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Deep down the rabbit hole...

...noch tiefer kannst du nicht fallen
von

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Prolog

Ich schlug meine Augen auf. Die Sonnenstrahlen schienen leicht durch das Fenster und kitzelten mein Gesicht. Ein kurzer Blick auf meinen Wecker verriet mir die Uhrzeit. 8:16. Zu spät um noch einmal zu versuchen, ein wenig Schlaf zu bekommen. „Es hätte eh nicht geklappt“, murmelte ich leise vor mich hin, während ich mich langsam aufsetzte. Dabei fiel die Decke von meinem Oberkörper und gab mein verrutschtes Nachthemdoberteil preis. Es war in alle Richtungen gewunden. Ich wusste, dass das von meinem unruhigen Schlaf kam. Schlafen war in letzter Zeit sowieso ein eigenes Kapitel, wovon meine Augenringe zeugten. Ich schlief nie lange, höchsten vier Stunden am Stück und wenn, dann hatte ich Alpträume. Wobei es nur ein Alptraum war. Einer, der sich immer und immer wieder wiederholte. Er machte mir so sehr zu schaffen, dass an ein normales Schlafen nicht mal mehr zu denken war. Ich seufzte noch einmal kurz, dann schwang ich meine Beine über die Bettkante und stellte mich schließlich ganz auf. Auf dem Weg in mein kleines Badezimmer richtete ich mein Oberteil wieder. Ich zog die Schiebetür beiseite, trat in mein Bad und begann mit meiner morgendlichen Routine. Es war jedes Mal das selbe. Morgen um Morgen, Tag um Tag, Woche um Woche. Ich war mir sicher, dass ich es mittlerweile auch mit verbundenen Augen könnte.

Beim Frühstück war es genauso. Ich aß den immer gleichen Toast und trank den immer gleichen Tee und saß dabei am immer gleichen Tisch in der immer gleichen Küche. Deprimierend, aber so sah jeder meiner Tage aus, seit sie wegging. Weggehen. Es klingt ein bisschen komisch, den Tod einer Person als Weggehen zu bezeichnen. Aber es half mir darüber hinweg. Ich war nie besonders spirituell gewesen, hatte Geister, Karma und das Ganze immer als Humbug abgetan. Aber seit sie tot ist, war ich eh nicht mehr dieselbe. Ich war früher mal ein lebensfroher Mensch gewesen, der sich an jedem noch so kleinem und unwichtigem Ding erfreuen konnte. Aber jetzt war mir das alles egal. Ich konnte mich nicht mehr freuen, ich konnte nicht mehr so unbeschwert lächeln oder mit meinen Freunden lachen. Denn wenn ich es tun würde, würde ich mich schuldig fühlen. Schuldig, weil ich gelacht hätte, obwohl ich einen so großen Verlust ertragen musste. Ich hatte die wichtigste Person in meinem Leben verloren, meine große Schwester. Die Frau zu der ich jahrelang aufgeblickt hatte, die Frau die ich jahrelang bewundert hatte. Verschwunden, in der Flüchtigkeit eines Momentes. Eine Sekunde, ein Augenaufschlag. Länger hatte es nicht gedauert, ihr ihr Leben zu nehmen und meines völlig aus den Fugen zu reißen. Mein sonst so geordnetes und buntes Leben hatten sie in diesem Augenblick in ein trostloses, eintöniges Vegetieren verwandelt. Keinen noch so kleinen Lichtblick, keinen noch so kleinen Hoffnungsschimmer. Nichts existierte in diesem … diesem … . Ich konnte es noch nicht einmal als Leben bezeichnen. Ich wollte es auch nicht als Leben bezeichnen.

Ein Leben war das, was ich davor hatte. Mit meinen Freunden, einem individuellem Tagesablauf und mit Freude. Nichts davon hatte ich jetzt mehr, mein Tag war immer der gleiche, die Freude hatte ich zusammen mit meiner Schwester zu Grabe getragen und meine Freunde … . Doch, sie kamen mich manchmal besuchen. Dann erzählten sie mir, wer mit wem ging, wer an wem interessiert war und wer was zu wem gesagt hatte und deshalb jetzt echt ätzend ist. Ich hörte ihnen zwar zu, doch keines der Themen hatte mich bisher wirklich abgelenkt. Immer musste ich daran denken, was meine Schwester dazu gesagt hätte. Verglichen mit meinem Schmerz kamen mir die Probleme der anderen lächerlich klein vor. Das sprichwörtliche Staubkorn in der Wüste. Hin und wieder, an den Wochenenden, fragten meine Freunde mich, ob ich nicht mit ihnen weggehen wollte. Ich lehnte dann immer höflich ab, ich brauchte keine glücklichen Menschen um mich herum, die mir zeigten, wie schief mein Leben doch lief. Das wusste ich auch ohne, dass es mir jemand unter die Nase rieb.

Ich schaute noch einmal auf die Uhr. 9:46. An einem normalem Tag wäre ich jetzt schon an der Arbeit und würde mich an der Rezeption mit einem Kunden herumärgern, dem wieder irgendetwas nicht passte. Erbärmlich. Die Krankschreibung von Arzt hielt mich Zuhause. Schade eigentlich. Die Arbeit war zwar anstrengend, aber sie würde wenigstens ein wenig Ablenkung bieten. Und wenn es nur meine Kollegin Perona wäre, die mir den neuesten Hausklatsch unter die Nase rieb. Aber es wäre ein Anfang. Nun fristete ich mein Dasein wieder einmal allein in meiner Wohnung in Langweile und etwas, dass meine Freundin Robin vor kurzem als eine Depression bezeichnet hatte. Depression. War ich depressiv? Um das zu beantworten, müsste ich vielleicht erst einmal wissen, wie man depressiv definierte. Nichtsdestotrotz würde ich es wahrscheinlich nicht zugeben, geschweige denn, es selbst so bezeichnen. Dazu war ich zu stolz. Falls ich so etwas wie Stolz überhaupt noch besaß. Es wäre gut möglich, dass der sich mit meiner Lebensfreude zusammengeschlossen hatte, um mich zu verlassen. Sie wären nicht die einzigen. Ich fuhr mir mit der Hand durch mein langes, orangenes Haar und ließ mich auf die Couch fallen.Ich angelte mir die Fernbedienung, die auf dem Tisch lag und schaltete das Gerät ein. Die bunten Bilder schlugen mir entgegen, bildeten einen starken Kontrast zum meinem grauen Leben. Ich drückte ein paar Knöpfe, schaute ein paar Sender durch und schaltete den Fernseher schließlich aus. So viele glückliche Menschen auf einem Haufen, dass war es was mich wirklich deprimierte. Das und die Gesichter mit denen mich meine Freunde anschauten, wenn sie mich dann besuchen kamen. Diese Mischung aus Mitleid, der Verständnis für meine Trauer und diesem Versuch ein aufheiterndes Lächeln zustande zu bekommen.

Aber ich sollte mich eventuell erst einmal vorstellen, richtig? Das zeigt, wo ich zur Zeit mit meinem Kopf bin. Mein Name lautet Nami. Meine Schwester, das war Nojiko. Und mein Leben, welches keines mehr ist, verbrachte ich am liebsten mit meinen Freunden. Das sind mein bester Freund aus der Grundschule, Luffy und seine Brüder Sabo und Ace, meine guten Kumpel, Zorro, Sanji, Franky und Lysop und natürlich meine beste Freundin Robin. Natürlich auch Vivi, Perona und Hancock. Und wie gesagt mein Leben war eigentlich bunt, laut und … und … wunderbar. Bis zu diesem Autounfall, den meine Schwester nicht überlebt hatte, während ich nur ein paar leichte Verletzungen davontrug. Es war so unfair, ich bezweifelte, dass ich jemals wieder auf die Beine kommen würde. Wie sehr ich mich doch irren sollte. Ich kam wieder auf die Beine, auch wenn ich ein bisschen Hilfe dabei brauchte. Das ist die Geschichte, wie ich das schaffen sollte.

Kapitel 1

10:00. In einer dreiviertel Stunde musste ich im Heart-Hospital sein, wegen der Nachuntersuchung. Dr. Kuleha, eine nette Frau, die man bloß nicht auf ihr Alter ansprechen sollte, hatte mir mehrmals eingeschärft, pünktlich zu erscheinen. Da ich gesehen hatte, wie man endete, wenn man es sich mit dieser Frau verscherzte, hörte ich lieber auf sie. Zumal es keinen Unterschied machte, ob ich nun Zuhause auf eine graue Wand starrte oder im Krankenhaus. Ich erhob mich schwerfällig von meiner Couch, welche in den letzten Wochen mein meist benutztes Möbelstück geworden war und schlürfte in den Flur. Dort zog ich mir meine schwarzen, kniehohen Stiefel über die dunkle Jeanshose, zog mir den den langen, schwarzen Mantel, einen schwarzen Schal und eine ebenso schwarze Mütze auf. Schwarz. Ich besaß eigentlich kaum schwarze Sachen, früher konnte ich diese Farbe nicht leiden. Heute kam sie mir gar nicht so schlecht vor. Schwarz, die Farbe der Trauer und der Schuld. Zumindest empfand ich sie so. Ich griff mir noch schnell meinen Wohnungsschlüssel und mein Handy, verstaute beides in meiner Jackentasche und verließ meine Wohnung. Ich ging langsamen Schrittes das Treppenhaus hinunter und ließ schließlich auch die Haustür hinter mir. Vor der Tür lag eine zentimeterdicke Schneeschicht, der Himmel war grau und wolkenverhangen. Es rieselte immer noch ein wenig Schnee herunter. Die Flocken schienen in der Winterbrise nahezu zu tanzen. Das war es wieder, eines jener Dinge, an denen ich mich früher erfreut hätte. Heute lebte ich jedoch einfach daran vorbei, ignorierte es, war viel zu sehr mit mir selbst und meinen Gedanken beschäftigt. Ich drehte mich, nachdem ich die Haustür verlassen hatte, nach links um, um zu meiner U-Bahn-Station zu gelangen. Der Weg ins Krankenhaus wäre zu weit, um ihn zu laufen.
 

Aus der U-Bahn-Station kommend atmete ich erst einmal mehrmals tief durch, um meine Lungen wieder mit frischem Sauerstoff zu füllen. Ich hatte ganz vergessen, wie stickig die Luft in einer U-Bahn war. Der weiße Dunst, den ich ausatmete, verflüchtigte sich und wurde schnell mit der Luft eins. Er verschwand, war flüchtig, wie alles andere in meinem Leben. Die Menschenmenge hinter mir drängte mich weiter nach vorne und ich beschloss meinen Weg wieder aufzunehmen. Das Krankenhaus. Ich verband mit diesem Ort so viele schlechte Erinnerungen. Hier wurde mir damals als Kind gesagt, dass meine Mutter tot ist. Und hier wurde mir mitgeteilt, dass Nojiko unseren Autounfall nicht überlebt hatte. Ich hatte diesen Ort wirklich hassen gelernt. Alles in mir widerstrebte sich, dieses schreckliche Gebäude ein weiteres Mal zu betreten, ein weiteres Mal zu sehen, in welchen Mauern und Fluren meine Mutter und Schwester verstorben sind. Meine einzige, geliebte Familie. Ich war jetzt ganz allein. Allein auf dieser einsamen Welt, mit meinem einsamen Leben ohne einen einzigen Lichtblick.
 

Ich schlürfte durch die große, sich automatisch öffnende Tür, welche sich mit einem leisem Quietschen hinter mir schloss. Nun stand in der mit Neonlicht beleuchteten Eingangshalle des Krankenhauses und wäre am liebsten schon wieder heraus gerannt. Das tat ich aber nicht. Stattdessen schlürfte ich weiter zum Empfang um mich anzumelden. Und hätte im nächsten Moment am liebsten laut aufgestöhnt. Hinter dem Tresen saß Valentine. Diese Frau, mit ihren kurzen, blonden Haaren, war schlichtweg der Horror. Sie trug immer noch diese viel zu großen Zitronenohrringe und den dazu passenden Hut, in einem ätzendem Gelb. Ihre Stimme quietschte als wollte sie damit Glasscheiben zum zerbersten bringen. Das schrecklichste war jedoch dieses breite Dauergrinsen, mit dem sie, wann immer ich sie sah, durch die Gegend hüpfte. Das und ihre dazu gehörige gute Laune. Sie merkte noch nicht einmal, wie sehr sie mir mit diesem Dauerhoch der Emotionen auf die Nerven ging. Ich konnte es momentan einfach nicht ertragen glückliche Menschen um mich herum zu haben. Valentine sollte aber heute glücklicherweise nicht allzu viel mit mir reden, da in dem Moment, in dem sie den Mund öffnete und zum Sprechen ansetzte, Kuleha aus einem Behandlungszimmer hervortrat. Sie packte mich am Arm und zog mich in ihr Behandlungszimmer , wo sie allerdings noch ein wenig wartete. Ich war nur froh, dass sie keiner dieser pseudonetten Menschen war, die einen bei jeder Gelegenheit fragten, wie es einem ging. Ich hatte mich in letzter Zeit darauf festgelegt, mir ein Lächeln abzuringen und zu behaupten, dass es mir gut ginge. Menschen, die mich noch nicht so lange kannten, glaubten mir dieses Schmierentheater, lediglich meine Freunde durchschauten mich jedes Mal aufs Neue. Meine Gedanken wurden jäh unterbrochen, als es an der Tür klopfte. Kuleha bat schon beinahe beiläufig herein, während sie ihren Schreibtisch umrundete und augenscheinlich nach meiner Akte suchte. Die Tür öffnete sich und herein trat einer junger Mann, ich schätzte ihn um den Anfang bis Mitte 20. Er hatte rabenschwarzes Haar, welches ähnlich wie Luffy's wirr in allen Richtungen von seinem Kopf ab stand, schwarze Koteletten und ein kleines, schwarzes Kinnbärtchen. Seine Ohren wurden von jeweils zwei kleinen, goldenen Ohrringen geschmückt. Am meisten faszinierten mich jedoch seine Augen. Sie waren grau. So grau, wie der wolkenverhangene Winterhimmel, wie ein Sturm, wenn man mitten hinein blickte. Kuleha stellte mir den Neuankömmling als Trafalgar Law vor. Ein junger Arzt, frisch von der Uni, der momentan seine Assistenzzeit in diesem Krankenhaus abarbeitete. Law nickte mir zur Begrüßung einmal höflich zu, ich hob nur kurz meine Hand zum Gruß. Kuleha drückte ihm schnell meine Akte in die Hand und ließ uns zwei dann alleine, mit dem Verweis, sie wäre bei der Visite im Stockwerk über uns zu finden. Law öffnete den Hefter und studierte meine Akte, während ich mich leicht an die Wand anlehnte und meine Augen schloss. Vor meinem inneren Auge blitzte das Bild meiner älteren Schwester auf. Ich sah in ihre großen Augen, die die pure Freundlichkeit ausstrahlten, sah ihr herzensgutes Lächeln. Ihre Haare, die sie seit geraumer Zeit wachsen ließ und die ihr schon über die Schulter fielen. Ich atmete einmal tief ein und aus, um mich zu beruhigen. Es fehlte mir noch, dass ich in aller Öffentlichkeit anfing zu weinen Das konnte ich auch getrost Zuhause tun. Dort konnte ich mich in ein weiches Federbett wickeln, mich von dieser wohligen Wärme umhüllen und meinen Tränen freien Lauf lassen. Ich könnte die ganze Nacht durch heulen, niemand würde es hören, niemand würde etwas dagegen unternehmen, niemanden würde es interessieren. Ich wäre allein. Allein mit meiner Trauer. Allein mit meinen Tränen. Allein mit dem Schmerz meines Verlustes. Erst Law's Räuspern holte mich wieder zurück in die Realität, zurück in das verhasste Krankenzimmer. Der junge Arzt legte gerade meine Akte beiseite, auf das Medikamentenschränkchen und trat auf mich zu, mir dabei erklärend, dass dies eine simple Routineuntersuchung wird. Es war mir eigentlich egal, sollte er ruhig machen. Ich könnte jetzt natürlich behaupten, dass ich ihm vertrauen würde, aber das wäre eine Lüge und eine ziemlich schlechte noch dazu. Tatsache war nun einmal, dass mein Vertrauen in Ärzte, Chirurgen, allgemein in alles, was einen weißen Kittel trug, erschöpft war. Ich konnte und wollte diesen Menschen einfach nicht mehr vertrauen. Gleichzeitig war es mir aber auch egal, was diese Ärzte jetzt mit mir anstellten.
 

„Du kannst dich wieder anziehen“, wies Law mich an, während er irgendetwas in meiner Akte notierte. Ich zog mir den Pullover wieder über den Kopf und zog den Reißverschluss am Halsteil wieder zu. Law enttäuschte es sichtlich, dass ich nicht auf seinen Kommentar reagiert hatte. Kein Wunder, mit dem Aussehen brauchte er wahrscheinlich nur einmal schnipsen und schon hingen ihm drei Frauen am Hals. Wenn nicht noch mehr. Unter normalen Umständen wäre ich auch darauf angesprungen, dann hätte ich etwas freches, leicht zweideutiges erwidert. Momentan befriedigte es mich jedoch auch, ihn von meiner Position aus vernichtend anzusehen und ihm still irgendeine Krankheit an den Hals zu wünschen. Ich mochte ihn genauso wenig wie Valentine. Er war nämlich der gleiche Typ wie sie. Nur das sein breites Lächeln eher einem überheblichem Grinsen glich und seine Stimme nicht annähernd hoch genug war um Gläser zu zerbrechen. Aber diese dauerhafte gute Laune, die sie allen immer vorlebte, die besaß er auch und er machte leider auch kein Geheimnis daraus. Noch einmal studierte er intensiv meine Akte, es war beinahe lächerlich wie lange er auf dieses Stück Papier schaute, dann wandte er sich wieder mir zu: „Soweit siehst du gesund aus. Ich verschreibe dir nur etwas mehr Lebensfreude“ Beinahe hätte ich laut aufgelacht. Er verschrieb mir Lebensfreude? Seit wann bekam man diese denn in der Apotheke? Lebensfreude ... . So etwas besaß ich nicht mehr, die hatte mich schon lange verlassen. Ich hatte sie bisher auch nicht vermisst, meine Trauer nahm nun meinen Tag ein und sie war ein Begleiter an den ich mich mit der Zeit gewöhnt hatte. Ich war es gewohnt, dass jedes Lied aus dem Radio mich an meine Schwester erinnerte, dass jeder Film, den ich zusammen mit ihr gesehen hatte, auf einmal todtraurig wurde, selbst die lustigsten Komödien. Und er wollte mir jetzt Lebensfreude verschreiben? Den Rezeptschein hätte ich gerne mal gesehen. Statt laut aufzulachen, entschied ich mich für ein kleines Seufzen. Und statt etwas provokantes zu erwidern, murmelte ich lustlos: „Probier's ruhig“ Ich hatte ja nicht ahnen können, dass er das als eine Herausforderung ansah. Tatsächlich nahm er seinen Rezeptblock und einen Stift, schreib kurz etwas darauf und drückte mir den Zettel in die Hand. Dann begleitete er mich noch bis zur großen Tür des Krankenhauses, verabschiedete sich an dieser von mir. „Bis bald“ Konnte ihm mal bitte jemand dieses Grinsen aus dem Gesicht wischen? Innerlich rief ich mich zur Ruhe, ich würde diesen Mann sowieso nie wieder sehen. Zumindest nicht so schnell, wie es sein 'Bis bald' vermuten ließ. Ich hatte nicht vor dieses Krankenhaus auch nur noch ein einziges Mal in meinem Leben zu betreten.

Ich lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf meinem Sofa, starrte dabei die graue Decke nieder. Der Rückweg mit der U-Bahn nach Hause hatte sich nicht annähernd so anstrengend gestaltet wie der Hinweg. Das lag hauptsächlich daran, dass ich immer noch über das nachdachte, was Law zu mir gesagt hatte. Jemandem Lebensfreude verschreiben? Ich bezweifelte nach wie vor, dass das so einfach werden sollte. Man konnte doch nicht einfach so einen Knopf drücken und urplötzlich wieder glücklich sein. Das funktionierte so nun einmal nicht. Erst ein schriller Ton holte mich zurück in die Realität. Ich brauchte ein paar Sekunden um zu realisieren, dass eben jener Ton von meinem Handy stammte, welches immer noch in meiner Jackentasche lag. Ich musste es nicht holen, um zu wissen, dass die Nachricht von Robin kam, die wissen wollte, wie es beim Arzt gewesen ist. Ich wusste das, aus dem simplen Grund, dass sie es das letzte Mal auch gefragt hatte. Und das Mal davor auch. Sie fragte eigentlich immer nach, wenn sie wusste, dass ich zum Arzt gehen wollte. Robin war nun einmal ein fürsorglicher Mensch. Selbst wenn ich nur einen Schnupfen hatte,kam sie jedes Mal vorbei, um nach mir zu sehen. Ich schätzte sie für ihre Fürsorge, gleichzeitig ging sie mir manchmal ein wenig auf die Nerven damit. Da sie mich vermutlich besuchen kommen würde, wenn ich ihr nicht antwortete, beschloss ich mein Handy zu holen und ihr ein kurzes Feedback zu geben. Ich brauchte momentan ein wenig Zeit für mich alleine, ich wollte keinen Besuch. Bei meinem Feedback hütete ich mich jedoch davor, ihr etwas von der Sache mit der Lebensfreude zu erzählen. Dieser Arzt war einfach nur verrückt, das musste es sein. Ich ging zu meiner Garderobe und fischte mein Handy aus meiner Manteltasche. Als ich es rausholte fiel jedoch auch ein kleines, zerknülltes Zettelchen aus der Tasche. Es war das Rezept, das Law mir ausgestellt hatte. Ich hatte ihm keine weitere Beachtung geschenkt,ihn einfach zerknüllt. Der eigentlich Plan war ihn wegzuschmeißen, ich konnte mich dann aber doch nicht dazu durchringen. Also hatte ich ihn in meine Jackentasche gesteckt, besser gesagt im hintersten Winkel vergraben. Ich hatte ihm, seit ich ihn von Law erhalten hatte, nicht eines Blickes gewürdigt. Was er wohl darauf geschrieben hatte? Dumme Frage, so wie ich ihn einschätzte, stand da bestimmt 'Lebensfreude' oder 'mehr Spaß haben' So etwas Freches würde genau zu ihm passen. Durften Assistenzärzte überhaupt Rezepte ausstellen? Ich hatte mich nie wirklich mit Medizin und dem Ganzem drumherum beschäftigt und hatte demnach keinen blassen Schimmer, wie das Ganze ablief. Ich bückte um den Zettel, der ja noch auf dem Boden lag, aufzuheben und legte ihn dann, so zerknüllt wie er war, auf mein Schränkchen, welches im Flur stand. Dann schlürfte ich zurück zum Sofa und entsperrte dabei mein Handy, eigentlich um Robin endlich zu antworten. Ich sah allerdings, dass mir nicht nur Robin, die nach meinem Wohlbefinden gefragt hatte, sondern auch Vivi, die ihren Besuch am nächsten Tag ankündigte, geschrieben hatten. Vivi war schon immer ein Fall für sich, sie hatte ihre Besuche immer erst einen Tag vorher angekündigt. Das bedeutete für mich jedoch, dass ich noch einmal einkaufen musste. Das wiederum bedeutete, ich musste heute noch einmal meine Wohnung verlassen. Ich stand auf um zum Flur zu gehen, seufzte kurz als mich diese Erkenntnis traf und ließ die Schultern hängen. Als ich meinen Kopf nach rechts drehte, konnte ich einen Blick auf mich im Spiegel, der über meinem Flurschränkchen hängt, erhaschen. Ich sah wirklich nicht gut aus. Schulterzuckend nahm ich zur Kenntnis, dass ich in diesem Leben wahrscheinlich kein Topmodel mehr wurde, schnappte mir die Schlüssel und das Portemonnaie und verließ zum zweiten Mal an diesem Tag meine Wohnung. Diesmal ging ich nicht zur Station, den Weg zum Supermarkt konnte ich laufen. Lustlos und seltsam müde, obwohl es gerade einmal um drei war, lief ich durch die Straßen, deren linken und rechten Seiten von Hochhäusern gesäumt waren. Sie besaßen allesamt die selbe Farbe. Grau. Graue Hochhäuser so weit das Auge reichte. Früher, kurz nachdem sie gestrichen wurden, waren sie noch weiß, oder eierschalenfarbend wenn man Lysop glaubte. Nun standen sie aber schon Jahre dort, waren Wind und Wetter ausgesetzt gewesen. Sie waren ergraut. Mittlerweile standen diese Hochhäuser auch größtenteils leer, nur noch zwei oder drei Wohnungen waren besetzt. Die anderen Bewohner waren alle in Neubauwohnungen umgezogen. So lief das nun einmal mit alten Dingen, sie wurden durch neue, bessere Dinge ersetzt. Es ist fast schon traurig wie in unserer heutigen Gesellschaft alles ersetzbar ist. Alles, nur nicht die Menschen, die man liebt.
 

Ich zog mir meinen Schal tiefer in Gesicht bis über meine Nase. Die Kälte in meinem Gesicht fühlte sich an, wie kleine Nadelstiche. Ich mochte den Winter noch nie und dieses Jahr würde es besonders schlimm werden. In zwei Wochen war Weihnachten. Ich musste es alleine verbringen. Meine Freunde feierten die Festtage immer bei ihren Familien. Eigentlich hatte ich sie auch immer mit meiner Schwester zusammen gefeiert. Dann gab es kleine Geschenke, wir backten Plätzchen und stellten einen Christbaum auf. Zwar einen künstlichen, aber immerhin etwas. Diese Jahr würde wahrscheinlich nichts davon geschehen. Ich hatte niemanden zum beschenken, backen für mich alleine machte keinen Spaß und einen Weihnachtsbaum brauchte ich dieses Jahr auch nicht.
 

Ich bog links in die große Hauptstraße ab. Hier sah man, dass bald Weihnachten war. In den großen Schaufenstern der Läden hingen Lampenketten, Plastikschneeflocken und Weihnachtsaufkleber. Links und rechts standen die Stände vom Weihnachtsmarkt. Und es duftete, wie in einer Weihnachtsbäckerei. Nach Lebkuchen und gebrannten Mandeln. Ich schlängelte mich durch die dichte Menschenmasse weiter nach vorne. Stumm betete ich, dass ich noch durch die Tür zum Supermarkt herein kam. Ein Stückchen weiter konnte ich schon die in Leuchtschrift geschriebenen Buchstaben sehen, die über dem Supermarkt hingen. Ich drängte mich zwischen den Menschen, die am Stand neben dem Supermarkt anstanden, durch und kam schließlich mit einer gewissen Atemnot im Laden an. Kurz sammelte ich mich wieder, versuchte mich zu erinnern, was ich alles einkaufen wollte. Warum hatte ich mir auch keinen Zettel gemacht? Seufzend schlürfte ich durch die Gänge, in der Hoffnung, dass mir wieder einfallen würde, was ich kaufen wollte, wenn ich es sah. Der Supermarkt war relativ leer, was wahrscheinlich daran lag, dass sich momentan die meisten Einkäufer auf dem Weihnachtsmarkt befanden.
 

Nur noch Wasser. Das war, laut meiner Erinnerung, das einzige, was ich noch kaufen musste, bevor Vivi mich besuchen kam. Wo stand gleich noch das Wasser in diesem Supermarkt? Ach ja, ganz hinten im obersten Regal im dritten Gang. Ich seufzte noch einmal kurz. Ich war während meiner Einkaufstour bestimmt zweimal durch diesen Gang gelaufen, aber ich hatte nie daran gedacht, das Wasser mitzunehmen. Wenn Nojiko noch hier wäre, hätte sie mich jetzt wegen meiner Zerstreutheit ausgelacht. Ich hätte mich dann wieder darüber aufgeregt und hätte fluchend das Wasser geholt. Ein paar Tränen bildeten sich in meinen Augenwinkeln, die aber erfolgreich weg blinzelte. Ich hatte mir fest vorgenommen, niemals wieder in der Öffentlichkeit zu weinen. Die ganzen Blicke der Zivilisten, die irgendwo zwischen mitleidig und herablassend waren, wollte ich nie wieder sehen. Einmal hatte mir da vollkommen ausgereicht, es war für meinen Geschmack sogar einmal zu viel. Beim Wasser angekommen stellte ich fest, dass ich ein kleines Problem hatte. Wortwörtlich klein. Ich war zu klein, um das Wasser zu erreichen. Ich stellte mich, wie eine Balletttänzerin auf die Zehenspitzen, streckte mich und doch blieben die Wasserflaschen unerreichbar für mich. Was hatte ich auch anderes erwartet, ich war eine Versagerin auf ganze Linie,ich konnte noch nicht einmal so ein paar blöde Wasserflaschen erreichen. Ich sprang einmal hoch, war aber dennoch zu klein um das Wasser zu bekommen. Ich hielt erst inne, als sich neben mir eine Hand ausstreckte und mir schließlich jemand das Wasser reichte. Mit einem kurzem Seitenblick stellte ich fest, dass es der junge Mann war, der mir schon seit meinem Krankenhausbesuch im Kopf herumschwirrte. Neben mir stand, natürlich lächelnd, Law. Es war wieder diese überhebliche Lächeln, was ich mir schon während meiner Untersuchung die ganze Zeit ansehen musste. Wie sehr ich es doch hasste. Dieses Lächeln sagte mir praktisch ins Gesicht, wie viel besser Law im Vergleich zu mir war. Er hielt mir immer noch die Wasserflasche entgegen und ich nahm sie ihm ab. Nein, ich riss sie ihm praktisch aus Hand.Von mir gab ich nur ein gedämpftes 'Hmpf', ehe ich mich umdrehte und zur Kasse ging. Ich hörte im Hintergrund noch, wie sich Law von mir verabschiedete, ignorierte ihn jedoch gekonnt. Ich wollte momentan nur noch nach Hause, zurück auf mein heißgeliebtes Sofa. Das würde zwar so auch nicht funktionieren, weil Vivi kommt, musste ich noch duschen, allerdings würde es mich meinem eigentlichen Ziel näher bringen. Mein eigentliches Ziel hieß, so viel Abstand wie nur möglich von diesem verrücktem Arzt halten. Der Kerl war mich nicht ganz geheuer. An der Kasse stellte ich mit Erleichterung fest, dass vor mir nur noch eine alte Lady mit drei Artikeln stand. Diese war relativ schnell fertig, sodass ich schnell als erste in der Kasse stand. Da ich gelaufen war, hatte ich die Anzahl meiner Artikel auf das Nötigste beschränkt und war somit auch relativ schnell fertig an der Kasse und konnte zurück gehen.
 

Als ich nach draußen kam,schlug mir sofort die kühle Winterluft entgegen. Normalerweise war ich nicht der Typ für Kälte, ich mochte den Sommer und die Wärme schon immer lieber. Doch gerade war sie mir egal, mein einziges Ziel lautete nach wie vor Abstand von Law zu halten. Das konnte man jetzt natürlich auffassen wie man wollte, aber ich würde es im Nachhinein als Flucht betrachten. Ich war vor Law geflüchtet und ich wusste nicht einmal wieso. Ich könnte mir jetzt natürlich einreden, dass es daran lag, dass er ein Arzt war und ich diese Menschen verabscheute, aber das war es nicht. Ich bin vor ihm geflüchtet, weil er glücklich war und ich es ihm nicht gönnte. Er war ein Mensch in dessen Händen früher oder später das Leben anderer Menschen liegen würde. Und wenn ich eines von Ärzten gelernt hatte, dann war es, dass sie mit diesen Leben nicht besonders sorgsam umgingen.

Kapitel 3

Am nächsten Morgen schreckte ich, wie so oft in letzter Zeit, aus einem Alptraum hoch. Ich hatte wieder einmal unseren Autounfall durchlebt. Ein kurzer Blick auf meinen Wecker verriet mir, warum es noch so dunkel war. Wir hatten mitten im Winter, es war klar, dass um diese Uhrzeit noch keine Sonne schien. Falls sie heute überhaupt noch scheinen sollte, der Wetterbericht hatte Regen und Gewitter verlauten lassen. Ich schwang meine Beine über die Bettkante, rückte wieder einmal mein Schlafanzugoberteil zurecht und ging meiner morgendlichen Routine nach. Ins Bad gehen, Waschen, anziehen, Zähne putzen, Haare kämmen, in die Küche gehen, Toast in den Toaster schieben, Wasser für den Tee aufsetzen, Tasse aus dem Schrank holen, Teebeutel in die Tasse legen, Toast aus dem Toaster holen, Toast bestreichen, Teller zum Tisch tragen, Tee über brühen, Teetasse zum Tisch tragen. Wie immer. Nachdem ich aufgegessen hatte, machte ich noch den Geschirrspüler an und ging zurück ins Bad. Ich musste mich schminken. Mich störte mein Aussehen zwar nicht wirklich, aber wenn ich Vivi so unter die Augen treten würde, bekäme sie einen Herzinfarkt. Das oder sie würde mich endgültig in eine Psychiatrie schleifen. Denn auch das hatten mir meine Freunde das ein ums andere Mal vorgeschlagen. Ich weiß noch, dass ich sie damals angeschrien hatte, ihnen vorgeworfen hatte, sie wollen mich bloß loswerden und ihnen angeboten hatte, einfach für immer aus meinem Leben zu verschwinden. Damals hatte ich das auch so gemeint. Heute war ich froh, dass sie es nicht getan hatten. Denn sie waren mittlerweile der einzige Lichtblick, den ich in diesem Leben noch besaß, ich wollte sie wirklich nicht verlieren. Sie waren zwar schon ein Haufen Verrückter, aber ich hatte früher einmal zu ihnen gehört, war früher einmal genauso verrückt. Rückblickend vermisste ich diese Zeit. Es war eine Zeit, in der ich unbeschwert lachen konnte und in der ich mich über fast alles freuen konnte. Mittlerweile konnte ich das nicht mehr. Ich konnte mich nicht einfach so freuen, so hell lachen wie früher, so frech und aufgedreht sein.
 

„Nami“, mit einem lauten Schrei fiel Vivi mir noch im Türrahmen der Wohnungstür um den Hals. Sie war schon immer diese Art von Person gewesen. Ich freute mich zugegebenermaßen auch sie endlich wiederzusehen. Vivi studierte momentan im Ausland, unsere Treffen wurden relativ selten. Wenn sie dann doch mal kam, wohnte sie meist bei Corsa, ihrem Sandkastenfreund. Ich rang mir ein leichtes Lächeln ab, ehe ich ihre Umarmung erwiderte. Als sie sich von mir löste, hatte sie immer noch ein breites Grinsen im Gesicht. Das verschwand erst, als sie mir ins Gesicht blickte. Sie stockte, der Glanz in ihren Augen verschwand und ihre Mundwinkel gingen nach unten. Sie lächelte immer noch, nur nicht mehr so breit und strahlend. Sie hatte jetzt den Gesichtsausdruck, den mir meine Freund immer zeigten, wenn sie mir symbolisieren wollten, dass sie meine Trauer verstanden. Wie ich ihn hasste. Ich fühlte mich dann immer wie ein Kind behandelt. Ein Kind, das nichts von der Welt verstand und das nichts alleine auf die Reihe bekam. „Lass uns doch ins Wohnzimmer gehen“, schlug ich vor. Mir wurde es zu blöd weiter in der Tür stehen zu bleiben. Und wenn wir gingen, brauchte ich ihr wenigstens nicht ins Gesicht sehen. Ich ging einen Schritt zur Seite und deutete ihr an mir vorbei und ins Wohnzimmer zu gehen. Vivi kannte den Weg, sie besuchte mich ja nicht zum ersten Mal. Unterwegs machte ich noch einen Abstecher in die Küche und holte mir und Vivi noch jeweils ein Glas mit Wasser. Im Wohnzimmer stellte ich beide auf dem Wohnzimmertisch ab und deutete ihr sich eines zu nehmen. „Soll ich dir mal was erzählen?“, wollte Vivi grinsend von mir wissen. Ihr Tonfall deutete an, dass sie die ganze Sache echt witzig fand. Ich nickte einmal kurz, was Vivi zum Sprechen veranlasste. Sie erzählte mir ziemlich viel. Von Luffy, welcher betrunken mit Blumen sprach und wenn man ihn darauf hinwies behauptete, der Stuhl erzähle ihm den Weg zum Weihnachtsmann. Von Ace, der sein Handy auf Flugmodus schaltete, es durch den Raum warf und hinterher schrie: „Transformier' dich“. Von Hancock, welche letztens aus versehen einen Haschkeks gegessen hatte und dann stundenlang die Decke anstarrte und 'Ahhh' machte. Und von Sanji und Zorro. Sanji hatte Zorro wohl gefragt, was abging. Daraufhin hatte Zorro ihm mit schwarzem Edding ein X auf die Stirn gemalt und gesagt: „Schwarzer Edding schon mal nicht“. Und Corsa hatte wohl auf großartige Art und Weise festgestellt, das Kaffee morgens erst dann richtig wach machte, wenn man ihn übers Notebook schüttete. Sabo hatte die Gutherzigkeit der Frauen auf die Probe gestellt und herausgefunden, dass diese einem Mann sogar dann verzeihen konnten, wenn dieser gar nichts getan hatte. Und Luffy hatte seinen Großvater geärgert. Dieser war mit dem Fahrrad zum Friedhof gefahren und Luffy hatte ihn gefragt, wer denn das Fahrrad zurückbrachte. Unweigerlich stellte ich fest, dass ich ziemlich viel verpasst hatte. Es war mir klar gewesen, dass ich nicht mehr ganz auf dem neuesten Stand war, immerhin hatte ich mich monatelang in meiner Wohnung verbarrikadiert hatte. Ich hätte allerdings nicht gedacht, dass sie so viele neue Erinnerungen gesammelt hatten, von denen ich kein Teil war. Schlagartig wurde mir etwas klar. Mein Leben war in den letzten Monaten eine langweilige, graue Einöde geworden. Etwas, was sich immer und immer wiederholte. Wofür es sich eigentlich kaum noch zu leben lohnte. Aber das Leben meiner Freunde ging aber weiter. Sie hatten ihre aufregende und bunte Welt die letzten Monate aufrecht gehalten. Sie hatten immer wieder neue Sachen erlebt. Ihr Leben war wirklich lebenswert. Es ging weiter, egal ob mit mir oder ohne mich. Tränen sammelten sich in meinen Augen und dieses Mal versuchte ich gar nicht sie weg zublinzeln. Ich ließ sie meine Wangen hinunter laufen. Nur das Schluchzen unterdrückte ich. Stumm vor mich hin weinen, das tat ich. Vivi stoppte kurzfristig in ihren Erzählungen, ich hatte gar nicht mitbekommen, worum es eigentlich ging. Sie rutschte auf mich zu und nahm mich in den Arm. Sie drückte meinen Kopf gegen ihre Schulter. Eine Hand hatte sie in meinem Haar, die andere streichelte gerade sanft meinen Rücken auf und ab. Immer wieder flüsterte sie mir beruhigende Worte ins Ohr. Mittlerweile unterdrückte ich das Schluchzen auch gar nicht mehr. Und jedes Mal, wenn ein Schluchzen meinen Körper schüttelte, sprach sie ihre Worte mit etwas mehr Nachdruck. Sie klangen fast schon wahr. Wenn ich es nur nicht besser wüsste.

Nachdem ich mich halbwegs beruhigt hatte, hob ich meinen Kopf von Vivi's Schulter und schaute ihr ins Gesicht. Fragend schaute sie mich an, verstand meinen Gefühlsausbruch nicht. „Ihr, ihr braucht mich nicht mehr, oder?“, brachte ich zwischen zwei Schniefern hervor. Ich musste es jetzt einfach wissen. Ich musste wissen, ob ich für sie ersetzbar war. Ob sie mich vielleicht schon ersetzt hatten. Vivi' Augen weiteten sich schockiert und sie schüttelte vehement den Kopf. Fast schrie sie schon: „Was? Natürlich brauchen wir dich. Dich könnte doch niemand je ersetzen. Du machst momentan nur eine schwere Phase durch. Aber wir lieben dich doch trotzdem, Nami“. Immer wieder versicherte mir Vivi, das ich unersetzbar wäre. Ich hatte mir auf die Unterlippe gebissen und hörte Vivi einfach zu. Es beruhigte mich ungemein, dass ich trotz meiner langen Abwesenheit immer noch so wichtig für meine Freunde war. „Danke“, hauchte ich. Vivi stoppte abrupt in ihrem Redefluss und sah mich eine ganze Weile schweigend an. Langsam fing sie an zu lächeln und schließlich kicherte sie kurz. Dann erhob sie sich von der Couch, um uns noch etwas zu trinken zu holen.
 

„Sag mal, Nami, was ist denn das?“ Vivi war ohne Getränke zurück ins Wohnzimmer gekehrt. Dafür hielt sie etwas in der Hand, das für mich nach einem zerknüllten Zettel aussah. Viel mehr konnte ich von der Ferne nicht ausmachen. Musste ich auch gar nicht, denn Vivi ließ sich kurzerhand neben mich auf das Sofa fallen und drückte mir den Zettel in die Hand. Jetzt erkannte ich ihn auch. Es war der Rezeptschein, den Law mir ausgestellt hatte. Den kleinen Zettel, den ich einfach so zerknüllt hatte. Ich hatte ihn vollkommen vergessen. Aber jetzt, wo ich ihn sah, fiel es mir wieder ein. Ich hatte ihn auf das Schränkchen im Flur gelegt. Wenn man in die Küche wollte, kam man unweigerlich daran vorbei, es hätte mir klar sein müssen, dass Vivi ihn findet. Und natürlich auch, das sie sich Sorgen machte, wenn sie ein nicht eingelöstes Rezept fand. Ich drehte meinen Kopf leicht nach links und sah, dass Vivi mich auffordernd anblickte. Ich musste ihr anscheinend eine Antwort geben. Ich schwankte zwischen der Wahrheit, die wirklich ziemlich komisch klang und einer Lüge. Einerseits wäre eine Lüge besser um sie zu beruhigen. Andererseits wollte ich meine Freundin nicht wirklich anlügen. Aber wenn ich ihr die Wahrheit erzählte, fing sie vielleicht an sich Sorgen zu machen. Wobei Vivi eine erstaunliche Menschenkenntnis besaß. Sie konnte mir eventuell erklären, was Law mit seiner Aussage meinte. Ich entschied mich dafür, Vivi die ganze, ungeschminkte Wahrheit zu erzählen. Von meinem Termin im Krankenhaus, über meine erste Begegnung mit Law und dieser komischen Aussage im Zusammenspiel mit dem Medikamentenschein. „Und du bist gar nicht neugierig? Ich hätte das Rezept schon gelesen, bevor ich wieder auf der Straße gewesen wäre“, empörte meine Kindheitsfreundin sich. War es wirklich so komisch, dass ich nicht wissen wollte, was darin stand? Vivi neben mir war inzwischen ganz hibbelig und verlangte von mir, das Rezept sofort zu öffnen. Meine Neugierde hielt sich zwar in Grenzen, aber ich tat Vivi diesen Gefallen. Langsam entfaltete ich das Papier. Meine Hände waren komisch, sie zitterten. Schweiß bildete sich auf meinen Handflächen, gleichzeitig waren sie seltsam kalt. Ich öffnete doch bloß ein blödes Papier von einem verrückten Arzt. Es war doch nichts, weswegen ich mir so einen Stress machen musste.
 

„33 Richmond Road“
 

„Eine Adresse?“ Es war mehr eine Frage, als eine Feststellung von Vivi. Aber es war eine gute Frage. Warum hatte der Typ eine Adresse auf das Rezept geschrieben? Es stand auch wirklich nur die Adresse da und weiter nichts. Vivi zuckte mit den Schultern und wirkte irgendwie seltsam enttäuscht. Als hätte sie etwas größeres erwartet. Die Frage war nur: Was? Sollte er etwa 'Lebensfreude' darauf geschrieben haben? Die stand dann in der Apotheke, zwischen Hustensaft und Halstabletten, oder wie? Das ganze warf leider mehr Fragen auf als es beantwortete. „Naja, egal“, zwitscherte Vivi. Irgendwie kam ich mir veralbert vor. Erst kaute sie mir ein Ohr ab und bestand darauf, zwang mich schon fast dazu, den Zettel zu öffnen. Und jetzt war es ihr egal? Vivi war ein Mysterium, das ich wahrscheinlich nie so ganz durchschauen würde.
 

„War schön dich mal wieder zu sehen“, nuschelte Vivi in unserer Umarmung. Die restliche Zeit des Nachmittags war wie im Fluge vergangen. Vivi hatte mir noch viele Sachen erzählt, die in letzter Zeit so geschehen waren. Zum Hauptthema waren irgendwann Sabo und Koala geworden. Die beiden hatten über Jahre eine konstante Hass-Liebe-Freundschaft aufrecht gehalten. Letztens war Koala wohl mit einem anderen Mann ausgegangen, was Sabo fuchsteufelswild werden ließ. Besagter Mann hatte Koala dann wohl betrogen, wofür Sabo ihm die Nase gebrochen hatte. Koala war daraufhin echt wütend gewesen und hatte Sabo zusammengestaucht, dass er doch nicht einfach fremden Menschen die Nase brechen konnte. Sabo hatte die ganze Predigt über sich ergehen lassen und letztlich von Koala noch einen Kuss auf die Wange bekommen, weil sie es echt süß fand, wie er sie verteidigte. Seit diesem Vorfall kursierten die wildesten Gerüchte über ein mögliches romantisches Interessen beider Seiten. Wundern würde es mich nicht, war Koala's Lieblingsthema doch schon immer Sabo gewesen.

Ich verabschiedete mich noch leicht lächelnd von Vivi. Es war wieder ein aufgesetztes Lächeln, das sah Vivi mir auch an. Aber wir beließen es dabei. Vivi kündigte an, mich definitiv mal wieder zu besuchen und ich erlaubte ihr, das jeder Zeit zu tun.

Kaum war Vivi zur Tür raus, schloss ich diese und ließ mich mit dem Rücken daran hinab gleiten. So sehr ich mich auch gefreut hatte sie wieder zu sehen, so sehr hatte mich dieser Besuch auch beansprucht. Mein kleiner Ausbruch vorhin sprach wohl für sich. Aber es hatte gut getan mal wieder mit jemandem zu reden. Und das es gerade jemand war mit dem ich schon so ewig befreundet war, hatte die ganze Sache viel entspannter werden lassen. Vielleicht lag das aber auch einfach an Vivi. Sie war schon immer besonders gut im Umgang mit Menschen. Ich hatte vor ein paar Stunden erst gemerkt, wie sehr ich meine Freunde vermisste. Wie sehr ich alles vermisste, was ich früher so mit meinen Freunden getan hatte. Es war zwar schmerzlich das zuzugeben, aber sie waren mittlerweile meine einzige Familie. Und auch, wenn ich sie immer wieder abblockte, sie bemühten sich um mich. Sie wollten mich zurück ins Leben holen. Ich war ihnen unbeschreiblich dankbar dafür. Sie taten das, was ich schon vor langer Zeit aufgegeben hatte. Sie versuchten mich aus meinem Loch zu holen. Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen als ich das erkannte und zum ersten Mal, seit Nojiko's Tod war es ein ehrliches lächeln. Wem sollte ich es auch vorspielen, immerhin war ich alleine. Ich stand vom Boden auf und ging ins Bad. Auch wenn Vivi vorhin sichtlich enttäuscht gewesen ist, meine Neugier hatte die Sache geweckt. „33 Richmond Road“, murmelte ich leise vor mich hin, während ich mein Spiegelbild betrachtete. Ich war blass und abgemagert, aber sonst sah ich ganz passabel aus. Auf jeden Fall gut genug, um das Haus zu verlassen. Ich griff noch einmal nach meiner Haarbürste und kämmte mir durch die orangene Mähne. Dann ging ich zurück in den Flur, zog mir meine Winterkleidung an und verließ zum zweiten Mal innerhalb zweier Tage meine Wohnung. Schon verrückt, wenn man bedachte, dass ich monatelang nur einmal in der Woche meine Wohnung verlassen hatte. Und dann auch nur um Einkaufen zu gehen. Jetzt verließ ich sie tatsächlich freiwillig. Meine Freunde würden mich bestimmt für verrückt erklären. Oder sie würde erleichtert denken, ich sei über den Berg. Ich tendierte mehr zu verrückt. Aber was sagte Luffy immer? No risk, no fun. Oder so ähnlich. Ich hatte es zwar bisher immer nur belächelt, aber gerade war ich dabei nach eben diesem Motto zu handeln. Ob das nun clever oder dumm war … wahrscheinlich eher dumm. Aber verdammt noch eins. Ich hatte die letzten Monate gelebt wie in einer Höhle. Ich hatte mich von allem und jedem zurückgezogen und absolut nichts mehr unternommen. Ich hatte den ganzen gottverdammten Sommer in meiner Wohnung gehockt und mich selbst bemitleidet. Und wenn ich etwas dummes, sinnfreies und vielleicht auch noch gefährliches tun musste, um wieder ich selbst zu werden, dann würde ich das tun. Nicht unbedingt das klügste, was ich bisher in meinem Leben gesagt hatte, aber ich stand dahinter. Ob ich es später noch bereuen würde? Wahrscheinlich. Ob meine Freunde das gutheißen würden? Eher nicht. Ob ich es trotzdem machen würde? Scheiße noch eins, ja. Ich hatte in den letzten zwanzig Minuten auf dem Weg zur U-Bahn mehr dumme Gedanken gehabt, als meine gesamte Highschool-Zeit über. Und in diesem Moment war mir das so egal, als würde in China ein Sack Reis umfallen. Woher diese plötzliche Spontanität kam, wusste ich nicht. Wahrscheinlich war es der angestaute Tatendrang den ich die letzten Monate schlichtweg unterdrückt hatte. Ich beschwerte mich nicht, vielmehr war ich froh darüber. Ich hatte in den letzten Monaten einen Punkte erreicht, an dem ich mich selber einfach nur so ankotzte. Wenn ich diesen Punkt irgendwie überwinden konnte, war ich froh. Das wäre dann der entscheidende Schritt zurück zu meinem alten Ich.
 

Ich lief die Straße, die von kahlen Bäumen gesäumt war entlang und bereute es die Entscheidung – hier her zu kommen – getroffen zu haben. Das Adrenalin wurde noch in der Straßenbahn weniger. An der Haltestelle hatte es sich schließlich ganz verabschiedet und mir zum Austausch Zweifel und Skepsis angeboten. Ich hatte beide genommen. Die Straße in der ich mich gerade befand lag komplett außerhalb der Stadt, jedes Kaff das sich Vorort schimpfte wäre auf diese Außenlage neidisch gewesen. In einem Film war das immer der Schauplatz an dem der mysteriöse Mord geschah. Ich war versucht gewesen, sofort wieder in die Straßenbahn zu steigen und zurück nach Hause zu fahren, meinen kleinen Ausflug in diese Gegend einfach zu vergessen. Aus einem mir unbekannten Impuls heraus hatte ich es nicht getan. Eben dieser Impuls hatte mich auch vorangetrieben und sorgte nun dafür, das ich die Hausnummer 33 suchte. Innerlich verfluchte ich mich mit jedem Schritt etwas mehr dafür, ihm nachgegeben zu haben. Ich war schon immer ein sehr ängstlicher Mensch gewesen und die Szene, in der ich mich gerade befand ließ mein Hirn sofort auf Fluchtmodus schalten. Das ich nicht schon laut kreischend weggerannt war, grenzte an ein Wunder, Kein kleines Wunder, eher so etwas wie das achte Weltwunder.

Ich drehte meinen Kopf immer wieder ruckartig von links nach rechts, um auch ja nichts zu verpassen. Nebenbei schaute ich immer wieder auf meine Füße in der Hoffnung keinen Schatten hinter mir auszumachen. Merkwürdig, dass sich hier am helllichten nicht eine einzige Menschenseele auf der Straße befand. Wobei es mir gerade ziemlich Recht war, immerhin war ich auch so schon paranoid genug. Am Ende der Straße kam ich schließlich langsam zum Stehen. Das Haus vor mir war marode, die Fassade bröckelte bereits und ein paar der Dachziegel fehlten. Und täuschte ich mich oder war da ein Brandfleck an der Tür? Innerlich redete ich mir ein, dass es bloß eine kunstvolle Verzierung war, die mit Absicht dort prangte. Leider musste ich tatsächlich feststellen, dass – wenn auch leicht verblasst – die Zahl 33 neben der Tür hing. Unschlüssig stand ich vor dem kleinen Tor, welches das Grundstück einzäunte und überlegte. Ich traute mich gar nicht mich weiter umzusehen, weshalb ich nun wie hypnotisiert auf die Tür sah. Etwas in mir drängt mich auf die Tür zuzugehen und zu klingeln. Ich hielt es für eine dumme Idee. Ich wusste nicht welche Leute in diesem Haus lebten. Gut natürlich könnte man jetzt sagen Law, allerdings passte dieses Etablissement nicht unbedingt dem Eindruck den er bei mir hinterlassen hatte. Ich bezweifelte demnach stark, dass ich ihn antreffen würde, wenn ich jetzt an der Tür klingelte. Wer wusste schon was mich dahinter erwartete. Allerdings hatte ich auch nichts mehr groß zu verlieren. Was konnte es schon schaden das zu tun? Irgendwie beunruhigend, wie oft ich das in den letzten Stunden bereits gedachte hatte. Ich sollte eventuell damit aufhören.

Vorsichtig stieß ich mit meiner Hand gegen das Gartentor. Mich verwunderte nicht wirklich , dass es sich laut quietschend öffnete. Immerhin hing es es auch nur noch in einem Scharnier fest und war bereits sehr verbeult. Es passte sich wunderbar an die Umgebung an. Zögerlich ging ich ein paar Schritte bis zur Haustür, blieb vor dieser unschlüssig stehen. Ich betrachtete die unscheinbare, braune Holztür eingehend, führte meine Hand schließlich quälend langsam zur Klinge und drückte den Knopf. Gedämpft vernahm ich das Surren der Klingel durch die Tür und schließlich erklangen gedämpfte Schritte. „Ja“, hörte ich eine verzerrte Stimme aus der Gegensprechanlage. Stark schluckte ich und versuchte den Kloß in meinem Hals wieder hinunterzuschlucken. Die Stimme war leider zu verzerrt um irgendetwas daran zu erkennen. Ich kannte Law auch schlichtweg nicht gut genug, um seine Stimme unter solchen Umständen zu erkennen. Aber sie war tief, also eindeutig männlich. Das beruhigte mich leider weniger, als ich gehofft hatte. „Hallo“, gab ich schließlich piepsig von mir. Die Stärke und Sicherheit war nicht nur aus meinem Auftreten, sondern leider auch aus meiner Stimme komplett gewichen. Die Gegensprechanlage machte einen komischen Ton, ich vermutete das am anderen Ende gerade jemand laut aufgestöhnt hatte. Vielleicht war es auch ein genervtes Seufzen gewesen, so genau konnte ich das nicht ausmachen. „Wir kaufen nichts“, ertönte die Stimme wieder dieses Mal jedoch deutlich lauter. Wenn ich jetzt nichts sagen würde, wäre dieses Gespräch beendet, bevor es überhaupt angefangen hatte. Dann hätte ich meine Neugierde nicht befriedigt und musste ohne Antwort nach Hause zurück kehren. Aber was konnte ich einem völlig Fremden sagen, damit er mir weiter zuhörte und vielleicht sogar die Tür öffnete? Obwohl ich mir bei letzterem gar nicht sicher war, ob ich das überhaupt wollte. Fieberhaft suchte ich in meinem Kopf nach irgendetwas, dass ich ihm sagen konnte. „Law schickt mich“ Ich war selbst erstaunt darüber wie fest meine Stimme klang. Im Gegensatz dazu zitterten meine Beine als wären sie aus Wackelpudding, der Schweiß stand mir auf der Stirn und ich war mir sicher, dass ich jeden Moment Schnappatmung bekommen würde. Ich hörte ein klackendes Geräusch aus der Gegensprechanlage und schließlich verstummte das Rauschen ganz. Das letzte, kleine bisschen meiner Hoffnung wollte sie gerade verflüchtigen, als vor meiner Nase plötzlich die Tür aufgerissen wurde. Vollkommen verdutzt starrte ich erst einmal eine ganze Weile auf die nackte Brust vor meiner Nase, ehe ich mich traute meinen Kopf zu heben. Ich blickte in ein rigoros grinsendes Gesicht. Der Mann vor mir hatte bernsteinbraune Augen und seine roten Haare standen nach oben von seinem Gesicht ab. Fixiert hatte er sie mit etwas, dass wie eine Fliegerbrille aussah. Sein komisches Grinsen - welches irgendwie freundlich und respekteinflößend zugleich wirkte – veranlasste mich dazu einen Schritt zurück zu treten. Hinter mir war allerdings die Treppe zu Ende, weshalb ich mich nun auf dem Boden sitzend wiederfand. Ich blickte erneut zu dem Typen, der nur amüsiert eine Augenbraue hochgezogen hatte. Mit einem leichten Anflug von Panik rappelte ich mich ungeschickt wieder auf und hielt dem Abstand, den ich nun zu ihm hatte, aufrecht. Das war zumindest der Plan gewesen, allerdings schien mein Gegenüber diesen nicht einhalten zu wollen. Dieser schlenderte gerade lässig die Treppe herunter, oberkörperfrei, ohne Socken oder Schuhe und nur mit einer dünnen Jogginghose. Wir hatten wohlgemerkt Winter und gefühlte -50°C. Ich fror schon, wenn ich ihn einfach nur ansah, aber er verzog keine Miene. Sein Lächeln blieb auf seinem Gesicht wie festgefroren. Es beruhigte mich keineswegs, stattdessen machte es mir noch mehr Angst. Dabei hatte er bis jetzt noch nichts getan, weshalb ich Angst haben müsste. Leicht bebten seine Schultern und er lachte einmal tonlos auf, ehe er schließlich vor mir zum Stehen kam. „Du passt gar nicht in Law's Beuteschema“. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte meine Kinnlade jetzt den Boden getroffen. Was war das denn bitte für eine Aussage? Mit allem, mit wirklich ausnahmslos allem – sogar das ich diesen Ort nicht lebend verlassen würde – hatte ich gerechnet, aber nicht damit. Was genau wollte mir dieser Typ eigentlich damit sagen? „Mich nennt man übrigens Kid“, stellte er sich schließlich auch noch vor. „Nami“, gab ich kurz angebunden zurück und wunderte mich insgeheim darüber, dass ich mutig genug war um meiner Stimme einen patzigen Unterton zu verleihen. Lachend stellte was-auch-immer-er-für-Law-war fest, dass ich ziemlich frech war, ehe er mich weiter ungeniert musterte. Dabei lief er mehrmals im Kreis um mich herum und machte hin und wieder Laute, die ich nicht genau zuordnen konnte. Jetzt wusste ich wie sich die Tiere im Zoo fühlten. Oder das Reh im Scheinwerferlicht, bevor es überfahren wurde. „Ich glaube nicht, dass du irgendjemandes Beuteschema wärst“, stellte er schließlich fest. Er klang dabei so enttäuscht wie ein Kind, das gerade herausgefunden hatte, dass es gar keinen Weihnachtsmann gab. Okay, ich hatte mich in den letzten Wochen etwas gehen lassen, aber so enttäuschend war ich nun wirklich nicht. Beleidigt verschränkte ich die Arme vor der Brust. Was erlaubte sich dieser Kerl eigentlich? Er kannte mich gerade einmal drei Minuten und bildete sich ein über mich urteilen zu können. Wenn solche Leute zu Law's Freunden gehörten, dann war ich wahnsinnig froh nichts mit ihm zu tun zu haben. Als hätte er meine Gedanken gehört blitzte auf einmal der Schalk in seinen Augen auf. Ein deutlich amüsiertes Grinsen zog sich über sein Gesicht und er hatte sichtlich Mühe ein weiteres lautes Auflachen zu unterdrücken. Genau das nahm ich zum Anlass meine Beine in die Hand zu nehmen und zurück zur Straßenbahnhaltestelle zu sprinten. Eine Verabschiedung sparte ich mir stattdessen betete ich einfach zu Gott, Buddha, Jaschin oder was-weiß-ich-denn-wem, dass mich dieser Kid nicht verfolgte. Ansonsten würde er mich nämlich definitiv einholen. Allerdings nahm ich mehr oder weniger erleichtert ein schallendes Lachen zur Kenntnis, das definitiv von dem Garten kam, in dem ich bis vor wenigen Sekunden noch stand.

An der Straßenbahnhaltestelle wollte gerade – oh welch Wunder – eine Straßenbahn abfahren. Laut schreiend, dass sie doch auf mich warten sollte, beschleunigte ich meine Schritte nochmals. Der Fahrer hatte mich wohl gesehen oder gehört, er wartete tatsächlich. Sichtlich genervt ließ er mich einsteigen und setzte dann seine Runde fort. Ich schmiss mich auf einen der Sitze, die während der Arbeitszeit fast immer frei waren und atmete mehrmals tief ein und aus. Ich versuchte meinen Puls, der mittlerweile jenseits des menschlichen sein musste, wieder normal zu kriegen und gleichzeitig die letzten Geschehnisse nochmals in meinem Kopf abzuspielen. Leise seufzend stellte ich fest, dass ich die Verrückte in diesem Szenario gewesen war. Kid hatte sich eigentlich mehr oder weniger normal verhalten, ich war diejenige, die immer überreagiert und alles falsch verstanden hatte. Ich massierte mir die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger und versuchte mich wieder ein wenig zu beruhigen. Kurze Zeit später kam meine Gegend wieder in Sicht. Erleichtert stellte ich fest, dass mein kleiner Ausflug nun endgültig beendet sein musste.

Es war 21:16 Uhr. Gereizt kickte Law die Schuhe von seinen Füßen, welche unbeachtet in der Ecke liegen blieben. Genervt seufzend fuhr er sich mit der Hand einmal durch das tiefschwarze Haar. Er hatte im Krankenhaus eigentlich eine Frühschicht gehabt und dementsprechend schon um 16:00 Uhr Zuhause sein sollen. Er hatte also ganze fünf Überstunden geschoben und durfte das am nächsten Tag wahrscheinlich noch einmal wiederholen. Weil die anderen Assistenzärzte wirklich nichts alleine konnten und sie in der Grippesaison Personalmangel hatten. Ganz zu schweigen von den Patienten, die einmal niesten und sich gleich einbildeten Krebs, Ebola oder sonst was lebensgefährliches zu haben. Solche Leute waren Law schon immer die liebsten. Am besten war es dann, wenn man ihnen erklärte sie hätten eine einfache Erkältung und sie sich einbildeten die Ärzte hätten sich gegen sie verschworen, weil sie alle das Gleiche erzählten. Woher das wohl kam, wenn man jedem Arzt die gleichen Symptome schilderte? Kuleha meinte solchen Menschen sollte man am besten in die Fresse schlagen, damit sie endlich mal auf den scheiß Boden zurückkommen. Originalzitat.

Langsam schlenderte Law in die Küche, öffnete die Kühlschranktür und betrachtete den Inhalt genauestens. Ein bisschen Käse, zwei Scheiben Salami aber immerhin sah ihr Vorrat an Bier ganz gut aus. Innerlich erstaunt darüber, dass Kid diesen nicht bereits am Vormittag leer gesoffen hatte, nahm er sich eine der Flaschen und schmiss die Tür schwungvoll wieder zu. Das Klirren im Kühlschrank, das verdächtig nach einer zerbrechenden Flasche klang, ignorierte er geflissentlich. Nach kurzem Suchen fand er auch den Flaschenöffner – in der Obstschale – und öffnete mit diesem die Flasche. Von einem leisen Zischen begleitet sprang der Deckel ab und landete irgendwo unbeachtet auf dem Boden. Er würde frühestens dann aufgehoben werden, wenn einer hinein trat. Law betrat indessen das Wohnzimmer, wo Kid wieder einmal irgendein Videospiel zockte. Der junge Arzt ließ sich neben seinen Freund aufs Sofa fallen und nahm den ersten tiefen Schluck aus seiner Flasche. Kid spielte unbeeindruckt sein Level zu Ende, ehe er das Spiel pausierte und seinen Kumpel begrüßte. Law grüßte knapp zurück. Leicht amüsiert fragte Kid ihn, ob sein Tag hart gewesen sei. „Ach was. Total easy. Drei Leute sind gestorben und nur zwei davon durch mich. Den Komapatienten sind wir effektiv losgeworden und ich bin über fünf Stunden zu spät, weil ich mit meinen durchaus fähigen Kollegen noch ein wenig fachsimpeln musste“ Kid tippte stark auf Sarkasmus. Law ließ sich nach seiner überaus motivierten Erzählung noch tiefer in die Kissen sinken und trank einen weiteren Schluck aus seiner Flasche. Die Hälfte hatte er schon. Kid begann ein wenig von seinem Tag zu erzählen allerdings hörte Law nur mit halbem Ohr zu, da es eh meist aufs Gleiche hinauslief. Gelangweilt schnappte er sich während Kid's Erzählungen die Fernbedienung und suchte die Sender durch, bis er sich schließlich einfach für irgendwelche Nachrichten entschied. Besser als nichts und er konnte sich gleich noch ein wenig über die neuesten Ereignisse informieren. Zum Beispiel ob die ominöse Orangehaarige von neulich nun doch Selbstmord begangen hatte. Sie sah ja nicht so aus, als ob sie noch weit davon entfernt wäre. Auch Kid blickte mittlerweile wieder auf die Scheibe vor ihnen, verzog jedoch sein Gesicht zu einer komischen Grimasse. Etwas so einfaches, langweiliges und banales wie Nachrichten waren nichts für ihn. Für Kid musste man Huren umfahren, etwas zum explodieren bringen oder auf etwas schießen um es spannend zu gestalten. So etwas war seine Welt, aber nicht die neuesten Wirtschaftsnachrichten oder welcher Politiker jetzt was zu welchem Thema gesagt hatte. Das war für ihn schlicht und einfach zu langweilig. Und für Law war es das auch, wenn er ehrlich war. Beide Männer starrten eine ganze Weile schweigend auf die Röhre, bevor Kid wieder das Wort erhob. „Wusste gar nicht, dass du deinen Frauentyp geändert hast. Von Nutte auf Assi ist ziemlich krass“ Law schmunzelte leicht über Kid's Wortwahl. Der Rothaarige wäre eigentlich klug genug, das ganze schöner zu umschreiben, aber er weigerte sich strikt dagegen. Was er allerdings mit dieser Aussage bezwecken wollte, war ihm nicht klar. Zumal Law nicht mal wirklich einen Frauentyp besaß, geschweige denn diesen in letzter Zeit gewechselt hatte. Fragend hob er eine Augenbraue und zog die Stirn kraus. Kid verstand den Wink und holte etwas weiter aus: „Heute war so'n Mädel hier. Nani? Nama? Sie hat den Namen nur gepiepst, hab's nicht verstanden. Egal. Auf jeden Fall meinte sie, sie kenne dich. Hab 'se erfoglreich vertrieben“ Nach seinem letzten Satz hatte er Law fröhlich zugeprostet. Law hatte allerdings nicht erwidert, stattdessen kramte er in seinem Kopf nach diesem Namen. Oder einem der ihm ähnlich war. Oder überhaupt erst einmal nach einem One-Night-Stand dem er seine Adresse gegeben hatte. Das hatte Law nämlich immer peinlichst genau gemieden, eben weil er nicht wollte das eine von denen bei ihm vor der Haustür stand. Und mit einer Assi-Braut, wie Kid sie gerne nannte, hatte er sowieso noch nie etwas gehabt. Law richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den Fernseher, wo die Frau mit den welligen braunen Haaren und dem Anzug gerade erklärte, dass ein kleines Mädchen einen Gulli hinabgestürzt war. Sie saß jetzt in einem tiefen, dunklen Loch fest und wartete verzweifelt auf Hilfe. Genauso wie seine orangehaarige Patientin, schoss es Law durch den Kopf. Zwar nicht ganz genauso, immerhin war die Braunäugige nur sprichwörtlich in ein Loch gestürzt, während das Mädchen in den Nachrichten tatsächlich in einem solchen festsaß, aber eine gewisse Ähnlichkeit bestand. Mit dieser Erkenntnis fing sein Hirn an zu rattern und es traf ihn. Keine göttliche Eingebung, sondern das Wissen, wen Kid mit Assi meinte. Nami. Nami hatte er seine Adresse auf den Rezeptschein geschrieben. Nami lief herum wie ein Assi. Und Nami musste im Laufe des Tages vorbeigekommen sein. Fast hätte er laut aufgelacht. Nach ihrem Auftritt im Krankenhaus hätte er ihr gar nicht zugetraut, dass sie tatsächlich auf seine unausgesprochene Einladung reagieren würde. Allerdings hätte sie sich denken können, dass er an einem Wochentag erst später nach Hause kommen würde. Entweder dieses Mädchen war wirklich abgelenkt oder Intelligenz war nicht so ganz ihre Stärke. Auf jeden Fall musste er dieses Mädchen im Hinterkopf behalten.
 

***
 

Zuhause angekommen ließ ich mich erst einmal mit dem Gesicht voran auf mein Bett fallen. Dieses kleine Abenteuer hatte mich doch mehr beansprucht, als ich gedacht hätte. Ich würde jedenfalls nie wieder spontan so eine Aktion starten. Und nach Luffy's Lebensmotto handeln, würde ich so schnell auch nicht mehr. Wie er das immer machte, würde ich wohl nie so ganz verstehen. Insgeheim bewunderte ich ihn ja ein wenig für diese lockere Einstellung und wie er das durchzog. Aber das war auch etwas, das ich nie könnte. Ein bisschen Kontrolle und Vorausplanung war für mich unabdingbar, sonst fühlte ich mich einfach unwohl. Und das nichts gutes dabei herauskam, wenn ich mich unwohl fühlte, das hatte ich auf beeindruckende Art und Weise unter Beweis gestellt. Kid hatte wahrscheinlich noch Stunden nach meinem peinlichen Abgang gelacht. Und falls er Law wirklich kannte, würde dieser ab jetzt auch nur noch lachen, wenn er mich sah. Das Bedürfnis mich selbst zu schlagen unterdrückend stand ich auf und ging einem anderen Bedürfnis von mir nach. Hunger. Ein Wort, sechs Buchstaben und doch hatte es erhebliche Ausmaße. Es gab Leute – wie Luffy – die bereits drohten einen Hungertod zu sterben, wenn sie mal eine Stunde lang nichts zu essen im Mund hatten. Es gab Leute, die sich ihren Hunger gar nicht anmerken ließen. Es gab Leute, die sich um zwei Uhr nachts noch Chili con Carne kochten. Und es gab Leute – wie mich – die unglaublich schlechte Laune hatten, wenn sie hungrig waren und dann alles und jeden wegen Nichtigkeiten fertigmachten. Auf dem Weg in die Küche war 'alles und jeder' ich selbst und mit 'Nichtigkeiten' meinte ich nach wie vor meinen Auftritt vor Law's Kumpel. In der Küche angekommen überlegte ich gar nicht lange, sondern fischte gleich die Karte vom Lieferdienst heraus und bestellte etwas. So aufgewühlt wie ich war, würde ich noch nicht einmal eine Fertigpizza gekocht kriegen. Und ja, ich kochte Pizza. Nach der erschütternden Neuigkeit, dass der Lieferdienst eine gute halbe Stunde brauchen würde, legte ich deprimiert seufzend auf und schlürfte in mein kleines Wohnzimmer. Ich schmiss mich auf die Couch, nahm mir die Fernbedienung und schaltete den Apparat ein. Ich schaltete ein paar Sender durch und blieb schließlich bei den Nachrichten hängen. Zwar bezweifelte ich etwas wirklich Interessantes zu hören, allerdings lief der Fernseher bei mir meistens sowieso nur, um die Stille zu durchbrechen. Seit ich alleine in meiner überschaulichen Wohnung lebte war die Stille quasi bis in die hintersten Ecken der Räume gekrochen und ließ sich von dort auch nicht mehr vertreiben. Die Geräusche des Fernsehers – oder wahlweise auch die des Radios – boten dazu eine willkommene Abwechslung.

„ … Mädchen sitzt in einem tiefen Loch fest. Polizei und Feuerwehr tun ihr möglichstes um die Kleine dort herauszubekommen … “ Kurz schaute ich auf und sah auf den Bericht im Fernsehen. Keine Ahnung, wieso ausgerechnet diese Nachricht meine Aufmerksamkeit erregte, aber ich hatte das dringende Bedürfnis sie bis zum Ende zu verfolgen. Sie war nicht wirklich interessant, dass das Mädchen dort wieder herauskommen würde war so sicher wie das Amen in der Kirche. Warum also faszinierte mich dieser Bericht so sehr? Ich konnte mir wahrlich keinen Reim darauf machen. Fünf Minuten später endete der Bericht wirklich damit, dass das Kind aus dem Loch geholt wurde und eine Frau – vermutlich ihre Mutter – sie wieder in die Arme schließen konnte. Nicht wirklich überraschend. Neben mir fing mein Handy an zu vibrieren und das Display leuchtete auf. Ich hatte eine Nachricht von Robin bekommen. Sie fragte, ob ich morgen mit ihr in die Stadt gehen wollte. Kurz überlegte ich wie normalerweise einfach nein zu sagen, entschied mich jedoch energisch dagegen. Ich wollte demnach Ort und Zeitpunkt von ihr wissen. Während sie mir antwortete, kam auch noch mein Abendessen. Als ich wieder zurück ins Wohnzimmer ging hatte Robin bereits unser Treffen festgemacht. Am Vormittag vor meinem Lieblingsgeschäft. Ein leichtes Glücksgefühl breitete sich in meiner Brust aus. Vorfreude, weil ich endlich wieder etwas zusammen mit meiner besten Freundin machen würde. Mit dieser Vorfreude ging ich ins Bett und fiel auch relativ schnell in einen traumlosen Schlaf.

Kapitel 6

Seufzend stand ich vor dem Spiegel und betrachtete mich. Noch trug ich das Handtuch, welches ich mir nach dem Duschen um den Körper gewickelt hatte, aber das würde sich bald ändern. Zuerst war jedoch meine Frisur dran. Ich band mir die Haare mit zwei Haargummis an den Seiten zusammen, drehte meinen Kopf leicht um diese zu betrachten und löste sie schlussendlich wieder. Wie ich mich so deprimiert im Spiegel anschaute, musste ich fast kichern. Das letzte Mal als ich wegen meinen Haaren verzweifelte, war schon ewig her. Es war fast ein bisschen ironisch über welche Kleinigkeiten man sich aufregen konnte. Ich entschied mich einfach meine Haare zu einem hohen Zopf zusammenzubinden, eine Strähne fiel mir über die Schulter, aber das war mir egal. Ich zog mir aus meinem Kleiderschrank eine einfache, hellblaue Hose, dazu einen weinroten Pullover – er war mal ein Weihnachtsgeschenk von Vivi – und ein paar schwarze Stiefeletten. Dann zog ich meine beige Jacke an, nahm mein Handy und mein Portemonnaie mit und verließ das Haus. Fröhlich pfeifend ging ich die Treppe herunter. Grinsend nahm ich das Quietschen der Türen aus einem der oberen Stockwerke zur Kenntnis. Ich hätte wetten können, dass es Smoker war. Der Ältere war ziemlich griesgrämig und allgemein ein unbeliebter Nachbar. Wenn ich nur daran dachte, wie oft er sich schon mit Ace oder Luffy – die ihm mit ihrer Sonnenschein-Art gerne mal auf die Nerven gingen – angelegt hatte, konnte ich nur schwer einen Lacher unterdrücken. Wieso hatte ich denn heute so schrecklich gute Laune?

„Ruhe im Treppenhaus“, donnerte es auch gleich von oben und jetzt musste ich wirklich laut loslachen. Das Bild von Ace, der übertrieben aggressiv mit der Hand in der Luft herumfuchtelte und dabei mit einem gespielt bösem Gesicht genau diese Worte murmelte, während versuchte halbwegs Smokers Stimmlage zu treffen,war einfach zu komisch. Die Quittung für meinen Lacher kam sofort in Form einer fliegenden Zeitung, der ich nur haarscharf ausweichen konnte. Ich hielt mir die Hand vor den Mund um mein Lachen zu unterdrücken und lief weiter bis zur Straßenbahn.
 

Als ich in der Einkaufsstraße ausstieg, blickte ich mich erst einmal suchend um und fand fast sofort den bekannten, schwarzen Haarschopf meiner Freundin in der Menge. Ich lief auf sie zu und fiel ihr augenblicklich um in den Hals. Als wir uns aus unsere innigen Umarmung lösten, betrachtete sie mich einmal von oben bis unten und sagte mir dann, wie gut ich aussehe. Ich gab dieses Kompliment zurück. „Hast du schon gefrühstückt?“, fragte mich meine beste Freundin. Ich verneinte und so machten wir uns erst einmal auf den Weg zum Bäcker, um uns einen heißen Kaffee und ein belegtes Brötchen zu holen. Mit vollen Mägen und bester Laune machten wir uns auf den Weg in das erste Geschäft. Criminal. Markenklamotten soweit das Auge reichte und der Laden war fast leer. Das ist das Gute daran, wenn man mitten in der Woche am Vormittag einkaufen ging. Ich schaute mich einmal kurz im Laden um und fand auch gleich einen niedlichen Pullover. Er war dreifarbig in grau, blau und orange und mir fiel spontan eine Hose in meinem Kleiderschrank ein, die perfekt dazu passen würde.

„Na, schon was gefunden?“, fragte Robin hinter mir und nickte einmal anerkennend, als sie den Pullover in meinen Händen sah. „Was sagst du dazu?“, erkundigte ich mich und hielt mir den Pullover vor den Oberkörper um ihr einen besseren Eindruck davon zu geben. Sie legte kurz den Kopf schief, musterte mich ausgiebig und fing schließlich an zu lächeln. „Er passt zu deinen Haaren“, kicherte sie und auch ich musste unweigerlich grinsen. Damit war es beschlossene Sache, dieser Pullover würde mir gehören. Wir verbrachten noch ein bisschen Zeit in dem Laden. Besonders viel Spaß hatten wir in der Ecke in der es die neuesten Hüte zu kaufen gab. Aus dem Augenwinkel sah ich einen übergroßen Strohhut mit viel zu viel Federschmuck an der Seite. Ich setzte mir diesen auf den Kopf, reckte meine Nase in die Höhe und stolzierte wie ein Topmodel durch den Laden. Im Hintergrund konnte ich Robin lachen hören und auch ich konnte es nicht lange unterdrücken. Letztendlich brachte ich den Hut wieder zurück an seinen ursprünglichen Platz und ging mit Robin an die Kasse um zu bezahlen. Die Verkäuferin musterte uns ein wenig argwöhnisch, wahrscheinlich hatte sie unsere kleine Hut-Modenschau mitbekommen. Ich blickte unsicher zu Robin, welche mir aber nur selbstbewusst zuzwinkerte. Mit einem breiten Lächeln im Gesicht nahm sie unsere Tüten entgegen und verabschiedete sich übertrieben freundlich von der Verkäuferin, die nur grunzte. Ich konnte das kleine Lächeln in meinem Gesicht gar nicht unterdrücken, als ich zusammen mit Robin den Laden verließ. Außerhalb hatte es wieder angefangen zu schneien. Robin warf einen kurzen Blick auf ihre Uhr und fragte mich schließlich, ob ich Hunger hätte. Ich schüttelte verneinend den Kopf. Jedoch grummelte genau in diesem Moment mein verräterischer Magen, was nun wiederum Robin zum Schmunzeln veranlasste. „Italienisch, oder willst du etwas anderes?“, erkundigte sie sich bei mir. Ich zuckte mit den Schultern, eigentlich war es mir relativ gleichgültig, wo wir essen gingen. Robin setzte sich in Bewegung und ich ging schön brav neben ihr her.
 

Ich biss gerade herzhaft in das letzte Stück meiner Pizza, als Robin mit ihren Erläuterungen der letzten Partynacht fertig war. Leise kicherte ich vor mich hin. Ich kannte die Geschichten zwar schon von Vivi, aber lustig waren sie immer wieder. Gerade als ich ihr von meinen Erlebnissen am Vortag erzählen wollte, fing ihr Handy an zu klingeln.

„Geh ruhig ran“, wank ich ab und wartete geduldig bis sie das Gespräch beendet hatte. Als ich ihren entschuldigenden Gesichtsausdruck sah, erhielt ich den ersten Dämpfer für meine gute Laune.

„Ich muss leider los, auf der Arbeit ist jemand krank geworden und ich soll einspringen. Tut mir wirklich leid“,murmelte sie ein wenig verlegen. Aber ich wollte ihr kein schlechtes Gewissen machen, also setzte ich ein Lächeln auf und verabschiedete sie freundlich.

„Wir telefonieren, versprochen“, und damit hatte sie mich umarmt und war auch schon weg. Ich war wieder allein.

Seufzend bezahlte ich die Rechnung für unser Mittagessen, debattierte gedanklich kurz darüber, ob ich noch in der Stadt bleiben sollte und entschied mich dagegen. Es hätte keinen Sinn. Also schlenderte ich langsam zur Straßenbahn, vorbei an leeren, unbeleuchteten Geschäften, durch die selbst eine relativ große Stadt wie diese unbelebt und langweilig wirkte. Ich könnte neue Kopfhörer kaufen, schoss es mir durch den Kopf, als ich gerade am Elektromarkt meines Vertrauens (der einzige Elektromarkt in unmittelbarer Nähe) vorbei lief. Es konnte nicht schaden, nachdem Luffy mein letztes Paar einwandfrei verschrottet hatte. Wieso man Kopfhörer in die Mikrowelle steckte, hatte er mir niemals erklären können. Aber dieser Vorfall war so kurz nach dem Tod meiner Schwester gewesen, dass ich mich nie wirklich darüber aufregen konnte. Es war damals schlicht und einfach nicht wichtig und ehrlich gesagt, war es das immer noch nicht. Aber wer weiß, vielleicht würde ich sie eines Tages wieder brauchen. Und während ich mir die Beschreibungen und Preise der lächerlich großen Kopfhörerauswahl durchlas, hörte ich von hinten eine bekannte Stimme.

„Geduscht und vernünftig angezogen, ich hätte dich fast nicht erkannt.“

Halb geschockt, halb neugierig drehte ich mich um und sah bernsteinbraune Augen, die ich nur zu gut kannte. Hämisch grinsend starrte Kid – ein selten dämlicher Name, wie mir allerdings erst jetzt auffiel – mich von oben bis unten an. Ich erwartete einen weiteren blöden Kommentar, vielleicht wäre ich ja jetzt irgendjemandes Beuteschema, stattdessen zog er nur skeptisch die Augenbrauen zusammen. Gleichzeitig zeigte er mit dem Finger auf die Kopfhörer in meinen Händen und sagte: „Die würde ich dir nicht empfehlen, schrecklicher Bass“.

Überrumpelt von der unerwarteten Wendung dieses Gespräches konnte ich ihn nur stumm anstarren und alle halbwegs guten Antworten, die ich mir zum Thema Beuteschema zurechtgelegt hatte, winkend verabschieden. Kid hatte indessen seine Aufmerksamkeit von mir abgewandt und diskutierte angeregt mit einem Typen und langen, blonden Haaren. Ich war so in meiner Gedankenwelt gefangen, dass ich weder ein Wort von ihrem Gespräch mitbekam, noch den dritten Typen im Bunde, der sich von der Seite an mich heranschlich. Ich machte einen dementsprechend schreckhaften Sprung zur Seite, der von Law mit einem herablassenden Lachen kommentiert wurde.

„Lange nicht gesehen“, grüßte er, als wären wir alte Freunde, die sich zu Kaffee und Kuchen verabredet hatten, „ich sehe du hast Kid und Killer schon kennen gelernt“.

Kurz schüttelte ich fassungslos den Kopf, ehe ich endlich meine verzweifelt gesuchte Stimme wiederfand.

„Das ist alles, was du zu sagen hast? Locker, als wären wir Freunde? Du hättest wenigstens zu deiner Adresse noch schreiben können ''Achtung, mein Mitbewohner ist seltsam''. Aber nein du – Moment, hast du den Typen gerade Killer genannt?“

„Die Schnellste ist sie nicht“, kommentierte Kid, ungefragt und unnötigerweise und das brachte das Fass zum überlaufen.

„Klappe“, schrie ich schon fast, schmiss die Kopfhörer auf den Boden und stürmte davon. Eventuell musste ich umziehen. Law war schlimm, Kid war schlimmer und darauf Killer kennen zu lernen, hatte ich nun wirklich keine Lust. Seitdem ich Law im Krankenhaus begegnet war, wurde mein Leben von Tag zu Tag schlimmer. Wiedereinmal hatte mir ein Arzt mein Leben versaut.



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Kommentare zu dieser Fanfic (24)
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Von:  Raeliana
2023-10-18T10:55:15+00:00 18.10.2023 12:55
Schade, dass du nie weiter geschrieben hast. :) Fand die FF bisher wahnsinnig interessant.
Du hast einen sehr schönen Schreibstil und ich mag, wie du die Charaktere darstellst.
Liebe Grüße ♥
Von:  sama-chan
2018-12-17T21:16:43+00:00 17.12.2018 22:16
Oha na das sind ja wieder Wendungen. 😂 Kid die Trillerpfeife hat in Sachen Sozialkompetenz ja echt eine Niete gezogen. Dass der Kumpels hat, liegt bestimmt nur am übermäßigen Bierkonsum. 😂

Oh bitte schreib die Story weiter! Ich würde zu gern wissen, wie es weitergeht! 😍
Von:  sama-chan
2018-12-17T21:11:10+00:00 17.12.2018 22:11
Law dieser Idiot! Nami kleidet sich wie ein Assi? Das ist legere Homekollektion du unwissender Mann! Wie kann man nur so oberflächlich sein? Ok... mit Kid als Mitbewohner wird man auch keine einzige graue Zelle mehr bekommen, aber ein bisschen Urteilsvermögen hätte ich ihm schon zugetraut... Chauvinist. 😑
Von:  sama-chan
2018-12-17T21:04:07+00:00 17.12.2018 22:04
😂😂😂 Ich verstehe Nami. In so einer Gegend einem so irren Typen zu begegnen... ok direkt Lossprinten ist etwas überreagiert. Aber der Grundgedanke war schon nicht schlecht. 😅
Von:  sama-chan
2018-12-17T20:58:10+00:00 17.12.2018 21:58
Ok da lag ich doch etwas daneben. Statt der Handynummer gibt's direkt die Adresse. Law - so ein Schlimmer. 😂

Der Mittelteil war genial! Die Infos über die Verrückten! Am Besten fand ich die Idee mit dem Edding! Das muss ich beim nächsten Mal auch bringen! 😂
Von:  sama-chan
2018-12-17T20:52:07+00:00 17.12.2018 21:52
Armer Law - obwohl es vielleicht seinen inneren Jagdtrieb weckt 😂. Nami brauch dringend mehr Lebensfreude bei so viel Pessimismus...
Von:  sama-chan
2018-12-17T20:47:41+00:00 17.12.2018 21:47
Ok. Law ist mir in deiner Geschichte schon mal auf Anhieb sympathisch! Ich will wissen, was er auf das Rezept geschrieben hat! Vielleicht seine Handynummer? Dr. Kuleha weiß doch bestimmt, wie man junge depressive Frauen zum Lächeln bringt - mit jungen lebensfrohen Männern. 😁👍
Von:  sama-chan
2018-12-17T20:41:35+00:00 17.12.2018 21:41
Wow! Was für ein emotionaler Anfang! Deine Story kommt direkt zu meinen Favos. Ich bin gespannt, wie die Geschichte verläuft! Der Anfang klingt aber schon extrem spannend! 😍
Von:  ellalue
2018-09-24T22:52:08+00:00 25.09.2018 00:52
Bitteeeeeee weiter schreiben 😘😘😘😘
Von:  Lexischlumpf183
2017-05-08T16:54:25+00:00 08.05.2017 18:54
Wann gehts weiter 👏 die FF is bis jetzt echt gut 😄😁


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