieses Schmuckstück: ein Schutz. Es hatte magische Kräfte, sodass der Träger vor schlimmen Verletzungen geschützt wurde. Severus selbst besaß ebenfalls so ein Medaillon und trug es immer bei sich, wenn er Voldemort einen Besuch abstatten musste. So waren die unzähligen Cruciatus-Flüche einigermaßen erträglich für ihn gewesen. Syndia hatte ebenfalls ein Schmuckstück erhalten, das sie offensichtlich an ihren Sohn weitergegeben hatte. Nun war es hier in Severus' Händen, mit dem Blut der Person verklebt, welche es hätte beschützen sollen. Severus setzte sich neben seine Schwester und nahm sie wortlos in den Arm, die ihren Kopf in seiner Halsbeuge vergrub und ungehindert weiterschluchzte. Beruhigend strich der Slytherin über ihren Arm und dachte nach. Es war verständlich, dass Syndia so reagierte, denn es war keine einfache Sache das Medaillon zu stehlen. Ein Feind konnte nicht einfach hingehen und dem Träger das Medaillon abnehmen. Dazu musste er dem Träger bereits so viele Qualen zugefügt haben, dass das Medaillon nicht mehr die Macht hatte seinem Schützling zu helfen. Severus betete darum, dass der Junge tapfer genug war das durchzustehen.   In der Großen Halle war währenddessen die Gerüchteküche am brodeln. Die Lehrer gaben sich die größte Mühe, doch es gelang ihnen nicht, die Schüler ihre Gespräche einstellen zu lassen. Madame Pomfrey war zu einer Schülerin geeilt, die einen Glassplitter in den Unterarm bekommen hatte, und heilte die kleine Schnittwunde im Nu. Ron und Hermine tauschten besorgte Blicke aus und flüsterten miteinander, während Harry versuchte mitzuhören, nebenbei aber immer wieder zum Slytherintisch herübersah. Er hatte Malfoy während der ganzen Szene beobachtet und fand sein Verhalten mehr als merkwürdig, obwohl der Blonde es wohl nicht zu auffällig machen wollte. Noch bevor Levin ihren Ausbruch bekam, hatte er die Kerze vor sich gelöscht und alle Gläser von sich geschoben. Das war dann das letzte Mal gewesen, dass der Grünäugige ihn beobachtete, denn Levin zog seine Aufmerksamkeit durch ihr Geschreie auf sich. Harry hatte sich schon gedacht, dass Levin mehr Fähigkeiten hatte, als er bisher gesehen hatte, doch dass sie eine so große Macht besaß, sodass die Gläser anfingen zu zerspringen, hätte er nie gedacht. Nachdem die beiden Lehrer die Große Halle verlassen hatten, war eine drückende Stille entstanden, in der die Schüler fassungslos ihren Lehrern hinterhergesehen hatten. Die übrigen Lehrer standen wie versteinert am Lehrertisch, wobei Dumbledore noch immer den Arm gehoben hatte, wodurch er ursprünglich seine Kollegen zurückgehalten hatte, Snape zur Hilfe zu kommen. Kurz darauf war das absolute Chaos ausgebrochen, welches noch immer nicht von den Lehrern in den Griff bekommen werden konnte. „Sie sprach von Blut. War da Blut auf diesem Anhänger?“, hörte Harry Hermine leise fragen und er drehte sich nun vollends zu ihr und Ron. „Keine Ahnung. Was glaubt ihr, wer das geschickt hat? Ich habe noch nie gesehen, dass die Post mit Raben verschickt wird“, überlegte Harry weiter. „Na das ist auch gut so“, erwiderte Ron etwas bleich im Gesicht. „Raben als Botschafter sind immer ein schlechtes Zeichen.“ „Wessen Blut sollte das gewesen sein...?“, dachte Hermine laut nach. Grübelnd erzählte Harry:„Auf Levins Schreibtisch steht ein Bild von ihrem Sohn. Als ich sie danach fragte, war sie so merkwürdig geworden. Bevor ich weiter fragen konnte, kam Snape rein und als er sah, dass ich das Bild in der Hand hatte, hat er mich rausgeschmissen.“ „Hm... meinst du wirklich Snape hat nur so reagiert, weil etwas nicht stimmt? Er würde sich doch immer so aufführen, wenn du in seinem Privatleben herumschnüffeln würdest, oder?“, überlegte die junge Hexe. „Ich weiß nicht... mein Gefühl sagt mir, dass da was nicht stimmt.“ Kurze Stille trat ein und die drei Gryffindors wurden sich nun wieder bewusst, welches Chaos noch immer in der Großen Halle herrschte. „Am besten verschwinden wir erstmal von hier. Das wird mir hier zu laut“, beschloss Hermine, schnappte sich ihre Tasche und verließ, gefolgt von ihren beiden Freunden, die Große Halle.   Harry betrat zum ersten Mal den Garten des riesigen Hauses am Grimmauldplatz. Es hatte sich eine friedliche Stille über die Wiesen gelegt, die nur von fröhlich zwitschernden Vögeln unterbrochen wurde. Das Grün des Grases war intensiver als jemals zuvor und der wolkenlose Himmel hatte eine neue Stufe des Blaus erreicht. Die Frühlingssonne strahlte eine angenehme Wärme aus, die nicht zu warm und nicht zu kalt war. Am hinteren Teil des Gartens gab es einen kleinen See, an dessen Ufer ein Mann mit langen, schwarzen Haaren stand und den Libellen dabei zusah, wie sie über das Wasser flogen. Harry trat zu ihm und schaute in sein zufriedenes Gesicht. Als Sirius seinen Patensohn bemerkte, sah er ihm in die Augen und lächelte. „Es ist herrlich, nicht wahr?“, fragte er leise und mit sanfter Stimme, während er seinen Blick wieder über den See schweifen ließ. „Das ist der schönste Frühling, den ich jemals erlebt habe. Selbst die Natur scheint sich über den Fall von Voldemort zu freuen.“ Genießerisch sog er die Luft ein, in der der Blumenduft schwebte, vermischt mit dem Geruch von frischem Gras. Lächelnd ließ der Grünäugige seinen Blick ebenso schweifen, ehe er die Augen schloss und die Sonnenstrahlen auf seinem Gesicht genoss. „Jetzt haben wir endlich Zeit auch mal auszuspannen“, fuhr Sirius fort, weiterhin mit entspannender Stimme, sodass diese herrliche Ruhe und der Frieden nicht gestört wurde. „Wir können unser Leben leben. Wir können alles nachholen, was uns bisher verwehrt wurde.“ Harry öffnete wieder seine Augen und fragte seinen Paten: „Und was schlägst du als erstes vor? Jetzt, wo deine Unschuld bewiesen wurde, kannst du dich wieder frei bewegen.“ „Wie wäre es...“, überlegte der Ältere, „wenn wir erstmal wegfahren? Wir gönnen uns einen schönen Urlaub, wo es nur uns beide gibt. Ein schöner ruhiger Ort. Am besten am Meer.“ „Ans Meer hört sich gut an“, bestätigte der Brillenträger. „Und wir suchen uns einen guten Platz zum Quidditch spielen“, grinste Sirius nun frech. „Ich bin mal gespannt, wie gut du wirklich bist. Dann kann ich dir endlich mal zeigen, wie ich spiele. Eingerostet bin ich noch lange nicht.“ „Na das werden wir dann ja sehen“, lachte Harry auf. „Ja, werden wir. Du wirst staunen“, grinste Sirius weiter. „Du wirst staunen, wenn ich dich erstmal fertig gemacht habe“, forderte der Gryffindor seinen Paten heraus. „Freue dich nicht zu früh. So schlecht, wie du denkst, bin ich nicht“, ging Sirius auf die Stichelei ein. „Und was machen wir noch?“, fragte Harry weiter, um auf das ursprüngliche Thema zurückzukommen. „Hm...“, überlegte Sirius und beobachtete eine Gruppe von Enten, die nun an ihrem Ufer entlang schwammen und vor sich hin quakten. Eine schwache Brise glitt über die Wiesen und ließ Sirius' Haar leicht wehen. „Wir haben Zeit und genug Geld, um eine ganze Zeit lang herumzureisen. Ich will unbedingt mal nach Spanien“, grinste Sirius weiter und sah sein Patenkind fragend an. „Wo immer du hin willst“, lächelte Harry zurück. „Allerdings nur unter der Bedingung, dass wir auch einen Abstecher nach Australien machen.“ „Oh ja, das ist eine gute Idee“, ließ sich der Ältere begeistern. „Wie wäre es, wenn wir Seidenschnabel mitnehmen?“ „Wenn der sich mit den Kängurus versteht“, lachte Harry und Sirius stimmte mit ein. „Was glaubst du, wer würde bei einer Kabbelei gewinnen? Seidenschnabel oder das Känguru?“, überlegte Sirius weiterhin glucksend. „Hm...“, überlegte Harry kurz und fing bei seinem nächsten Gedanken wieder zu lachen an, „Es kommt drauf an. Stell dir nur vor, wie Seidenschnabel von so einem Tier ein blaues Auge verpasst bekommen würde.“ Kurz sahen sich die beiden an, ehe sie sich nicht mehr halten konnten und lauthals loslachten.   Verwirrt öffnete Harry die Augen. Es war dunkel, still und er befand sich in einem Bett. Das Lachen von Sirius hallte noch in seinem Kopf nach und er hatte das Gefühl, dass sich nach diesem schönen Sonnenschein die Augen erst einmal wieder an die Dunkelheit gewöhnen mussten. Langsam fraß sich nun auch Kälte in den Körper des Gryffindors und als dieser die Vorhänge um sein Bett herum erkannte, wusste er wieder, wo er war. Er war in Hogwarts in seinem Schlafsaal. Voldemort war nicht besiegt, dafür aber Sirius schon seit einem halben Jahr nicht mehr am Leben. Er hatte nur geträumt mit Sirius zu reden, mit ihm den Frieden zu genießen und mit ihm zu lachen. Alle Glücksgefühle aus diesem Traum waren auf einmal verschwunden und es blieb nichts als Leere. Die Stille um den Grünäugigen wurde unerträglich. Sie war mit einem mal so drückend, dass er das Gefühl hatte seine Ohren würden schmerzen. Die Kälte konnte nicht von der Decke abgehalten werden, sodass sie sich, genauso wie die plötzliche Einsamkeit, in seine Knochen fraß. 'Kein Frieden. Kein lachender Sirius. Und ein noch quicklebendiger Voldemort.', rief Harry sich ins Gedächtnis und legte seinen Arm über die Augen. Das durfte doch alles nicht wahr sein! Dieser Traum war noch schlimmer gewesen als seine Albträume. Es machte dem Gryffindor deutlich, was er sich so sehr wünschte und dennoch nicht erreichen konnte. Sirius war tot! Frieden war noch lange nicht in Sicht! Er konnte nicht frei sein! Nicht solange er es nicht schaffen würde, Voldemort zu besiegen! Wie sollte er das überhaupt anstellen?! Warum sollte es ausgerechnet ihm gelingen, wenn es kein Zauberer der Welt in den letzten 20 Jahren geschafft hatte?! Wenn es nicht einmal Dumbledore schaffte! Verzweifelt drehte sich der Grünäugige auf den Bauch und drückte den noch in den Händen liegenden Kopf ins Kissen, um seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Die Erinnerungen an den Traum schmerzten. Das würde niemals die Realität sein! Er saß hier alleine in Hogwarts, während Voldemort irgendwo da draußen war und Menschen quälte. Das Leben war nicht so farbenfroh und fröhlich, wie in seinem Traum. Es war grau und bitter, wie ein verregneter Wintertag mit dunklem, grauen Himmel und dreckigem, braunem Schneematsch auf dem Boden. Das Leben schien ihn zu erdrücken. Am liebsten würde er sich irgendwie verkriechen und dieser Hoffnungslosigkeit entkommen. Doch er konnte dieser Flut von Verzweiflung nicht entrinnen. Am liebsten hätte er laut aufgeschrien. Um sich endlich wieder zu fangen, drehte der Grünäugige sich auf den Rücken und atmete tief durch, dabei ignorierend, dass sein Gesicht tränennass war. Doch das Durchatmen brachte nichts. Die Schwärze um ihn herum war so erdrückend, dass es ihm die Luft zum Atmen nahm. 'Ich muss an die frische Luft. Ich muss hier raus.', dachte Harry und schwang sich kurzerhand aus dem Bett. Sich den Tarnumhang, einen Umhang und die Schuhe schnappend, verließ der Gryffindor den Gemeinschaftsraum und schlich verborgen Richtung Astronomieturm. Er achtete nicht sonderlich darauf leise zu sein, dafür war er zu aufgewühlt. Durch diese ausgestorbenen Gänge zu schleichen hatte irgendwie was beruhigendes, was Harry nicht ganz erklären konnte. Trotzdem kam es ihm wie eine kleine Ewigkeit vor, bis er endlich den Fuß der Treppe des Turmes erreicht hatte. Während er hinaufstieg, zog er sich den Tarnumhang vom Kopf und stopfte ihn so gut es ging in seine Hosentasche. In dem Moment, wo Harry die Spitze des Turmes erreicht hatte, ließ ihn eine dunkle Stimme aufschrecken. „Was machen Sie um diese Uhrzeit außerhalb des Gemeinschaftsraumes, Potter?“, murrte Snape, den Harry mit einem Blick nach rechts auf der steinernen Brüstung sitzen sehen konnte, mit dem Rücken gegen die Mauer gelehnt und ein Bein aufgestellt. „P-Professor. Was machen Sie denn hier?“, war Harry völlig platt von dem Anblick eines entspannten Tränkemeisters. „Auch ich sollte mir mal einen Moment der Ruhe gönnen können, oder etwa nicht?“, grummelte der Tränkeprofessor weiter, jedoch ungewöhnlich ruhig. Auf den Gryffindor wirkte es, als sei Snape ziemlich erschöpft und müde. Die Ereignisse des vergangenen Tages gingen Harry durch den Kopf und er schloss daraus, dass diese ganze Aufruhr mit Levin auch Snape zuzusetzen schien. Snape schien sogar zu kraftlos zu sein, um seine Maske wieder aufzusetzen, denn er blieb auf seinem Platz sitzen und sah über das Gelände Hogwarts'. „Also, warum stören Sie diese Ruhe indem Sie sich hier hochschleichen?“, fragte der Slytherin für seine Verhältnisse erstaunlich ruhig. „Ähm...ich...“ Snape zog eine Augenbraue hoch und fragte: „Albtraum?“ „Nicht... direkt“, versuchte der Grünäugige zu erklären und kratzte sich am Hinterkopf. Konnte man diesen Traum als Albtraum bezeichnen? Immerhin war es ja eigentlich ein wunderschöner Traum gewesen, doch er hatte die Realität nur noch grausamer wirken lassen und war somit schlimmer als jeder Albtraum gewesen. Auf einmal seufzte Snape auf. „Potter, wann kapieren Sie endlich, dass Sie für Blacks Tod keinerlei Schuld tragen?“, fragte Snape ruhig, während er in die Nacht hinaussah. „Ich...“, setzte Harry schon an, runzelte dann jedoch verwundert die Stirn. „Wie kommen Sie überhaupt...“ „Denken Sie etwa ich würde in meiner Freizeit nichts mit meiner Schwester zu tun haben? Sie hat mir gegenüber den Verdacht geäußert, dass Sie sich an dem ganzen Geschehen im Ministerium die Schuld zuschreiben.“ Zuerst wusste Harry nicht, was er dazu sagen sollte. Er konnte sich nur fragen, ob es ihm wirklich so offensichtlich anzusehen war, worüber er sich Gedanken machte. Andererseits war Levin eine Lamia und hatte die Fähigkeit Gedanken zu lesen geerbt. Also versuchte der Gryffindor diese Vermutung gar nicht erst abzustreiten. Snape würde ihm sowieso nicht glauben. „Wäre ich nicht ins Ministerium gestürmt, wäre Sirius nicht gestorben“, sprach er also verbittert aus. „Hätte ich dies nicht getan oder wäre das nicht passiert. Das sind die typischen Leiern, mit denen sich die Menschen Tag und Nacht beschäftigen. Man kommt nicht voran, wenn man immer nur darüber nachdenkt, wie man es hätte besser machen können“, hielt Snape leicht genervt seine Predigt, setzte dann allerdings wesentlich leiser hinzu: „Damit zerstört man nur sich selbst.“ Erstaunt runzelte Harry die Stirn, sah jedoch keinerlei Emotionen im Gesicht seines Lehrers. Das einzig merkwürdige war, dass dieser so nachdenklich und vor allem ruhig wirkte. Der Slytherin schien sich einen Ruck zu geben, löste seinen Blick von der Landschaft und sprach nun wieder in normaler Lautstärke: „Man sollte sich lieber Gedanken darüber machen, wie man seine Schuld wieder begleichen kann.“ Harry musste humorlos auflachen: „Und wie soll ich bitte Sirius' Tod wieder gutmachen?“ „Wofür ist Black denn gestorben, Potter?“, fragte Snape verärgert und blitzte seinen Schüler aus seinen tiefschwarzen Augen an. Harry setzte an zu antworten, stockte jedoch, als er über die Frage nachdachte. „Er ist gestorben, um Sie zu retten“, half Snape nach einem Augenblick nach. „Also sollten Sie Black den Gefallen tun und am Leben bleiben. Scheint Ihnen ja nicht sonderlich schwer zu fallen.“ Der giftige Tonfall hätte den Gryffindor normalerweise aufgeregt, doch in dem Moment war er zu sehr mit den Worten an sich beschäftigt. Diese Schuldgefühle loswerden, indem er Sirius' Wünsche erfüllte? Er zweifelte daran, dass das funktionieren würde. Anscheinend waren die Grübeleien dem Gryffindor im Gesicht anzusehen, denn der Tränkemeister sprach: „Wenn Sie nachdenken wollen, dann tun Sie das im Gemeinschaftraum. Sie haben hier um diese Uhrzeit nichts zu suchen.“ Harry bemerkte, wie Snape wieder in seine Rolle zurückfiel, murmelte ein „Ja, Professor“ und stieg die Treppen hinab. „Und Potter“, hielt der Slytherin seinen Schüler noch einmal auf, „50 Punkte Abzug von Gryffindor. Und jetzt verschwinden Sie.“ 'Wäre ja auch zu schön gewesen.', dachte der Gryffindor augenverdrehend und setzte seinen Weg fort. Dennoch... so hatte er Snape noch nie erlebt. Noch nie hatten sie so ein ruhiges Gespräch führen können und wenn Harry ehrlich war, tat es ihm gut. Er sollte für Sirius weiterleben? Er war für ihn gestorben und wollte sicherlich, dass er glücklich ist. Aber wenn er Sirius so nachtrauerte, konnte er nicht glücklich werden. Weiterleben und glücklich sein. Klang eigentlich nicht schwer, oder? Rein theoretisch zumindest. Am Fuß der Treppe sah Harry nochmal zum Turm hoch. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen und er ging weiter Richtung Gryffindorturm.   Es waren kalte, modrige Steinwände um ihn herum. Aus dem kleinen Raum gab es nur einen Ausgang, der durch eine schwere eiserne Tür versperrt wurde. Auf einer Pritsche lag ein schwarzhaariger Junge, der vor Erschöpfung keuchte. Seine Kleidung hing in Fetzen an ihm und die darunter freigegebene Haut war entweder blau oder aufgerissen und somit voller Blut, welches von den Stofffetzen aufgesogen wurde. Der Junge öffnete seine schwarzen Augen, die unglaublichen Schmerz, Verzweiflung und Angst widerspiegelten. „Hilf mir“, flehte der Kleine mit Verzweiflung in seiner krächzenden Stimme, was daraus schließen ließ, dass er sie bereits einige Male zum Schreien gebraucht hatte. „Bitte, hole mich hier raus!“ Die Tür schwang knarrend auf und ein vermummter Mann erschien im Blickfeld. Er setzte eine dreckige Schüssel auf den Boden ab, die irgendeine Flüssigkeit enthielt und verließ die Zelle wieder. Beim Schließen der Tür konnte der Junge einen kurzen Blick in den Flur werfen, an dessen Wand ein Bild eines blonden Mannes hing, der teuflisch grinsend zurücksah, ehe die Tür ganz zufiel. „Bitte, ich will hier nicht sterben!“ Unruhig wachte Harry aus seinem Traum auf. Ächzend drehte er sich zu seinem Wecker und stellte fest, dass es kurz nach 6 Uhr war. Sich wieder auf den Rücken drehend, rieb sich der Gryffindor nachdenklich die Stirn. Der zweite verrückte Traum heute Nacht. Irgendjemand schien es wohl nicht gut mit ihm zu meinen. Erst jetzt bemerkte Harry erstaunt, dass er sich nicht ohne Grund an die Stirn fasste. Er hatte sich unbewusst die schmerzende Narbe gerieben. Aber wieso schmerzte sie überhaupt? Das tat sie doch nur, wenn Voldemort in der Nähe war oder Harry sich in dessen Kopf befand. Dann hatte er den Jungen aus Voldemorts Sicht gesehen? Nein, das konnte nicht sein, sonst hätte der Kleine nicht um seine Hilfe gebeten. Jetzt, wo Harry über den Jungen nachdachte, hatte er ihn genau vor Augen. Es war eindeutig der Junge vom Foto in Levins Büro gewesen. Aber wieso träumte er von ihm? Warum sah er ständig dessen Augen vor sich, ob nun bei Tag oder Nacht? Und vor allem: Wieso hatte er von seinen Augen geträumt noch bevor er wusste, wie Levins Sohn aussah? Nachdenklich stand der Gryffindor auf und verschwand im Bad. Er hatte noch ein wenig Zeit bis die anderen aufstanden, sodass er sich eine lange Dusche gönnen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)