Am nächsten Tag stehe ich um sieben Uhr abends vor einem Buchgeschäft und sehe mich leicht irritiert um. Was genau wollen wir hier? „Aber Hiromi, ich hasse Bücher!“, jammert Takao und zieht einen Schmollmund. Tja, wenigstens auf seine Reaktionen kann ich mich verlassen. „Du musst heute Abend auch nur zuhören, du Trottel!“, faucht das Mädchen ihn an und wedelt bedrohlich mit der Faust. Mühevoll unterdrücke ich ein Seufzen, während Hiromi durch die Reihen sieht und erkennt, dass wir alle da sind. Wir gehen hinein und werden von einer Frau am Eingang begrüßt.
„Schönen guten Abend. Wir wollten zu der Lesung, die heute Abend stattfinden sollte. Sind wir hier richtig?“, fragt Makkusu und ich bin versucht, den Kopf zu schütteln. Eine Lesung? Im Ernst? Das ist alles, was ihnen als gemeinsame Beschäftigung einfällt? Von wem kam denn diese glorreiche Idee?! „Im oberen Stockwerk“, ist die einfache Antwort und wir stiefeln gemeinsam die Treppe hinauf. Am liebsten würde ich jetzt schon gehen, aber wenn ich zwischen Hiromis Gemecker und einer Stunde vorlesen wählen muss, dann nehme ich lieber letzteres – ich hasse Hiromis Predigten.
Der Raum oben ist so klein, dass ich schon an der Treppe stehen bleibe. Viel zu viele Menschen plappern durcheinander und versperren die Sicht nach vorn. Ich mag keine Menschenmengen, das sollten sie doch alle wissen! Eine warme Hand an meiner Schulter bringt mich von meinen Gedanken ab. Ich fahre herum und blicke Takao hinter mir wütend an. „Wollen wir da hinten hin?“, fragt er und scheint gar nicht zu merken, was hier los ist. „Lass mich los“, zische ich bemüht leise. Er nimmt die Hand zurück und lächelt entschuldigend. Ich brummele leise – ich hasse Berührungen, davon hatte ich in der Abtei zu viele. „Gehen wir?“ Ich nicke und bahne mir einen Weg an den Stühlen vorbei.
Natürlich bemerken einige Leute hier, wer wir sind. Das Schnattern erreicht ein neues Level und wird mir zu laut. Allerdings bringt mein eisiger Blick die meisten zum verstummen. Gut so.
Also reihe ich mich ein in unsere Reihe, die nur noch an der Seite Platz findet. Die anderen haben Hiromi den letzten freien Stuhl überlassen und wir Herren müssen stehen. Mir macht das nichts aus, ich bin eh nicht darauf aus, lange zu bleiben. Ein kleiner, dünner Mann mit Brille stellt sich ans Pult, das vorne aufgebaut wurde und kurz denke ich, dass das derjenige ist, der jetzt lesen wird. Sieht nicht danach aus, als würde das hier was Vernünftiges, denke ich, während ich zwischen Takao und Ray eingeklemmt bin. Aber dann stellt er den eigentlichen Redner doch vor und ich sehe einen jungen Mann Anfang zwanzig, der sich für die Einführung bedankt und direkt loslegt. Schräg vor mir pfeift Hiromi leise und anerkennend. „Sieht der gut aus!“ Ich schnaube fast lautlos. Als ob mich ihre Vorlieben interessieren würden!
„Ja, echt nicht schlecht“, höre ich es neben mir und blicke verdattert zu Takao herüber. Er sieht meinen Blick nicht, ist ganz auf die Person ganz vorne konzentriert. Scheinbar hört er ernsthaft zu, was der mir unbekannte Kerl da erzählt. Meine Augenbrauen ziehen sich zusammen und Wut durchströmt mich, als ich daran denke, dass der Kerl ihm tatsächlich gefallen könnte.
Halt mal, was denke ich denn da? Seit wann denke ich darüber nach, was Takao gefallen könnte? Und warum ausgerechnet ein Mann? Ich schüttele ungläubig den Kopf und schließe die Augen. Mein Training und mein Sieg sollten das Einzige sein, das mich beschäftigt. Ich verschränke die Arme vor der Brust.Wenn ich schon hier bleiben muss, dann hoffe ich darauf, es ausblenden zu können.
Eine Stunde später haben wir es hinter uns und Hiromi ist um ein Buch reicher. „So“, fragt Ray gedehnt, „Und was hat uns das jetzt gebracht?“ Er klingt nicht sauer oder etwas vergleichbares, aber recht ratlos. Genauso, wie sich wohl auch Makkusu und Takao fühlen. Daichi bringt es ausnahmsweise mal auf den Punkt: „Absolut gar nichts.“ „Das war ja auch nur mein Beitrag! Wir können doch nach und nach zu Veranstaltungen gehen, die jeweils einer von uns aussucht, oder nicht? So lernen wir was über die anderen, was wir noch nicht wissen!“ Sie sieht erwartungsvoll zwischen allen hin und her. Ray sieht mitleidig zu Makkusu und dann zu Takao, der nur den Kopf schüttelt. „Ohne mich“, verkünde ich und haue endgültig ab. „Ich denke auch so“, murrt Takao und schließt sich mir an, „Wenn ich euch was sagen will, brauche ich kein Event.“ Er geht neben mir her und schimpft über das einzige Mädchen in unserer Gruppe: „Was denkt die sich eigentlich? Wir sind Beyblader, keine Buchkenner! Ich habe doch auch so genug zu tun.“ Genug zu tun? Was denn? Der faulenzt doch ohne unsere Hilfe nur den ganzen Tag! Wie oft bin ich derjenige, der ihn aus dem Bett schmeißen muss, weil er nicht zum Training aufkreuzt? „Du genug zu tun? Seit wann?“ Bilde ich es mir ein, oder ist er überrascht, dass ich ihm zugehört habe? „Du weißt eben auch nicht alles von mir, Kai“, erklärt er ausweichend und sieht weg. Ich hebe eine Augenbraue, aber es kommt nichts mehr von seiner Seite. Na schön, ich muss es nicht wissen. Während unseres Rückweges zu seinem Haus reden wir nicht mehr miteinander.