Ihr stummes Lied von Raija ================================================================================ Kapitel 1: dröhnendes Schweigen ------------------------------- Kapitel I – dröhnendes Schweigen Nach einem kurzem Fußweg erreichten sie Levis Unterkunft, wo er sie auf einen Stuhl drückte und den Verbandskasten hervor kramte. Ihre Tränen waren getrocknet und sie gab keinen Murks von sich, während er ihre Wunden säuberte und so gut es ging versorgte. Auch kam kein Wort des Dankes über ihre Lippen, als er ihr Kleidung gab und ihr einen heißen Tee vor der Nase abstellte. Jedes Mal hatte sie ihn scheu angelächelt und ihn aus verheulten Augen angesehen. Argwöhnisch beobachtete er sie, wie sie in seiner Kleidung, die ihr zu groß war, auf dem hölzernen Stuhl saß und das Zimmer, in dem sie sich befanden, neugierig musterte. Beide Hände hatte sie um die Tasse gelegt, als wollte sie diese an ihr wärmen. „Hey Göre“, sprach er sie an. Ruckartig schnellte ihr Kopf in seine Richtung. „Willst du dich nicht bedanken?“ Eifrig nickte sie, jedoch wortlos. „Was ist, sprichst du etwa nicht?“ Es war kaum zu überhören, wie angefressen er war. Zur Bestätigung schüttelte sie den Kopf. „Bist du stumm?“, fragte er daraufhin. Erneutes Kopfschütteln. Seufzend lehnte er sich auf seinen Stuhl zurück und schlug die Beine übereinander. „Dann brauch ich dich wohl auch nicht nach deinem Namen zu fragen.“ Sie biss sich auf die Unterlippe und schien fieberhaft nachzudenken. Gleichzeitig suchte sie mit ihrem Blick etwas, was sie schließlich auf dem Küchentresen ausfindig machte. Mit einem Mal erhob sie sich, stellte ihre Tasse auf dem Tisch zwischen ihnen ab und griff nach dem Notizblock, den sie zuvor anscheinend gesucht hatte. Mit einem Bleistift kritzelte sie etwas auf das Papier, ehe sie ihm den Block entgegenhielt. Skeptisch kniff er die Augen zusammen, griff jedoch nach dem Block und sah auf die ordentlich geschriebenen Buchstaben. „Inara“, las er laut vor. Als er sie ansah, nickte sie und lächelte zaghaft. „Nun gut, Inara. Du kannst dir hier noch etwas deine Wunden lecken, aber sobald du wieder fit bist, setze ich dich vor die Tür“, stellte er klar. Traurig senkte sie den Blick und nickte schwach. Was hatte sie sich vorgestellt? Levi hatte sie schon viel zu weit in seine Privatsphäre eindringen lassen, was ihn selbst verwunderte. Er konnte sich selbst nicht erklären, warum er sie nicht gleich raus schmiss. Sie hatte etwas seltsames an sich, keine Frage. Doch solange sie keinen Ärger machte, sollte sie bleiben. Er hoffte nur, dass er seine Entscheidung nicht bereuen würde. • Einige Zeit später war Inara noch immer bei ihm. Noch immer hatte sie kein einziges Wort gesagt. Jedoch hielt sie ihr Versprechen und zeigte sich dankbar, indem sie Levi den Haushalt abnahm. Anfangs war er irritiert und es hatte ihn gestört, dass jemand anders als er selbst mit seinen Habseligkeiten hantierte, nur um sie sauber und ordentlich zu hinterlassen. Inzwischen gewöhnte er sich so langsam daran, das jemand hinter dem Herd stand, wenn er nach Hause kam. Farlan, der seine neue Mitbewohnerin nun auch schon kennengelernt hatte, spottete scherzhaft, er hätte nun sein persönliches Hausmädchen. Vor allem nachdem er eines Abends bei ihnen zum Essen geladen war und einen Riss in seinem Hemd entdeckt hatte. Eigentlich hatte er es selbst flicken wollen, doch kam ihm Inara zuvor und nähte das Stück Stoff zusammen, wobei sie saubere Arbeit leistete. Dies hatte sich herumgesprochen und seitdem kamen immer wieder Leute vorbei, deren Kleider Risse oder Löcher aufwiesen, und Inara flickte sie für ein Paar Silbermünzen zusammen. So kam es, dass der Gedanke, sie zurück auf die Straße zu setzten, immer mehr in Vergessenheit geriet. Levi wusste jedoch, dass all die Arbeit, in die sie sich stürzte, nur Ablenkung war. Auch wenn sie es vor ihm zu verbergen versuchte, hatte er sie schon oft dasitzen und weinen gesehen, was ihn auch nicht verwunderte. Dieser Mensch war auch schlimmste Art und Weise in seiner Würde und seinem Sein verletzt worden. Was ihn dafür überraschte war, wie gefasst sie doch wirkte. Nur, wenn man ganz genau hinsah, erkannte man die Spuren, die dieser Vorfall bei ihr hinterlassen hatte. Bei jeder ruckartigen Bewegung erschrak sie, bei jedem polternden Geräusch sah sie sich hektisch um. Sie schlief kaum, was sich in dunklen Ringen unter ihren blauen Augen bemerkbar machte, die durch ihre blasse Haut nur noch mehr hervor stachen. Außerdem hatte sie seit sie bei ihm war nicht ein Mal das Haus verlassen. Levi setzte sich ihr gegenüber an den Tisch und beobachtete, wie sie feine Verzierungen in den Saum eines Kleides stickte. Sie nähte goldene Ranken und Blätter auf den mitternachtsblauen Stoff und arbeitete hier und dort ein paar weiße Perlen ein. Konzentriert betrachtete sie ihre Arbeit. Wie von allein wanderte ihr Zeigefinger der einen Hand zu der Wunde an ihrer Wange und strich über den Grind. „Nicht kratzen", mahnte Levi sie, was sie aufschrecken ließ. Sofort legte sie die Hand in ihren Schoß und widmete sich erneut dem Material vor ihr. „Woher kannst du das?", fragte Levi und sah dabei zu, wie ihre geschickten Finger die Nadel durch den Stoff stachen und nach und nach das Muster entstand. Inara ließ von dem Kleid ab und hielt die Arme vor dem Oberkörper, als würde sie ein Kind wiegen. Anfangs hatte die Kommunikation zwischen beiden nicht ganz so gut funktioniert, doch mittlerweile hatten sie sich auf einander eingespielt. Meist verwendete sie Gesten, wie diese, um sich auszudrücken, allerdings bei schwierigeren Mitteilungen schrieb sie ihr Anliegen auf. „Von deiner Mutter?" Sie nickte zur Bestätigung und nahm ihre Arbeit wieder auf. „Ist sie Schneiderin?" Nicken. „Du auch?" Diesmal verneinte sie, indem sie mit dem Kopf schüttelte. Dabei machte sie eine abwertende Handbewegung, als würde ihr Können nicht ausreichen, um sich als Schneiderin zu betiteln. „Wo ist sie jetzt?", wollte er nun wissen. Der vorher noch konzentrierte Gesichtsausdruck drückte nun Wehmut und Trauer aus. Mit zwei Fingern der rechten Hand malte sie ein großes Kreuz in die Luft. Levi verstand und ließ das Thema fallen. Stille entstand zwischen ihnen, so wie die meiste Zeit, wenn sie zusammen waren. Inara griff in das kleine Kästchen, aus dem sie vorher die Perlen entnommen hatte, und stellte fest, dass es leer war. Ihre Mundwinkel zogen sich zusammen und es schien, als würde ihr ganzes Ich in sich zusammensacken. Sie umfasste das Kästchen und blickte hinein, bevor sie es ihm entgegenhielt. Levi sah sie misstrauisch an. „Was willst du?“, fragte er. Sie wedelte mit der leeren Schachtel. „Wenn du welche brauchst, dann besorg dir welche!“ Widerwillig sah sie zu der Tür. Als sie wieder zu ihm sah, schüttelte sie aussagekräftig den Kopf und hielt im das Perlenkästchen abermals entgegen. „Willst du den Rest deines Lebens hier verbringen?“, ließ er angesäuert vernehmen. Für einen kurzen Zeitpunkt schien sie es wirklich in betracht zu ziehen, da sie nachdenklich den Kopf auf die Seite legte. „Vergiss es, solange halte ich dich nicht aus“, murrte er sie an. Wie ein geschlagener Welpe ließ sie den Kopf hängen. Sie sah aus, wie das Sprichwörtliche Häufchen Elend. Ein Knurren verließ Levis Kehle. „Na gut, ich besorg dir deine bescheuerten Perlen.“ Ihr Blick hob sich und ihre Augen leuchteten auf. „Aber du musst mitkommen“, forderte er. Inara schluckte, sah erneut zur Tür, nickte dann jedoch unsicher. • Auf den Gassen des Untergrunds herrschte geschäftiges Treiben. Viele Menschen waren unterwegs, entweder von der Arbeit nach Hause oder auf dem Weg zum Marktgelände. Inara hatte die Kapuze ihres Umhanges tief in ihr Gesicht gezogen und klammerte sich an seinen Arm. Anfangs hatte er noch versucht sich aus ihrem Griff zu befreien, doch hatte sie sich immer wieder an ihn gedrückt und festgehalten. Mittlerweile hatte er es aufgegeben und hoffte nur inständig, dass sie nicht durchdrehen würde, so panisch, wie sie sich ständig umsah. „Dir wird nichts passieren“, versuchte er sie zu beschwichtigen. Erfolglos. „Reiß dich zusammen, sonst lass ich dich hier allein stehen, hörst du?“, knurrte er, als sein Geduldsfaden zu reißen drohte. Urplötzlich hörte sie mit ihrem Theater auf und lockerte den Griff sogar ein wenig. Er seufzte. Wohin sollte das nur führen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)