Der Rabe in der Hand von Hotepneith (Der 26. Fall Lord Sesshoumarus) ================================================================================ Kapitel 6: Selbstmord? ---------------------- Hato brachte Hotaru lieber selbst zu dem Hundeprinzen, da sein Sohn aufgeregt vor Schmerz und Trauer war. Nicht, dass er jetzt noch auch den Kleinen verlor. Höflich verneigte er sich und das Küken, dessen aufgestellte schwarze Federn auf dem Kopf seine Gefühle verrieten, erkannte den Hinweis und kniete sich eilig nieder. Ja, da hatte Papa wohl Recht und er sollte sich besser zusammennehmen. Dieser Köter hatte ja schon bewiesen, dass er Unhöflichkeit nicht duldete...aber Buki..... Er musste sich zusammennehmen. Seine Eisigkeit geruhte zu sagen: „Du darfst gehen, Hato. Erkundige dich im Schloss, ob weitere Juwelen oder Schmuckstücke fehlen.“ Nicht, dass hier ein Seriendieb herumstreunte und der Vogelstein eigentlich schlicht als Schmuck gestohlen worden war, nicht als Herrschaftssymbol – und nur durch die beiden toten Krieger noch hier war. Allerdings: wozu dann diese Liste? Niemand war gewöhnlich so töricht und ließ ein Beweisstück liegen. Die lebenslang gewohnte Disziplin ließ den Burgvogt nur sagen: „Ja, Lord Sesshoumaru,“ obwohl er ein wenig empört war. Es hatte noch nie einen Diebstahl hier im Schloss gegeben. Was dachte der Erbprinz denn? Nun ja, gab er sich schon im Gehen zu, die Hundedämonen hatten wohl keinen besonders guten Eindruck von den Zuständen hier im Schloss erhalten. Hoffentlich ruinierte das nicht die Verhandlungen Lord Karasus. Hotaru bedauerte, dass sein Vater weg war, sah aber auf, unwillkürlich nach dem Balken blickend, an dem sein großer Bruder zuvor gehangen hatte. Ach, Buki.... „Hierher.“ Verwirrt starrte das Küken auf den Älteren: „Äh...Lord Sesshoumaru?“ Etwas nachdrücklich zeigte der so Angesprochene zu seinen Füßen. Sakura hätte sofort begriffen, was er wollte. Ein Menschenmädchen! Wirklich, wenn er sich je einen dämonischen Diener auf Dauer zulegen würde, würde er vermutlich eigenhändig dafür sorgen müssen, dass dieser auch wortlose Befehle richtig verstand. Aber schön, er sollte den Kleinen ja besser nicht umbringen. Vater würde ihm kaum verzeihen, wenn durch seine, Sesshoumarus, mangelnde Selbstbeherrschung die Verhandlungen scheiterten. Und eine weitere Strafe diesbezüglich benötigte er wirklich nicht, wenn er so an Kano samt Familie dachte. Hotaru war etwas empört, stand aber auf und kniete erneut nieder. War das peinlich! Sein aufflammender Zorn verdrängte fast die Trauer. „Weißt du, was das bedeutet?“ „Der Zettel?“ Der kleine Vogeldämon las irritiert die Spalten: „Keinen blassen Schimmer...äh, ich meine, nein, Lord Sesshoumaru.“ Dieser ließ seine Hand sinken: „Mit wem war Buki befreundet?“ Er bemerkte, dass Hotaru die Lippen zusammenpresste. Das reichte jetzt wirklich. Er sollte hier gegen seinen eigentlichen Willen herausfinden was passiert war - und dieses törichte Küken stellte sich quer. Im nächsten Moment quietschte der Kleine unwillkürlich. Als Hotaru realisierte, dass ihm eine seiner längeren Kopffedern ausgerissen worden war, sprang er gegen alle guten Vorsätze auf und starrte zu diesem...diesem Hundeidioten auf. Oh, er konnte gar nicht ausdrücken, was er dem jetzt alles an den Kopf werfen würde... Er öffnete den Mund, aber seine Beleidigungen blieben ihm im Hals stecken, als er sah wie die Finger seines Gegenüber seltsam grün aufleuchteten, seine Feder zwischen ihnen ebenso – und einfach weg war. Verschwunden. Er schluckte, da er die wortlose Drohung begriff, und ließ sich lieber wieder zu Boden sinken. Was war das denn gewesen? Gleich. Das nächste Mal würde nicht nur eine seiner Federn dran glauben müssen, da war er plötzlich ganz sicher. Papa hatte ihn doch gewarnt. Diese Hunde waren der Fürst und der Erbprinz der westlichen Länder, das war eine ganz andere Kategorie als Papa und gar er..... Er brachte irgendwie hervor: „Ich weiß nicht, was es mit dem Zettel auf sich hat, Lord Sesshoumaru, ehrlich. Ich weiß nur, dass Buki und ...und....ein Freund gern miteinander wetteten.“ Er wollte doch niemanden hinhängen. Wette? Was sollte das denn? „Name.“ Es gab keinen Ausweg: „Cho....Chokawa.....glaube ich.“ „Um was wetteten sie?“ „Ich weiß es nicht....“ Hotaru sah hastig auf: „Bitte, nicht wehtun.....“ Kinder im Verhör waren lästig. „Buki sagte nie etwas darüber?“ „Er sagte nur, dass es nichts Schlimmes sei, weil ich meinte, dass er keinen Ärger bekommen solle....Er...er wollte doch Papa nachfolgen....“ Seine Stimme schwankte. Seine Lordschaft ließ das kalt: „Chokawa?“ „Er....er ist auch ein Krieger hier, ein Vogeldämon.“ „Ist das dort die Schrift deines Bruders?“ „Woher soll ich das denn....äh....Nein!“ Das Küken legte instinktiv die Hände auf den Kopf und verbesserte sich eilig: „Das weiß ich nicht, Lord Sesshoumaru. Er...Buki...er hat mir doch nie geschrieben....“ Kälter als Schnee fiel die nächste Bemerkung: „Sage deinem Vater, dass ich Chokawa sprechen will. Sofort.“ „Äh, ja, Lord Sesshoumaru.“ Froh, der anscheinend sehr gefährlichen Nähe des Hundedämons entkommen zu können, rannte Hotaru im Eiltempo davon. Wette? Hatte dieser Zettel etwas damit zu tun? Aber was war dann mit Ori? Und mit dem Vogelstein? Immerhin stand der auch auf der Liste und der Diebstahl des wertvollsten Besitzes des eigenen Herrn fiel wohl kaum unter „nichts Schlimmes“. Hm. Er musste nach dem Verhör dieses nächsten Kriegers – hoffentlich lebte der wenigstens noch – mit Lady Hasu reden. Womöglich hatte Ori heute morgen bei dem kleinen Ausflug irgendetwas erwähnt. Selbstmörder fassten ihren Plan ja meist ein wenig vorher. Oder war es schlicht der Schock gewesen, als der den Diebstahl entdeckt hatte? Da niemand sonst anwesend war bückte Seine Lordschaft sich höchstpersönlich und nahm den Zettel noch einmal zur Hand. Es blieb dabei. Drei Spalten, die erste mit immer wertvoller werdendem Schmuck in zehn Positionen, die letzte wies den Vogelstein aus. Die zweite Spalte Ziffern, die dritte ebenso, wobei die Zahlen der letzten Spalte stets um zwei Punkte höher lagen als die der davorstehenden. Nur hinter dem Vogelstein stand nichts. Nun gut, Chokawa würde sagen müssen, ob das mit der Wette zu tun hatte und wenn ja, was. Wenn nicht....hm. War Buki auf etwas gestoßen und hatte darum sterben müssen? Immerhin hatte er heute Wache gehabt. Und ein Selbstmord war fast auszuschließen. Überdies: wenn dieser Zettel ein Beweisstück war, warum hatte jemand ausgerechnet den Vogelstein darauf gelegt? Ach, waren diese Piepmätze und ihre Einfälle lästig. Er musste fast zwanzig Minuten warten, ehe der Burgvogt mit einem jungen Krieger hereinkam, beide unbewaffnet, wie es die Höflichkeit gebot. Sie knieten nebeneinander vor dem Dämonenprinzen nieder. „Chokawa, Lord Sesshoumaru,“ meldete Hato: „Darf ich Euer Lordschaft Bericht erstatten?“ Da keine Antwort in diesem Fall wohl auch eine war: „Es liegen keine weiteren Diebstähle im Schloss vor, soweit meine Männer das in der kurzen Zeit nachfragen konnten.“ Hm. Hotaru war verschreckt gewesen, aber anscheinend unverletzt aus einer heiklen Situation herausgekommen. Dieses Küken musste wirklich lernen den Mund zu halten...Aber als Jüngster war er natürlich von allen verwöhnt worden, zumal nach dem frühen Tod der Mutter. „Du darfst gehen.“ Chokawa, also? Sesshoumaru senkte seinen Blick auf diesen, ohne den Burgvogt weiter zu beachten. Schwarze Haare wie die meisten Rabendämonen, dazwischen jedoch weiße, fast ähnlich einem Dachsdämon, wie er sie von zuhause kannte, im Alter ungefähr von Buki, vermutlich schwarze Augen, die der junge Krieger jedoch zu Boden gerichtet hielt. „Du warst mit Buki befreundet.“ „Ja.“ Hm. Kurz und knapp, ja, wie er es eigentlich mochte, aber das war fast zu kurz: „Du weißt, dass er tot ist.“ „Ja, Lord Sesshoumaru.“ „Erkläre das hier.“ Der Hundeprinz ließ den Zettel nachlässig zu Boden fallen, kurz vor den jungen Krieger: „Eure Wette?“ Chokawa atmete tief durch. „Hotaru hat geplaudert.“ „Rede.“ Nur ein Selbstmordkandidat hätte die Warnung in diesem Wort überhört, zumal der Krieger wusste, dass der Hundedämon im Auftrag des Herrn der Vögel fragte: „Äh....ja, Lord Sesshoumaru. Es handelt sich um unsere Wette, eigentlich.“ Es kam nichts und er blickte vorsichtig ein wenig auf: „Es war nur ein harmloser Scherz, eine Wette, eben.....Es...es sollte doch nie so enden!“ Ah, das war der richtige Weg. Trotz gewisser Erleichterung meinte der widerwillige Ermittler nur: „Die Fakten.“ „Wir...wir sprachen eines Tages über die verschiedenen Fähigkeiten von uns Vogeldämonen und ich behauptete, wir Elstern seien die Schlauesten. Buki meinte spöttisch im Stehlen, aber das könne jeder Rabe genauso gut. So kamen wir überein, das...das auszuprobieren.“ Chokawa starrte auf die Liste vor sich. „Es war ausgemacht, dass jeder dem Anderen das Stück zeigte und dann wieder zurücklegte. Es war nur eine Wette, kein Diebstahl.“ „Lord Karasu wird das anders sehen.“ Der Elsterdämon schüttelte etwas den Kopf: „Wir haben immer alles zurückgegeben. Das steht hier...die letzte Spalte, wann....Zwei steht für den Tag des....Ausleihens, vier für den der Rückgabe. Oder hier fünf und sieben. Den meisten Besitzern fällt das nicht auf und sie nehmen nur an, sie hätten es verlegt. Nie hat jemand etwas gesagt oder auch dem Burgvogt Bescheid gegeben. Wir hatten die Liste gemeinsam erstellt, nach dem Schmuck, der auf dem letzten Fest getragen wurde.“ Also waren das zwei Handschriften – und die Zahlen standen für bestimmte Tage. Immerhin eine Erklärung. „Weiter.“ Chokawa zögerte einen Moment: „Nach neun...Aktionen führte ich und Buki schlug als Gipfel den Vogelstein vor, den er mir zeigen würde. Ich hielt das für ausgeschlossen, schließlich ist bekannt, dass unsereins zwar Ori für eine Stunde ersetzen würde, aber der Bann auf dem Riegel unüberwindbar war. - Und dann zeigte er ihn mir heute morgen.“ „Wie wollte er ihn zurücklegen? Ori wachte stets.“ „Er sagte, er habe einen Plan. - Und dann hörten wir, dass Ori tot aufgefunden wurde, sich umgebracht hatte. Er...er hatte das Fehlen bemerkt....“ Seine Stimme schwankte. „Ihr erschrakt.“ Chokawa blickte auf: „Erschrecken, oh, Lord Sesshoumaru....mehr als das. Viel mehr. Ori war unser Vorbild, das Musterbild eines Kriegers, alles, was wir bewunderten....Buki...“ Er brach ab. Sesshoumaru verstand. Buki, voll schlechten Gewissens und der Sohn des ehrenhaften Burgvogtes hatte nun seinerseits die Konsequenz gezogen. „Du hast den Hocker geholt und mitgenommen?“ „Ja, Euer Lordschaft. Das war alles, was ich für meinen besten Freund noch tun konnte.“ Er wollte den Selbstmord vertuschen und Buki lieber als Ermordeten hängen lassen, im wahrsten Sinne des Wortes, um dessen postume Ehre zu retten. Darum hatte er wohl auch den Vogelstein hier gelassen, zumal er selbst nicht wusste, wie der Bann zu lösen wäre oder wie er den neuen Wächter täuschen konnte.„Wie lange wolltest du schweigen?“ „Ewig.- Ich dachte, wir dachten, wenn Lord Karasu den Vogelstein wieder hat, würde er nicht weiter nachsuchen...Und Buki bat mich, seinem Vater nicht zu erzählen, wie töricht wir gewesen waren.“ „Was dir zupass kam.“ Chokawa sah auf: „Ja, natürlich, Euer Lordschaft...Ich trage indirekt mit an Oris Tod Schuld, aber auch an Bukis.“ Hm. Das klang alles ganz logisch und würde auch Bukis Selbstmord erklären, zumal, wenn da einer den Hocker spazieren getragen hatte. Nur, was war mit Ori? Warum hatte der sich umgebracht ohne zuvor Alarm zu schlagen, seinem in so tiefer Treue gedienten Herrn nicht mitzuteilen, dass dessen wertvollster Besitz verschwunden war? Oder, war eben DAS kein Selbstmord? Hatte Buki nur zu gut gewusst, dass er Schuld an dessen Tod war? War Ori etwas zu früh zurück gekehrt? Immerhin hatte er schon mal ein Geständnis: „Wir gehen zu Lord Karasu und du erzählst ihm eben dies.“ Und er selbst müsste dem Hausherrn klar machen, dass er unbedingt mit dessen Gemahlin sprechen musste. Oris Tod war nunmehr der Rätselhaftere der beiden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)