Ihr stummes Lied von Raija ================================================================================ Kapitel 3: wortlose Geschichte ------------------------------ Kapitel III – wortlose Geschichte Grundlos erwachte Levi mitten in der Nacht. Es war kein schlechter Traum gewesen, der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte, und auch kein Geräusch, das Anlass zur Beunruhigung gab. Er schlug einfach die Lider auf und starrte an die Zimmerdecke. Nachdem sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, wandte er den Kopf, um auf Inaras Seite des Bettes zu schauen. Es war schon seltsam: Er teilte sich das Bett mit einer Frau, die er kaum kannte und mit der er in keinster Weise irgendwelche körperlichen Aktivitäten nachging. Allerdings bestand keine andere Möglichkeit, wenn beide entspannt liegen und erholsam schlafen wollten, als sich das Bett zu teilen. Wie so oft, war ihre Seite verwaist. Er vermutete, dass sie wieder nebenan entweder arbeiten oder vor sich hin starren würde. Und wie jedes Mal, wenn sie nachts dem Kummer zu entfliehen versuchte, empfand er dieses drängende Gefühl ihr helfen zu müssen. Ein weichherziger Weltverbesserer war er noch nie gewesen - würde er auch nie sein - doch berührte diese Frau tief in seinem Innerstem etwas, das ihn dazu verleitete, ihr beizustehen. Genervt presste er die Luft aus seinen Lungen und schlug die Bettdecke beiseite. Diese Gefühle waren wirklich anstrengend. Den Wohnbereich, den er betrat, wurde nur durch eine einzige Kerze auf dem Couchtisch erhellt. Inara saß auf dem Sofa, die Seite an die Rückenlehne gelehnt und die Beine nahe an den Körper gezogen. Ihr Blick war auf die Wand gerichtet, verlor sich jedoch im Nirgendwo. Leise trat er näher, sodass er ihr Profil erkannte. Durch das Licht der kleinen Flamme erkannte er, dass ihre Wangen feucht glitzerten. Sie hatte wieder geweint. Erst, als er fast neben ihr stand, bemerkte sie ihn. Erschrocken fuhr sie zusammen und wischte sich hastig über die Augen. War sie wirklich so dumm zu glauben ihn täuschen zu können? Still setzte er sich neben sie und schaute in die Flamme. Es dauerte etwas, bis sie sich ihm zu wandte. Wie jedes Mal, wenn sie sich mit ihm unterhalten wollte, legte sie eine Hand auf seinen Unterarm. Er löste seinen Blick von dem tanzenden Licht und sah sie direkt an. Eigentlich dachte er, sie würde nun wieder eine Frage stellen oder über belangloses reden wollen, daher war er überrascht, als sie von ihrer Vergangenheit zu erzählen begann. Zwischendurch gab es einige Verständigungsprobleme, da Inara manchmal nicht ihre Worte auszudrücken wusste oder er einfach nicht verstand, worauf sie hinaus wollte. Doch nach einiger Zeit war ihre Geschichte erzählt. Inara war als jüngstes von zwei Kindern in eine verkorkste Familie geboren worden. Ihre Mutter, eine liebenswürdige und aufopferungsvolle Frau, versuchte durch ihre Tätigkeit als Schneiderin Normalität ihren Kindern vorzuleben, während ihr Vater in korrupten Machenschaften verwickelt war. Ihr und ihrer Schwester würde eingebläut leise zu sein und den Mund zu halten, wenn Komplizen ihres Vaters anwesend waren, zur Not auch mit der Faust. Irgendwann wollte ihre große Schwester nicht mehr schweigen. Sie wollte zur Militärpolizei gehen und dort erzählen, was sie über die Geschäfte ihres Vaters herausgefunden hatte. Ihr Vater, der sie beide schon immer nur als nichtsnutzigen Ballast ansah, verlor wie so oft die Beherrschung und prügelte auf ihre Schwester ein. Nur diesmal war es nicht nur ein heftiger Faustschlag oder ein Tritt in die Magengrube. Er war wie im Rausch und steigerte sich immer weiter hinein. Inara und ihre Mutter versuchten verzweifelt ihn zu stoppen, kassierten jedoch selbst nur Schläge. Irgendwann erschlaffte der Körper ihrer Schwester. Das war der Zeitpunkt, an dem Inara verstummte. Ihre Mutter kam über diesen Verlust nicht hinweg. Nicht lange nach diesem Vorfall verließ auch ihre Mutter diese Welt. Seitdem war Inara allein. Da sie nicht wusste, wo sie hätte hingehen können, blieb sie zu Hause und versuchte so wenig wie möglich aufzufallen. Besonders dann, wenn die zwielichtigen Freunde ihres Vaters anwesend waren. Sie bemerkte die lüsternen Blicke und das Getuschel, zu welch schöner Frau sie herangewachsen war. Es kam der Tag, da startete einer der Männer den Versuch, sich ihr zu nähern. Panisch war sie geflohen, doch hatten sie sie irgendwann erwischt. Sie rechnete schon fest mit ihrem Ableben, sobald sie ihre Fleischeslust gestillt hatten. Zu ihrem Glück kreuzte Levi ihren Weg und konnte das Schlimmste noch verhindern. Levi sah sie an. Schniefend wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Also schwieg sie auf Grund eines Traumas. Mal wieder wurde ihm bewusst, wie grausam der Untergrund war. Wie er Menschen, die voller Liebe, Hoffnungen und Träume waren, eiskalt zerstörte. Automatisch ballte er die Hände zur Faust, sodass seine Knöchel Weiß hervor traten. Plötzlich legten sich Inaras Hände in seinen Nacken und Gesicht näherte sich dem seinen. Sein Herz schlug heftig gegen seinen Brustkorb, da er absolut nicht wusste, was sie vor hatte. Mit einem Mal lag ihre Stirn auf seiner und ihre dunklen Seelenspiegel schwebten direkt vor seinen Augen. Es brauchte keine Worte und keine Gesten, damit er verstand, was sie ihm sagen wollte. Ihre Dankbarkeit schrie ihn förmlich aus ihren Augen an. Ein ungewohntes, dennoch keineswegs unangenehmes, Gefühl flackerte in seiner Magengegend auf. Vorsichtig löste er ihre Hände von ihm und rutsche etwas von ihr weg. „Schon gut, ich hab's verstanden", murrte er. Ein Lächeln zierte ihre Lippen, als sie sich wieder normal hinsetzte. Sie wirkte erleichtert und Levi glaubte, dass sie sich besser fühlte, nun da sie ihren Kummer jemandem mitteilen konnte. Herzhaft gähnte Inara auf. „Na los, ab ins Bett mit dir. Du solltest deinem Kopf auch mal Ruhe gönnen", ermahnte er sie, woraufhin sie sich tatsächlich erhob und ins Schlafzimmer tapste. Am nächsten Tag war etwas anders zwischen ihnen. Sie verhielten sich wie immer und dennoch war ein Knistern zu spüren, wenn sie sich in die Augen sahen. Levi betrachtete von der anderen Seite des Tisches ihre Wange, auf der die Narbe von den schrecklichen Erlebnissen zeugte. Wie in der Nacht schon spannte er sich unbewusst an. Er überlegte, ob er nach ihrem Vater und dessen Komplizen fragen sollte, um sie für all den Schmerz, den sie erleiden musste, büßen zu lassen, da wurde ohne Vorwarnung die Tür aufgerissen. „Hallo", trällerte Isabel und trat ungebeten ein. Levi verengte die Augen zu Schlitzen. Wie oft hatte er ihr schon gesagt, sie solle gefälligst anklopfen? Sogleich sprang Inara auf und packte Isabel am Handgelenk. Sie zog ihre Freundin zum Tisch, wo sie Isabels Hände vor deren Augen legte. „Mach es doch nicht so spannend, Ina“, quengelte Isabel, wobei sie vor Erwartung grinste wie ein Honigkuchenpferd. Die Angesprochene, selbst total von der Rolle vor lauter Aufregung, klatschte freudig in die Hände und grinste ebenfalls dämlich. Sie zog aus einem Stapel Stoff etwas hervor und legte es ihrer Freundin auf vor die Nase auf den Tisch, dann nahm sie neben ihr platz und stupste sie an. „Woah“, rief Isabel aus, als sie ihr neues Kleidungsstück, das Inara für die geschneidert hatte, empor hielt, um es genau mustern zu können. Es war eine schlichte weiße Bluse, auf der Inara kaum wahrnehmbar die Umrisse eines Vogels etwas oberhalb der linken Brust eingestickt hatte. „Die ist wunderschön!“ Überschwänglich umarmte sie Inara. „Du bist unglaublich!“, bedankte sie sich. Ein Lächeln, wie er es noch nie bei ihr zu sehen bekommen hatte, bildete sich auf ihrem Gesicht. So viel Freude und Zufriedenheit lag darin und als sie zu ihm herüber blickte machte sein Herz einen gewaltigen Hüpfer. In diesem Moment wurde ihm klar, dass er sie nie mehr wegschicken würde. Sie würde bei ihm bleiben, er würde sie schützen und alles dafür tun, dieses Lächeln jeden Tag in ihrem Gesicht wiederfinden zu können. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)