Kinder der Freiheit von Raija ================================================================================ Kapitel 9: Mut, der Flügel verleiht ----------------------------------- „Wir steigen auf das 3DM-Set um!" Chapman zügelte sein Pferd und stieg ab. Der Trupp bestehend aus 7 Personen tat es ihm gleich. Am frühen Morgen waren sie ausgesandt worden, um den östlichen Wald auszukundschaften. Der abnorme Titan hatte am Vorabend die Fassade der Ringmauer zum Bröckeln gebracht und Shadis befürchtete, es könnte einen größeren Schaden geben, wenn sie die Schwachstelle nicht ausbesserten. So waren einige Teams ausgesandt worden, um Material für den Bau zu beschaffen, während andere - wie die Gruppe unter Chapmans Führung - die Gegend erkundeten und sich herannahende Titanen entledigten. Freya tätschelte den Hals ihres Hengstes, während der Nebel sich um ihre Beine schlängelte. Sie blickte durch das Blätterdach des Waldes in den wolkenverhangenen Himmel, der Regen versprach, ehe sie sich ihrer Gruppe hinterher in die Bäume schwang. Dabei achtete sie einen gewissen Abstand zu Levi zu halten. Nach der Reanimation am vergangenen Tag hatte sie eine ordentliche Standpauke von Erwin bekommen, über ihr leichtsinniges Handeln, als sie dem Soldaten nach gestürzt war. Auf dem Weg zu dem Patienten hatte Levi sie abgefangen, an die Wand gedrückt und sie mit seinen Körper festgenagelt, die Hände über ihrem Kopf fest in seinem Griff. Augenblicklich waren Bilder vor ihrem geistigen Auge aufgetaucht, die neun Jahre zurück lagen und die sie seitdem zu verdrängen versuchte. „Was soll der Scheiß?", hatte sie ihn angefaucht, um ihre Unsicherheit zu überspielen. „Das wollte ich dich fragen." „Lass mich los!" Sie hatte versucht sich aus seinem Griff zu befreien, vergebens. „Was hast du dir dabei gedacht?" „Das kann dir doch egal sein." Ihre Stimme hatte gebebt, was Levi nicht entgangen war. Skeptisch hatte er in ihre grauen Augen geblickt. „Es wäre mir auch egal, wenn wir nicht hier wären. Von mir aus kannst du dich von der Mauer stürzen, sobald wir wieder zurück sind. Aber solange dein Leben unter meiner Verantwortung steht, wirst du deine Suizidgedanken nicht ausleben." Freya hatte jedoch nicht zugehört. Sie hatte das Zittern ihres Körpers nicht länger unterdrücken können, da die Bilder immer deutlicher wurden. Mittlerweile hatte sie den Rauch in der Luft riechen und das Blut in ihrem Mund schmecken können, so wie damals. „Levi, lass mich los!" Es war mehr ein Flehen gewesen, als eine Forderung. Er hatte es in ihren Augen erkannt, wie ernst sie es meinte. Doch war er sich nicht ganz sicher gewesen, ob sie gleich weinen, losschreien oder um sich hauen würde. Wahrscheinlich alles zugleich. Mit einem Mal hatte er den Griff gelockert und war einen Schritt von ihr weggetreten. Fluchtartig war sie davon gestürzt. Nun beobachtete er sie, denn er konnte sich ihre Reaktion nicht erklären. Freya bemerkte, dass er sie überwachte, schenkte ihm einen feindseligen Blick und zeigte ihm die Zunge. Da geschah plötzlich etwas, mit dem niemand gerechnet hatte. Ein Titan tauchte aus den Nebelschwaden unter ihnen auf und schnappte nach ihrem Teamführer. Er erwischte Chapman und riss ihn mit sich in die Tiefe. Die Gruppe stoppte und verteilte sich auf die umliegenden Bäume, geschockt von dem unvorhergesehenen Angriff. Es erklang ein Schrei, dem ein entsetzliches Knirschen folgte. Danach war es totenstill. Mit angehaltenem Atem beobachteten sie ihre Umgebung. Freya kniff sie Augen zusammen und konzentrierte sich auf einen Punkt im Nebel, an dem die glaubte eine Bewegung wahrgenommen zu haben. Ein weiteres Mal tauchte die Gestalt des Titanen auf. Er stürzte sich auf einen Ast, an den Petra Ral, eine der neuen Rekruten, stand und sich, gelähmt vor Angst, keinen Millimeter bewegte. Gleichzeitig stießen sich Freya und Levi von ihren Standplätzen ab, während sich die Finger des Monstrums um Petras erstarrten Körper schlossen. Levi zielte direkt auf die Schwachstelle im Nacken, in der selben Sekunde trennte Freya die Hand des Titanen von dessen Arm. In diesem Moment öffnete der Himmel seine Schleusen und es begann zu regnen. Freya landete mit Petra auf einem breitem Ast. „Alles in Ordnung?", fragte sie, was Petra aus ihrer Schreckstarre erwachen ließ. Zögernd nickte sie. „Ja, danke." Mit prüfendem Blick musterte sie die anderen. Levi hatte den Titan erledigt und machte einen unversehrten Eindruck. Auch die restlichen Gruppenmitglieder schienen bis auf den Schrecken nichts abbekommen zu haben. Nur Maggy Stone saß da, die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, zitterte am ganzen Leib und atmete heftig ein und aus, indessen tränkte der Regen ihre Kleidung. Freya vermutete, dass sie sich in eine Panikattacke rein steigerte. „Oh mein Gott", wimmerte sie, während sie ihre zittrige Hand vor die bebenden Lippen legte, „oh mein Gott, der Teamführer ist tot." Tränen kullerten ihren Wangen hinab, wobei sie den Blick nicht von dem dampfenden Titan abwenden konnte. „Oh mein Gott“, wiederholte sie, diesmal schriller. Freya schwang sich zu ihr rüber. „Hey Maggy, alles wird gut“, versuchte sie die junge Frau zu beruhigen. „Chapman ist tot!“ Ihre Stimme überschlug sich. „Sieh mich an Maggy“, forderte Freya, fasste sie an den Schultern und drehte ihren Oberkörper, sodass sie sie ansehen musste. Die Ärztin vermutete, dass sie kurz vor einem Zusammenbruch stand. Sie musste sie beruhigen, bevor sie komplett ausrastete. „Oh mein Gott“, kreischte Maggy nun los. „Er hat Chapman gefressen! Was sollen wir nun tun? Wir werden auch alle sterben!“ Klatschend traf Freya Maggys Wange, sodass deren Kopf zur Seite schnellte. Das Geräusch ihrer flachen Hand auf Maggys Haut schallte durch den Wald, danach herrschte Stille. Levi, der seine Klinge putzte, schnalzte mit der Zunge. „Niemand wird sterben“, sagte Freya entschlossen. Sie erhob sich und blickte die anderen Teammitglieder an. In manchen Gesichtern konnte sie die Angst ablesen, in anderen Hilflosigkeit. Es waren wahrlich nicht die besten Bedingungen. Ihr Teamführer war ausgelöscht worden, ihre Pferde Kilometer weit entfernt, wenn sie denn noch dort standen, wo sie sie zurückgelassen hatten, und das Wetter spielte auch nicht mit. Dennoch war es nicht unmöglich wieder zurück zum Stützpunkt zu gelangen „Warum seid ihr hier, wenn ihr sofort aufgebt?“, fragte sie in die Runde. Regen schlug ihr erbarmungslos ins Gesicht und sie musste gegen die Tropfen blinzeln. Die Neuen schauten sich ratlos einander an, manche senkten den Blick, da sie keine Antwort fanden. Levi beobachtete ebenfalls die Frischlinge, wie sie auf ihre Stiefel starrten oder nervös mit den Finger spielten. Dabei erinnerte er sich an seine erste Expedition zurück. Sie hatten es zu dieser Zeit ebenso nicht einfach, dennoch war diese Situation jetzt im Gegensatz zu dem Drama damals um einiges besser zu handeln. Sie mussten sich sammeln und einen Weg zurück finden, möglichst ohne weitere Verluste, um Bericht zu erstatten. „Ich kenne eine Geschichte“, setzte Freya an und die Aufmerksamkeit aller wandte sich ihr zu. „Eine Geschichte von Menschen, deren Herzen sich nach der Frische der Luft außerhalb der Mauern, den dichten Wäldern und weiten Felder, sowie Flüsse und Seen sehnten.“ Sie sah ihre Kollegen einzeln nacheinander an. „Sie wollten den anderen Menschen, deren Herzen grau und verkümmert waren, durch die Beschränktheit der Wälle, die Schönheit der Wildnis erblicken lassen und ihnen ein Leben ohne einengende Wände ermöglichen. Ihr Mut verlieh ihren Herzen Flügel, die sie weit über die Mauern davon trugen.“ Ein Lächeln bildete sich auf Freyas Lippen, ihr Blick war verträumt und warm, aber trotzdem lag etwas ernstes darin. Levi war sich sicher, dass sie jedes Wort glaubte, das sie aussprach und diese Geschichte ihre Motivation war, alles zu geben, ganz gleich, was es kostete. So, wie sie am Vortag dem Soldaten nach gesprungen war. „Getrieben von dem Wunsch die Herzen der Schwachen in den Farben der Außenwelt erstrahlen zu lassen, riskieren sie ihr Leben, stellen sich Gefahren, um dafür zu kämpfen, wofür andere sich nicht in der Lage fühlen. Man nannte sie die Kinder der Freiheit !“ Eine kurze Pause entstand, in der Freya die anderen über ihre Worte nachdenken ließ. Es war deutlich sichtbar, dass eine Veränderung in den Leuten stattfand. Ihre vorher gebeugte, ängstliche Haltung wurde aufrechter, ihre Mimik fest und entschlossen. „Also seid ihr auch eines dieser Kinder oder sind eure Herzen ebenfalls grau?“ Bei dieser Frage zückte Freya ein Schwert und hielt es über ihrem Kopf empor. Die Neulinge taten es ihr gleich und ein Kampfessschrei erklang. Erfolgreich hatte die junge Ärztin all die Zweifel vertrieben und die Gruppe neu beflügelt. Ihre grauen Augen funkelten Levi entgegen, als warteten sie auf ein Lob, doch verdrehte er nur die Augen und schüttelte leicht mit dem Kopf, wobei er sich den Ansatz eines Schmunzeln nicht verkneifen konnte. „Nun, was sind Ihre Befehle, Teamführer Levi?“, fragte sie an ihn gewandt und feixte frech. Für einen Moment glaubte er, sie wollte sich über ihn lustig machen, doch dann begriff er, dass sie es todernst meinte. Von seiner Überraschung ließ er sich nichts anmerken, räusperte sich dann. „Wir ziehen uns weiter in die Baumkronen zurück und begeben uns in die Richtung unserer Pferde“, wies er an. Mit neuem Mut machten sie sich auf den Rückweg. Zu ihrem Glück waren die Pferde noch genau dort, wo sie sie abgestellt hatten. Auch während dem Ritt passierten keine weiteren Zwischenfälle. Doch als sie aus dem Wald auf die offene Fläche vor der Burg ritten, waren selbst Levi und Freya für den Bruchteil einer Sekunde sprachlos. Ein ganzer Haufen Titanen hatte sich um die Ringmauer versammelt und nahm diese auseinander. Mitglieder des Aufklärungstrupps versuchten sie niederzustrecken, jedoch waren es zu viele und war die Mauer an einigen Stellen schon stark beschädigt. Sie sahen, wie die hölzerne Ziehbrücke herabgelassen wurde und Soldaten auf Perden und Wagen die Burg verließen. Freya erkannte Erwin auf seiner weißen Stute. „Ich frage Erwin, was hier los ist“, schlug sie Levi vor, obwohl sie es schon fest beschlossen hatte. Dieser wandte sich zu dem Team um. „Wir werden uns der restlichen Gruppe anschließen.“ So schnell ihr Pferd sie tragen konnte, galoppierte sie auf Erwin zu. „Erwin“, rief sie nach ihm, als sie ihn fast erreicht hatte. Augenblicklich schnellte sein Kopf zu ihr herum. „Freya, Gott sei Dank“, murmelte er und es sah aus, als würde ihm ein Stein vom Herzen fallen. „Was ist hier los?“ „Ein weiterer abnormaler ist aufgetaucht und mehrfach gegen die Mauer gesprungen. Damit hat er Löcher in die Fassade gehauen. Als wir ihn erledigt hatten sind mehr aufgetaucht und haben uns überrannt. Shadis hat den Rückzug angeordnet“, erklärte er. „Scheiße“, fluchte Freya und blickte zurück zur Burg. Es sollte das erste Außenlager der Menschen werden. Leider hatten die Titanen ihnen mal wieder einen Strich durch die Rechnung gemacht. Hosted by Animexx e.V. 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