Home is where my Heart is von Shinoito ================================================================================ Kapitel 2: Morgendliche Begegnung --------------------------------- Sein Blick streifte mich nur den Bruchteil einer Sekunde, doch es reichte aus, um ein seltsames Gefühl in meinem Bauch zurückzulassen. Sein Vater seufzte. "Ich sollte dir dieses Make-Up Zeug eigentlich schon lange weggenommen haben." Unzufriedenheit lag in seinen Augen, als er seinen Sohn musterte. Auch Kazuki und ich konnten nicht anders, als ihn anzustarren. Mir war durchaus bewusst, dass er Kontaktlinsen trug und trotzdem sass die Wirkung. Ich hatte auf der Strasse noch nie jemanden mit einer anderen Augenfarbe als Braun gesehen. Sein Stil konnte man wohl unter 'Visual Kei' einordnen, der auch hier ab und zu zu sehen war. Ich hatte allerdings schon immer großen Respekt von diesen Leuten gehabt, vor ihrer dunklen, düsteren Kleidung, den Nieten und diesem Fremden, mit dem ich nicht wusste, wie umzugehen. Und jetzt stand ein solcher Typ vor mir und ich war nicht minder verunsichert. Er klopfte ungeduldig auf seinen gigantischen Koffer, der mir erst jetzt auffiel. "Können wir jetzt zurück zum Hotel Dad?" Besagter Vater nickte. "Gleich. Ich würde diesen Herren hier als Dank aber vorher aber gerne noch ein Eis spendieren. ", wandte er sich nun an uns und Kazuki und ich warfen uns einen kurzen, ungläubigen Blick zu. Keiner von uns hatte mit so einer Belohnung gerechnet, doch da stand der Mann, zückte auch schon seine Geldbörse. "Welche Eissorte hättet ihr gerne?" _____ "Ihr hättet eben mitkommen müssen, dann hättet ihr auch eins bekommen." Mein bester Freund und ich waren inzwischen zu unseren Freunden an den Strand zurückgekehrt, die nun neidisch unser Eis betrachteten. "Im Gegensatz zu euch, hätte ich auf keine Belohnung bestanden.", meinte Shinya tadelnd, "Bescheidenheit ist das, was wir brauchen. Anders gesagt, die Welt braucht einen Menschen wie mich!" "Das war gerade sehr bescheiden von dir.", erwiderte Kazuki, nachdem gerade die Hälfte seines Erdbeer-Schokoladen Eises in seinem Mund verschwunden war. Wir lachten. Am nächsten Morgen erwachte ich durch das schrille Schreien eines Babys. Ein langer Seufzer entglitt mir. Wieso musste meine Schwester auch gerade dann zu Besuch kommen, wenn ihr Kind das erste Mal zahnte? Sie war vor zwei Jahren mit ihrem Ehemann nach Nara gezogen und führte dort als Mutter und Firmenangestellte ein so beschäftigtes Leben, dass es ihr nur selten möglich war, uns zu besuchen. Jetzt hatte sie aber beschlossen, vier Tage Urlaub zu nehmen und diesen mit ihrem Kind in ihrer Heimatstadt zu spenden. Mit einem genervten Blick auf meinen Wecker musste ich feststellen, dass wir gerade mal 5:23 hatten und es somit für mich noch lange nicht an der Zeit gewesen wäre, aufzustehen, doch mein Neffe ließ mir anscheinend keine andere Wahl. Langsam schälte ich mich aus der Fleecedecke und stand schwerfällig auf. Meine Mutter befand sich bereits in der Küche und war gerade dabei, das Geschirr von gestern Abend spülen. "Wieso können Babys ihr Schreien nicht auf eine spätere Stunde verschieben?", knurrte ich und trat zu ihr an die Küchentheke. "Guten Morgen erst mal.", begrüsste meine Mutter mich und warf mir einen alles sagenden Blick zu. "Morgen.", erwiderte ich deshalb brav die Begrüßung. "Glaub mir, du wirst dich dann noch daran gewöhnen, wenn du selbst einmal Kinder hast." Diesen Moment wollte ich mir noch gar nicht vorstellen. Kleine Kinder waren ja wirklich süß, doch so unschuldig, wie sie immer porträtiert wurden, waren sie dann doch nicht. Meine Mutter stellte mir kurze Zeit später je eine Schüssel mit Reis, eine mit Miso Suppe und ein paar Behälter, die gekochtes und eingelegtes Gemüse enthielten, hin. "Ich habe gestern vergessen, neuen Gerstentee aufzusetzen, du wirst dich wohl oder übel mit Schwarz- oder Grüntee abfinden müssen!" "Was ist mit dem Lachs von gestern geschehen? Ich dachte, da wäre noch was übrig geblieben?", wollte ich wissen und sah auf das Frühstück, das heute weder Fisch noch Fleisch zu enthalten schien. "Den hat dein Bruder vor dem Zubettgehen gegessen." Ich grummelte. Dieser Morgen begann ganz und gar nicht so, wie ich es wollte. "Haben wir wenigstens noch Onigiri da? Ich wollte heute mit Kazuki und den anderen Surfen gehen und diese mitnehmen!" "Heute?", meine Mutter zog eine Augenbraue hoch, "Für heute Abend haben sie in den Nachrichten einen Taifun angesagt, da werdet ihr mir sicher nicht surfen gehen! Sag nicht, du hast davon nicht gehört?" Ich schüttelte den Kopf. Ich setzte mich nur selten vor unseren alten Fernseher und schon gar nicht schaute ich die Nachrichten, die nur so vollgepackt mit schlechten Botschaften und langweiligem, politischen Zeug waren. "Kann ich wenigstens nach dem Frühstück kurz ans Meer gehen?", bat ich meine Mutter. "Wenn du dich vorher umziehst, ja?" Ich schaute an mir hinunter und wurde mir dadurch wieder bewusst, dass ich noch immer mein blau, weiß gestreiftes Pyjama trug. Schon von weitem konnte ich das vertraute Rauschen der Wellen hören, das allerdings heute lauter war, als an anderen Tagen. Die bunten Kleidungsstücke auf den Balkonen der Leute tanzten im Winde, ein Hund bellte, als ich an einem modern wirkenden Haus vorbei lief, der Geruch von Salz hing in der Luft. Es war wohl wirklich besser, wenn wir heute auf Surfen verzichteten. In der Ferne sah ich einen Fischer, der sein Boot sicher an Land zog und schließlich mit einer Plane bedeckte. Es war Yokoyama-san, ein etwa siebzigjähriger Fischer, der trotz des Alkohols, den er jeden Abend in derselben Kneipe konsumierte, jeden Morgen mit den ersten Sonnenstrahlen aufstand. Er hatte Kazuki, mir und den anderen schon die ein oder andere haarsträubende Geschichte erzählt, wobei niemand wirklich gewusst hatte, wie viel Wahrheit darin steckte. Zu meiner Überraschung erblickte ich auch noch eine weitere Person. Der lange Mantel und der schlichte, schwarze Hut, auf den eine große, dunkelblaue Blume gesteckt worden war, waren alles andere, als unübersehbar. Es musste der Sohn des Fremden von gestern sein. Er stand nur ein, zwei Meter vom Meer entfernt, den Rücken mir zugedreht. Neugierig näherte ich mich ihm, bis ich schliesslich nur noch eine armlänge Abstand von ihm hatte. Überrascht drehte er den Kopf. Wie auch schon gestern, hatte er eine Sonnenbrille auf, heute allerdings eine, die mich sofort an einen Piloten erinnerte. Zwischen seinen Fingern klemmte eine lange, schmale Zigarette. Er kniff die Lippen zusammen und nahm dann schließlich einen gedehnten Zug von ihr. Ich musste zugeben, dass er dabei ziemlich cool wirkte. Wahrscheinlich machte er dies nicht einmal absichtlich. "Frühaufsteher?", fragte ich, das erste Wort, das wir bis jetzt überhaupt gewechselt hatten. Er nickte nur und nahm einen weiteren Zug, ehe er sich dem Meer zuwendete. "Du auch wies aussieht." "Normalerweise nicht, aber-" "Aber?" er hatte sich wieder mir zugewendet. Ich sah mich selbst in seiner Sonnenbrille. "Mein Neffe hat mich geweckt." "Also hast du Geschwister...", schlussfolgerte er. "Zwei ältere Brüder, eine ältere Schwester und einen jüngeren Bruder. Was ist mit dir?" "Einzelkind.", kam es knapp. Danach war es wieder still, als wir beide auf die Wellen starrten . Nach einer Weile nahm er plötzlich seine Sonnenbrille ab und blickte wieder zu mir. Das Stahlblau war aus seinen Augen verschwunden, stattdessen waren sie heute schlicht und einfach dunkelbraun. Auch von seinem Make Up war keine Spur mehr zu sehen. Seine Augen wirkten dadurch anders aber nicht minder.. ehrlich? Ja, irgendwie war dies das Wort, das mir als erstens in den Sinn kam, wenn ich in diese Augen blickte. Ehrlich. Unschuldig. Wie ein kleiner Edelstein. "Ach so", sagte ich schnell und versuchte mich, auf einen anderen Punkt als seine Augen zu konzentrieren. Seit wann machte ich mir überhaupt Gedanken über solche Dinge? Braun war Braun, kein Grund für mich, die Augen jedes Menschen zu analysieren. Seine aber waren irgendwie anders, auch wenn ich letzteres Wort nicht im entferntesten definieren konnte. "Sorry wegen gestern. Ich muss ziemlich asozial rüber gekommen sein, was?", sagte er, ein bitteres Lachen folgte. "Als würde mein Vater mir das nicht schon genug sagen." Er stemmte eine Hand in seine schmale Hüfte und nickte wie zu sich selbst. Ich schwieg. Was sollte ich darauf auch antworten? "Wie heißt du?", wechselte er das Thema "Yuu. Und du?" "Takanori oder Ruki, wie ich von Freunden genannt werde." Takanori also. Ja, der Name passte zweifellos. "Du... ähm, du scheinst nicht von der Kansai Region zu kommen", sprach ich schließlich etwas aus, was mich nicht gerade wenig interessierte . "Also wegen dem Dialekt und so..." Takanori lachte, wobei seine Augen einen Moment belustigt aufblitzten. "Wahrlich nicht, ich komme aus Tokyo. Warst du schon mal da?" "Tokyo?" Ich starrte ihn mit großen Augen an und schüttelte dann den Kopf. Er kam aus DEM Tokyo? Der östlichen Hauptstadt, die mir beinahe schon wie ein Mythos erschien. Er biss sich auf die Lippe und nickte. "Ich wurde da geboren und habe seither nirgend anders gewohnt. Ihr habt es echt schön hier, ich wünschte, wir würden hier länger bleiben, als nur zwei Wochen...", Er nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und schnippte sie dann weg. "Warum habt ihr euch ausgerechnet für Mie und dann auch noch dies Stadt entschieden?", wollte ich wissen. "Ein ehemaliger Arbeitskollege meines Vaters hat uns diese Gegend empfohlen.", erklärte er "Raus aus der Stadt, weg vom Alltag, um...", ich hörte wie er zögerte "um unsere Beziehung zu verbessern und so." Schnell senkte er seinen Kopf. Ich dachte schon, dass er hier eine Grenze ziehen und nicht weiterhin darüber sprechen würde, als seine Stimme auch schon wieder erklang, diesmal allerdings leise und rau. "Mein Vater wurde vor einem Jahr mit Lungenkrebs in fortgeschrittenem Stadium diagnostiziert. Das hier sollten unsere letzte gemeinsamen Ferien werden bevor... bevor ihn vielleicht die Kraft, um zu reisen, ganz verlässt." Er hob den Kopf. Seine Augen waren nun mit Tränen gefüllt, was mir wie schon gestern, einen Stich versetzte. Ich hasste es, mit ansehen zu müssen, wie Menschen sichtlich litten, wer mochte das auch schon? Doch bei ihm spürte ich noch einen anderen Schmerz "Seit ich mich erinnern kann", fuhr er fort, nun noch leiser als zuvor, "haben wir uns nur gestritten und selbst jetzt hat sich daran nichts geändert. Ich weiß echt nicht, ob wir uns je... verzeihen können..." Sprachlos sah ich ihn an. Als ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, hatte er gefasst und cool gewirkt. Dass er eine solche Last mit sich trug, hätte ich mir nie vorstellen können und machte mir bewusst, wie oft wir andere Menschen gleich nach ihrem Äußeren beurteilten. "D-Das tut mir wirklich leid für dich.", stammelte ich schließlich, doch er schüttete - nun gefasster - den Kopf. "Braucht dir nicht leid zu tun. Mir tut es leid, dass ich dich gleich mit sowas überfallen habe." Wir schwiegen einige Sekunden. "Ich... ich sollte wohl jetzt gehen.", sagte er plötzlich "Hab gehört, es sollte ein Taifun geben. War nett, dich kennen zulernen Yuu.", ein kleines Lächeln erschien auf seinen Lippen, ehe er sich umdrehte und davonging. 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