Prelude of Shadows von yazumi-chan (Die Team Shadow Chroniken) ================================================================================ Amy – Akt 3, Szene 2 -------------------- 7 Jahre vor Team Shadows Gründung   Das Pokécenter war überfüllt, als sie endlich ankamen. Trainer saßen in Grüppchen an den Tischen im Gemeinschaftsraum, spielten Karten oder tauschten sich angeregt über Kampfstrategien aus. Einige pflegten ihre Pokémon, andere verputzten die Reste vom Abendessen. Amy schnupperte. Es roch nach Pizza. Ihr Magen grummelte bei dem fettigen Geruch sofort. Sie musste wieder an das Eis denken. Reiß dich zusammen! Mit Brandon im Schlepptau steuerte sie schnurstracks auf die Theke zu, hinter der eine betagte Schwester Joy sie freundlich anlächelte. „Abend, Liebes. Was kann ich für euch tun? Braucht ihr eine Unterkunft?“ Amy nickte. „Zwei Nächte bitte. Ein Zimmer.“ Sie schob das Geld über den Tresen. Die Joy sammelte es seelenruhig ein und zählte die Münzen einzeln in die Kasse. „Wir würden außerdem gerne unsere Pokémon heilen“, fuhr Amy fort, als sich der Zählprozess immer weiter in die Länge zog. „Aber sicher, gebt mir einfach eure Pokébälle und setzt euch kurz hin.“ Brandon und Amy ließen ihre Bälle bei der Schwester und pflanzten sich in eine Ecke mit zwei freien Plätzen. Zwei Mädchen tuschelten, während ein Junge neben ihn einen pinken Pullover strickte. „Also, was ist der Plan?“, fragte Amy. Brandon seufzte. „Ich kann meinen Bruder in Rayono City anrufen, aber ich weiß nicht, ob er Zeit hat, uns zu helfen.“ „Dein Bruder?“ Amy runzelte die Stirn. Wovon redet er? „Wie soll er uns denn helfen?“ „Er ist ein ziemlich starker Trainer“, erklärte Brandon und fuhr sich durch das strubbelige, schwarze Haar. „Sogar stärker als du. Er ist vor ein paar Jahren losgezogen, aber hat seine Reise unterbrochen. Jetzt verbringt er die meiste Zeit in Rayono City.“ Amy winkte ab. „Ruf ihn meinetwegen an, aber das löst unser Problem nicht. Meinst du, wir sollten zur Polizei gehen?“ „Polizei?“, schaltete sich der strickende Junge überrascht ein. „Seid ihr etwa auch bestohlen worden?“ Amy sprang ihm fast auf den Schoß. „Auch? Von wem redest du? Was weißt du über diese Diebe?“ Er rutschte ein wenig zur Seite. Amy schämte sich sofort für ihren Ausbruch. Verlegen setzte sie sich gerader hin. „Tut mir leid. Was wolltest du sagen?“ „Dann ist es euch also auch passiert … das macht zwanzig Opfer seit letzter Woche, mich eingeschlossen. Ich bin übrigens Oliver.“ „Hi Oliver, ich bin Amy, das ist Brandon.“ Sie schüttelten seine Hand. „Du hast recht, wir sind eben beide ausgeraubt worden.“ Brandon beugte sich vor. „Wo haben sie dich überfallen, Oliver?“ „In einer der Gassen zwischen Stratos Street und Trend Street. Ich bin neu in der Stadt und wollte jeden Winkel erkunden.“ Er ließ den Kopf hängen. „Das war ein Fehler. Sie haben mich aus dem nichts angegriffen und mir mein ganzes Geld und meine Items gestohlen. Meine Pokémon hatten keine Chance.“  „Gibt es schon Theorien, wer diese schwarz gekleideten Trainer sind?“, fragte Amy aufgeregt. „Oder was ihr Beuteschema ist? Gibt es irgendwelche Gemeinsamkeiten zwischen den Opfern?“ „Keine Theorien, außer dass die Trainer ziemlich stark sind“, erklärte Oliver. „In dieser Stadt sind hauptsächlich Anwärter für den zweiten Orden unterwegs, die haben keine Chance gegen die Gruppe. Von den Beschreibungen der anderen Opfer sind es mindestens sechs verschiedene, aber meist greifen sie nur mit zwei oder drei gleichzeitig an. Und diejenigen, die von ihnen beklaut werden … tja, Trainer wie du und dich. Anfänger, Neulinge in der Stadt. Jungs und Mädchen, ganz gemischt.“ Seine Hand wanderte zu seinem Pokégürtel. „Wenigstens waren es keine Pokémondiebe. Ich wüsste nicht, was ich dann getan hätte.“ Amy und Brandon tauschten einen Blick. Das klang überhaupt nicht gut. Amy sah auf die Uhr, die über Joys Tresen hing. Es war noch früh am Tag, gerade einmal zwei Uhr. Sie hatte keine Zeit zu verlieren. „Danke für die Infos“, sagte sie zu Oliver, der höflich nickte und sich wieder seinem Pullover widmete. Sie stand auf und ging zurück zum Tresen. Brandon folgte ihr. Schwester Joy kehrte gerade mit ihren Pokébällen im Arm zurück. „Ich gehe jetzt zur Polizei“, flüsterte Amy Brandon zu, bevor Joy in Hörweite war. „Kommst du mit?“ Brandon nickte. „Einen Versuch ist es wert. Lass mich aber zuerst meinen Bruder anrufen.“ Amy nickte ungeduldig. „Okay, aber beeil dich. Ich warte hier.“ Während Brandon sich zu den Telefonen leiten ließ, befestigte Amy ihre Pokébälle wieder an ihrem Gürtel und beobachtete das Treiben der anderen Trainer. Unter ihnen war sehr wahrscheinlich weitere Opfer. Wenn sie mit den anderen sprechen konnte, würde sie vielleicht neue Hinweise finden. Vielleicht konnte Oliver ihr später sagen, wer sonst noch überfallen wurde. Nur noch zwei Tage.     Eine halbe Stunde später stapften sie und Brandon durch die vollen Straßen zur Polizeistation. Schwester Joy hatte ihnen mit einem traurigen Lächeln den Weg geschildert. Amy schielte in jede Gasse, an der sie vorbeikamen, versuchte verzweifelt, die Silhouette der Diebe auszumachen, aber vergebens. „Hör auf damit“, sagte Brandon nach einigen Minuten. „Was willst du tun, wenn du sie dort siehst? Auf sie zustürmen? Selbst mit unseren geheilten Pokémon weiß ich nicht, ob wir stark genug wären. Hast du das Deponitox gesehen? Urgh.“ Er schüttelte sich vor Ekel. Amy umklammerte die Bälle an ihrem Gürtel. Deponitox war mindestens Level 36, und das Kastadur wahrscheinlich noch unter Level 40, sonst hätte es sich bereits entwickelt. Wenn sie davon ausging, dass alle Pokémon der mysteriösen Diebe in diesem Levelbereich waren, wäre ein Kampf tatsächlich schwierig, vor allem bei sechs Trainern. Plötzlich tauchte in ihrem Sichtfeld ein großes, weißes Gebäude auf. „Schau, da ist die Polizeistation!“, rief Amy und wich damit geschickt Brandons Frage aus. Innen war es klimatisiert, mit künstlichen Pflanzen in Kübeln, weißen Wänden und Plastikstühlen im Wartebereich. Amy fackelte nicht lange und ging sofort zur Rezeption, Brandon direkt hinter ihr. „Entschuldigen Sie“, sagte sie zu der jungen Frau mit Hornbrille, die dort saß und in irgendetwas auf ihrem PC vertieft war. Als Amy auf den Bildschirm schielte, sah sie ein Kartenspiel. Solitaire? Sie räusperte sich und stellte sich auf die Zehenspitzen, um größer zu wirken. Wenn sie von ihrer Mutter etwas Nützliches gelernt hatte, dann war es, mit Autorität zu sprechen. „Wir würden gerne einen Diebstahl melden.“ „Diebstahl?“, fragte die Frau und nahm Amy in Augenschein. „Möchtest du eine Anzeige machen?“ Amy nickte. „Ja, bitte.“ Ihre Finger klackerten über die Tastatur. Hinter ihr begann ein Drucker zu röhren. Sie drückte ihnen zwei Papierböge in die Hand, zusammen mit Kugelschreibern. „Füllt diese Formulare bitte aus und gebt sie danach hier wieder ab.“ Amy sah auf das Papier. Nach der Angabe ihrer Personalien gab es zahlreiche Fragefelder. Was wurde gestohlen, wie viel, wo und wann. Irgendwie hatte sie erwartet, dass ein Detektiv sich mit ihnen zusammen an einen Tisch setzen und diese Einzelheiten persönlich berichten lassen würde. Sie schüttelte den Gedanken ab. Das hier war nicht Septerna City, sondern eine Großstadt. Hier galten andere Regeln. Zusammen mit Brandon setzte sie sich ins Wartezimmer, wo sie mit einer alten Dame mit Gehstock alleine waren. Amy füllte das Dokument so ausführlich wie möglich aus, während Brandon neben ihr ein-Wort-Antworten auf fast alle Fragen hinkritzelte. Nach fünf Seiten mit allen möglichen—aus Amys Sicht unnötigen—Fragen, waren sie endlich fertig und gaben die Bögen wieder an der Rezeption ab. Die Frau heftete sie in einen Ordner und widmete sich wieder ihrem Kartenspiel. Amy lehnte sich vor. „Wann können wir mit Ergebnissen rechnen?“ „Wie bitte?“ Die Frau sah verdutzt zu ihr. „Welche Ergebnisse?“ „Na, wegen dem Diebstahl“, sagte Brandon neben ihr. „Wir haben Anzeige erstattet, wann kriegen wir unsere gestohlenen Sachen wieder?“ „Nun, habt ihr eine Versicherung?“ „Versicherung?“ „Ihr habt keine?“ Sie seufzte. „Nun, dann kann euch euer Eigentum leider erst wieder zurückgegeben werden, wenn die Diebe gefasst wurden.“ „Ja, aber genau das wollen wir doch!“, protestierte Amy. Sie wollte wirklich nicht lauter werden, die Rezeptionistin machte nur ihren Job, aber es viel ihr verdammt schwer, ruhig zu bleiben. „Mir wurden zwei sehr wertvolle Gemälde gestohlen, die ich in zwei Tagen zurückhaben muss.“ „In zwei Tagen?“ Die Frau riss die Augen auf. „Es tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber das wird nicht passieren. Wir sind hier in Stratos City. Diebstähle passieren jede Woche zu hunderten. Wir haben alle Hände voll zu tun mit Fällen vor einigen Monaten. Allein der Weg dieser Dokumente, die ihr ausgefüllt hat, von hier über verschiedene Instanzen bis zu einem Polizisten dauert mehrere Tage. Ich fürchte, du wirst deine Gemälde nicht rechtzeitig zurückbekommen.“ Amy sank zurück auf ihre Hacken. Sie fühlte sich klein. Brandon nahm ihren Arm. „Komm, lass uns abhauen“, flüsterte er, dann, etwas lauter, „Danke für ihre Hilfe. Nicht!“ Er bugsierte sie nach draußen, wo sie sich nebeneinander sie auf den Bordstein setzten. Amys Atem ging zu schnell. Trotzdem hatte sie das Gefühl, nicht richtig Luft zu kriegen. Plötzlich spürte sie Brandons Hand auf ihrem Unterarm. „Atme tief durch, okay? Komm, mach es mir nach.“ Einige Minuten lang atmeten sie gemeinsam im Takt, bis Amy sich wieder etwas beruhigt hatte. Sie ballte die Fäuste. „Das war so naiv“, murmelte sie wütend. „Was habe ich mir gedacht, dass die Polizei alles stehen und liegen lässt und diese Trainer innerhalb von vierundzwanzig Stunden dingfest macht? Denen ist doch egal, ob ein paar Kindern ihr Taschengeld weggenommen wurde.“ „Es war eine gute Idee, zur Polizei zu gehen“, entgegnete Brandon. „Je mehr Opfer dieser schwarzen Trainer sich bei ihnen melden, desto ernster müssen sie die Gefahr nehmen. Selbst, wenn wir unsere Sachen nicht zurückbekommen, werden sie vielleicht trotzdem aufgehalten.“ „Nein, du verstehst nicht.“ Amy umklammerte ihre Knie. „Diese Bilder … mein Papa hat sie gemalt.“ „Oh! Ist er … tot?“ „Was? Nein, das meinte ich nicht.“ Sie legte den Kopf auf die Seite, sodass sie Brandon ansehen konnte. „Wir haben … große Geldprobleme zu Hause. Ich dachte, wenn ich seine Bilder bei dem Atelier vorstelle und sie für eine berühmte Ausstellung angenommen werden, dann könnten wir neue Käufer finden und uns über Wasser halten. Aber der Einsendeschluss ist in zwei Tagen. Wenn ich die Bilder bis dahin nicht wiederhabe, ist es vorbei. Dann muss ich nicht nur nach Hause zurück und ihm sagen, dass wir weiter jeden Monat um unsere Existenz bangen müssen, sondern auch, dass ich seine besten Bilder verloren habe. Er hätte sie an jemand anderen verkaufen können. Ich habe ihn dazu überredet, dieses Risiko einzugehen, aber ich habe alles nur schlimmer gemacht.“ „Aber es ist nicht deine Schuld“, sagte Brandon. Er sah zu Boden. „Du bist nicht alleine in eine dunkle Gasse gegangen und hast zwielichtige Gestalten zum Kampf herausgefordert. Das war ich. Du bist mir nur zu Hilfe gekommen, nachdem du schon entschieden hattest, nicht mehr mit mir zu reisen, und dir wurde etwa viel Wertvolleres gestohlen als mir. Es ist meine Schuld, dass du jetzt in dieser Situation bist. Es tut mir leid, Amy.“ Amy nahm seine Hand und drückte sie freundschaftlich. „Hey, du hast genauso wenig Schuld an dieser Sache. Du hast mich nicht gezwungen, dir zu helfen, und überhaupt sind diese schwarzgekleideten Trainer diejenigen, die sich entschuldigen sollten.“ „Aber was machen wir jetzt?“, fragte Brandon. „Die Frau bei der Polizei hat sich sehr eindeutig ausgedrückt. Es kann Monate dauern, bis diese Gruppe gefasst wird.“ „Ganz einfach“, sagte Amy und rappelte sich auf. Sie reichte Brandon ihre Hand. „Wir müssen sie selber zur Strecke bringen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)