Ach wie gut, dass niemand weiß... von NiaTsholofelo (Bäumchen-Wechsel-Dich auf Ägyptisch) ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Zwei Wochen später     Erschöpft sank Aya in die seidenen Laken des Gästezimmers, in welches die zierliche, schwarzhaarige  Frau sie geführt hatte. „Mein Gott, ich spüre Knochen, von denen ich nicht einmal wusste, dass ich sie habe…“, stöhnte das Mädchen und massierte sich sanft die Füße. Niemand antwortete ihr. Wie sollte es auch anders sein? Sie war hier ganz alleine in diesem Zimmer, ebenso wie sie die zwei­­­wöchige Reise nach Theben ganz alleine angetreten hatte. Nun gut, was heißt hier alleine: Vier Zofen und drei Soldaten ihres Vaters hatten sie auf dem langen Ritt durch die Wüstenlandschaft begleitet. Sie hatten ihr Gesellschaft geleistet; ihr zugehört, wenn sie Anekdoten aus dem Palast erzählt hatte und ihr Antworten gegeben, auf alle Fragen, die ihr auf der langen Reise in den Sinn gekommen waren. Trotzdem war es einfach nicht dasselbe: Keine Reem war an ihrer Seite gewesen, die sie immer wieder zu kleinen Wettrennen anstiftete. Keine Hajar war ihr auf ihrem schwermütigen Kamel hinterhergejagt, ihr immer wieder Ermahnungen und Ratschläge ins Ohr schreiend, wenn sie denn mal wieder zu Atem kann. Eine einsame Träne rann über ihre Wange hinunter bis zu ihrem Kinn und tropfte von dort auf die Laken. Mit einem dicken Kloß im Hals betrachtete Aya den dunklen Fleck, der sich dort ausbreitete. Regungslos lag sie so für einige Zeit auf dem Bett, bis ein Klopfen sie aus ihrer Melancholie riss. „Hallo?“ Eine weibliche Stimme machte sich auf der anderen Seite der Tür bemerkbar. Sie klang noch jung, nicht so melodisch wie die Stimme der schwarzhaarigen Priesterin – ja, beinahe klang diese Stimme kindlich. „Darf ich reinkommen?“ Neugierig rappelte Aya sich auf. „Ähm…Ja…Klar doch!“, antwortete sie dann schließlich, immer noch ein wenig verwirrt. Die Klinke drückte sich nach unten und ein braunhaariges Mädchen schob sich durch den Spalt zwischen Tür und Angel. Auf ihren beiden Händen balancierte sie ein hölzernes Tablett: Ein Krug voll Milch sowie einige Fladen Emmerbrot waren darauf angerichtet. Die Brote dampften noch; die Braunhaarige musste sie gerade erst aus der Küche geholt haben. Ein würziger Duft stieg der Libyerin in die Nase und ihr Magen begann, sich geräuschvoll Gehör zu verschaffen. Reflexartig legte Aya eine Hand auf ihren knurrenden Bauch. Erst jetzt wurde ihr richtig bewusst, dass sie den ganzen Tag noch nichts Richtiges gegessen hatte. Ihre Besucherin strahlte sie einladend an: „Ich habe mir schon gedacht, dass du wahrscheinlich wahnsinnig hungrig nach der langen Reise bist.“ Sie stellte das Tablett auf den kleinen Tisch am Fenster ab. Dann zog sie den Stuhl vor und ließ sich lässig darauf niederfallen. „Ich bin übrigens Mana. Du musst Reem sein, die Schwester von Atemus Verlobten, nicht wahr?“ Sie musterte Aya mit unverhohlener Neugier. „Ich habe gehört, dass ihr Zwillinge seid. Seht ihr denn wirklich genau gleich aus? Ich habe ja ein Portrait von deiner Schwester gesehen. Darauf sieht sie ganz genau so aus, wie du gerade!“ Mit offenem Mund hatte Aya den Wortschwall ihrer Besucherin verfolgt. Bei den Göttern, dachte die Fürstentochter beeindruckt. Noch nie habe ich einen Menschen so viel auf einmal reden hören! Doch auch Mana war der geplättete Gesichtsausdruck ihres Gegenübers nicht entgangen: Beschämt schlug die junge Ägypterin eine Hand vor den Mund. „Bei den Flügeln des Ra, ich habe wieder zu viel geredet, nicht wahr? Es tut mir Leid, wenn ich dich so überrumpelt habe. Weißt du, jeder sagt: ‚Mana, hüte deine Zunge!‘, aber es ist einfach so aufregend, dich hier zu haben!“ Sie zwinkerte Aya verschwörerisch zu. „Du musst mir einfach alles über deine Schwester erzählen. Er würde es zwar nie zugeben, aber du musst wissen: Atemu ist ganz schön nervös wegen ihrer Ankunft hier in Ägypten…“ Sie seufzte. „Aber vermutlich wäre ich das an seiner Stelle auch.“ Aya schluckte. „Ja, ich auch“, antwortete sie schließlich mit belegter Stimme. „Es muss ein seltsames Gefühl sein, seinen zukünftigen Ehepartner nie kennengelernt zu haben…“   Währenddessen irgendwo in der Wüste   Sand, Sand, Sand… Es war wahnsinnig frustrierend. Seit vier Tagen waren sie jetzt unterwegs und alles sah einfach nur noch gleich aus! „Mir scheint, dass wir uns seit Tagen nicht von der Stelle bewegt haben.“ Betont gelangweilt schaute Reem ihre Begleiter an. Gedehnt fügte sie hinzu: „Dieser Ort sieht genauso aus wie die Orte, an denen wir gestern vorbeigezogen sind.“ Eine junge Tänzerin, die ihr Vater Reem, pardon: Aya, als Brautgeleit mitgegeben hatte, kicherte nervös: „Das liegt daran, dass wir in der Wüste sind, meine Gebieterin! Diese Umgebung ist kein Ort für unseresgleichen: Sie vernebelt Eure Sinne!“ Wütend blitzte Reem die vorlaute Sklavin an: „Willst du damit behaupten, ich bin verwirrt?“ Erschrocken riss die Frau die Augen auf und senkte eilig ihren Kopf. „Ehrwürdigste! Ich… Nein... Ich bitte Euch!“ Bevor Reem jedoch zu einer Antwort ansetzen konnte, lenkte Hamza sein Pferd zwischen die beiden ungleichen Kontrahentinnen. „Aya! Es reicht!“ Streng schaute der alte Schriftgelehrte die Fürstentochter an. „So ein Verhalten bin ich von dir nun wirklich nicht gewohnt. Du benimmst dich wie deine Schwester in ihren übellaunigen Phasen!“ Jetzt war es an Reem, beschämt zu Boden zu schauen. Verdammt, dachte das Mädchen verbissen. Ich hätte es wissen müssen! Wenn jemand ihre Maskerade durchschauen konnte, dann Hamza: Der Mann mit dem ergrauten Spitzbart kannte Aya und Reem schon seit ihrer Geburt. Mit einer Engelsgeduld hatte er den beiden Fürstentöchtern immer wieder die antiken Göttersagen ihrer Heimat und aus der Ferne erzählt, bei ihm hatten die Mädchen lesen und schreiben gelernt – ein kostbares Gut in ihrer Gesellschaft, gerade als Frau. Reem erinnerte sich an die hitzigen Auseinandersetzungen zwischen ihrem Vater und Hamza, als er mit seiner ungewöhnlichen Bitte bei dem Fürsten vorstellig geworden war. Angeschrien hatte ihr Vater seinen ältesten Berater: „Meine Töchter sollen was? Ich glaube, ich höre nicht richtig!“ Schon damals hatte die Schwarzhaarige ihren Lehrer für seine Standfestigkeit bewundert: Gewiss eine halbe Stunde lang hatte er seinem Herren erklärt, wie stark das Ansehen von Aya und Reem in den höheren Kreisen steigen würde, wenn die Mädchen der Kunst des Schreibens fähig wären! Welche Möglichkeiten sich da später für eine Eheschließung ergeben könnten. Und selbst wenn sich einer der beiden als so störrisch herausstellen sollte, das sich kein passender Mann für sie fände: Dann könnte sie immer noch eine Laufbahn als Hohepriesterin einschlagen! Damals hatten Aya und Reem, die an der Tür zu den Gemächern ihres Vaters gelauscht hatten, kaum ein Wort von dem verstanden, was Hamza dem Fürsten da so eindringlich einflüsterte. Alles, was für sie zählte: Sie durften schreiben lernen!   An diesen Moment kindlicher Freude dachte Reem jetzt zurück, während sie die Tränen fortblinzelte. Mit einem wehmütigen Lächeln schaute sie Hamza ein. „Ihr habt Recht, Meister.“ Sie wandte sich an die junge Sklavin. In einer jovialen Geste legte sie ihr eine Hand auf die schmächtige Schulter. „Verzeiht mir, meine Freundin.“ Sie beschloss, ihren neusten Trumpf auszuspielen. „Es ist nur… Der Gedanke an die Hochzeit hält meine Nerven zum Zerreißen gespannt.“ Tatsächlich war Reem in diesen Tagen ungewöhnlich dünnhäutig: Normalerweise hätte eine Bemerkung wie die der Tänzerin sie nie so aus der Haut fahren lassen. Normalerweise hätte sie vermutlich selbst darüber gelacht. Doch es war nichts normal in diesen Tagen: Ständig war die Fürstentochter der Angst ausgesetzt, aufzufliegen. Bei diesem Gedanken wurde der jungen Frau Angst und Bange: Vater würde mich umbringen, dachte sie ängstlich. Umso erleichterter war sie, als Hamza ihr einen väterlichen Kuss auf die Stirn drückte. „Mach dir keine Sorgen, meine kleine Aya. Du wirst eine wundervolle Braut sein.“ Er lächelte wohlwollend. „Du wirst dein Land und deine Mutter stolz machen, meine Kleine.“   In diesem Moment kam Reem sich beinahe schäbig vor: Hamza, ihren größten Wohltäter, so zu belügen… Am liebsten hätte sie sich ihm weinend in die Arme geworfen. Am liebsten hätte sie ihm alles erzählt. Am liebsten… Ein heiseres Lachen riss die falsche Braut aus den Wunschträumen ihrer Geheimnisenthüllung. "Stör ich? Nein, wie rührend. Glatt ginge mir das Herz auf, wenn ich denn eines hätte. Okay, und jetzt alle die Hände dahin, wo ich sie sehen kann.“ Überrascht schaute Reem sich um: Während die kleine Karawane gestoppt hatte, um die kurze Unterhaltung zwischen Hamza und Aya/Reem nicht zu stören, hatten mehrere Banditen sich mit ihren Pferden an die Reisenden herangeschlichen und die Gruppe umzingelt. Die Soldaten hatten die Räuber bereits überwältigt. Regungslos lagen die Begleiter des fürstlichen Trupps neben ihren Pferden im Wüstensand. Reem schickte ein Stoßgebet zu den Göttern, dass sie nur bewusstlos und nicht tot waren. Noch ehe sie es sich versah, hatte ihr jemand Fesseln um die schlanken Halsgelenke geschlungen. „Hallo, meine Hübsche…“, raunte dieser jemand. Tausend Worte schossen der Schwarzhaarigen in diesem Moment durch den Kopf. Doch alles, was Reem nun über die Lippen kam, war: „Verdammt!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)