Seduce Me! von Sky- (Drei sind (k)einer zu viel) ================================================================================ Kapitel 17: Gespräche --------------------- Es war ein wirklich schöner Kurzurlaub gewesen und nachdem Hinata seine ersten Entwürfe auch noch fertig stellen konnte, freute er sich schon auf das Treffen mit Frau Kano, um ihr seine Entwürfe zu zeigen. Zugegeben, ein bisschen nervös war er schon, immerhin würde sie entscheiden, ob seine Idee verwertbar war, oder ob sie auf den Müll gehörte. Zum Glück aber hatte er am Montag gleich beide Zwillinge im Schlepptau, die ihm seelischen Beistand leisten würden. Mit pochendem Herzen betrat er das Büro, mit seinen Notizen und Skizzen in der Hand, die er in einer kleinen Mappe einsortiert hatte, damit auch alles beisammen blieb. Frau Kano begrüßte ihn mit einem freundlichen Lächeln und bat ihm und den Zwillingen Platz zu nehmen. „Also Hinata, hast du dich ein bisschen schlau gemacht und schon ein paar erste Ideen für dein neues Projekt?“ Mit einem etwas zögerlichen ja antwortete der Kunststudent und machte einen ziemlich nervösen Eindruck. Dann aber legte er die Mappe auf dem Tisch und holte seine Zeichnungen und seine Notizen heraus. Er schwieg und Frau Kano sah, dass er furchtbar nervös war und so fragte sie mit ihrem freundlichen Lächeln „Willst du mir etwas darüber erzählen?“ Aufmunternd legten die Zwillinge jeweils eine Hand auf seine Schulter, um ihm Mut zu machen. Tief atmete er durch und besah noch mal kurz seine Notizen und räusperte sich schließlich. „Also ich hab mir das so gedacht. Es ist ein Shonen-Ai, der in einer Art postapokalyptischen Welt nach dem dritten Weltkrieg spielt. Und zwar ist die Menschheit durch den Krieg und eine Seuche auf ein Zehntel reduziert worden und die Überlebenden haben sich in arm und reich gespalten. Während die Reichen in schicken Häusern wohnen, hausen die so genannten Tramps in den Kanalisationen und alten U-Bahntunneln. Ihr Überleben sichern sie sich, indem sie von den Reichen stehlen.“ Nun sah sich Frau Kano die Zeichnungen an, auf denen die Skizzen seiner Hauptfiguren zu sehen waren. „Verstehe“, sagte sie schließlich. „Und deine zwei Protagonisten stammen jeweils aus einer dieser beiden Welten. Hast du auch über mögliche Konflikte nachgedacht?“ „Sie hassen sich“, erklärte Hinata und wies auf seine erste Skizze. „Die Tramps verachten die Reichen abgrundtief und die Reichen, die von ihnen bestohlen werden, tun das genauso und halten diese für dumm und schmutzig. Es wird wohl keine Liebe auf dem ersten Blick zwischen den beiden geben.“ Hinata begann immer mehr von seiner Idee zu erzählen, nachdem er seine erste, anfängliche Scheu überwunden hatte und Frau Kano hörte ihm aufmerksam zu. Sie schwieg die meiste Zeit, wenn sie keine Fragen stellte und besah sich seine Zeichnungen oder überflog die Notizen. Dann schließlich schwieg sie eine Weile und schien zu überlegen und alles genau abzuwägen. „Also so wie ich das sehe, ist deine Geschichte viel zu komplex für einen One-Shot. Sieht aus, als könnte da eine weitere Serie daraus werden. Aber die Idee hat was. Da steckt durchaus Potential drin. Und welches Ziel hat deine Story? Worauf soll es am Ende hinauslaufen?“ „Dass sie einen weiteren Krieg verhindern. Die Tramps werden versuchen, einen Krieg gegen die Reichen anzuzetteln, da sie Zugriff zu einem alten Lager haben, in denen sich alte Atomraketen und Bomben befinden.“ „Ah verstehe. Deine beiden Protagonisten schließen sich zusammen, um einen Krieg zu verhindern, der beide Welten zerstören soll.“ „Zu unoriginell?“ fragte Hinata, der ein wenig verunsichert war, nachdem Frau Kano so schnell auf seine Idee gekommen war. Doch die Redakteurin schüttelte den Kopf und erklärte „Das ist es nicht. Weißt du, ich lese Mangas schon seit meiner Jugend und habe so ziemlich alles gelesen. Und ich war auch schon an vielen Projekten beteiligt und kann deshalb sagen: es gab jede Idee schon mindestens ein Mal. Zwei Menschen, die aus verschiedenen Welten kommen und trotzdem zueinander finden, ist eine ziemlich beliebte Story, die schon oft genug verwendet wurde. Romeo und Julian, Tristan und Isolde, Hina und Kizuato oder Shion und Nezumi. Oder auch diese ganzen westlichen Märchen, wo sich ein großer Prinz in ein armes Mädchen verliebt. Wie gesagt: solche Grundideen gab es schon immer, aber was glaubst du, was diese Geschichten trotzdem so außergewöhnlich macht, dass sie einem auch im Gedächtnis bleiben?“ Hinata musste überlegen, war sich aber nicht ganz sicher, was die richtige Antwort war und so äußerte er die Vermutung „Die Umsetzung?“ „Das auch“, antwortete Frau Kano. „Um eine Story mit einem gut bewährten Konzept erfolgreich umsetzen zu können, braucht es ein besonderes Setting. Wer sich durchsetzen will, der muss auch bereit sein, etwas ganz Neues zu versuchen. Wichtig ist vor allem, dass du deinen Figuren Leben einhauchst. Deshalb setze ich auch meinen Autoren die Regel: wenn du deiner Figur fünf gute Eigenschaften gibst, musst du ihm mindestens einen Makel geben. Ein Charakter gelingt erst wirklich, wenn du dich mit ihm identifizieren kannst. Wenn du mit ihm mitfühlst, mit ihm mitfieberst und glücklich bist, wenn er es ist, dann hast du eine gute Figur erschaffen. Und wenn du das altbekannte Romeo und Julia Setting nimmst, dann brauchst du vor allem sehr charakterstarke Figuren, die deinen Lesern im Gedächtnis bleiben. Vor allem ist es wichtig, die Story so gut zu verpacken, dass es trotz bekanntem Konzept trotzdem einzigartig ist. Das kann schon beim Aussehen, oder aber beim Namen anfangen. Solange dein Charakter keinen Namen hat, ist er nicht greifbar und du kannst dich nur sehr schwer mit ihm identifizieren. Hast du vielleicht eine konkrete Vorstellung für einen Namen?“ Zugegeben, mit dem Namen hatte sich Hinata schwer getan. Fest stand jedenfalls, dass er ihm einen westlichen Namen geben wollte, aber trotzdem war es nicht gerade leicht. Es musste ein guter sein, den man sich auch einprägen konnte. Was also könnte er nehmen? Angestrengt dachte er nach und ging dutzend verschiedene Namen durch. Aber dann hatte er schließlich eine Idee und er sprach diesen Namen fast schon instinktiv aus. „Darwin!“ „Wie?“ fragte Frau Kano überrascht. „Jace Darwin“, erklärte Hinata. „Der Name des Protagonisten. Wie wäre es mit Jace Darwin? So wie Charles Darwin.“ „Ah ja!“ rief Katsuya, dem so langsam ein Licht aufging. „Das ist doch der mit der Evolutionstheorie.“ Frau Kano nickte wieder dachte darüber nach, wobei sie schließlich fragte „Willst du all deinen Figuren solche Namen geben, die von bedeutenden Persönlichkeiten stammen?“ „Nein, nur den Tramps“, erklärte Hinata und begann sofort seine Idee auf seine Notizzettel zu schreiben. „Wie wäre es, wenn alle Tramps die Nachnamen berühmter westlicher Persönlichkeiten tragen und wissen, wer diese Person auch war, auch wenn sie weder lesen noch schreiben können? Sie verfügen über ein enormes Wissen über die Geschichte vor dem dritten Weltkrieg, was die Reichen nicht haben und diese Nachnamen werden sozusagen nach ihrem Tod weitervererbt.“ „Die Idee gefällt mir“, sagte die Redakteurin direkt. „Allerdings bedeutet das auch jede Menge Recherchearbeit. Du musst dich gut mit der westlichen Geschichte auseinandersetzen und dich über diese Persönlichkeiten informieren. Es wäre auch vorteilhaft, wenn diese Personen auch ihrem Original nachempfunden sind. Wenn du zum Beispiel einen Revolutionisten nimmst, dann wäre es treffend, wenn er dementsprechend einen rebellischen Charakter hat. Das bedeutet dann auch, dass du dich dementsprechend über Charles Darwin informieren musst und anhand dieser Informationen auch deinen Protagonisten gestaltest. Deine nächste Aufgabe wird dann also sein, eine Charakterbiografie zu den wichtigsten Personen zu gestalten. Schreib auf was sie mögen, was sie hassen, welche guten und schlechten Charakterzüge sie haben und wie ihre Vergangenheit aussehen könnte. Und wenn du das fertig hast, solltest du dir als nächstes eine grobe Storyline überlegen. Lass dir dabei genug Freiraum für Änderungen und Improvisationen. Erst wenn du damit fertig bist, rufst du mich an und eventuell gebe ich dir noch ein paar Ratschläge, was man verbessern oder ändern könnte. Aber bis jetzt hört sich deine Idee gut an. Stellt sich nur die Frage, wie der Yaoi-Content gestaltet wird.“ Da Hinata sie etwas ratlos ansah, erklärte sie „Was ich meine ist, wie detailliert du zeichnen willst und wie es mit der Altersfreigabe aussehen soll. Willst du alles nur seicht andeuten, oder willst du gleich alles zeigen? Vor allem ist da auch die Frage, ob es auch Rape- oder Bondage-Content gibt.“ „Nun, das wird es wohl auch geben…“ „Dann wird für den Manga eine Altersfreigabe von P-18 festgesetzt. Okay, bevor ich es noch vergesse: du brauchst einen guten Titel für deinen Manga. Schreib dir am besten gleich mehrere Ideen auf und wir suchen uns bei der nächsten gemeinsamen Besprechungen einen aus. Aber bis jetzt klingt deine Idee sehr gut, da steckt auf jeden Fall viel Potential drin. Mach weiter so!“ Nach der Besprechung verließ Hinata das Büro und hatte das Gefühl, als würden gleich seine Beine nachgeben. Wie einen Schatz hielt er die Mappe umklammert und als er zusammen mit Katsuya und Takashi auf dem Flur stand, hatte er das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. „Ist doch super gelaufen“, meinte Katsuya und grinste zufrieden. „Du hast sogar ein Lob für deine Idee gekriegt. Hey, das müssen wir feiern. Was meinst du, Takashi?“ „Auf jeden Fall. Hey Hinata, aus dir wird noch ein richtiger Mangaka.“ Ja, das konnte der Kunststudent genauso wenig glauben. Immer noch wie unter Schock stehend stand er da und starrte ins Leere, während er versuchte, sich selber klar zu machen, dass Frau Kano seine Idee tatsächlich gut fand und sie ihm sogar Ratschläge gab, wie er es noch besser machen konnte. Und sie hatte tatsächlich vor, eine Serie daraus zu machen. Nachdem er das erst mal verdaut hatte, umarmte er die Zwillinge überglücklich. „Danke, ihr beiden. Vielen Dank!“ „Hey, uns brauchst du doch nicht zu danken“, winkte Takashi mit einem Lächeln ab. „Das hast allein du geschafft. Es war deine Idee und deine Arbeit.“ In den nächsten Tagen tat sich viel bei Hinata. Nachdem er es geschafft hatte, kurzfristig einen Nachmieter für seine kleine Studentenwohnung zu finden (größtenteils hatte er das Takashis Hilfe zu verdanken), ging es ans Packen und er zog nun offiziell bei den Zwillingen ein. Da er nicht viele Sachen hatte und die Zwillinge tatkräftig mithalfen, dauerte es knapp zwei Tage, bis seine Wohnung leergeräumt, sein neues Zimmer gestrichen und eingerichtet war. Es war viel Arbeit und insbesondere Katsuya leistete enorme Arbeit beim Tragen der Möbel und beim Anstrich der Tapeten. Hinata revanchierte sich dementsprechend bei ihnen, indem er es sich zur Aufgabe machte, während der Arbeiten das Kochen zu übernehmen und auch die anderen Mahlzeiten zu übernehmen. Und da er inzwischen die beiden Brüder gut genug kannte, machte er ihnen auch jeden Morgen extra Tamagoyaki, um ihnen eine Freude zu machen. Die zwei Tage, in denen sie von morgens bis zum späten Nachmittag mit dem Umzug und dem Einrichten des Zimmers beschäftigt waren, schlief Hinata bei Katsuya, da ja festgelegt worden war, dass der Dienstag und Mittwoch für ihn reserviert waren. Trotzdem verbrachten sie die meiste Zeit zu dritt, saßen dann abends erschöpft aber dennoch zufrieden im Wohnzimmer und schauten sich gemeinsam Animes an. Das gestaltete sich allerdings nicht ganz so leicht, wie man es sich vielleicht vorstellte, denn sie drei hatten ganz unterschiedliche Vorzüge. So bestand Katsuya auf den Ecchi „Bokusatsu Tenshi Dokuro-chan“, Takashi war eher für „Attack on Titan“ und Hinata hätte am liebsten „No. 6“ gesehen. Am Ende kam es dann irgendwie auf „One-Punch-Man“ raus. Wie sie darauf gekommen waren, daran konnte sich später keiner mehr so wirklich erinnern, aber mit der Wahl waren sie letzten Endes auch zufrieden. Am dritten Tag, wo Hinatas Zimmer nun fertig eingerichtet war und bezogen werden konnte, musste das natürlich gefeiert werden und so wurde eine kleine Feier veranstaltet. So gingen sie an dem Abend in eine Karaoke-Bar, um dort Spaß zu haben. Das alles wirkte immer noch wie ein wunderbarer Traum auf Hinata und er fühlte sich einfach nur noch glücklich. Er war nicht mehr alleine so wie früher immer. Und auch die Zwillinge bemerkten schnell die positiven Veränderungen, die Hinatas Umzug mit sich brachte. Sie sahen ihn immer öfter lachen, er begann sogar selber von sich aus zu erzählen oder mal einen kleinen Scherz zu machen. Wenn sie sich wegen etwas zankten, war es dann Hinata, der sich ganz diskret einmischte, indem er einen Kompromiss zwischen ihnen festlegte und damit den Streit beendete. Und auch seine Ausstrahlung begann sich zu ändern. Er ging nicht mehr so geduckt wie ein geprügelter Hund und er hatte nicht mehr diese ängstliche Unsicherheit wie die eines zu Tode geängstigten Kaninchens in den Augen. Sein Gang war aufrechter geworden, seine Haltung ein klein wenig offener und er stammelte auch nicht mehr, oder vermied jeglichen Blickkontakt. Nun, das geschah meist nur in der Gegenwart der Zwillinge, denn was andere Menschen betraf, da konnte er sehr schnell wieder in dieses alte Verhaltensmuster zurückfallen und wieder zu einem verängstigten Kaninchen werden. Aber es geschah nicht mehr allzu schnell. Als Hinata schließlich wieder einen Termin bei Frau Kano hatte und zu ihr in den Verlag ging, war er dieses Mal alleine unterwegs. Die Zwillinge waren derweil zuhause geblieben und während Takashi schon mal das Essen vorbereitete, saß Katsuya am Küchentisch, um sich ein wenig mit seinem älteren Bruder zu unterhalten. „Hinata hat sich ganz schön gemacht in den letzten Tagen, oder?“ „Ist doch gut so“, meinte Takashi, der gerade dabei war, das Gemüse zu schneiden. „Etwas Selbstbewusstsein tut ihm ja auch gut und man sieht ja, dass er viel glücklicher ist als vorher.“ „Ja schon“, seufzte der Sportstudent, nahm seine Brille ab und begann die Gläser zu putzen. „Aber ich werde so das Gefühl nicht los, als hätte er was. Kann sein, dass ich mich irre, aber er wirkt irgendwie komisch und das auch nur, wenn er alleine ist. Ist irgendwas passiert, als du mit ihm weggefahren bist?“ Takashi dachte kurz nach und fragte sich, ob Hinata wegen dem Vorfall beim Restaurant noch irgendwie seltsam drauf sein könnte, aber den Gedanken verwarf er gleich wieder. Nein, das machte gar keinen Sinn. Es musste etwas anderes sein. Dann schließlich fiel es ihm aber ein. „Jetzt wo du es sagst: er erwähnte, dass sein Vater bald Geburtstag hat und er ihn jedes Jahr besuchen geht.“ „Wieso das denn? Ich dachte, der wollte seine Alten nie wieder sehen.“ „Er hat Angst, dass sie nach ihm suchen könnten und erfahren, dass er sie zwei Jahre lang belogen hat und nach Tokyo abgehauen ist, um dort Kunst zu studieren statt Jura. Ich hab ihn davon überzeugen können, lieber nicht zu gehen, weil es eh nicht gut enden würde. Er hatte deswegen sogar schon Alpträume bekommen, weil er so eine Angst davor hatte, seinen Vater wiederzusehen.“ Katsuyas Blick wurde nun ernster und er setzte die Brille nun wieder auf. Nun verstand er, was es mit Hinatas Alpträumen auf sich hatte. Es war die Angst davor, nach Fukuoka zurückzukehren und seinen Vater wiederzusehen. „Bist du sicher, dass du ihn auch wirklich überreden konntest?“ „Ich denke schon“, antwortete Takashi selbstsicher. „Er hat es mir auch versprochen gehabt, dass er nicht hingeht. Ich denke, er ist einfach nur etwas nervös, weil er Angst hat, seine Eltern könnten ihn hier finden.“ „Meinst du, wir sollten Vater um Hilfe bitten?“ „Wozu denn? Solange nichts passiert ist, kann er als Anwalt nichts machen und er kann den Amanos ja schlecht verbieten, nach ihrem Kind zu suchen. Man könnte höchstens was machen, wenn sie herkommen und Hinata finden. Dann hätte Hinata immer noch die Möglichkeit, seinen Vater wegen der Misshandlungen anzuzeigen und eine einstweilige Verfügung zu erwirken.“ Takashi sah, dass Katsuya nicht sonderlich begeistert von dieser Antwort war und er konnte ihn da ganz gut verstehen. Ihm erging es ja nicht anders, denn es ärgerte auch ihn, dass man erst etwas tun konnte, nachdem etwas passiert war. Das war halt das Gesetz und daran konnte man schlecht etwas ändern. Es blieb also nur, aufzupassen und wachsam zu sein und Hinata so gut es ging beizustehen. „Ich kann es immer noch nicht verstehen“, murmelte Katsuya und stützte seinen Kopf auf seine Handfläche, woraufhin Takashi natürlich wissen wollte, was er denn nicht verstünde. „Na das mit seinen Alten“, erklärte sein jüngerer Bruder. „Wie können solche Menschen denn Eltern sein? So etwas sollte echt verboten gehören.“ „Tja, es gibt leider viele solcher Problemfamilien, Hinata ist da kein Einzelfall. Aber wie will man so ein Verbot auch durchsetzen?“ „Weiß ich doch, aber wieso setzen die überhaupt erst Kinder in die Welt, wenn sie diese eh nur schlagen und misshandeln? Vielleicht bin ich auch zu blöd, um das zu verstehen, aber ich sehe da einfach keine Logik da drin. Sollte man sein Kind nicht eigentlich lieben und es beschützen?“ Takashi begann nun, Öl in der Pfanne zu erhitzen, um das Gemüse gleich anbraten zu können. Er konnte Katsuyas Gedanken gut verstehen, er hatte sich so etwas auch schon oft gefragt und war nie zu einer befriedigenden Antwort gekommen. Aber manchmal gab es eben Dinge, auf die man keine Antwort bekam. Oder zumindest keine, mit der man wenigstens zufrieden wäre. Vielleicht stimmte es, wenn er sagte, dass es manche Menschen gab, die einfach nicht Eltern werden sollten. Und das mochte auch mit Hinatas Familie der Fall sein. Aber sie hatten das nie gekannt. Sie waren im Vergleich zu Hinata behütet in einer liberalen Familie aufgewachsen und verstanden es wahrscheinlich deshalb nicht. Deswegen erklärte Takashi ihm auch „Ich denke, man kann das wahrscheinlich nur verstehen, wenn man selbst diese Erfahrung gemacht hat, wenn überhaupt. Aber ich denke, dass man selbst dann nicht verstehen könnte, wieso Hinata seinem Vater keinerlei Vorwürfe macht.“ „Wie meinst du das?“ „Na denk doch mal zurück. Hinata hat nie abwertend über seinen Vater gesprochen, ihn nie zum Teufel gewünscht oder ihm vorgehalten, dass er ein mieser Arsch ist, der Kinder schlägt. Er hat seinen Vater weder in Schutz genommen, noch ihm die Schuld gegeben. Ich denke, Hinata hasst seine Eltern nicht mal dafür, dass sie ihm diese Dinge angetan haben. Hinata ist auch sonst nicht der Typ dafür, der jemanden hassen könnte. Er hat Angst vor seinem Vater, aber er sieht ihn trotz all dem immer noch als seinen Vater an. Ich denke, dass Hinata nicht wirklich in der Lage ist, jemanden aufrichtig zu hassen, selbst wenn er allen Grund dazu hätte.“ Katsuya schüttelte verständnislos den Kopf. Wenn er in Hinatas Lage gewesen wäre, er hätte seinem alten Herrn sogar noch aufs Grab gespuckt und ihn verflucht. Jemand, der seinem Sohn brennende Zigaretten im Intimbereich ausdrückte, um ihn abzuhärten, verdiente nichts anderes als Hass. Er hätte ihn sogar noch vor Gericht gezerrt, um ihm das Leben schwer zu machen. „Ich kapier’s nicht, wie man so sein kann“, sagte er schließlich und goss sich Wasser in sein Glas ein. „Tja, das ist halt bei manchen Menschen. Egal wie sehr sie gedemütigt, geschlagen und gequält werden, sie können trotzdem noch positiv über denjenigen reden. Das Problem ist halt, dass Hinata in einem starken Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Eltern stand. Indem sie ihn weitestgehend isolierten, hatte er sonst niemanden. Ich wette mit dir sogar, dass er seinen Vater in Schutz genommen hat, wenn er ins Krankenhaus kam. Nicht weil er Angst vor Strafen hatte, sondern weil er sich selbst die Schuld gab. Das gibt es auch oft bei Partnerschaften, wenn der eine den anderen schlägt. Ist fast ein ähnliches Phänomen wie beim Stockholm-Syndrom.“ „Ach du mit deiner Psychologie machst mich noch ganz kirre“, grummelte Katsuya und stand auf. „Mir doch egal, wie man das nennt. Ich kapier’s trotzdem nicht und ich will es auch nicht. Und wenn Hinatas alter Herr ein ehemaliger Sumo-Ringer ist. Sollte der mir je unter die Augen treten, dann wird der noch sein blaues Wunder erleben, das sag ich dir!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)