Mistelzweige und Waisenhäuser
Akt 3: Von Mistelzweigen und Waisenhäusern
Es war Sonntag, der erste Advent. Es war 20:12 Uhr. Es war dunkel.
Wie oft Joey mittlerweile auf die Uhr gesehen hatte konnte er nicht mehr sagen, aber ihm war schlicht und ergreifend schmerzhaft kalt. Es schien ihm als wäre es Stunden her, das er am Hintereingang des Waisenhauses angekommen war, dabei war es wohl nur eine halbe Stunde.
Mittlerweile war es stockfinster und totenstill, jedes rascheln im Gebüsch ließ ihn panisch aufhorchen, obwohl er wusste, dass das Quatsch war.
Warum er es eigentlich jedes Jahr war, der das Geld ins Waisenhaus brachte war ihm nicht ganz klar. Er wusste natürlich weshalb er es im ersten Jahr hatte übernehmen müssen und wegen wem er es noch immer tun wollte, nur warum Tea es ihn noch immer tun ließ war ihm schleierhaft. Vermutlich freute sie sich schlicht darüber das er sich beteiligte, aber warum war sie nicht ein einziges Mal mitgekommen? Nun, er würde sich hüten sie zu fragen, nicht das die Brünette Lunte roch und nachforschte aus welchem Grund Joey es immer so bereitwillig übernahm.
Weitere fünf Minuten vergingen und Joeys Fantasie hatte scheinbar nichts besseres zu tun, als sich auszumalen wie riesige Wölfe des Nachts durch diese Gebüsche strichen und ihn anvisierten. Das war doch Irrsinn. Er versuchte seinen Kopf damit zu beschäftigen über Teas Verhalten nachzudenken. Einen richtigen Aufstand hatte sie gemacht, war umher gelaufen und hatte geflucht und geschimpft während sie ihm das Geld übergab. Weil sie so wenig Spenden bekommen hatte, weil man von so wenig Geld doch kaum Weihnachtsgeschenke kaufen konnte und vor allem hatte sie sich über Kaiba aufgeregt der sowieso schuld an allem war. Weil er sich nicht mehr engagierte gab es vermutlich keinen Weltfrieden.
Sie hatte geschimpft wie ein Rohrspatz, sodass Joey sich schließlich viel zu früh auf den Weg gemacht hatte, und so fror er, weil er Teas Gemotze entgehen wollte. Auch wenn er normalerweise immer der erste war, wenn es darum ging sich über den ach so Großen Seto Kaiba aufzuregen, war ihm Teas Laune heute einfach zu viel. An diesem einen Wochenende pro Jahr, wollte er sich einmal nicht über den reichen Pinkel aufregen.
Genervt versuchte Joey seine Zehen zu bewegen, sie würden ab frieren, definitiv, das wusste er einfach. Hoffentlich, musste er nicht noch länger warten.
Die letzten Jahre hatte er schließlich auch nicht einmal warten müssen.
Als es hinter ihm klopfte schrak er zusammen, in einer viel zu hastigen Bewegung drehte er sich um die eigene Achse und sah beinahe panisch zu der Direktorin des Waisenhauses die ihm vom Fenster im ersten Stock aus bedeutete doch rein ins Warme zu kommen.
Joey lächelte, lehnte aber mit einem Kopfschütteln ab.
Er würde wie in jedem Jahr am Hintereingang klopfen, wenn er so weit wäre.
Als der Blonde sich gerade wieder umdrehte, sah er bereits die Scheinwerfer des schwarzen BMW auf den Parkplatz zukommen.
„Hast du lange gewartet?“
„Nein Mann, ich zittere aus Spaß vor mich her. Wo warst du verdammt, du bist doch sonst immer pünktlich gewesen…!“
„Ich hatte in der Firma noch etwas wichtiges zu erledigen“
„Es ist Sonntag, Kaiba! Kein vernünftiger Mensch in unserem Alter arbeitet sonntags… Du hättest anrufen können.“ Wütend sah er seinem Klassenkameraden entgegen, ihm war wirklich einfach nur noch kalt, und es war leicht Kaiba die Schuld dafür zu geben.
„Hätte ich nicht, ich habe deine Nummer nicht.“
„Dann muss ich dir die wohl noch geben.“ Ein Seufzen entwich Joeys Kehle und gemeinsam trappten sie um den Wagen zum Kofferraum. Als Kaiba selbigen öffnete fielen Joey beinahe die Augen aus dem Kopf.
„Das sind ja noch mehr als letztes Jahr. Verdaaaaaaaammt… Wenn Tea das wüsste würde sie definiti-“
„Hüte dich jemals Jemandem hiervon zu erzählen, Wheeler“, wie nebenbei zog Kaiba einen in verschiedenen Brauntönen gestreiften Schal aus seiner Manteltasche und wickelte ihn Joey um den Hals. Wieder versanken sie in den Augen des jeweils anderen.
„Der blieb letztes Jahr in meinem Wagen liegen.“
Joey schmunzelte: „Findest du es nicht auch manchmal seltsam das wir uns dieses eine Wochenende im Jahr verstehen. Ich meine, dass wir uns nur in diesem einen Moment verstehen?“
Kurz schüttelte sein Gegenüber den Kopf und griff nach einer von Joeys Händen.
„Du zitterst ja… bring die Sachen rein, ich warte hier und fahre dich dann nach Hause.“
„Das brauchst du nicht, ich bin mit dem Fahrrad hier“
„Lass es hier stehen. Es ist ohnehin zu kalt zum fahren, erstrecht über die Strecke.“
Exakt diese Diskussion führten sie auch jedes Jahr und Joey kam nicht umhin sich geborgen dabei zu fühlen.
Mit einem schiefen Grinsen im Gesicht hievte er den Sack aus dem Kofferraum und schulterte ihn. „HoHoHo“, damit machte er sich auf zu der Tür, während Kaiba hinter ihm wieder ins Auto stieg.
Nach seinem Klopfen brauchte er nicht lange warten, sie hatten Kaiba und ihn wohl schon wieder durchs Fenster beobachtet.
„Mister Kaiba kommt wieder nicht mit?“ Die Direktorin war eine ein wenig rundliche Frau mit strengen Gesichtszügen aber einem guten Herz.
„Unser Weihnachtsmann weigert sich. Ich denke er hat Angst dass man sehen könnte, dass er ein Herz hat.“ Die Frau nickte und half Joey die Geschenke hinter dem großen Regal in der Vorratskammer zu verstauen, wo sie wie jedes Jahr bis Weihnachten vor den Kindern versteckt blieben, und die Direktorin sie durchsehen konnte.
„Hier“ Joey übergab ihr noch den Umschlag mit Teas gesammeltem Geld, das sie versprach für Verpackungsmaterialien auszugeben.
„Ich danke euch. Es ist schön zu sehen, dass die Jugend sich schon so um Schwächere kümmert. Ohne euch wäre Weihnachten schon kaum noch zu schaffen.“
Joey nickte und vermied es nachzufragen. Die Frau vor ihm wirkte müde und erschöpft, aber es ging ihn nichts an und das wusste er auch.
Mit einem festen Händedruck verabschiedete er sich und trat wieder hinaus in die Kälte. Ein wenig erschreckte es ihn immer noch, dass die hinteren Räume des Heims nicht viel wärmer waren.
Kaiba hatte während des Wartens die Heizung laufen lassen und so begann Joeys Haut unangenehm zu kribbeln als er sich auf den Beifahrersitz fallen ließ. Schnell schloss er die Tür und öffnete seine Jacke, da mit die Wärme schneller an seine Haut drang.
„Du weißt noch wo ich wohne?“ Kaiba nickte und weiter sprachen sie die Fahrt über nicht. Selbst das Radio ließen sie aus. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach und Joey genoss es. Er hatte noch nie mit Jemandem so gut schweigen können wie mit Kaiba.
Als sie endlich vor Joeys Wohnblock hielten legte Kaiba den Arm auf seine Sitzlehne und deutete nach oben. Unter dem Blechdach des BMWs genau zwischen ihnen hing ein mühevoll mit Tesafilm befestigter Mistelzweig.
Der Blonde konnte sein Grinsen nicht verbergen: „Du weißt schon, das ich weiß, dass du diesen Mistelzweig jedes Jahr dahin tust während ich die Geschenke abgebe und ihn wieder abreißt sobald ich ausgestiegen bin?“
Kaiba nickte und begann ebenfalls verhalten zu grinsen.
„Das gehört doch mittlerweile zu unserer Tradition, das ich das tue und das du es weißt.“
Zufrieden lehnte er sich vor als Joey seinen Gurt löste. Beide schlossen sie ihre Augen in dem Moment als ihre Lippen aufeinander trafen.
Einen Moment lagen ihre Lippen einfach aufeinander, ehe Kaiba beinahe zärtlich begann Joeys Mund zu umwerben, mit seinen Lippen reizte er sanft das süße Fleisch und brachte den Blonden damit dazu seinen Kopf genießend schief zu legen.
Ungewohnt liebevoll bearbeitete er Joeys Lippen, ließ seine Zunge darüber und schließlich dazwischen gleiten und beschäftigte sich schließlich mit Joeys Zunge die ihm stürmisch entgegen kam, wo durch ihre Verbindung an Geschwindigkeit und Intensität zunahm. Fahrig strichen Kaibas Hände über Joeys Oberkörper während Joeys eine Hand in seinem Nacken lag und die andere nun Kaibas Anschnallgurt löste.
Kaum dass der Zug an Kaibas Schulter nach ließ ruckte er nach vorne, ein Arm glitt um Joey herum, ertastete was er zu packen bekam und blieb schließlich auf seinem Hintern liegen, während die andere Hand ihn fest bei der Hüfte hielt.
Fest pressten sie ihre Lippen aufeinander und bestürmten sich mit Zunge, Zähnen und Lippen, während Joeys Finger sich unter Kaibas Hemd verirrten und seinen Bauch ertasteten. Jede Muskelfaser schien er eingängig zu erforschen und tastete sich dabei hinauf bis zu Kaibas Brust. War der Kuss letztes Jahr nicht noch viel unschuldiger gewesen?
Eine ganze Weile vertrieben sie sich noch die Zeit damit ihre Körper zu erkunden, ehe sie sich langsam voneinander lösten.
Beide hatten sie Probleme damit genug Sauerstoff in ihre Lungen zu bekommen und beiden spannten die Hosen an einer delikaten stelle.
Kaibas Augen flogen über Joeys Gesicht, tranken den Anblick der erröteten Haut, der vollen geschwollenen Lippen, die verzweifelt von der frechen Zunge befeuchtet wurden und den vernebelten Blick aus braunen Augen.
Es war Joey dessen raue Stimme zuerst wieder Worte fand.
„Wie gut das wir nicht schwul sind, sonst müsste ich dich jetzt auf einen Kaffee mit hoch einladen.“ Ja, wie gut. Normalerweise sprachen sie nie nach dem Kuss.
Kaiba kam nicht umhin darüber nachzudenken, was wäre wenn sie es doch wären. Wenn sie Schwul wären würde er die Einladung definitiv annehmen. Er würde mit hoch gehen und Wheeler bereits im Flur gegen die Wand pressen, würde ihm die Kleider in Fetzen vom Leib reißen und jeden Millimeter Haut mit Küssen, streicheln, beißen, lecken kratzen erkunden, bis der andere sich unter ihm winden würde, ihn anbetteln würde endlich…
„ich geh dann jetzt“
Kaiba konnte nur nicken, er traute seiner Stimme nicht und sah zufrieden wie Joey seine Hose richten musste eher er ausstieg und ohne sich noch einmal um zudrehen zu seiner Haustür ging.
Fahrig betätigte er den Fensteröffner und schnallte sich an. Er brauchte Sauerstoff. In einer flüssigen Bewegung riss er den Mistelzweig samt Klebefilmstreifen von der Decke und warf ihn aus dem Fenster. Dann erst ließ es den Motor an.
Das Joey auf halbem Weg zu seiner Haustüre umgedreht hatte und zurückgekommen war, hatte er nicht mitbekommen. Dementsprechend überrascht war er als Joey vor seinem Auto her zu Setos offenem Fenster lief.
„Hast du mal `nen Stift Kaiba?“ Joey zog einen zerknüttelten Kassenzettel aus seiner Tasche und Kaiba reichte ihm einen Kugelschreiber aus dem Handschuhfach.
Schnell krakelte Joey seine Telefonnummer und das Wort Waisenhaus darauf. Es wäre nicht gut einen Zettel mit seinem Namen und seiner Telefonnummer in Kaibas Auto liegen zu haben. das wäre viel zu auffällig. „Hier“
Kaiba nahm den Zettel an und überreichte ihm seine Visitenkarte, auf die Rückseite hatte er hier auch seine private Nummer vermerkt.
„Wehe die Nummer geht an irgendjemanden weiter oder du nutzt das aus Wheeler.“
„Würd` ich nie Kaiba“
„Bis nächstes Jahr.“ Damit fuhr der jüngste Firmenchef Dominos los und ließ Joey stehen der langsam in seine Wohnung ging.
Morgen würden sie sich wieder hassen, sie würden wieder streiten.
Doch für heute, war er froh, denn Seto Kaiba hatte ihm seine Privatnummer gegeben.