Ihr stummes Lied von Raija ================================================================================ Prolog: Schrei -------------- Prolog - Schrei Es stank. Nicht nach verschwitzen Leibern oder Hinterlassenschaften der Menschen. Nein, es stank nach geplatzten Träumen, Armut und Gewalt. Es war einer der Tage, an denen Levi diesen Geruch nur allzu deutlich wahrnahm. Angewidert rümpfte er die Nase und blickte umher. Es war spät und er war auf dem Weg nach Hause. Bald würde die Nacht herein brechen. Aus wachsamen Augen beobachtete er, wie die Bewohner des Untergrunds nach und nach in ihren Häuser verschwanden und damit Platz für andere, zwielichtige Gestalten machten, die in der Dunkelheit auf den Straßen umherstreunten. Noch bevor sie überhand nahmen, wollte er in seinen vier Wänden sein, da er keine Lust hatte in eine Auseinandersetzung mit einer dieser Personen zu geraten, denn mit ihnen war nicht zu spaßen. Er war vielleicht noch einen Block von seinem Ziel entfernt, da hörte er einen Schrei, der durch Mark und Bein ging. Unendliches Leid und Schmerzen waren in ihm zum Ausdruck gebracht. Solche Schreie waren leider keine Seltenheit, besonders nicht zu dieser Tageszeit und in dieser Gegend. Üblich nahm er sich ein Beispiel an all den anderen Menschen und ignorierte solches Klagen, da es meist nur Ärger bedeutete. Ärger, den er nicht gebrauchen konnte. Doch genau an diesem Tag konnte er nicht wegschauen, denn dieser Schrei kam aus der Gasse, in der er soeben eingebogen war. Vor Levi bot sich ein Bild der Grausamkeit und der niederen Natur des Menschen. Zwei Männer hatten sich halbherzig hinter einigen gestapelten Holzkisten versteckt. Einer der Beiden drückte eine zierliche Figur zu Boden, während der andere zwischen ihren Beinen rammelte, als gäbe es kein Morgen mehr. Ekel stieg in ihm auf und unermesslicher Hass. Schnellen Schrittes gelangte er zu ihnen, wo er dem Wüstling hart gegen die Schläfe trat, sodass dieser aus seiner Position geworfen wurde. Der Zweite ließ von der Frau, die er bis dato festgehalten hatte ab, und richtete das Messer, das er zuvor an den Hals des Opfers gedrückt hatte, auf ihn, ehe er auf ihn losstürmte. Mit gekonnten Griffen wehrte Levi ihn ab, entwendete ihm das Messer und drohte nun dem Rüpel damit. Dieser bekam anscheinend kalte Füße und machte sich schleunigst aus dem Staub. Levi sah ihm kurz nach, ehe er sich dem Komplizen zu wandte. Diesen hatte er anscheinend bewusstlos getreten, denn er lag bewegungslos auf dem Boden. Seine Aufmerksamkeit glitt nun zu der Frau, die sich panisch an die kalte Steinwand gepresst hatte. Mittlerweile hatte sie ihre zerrissenen Kleider einigermaßen gerichtet und sah ihn aus schockiert geweiteten Augen an. Eine tiefe Schnittwunde verlief über ihre linke Wange und ihre Oberlippe war aufgeplatzt. Anscheinend hatte sie einige Schläge einstecken müssen. Und nicht nur diese... Der Vergewaltiger rührte sich leicht, bewegte die Finger und stöhnte schmerzhaft auf. Ohne zu Zögern holte Levi aus und trat ihm abermals gegen den Kopf, was die Frau angesichts seiner Brutalität zusammenzucken ließ. Der Körper des Wüstlings erschlaffte erneut. Levis Blick wanderte wieder zu dem Opfer. Heiße Tränen bahnten sich ihren Weg über ihre Wangen, wo sie sich mit ihrem Blut vermischten und von ihrem Kinn tropften. So konnte er sie auf keinen Fall zurück lassen. Ihre Wunden mussten versorgt werden und sie benötigte Schutz. Schon in dem Moment, in dem er ihren Schrei gehört hatte, war im bewusst gewesen, dass es Ärger geben würde. Nun hatte er den Salat. Angesäuert schnalzte er mit der Zunge, ehe er auf sie zuging und ihr eine Hand anbot. Erschrocken über seine plötzliche Annäherung zuckte sie vor ihm zurück und kniff die Augen zusammen. Als sie vorsichtig den Blick hob und seine dargebotene Hand erkannte, sah sie ihn erstaunt an. „Komm, ich kümmere mich um deine Wunden“, murrte er wenig begeistert. Sie schien erst zu zögern, ergriff dann doch seine Hand und ließ sich aufhelfen. Für den Bruchteil einer Sekunde blickte er in ihre tiefblauen Augen, bevor er sich zum Gehen umwandte. Humpelnd folgte sie ihm, während langsam ihre Tränen trockneten. Kapitel 1: dröhnendes Schweigen ------------------------------- Kapitel I – dröhnendes Schweigen Nach einem kurzem Fußweg erreichten sie Levis Unterkunft, wo er sie auf einen Stuhl drückte und den Verbandskasten hervor kramte. Ihre Tränen waren getrocknet und sie gab keinen Murks von sich, während er ihre Wunden säuberte und so gut es ging versorgte. Auch kam kein Wort des Dankes über ihre Lippen, als er ihr Kleidung gab und ihr einen heißen Tee vor der Nase abstellte. Jedes Mal hatte sie ihn scheu angelächelt und ihn aus verheulten Augen angesehen. Argwöhnisch beobachtete er sie, wie sie in seiner Kleidung, die ihr zu groß war, auf dem hölzernen Stuhl saß und das Zimmer, in dem sie sich befanden, neugierig musterte. Beide Hände hatte sie um die Tasse gelegt, als wollte sie diese an ihr wärmen. „Hey Göre“, sprach er sie an. Ruckartig schnellte ihr Kopf in seine Richtung. „Willst du dich nicht bedanken?“ Eifrig nickte sie, jedoch wortlos. „Was ist, sprichst du etwa nicht?“ Es war kaum zu überhören, wie angefressen er war. Zur Bestätigung schüttelte sie den Kopf. „Bist du stumm?“, fragte er daraufhin. Erneutes Kopfschütteln. Seufzend lehnte er sich auf seinen Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. „Dann brauch ich dich wohl auch nicht nach deinem Namen zu fragen.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und schien fieberhaft nachzudenken. Gleichzeitig suchte sie mit ihrem Blick etwas, was sie schließlich auf dem Küchentresen ausfindig machte. Mit einem Mal erhob sie sich, stellte ihre Tasse auf dem Tisch zwischen ihnen ab und griff nach dem Notizblock, den sie zuvor anscheinend gesucht hatte. Mit einem Bleistift kritzelte sie etwas auf das Papier, ehe sie ihm den Block entgegenhielt. Skeptisch kniff er die Augen zusammen, griff jedoch nach dem Block und sah auf die ordentlich geschriebenen Buchstaben. „Inara“, las er laut vor. Als er sie ansah, nickte sie und lächelte zaghaft. „Nun gut, Inara. Du kannst dir hier noch etwas deine Wunden lecken, aber sobald du wieder fit bist, setze ich dich vor die Tür“, stellte er klar. Traurig senkte sie den Blick und nickte schwach. Was hatte sie sich vorgestellt? Levi hatte sie schon viel zu weit in seine Privatsphäre eindringen lassen, was ihn selbst verwunderte. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum er sie nicht gleich raus schmiss. Sie hatte etwas seltsames an sich, keine Frage. Doch solange sie keinen Ärger machte, sollte sie bleiben. Er hoffte nur, dass er seine Entscheidung nicht bereuen würde. • Einige Zeit später war Inara noch immer bei ihm. Noch immer hatte sie kein einziges Wort gesagt. Jedoch hielt sie ihr Versprechen und zeigte sich dankbar, indem sie Levi den Haushalt abnahm. Anfangs war er irritiert und es hatte ihn gestört, dass jemand anders als er selbst mit seinen Habseligkeiten hantierte, nur um sie sauber und ordentlich zu hinterlassen. Inzwischen gewöhnte er sich so langsam daran, das jemand hinter dem Herd stand, wenn er nach Hause kam. Farlan, der seine neue Mitbewohnerin nun auch schon kennengelernt hatte, spottete scherzhaft, er hätte nun sein persönliches Hausmädchen. Vor allem nachdem er eines Abends bei ihnen zum Essen geladen war und einen Riss in seinem Hemd entdeckt hatte. Eigentlich hatte er es selbst flicken wollen, doch kam ihm Inara zuvor und nähte das Stück Stoff zusammen, wobei sie saubere Arbeit leistete. Dies hatte sich herumgesprochen und seitdem kamen immer wieder Leute vorbei, deren Kleider Risse oder Löcher aufwiesen, und Inara flickte sie für ein Paar Silbermünzen zusammen. So kam es, dass der Gedanke, sie zurück auf die Straße zu setzten, immer mehr in Vergessenheit geriet. Levi wusste jedoch, dass all die Arbeit, in die sie sich stürzte, nur Ablenkung war. Auch wenn sie es vor ihm zu verbergen versuchte, hatte er sie schon oft dasitzen und weinen gesehen, was ihn auch nicht verwunderte. Dieser Mensch war auch schlimmste Art und Weise in seiner Würde und seinem Sein verletzt worden. Was ihn dafür überraschte war, wie gefasst sie doch wirkte. Nur, wenn man ganz genau hinsah, erkannte man die Spuren, die dieser Vorfall bei ihr hinterlassen hatte. Bei jeder ruckartigen Bewegung erschrak sie, bei jedem polternden Geräusch sah sie sich hektisch um. Sie schlief kaum, was sich in dunklen Ringen unter ihren blauen Augen bemerkbar machte, die durch ihre blasse Haut nur noch mehr hervor stachen. Außerdem hatte sie seit sie bei ihm war nicht ein Mal das Haus verlassen. Levi setzte sich ihr gegenüber an den Tisch und beobachtete, wie sie feine Verzierungen in den Saum eines Kleides stickte. Sie nähte goldene Ranken und Blätter auf den mitternachtsblauen Stoff und arbeitete hier und dort ein paar weiße Perlen ein. Konzentriert betrachtete sie ihre Arbeit. Wie von allein wanderte ihr Zeigefinger der einen Hand zu der Wunde an ihrer Wange und strich über den Grind. „Nicht kratzen", mahnte Levi sie, was sie aufschrecken ließ. Sofort legte sie die Hand in ihren Schoß und widmete sich erneut dem Material vor ihr. „Woher kannst du das?", fragte Levi und sah dabei zu, wie ihre geschickten Finger die Nadel durch den Stoff stachen und nach und nach das Muster entstand. Inara ließ von dem Kleid ab und hielt die Arme vor dem Oberkörper, als würde sie ein Kind wiegen. Anfangs hatte die Kommunikation zwischen beiden nicht ganz so gut funktioniert, doch mittlerweile hatten sie sich auf einander eingespielt. Meist verwendete sie Gesten, wie diese, um sich auszudrücken, allerdings bei schwierigeren Mitteilungen schrieb sie ihr Anliegen auf. „Von deiner Mutter?" Sie nickte zur Bestätigung und nahm ihre Arbeit wieder auf. „Ist sie Schneiderin?" Nicken. „Du auch?" Diesmal verneinte sie, indem sie mit dem Kopf schüttelte. Dabei machte sie eine abwertende Handbewegung, als würde ihr Können nicht ausreichen, um sich als Schneiderin zu betiteln. „Wo ist sie jetzt?", wollte er nun wissen. Der vorher noch konzentrierte Gesichtsausdruck drückte nun Wehmut und Trauer aus. Mit zwei Fingern der rechten Hand malte sie ein großes Kreuz in die Luft. Levi verstand und ließ das Thema fallen. Stille entstand zwischen ihnen, so wie die meiste Zeit, wenn sie zusammen waren. Inara griff in das kleine Kästchen, aus dem sie vorher die Perlen entnommen hatte, und stellte fest, dass es leer war. Ihre Mundwinkel zogen sich zusammen und es schien, als würde ihr ganzes Ich in sich zusammensacken. Sie umfasste das Kästchen und blickte hinein, bevor sie es ihm entgegenhielt. Levi sah sie misstrauisch an. „Was willst du?“, fragte er. Sie wedelte mit der leeren Schachtel. „Wenn du welche brauchst, dann besorg dir welche!“ Widerwillig sah sie zu der Tür. Als sie wieder zu ihm sah, schüttelte sie aussagekräftig den Kopf und hielt im das Perlenkästchen abermals entgegen. „Willst du den Rest deines Lebens hier verbringen?“, ließ er angesäuert vernehmen. Für einen kurzen Zeitpunkt schien sie es wirklich in betracht zu ziehen, da sie nachdenklich den Kopf auf die Seite legte. „Vergiss es, solange halte ich dich nicht aus“, murrte er sie an. Wie ein geschlagener Welpe ließ sie den Kopf hängen. Sie sah aus, wie das Sprichwörtliche Häufchen Elend. Ein Knurren verließ Levis Kehle. „Na gut, ich besorg dir deine bescheuerten Perlen.“ Ihr Blick hob sich und ihre Augen leuchteten auf. „Aber du musst mitkommen“, forderte er. Inara schluckte, sah erneut zur Tür, nickte dann jedoch unsicher. • Auf den Gassen des Untergrunds herrschte geschäftiges Treiben. Viele Menschen waren unterwegs, entweder von der Arbeit nach Hause oder auf dem Weg zum Marktgelände. Inara hatte die Kapuze ihres Umhanges tief in ihr Gesicht gezogen und klammerte sich an seinen Arm. Anfangs hatte er noch versucht sich aus ihrem Griff zu befreien, doch hatte sie sich immer wieder an ihn gedrückt und festgehalten. Mittlerweile hatte er es aufgegeben und hoffte nur inständig, dass sie nicht durchdrehen würde, so panisch, wie sie sich ständig umsah. „Dir wird nichts passieren“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Erfolglos. „Reiß dich zusammen, sonst lass ich dich hier allein stehen, hörst du?“, knurrte er, als sein Geduldsfaden zu reißen drohte. Urplötzlich hörte sie mit ihrem Theater auf und lockerte den Griff sogar ein wenig. Er seufzte. Wohin sollte das nur führen? Kapitel 2: freudige Stille -------------------------- Kapitel II – freudige Stille Nach dem nervenaufreibenden ersten Ausflug auf die Straßen des Untergrunds, machten Levi und Inara es sich zur Angewohnheit jeden Tag vor die Tür zu gehen. Mit jedem Mal wirkte die Schweigsame entspannter und sicherer. Auch im Haus verhielt sie sich immer weniger schreckhaft. Eines Abends verteilte Farlan den Gewinn der letzten beiden Aufträge unter ihren Kollegen und mahnte sie, nicht alles gleich auf den Kopf zu hauen, bevor sie verschwanden. Während Levi und Farlan sich unterhielten, schnitt Inara das Brot für das Abendessen, als es plötzlich an der Tür polterte. Alle drei sahen sich an und Levi beobachtete, wie Inara den Griff des Brotmessers fest umschloss, so dass ihre Fingerknöchel weiß hervor traten. Mit einer Kopfbewegung schickte er sie ins Nachbarzimmer. Nachdem sie aus dem Raum getreten war, signalisierte er Farlan, der sich neben der Tür positioniert hatte, diese zu öffnen, was er auch sogleich tat. Er hätte mit allem gerechnet, nur nicht mit einem Kind, das ihm vor die Füße fiel. Natürlich hatte die Göre auch noch Dreck am Stecken und ihre Verfolger hierher gelotst. Jedoch konnten sie die Verfolger ohne größere Anstrengung verjagen. Danach stellte sich heraus, dass das Gör einen Vogel an die Oberfläche zurückbringen wollte und nur deswegen solch ein Theater verursachte. Farlan sah nach dem Tier, das sie bis dato an sich gepresst hatte und erkannte, dass seine Flügel verletzt waren. Levi ließ die beiden allein und betrat das Schlafzimmer, in das er Inara geschickt hatte. Seltsamerweise war der Raum menschenleer. Irritiert zog er die Augenbrauen zusammen und überlegte, wo sie sich versteckt haben könnte. „Du kannst raus kommen", sagte er, allerdings rührte sich nichts. Missgestimmt schnalzte er mit der Zunge. Also würde er sie aus ihrem Versteck zerren. Da das Zimmer recht einfach eingerichtet war, gab es nicht all zu viele Möglichkeiten. Sein erster Versuch war das Bett, zog die Bettdecke beiseite, doch es war verwaist. Als nächstes ging er auf die Knie und blickte darunter, nur um dort auch keine Spur von ihr zu finden. Genervt richtete er sich wieder auf und begab sich zum Kleiderschrank. Eine der Doppeltüren stand einen Millimeter breit auf. Diese öffnete er mit einem Ruck, erkannte aber nur Jacken, Hemden und Westen, die von Kleiderbügel hingen. Er schob diese beiseite und sah in Inaras überraschtes Gesicht. Sie hatte sich an die Rückwand gedrückt und hielt das Messer mit beiden Händen fest umklammert. „Ganz sauber in der Birne bist du auch nicht, was?" Unschuldig blickte sie ihm entgegen, gleichzeitig zuckte sie mit den Schultern. Er nahm ihr das Messer ab und half ihr aus dem Schrank. Zusammen kehrten sie in den Wohnraum zurück, wo Farlan die Flügel des Vogels verband. Levi nahm seinen Platz am Tisch wieder ein, Inara hingegen widmete sich dem Abendbrot. Das Gör stellte sich als Isabel vor und bat Levi und Farlan, sie in ihrer Gruppe aufzunehmen, was Levi auf seine Art und Weise bejahte. Etwas später saßen sie am gedeckten Tisch. Inara brachte einen randvollen Topf mit dampfender Suppe, den sie zwischen ihnen abstellte. Levi und Farlan bedankten sich, Isabel hingegen griff sofort nach der Suppenkelle, um sich aufzuschöpfen. Augenblicklich sauste der Kochlöffel, den Inara noch in der Hand hielt, auf ihre Finger nieder. „Au", heulte sie auf und blickte zu der Wortlosen, die sie streng ansah. Auch die zwei Männer am Tisch sahen sie erwartungsvoll an. Angestrengt dachte Isabel nach, ehe es ihr wie Schuppen von den Augen fiel. „Danke fürs kochen, für das Essen und danke, dass ich hier sein darf", sagte sie und wartet auf eine Reaktion der anderen, die sie ganz schön zappeln ließen. Als Inaras Mund ein Lächeln bildete, atmete sie erleichtert auf. „Und du redest wirklich nicht?", fragte sie die junge Frau neben sich. „Nein, sie redet wirklich nicht", antwortete Farlan für Inara. „Wieso nicht?“ Auf diese Frage bekam sie keine Antwort. Daraufhin wandte Isabel sich Farlan zu. „Vielleicht hat man ihr die Zunge raus geschnitten", überlegte sie laut und sah neugierig zu Inara. Mit einem Ausdruck in den Augen, der fragte, ob das ihr Ernst wäre, öffnete sie ihren Mund einen Spalt breit und ließ ihre Zunge erscheinen. Augenblicklich zog sie sie wieder hinter die Zähne und aß weiter, als wäre nichts gewesen. Isabel lachte. An diesem Tag war ihre Gruppe um eine Seele reicher geworden. Levi und Farlan unterrichteten Isabel im Umgang mit der 3D-Manöver-Ausrüstung, wobei sie sich erstaunlich talentiert anstellte. Eigentlich hatte Levi mit mehr Problemen gerechnet; doch kam es ihm gelegen, dass sie keine Komplikationen bereitete. Was ihn ebenfalls angenehm überraschte war die Tatsache, dass seit Isabels Ankunft bei ihnen auch Inara eine Veränderung durchlief. „ Ich freue mich ja so, dass du mir ein neues Oberteil schneiderst“, teilte Isabel sich munter mit, während sie mit ausgebreiteten Armen in ihrer Stube stand und Inara ihre Maße nahm. Diese lächelte ihr entgegen und machte sich auf einem Zettel Notizen. „Welche Farbe wird es haben?“, wollte sie neugierig wissen. Natürlich bekam sie keine Antwort. Inara tat so, als hätte sie die Frage gar nicht gehört. „Na los, sag schon“, wurde sie gedrängt. Ihre Lippen zogen sich zu einem verschwörerischen Grinsen. Mit zwei Fingern fuhr sie sich über diese und ahmte somit die Bewegung nach, als würde sie einen Reißverschluss schließen. Wenn Levi sie so sah, wie sie scherzte und lachte, vermutete er, dass er einen Einblick auf den Menschen, der sie vor ihrem Zusammentreffen einmal war, bekam. Insgeheim wünschte er sich für sie, dass dieser Mensch sich zurück an die Oberfläche kämpfen würde und sie die Erfahrung, die sie bedauerliche Weise machen musste, verarbeiten konnte. „Och bitte, Ina“, bettelte Isabel nun, was mit einem Kopfschütteln beantwortet wurde und wieder blitzte dieses freche Grinsen auf.. „Gib es auf, sie wird es dir nicht sagen“, versicherte Farlan ihr, der das Schauspiel amüsiert beobachtet hatte. Sie schob die Unterlippe vor. „Na gut, dann lass ich mich eben überraschen“, gab sie sich geschlagen. Kurz darauf verabschiedeten Isabel, die sich bei Farlan einquartiert hatte, und Farlan sich, da sie nach dem Vogel, den sie zur Pflege hatten, sehen wollten. Levi und Inara begleiteten sie nach draußen, denn sie wollten noch einmal auf den Markt gehen. Isabel hüpfte gelassen die Treppe vor dem Haus hinunter, Levi und Farlan folgten. Inara verharrte noch einen Moment auf dem Treppenabsatz, wo sie noch einmal tief durchatmete, ehe sie die Stufen hinab stieg. Dabei bemerkte sie, wie Levi etwas aus der Hosentasche fiel. Auf der entsprechenden Stufe blieb sie stehen und hob den Gegenstand auf. In ihrer Hand hielt sie ein kleines Klappmesser. Sie richtete sich wieder auf, streckte gleichzeitig die Hand nach vorn aus und machte einen Schritt nach vorn. Weil sie es zu eilig hatte, trat sie auf den Saum ihres Kleides, weshalb sie vorn über stolperte. Levi, der in diesem Moment das Ende der Treppe erreichte, wandte sich um, um nachzusehen, wo Inara blieb. Zwar realisierte er noch, dass sie ihm entgegen fiel, hatte jedoch keine Zeit mehr zu reagieren. Unsanft landete er auf dem Rücken, Inara auf ihn drauf. Ihr zarter Körper ruhte auf dem seinen und es erstaunte ihn, wie leicht sie doch war. Auch wenn er sie zu diesem Zeitpunkt wegen ihrer Schusseligkeit hätte ohrfeigen können, tat er nichts weiter, als in ihre großen Augen zu sehen und ihren wilden Herzschlag auf seiner Brust zu spüren. Er wusste nicht wieso, aber das dunkle Blau ihrer Augen zog ihn in seinen Bann und er fühlte sich irgendwie mit ihr verbunden. Ohne seinem Körper den Befehl gegeben zu haben, hob er die Hand und strich ihr einige Strähnen ihres Haares hinter ihr Ohr. „Oh, lá, lá, Ina, du gehst aber ran", zerstörte Isabel den Moment. Augenblicklich nahm das Gesicht der Angesprochenen eine tiefrote Farbe an und sie hopste von Levi. Mit den Händen wedelte sie durch die Luft zeigte zur Treppe, deutete auf Levi, gestikulierte wild umher. „Sachte", versuchte Farlan sie schmunzelnd zu beruhigen. „So versteht dich keiner." Sie atmete einmal durch, dann hob sie die Hand an, in das Messer lag, das sie aufgehoben hatte. Sofort griff Levi in seine Hosentasche, nur um zu bemerken, dass sein Messer fehlte. Er nahm es ihr aus der Hand und bedankte sich, dabei blickte er wieder in dieses Blau, das das Tor zu einer anderen Welt zu sein schien. „Na wir lassen euch dann mal allein", vernahm man von Farlan, der Isabel zuzwinkerte. „Bis morgen", sagte diese, wobei ein wissendes Grinsen auf ihren Lippen lag. Der Blick, den Levi ihnen hinterher warf, hätte sie töten können, wenn sie nicht seine Freunde wären. „Bist du in Ordnung?", fragte er dann an Inara gewandt. Diese nickte und schenkte ihm ein entschuldigendes Lächeln. „Mach so einen Scheiß nie wieder", murrte er, während er sich aufrichtete. Kurz darauf zog er sie auf die Beine. Kapitel 3: wortlose Geschichte ------------------------------ Kapitel III – wortlose Geschichte Grundlos erwachte Levi mitten in der Nacht. Es war kein schlechter Traum gewesen, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, und auch kein Geräusch, das Anlass zur Beunruhigung gab. Er schlug einfach die Lider auf und starrte an die Zimmerdecke. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wandte er den Kopf, um auf Inaras Seite des Bettes zu schauen. Es war schon seltsam: Er teilte sich das Bett mit einer Frau, die er kaum kannte und mit der er in keinster Weise irgendwelche körperlichen Aktivitäten nachging. Allerdings bestand keine andere Möglichkeit, wenn beide entspannt liegen und erholsam schlafen wollten, als sich das Bett zu teilen. Wie so oft, war ihre Seite verwaist. Er vermutete, dass sie wieder nebenan entweder arbeiten oder vor sich hin starren würde. Und wie jedes Mal, wenn sie nachts dem Kummer zu entfliehen versuchte, empfand er dieses drängende Gefühl ihr helfen zu müssen. Ein weichherziger Weltverbesserer war er noch nie gewesen - würde er auch nie sein - doch berührte diese Frau tief in seinem Innerstem etwas, das ihn dazu verleitete, ihr beizustehen. Genervt presste er die Luft aus seinen Lungen und schlug die Bettdecke beiseite. Diese Gefühle waren wirklich anstrengend. Den Wohnbereich, den er betrat, wurde nur durch eine einzige Kerze auf dem Couchtisch erhellt. Inara saß auf dem Sofa, die Seite an die Rückenlehne gelehnt und die Beine nahe an den Körper gezogen. Ihr Blick war auf die Wand gerichtet, verlor sich jedoch im Nirgendwo. Leise trat er näher, sodass er ihr Profil erkannte. Durch das Licht der kleinen Flamme erkannte er, dass ihre Wangen feucht glitzerten. Sie hatte wieder geweint. Erst, als er fast neben ihr stand, bemerkte sie ihn. Erschrocken fuhr sie zusammen und wischte sich hastig über die Augen. War sie wirklich so dumm zu glauben ihn täuschen zu können? Still setzte er sich neben sie und schaute in die Flamme. Es dauerte etwas, bis sie sich ihm zu wandte. Wie jedes Mal, wenn sie sich mit ihm unterhalten wollte, legte sie eine Hand auf seinen Unterarm. Er löste seinen Blick von dem tanzenden Licht und sah sie direkt an. Eigentlich dachte er, sie würde nun wieder eine Frage stellen oder über belangloses reden wollen, daher war er überrascht, als sie von ihrer Vergangenheit zu erzählen begann. Zwischendurch gab es einige Verständigungsprobleme, da Inara manchmal nicht ihre Worte auszudrücken wusste oder er einfach nicht verstand, worauf sie hinaus wollte. Doch nach einiger Zeit war ihre Geschichte erzählt. Inara war als jüngstes von zwei Kindern in eine verkorkste Familie geboren worden. Ihre Mutter, eine liebenswürdige und aufopferungsvolle Frau, versuchte durch ihre Tätigkeit als Schneiderin Normalität ihren Kindern vorzuleben, während ihr Vater in korrupten Machenschaften verwickelt war. Ihr und ihrer Schwester würde eingebläut leise zu sein und den Mund zu halten, wenn Komplizen ihres Vaters anwesend waren, zur Not auch mit der Faust. Irgendwann wollte ihre große Schwester nicht mehr schweigen. Sie wollte zur Militärpolizei gehen und dort erzählen, was sie über die Geschäfte ihres Vaters herausgefunden hatte. Ihr Vater, der sie beide schon immer nur als nichtsnutzigen Ballast ansah, verlor wie so oft die Beherrschung und prügelte auf ihre Schwester ein. Nur diesmal war es nicht nur ein heftiger Faustschlag oder ein Tritt in die Magengrube. Er war wie im Rausch und steigerte sich immer weiter hinein. Inara und ihre Mutter versuchten verzweifelt ihn zu stoppen, kassierten jedoch selbst nur Schläge. Irgendwann erschlaffte der Körper ihrer Schwester. Das war der Zeitpunkt, an dem Inara verstummte. Ihre Mutter kam über diesen Verlust nicht hinweg. Nicht lange nach diesem Vorfall verließ auch ihre Mutter diese Welt. Seitdem war Inara allein. Da sie nicht wusste, wo sie hätte hingehen können, blieb sie zu Hause und versuchte so wenig wie möglich aufzufallen. Besonders dann, wenn die zwielichtigen Freunde ihres Vaters anwesend waren. Sie bemerkte die lüsternen Blicke und das Getuschel, zu welch schöner Frau sie herangewachsen war. Es kam der Tag, da startete einer der Männer den Versuch, sich ihr zu nähern. Panisch war sie geflohen, doch hatten sie sie irgendwann erwischt. Sie rechnete schon fest mit ihrem Ableben, sobald sie ihre Fleischeslust gestillt hatten. Zu ihrem Glück kreuzte Levi ihren Weg und konnte das Schlimmste noch verhindern. Levi sah sie an. Schniefend wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Also schwieg sie auf Grund eines Traumas. Mal wieder wurde ihm bewusst, wie grausam der Untergrund war. Wie er Menschen, die voller Liebe, Hoffnungen und Träume waren, eiskalt zerstörte. Automatisch ballte er die Hände zur Faust, sodass seine Knöchel Weiß hervor traten. Plötzlich legten sich Inaras Hände in seinen Nacken und Gesicht näherte sich dem seinen. Sein Herz schlug heftig gegen seinen Brustkorb, da er absolut nicht wusste, was sie vor hatte. Mit einem Mal lag ihre Stirn auf seiner und ihre dunklen Seelenspiegel schwebten direkt vor seinen Augen. Es brauchte keine Worte und keine Gesten, damit er verstand, was sie ihm sagen wollte. Ihre Dankbarkeit schrie ihn förmlich aus ihren Augen an. Ein ungewohntes, dennoch keineswegs unangenehmes, Gefühl flackerte in seiner Magengegend auf. Vorsichtig löste er ihre Hände von ihm und rutsche etwas von ihr weg. „Schon gut, ich hab's verstanden", murrte er. Ein Lächeln zierte ihre Lippen, als sie sich wieder normal hinsetzte. Sie wirkte erleichtert und Levi glaubte, dass sie sich besser fühlte, nun da sie ihren Kummer jemandem mitteilen konnte. Herzhaft gähnte Inara auf. „Na los, ab ins Bett mit dir. Du solltest deinem Kopf auch mal Ruhe gönnen", ermahnte er sie, woraufhin sie sich tatsächlich erhob und ins Schlafzimmer tapste. Am nächsten Tag war etwas anders zwischen ihnen. Sie verhielten sich wie immer und dennoch war ein Knistern zu spüren, wenn sie sich in die Augen sahen. Levi betrachtete von der anderen Seite des Tisches ihre Wange, auf der die Narbe von den schrecklichen Erlebnissen zeugte. Wie in der Nacht schon spannte er sich unbewusst an. Er überlegte, ob er nach ihrem Vater und dessen Komplizen fragen sollte, um sie für all den Schmerz, den sie erleiden musste, büßen zu lassen, da wurde ohne Vorwarnung die Tür aufgerissen. „Hallo", trällerte Isabel und trat ungebeten ein. Levi verengte die Augen zu Schlitzen. Wie oft hatte er ihr schon gesagt, sie solle gefälligst anklopfen? Sogleich sprang Inara auf und packte Isabel am Handgelenk. Sie zog ihre Freundin zum Tisch, wo sie Isabels Hände vor deren Augen legte. „Mach es doch nicht so spannend, Ina“, quengelte Isabel, wobei sie vor Erwartung grinste wie ein Honigkuchenpferd. Die Angesprochene, selbst total von der Rolle vor lauter Aufregung, klatschte freudig in die Hände und grinste ebenfalls dämlich. Sie zog aus einem Stapel Stoff etwas hervor und legte es ihrer Freundin auf vor die Nase auf den Tisch, dann nahm sie neben ihr platz und stupste sie an. „Woah“, rief Isabel aus, als sie ihr neues Kleidungsstück, das Inara für die geschneidert hatte, empor hielt, um es genau mustern zu können. Es war eine schlichte weiße Bluse, auf der Inara kaum wahrnehmbar die Umrisse eines Vogels etwas oberhalb der linken Brust eingestickt hatte. „Die ist wunderschön!“ Überschwänglich umarmte sie Inara. „Du bist unglaublich!“, bedankte sie sich. Ein Lächeln, wie er es noch nie bei ihr zu sehen bekommen hatte, bildete sich auf ihrem Gesicht. So viel Freude und Zufriedenheit lag darin und als sie zu ihm herüber blickte machte sein Herz einen gewaltigen Hüpfer. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er sie nie mehr wegschicken würde. Sie würde bei ihm bleiben, er würde sie schützen und alles dafür tun, dieses Lächeln jeden Tag in ihrem Gesicht wiederfinden zu können. Kapitel 4: lautloser Tanz ------------------------- Kapitel IV - Lautloser Tanz Immer wieder rieb der Lappen über das frisch eingefettete Leder seiner Schuhe, während Levi mit den Gedanken noch bei dem vergangenen Tag verweilte. Vor ein paar Stunden wurde ihnen ein äußerst interessantes Angebot unterbreitet. Sie sollten bestimmte Dokumente für einen gewissen Lobov auftreiben und zusätzlich den Träger dieser Papiere ausschalten. Im Gegenzug wurde ihnen ein Leben an der Oberfläche angeboten, inklusive Staatsbürgerschaft. Dieser Auftrag roch nach Ärger, dennoch war die Aussicht, nicht länger in diesem Loch festzustecken, verlockend. Er hob den Blick und sah zu Inara, die mit Isabel auf der Couch saß und der Jüngeren das Häkeln beizubringen versuchte. Allein für sie würde er sich mit diesem Ärger auseinandersetzen. Dieser Auftrag könnte ihr ein ganz anderes Leben ermöglichen. Eines, in dem sie nicht in ständiger Angst vor den Mistkerlen leben müsste, die sie so gedemütigt hatten und denen sie jederzeit wieder begegnen konnte. Allerdings klang dieses Angebot zu gut. Es musste irgendwo einen Haken geben. Levi dachte darüber nach, während er weiter seine Schuhe polierte. Plötzlich schwang die Haustür auf und Farlan trat ein, gefolgt von Musik und dem Lachen der Menschen auf den Straßen. „Was sitzt ihr denn hier drinnen? Draußen steigt die Fete", grinste er spitzbübisch. Isabel wurde sofort hellhörig. „Eine Feier?", fragte sie mit der Freude eines Kindes in der Stimme nach. „Naja, zumindest Musik und gute Laune", korrigierte Farlan sich selbst. Aber selbst das war eine Seltenheit im Untergrund. Levi konnte sich nur vage daran erinnern, wann das letzte Mal Musik auf den Straßen gespielt wurde. Natürlich spielte hier und dort einer seiner Freunde mal ein Stück auf seiner Gitarre oder Flöte, doch das war nicht vergleichbar mit der Musik, die von draußen herein drang. Es war eine willkommene Abwechslung zum trostlosen und eintönigen Alltag. Augenblicklich sprang Isabel vom Sofa auf und packte Inara am Handgelenk. „Komm, dass müssen wir uns ansehen“, sagte sie, wobei sie die Ältere hinter sich her zur Tür zog. Farlan zuckte grinsend mit den Schultern, warf Levi noch einen Blick zu, ehe er den zwei Frauen nach draußen folgte. Die alte Holztür ließ er dabei offen stehen. Levi vernahm dem Klang von einer Gitarre und Flöten, vermischt mit Gelächter und Freudenschreie. Seufzend legte er seine Arbeit nieder, erhob sich von seinem Stuhl und verließ ebenfalls seine Wohnung. Auf der Treppe stehend erkannte er, dass sich fast die gesamte Nachbarschaft auf der Straße versammelt hatte. Sie standen in Grüppchen und unterhielten sich oder tanzten, lachten, feierten. Drei Männer standen auf Holzkisten und spielten auf ihren Instrumenten. Skeptisch musterte er das Spektakel. „Was ist denn hier los?“, fragte er Christoph, der am Treppenende vorbeiging. Dieser zuckte mit den Schultern, deutete dann auf die Musiker. „Sie sind hier aufgetaucht und haben musiziert. Zuerst waren es nur wenige, die ihnen zugehört haben, bis es immer mehr Leute wurden und schließlich so eskaliert ist“, erklärte er lachend und schloss mit einer Handbewegung die freudige Masse ein. Äußerst kritisch beobachtete Levi die Musiker, dann schweifte sein Blick über die Menge. Er entdeckte Isabel, die mit Markus, dem jungen Mann von nebenan, tanzte. Farlans Aufmerksamkeit wurde von zwei Fräuleins in Beschlag genommen, während Inara unweit von ihm auf einer Holzkiste saß und im Takt klatschte. Dabei lag ein seliges Lächeln auf ihren Lippen, das sich auch in ihren Augen wiederspiegelte. Als hätte sie seine Blicke gespürt, wandte sich sich zu ihm um und winkte ihn herbei. Doch statt sich zu ihr zu gesellen, verschränkte er die Arme vor der Brust und zog eine seiner feinen Augenbrauen empor. Sie zog einen Schmollmund und ließ die Schultern sinken. Da tauchte plötzlich Farlan neben ihr auf, nahm ihre Hand in seine und zog sie mit in die feierwütige Masse. Anscheinend benutze er Inara als Ausrede, um sich vor heiratswilligen Mädels zu retten. Levi beobachtete, wie die Beiden tanzten. Inara, die zu beginn unsicher und ungeschickt wirkte, taute immer mehr auf, bis sie nur noch grinste, im Takt ihre Arme schwang und ihre Pirouetten drehte. Pure Lebensfreude spiegelte sich in ihrem Gesicht wieder, das durch die Narbe auf ihrer Wange immer an die Grausamkeit des Untergrunds erinnern würde. Das war der Moment, in dem Levi sich sicher war, dass er es mit allem auf der Welt aufnehmen würde, nur damit dieses Lächeln nicht von ihren Lippen verschwinden würde. Völlig aus der Puste ließ Inara sich neben ihn auf der Treppe nieder und sah ihn mit leuchtenden Augen an. „Willst du etwa, dass ich auch mit dir tanze?“, fragte er missmutig. Sie machte ein nachdenkliches Gesicht, woraufhin er losschnaubte. „Vergiss es!“ Zuerst zog sie einen Schmollmund, feixte dann aber und boxte ihn gegen den Oberarm. Da hatte sie ihn doch tatsächlich reinlegen wollen. Diese neue, schelmische Seite an Inara war zuvor noch nicht zum Vorschein gekommen und auch, wenn dieser neu entdeckter Charakterzug ihm wahrscheinlich viele Nerven rauben würde, so freute er sich für sie, dass sie einen weiteren Schritt aus der Dunkelheit zurück zu ihrem alten Ich gemacht hatte. Gemeinsam sahen sie zu, wie ausgelassen die Menschen vor ihnen den Moment lebten, ohne an die Sorgen des Morgen zu denken. Unerwartet spürte er ein angenehmes Gewicht an seiner Schulter, denn Inara hatte ihren Kopf an diese gelehnt. Aus dem Augenwinkel sah er zu ihr hinab, wie sie sich an ihn schmiegte und zufrieden seufzte. Er sah ihre Hand, die zwischen ihnen auf dem Treppenpodest lag und umfasste sie mit seiner. Überrascht hob sie den Kopf und sah in direkt an. So viel Glückseligkeit und Wärme strahlte ihm aus ihren Augen entgegen und er wusste genau was sie ihm gerne mitteilen wollte, da sie die Röte auf ihren Wangen verriet. „Ich weiß“, flüsterte er und platzierte mit der freien Hand ihren Kopf an seine Schulter. Erneut bildete sich dieses Lächeln auf ihren Lippen, während sie noch ein Stückchen näher an ihn heran rutschte. Wie jedes Mal, wenn sie seine Nähe suchte, stieg diese wohltuende Wärme von seinem Bauch in seine Brust und sein Herz schien vor Freude zu tanzen. Levi hätte die Zeit vergessen und für eine Ewigkeit so sitzen bleiben können. Doch hatte er einen Entschluss gefasst. Am nächsten Morgen würde er Isabel und Farlan darüber in Kenntnis setzen, dass sie den Auftrag annehmen würden. Sie würden ihn erfolgreich abschließen und die Chance auf ein besseres Leben bekommen. Er würde ihr ein besseres Leben ermöglichen. • Kurze Zeit später war es soweit. Der Aufklärungstrupp tauchte im Untergrund auf und ihr Zielobjekt gab sich zu erkennen. Allerdings wurden sie überrumpelt und schließlich vor die Wahl gestellt: Mit dem Aufklärungstrupp zu kooperieren oder man würde sie an die Militärpolizei übergeben. Es lief so gar nicht wie geplant. Epilog: Flüstern ---------------- Epilog – Flüstern Seine Gedanken rasten, während er schwerfällig einen Fuß vor den anderen setzte. Das war alles so nicht geplant gewesen. Fieberhaft überlegte er, wie er das Ruder noch herumreißen könnte, doch hatte er keine andere Möglichkeit, als das zu tun, was man ihm sagte. Der Aufklärungstrupp hatte Isabel, Farlan und ihn überwältigt. Ihnen wurde zur Option gestellt mit dem Trupp zu kooperieren oder man würde sie an die Militärpolizei übergeben. Levi hatte sich für die Zusammenarbeit entschieden, denn in den Fängen der Militärpolizei konnten sie nichts mehr ausrichten. Noch gab es Hoffnung. Doch nun hieß es Abschied nehmen. Vorerst zumindest. Der Gedanke, Inara allein zurück zu lassen, gefiel ihm gar nicht. Nur welch andere Möglichkeit besaß er? Sie war weder geübt im Umgang mit der 3D-Manöver-Ausrüstung, noch auf irgendeine Weise kampferprobt. Das Militär wäre nicht der richtige Platz für sie. Denn mit ihrem zarten Wesen würde sie dort untergehen. Das Einzige, was ihm blieb, war den Auftrag schnellstmöglich auszuführen und sie dann zu sich zu holen. Jetzt musste er ihr diese Nachricht überbringen, ohne Erwin Wind von seinem Plan bekommen zu lassen. Dieser bewachte ihn und seine Freunde, wie ein Hund. Sie konnten keine Bewegungen machen oder Blicke austauschen, ohne von ihm gesehen zu werden. Er verfluchte diesen Kerl. Endlich kamen sie vor der Treppe zu seiner Wohnung zum Stehen. Sie hatten Erwin überreden können hier noch einmal Halt zu machen, damit sie Inara nicht ganz unwissend zurückließen. „Wünsch ihr alles Gute von uns“, sagte Farlan. Isabel setzte ebenfalls zum Sprechen an, doch Farlan hielt sie davon ab, bevor sie etwas dummes sagen konnte. Gemeinsam mit Erwin stieg Levi die Stufen empor und öffnete die Tür zu seinem bescheidenem Heim. Sofort machte er Inara auf der Couch aus. Sie blickte von ihrer Näharbeit auf und strahlte ihm freudig entgegen. Sie so glücklich zu sehen, brach ihm, bei dem Gedanken daran, was ihm nun bevor stand, beinahe das Herz. Als Erwin hinter ihm im Türrahmen auftauchte, verblasse ihre Freude. Besorgt sah sie zu Levi. „Du hast fünf Minuten“, sagte Erwin, machte jedoch keine Anstalten ihn von den Handschellen zu befreien. All das würde er ihm heimzahlen, das versprach Levi sich in diesem Moment. Er würde für all diese Demütigungen büßen. Langsam, als könne er so das Unvermeidliche herauszögern, schritt er auf Inara zu. Er kniete vor dem Sofa nieder und ergriff mit seinen gefesselten Händen nach den ihren. Verständnislos sah sie auf die Handschellen und dann auf den Mann im Türrahmen. Levi gab ihr ein kurze Zusammenfassung der letzten Stunden, wobei er allerdings einige Details ausließ, um den Auftrag von Lobov nicht zu gefährden. Dicke Tränen kullerten über ihre Wangen, als er ihr klar machte, dass sie von nun an allein sein würde. Sie rutschte von dem Sofa auf den Boden und lehnte sich gegen seine Brust, wobei sich ihre Finger in sein Hemd krallten. Er nahm sie in die Arme, so gut es ihm mit den zusammengebundenen Handgelenken gelang. „Ich hole dich hier raus, sobald ich kann“, flüsterte Levi in ihr Haar. „Ich verspreche es dir.“ Inara nickte schwach. Schniefend wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen. „Verabschiede dich, wir haben noch einen langen Weg vor uns“, drang Erwins Stimme zu ihnen durch. Levi schnalzte mit der Zunge und warf dem Blonden einen verächtlichen Blick über die Schulter zu. Indes entließ er Inara seiner Umarmung. Diese griff auf der Couch nach etwas und legte es Levi um den Hals. Mit geschickten Handbewegungen knotete sie das strahlend weiße Tuch um seinen Hals und betrachtete es dann zufrieden. Als sie zu ihm aufblickte, berührten ihre Nasenspitzen sich beinahe. „Ich werde auf dich warten“, hauchte sie gegen seine Lippen. Überrascht hielt er für einen Moment den Atem an. Der Klang ihrer Stimme, so weich und lieblich, war das Schönste, das er je gehört hatte. Sprachlos beobachtet er, wie sich ein Schmunzeln auf ihren Lippen bildete und ihr gleichzeitig die Röte auf die Wangen trat. Es musste sie eine Menge Überwindung gekostet haben, ihm diese Worte zu schenken und es machte ihn unsagbar glücklich, dass sie sich, nach all der Zeit des Schweigens, dazu durch gerungen hatte. Zärtlich strich er ihr einige Strähnen hinter das Ohr, ehe er die letzten Zentimeter überbrückte und sie küsste. Er würde alles geben, nur für sie. ¨`*:•☆ ☆•:*´¨`*:•Ⓔ - Ⓝ - Ⓓ - Ⓔ•:*´¨`*:•☆ ☆•:*´¨ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)