Kinder der Freiheit von Raija ================================================================================ Kapitel 4: Kleiner Wirbelwind ----------------------------- Schon am nächsten Tag brachen sie auf. Freya genoss es endlich wieder in einem Sattel zu sitzen und das gleichmäßigen Schaukeln durch die Schritte des Pferdes zu spüren. Trittsicher bahnte sich der Rappe seinen Weg über die weiten Felder. In der Ferne fraß sich die Mauer Maria durch die ebene Landschaft. Sie schloss ihre Augen und erfreute sich an den Sonnenstrahlen, die warm ihr Gesicht kitzelten. Eine tiefe innere Ruhe breitete sich in ihr aus und sie empfand Zufriedenheit. Erwin, der neben ihr ritt, betrachtete sie. Eine leichte Prise kam auf, zupfte an ihren Haaren und spielte mir ihren Locken. Er konnte nicht verhindern, dass sich die Ruhe, die sie verspürte, sich bei ihrem Anblick auf ihn übertrug. Er wollte es sich gar nicht anders. Das war nämlich der Grund, weshalb er sie so gerne in seiner Nähe wusste. Das war einer seiner liebsten Momente, wenn der Wirbelsturm zur Ruhe kam und einem das Gefühl gab, mit sich und seiner Umwelt im Reinen zu sein. Mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen öffnete sie die Lider und sah ihn direkt an. „Wie lange können wir bleiben?", wollte sie von ihm wissen. „Drei Tage", antwortete er. „Nur?" „Bis zur Ankunft der neuen Soldaten müssen wir wieder zurück sein. Der Kommandant braucht jeden Mann, um sie auf die nächste Expedition vorzubereiten", erklärte Erwin. Nachdenklich kaute sie auf der Unterlippe. „Weißt du, was ich in dieser Zeit machen werde?", Frage die ihn nach kurzem Schweigen. „Schieß los", forderte er die daraufhin auf. Sie würde sowieso keine Ruhe geben, ehe sie es erzählt hätte. „Ich werde zu Britta gehen und mir eines ihrer leckeren Brote kaufen. Frisch aus dem Ofen natürlich! Dann werde ich auf den Wochenmarkt gehen. Ich muss unbedingt ein Stück von Susis Käse essen, der war immer so schön cremig", schwärmte sie, wobei ihr Blick anwesend wirkte, als wäre sie gedanklich schon dort. „Und Marvins Stand werde ich besuchen. Dort kaufe ich mir einen schönen fetten Lachs, den ich am offenen Feuer zubereiten werde." Ihr lief regelrecht das Wasser im Mund zusammen. „Du wirst dich also kugelrund essen", stellte Erwin fest. „Kugelrund ist gar kein Ausdruck", lachte sie. Es war ja nicht so, dass sie die letzten Jahre nichts zu essen bekommen hatte - die Speisen in Stohess waren auch köstlich gewesen. Doch zu Hause schmeckte es immer noch am Besten. Ganze 5 Jahre hatte sie auf all die heimischen Leckereien verzichten müssen. „Da hast du dir einiges vorgenommen für diese kurze Zeit." „Ja, wieso trödeln wir dann noch hier rum?" Freya drückte ihrem Pferd Fersen in die Flanken, welches daraufhin los galoppierte. So wie es aussah, hatte Erwin wohl den Wirbelwind wieder erweckt. Er seufzte, ehe er ihr hinterher setzte. Den restlichen Weg zu den Toren von Shiganshina ritten sie in wildem Galopp, wobei sie sich ein Wettrennen lieferten, was mit einem unentschieden endete. Sie bahnten sich ihren Weg durch die vollen Gassen, bis sie vor einem mittelgroßen Fachwerkhaus hielten. Freya erkannte es sofort, obwohl es sich seit ihrem letzten Besuch vor ihrem Studium verändert hatte. Die Farbe der Holzbalken war ausgeblichen, die Fassade leicht bröckelnd, die Blumenkästen an den Fenstern leer. Es stimmte sie traurig ihr Heim in solch einem vernachlässigten Zustand zu sehen, denn in ihrer Erinnerung hatte es irgendwie strahlender ausgesehen. Nun nagte leichte Enttäuschung an ihr. Aber was hatte sie auch anders erwartet? Erwin hatte verständlicherweise keine Zeit ihr Heim in Schuss zu halten. „Wann warst du das letzte Mal hier gewesen?“; fragte sie, als sie aus dem Sattel stieg. Erwin überlegte. „Ist bestimmt schon über ein Jahr her.“ Sie brachten die Pferde zum Nachbar, wie jedes Mal, wenn sie nach Hause kamen. Ihr Grundstück besaß keine eigene Stallung, doch hatte ihr Nachbar genügend Platz für ihre Tiere und versorgte diese gewissenhaft. Freudig wurden sie begrüßt, ihre Pferde in den Stall gebracht, wo sie von einem Knecht versorgt wurden. Erwin drückte dem alten, buckeligen Mann einige Silbermünzen in die Hand, als Dank für seine Bemühungen. Endlich betraten sie ihr Nest. Jedoch blieb Freya im Eingang stehen und blickte sich um, wobei ihr der Mund offen stand. Erwin schob sich hinter ihr ins Haus und verharrte neben ihr. Staub eines ganzen Jahres hatte sich auf der Einrichtung abgelegt. Sie würden Stunden brauchen, um sich einzurichten. „Wir hätten den Putzteufel mitnehmen sollen“, murmelte Freya fassungslos. „Putzteufel?“, fragte Erwin irritiert, ehe er verstand und lachte. „Du meinst Levi?“ „Mike hat mich vor seinem Fetisch gewarnt.“ Erwin ging zum Fenster, wobei seine Schritte Staub aufwirbelten und dunkle Abdrücke hinterließen, welches er umgehend öffnete. „So schlimm wird es schon nicht werden.“ Schneller als gedacht hatten sie ihr Haus auf Vordermann gebracht. Daher gönnten sie sich ein deftiges Essen in der Schenke, in der sie früher oft gespeist hatten. Allerdings dämmerte es bereits, als sie diese wieder verließen. In Erinnerungen schwelgend spazierten sie durch die dunkler werdenden Gassen, die durch das Licht der Häuser, das durch die Fenster fiel, beleuchtet wurden. Wieder zu Hause ließ Freya sich in dem Schaukelstuhl vor dem Kamin, in dem ein Feuer brannte, nieder und las in einem Buch. Die Flammen tauchten den Raum in ein romantisches Licht. Zusammen mit ihnen vertrieben einige Kerzen die Dunkelheit, die sich durch die Fenster ins Haus drückte. Währenddessen saß Erwin am Küchentisch und studierte in seinen Papieren, die er mitgebracht hatte. Er ließ ein nachdenkliches Brummen vernehmen, während er mit dem Daumen über sein Kinn strich. Neugierig hob Freya den Blick und sah zu ihm. „Arbeitest du?", fragte sie grantig, wobei sie das Buch zuklappte. Wieder brummte Erwin nur, wendete seine Aufmerksamkeit allerdings nicht von seinen Papieren. „Sollte das hier nicht eine Auszeit werden?", erinnerte sie ihn an seine Worte vom Vortag fragend. Sie schlug die dünne Wolldecke, die sie sich um die Beine gewickelt hatte, beiseite und stand auf. Barfuß tapste sie zu ihm, wo sie sich hinter ihn stellte und über seine Schulter auf die Pergamente spähte. Ihre Unterarme legte sie auf seinen Schultern ab und positionierte ihren Kopf neben seinem. Sie erkannte, dass er sich der Teamaufteilung gewidmet hatte. Jedoch standen noch nicht viele Teams fest, abgesehen von ihrem und dem des Kommandanten. „Es ist grade ein schlechter Zeitpunkt für eine Auszeit", murmelte er gedankenverloren. „Wieso bist du dann mit mir hierher gekommen?", wollte sie von ihm wissen. Schließlich hätte sie allein hierher kommen können, wenn er so viel zu tun hatte. „Wer weiß, wann wir das nächste Mal Gelegenheit dazuhaben werden." Auch, wenn er wann gesagt hatte, hörte sie das Ob deutlich heraus. Bei jedem Verlassen der Mauern konnte einem von ihnen, oder sogar beiden, etwas zustoßen, was eine Rückkehr an diesen Ort unmöglich machte. Jedoch hofften sie, dass es dazu nicht kommen würde. „Wieso machst du die Aufteilung und nicht der Kommandant?" Ein kaum wahrnehmbares Seufzen entwich seiner Kehle. „Kann ich dir etwas anvertrauen, das du nicht weitergibst?" „Was ist das denn für eine Frage?", stieß sie empört aus, während sie sich wieder aufrichtete. Erwin neigte den Kopf, sodass ihre Blicke sich trafen. „Nach dieser Expedition wird der Kommandant zurücktreten", gab er preis. Freya überlegte, was das heißen sollte. „Wird ja auch langsam mal Zeit. Er ist ganz schön alt geworden." „Danach werde ich der Kommandant des Aufklärungstrupps sein." Den Blick wendete er wieder auf die Schriftstücke vor ihm. Ihre Arme legten sich um seinen Oberkörper und er spürte ihre Wärme in seinem Rücken. „Das freut mich für dich! War es nicht das, was du wolltest?" Er antwortete nicht, sondern tippte mit dem unangespitzten Ende des Bleistiftes in seiner Hand auf die Tischplatte. Natürlich war es das was er wollte, doch nahm er mit dieser Tätigkeit einen großen Haufen Verantwortung auf sich. Er würde über Menschenleben entscheiden und der Obrigkeit zufriedenstellende Resultate vorzeigen müssen. „Zweifelt etwa jemand an dir? Wem soll ich den Arsch aufreißen?", fragte sie, woraufhin er lachen musste. „Du hast so hart daraufhin gearbeitet und ich kenne keinen, der so fähig ist wie du. Im Gegenteil zu vielen anderen siehst du nicht nur dich und deine Angelegenheiten, sondern das große Ganze und denkst an die, die nicht für sich selbst sprechen können.“ Verwundert über ihre Worte sah er auf. „Niemand hat es so sehr verdient wie du“, flüsterte sie in sein Ohr. Dieser eine Satz, hatte eine immense Wirkung auf ihn. Sein Herz schlug höher und ein Kribbeln breitete sich über seine Haut aus, sodass ihm die feinen Härchen der Unterarme zu Berge standen. Allerdings ließ er sich nichts davon anmerken, wendete den Kopf nur so, dass er ihn ihre grauen Augen blicken konnte. Ein Lächeln hatte sich auf ihre Lippen gelegt, welches bis in ihre Augen ausstrahlte. Erwin realisierte, dass nicht seine Freya von damals zurückgekehrt war. Auch wenn sie noch alle Charaktereigenschaften von früher aufwies, hatte sie sich verändert. Sie hatte sich zu einer starken, attraktiven Frau entwickelt. Eine Frau, die nicht mehr nur eine Freundin für ihn war. Eine Frau, die er begehrte. Sie verharrten in ihrer Position und der Moment verstrich. Unerwartet richtete sie sich auf und sofort vermisste er die Wärme ihres Körpers auf dem seinem. „Ich bin müde“, verkündete sie und schritt zurück zum Schaukelstuhl, wo sie sich die Decke um die Schultern legte und das Buch zur Hand nahm. Noch einmal drehte sie sich zu ihm um, wünschte ihm eine gute Nacht, ehe sie die hölzerne Treppe zu ihrem Schlafgemach empor stieg. • Shiganshina, 845 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)