COLOURless. von AtriaClara (no colour, no emotion) ================================================================================ Kapitel 3: Freiheit. -------------------- Freiheit. Was ist Freiheit? Auch das habe ich mich oft gefragt, wenn ich allein in meiner Zelle saß, das Farbenaufsagen schon hinter und das karge Mittagessen noch vor mir. In all der Zeit habe ich hin und her überlegt. Gedanken kamen und gingen. Ich hatte neue, mir genial erscheinende Einfälle und verwarf die, die ich einmal für genial gehalten hatte. Trotz all der Zeit, all der Geduld, die ich in diese Gedanken investiert hatte, bekam ich nie eine klare Antwort. Nur eins glaubte ich zu wissen: dass es keine wahre Freiheit geben konnte. Ich verstand sie alle nicht, diese armen, bemitleidenswerten Menschen, die Tag für Tag neue Fluchtpläne ausheckten, die doch nur wieder scheiterten. Diejenigen, die selbst nach Jahren der Gefangenschaft noch auf Rettung hofften. Diejenigen, die niemals aufgaben, weil sie ihre Niederlage einfach nicht akzeptieren konnten. "Freiheit ist die Lüge, die uns am Leben hält." So hatte ich es damals formuliert, als ich mich mit meinem Schicksal abfand, schließlich war da nichts, wofür auszubrechen sich gelohnt hätte. Das hatte ich mir jedenfalls all die Jahre eingeredet, doch tief in meinem Inneren wusste ich die Wahrheit. Ich hatte nichts zu hoffen gewagt aus Angst, enttäuscht zu werden. Später versuchte ich sogar, andere meiner Mitinsassen auch von meiner Weisheit zu überzeugen, um ihnen die Enttäuschung zu ersparen. Niemand teilte meine Ansichten, aber das nahm ich nur als einen weiteren Beweis für ihre Richtigkeit. Genies sind schließlich immer dazu verdammt, ein einsames Leben zu führen. So dachte ich damals. Doch so fühlte ich nicht, als ich durch die zerbombten Gänge lief, über Trümmerteile stolpernd, halb freiwillig und halb gegen meinen Willen vorangezerrt. Kindliche Vorfreude, ein lange vergessenes Gefühl, stieg in mir auf und ließ mich von innen heraus fast explodieren. Das spürte ich nicht, als ich aus dem Schatten heraus ins Licht trat, Steinchen unter meinen Sohlen knirschend, Triumphschreie und Gelächter um mich herum. Ich öffnete die Augen. Und mein Herz setzte einen Schlag aus. Eine riesige Menschenmenge hatte sich im Innenhof versammelt, um ihre verlorenen Lieben endlich wiederzusehen. Andere befreite Gefangene liefen mit Jubelschreien auf den Lippen an mir vorbei, zu ihrer Familie, zu ihren Freunden. Die tiefstehende Sonne schien mir ins Gesicht, sodass ich geblendet meine Augen schließen musste. Nein, so war es nicht. Ich stand einfach da, die Augen geschlossen und die Arme weit ausgebreitet, als wollte ich mein neues Leben begrüßen. Ein Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich spürte, wie die Sonne meine Haut wärmte und der Wind meine Haare zerzauste. "Mina!" Da hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Den Namen, den ich getragen hatte, noch bevor er unwichtig geworden und an seine Stelle Häftlingsnummer 02809 getreten war. Den Namen, den die Angreiferin erwähnt hatte. Überrascht schlug ich die Augen auf und sah ein rothaariges Mädchen auf mich zurennen, Tränen der Freude weinend. Ich hatte gar keine Zeit mehr, die ganzen schönen Farben der neuen Welt wahrzunehmen, denn so plötzlich, dass es beinahe schmerzte, war alles wieder da und stürzte auf mich ein. Gedanken, Gefühle, Farben, alles durcheinandergewirbelt in einem chaotischen bunten Strudel aus Erinnerungen. Sie drangen gewaltsam in mein Bewusstsein ein und brannten sich unbarmherzig in mein Gehirn. Mein ganzer Körper stand unter Strom, als hätte mich der Blitz getroffen. Ich blieb stocksteif stehen, während mein Gehirn versuchte, all die Informationen irgendwie zu verarbeiten. Dann war es vorbei, so plötzlich, wie es begonnen hatte, aber es war nichts mehr wie zuvor. Ich erinnerte mich. Und dann begann ich ebenfalls zu rennen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)