Kinder der Freiheit von Raija ================================================================================ Kapitel 2: Wiedersehen macht Freude ----------------------------------- Freya Martin war alles andere als begeistert, als polternde Schritte auf dem Flur sie aus dem Schlaf rissen. Verärgert zog sie die Augenbrauen zusammen, während sie den Geräuschen lauschte, die sich eilig von ihrem Zimmer entfernten. Erschöpft drehte sie sich auf den Rücken, schloss die Augen für einen Augenblick, nur um sie kurz darauf wieder zu öffnen. Sie war kein Morgenmensch. Besonders nicht, wenn sie die vorherige Nacht so schlecht geschlafen hatte. Sie hatte bis spät in die Nacht auf Erwin gewartet, der nicht erschienen war. Doch etwas enttäuscht hatte sie sich irgendwann schlafen gelegt, allerdings hatte ihr Kopf keine Ruhe gegeben, sodass sie noch lange wach gelegen hatte. Grummelnd richtete sie sich auf und fuhr sich mir beiden Händen durchs Gesicht. Wie jeden Morgen litt sie unter Kopfschmerzen, welche sich jedoch lösten, sobald sie anfing den Kopf erst auf die linke, dann auf die rechte Schulter zu legen. Ihre Halswirbel gaben dabei fürchterliche Geräusche von sich. Ihr Blick glitt durch den Raum, wo er schließlich an Erwins Geschenk hängen blieb. Gestern hatte sie es kaum erwarten können es zu öffnen. Nach dem Essen hatte sie sich von Levi verabschiedet, worüber er nicht gerade traurig zu sein schien, und war auf ihr Zimmer geeilt, wo sie die Schatulle geöffnet hatte, sobald die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war. Mit der rechten Hand griff sie nach der Kette, die sie aus dem Kästen gezogen hatte und nun um ihren Hals lag. Als sie den silbernen Anhänger betrachtete, schlich sich ein Lächeln auf ihre Lippen. Sie fragte sich, ob Erwin diesen Anhänger unbedacht ausgewählt hatte oder ob es doch einen Hintergedanken gab. Ein kleiner Vogel zierte die feingliedrige ebenso silberne Kette. Einst, nachdem Erwin sie aufgesammelt hatte, hatte er im Spaß erwähnt, sie sei ihm vor die Füße gefallen, wie ein kleiner Vogel aus dem Nest. In Erinnerungen schwelgend strich sie abermals über den Anhänger, da erblickte sie das Buch auf ihrem Nachttisch. Es war nicht größer als ein Taschenbuch und auch nicht sonderlich dick oder mit Schmuck verziert, aber es war ihr größter Schatz. Sie nahm es an sich und strich zärtlich über den abgegriffenen Einband, bevor sie es aufschlug. Hier und dort waren einige Blätter lose und fielen beim Durchblättern heraus. Schon einige Male hatte sie überlegt einen Buchmaler damit zu beauftragen eine Kopie anzufertigen. Doch musste sie erst einmal einen finden, der für einige Silberstücke die Klappe halten würde, denn dieses Exemplar stand auf der Liste der verbotenen Bücher. Mit Zeige- und Mittelfinger fuhr sie über die liebevoll illustrierte Seite, ehe sie das Buch zuklappte. Sie schlug sie Bettdecke zur Seite, da klopfte es an ihrer Tür. • „Und, wie ist sie?" „Was weiß ich." „Du hast sie doch gestern empfangen", stellte Hanji korrekt fest. Levi schenkte ihr einen giftigen Blick. Konnte sie ihn nicht einfach in Frieden frühstücken lassen? Unaufgefordert hatte sie sich zu ihm an den Tisch gesetzt und fragte ihn über den Neuankömmling vom Vorabend aus. Über die Hälfte der Tische im Speisesaal waren noch unbesetzt, hätte sie sich nicht einfach an einen von ihnen setzten können? Genervt schnalzte er mit der Zunge. „Wieso suchst du sie nicht und überzeugst dich selbst?" „Ich weiß doch gar nicht wie sie aussieht", bemerkte Hanji, während sie sich einen großen Löffel Haferschleim in den Mund schob und ihn weiter erwartungsvoll ansah. Er empfand die Art und Weise, wie sie ihm gegenüber saß und auf ihrem Essen herum kaute, als mehr als nur ekelhaft. „Du wirst sie schon erkennen, wenn du sie siehst." „Wieso?", fragte sie. „Weil sie wahrscheinlich an Erwins Arsch kleben wird." Er hoffte, dass das Thema damit beendet war und die Brillenschlange endlich verschwinden würde. Doch machte diese keinerlei Anstalten zugehen. Seelenruhig stopfte sie die matschige Masse, die ihnen als nahrhaftes Frühstück aufgetischt wurde, in sich hinein. Als sie dann auch noch zu schmatzen begann, schüttelte es ihn beinahe vor Ekel. „Kannst du nicht einfach für den Rest deines Lebens die Luft anhalten?", fragte er todernst. Hanji dagegen lachte, als hätte er einen Witz gerissen. „Dann hätte ich aber nicht mehr lange zu leben", kicherte sie. „Ach was du nicht sagst", grummelte er in seine Tasse, ehe er einen Schluck daraus nahm. Für einen Moment glaubte er, sie würde nun endlich ruhe geben, da zerschnitt ihre nervige Stimme schon wieder die Stille. „Hey, ist sie das?", rief sie aus und deutete mit dem Kinn Richtung Tür. Levi wandte sich um und erblickte Freyas Feuerkopf neben Erwins hünenhafter Gestalt. Sie reichte ihm gerade mal bis zur Schulter, was sie irgendwie zerbrechlich wirken ließ. Allein die Uniform, die hier jeder trug, verlieh ihrem Aussehen so etwas wie Härte. Es dauerte nicht lange, da hatte Erwin Hanji und ihn entdeckt und sie gesellten sich zu ihnen. Nachdem Erwin einen guten Morgen gewünscht und Freya mit Hanji bekannt gemacht hatte, aßen sie ihr Frühstück, wobei sie ihr Gespräch von vorher wieder aufnahmen. • Erwin lauschte Freyas munteren Erzählungen, da entdeckte er Mike Zacharias, welcher auf sie zu kam und einen Finger auf die Lippen gelegt hatte. Er verstand, setzte sein Pokerface auf und wandte sich wieder Freya zu, die über einen Medikus schimpfte. Durch einen Seitenblick prüfte er, ob Hanji etwas mitbekommen hatte, doch diese war zu sehr mit ihrem Essen beschäftigt. Levi, der neben Freya saß, sah aus dem Fenster und schien dem Geschehen am Tisch keinerlei Beachtung zu schenken. Er blickte wieder zurück zu seiner alten Freundin. Ihre Augen leuchteten auf, als sie von ihrem Medizinstudium erzählte. Wie aus dem Nichts tauchte Mikes Gesicht neben ihrem auf. Dieser hatte einen außergewöhnlich guten Geruchssinn, weshalb er es sich zur Gewohnheit gemacht hatte, an anderen Menschen zu schnuppern und sich damit ihren Geruch einzuprägen. Freya entgleisen in dem Moment alle Gesichtszüge, in dem Mike seine Nase in ihrem Haar vergrub und tief einatmete. Schlagartig versuchte sie von ihm zu flüchten, indem sie von ihm weg rutschte und dabei beinahe auf Levis Schoß hüpfte. Levi schien über den plötzlichen engen Körperkontakt weniger erfreut, was er durch einen mordlustigen Blick zum Ausdruck brachte. In der Sekunde erkannte Freya, wer sie von hinten überrascht hatte. „Mike", quietschte sie auf, wobei sie seinen Namen in die Länge zog. Gleichzeitig schoss sie nach vorn und fiel ihm um den Hals. Mike, der sich in einen vorgebeugten Position befand, richtete sich zu voller Größe wieder auf, dabei zog er Freya, die sich noch immer an ihn klammerte, von der Bank. Mit Leichtigkeit umfasste er ihre Taille und setzte sie auf ihren Füßen ab. „Musstest du mich so erschrecken? Ich dachte schon, du wärst irgend so ein Perverser." „Nein, ich konnte nicht widerstehen", grinste er. Freya setzte sich zurück neben Levi und nahm das Essen wieder auf, während Mike sich rittlings auf der Bank platzierte und Freyas Apfel, den sie neben ihren Teller abgelegt hatte, stibitzte, in den er genüsslich hinein biss. Mittlerweile wurde es richtig voll in dem Raum. Die Tische wurden von teils verschlafenen, teils munteren Soldaten besetzt, die sich über verschiedenes unterhielten. Hier und dort glitt auch ein Blick zu ihrem Tisch und die junge Ärztin blieb nicht lange unentdeckt. „Ich wollte mal nach unserer Frau Doktor sehen. Hab gehört, dass du wieder da bist." „Schön, dass sich wenigstens Einer die Mühe macht und zu mir kommt, um mich zu begrüßen", sagte Freya und warf Erwin einen vorwurfsvollen Blick zu. Dieser verzog keine Miene und ging auf ihren Spott gar nicht erst ein. „Bilde dir da mal nicht zu viel drauf ein. Das heißt nicht, dass ich dir bei der nächsten Expedition auch wieder den Arsch rette", neckte Mike. „Ich hatte alles um Griff", verteidigte sie sich. „Wohl eher hatte der Titan dich im Griff", zog er sie weiter auf. Allen Dreien, Freya, Erwin und Mike, waren die Bilder von diesem Tag noch gestochen scharf im Kopf verankert. Damals waren sie auf einer Expedition gewesen. Sie waren bei Regen in einer kleinen Gruppe durch einen Wald geritten. Die Sicht war bescheiden gewesen und so hatten sie den Titanen erst bemerkt, als sie ihm nicht mehr ausweichen konnten. Sie hatten versucht zu fliehen, dabei war Freyas Pferd beim Sprung über eine Baumwurzel hängen geblieben, was die Reiterin aus dem Sattel geschleudert hatte. Genau vor die Füße des Titanen. Natürlich wolle sich dieser diese Chance nicht entgehen lassen und griff nach der Gestalt am Boden. Das war einer der seltenen Augenblicke in Erwins Leben, in denen er Angst gehabt hatte. Als sich damals die Finger des Monstrums um ihren zierlichen Körper schlossen, hatte er sich so hilflos gefühlt, so unfähig auf eine Person, die ihm am Herzen lag, aufzupassen. Zu groß war die Entfernung zwischen ihnen, sodass er nichts hätte ausrichten können. Es war pures Glück, dass Mike in ihrer Nähe gewesen war und sich schnell um den Titanen kümmern konnte, bevor schlimmeres passiert war. Nachdem sie die Mauer Maria passiert und den Schrecken verdaut hatten, begannen Freya und Mike Witze über diese Situation zu reißen, was Erwin zu diesem Zeitpunkt gar nicht gefiel. Doch verstand er, dass es ihnen anscheinend half das Erlebte zu verarbeiten. „Warte nur ab, bis du das erste Mal auf meinem Tisch liegst, dann wirst du um Gnade winseln", drohte Freya ihm. Allerdings entschärfte ein Lächeln ihre Worte. „Erzähl mal, was für eklige Sachen hast du denn schon gemacht?", fragte Mike, wobei er einen Ellenbogen auf dem Tisch stemmte und sein Kinn auf der Handfläche ablegte. Erneut funkelten ihre stahlgrauen Augen auf. „Das wollt ihr lieber nicht wissen", winkte sie mit einer Handbewegung ab. Erwin durchschaute die sofort. Durch ihre abweisende Art, wollte sie ihre Neugier wecken. „Na los, mach es nicht so spannend", tat er ihr den Gefallen und beobachtete, wie ein breites Grinsen sich auf ihre Lippen schlich. Es hatte etwas verschwörerisches an sich, da sie sich auf die Unterlippe biss und sie somit ihre graden Zähne entblößte. „Ich habe einen Vergewaltiger kastriert", eröffnete sie mit einem Hauch von Stolz in der klaren Stimme. Stilles Entsetzen folge auf ihr Aussage. Selbst Levi, der bis dato nur körperlich anwesend war, wandte ihr den Kopf zu. Hanji stand der Mund offen und vor lauter Ungläubigkeit ließ sie den Löffel in ihrer Hand los, welcher scheppernd auf den Teller fiel. Freya bemerkte die Fassungslosigkeit, was sie ein wenig verunsicherte. „Oh", begann sie und sah in die schockierten Gesichter vor ihr. „Ich hab auch schon einen Fuß und mehrere Finger amputiert." Erwin zog die Augenbrauen zusammen. Bilder tauchten in seinem Kopf auf, die er zu verdrängen versuchte. „Ich hab ebenfalls Geburtshilfe geleistet", war ihr letzter Versuch sich zu retten. Doch auch darauf sprang keiner an. Es kam ihr vor, als wären die Gespräche an den anderen Tischen unglaublich laut. Die Stille zwischen ihnen war unangenehm, sowie die bestürzten Blicke. Jahrelang hatte sie für das gekämpft, was sie nun erreicht hatte, und jetzt starrte man sie an, als wäre sie eine Verrückte. Vom Nachbartisch vernahm sie stetiges Husten. Als sie ihre Aufmerksamkeit dorthin lenkte, sah sie einen jungen Mann, der hustete und sich auf die Brust klopfte. Es war, als würde plötzlich der gesamte Saal verstummen und zu dem sich räuspernden Mann sehen. Sein Gesicht nahm langsam eine bläuliche Farbe an. Sofort sprang Freya auf und eilte zu ihm. „Hast du dich verschluckt?", fragte sie, sobald sie ihn erreicht hatte. Er nickte. Sie stellte sich hinter ihn, ballte die rechte Hand zur Faust und legte sie auf seinen Oberbauch unterhalb der Rippen. Mit der Linken umschloss sie ihre Faust und begann in rhythmischen Bewegungen gegen seinen Bauch zu pressen. Erwin erinnerte sich etwas über den Heimlich Handgriff, den Freya in diesem Moment anwandte, gelesen zu haben. Kurz darauf hörte der Soldat auf zu bellen und übergab sich stattdessen auf den Tisch vor ihm. Gierig füllte er seine schmerzenden Lungen mit Sauerstoff. Sie gab ihm etwas Zeit sich zu beruhigen, ehe sie nach seinem Befinden fragte. Auf ihre Frage, ob er in Ordnung sei, nickte er. „Danke", sagte der junge Soldat noch ein wenig außer Atem. „Keine Ursache", lächelte sie ihm entgegen. „Du wirst wahrscheinlich die nächste Zeit Schmerzen beim Schlucken haben, falls es bis heute Abend nicht besser ist, such mich nochmal auf." Erwin und Mike beobachten, wie so viele andere in dem Raum, das Geschehen am Nachbartisch. „Ich denke, du wirst es nicht bereuen ihr diese Chance gegeben zu haben", gab Mike seine Gedanken preis. Erwin gab einen Laut der Zustimmung von sich und blickte in die leuchtend grauen Seelenspiegel, die ihm entgegen strahlten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)