Home Sweet Home von Rabenkralle ================================================================================ Kapitel 31: Eine surreale Wirklichkeit -------------------------------------- Kapitel 31: Eine surreale Wirklichkeit Es war keine Verwandlungskunst von Matsuri. Nein, er war es tatsächlich. Und obwohl sie wahrscheinlich glücklich darüber sein sollte, war sie es nicht. Sie hatte nicht das geringste Verlangen danach, ihm vor Freude über das plötzliche Wiedersehen um den Hals zu fallen. „Was mit mir los ist?“, wiederholte Temari beherrscht. „Was mit mir los ist? Du schleichst dich mitten in der Nacht davon, tauchst nach mehr als drei Monaten wieder auf und fragst mich ernsthaft, was mit mir los ist?“ Sie hielt den Controller fest umklammert, der Charakter im Spiel führte einen lustigen Tanz auf und feuerte einen unkontrollierten Schuss nach dem anderen ins Leere ab. „Ich weiß, es hat lange gedauert, aber –“ „Spar dir deine Ausreden“, unterbrach sie ihn. „Wenn du glaubst, dass alles vergeben und vergessen ist, nur weil du dich jetzt doch her bequemt hast, hast du dich geschnitten.“ Sie hörte etwas, das wie ein Seufzer klang. „Von dir kam der Vorschlag, dass wir in Ruhe über alles reden“, fuhr sie fort, bevor er etwas sagen konnte. „Doch was war stattdessen? Ich wache auf und du bist weg! Was zur Hölle soll ich da deiner Meinung nach denken?“ „Es tut mir leid, dass ich ohne etwas zu sagen gegangen bin“, sagte Shikamaru und sie wusste nicht, wie sie seinen Ton deuten sollte. „Du weißt doch, dass Abschiede nicht so meins sind.“ Sie biss die Zähne zusammen und ihre Hände malträtierten das Pad so sehr, dass das Gehäuse ein bedenkliches Knacken von sich gab. Sie ließ von ihm ab und warf es auf den Tisch. Die Schritt- und Schussgeräusche aus dem Fernseher verstummten und nur die leise Hintergrundmusik war noch zu hören. „Ist das alles, was dir dazu einfällt?“, fragte Temari bitter. „Ich weiß, dass es nicht unbedingt die feine Art war“, erwiderte er ruhig, „aber so dramatisch, wie du es gerade darstellst, war es auch nicht.“ Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und ihre Nägel bohrten sich in die Innenseiten ihrer Handflächen. Dass er es so herunterspielte, machte sie wütend. „Nicht so dramatisch?“, fragte sie aufgebracht. „Hast du sie noch alle? Du hast nicht die geringste Ahnung davon, was ich in letzter Zeit wegen dir durchmachen musste! Also hör auf, es als nicht so dramatisch abzutun, wenn du keine Ahnung hast!“ Er sagte daraufhin nichts und sie war froh, dass er nach wie vor irgendwo hinter ihr zwischen Couch und Tür stand und sie ihn nicht sehen musste. „Ich hab mir schon gedacht, dass du im ersten Moment nicht allzu begeistert sein würdest“, begann er letztendlich, „aber dass du so dermaßen sauer –“ „Sauer trifft es nicht mal im Entferntesten, was ich gerade auf dich bin“, fuhr sie ihm ins Wort. „Ich hab monatelang geglaubt, dass du mich verarscht hast und jetzt stehst du hier in meinem Wohnzimmer – was schon surreal genug für mich ist – und denkst, dass es mit einem ›Shit happens, Schwamm drüber!‹ getan ist?“ Abermals bekam sie keine Antwort von ihm und das untermauerte nur ihren Eindruck, dass sie mit ihrer Annahme einen Treffer ins Schwarze gelandet hatte. „Warum bist du überhaupt hergekommen?“, wollte sie wissen. „Hat Kankurou dir eine Morddrohung geschickt oder was hat dich dazu gebracht hier aufzukreuzen?“ Shikamaru antwortete nicht sofort, dann fragte er: „Warum hast du angenommen, dass ich dich verarscht habe?“ Ihre Fingernägel gruben sich noch tiefer in ihre Haut und als sie drauf und dran war, die Beherrschung zu verlieren, setzte er nach: „Hast du meine Nachricht nicht gelesen?“ Sie überlegte kurz, ob sie in ihrer Enttäuschung darüber, dass er abgehauen war, irgendetwas Wichtiges verdrängt hatte, aber ihr fiel nichts ein. „Von welcher Nachricht sprichst du?“ „Ich hab sie damals auf den Tisch vor dir gelegt“, erklärte er. „Wie konntest du sie übersehen?“ „Ich hab sie nicht übersehen! Da war –“ In ihrem Kopf blitzte eine vage Erinnerung auf. „Wie sah sie aus?“ „Es war ein Notizzettel. Er war grün oder so ähnlich …“ Ihr Blick fiel auf den Notizblock im Regal. Das letzte grüne Blatt hatte sie vor ein paar Wochen aufgebraucht und davor hatte sie einige weggeworfen, die Kairi an dem besagten Morgen zerfetzt oder angekaut hatte. Sie konnte nicht sagen, ob auf einem irgendetwas gestanden hatte, denn sie hatte sie in ihrer Eile unbeachtet in den Müll befördert. Sie wusste auch nicht, was er angeblich darauf geschrieben hatte und ob er überhaupt die Wahrheit sagte, aber wenn doch … Sie kam sich auf einmal so dumm vor. Dumm, weil die Möglichkeit bestand, dass sie ihn die ganze Zeit über zu Unrecht verflucht hatte; und dumm, weil sie sich diesen selbstgemachten Leiden völlig umsonst so lange ausgesetzt hatte. „Bist du dir sicher, dass du das getan und nicht nur geträumt hast?“, fragte sie und zum ersten Mal in diesem Gespräch schwang ihrer Stimme so etwas wie Unsicherheit mit. Temari spürte seine Hand auf ihrer Schulter, doch obwohl sie zwar verwirrt, aber immer noch wütend auf ihn war, streifte sie sie nicht ab. „Ganz sicher“, bestätigte Shikamaru ihr. „Warum sollte ich dich anlügen?“ Es gab ihrer Ansicht nach tausend Gründe für ihn, das zu tun, doch sie beschloss, ihm zu glauben. Erstmal. „Kannst du dir vorstellen“, setzte sie verärgert zum Sprechen an, „was mit deiner tollen Nachricht, diesem winzig kleinen Stück Papier, das du auf einen viel zu niedrigen Tisch in der Reichweite einer damals fast Einjährigen abgelegt hast, passiert sein könnte?“ „Hat sie sie etwa zerrissen?“ „Oder gegessen“, ergänzte sie. „Ich weiß es nicht. Gelesen habe ich jedenfalls nichts.“ Ein kurzes und beklemmendes Schweigen brach aus. „Warum zum Teufel hast du sie nicht in die Küche gelegt oder an den Spiegel im Bad geklebt?“, fuhr sie angesäuert fort und immer mehr Fragen bildeten sich in ihrem Kopf, die sie beantwortet haben wollte. „Warum bist du nicht wenigstens bis nach dem Frühstück geblieben? Warum hast du nicht mit mir geredet, obwohl du es mir versprochen hattest? Warum hast du mir zwischendrin nicht ein winziges Lebenszeichen von dir geschickt, das mir zumindest im Ansatz gezeigt hätte, dass du Kairi und mich nicht vergessen hast?“ Als sie merkte, dass ihre Stimme an Sicherheit verlor, brach sie ab. Sie wollte sich vor Shikamaru nicht die Blöße geben und in Tränen ausbrechen. Geweint hatte sie wegen ihm in der Vergangenheit schon viel zu viel. Der Druck seiner Hand auf ihrer rechten Schulter verstärkte sich etwas, doch das tröstete sie nicht. „Ich dachte, dass es in dem Punkt nicht viel Sinn macht, mit dir zu reden“, sagte er. „Wenn du so dermaßen überzeugt von einer Sache bist und mit Gegenargumenten kommst, die ich nicht mal entkräften kann, was soll man da schon großartig bereden? Du rückst nicht von deinem Standpunkt ab und wenn ich das genauso mache, fängst du an, unfair zu diskutieren. Wir haben schon damals im Krankenhaus gesehen, wohin das führt.“ Temari erinnerte sich noch gut an dieses Hin und Her, seine Argumente, die für ihn gegen ein Kind gesprochen hatten und ihre eigenen, in der Hoffnung, sie könnte ihn vom Gegenteil überzeugen. Dieses alberne Spiel, das sie veranstaltet hatte, anstatt ihm einfach zu sagen, dass sie zu dem Zeitpunkt schon schwanger gewesen war und seine Begründungen somit zumindest für sie keine Relevanz mehr hatten. Doch sie war feige gewesen und gegangen, genauso, wie er es Anfang Mai getan hatte – mit dem Unterschied, dass er wiedergekommen war. „Außerdem haben wir uns zwischen den Prüfungen nie geschrieben, weil es das nur noch schwerer als ohnehin schon gemacht hätte“, fuhr er fort. „Wenn ich gewusst hätte, dass sie mich noch so lang da behalten würden, hätte ich mich vielleicht gemeldet, aber so …“ „Sie haben dich da behalten?“, fragte sie langsam. „Und das heißt?“ „Man konnte mich wegen der Prüfung nicht gleich gehen lassen. Der Rat war einstimmig der Meinung, es wäre zu umständlich, sie so kurzfristig einem anderen Leiter zu übertragen.“ Sie verstand nicht genau, was er ihr damit sagen wollte, aber die Geschichte klang nach einer Ausrede. Sie war selbst oft genug in die Prüfung involviert gewesen, um zu wissen, dass niemand unentbehrlich war. „Sicher“, sagte sie ironisch. „Falls du auf Genma anspielst“, erwiderte Shikamaru unerwartet schnell, „er konnte mich nicht ersetzen. Er schlägt sich immer noch mit einem komplizierten Bruch herum, der nicht richtig verheilt ist. Und außer ihm kommt momentan nun mal niemand in Frage.“ Sie schwieg. „Wenn du mir nicht glaubst“, setzte er nach, „schreib das Krankenhaus an. Sie werden dir seine Akte zwar nicht schicken, aber …“ „Schon gut“, meinte Temari mit einem Kopfschütteln. „Aber die Prüfung ist seit zwei Wochen vorbei. Warum warst du dann nicht schon vor einer Woche hier?“ Sie war gespannt, was für eine Antwort er ihr darauf geben würde. Es konnte nur eine dumme Ausflucht sein. „Ino hat letztes Wochenende geheiratet“, sagte er. „Und sie hätte mich umgebracht, wenn ich dabei gefehlt hätte.“ Ihre Mundwinkel zuckten unfreiwillig zu einem Lächeln. Seine Erklärung war so simpel, dass sie fast über sie gelacht hätte, wenn ihr der Sinn danach gestanden hätte. Und leider besaß sie eine Logik, die sie ihm nicht vorwerfen konnte. „Ich wusste nicht, wie es dir geht und dachte, dass es angerechnet auf die Zeit, die ich hier bin, auf die paar Tage nicht mehr ankommt.“ „Dann hängst du sie an deinen Urlaub an, was?“, murmelte sie tonlos. „Urlaub?“, wiederholte er und er klang in ihren Ohren fast ein wenig belustigt. „Meinst du wirklich, dass ich hier gerade im Urlaub bin?“ Wenn sein Unterton nicht ein seltsames Gefühl in ihr ausgelöst hätte, das ihre Eingeweide zu einem Tanz aufforderte, hätte sie ihm definitiv eine sarkastische Bemerkung entgegen geschmettert, doch … Nein, das war unmöglich. Das war absolut unmöglich. Das musste ein abstruser Traum sein. In Wirklichkeit war er gar nicht hier und redete mit ihr, sondern sie träumte sich alles nur zusammen. Genau, sie war beim Fernsehen oder Buchlesen auf der Couch an der Stelle, an der sie nun saß, eingeschlafen und ihr Gehirn spielte ihr wieder einen Streich. Anders konnte sie es sich auch nicht erklären, warum Kankurou so ruhig geblieben war. Der echte Kankurou wäre ihrem Exfreund schon nach dem ersten Blick an der Vordertür an die Kehle gesprungen, aber ihr Traumbruder war gelassen und gut gelaunt mit einem Grinsen in sein Zimmer verschwunden. Und das war in der Realität ein Ding der Unmöglichkeit für ihren verdrossenen Bruder, der seit Kairis Geburt so wütend auf Shikamaru war. Genauso wie sich ihr Unterbewusstsein die Existenz einer Nachricht zusammenspinnte, weil sie es sich so sehr wünschte – und dass er gerade in diesem Moment hinter ihr stand und mit ihr redete. Sie schloss die Augen und versicherte sich in Gedanken, dass nichts von dem, das seit dem Klingeln an der Tür geschehen war, echt sein konnte. Sie wiederholte es immer und immer wieder und irgendwann – sie wusste nicht, ob Sekunden, Minuten oder gar Stunden vergangen waren – fühlte sie auch die eingebildete Hand auf ihrer Schulter nicht mehr. Sie holte tief Luft, setzte ihren rechten Daumen und Zeigefinger an, um sich in den Oberschenkel zu kneifen und so durch den ausbleibenden Schmerz die Bestätigung zu bekommen, dass sie sich in einem Traum befand und – „Für dich kommt es vermutlich zu spät“, hörte sie ihn sagen, „aber ich habe mich hierher versetzen lassen.“ Temari kniff so stark zu, wie sie konnte. Die Stelle oberhalb ihres rechten Knies puckerte unangenehm, sonst veränderte sich nichts. Sie befand sich immer noch in dieser surrealen Wirklichkeit, die nur eine Fantasie sein konnte, nein, sein musste. Der echte Shikamaru ließ sich nicht von einem kleinen Gegenargument überzeugen und gab ohne Weiteres seine selbstauferlegten Pflichten auf. Alles, was darauf hinwies, konnte auf keinen Fall echt sein, selbst wenn sie sich noch so sehr wünschte. „Es ist keine Versetzung auf Lebenszeit“, sprach er weiter. „Auch wenn du das mit uns offensichtlich abgeschlossen hast, wirst du mich wegen der Kleinen eine Weile ertragen müssen. Die zwei Jahre bleibe ich, egal, was zwischen uns beiden ist.“ Zwei Jahre. Da war sie. Die Einschränkung, die gefehlt hatte und ihr bestätigte, dass sie doch nicht in einem Traum gefangen war. Der ausschlaggebende Punkt, der die Realität wie ein Steinschlag auf sie einprasseln ließ. Er hatte sich versetzen lassen und das nach den unschönen Worten, die sie ihm gesagt hatte. Das war viel mehr, als sie jemals erwartet hatte. Er hatte einen Kompromiss gesucht und ihn gefunden, auch wenn er limitiert war und das Problem nicht auf Dauer löste. Schritte, die sich entfernten, holten sie aus ihrer Gedankenwelt zurück. „Warte!“, rief Temari entschlossen und wandte sich zu ihm um. „Klar, am liebsten würde ich dir für die letzten Monate immer noch ein paar Ohrfeigen verpassen, aber wenn du denkst, dass dieses dumme Missverständnis irgendetwas an dem geändert hat, das ich für dich empfinde, irrst du dich gewaltig.“ Shikamaru blieb stehen und während sie auf seinen Rücken starrte, fuhr ihre Hand zu ihrem Bauch. Der eine Punkt war geklärt, also blieb noch der andere. „Aber“, setzte sie an, verstummte jedoch. Es kam ihr unangebracht vor, ihm diese Neuigkeit geradeheraus zu sagen, schließlich war es keine belanglose Nebensächlichkeit, die man soeben nebenbei erwähnen konnte. Nein, es war ein ziemlicher Einschnitt ins Leben und den Fehler, es ihm irgendwo zwischen Tür und Angel mitzuteilen, ohne zu wissen, ob er es überhaupt verstanden hatte, hatte sie schon einmal gemacht und war es definitiv nicht wert, wiederholt zu werden. „Aber?“, fragte er monoton, was sie unmöglich auf seine Gefühlslage schließen ließ. „Na ja“, sagte sie, „es gibt da noch ein kleines Problem.“ Ein kleines Problem … Wie war sie nur auf diese Formulierung gekommen? Klein war ihr Kind nach gewissen Maßstäben schon, aber ein Problem war es ganz sicher nicht. Nicht für sie. „Du bist noch mit diesem Typen zusammen, oder?“ „Nein, mit ihm hab ich schon vor Monaten Schluss gemacht“, erwiderte sie. „Glaubst du etwa ernsthaft, ich könnte länger mit jemandem zusammen sein, den ich betrogen habe?“ Er antwortete ihr darauf nicht, sondern fragte: „Was ist es dann?“ Sie rückte ein Stück zur Seite und sagte: „Setz dich.“ Er rührte sich nicht vom Fleck. „Komm her – verdammt noch mal! – und setz dich“, forderte sie ihn beherrscht auf. „Das bist du mir schuldig.“ Shikamaru drehte sich zu ihr um und zum ersten Mal, seit er gegangen war, schaute sie ihn bewusst an. Sie spürte ein Durcheinander in sich aufkommen, doch sie ignorierte es. Temari griff automatisch nach einem Kissen und sie war versucht, mit ihm ihren Bauch zu verdecken, bis ihr klar wurde, wie albern das war. Er sollte schließlich zu ihr kommen, damit sie ihm sagen konnte, dass sie noch ein Kind erwartete und da war eine Verschleierungstaktik der völlig falsche Ansatz. Sie tat das Kissen zurück an seinen Platz, wandte sich nach rechts und bemerkte, dass er bereits neben ihr stand. Er musterte sie flüchtig und bemerkte tonlos: „Du bist schwanger?!“ Perplex davon, dass er es so direkt ansprach und dabei nicht einmal eine Miene verzog, nickte sie nur. „Ist es …?“ „Ja“, bestätigte sie ihm, „es ist dein Kind.“ Er setzte sich, lehnte sich zurück und schaute an die Decke. „Ich hab zwar dran gedacht, dass es passiert sein könnte, aber …“ „Daran hättest du besser gedacht, bevor wir ohne Verhütung Sex haben“, erwiderte sie ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme. „Und jetzt sag nicht, dass du mir vertraut hast. Das glaub ich dir auf keinen Fall, nachdem ich dir schon Kairi angedreht habe.“ Er sagte nichts. „Ich versteh wirklich nicht, was du dir dabei gedacht hast“, setzte sie nach. „Du hättest mich wenigstens fragen können, ob ich die Pille nehme.“ „Und du hättest selbst nichts sagen können?“, gab er zurück. „Natürlich hätte ich das. Dieses Kind ist auf dem Mist von uns beiden gewachsen, keine Frage, aber ich weiß zumindest, warum ich das Risiko eingegangen bin – was keine Entschuldigung sein soll –, doch was ist mit dir? Einfach unüberlegt loszulegen, ohne die Konsequenzen zu bedenken, passt nicht zu dir.“ „Wer sagt denn, dass mir die Konsequenzen nicht bewusst waren?“ „Wenn sie dir bewusst waren“ – ihr Blick löste sich von ihm und glitt zusammen mit ihrer linken Hand zu ihrem Bauch – „versteh ich es noch weniger.“ Temari begann, sanft über ihre Rundung zu streichen und schon kurz darauf spürte sie, wie ihr Sohn mit Bewegungen reagierte, die sie angenehm kitzelten. „Und ich verstehe nicht“, sagte Shikamaru, „warum du dich entschieden hast, dir das anzutun, wenn du dachtest, dass es mit uns vorbei ist.“ „Für mich kam es nie infrage, das Kind nicht zu bekommen“, antwortete sie. „Außerdem trägt der Kleine nicht die geringste Schuld daran, dass wir so dämlich waren.“ „Der Kleine?“ Sie musste über seine unerwartete Nachfrage schmunzeln. „Ja“, sagte sie, „wir bekommen wahrscheinlich einen Sohn.“ Sie musterte ihn aus den Augenwinkeln, doch es überraschte sie nicht, dass sich seine Mimik nicht verändert hatte. Er war, was Gefühle betraf, noch nie ein offenes Buch für sie gewesen. Beide schwiegen und da er nicht den Anschein machte, dass er das sobald änderte, bemerkte sie: „Du hast meine Frage, warum du die Möglichkeit in Kauf genommen hast, dass ich wieder schwanger werden könnte, noch nicht beantwortet.“ Seinem Blick nach zu urteilen, schien er seine Worte abzuwägen, dann sagte er: „Es war mir egal, ob es passiert.“ Sie zog die Augenbrauen zusammen. Mit so einer simplen und dummen Erklärung hatte sie nicht gerechnet. „Ich wollte immer zwei Kinder“, fuhr er fort, „und da ich geglaubt habe, dass zwischen uns wieder alles in Ordnung ist, dachte ich: Wenn es passiert, soll es halt so sein.“ „Seit wann gibst du was auf so einen schicksalhaften Blödsinn?“, fragte sie. „Es war ein dummer, zufälliger Zufall und sonst nichts.“ „Zufall, Schicksal … Ist das nicht völlig egal?“ „Ja“, stimmte sie ironisch zu, „es ist genauso egal, wie deiner Meinung nach die Tatsache, dass du mich wieder geschwängert hast … Es ist mir ein Rätsel, wie du das einfach so hinnehmen kannst.“ „Hinnehmen ist die einzige Option, schließlich bleibt mir keine andere Wahl“, erwiderte er nüchtern. „Aber selbst wenn ich sie hätte, würde ich mich nicht anders entscheiden. Ehrlich, es ist mehr als okay für mich, dass du noch ein Kind bekommst.“ Es war schön, dass sie seinen Standpunkt geklärt hatten, wenn er sich nicht außerhalb ihrer Logik befunden hätte. „Du hast Kairi bis jetzt nur an einem einzigen Abend für ein paar Stunden um dich gehabt. Wie kann da ein zweites Kind für dich okay sein, wenn du dich noch nicht einmal an das Erste gewöhnt haben kannst?“ „Gewöhnt vielleicht nicht“, gab Shikamaru zu, „aber mit ihm angefreundet.“ Unerwartet nahm er ihre freie Hand. Sie ließ es zu, auch wenn sie seine Geste nicht erwiderte. „Möchtest du wissen, mit welcher Erwartungshaltung ich vor drei Monaten hergekommen bin?“ Da sie ein Nicken andeutete, erzählte er weiter: „Mit gar keiner. Sie hat mich die ersten elf Monate ihres Lebens nicht einmal gesehen und ich war sicher, dass sie auf mich wie auf einen Fremden reagieren würde. Und dann war ich hier und sie war gleich von Anfang an so aufgeschlossen und neugierig, als würde sie mich schon länger kennen.“ Temari konnte ihm nachfühlen, wie bewegend das bei der ersten Begegnung auf ihn gewirkt haben musste. „Du hast einfach Glück gehabt“, sagte sie und lächelte. „Von Leuten, mit denen sie sonst nichts zu tun hat, hält sie sich eher fern – von Kindern mal abgesehen. Vielleicht hat sie ja geahnt, wer du bist?!“ „Jetzt redest du schicksalhaften Unsinn.“ „Die menschliche Intuition hat nichts mit Schicksal zu tun hat“, korrigierte sie ihn. „Erst recht nicht die von Kindern.“ „Gut“, sagte er, „das weißt du sicher besser als ich.“ „Ist das auch der Grund, warum du dachtest, dass ein zweites Kind nicht so furchtbar wäre?“ „So wie du es ausdrückst, klingt es zwar blöd“ – er schnaubte belustigt – „aber ja, irgendwie schon.“ So bescheuert seine Erklärung auch war: Sie konnte nicht anders, als zu lachen. „Es ist echt seltsam“, meinte sie, „dass ausgerechnet du, der sonst nur rationale Entscheidungen trifft, sich von etwas Emotionalem leiten lässt.“ „Seit ich das letzte Mal hier war, ist das Wenigste überlegt“, entgegnete er. „Aber du scheinst dich in dem Gebiet inzwischen auch ziemlich gut auszukennen.“ „Was dich betrifft sicherlich.“ Ihre linke Hand auf ihrem Bauch ruhte nun und sie bewegte lediglich die Finger sanft hin und her. „Auch wenn ich jetzt nicht so unbedingt drauf aus war, dass Kairi so schnell ein Geschwisterchen bekommt.“ „Warum hast du dann von dir aus nichts gesagt?“ „Es ist ein wenig komplizierter“, sagte sie. „Aber um es vereinfacht auszudrücken: Ich war naiv und verwirrt. Und als du mich geküsst und ausgezogen hast, wollte ich nur noch Sex. Für Vernunft war an dem Abend irgendwie kein Platz.“ Shikamaru schmunzelte. „Das klingt wirklich nicht besonders nach dir.“ „Wenn der Exfreund nach sechzehn Monaten vor der Tür steht und plötzlich doch seine Tochter sehen möchte, von der er zu dem Zeitpunkt mindestens elf Monate wusste, ist wohl kaum jemand ganz er selbst.“ Temari lachte kurz auf und fragte: „Was hast du eigentlich gedacht, als sie so auf dich zukam?“ „Gedacht? Nicht viel.“ „Nicht mal ein ›Verdammt, meine Tochter mag mich, obwohl sie mich gar nicht kennt‹?“ „Es könnte schon sein, dass mir irgendwas in der Richtung durch den Kopf gegangen ist.“ Sie wartete darauf, dass er weiter sprach und schließlich setzte er nach: „Im ersten Moment war es merkwürdig, eben da ich nicht damit gerechnet hatte, doch dann war es“ – er suchte nach dem passenden Wort – „nun ja, schön. Unglaublich schön sogar.“ Sie zog ihre Hand zurück, legte sie auf seine und drückte sie. „Irgendwann kam mir dann der Gedanke ›Scheiße, das hast du jetzt schon so lange verpasst‹ und mir wurde bewusst, wie dumm die Gründe waren, die ich vorgeschoben habe, um nicht herzukommen“, fuhr er fort. „Ich wollte auf keinen Fall, dass ich noch mehr von ihr verpasse und deshalb hab ich dich gefragt, ob du nicht mit mir mitkommen würdest. Dass du so klar mit Nein antworten würdest, hätte ich allerdings nicht gedacht.“ „Und deshalb bist du auf die Idee gekommen, dich versetzen zu lassen?“, fragte sie mit einem ernüchterten Lächeln. „So in etwa.“ „Aber warum nicht ganz, sondern nur für zwei Jahre?“ „Falls es mit uns als Familie nicht funktioniert.“ „Und weil du hoffst, dass ich es mir in der Zeit doch noch anders überlege, damit du deine Versprechen einlösen kannst“, ergänzte sie. Er wich kurz ihrem Blick aus, dann gab er zu: „Ja, das auch.“ „Und wenn ich stur bleibe?“ „Dann bleibe ich eben hier.“ „Aber was ist mit –“ „Du hattest Recht“, unterbrach er sie. „Mein König ist hier. Und kein Versprechen sollte wichtiger sein als er.“ Sie ließ ihn abermals los und rückte ein Stück näher. Dann nahm sie seine andere Hand und platzierte sie an der Stelle, an der ihr gemeinsamer Sohn in etwa liegen musste. „Und der andere ist hier“, bemerkte sie und lächelte. „Das heißt, wenn es denn zwei Könige geben kann.“ „Sicher“, antwortete er. Er drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf und fragte: „Sollte ich etwas merken?“ Sie deutete ein Kopfschütteln an und sagte: „Ich glaube eher nicht. Ich merke es selbst erst seit einer guten Woche.“ Seine Hand bewegte sich zaghaft hin und her und sie verspürte wieder dieses Zucken. „Jetzt zum Beispiel regt er sich ein wenig.“ „Hm“, meinte er mit einem Achselzucken, „ich bin wohl nicht sensibel genug.“ „In ein paar Wochen sieht es bestimmt anders aus“, sagte sie aufmunternd. „Es sei denn, er ist so faul wie deine Tochter. Kairi hat bis zum Schluss nicht viel davon gehalten, sich großartig bemerkbar zu machen.“ „Das hatte sie wohl von mir, was?“ Temari lachte, schenkte sich allerdings einen Kommentar darauf. Sie lehnte sich an die Rückenlehne der Couch an, schloss die Augen und spürte bewusst, wie er über ihren Bauch strich und ihr Kind von innen sanft dagegenhielt. „Wann hättest du mir eigentlich von ihm geschrieben?“, fragte Shikamaru plötzlich. Seine Worte hallten durch ihren Kopf und der Schädel schien sie bei jedem Kontakt wie ein immer lauter werdendes Echo zurückzuwerfen, bis es kaum noch auszuhalten war und sich ihr alter Bekannter, den sie so hasste, zurückmeldete – ihr schlechtes Gewissen. Ihre Lider gingen auf und sie fixierte ihren Blick auf den Fernseher. Der Charakter, den sie gewählt hatte, stand immer noch in dem dunklen Gang und die Umrisse seines Polygonmodells bewegten sich kaum merklich auf und ab. „Wenn er auf der Welt ist.“ Sie ließ ihm nicht die Gelegenheit, etwas darauf zu erwidern und setzte nach: „Zuerst wollte ich dir schreiben, nachdem ich die dreizehnte Woche erreicht hatte.“ „Du bist doch schon weiter, oder?“ „Ja.“ Sie nickte. „Ich bin in der siebzehnten Woche.“ Da er schwieg, fuhr sie fort: „Ich hatte tatsächlich schon etwas geschrieben, aber ich konnte es nicht abschicken. Ich war einfach zu enttäuscht. Und verletzt.“ „Und deswegen hast du beschlossen, es so wie bei Kairi zu machen?“ „Nein“, sagte sie. „Ich hatte beschlossen, dir gar nicht zu schreiben.“ Er zog seine Hand nicht zurück, hielt allerdings inne und sie spürte ein gewisses Unbehagen in sich aufsteigen. „Ich dachte, es wäre für alle das Beste“, setzte sie nach, „doch irgendwann wurde mir klar, was für eine egoistische Scheiße das war. Bis nach der Geburt zu warten wäre natürlich immer noch alles andere als fair gewesen, aber …“ Sie brach ab und schaute ihn nun direkt an. „Es tut mir wirklich leid, dass ich so verdammt falsch lag. Wenn Kankurou mir nicht ins Gewissen geredet hätte, könnte ich jetzt nicht mal in deine Richtung sehen, ohne vor Scham sterben zu müssen.“ „Es muss dir nicht leidtun“, sagte er. „Ich hätte an deiner Stelle vermutlich nicht anders gehandelt.“ „Du musst das nicht sagen, damit ich mich besser fühle“, gab sie zurück. „Da gibt es überhaupt nichts schönzureden.“ „Kann schon sein, aber was bringt es, etwas zu bereuen, das gar keine Relevanz mehr hat? Nur weil du auf einem Ego-Trip warst, den ich gewissermaßen sogar verstehen kann, ändere ich meine Meinung nicht.“ Sie lächelte müde. „Dann sollte ich mich wohl glücklich schätzen, was?“ „Und ich genauso.“ „Warum denn?“ „Weil du mich nach dem Ganzen nicht komplett abgeschrieben hast.“ „Bedank dich bei deinem Sohn“, sagte Temari. „Die Schwangerschaftsübelkeit war eine exzellente Ablenkung.“ „Ist es denn so schlimm?“ „Inzwischen geht es, aber die neun Wochen nach Kairis Geburtstag waren … nun ja, weniger toll. Um es harmlos auszudrücken.“ „Nicht nur in der Hinsicht, oder?!“ „Ich sag’s mal so: Das ständige Übergeben war das geringere Problem.“ Sie nahm wieder seine Hand. „Aber was passiert ist, ist passiert. Also vergessen wir’s. Ändern können wir es ohnehin nicht mehr.“ Sie sah noch ein flüchtiges Lächeln, dann beugte Shikamaru sich zu ihr herüber und küsste sie. Auch wenn sie wusste, dass es mit dem Vergessen sicher noch ein wenig dauerte, zögerte sie nicht und erwiderte seinen Kuss. Einen Kuss, der vor einer Stunde noch undenkbar gewesen wäre und der sie immer noch an der Realität zweifeln ließ. Sie schlang ihre Arme um seinen Nacken und lehnte sich zurück. Seine Hand glitt von ihrem Bauch an die Seite und auf die Sitzfläche, wo er sich abstützte, dann ließ er sich von ihr mitziehen. Plötzlich ertönte ein Räuspern und beide hielten inne. „Wolltest du mich nicht rufen, wenn dir jemand zu nahe kommt?“ Temari richtete sich auf und schaute direkt in das breite Grinsen ihres Bruders. „Ich hab alles im Griff, danke“, sagte sie. „Hast du nichts Besseres zu tun, als uns zu beobachten?“ „Das war reiner Zufall“, verteidigte Kankurou sich. „Ich hole nur den Film und bin sofort wieder weg.“ Da er sich nicht bewegte, meinte sie sarkastisch: „Das sehe ich.“ „Ach, lass mir doch die paar Sekunden“, gab er zurück. „Dich mal ansatzweise glücklich zu sehen ist ja eine ziemliche Seltenheit geworden.“ Sie blickte ihn einen Augenblick lang perplex an, dann zwickte sie ihm fest in den Oberarm. „Wofür war das denn?“, beschwerte er sich und ging rasch auf Sicherheitsabstand. „Du hast es gewusst!“, fluchte sie. „Du verdammter Arsch hast es gewusst!“ „Was denn?“ „Na, dass er herkommt! Das hast du – verdammt noch mal – gewusst!“ Kankurou massierte seinen Arm und murmelte: „Das ist doch absurd …“ „Dann ist es auch ein absurder Zufall, dass du seit zwei Tagen wieder mit mir redest? Das hängt also nicht hiermit zusammen?“ Ihr Bruder seufzte. „Hey, das hatte ich schon vor, bevor Gaara die Versetzung erwähnt hat“, sagte er. „Es hat’s nur ein wenig beschleunigt.“ „Ihr wusstet es auch noch beide?!“, fragte Temari empört. „Dir traue ich ja zu, dass du es mir nicht gesagt hast, um mir eins reinzuwürgen, aber Gaara?“ „Ich wollte dir keins reinwürgen, sondern die Überraschung nicht verderben“, verbesserte er sie. „Außerdem wusste ich es auch erst seit vorgestern. Und Gaara hat mir nicht den Anschein gemacht, als hätte er überhaupt den kleinsten Schimmer davon, was zwischen euch beiden abgegangen ist. Er dachte sicher, dass du längst Bescheid weißt. Oder was hast du ihm erzählt?“ Fassungslos starrte sie vor sich hin. „Nichts“, antwortete sie. „Nur, dass er der Vater ist … ansonsten überhaupt nichts.“ „Siehst du, selbstgemachte Leiden“, meinte Kankurou und für seine Klugscheißerei hätte sie ihm am liebsten auch noch in den anderen Arm gekniffen. „Wenn du offen mit ihm darüber gesprochen hättest, wärst du schon vor Wochen erlöst worden.“ Er ging im großen Bogen um die Couch herum, damit seine Schwester ihn bloß nicht erreichte, und angelte mit einem anmutigen Ausfallschritt den Film vom Tisch. Die Aktion wirkte so komisch, dass Temari ihren Ärger über ihn vergaß. Ihr Bruder musterte sie und grinste erneut. „Ach, Schwesterherz“, warf er im Anschluss ein, „was hat mich wirklich verraten? Kein normaler Mensch würde auf die Idee kommen, dass ich wieder mit dir rede, nur weil ich kurz zuvor erfahren habe, dass dein Exfreund“ – seine Augen huschten zu Shikamaru herüber – „ich meine, dein Freund – oder Was-auch-immer – hierher unterwegs ist.“ „Dein Grinsen vorhin, als ich zur Tür gegangen bin“, sagte sie, „und die Tatsache, dass ich ihn lebendig vorgefunden habe.“ Sein Grinsen verschwand und er zog die Brauen zusammen. „Für wen hältst du mich eigentlich? Für eins dieser blutrünstigen Monster, die du so gerne platt machst?“ „Das nicht“, erwiderte sie. „Aber was hast du neulich noch gesagt? ›Ich geh nach Konoha und bring ihn um!‹ Oder wie war das noch?“ „Von mir aus“, gab er zu. „Aber hab ich’s getan? Nein.“ „Ja, weil ich dich drum gebeten habe.“ „Es war kein Bitten, sondern ein Flehen“, merkte Kankurou belustigt an und eilte zur Tür. „Ich verzieh mich dann. Viel Spaß bei – Nein, ich will’s gar nicht wissen!“ Er zog eine Grimasse und verschwand in den Flur. „Danke“, rief Temari ihm nach, „ich hasse dich auch!“ „Ja, ja“, flötete er. „Du mich auch!“ Die Haustür fiel ins Schloss, dann klang nur noch eine leise Melodie durch den Raum. „Du hast also immer noch dieses fragwürdige Hobby?!“, fragte Shikamaru schließlich. Sie wandte sich ihm zu und entgegnete: „Was ist an Videospielen bitte fragwürdig?“ „Generell erstmal nichts“, sagte er, „aber sollte man von Horror nicht lieber die Finger lassen, wenn man schwanger ist?“ Sie seufzte. „Wenn man so schreckhaft wie ein wildes Tier ist, vielleicht“, gab sie zurück. „Aber okay, ich mach’s ja schon aus.“ Sie stellte den Fernseher und die Konsole aus und fragte anschließend: „Und was nun?“ Er antwortete ihr, indem er sie an sich zog und küsste. --- Langsam erwachte Temari aus dem Schlaf. Sie lugte mit einem Auge auf die Uhr an der Wand. Es war zehn nach sechs und aus dem Babyfon war noch nichts zu hören. Sie drehte sich auf den Rücken, richtete ihren Blick an die Decke und rieb sich die Schläfen. Einen bizarren, aber schönen Traum hatte sie gehabt und obwohl er sich gerade als rege Fantasie herausstellte, war ihr nicht zum Losheulen zumute. Nein, sie ließ die letzten Eindrücke noch ein wenig auf sich wirken und gab sich diesem Luftschloss hin, das sie sich erträumt hatte. Und bis sie abklangen, hoffte sie, dass Kairi aufwachte, damit sie sie vom Selbstmitleid und der Erkenntnis, wie sehr sie ihren Vater brauchte, ablenkte. Ihre Hand tastete sich unter ihrer Bettdecke vor. Sie fuhr unter ihr T-Shirt zu ihrem Bauch und begann, ihn liebevoll zu streicheln. Es dauerte nicht lange und sie vernahm die Regungen ihres Sohnes, dem lebhaften Goldfisch, dem sein kleiner Teich schon bald zu eng wurde. Ein Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Sie mochte die Vorstellung dieser Metapher, über die sich ihre beste Freundin sicher amüsiert hätte. Temari atmete ein, dann runzelte sie die Stirn. Sie tat es noch einmal, weil sie glaubte, dass die Nachwirkungen des Traumes ihr einen Streich spielten, doch es veränderte sich nichts. Instinktiv verpasste sie sich eine Ohrfeige. Ihre Wange kribbelte ein wenig, der Geruch verschwand allerdings nicht. Sie blinzelte ungläubig. Sie hatte zwar von ihm geträumt, aber wie zum Teufel konnte sie nach ihm riechen? Träume konnten einen ins Schwitzen bringen, doch dass der Körpergeruch eines anderen an einem hing, wenn man alleine war, war unmöglich. Und selbst wenn es tatsächlich passiert wäre, würde sie jetzt nicht ihr Schlafshirt tragen. Auf einmal saß sie gerade im Bett. Entgeistert zog sie den Kragen ein Stück von sich, nahm einen tiefen Atemzug und ihre Innereien verknoteten sich. Es war keine Einbildung. Sie roch definitiv nach ihm und das wiederum hieß – Sie ließ sich zurückfallen und schlug sich die Hände vor den Kopf. Das T-Shirt trug sie, weil sie letzte Nacht auf Toilette gegangen war. Und sie lag alleine in ihrem Bett, weil er gegangen war. Er hatte mit ihr geredet, mit ihr geschlafen und nun war er weg. Genauso wie beim letzten Mal. In ihrem Schädel pochte es lautstark von dieser Erkenntnis, doch ansonsten fühlte sie nichts. Es war so unwirklich für sie, dass sie weder Wut, noch Enttäuschung verspürte. Ihre Hand strich weiter unablässig über den Bereich unterhalb ihres Nabels und schließlich lächelte sie selbstironisch. Glücklicherweise bekam sie schon ein Kind, also war es ausgeschlossen, dass er sie noch einmal geschwängert haben konnte. Der Gedanke, dass ihr diesmal wenigstens diese Überraschung erspart blieb, beruhigte sie enorm. Temari schlug sie die Decke zurück und stand mit dem Beschluss auf, in die Küche zu gehen, sich einen Tee zu kochen und dann in Ruhe darüber nachzudenken, was sie tun sollte. Sie öffnete die Tür, trat auf den Flur und stockte. Sie war sich sicher, dass sie Kairis Zimmertür gestern Abend geschlossen hatte, aber nun war sie nur noch angelehnt. Sie tat einen Schritt und warf einen Blick durch den Spalt. Ihr Herz übersprang einen Schlag, die wirren Gedankenfetzen in ihrem Kopf lösten sich in Nichts auf und nichts als eine unglaubliche Erleichterung blieb zurück. Mit dem Handrücken fuhr sie sich über die Augen, um sicherzugehen, dass es keine Halluzination war, anschließend betrat sie leise das Zimmer. Sie blinzelte noch ein paar Mal, dann wusste sie, dass sich der Alptraum von vor drei Monaten nicht wiederholt hatte. Shikamaru saß auf dem Boden vor Kairis Bett und beobachtete sie durch die Holzstäbe hindurch. Sie lag auf dem Rücken, die Arme weit von sich gestreckt und da sie wie meist mit offenstehendem Mund schlief, präsentierte sie unbewusst ihre vorderen Milchzähne. „Wie kommt es, dass du schon auf bist?“ Er antwortete mit einem Schulterzucken und Temari hakte nicht weiter nach. Es überraschte sie nicht, dass er lieber hier saß und seine schlafende Tochter betrachtete, die er so lange nicht gesehen hatte. Da musste etwas wie Schlafen einfach zweitrangig sein, selbst wenn man es noch so gerne tat. „Sitzt du schon lange hier?“, fragte sie weiter. „Eine Weile“, sagte er. „Ich hab nicht auf die Uhr gesehen.“ Sie ging auf die Knie und setzte sich zu ihm. „Du hättest mich ruhig wecken können“, meinte sie. „Als ich eben aufgewacht bin, hatte ich ein unschönes Déjà-vu.“ „Entschuldige“, murmelte er, „war keine Absicht.“ Temari lächelte nur, dann lehnte sich an seine Schulter und er legte im Gegenzug einen Arm um sie. Ein paar Minuten saßen sie so schweigend da, bis er fragte: „Darf ich sie wecken?“ „Abgelehnt!“, entgegnete sie prompt. „Sie ist unausstehlich, wenn sie aus dem Schlaf gerissen wird.“ Sie machte eine Pause, dann fuhr sie fort: „Aber wenn du dich den ganzen Morgen mit ihrer Quengelei herumschlagen möchtest, bitte. Erwarte aber bloß keine Hilfe von mir.“ „Schade“, bedauerte Shikamaru und blieb sitzen. „In spätestens einer Viertelstunde wacht sie ohnehin auf“, sagte sie. „Und immerhin ist dein anderes Kind dafür wach. Nur, falls es dich interessiert.“ Er legte seine Hand auf ihren Bauch, sagte allerdings nichts. Sie spürte, wie ihr Sohn ein wenig aktiver wurde, aber sie bezweifelte, dass es schon kräftig genug war, um es von außen zumindest erahnen zu können. Das war einerseits schade für seinen Vater, andererseits vielleicht auch besser so, denn so gab es ihm noch etwas mehr Zeit, damit er es realisieren konnte. Ihr stark ausgeprägter Fünf-Monats-Bauch reichte als Eindruck erstmal aus, schließlich hatte er vor weniger als zwölf Stunden nicht einmal den Hauch einer Ahnung gehabt, dass sein zweites Kind unterwegs war. Bei der Aussicht wunderte es sie schon ein bisschen, dass er sich überwunden hatte und geblieben war. Vielleicht war er nur nicht gegangen, weil es noch zu unwirklich für ihn war. „Bist du dir sicher, dass du das möchtest?“ „Ja“, antwortete er, „warum fragst du?“ „Na ja, als du hergekommen bist, bist du davon ausgegangen, dass du dich nur auf ein Kleinkind einstellen musst. Und dann bist du hier und stellst fest, dass du in weniger als einem halben Jahr noch ein zweites Mal Vater wirst“, sagte sie. „Das muss ziemlich surreal für dich sein, oder?“ „Nein“, erwiderte er. „Ich hab zwar nicht wirklich damit gerechnet, aber so sehr überrascht es mich dann doch nicht, um es als surreal bezeichnen zu können.“ „Aber zwischen einer vagen Vermutung, die irgendwo im Hinterkopf herumschwirrt, und einer Tatsache besteht ein großer Unterschied, findest du nicht?“ „Sicherlich“, gab er zurück, „aber ich komm schon zurecht.“ „Meinst du wirklich?“ „Wirklich“, bestätigte er und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. „Und selbst wenn nicht, kann ich deinen Bauch schlecht ignorieren, selbst wenn ich wollte.“ Temari lachte. „Das ist wohl wahr.“ Es raschelte und ihre Aufmerksamkeit fiel zurück auf das Kinderbett. Kairi trat ihre Decke von sich, warf sich ein paar Mal hin und her, dann öffnete sie ihre Lider. Verschlafen schaute sie die beiden Gesichter an, die sie beobachteten. Sie rieb sich ein paar Mal die Augen und gähnte, schließlich setzte sie sich auf und fixierte ihren Blick auf die ihr weniger bekannte Person. Das Mädchen musterte ihren Vater aufmerksam, legte den Kopf schief, blinzelte – und lachte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)