Briefe an dich von Phoenix_ ================================================================================ Kapitel 5: Der Weg... --------------------- Er war müde. Unglaublich müde. Es fiel Spencer schwer, seine Augen offen zu halten und dabei hatte er so lange geschlafen. Über sieben Wochen, wie ihm Bryan erzählt hatte. Es überraschte ihn, dass er dennoch so müde sein konnte. Aber sein Körper schmerzte, denn die Schmerzmittel schienen wieder nachzulassen. Seufzend wandte er den Kopf und warf einen Blick aus dem Fenster. Es wurde langsam dunkel und er lag noch immer in diesem Bett, mit all diesen Maschinen um sich herum und fragte sich, ob er geträumt hatte. War Natalia hier gewesen oder hatte er es sich nur so sehr gewünscht? Seit zwei Tagen war er nun wieder bei Bewusstsein und musste passive Bewegungsübungen im Bett mit dem Physiotherapeuten über sich ergehen lassen. Zumindest würde er ab morgen selbst etwas mehr machen können, denn sein Therapeut hatte ihm vorgeschlagen, die assistiven Bewegungsübungen auszuprobieren, bei denen er eigenständig versuchen sollte, seine Gliedmaßen nach bestimmten Mustern zu bewegen. Oder hatte er damit gemeint, dass er ihm dabei helfen würde? Er wusste es nicht mehr so genau, die ganzen Informationen waren einfach zu viel gewesen. Nicht nur darüber, sondern auch über seinen Zustand und was die letzten Wochen so passiert war. Bryan und Yuriy hatten ihm auch einiges an Auskunft gegeben und zumindest ging es seinem Kater gut, denn der Rothaarige hatte sich dem Fellknäuel angenommen. Noch schlimmer, als sein eigener Zustand war aber die Offenbarung gewesen, dass er einen Unfall mit Personenschaden verursacht hatte. Zwar beruhigte es ihn, dass das junge Pärchen nicht ernsthaft verletzt wurde. Ein paar Quetschungen und Schrammen, ein ziemlicher Schock, aber sonst nichts. Zumindest hatte es ihm der Arzt versichert, der ihn behandelte. Fortuna schien ihre Hand über die Unglücklichen gehalten zu haben. Und über ihn. Spencer schloss für einen Moment die Augen und hörte wieder Natalias Stimme, aber er wusste, dass sie nicht hier war. Zu gerne hätte er die Gewissheit, dass sie wirklich hier gewesen war, aber er würde weder Bryan noch Yuriy danach fragen. Zumindest Yuriy würde ihn anfahren, warum er denn nicht einfach bei ihr anrief, während Bryan wahrscheinlich damit anfangen würde, dass er sich nicht die Mühe machen sollte. Seine Freunde waren sich in diesem Punkt nie einig. Yuriy glaubte nicht daran, dass Natalia ihn betrogen hatte, Bryan stellte sich eher auf seine – also Spencers – Seite. Aber gab es hier eine Seite? Er wusste nicht mehr, was er glauben sollte. Die Tür ging auf und er drehte den Kopf in diese Richtung, musterte die Krankenschwester, die eintrat und die Tür wieder hinter sich schloss. „Guten Abend, Mr. Petrov.“, lächelte sie ihn an und er grummelte nur. Die Nachtschwester war das. Ilona, hieß sie, zumindest glaubte er das... Oder doch Irina? Auf jeden Fall könnte sie ihm eine Antwort auf seine dringlichste Frage geben, denn sonst würde er vielleicht doch noch den Verstand verlieren. „Haben Sie Schmerzen?“, fragte Ilona ihn und legte den Kopf schief. „Ja.“, brummte er. „Wie stark und wo?“ Sie zog ihren Kugelschreiber aus der Brusttasche ihres Kasacks – hießen die Teile so? Er wusste es nicht mehr genau. „Am rechten Bein, mein Kopf und verflucht noch mal, kann ich nicht einfach Schmerzmittel haben?“, blaffte er auf einmal und Ilona sah ihn mit großen Augen an. „Sicher.“, kam es dann doch recht ruhig von ihr und sie hängte ihm eine Kurzinfusion an. Immerhin hatte er einiges an Bedarfsmedikation da stehen. Ilona war nicht sonderlich überrascht über so ein Verhalten, auch wenn sie nicht damit gerechnet hätte, dass er sie jetzt anfahren würde. Schmerzen hatten die üble Nebenwirkung, dass sie einen Aggressiv machen konnten. „War Natalia hier?“ Er konnte die Frage nicht mehr zurück halten, während er sich wünschte, dass diese Schmerzen endlich nachließen. Es schien ihm, als hätte ein kleiner Zwerg einen Presslufthammer genommen und würde jetzt damit gegen seine Schläfen hämmern. Nun doch etwas aus dem Konzept gebracht, hielt Ilona inne in ihrer Handlung und sah ihn verwirrt an. „Ja. Sie war hier. Jeden Tag, bis Sie vor zwei Tagen aufgewacht sind. Auch da war Lia da und hat Sie mitbetreut. Sie ist nicht von Ihrer Seite gewichen.“ Spencers Herzschlag erhöhte sich, während er die Augen zusammenkniff. Also hatte er doch nicht geträumt. „Wo ist sie jetzt?“, wollte er mit Nachdruck wissen. Wollte sie nicht mehr in seiner Nähe sein, jetzt, wo er aufgewacht war? Oder wieso kam sie nicht, um mit ihm zu reden? Hatte sie Angst? Womöglich auch noch vor ihm? Kein Wunder, wenn man bedachte, was sie getan hatte. Dennoch, wo war sie, wenn nicht hier, um ihn um Verzeihung zu bitten? „Krankgeschrieben. Mehr kann ich Ihnen auch nicht sagen.“ Er verkniff es sich, die Schwester mit Flüchen und Beschimpfungen zu belegen, schloss stattdessen die Augen und war dankbar, dass das Medikament zu wirken begann. Da war es wieder, dieses nervige Geräusch. Es musste ein Stöhnen sein. Langsam drehte sie sich und versuchte zu verstehen, woher es kam, doch als ihr klar wurde, dass sie diesen ätzenden Laut von sich gab, biss sie sich auf die Unterlippe und versuchte die Augen zu öffnen. Erst nach dem dritten Anlauf gelang es ihr und sie blinzelte müde gen Decke. Was war nur los? Wieso war sie so fertig mit der Welt? Und drehte sich die Decke gerade wirklich? Seufzend versuchte sie sich aufzurichten, schwankte aber bereits im Sitzen und ließ sich zurück in die Kissen sinken, schloss erschöpft die Augen. Nein, aufstehen war jetzt nicht die beste Idee. Liegen bleiben. Liegen bleiben hörte sich gut an, es hörte sich himmlisch an. Moment… Spencer. Spencer war im Krankenhaus. Natalia riss ihre Augen auf und zwang sich zum Aufsitzen, dann die Beine über die Bettkante zu schieben, doch weiter kam sie nicht. Sie hatte nicht die Energie aufzustehen, stattdessen kippte sie einfach zur Seite und landete mit dem Kopf auf der Matratze. „Lia! Was machst du da nur? Du darfst nicht aufstehen!“ Eine ihr bekannte Stimme schimpfte. Mit ihr? Aber wer? „Lia, Mäuschen.“ Warme, weiche Hände richteten sie mit einem Schnaufen auf und sie versuchte zu helfen, indem sie ihre eigenen, zitternden Hände auf die Matratze drückte und sich hochstemmte. Naja, es versuchte. Natalia fokussierte ihren Blick und erkannte endlich ihre beste Freundin. „Xenia.“, hauchte sie leise und ließ sich von ihr zurück ins Bett helfen, bevor sie nicht verstehend auf das Glas blickte, welches man ihr hinhielt. „Was ist das?“, fragte sie müde. So abgeschlagen, wieso fühlte sie sich nur so ausgebrannt? „Medizin. Du hast sehr hohes Fieber und solltest wirklich im Bett bleiben. Der Arzt sagte, dass du dich jetzt ausruhen musst, sonst wirst du nicht mehr gesund werden. Trink die Medizin, ja?“ Langsam nickte Natalia und leckte sich über die ausgetrockneten Lippen, spürte erst jetzt ihren trockenen Mund und den unbändigen Durst. Noch immer zitterten ihre Hände, jetzt noch etwas schlimmer, während sie das Glas an ihren Mund führte und zu trinken begann. Leider nur in kleinen, kurzen Schlucken, obwohl sie es am liebsten hinunter gekippt hätte, aber sie traute es sich nicht zu. „Danke.“ Xenia nahm ihr das Glas wieder ab und drückte sie zurück in die Kissen, zog ihr die Decke bis ans Kinn und strich ihr einige Strähnen aus der verschwitzten Stirn. „Spencer?“ Natalia hatte Schwierigkeiten ihre Augen aufzuhalten, aber sie musste es wissen, musste die Unruhe eindämpfen, sonst könnte sie hier nicht ruhen. „Ihm geht es gut. Er ist seit zwei Tagen wach, alles in Ordnung. Jetzt hör auf an ihn zu denken und kümmere dich um deine eigene Gesundheit. Schlaf noch ein bisschen.“ Er war wach! Es ging ihm gut. Ihre Mundwinkel hoben sich leicht, fielen dann aber sofort wieder, als sie in den Schlaf glitt, da das Fieber sie zurück rief. Xenia blickte stumm auf Natalia hinab. Sie hatte sie in all den Jahren, die ihre Freundschaft bereits andauerte – es waren immerhin gut und gerne 12 Jahre – noch nie so am Ende ihrer Kräfte gesehen. Es tat ihr in der Seele weh, Lia so zu erblicken. Schwach, blass und nur diese ungesunde Röte auf den Wangen, die vom Fieber herrührte. Als sie am gestrigen Morgen bei ihr geklingelt hatte, hatte ihr keiner aufgemacht und ans Handy war Natalia auch nicht gegangen, also hatte sie den Schlüssel benutzt, denn sie von Natalia für Notfälle bekommen hatte. Und in welcher Verfassung sie ihre besten Freundin vorfand, nun ja, es war erschreckend gewesen. Dem Himmel sei Dank war Andreas sofort nach ihrem Anruf gekommen und hatte sie in ihr Bett gelegt, denn das Sofa war kein geeigneter Ort zum auskurieren. Und ihr Arzt war auch nicht von schlechten Eltern, denn er war ebenfalls auf der Matte erschienen, nachdem Xenia ihn aus Natalias Kontaktliste rausgefischt und angerufen hatte. Zum Glück, denn sonst hätten sie das Fieber wohl alleine niemals runter bekommen. Jetzt hatte Natalia nur noch eine Temperatur von 39°C, was Xenia Hoffnung machte, dass bald wieder alles gut werden würde, schließlich sank das Fieber. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass Natalia wirklich schlief, erhob sie sich von der Bettkante und verließ das Schlafzimmer wieder. Nachdenklich goss sie sich eine Tasse schwarzen Tees ein, mischte Zucker und Milch hinein und nippte an dem Getränk, bevor sie nach Natalias Handy griff und eine Nummer wählte. „Kusnetzov.“, meldete sich eine ihr bekannte Stimme am Telefon mit seinem Nachnamen, obwohl sie sich sicher war, dass dieser lilahaarige Idiot Natalias Nummer abgespeichert hatte. „Hi. Hier ist Xenia, Natalias Freundin.“ Stille am anderen Ende. „Was gibt’s?“ „Natalia ist zusammengebrochen und liegt jetzt mit Fieber im Bett.“ „Wieso erzählst du mir das?“ Gott, wieso hörte sich dieser Dummkopf immer nur so kühl an? Und arrogant? Sie hasste ihn, sie hasste ihn wirklich! „Weil sie auch mal eure Freundin war!“, blaffte sie ihn an und hörte am anderen Ende ein Schnauben. „Jap. Was soll ich jetzt deiner Meinung nach machen?“ Xenia holte tief Luft und zwang sich zur Ruhe. Es war niemandem geholfen, wenn sie sich schon wieder mit dem Kerl stritt. „Könntest du her kommen und ein paar Briefe abholen?“ „Briefe?“ „Ja, zum Teufel! Briefe für Spencer! Ich hab sie auf ihrem Tisch gefunden und daneben einen Zettel auf dem „Verbrennen nicht vergessen“ drauf stand. Aber ich finde, Spencer sollte sie lesen. Vielleicht wird ihm dann endlich klar, dass er einen verfluchten Fehler begangen hat!“ Es folgte wieder Stille. Himmel, Herr Gott! Wie sie es hasste, wenn er kein Wort von sich gab. „Gut. Ich bin in zwanzig Minuten bei euch.“ Das Freizeichen ertönte und Xenia begann vor sich hin zu fluchen. Wieso noch mal hatte sie ihn angerufen? Elendiger Mistkerl. Arrogantes Arschloch… Langsam ließ Spencer den letzten Brief sinken und fuhr sich über das Gesicht, dann durch das Haar und schüttelte den Kopf. Er hatte die Briefe gestern Abend von Bryan gebracht bekommen, der sie ihm mit einem Grinsen aufs Bett geworfen und von ihm verlangt hatte, sie zu lesen. Tatsächlich war dieser neugierige Idiot geblieben und, nachdem Spencer sich geweigert hatte, die Briefe auch nur anzufassen, hatte er ihm einfach den ersten vorgelesen. Es war ein direkter Stich ins Herz gewesen. Schwarz auf Weiß stand auf dem Papier, was ihm Seaborg erzählt hatte, zumindest einen Teil. Nachdem Bryan mit dem zweiten Brief fertig gewesen war, hatte Spencer nichts mehr davon abgehalten, nach dem nächsten zu greifen und diesen selbst zu lesen. Bryan durfte nicht in Natalias intimste Gedanken, das stand alleine ihm zu! Nun hatte er diese Briefe, diese Offenbarungen und Einblicke in ihre Seele, bereits so oft gelesen, dass er jedes Wort kannte, jeden Satz beenden könnte. Sie liebte ihn. Ihr Herz gehörte noch immer ihm und sie hatte ihn nicht betrogen. Oder war es alles nur ein schlechter Witz und sie machte sich noch über ihn lustig? „Was schaust du so, als wüsstest du nicht, ob du wie ein kleines Mädchen heulen oder lieber lachen sollst?“ Spencer nahm erst jetzt wahr, dass Yuriy in seinem Zimmer stand. „Was gibt’s, Alter?“ „Ich wollte nur nach dir sehen. Also, was ist los?“ Der Rothaarige ließ sich nicht von der garstigen Stimmlage seines alten Freundes einschüchtern, sondern ließ sich auf dem Stuhl nieder, lehnte sich zurück und wartete. „Bryan hat mir Lias Briefe gebracht. Ich verstehe nicht, was ich damit soll.“ Doch, natürlich wusste er es. Die beiden wollten, dass er seinen Fehler einsah und vor Natalia herum kroch, um sie um Verzeihung zu bitten. „Verstehen sollst du. Verstehen, dass sie dich niemals hintergangen hat. Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt und herausgefunden, dass Ian euch beide trennen wollte. Und es hat ja auch geklappt, denn er hat dich genau da erwischt, wo es dir am meisten wehtat. Statt sie um eine Erklärung zu bitten, hast du sie nur abserviert und aus deiner Wohnung geschmissen. Gut, okay. Du weißt ja selbst, wie du gehandelt hast. Aber der Kerl auf den Fotos ist nur ein Arbeitskollege, der sie abgeholt hat, um sie zur Arbeit mitzunehmen.“ „Sie hätte mir sagen können, dass sie einen zweiten Job hat!“ „Natürlich. Aber sie hat dich überraschen wollen oder steht das nicht in den Briefen?“ Spencer brummte, stimmte dann doch zu. „Spencer, ich will dir nicht sagen, dass du dich dumm verhalten hast. Du weißt es besser, als jeder andere, aber meinst du nicht, dass du dich wenigstens mit ihr aussprechen solltest?“ Mh, seit wann war er bitte so gefühlsbetont? Yuriy verzog das Gesicht bei dem Gedanken, dass er sich fast schon wie ein Seelenklemptner anhörte, hatte sich jedoch recht schnell wieder im Griff. „Was soll ich deiner Meinung nach tun? Blumen kaufen, vor ihr auf die Knie fallen und sie um Verzeihung anflehen?“ Spencers Gesicht war angewidert und Yuriy konnte sich nicht erklären, wie der Blonde auf diese dumme Idee kam. „Wie kommst du auf diesen scheiß Vorschlag?“ „Weil ich allen Grund hätte, um vor ihr auf dem Boden zu kriechen!“ Bevor er sich stoppen konnte, waren ihm diese Worte herausgerutscht und er stieß die Luft aus seinen Lungen. Verdammt, einfach nur verdammt. Jetzt hatte er doch das ausgesprochen, was ihn am meisten störte, nämlich die Tatsache, dass es seine Schuld war. Er hätte auf sie zugehen und sie um eine Erklärung bitten sollen. Oder ihr wenigstens zuhören, als sie versucht hatte, ihm die Situation zu schildern. „Denkst du, sie will das? Hör zu, Kumpel, du kennst sie besser, als Bryan oder ich. Du weißt, was sie von dir hören will. Aber eins kann ich dir sagen: Sie liebt dich. Sonst wäre sie nicht jeden Tag hier gewesen und hätte sich um dich gekümmert. Sie wollte, dass es dir gut geht und du keine dauerhaften Schäden hast. Wahrscheinlich ist sie die einzige Frau, die dich selbst dann noch liebevoll ansehen kann, wenn du voll mit Schläuchen bist!“ Spencer schwieg und starrte aus dem Fenster. Was sollte er auch dazu sagen? Da gab es nichts hinzuzufügen, immerhin hatte Yuriy recht. Er hatte es doch selbst gelesen, in fast jedem Brief hatte sie ihm geschrieben, dass sie ihn liebte. „Eine dieser Trullas hier meinte, dass sie krankgeschrieben ist.“ „Ist sie auch. Bryan hat die Briefe von Xenia und gleich noch die Information bekommen, dass deine Frau mit Fieber im Bett liegt. Anscheinend hat sie sich ein bisschen übernommen. Aber das wird, sie ist schließlich zäh, sonst hätte sie dich Sturkopf schon vor Jahren verlassen.“ Spencer knurrte und versuchte Yuriy mit Blicken zu erdolchen. „Chill, ist ja nicht so, als wäre es nicht die Wahrheit.“ Spencer verdrehte die Augen, fuhr sich aufs Neue durch das Haar und wurde ernst. „Hast du herausgefunden, wieso Ian auf diese bescheuerte Idee kam?“ „Nein, der kleine Zwerg ist nicht aufzufinden. Ich hatte nur von einem seiner, nennen wir sie „Kollegen“, ein paar Infos bekommen, dass er vor ihnen geprahlt hätte, die alten Zeiten zurück zu holen. Dafür müsste nur eine Schlampe weg, die ihm im Weg stand und dann könnte alles werden wie immer. Seine Kumpanen nahmen ihn da nicht so ernst und dachten, er hat mal wieder zu viel Koks geschnüffelt.“ Yuriy hasste die Tatsache, dass der Jüngste aus ihrem alten Team soweit nach unten gerutscht war. Wie hatte es dazu kommen können? Spencer dagegen knurrte leise vor sich hin. „Ich werde ihn umbringen, wenn ich ihn in die Finger bekomme!“ „Bekommst ein Alibi von mir, wenn du ihn wirklich ausfindig machst und dann um die Ecke legst. Ich muss jetzt los. Wir sehen uns morgen, Kumpel.“ Mit diesen Worten verließ Yuriy das Krankenzimmer und schlenderte entspannt den Gang entlang zum Aufzug. Hoffentlich hatte er diesem Idioten genug Stoff zum Nachdenken gegeben, immerhin wurde es Zeit, dass er in die Gänge kam. Spencer ließ sich zu sehr hängen. Die Tage vergingen und aus ihnen wurde eine Woche. Spencer machte Fortschritte, konnte am Freitag am Bettrand sitzen und zum Abend Essen. Am Samstag schaffte er es, vor seinem Bett zu stehen, aber mehr ging nicht. So sehr er es auch wollte, seine Beine wollten ihn nicht tragen, er konnte nicht laufen. Dabei schien er nicht so viel Muskulatur abgebaut zu haben, der Physiotherapeut war eigentlich zuversichtlich gewesen. Ein Pfleger hatte ihm irgendwann geraten, es langsam angehen zu lassen und nicht gleich so viel auf einmal haben zu wollen. Aber er wollte alles auf einmal, zum Teufel! Er wollte raus aus dem Krankenhaus und sich auf die Suche nach Ian machen, den Giftzwerg finden und ihm gehörig den Kopf zu waschen. Was fiel ihm ein, zu entscheiden, mit wem er sich abgab? Wie konnte diese Ratte es wagen, sich in Angelegenheiten zu mischen, die ihn nichts angingen? Ian gehörte mehr als nur der Kopf gewaschen, ein verdammter Entzug würde ihm nicht schaden! Nur musste er ihn erst einmal aus der Versenkung holen, bevor er etwas tun konnte. Seine Gedanken schweiften zurück zu seiner Frau. Natalia war auch nicht wieder zum Dienst gekommen. Was ihn noch mehr ärgerte, denn er wollte sie sehen. Wollte von ihr hören, dass alles in Ordnung war. Den Sonntag verbrachte er damit ihre Briefe ein ums andere Mal zu lesen und sich zu fragen, wie dumm er hatte sein können. Und er zwang sich, drei Schritte mit dem Gehbock zu laufen, bevor er nicht mehr konnte und zurück zum Bett schlich. Dieses Gefühl der Machtlosigkeit, das sich in ihm breitmachte, war einfach nur ätzend. Aus der Woche wurden zwei und er hatte das Gefühl, bald wahnsinnig zu werden. Wo war sie? Wieso kam sie nicht? War sie so krank, dass sie nicht hierher kommen konnte? Sie musste ja nicht arbeiten, aber ihn wenigstens besuchen, das könnte sie. Aber ihre Kollegen meinten nur, sie wäre weiter krankgeschrieben und er blockierte unbewusst jeden weiteren Fortschritt. Fahrig sammelte Natalia ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen und warf noch einen letzten, prüfenden Blick in den Spiegel. Sie sah beschissen aus… Naja, zum Glück achteten ihre Patienten nicht darauf, ob sie frisch und munter aussah oder eher an einen genesenden Zombie erinnerte. Ihre Patienten hatten andere Probleme. Seufzend machte sie sich auf den Weg hoch auf die Intensivstation und hörte der Übergabe neugierig und begierig zu. Und beschloss, Spencer einmal den Kopf abzureißen. Ach, scheiß drauf, wie ich aussehe! Jetzt werde ich ihm einmal kurz die Leviten lesen und dann an die Arbeit gehen, sprach sie mit sich selbst und klopfte an seine Tür. „Hallo, Spencer.“, begrüßte sie ihn mit einem Lächeln. Sie blieb vor seinem Bett stehen und musterte ihn, nahm seine Gestalt in sich auf. Er sah ausgemergelt aus, kein Wunder nach dem Koma. „Natalia. Bist du wieder auf dem Damm?“, fragte er sie und sie zog eine Augenbraue hoch, lächelte aber weiterhin. Gute Miene zum bösen Spiel zu machen konnte sie schon immer. „Natürlich. Ich hatte nur etwas Ruhe und Erholung gebraucht. Aber ich bin nicht wegen mir hier, sondern wegen dir.“ Sie konnte beobachten, wie Spencers Gesichtsausdruck sich wandelte. Wie er sich von besorgt auf… naja, mürrisch wandelte. „Wieso lässt du dich so gehen? Seit wann bist du so ein Schlappschwanz? Seit zwei Wochen bist du wieder aus dem Koma raus und schaffst es gerade einmal vor dem Bett zu stehen. Hast du keine Lust wieder zu laufen? Bist du so bequem geworden, dass du alles am Bett machst? Ich hatte mehr von dir erwartet, immerhin habe dich stets für deine Stärke bewundert. Dafür, dass du nie einknickst und nie aufgibst, dich immer durchsetzt, egal, was dir das Leben auch antut. Und jetzt? Jetzt sieh dich an. Du lässt dich hängen, als gäbe es kein Morgen mehr und benimmst dich wie ein verzogenes Kind.“ Natalia hielt inne, ließ die Worte sacken, bevor sie zu dem Teil kam, der ihr selbst so sehr schmerzte, weil es die reine Wahrheit war. „Ich dachte, ich liebe einen Mann, der sich nicht umhauen lässt. Natürlich, es ist eine beschissene Situation, in der du gerade bist, aber ich hatte angenommen, du würdest nach ein paar Tagen anfangen, dich gegen diesen Zustand zu wehren. Habe ich mich so sehr in dir getäuscht, Spencer?“ Spencer war sprachlos ob dieser Predigt. Wollte sie ihn wirklich wahnsinnig machen? Er glaubte es zumindest. Erst war sie zwei Wochen nicht da, dann kam sie hier rein und er bekam fast einen Herzstillstand bei ihrem Anblick. Ihre Wangen waren eingefallen, ihre Haut blass und ohne jegliche gesunde Farbe. Sie hatte abgenommen, war so dünn, wie er sie noch nie gesehen hatte und wahrscheinlich kaschierte ihre Arbeitsuniform das Schlimmste noch. Ihre Augen waren das Schlimmste: Leer, matt, der Glanz verloren, den er so geliebt hatte. Und statt sich ihm um den Hals zu werfen, wusch sie ihm den Kopf und er konnte nicht einmal etwas dagegen unternehmen. „Scheiße, Lia, hör auf mich fertig zu machen.“ Er wollte das alles nicht hören, schließlich wusste er selbst, dass er gerade etwas zu sehr in seinen Gedanken versank und alles andere schweifen ließ. „Wieso? Du tust es ja nicht, um dich mal endlich aus deinem Loch zu hieven. Also werde ich es tun: Beweg deinen Hintern und sieh zu, dass du wieder auf die Beine kommst, denn sonst wirst du nicht mehr lange Polizist sein.“ Sie nahm sich tatsächlich die Frechheit heraus, ihn herablassend anzusehen, bevor sie sich umdrehte und die Tür leise hinter sich schloss. Wieso knallte sie das Teil nicht einfach zu? Das wäre wenigstens nicht so endgültig, wie dieser leise Abgang und würde ihn mehr beruhigen. Verdammtes Weibsbild! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)