Stumme Sehnsucht von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 30: Entgültigkeit ------------------------- Es war dunkel geworden. Straßenlampen begannen ihren Dienst für die kommende Nacht. Der Geruch nach ausgekochten Innereien, aus denen das Öl der Lampen gewonnen wurde erfüllte die Luft. Zwei Gestalten eilen tief verborgen in ihren dunklen Umhängen die Straßen entlang. Es war ihnen anzusehen, dass hier etwas Verbotenes vonstatten ging. Die kleinere Gestalt schmiegte sich enger an ihren Begleiter, auf der allzu trügerischen Suche nach Schutz. Sie bewies wiederholt, wie weltfremd und naiv sie in solchen Dingen war, trotz der namenhaften Lehrer, welche sich um ihre Bildung bemüht hatten und der nicht unerheblichen Lebensspannen. Ihr Mantel, zwar warm und schwarz, wie die Schatten der Nacht, war aus schimmerndem Samt, mit nerzgefütterter Innenseite. Kein Kleidungsstück, was in diesem Teil von Paris gehörte. Kamen sie näher an einen der Straßenlaternen, dann schimmerte der Stoff facettenreich unter den Strahlen des Lichts. Selbst das Klappern der zierlichen Absatzschuhe war ein eher ungewöhnliches Geräusch zu dieser Stunde, in dieser Gegend von Paris. Jedem Straßenmädchen, jedem Bettler, jedem Gauner, Meister der Beobachtung, weil dies zu ihrem Geschäft gehörte, wären sie aufgefallen. Doch das Glück wollte, dass sie unbeobachtet blieben. Die Rue de Marchè-Saint-Honorè erstreckte sich menschenleer vor ihnen. Wortlos und dicht im Schatten der Häuser haltend, eilten sie weiter, bis sie Schritte hörten. Schnell wichen sie in eine der Seitenstraßen aus und lauerten atemlos im Verborgenen. Marie-Antoinette hörte wie ihre Geliebter die Luft anhielt. Sie setzten mit ihrem heimlichen Treffen ihr Leben aufs Spiel, aber genauso wenig konnten sie in Zeiten der Not voneinander lassen. In den Gängen der Tuillerien gab es keinen Ort, an dem sie sich heimlich treffen konnten. Es blieb nur die Hetzjagd durch die Straßen von Paris, die Dunkelheit als Schutz, den Hass des Volkes im Nacken. Marie-Antoinette schmiegte sich enger in von Fersen's Arme und sog den feinen Duft seiner Haare ein. Sie konnte fühlen, wie sein Herz schlug, laut und schnell. Beide hörten, wie die Schritte langsam näher kamen. Die Königin stutzte, als die schlanke Gestalt durch einen der Lichtkegel der Straßenlaternen trat. Oscar? Ihre Augen weiteten sich und sie war sich sicher, einem Trugbild zu erliegen. Das Licht der nächsten Straßenlaterne erfasste die Gestalt. Marie-Antoinette konnte hören, wie auch der Graf die Luft hart einsog. Es war kein Irrtum möglich. Das gleiche blonde lockige Haar, die feinen Gesichtszüge, die Körperhaltung, der ernste Zug um die Mundwinkel, der stolze Blick der Augen. "Oscar?" wisperte Marie-Antoinette und sucht nach der Bestätigung in von Fersen's Augen. "Das ist nicht möglich," flüsterte der Graf kaum hörbar zurück. "Sie ist tot. Wir erliegen sicher einer Täuschung. Das Licht spielt uns einen Streich." Seine Geliebte nickte bestätigend. Die Unbekannte war jetzt auf gleicher Höhe mit der Gasse, in welcher sich Marie-Antoinette und von Fersen versteckt hielten. Auch das Profil stimmte überein. Aber es konnte nicht Oscar sein. Seit dem Sturm auf die Bastille war der ehemalige Kommandeur verschwunden. Ihre Mutter, Lady Jarjaye hatte in Anwesenheit der Königin eine geheime Totenmessen für ihre Tochter abhalten lassen, da General de Jarjaye jede Erinnerung an seine Tochter verbot. Die auf der Bastille eingesetzten Offiziere berichtet, wie sie den Befehlshaber der aufständigen Truppe unter dem Kugelhagel tödlich getroffen fallen sahen. Das heimliche Paar wartete, bis die Gestalt die Straßen hinunter verschwand. Sie wollte gerade ihren Weg weiter fortsetzten, als sie bemerkten, dass ein Dritter die abgestandene Gassenluft mit ihnen teilte. Sie waren nicht mehr alleine. Außer Atem starrten sich drei Augenpaare verschreckt an. "Andrè?" Von Fersen sah abwechselnd Andrè an, dann die Straße hinab, der immer kleiner werdenden Gestalt nach. "Graf von Fersen ... Majestät?" entfuhr es André verschreckt. Er beugte sich verblüfft vor, um genauer in den Schatten der Kapuze sehen zu können. "Was macht Ihr ... dann war das doch Oscar?" fragte von Fersen ungläubig. "Wer das? ... Neeein!" Eine Verneinung mit dreifachem "E" und der phlegmatisch, geduldige Gesichtsausdruck eines Mannes, von dem man getrost ein Pferd kaufen konnte. Wer würde seinen Worten nicht glauben. Wenn nötig war Andrè bereit abzustreiten Oscar jemals gekannt zu haben. "Aber doch." "Neeein!" "Doch!" "Neeein!" Es fiel ihm überhaupt nicht schwer drei "E's" zu formulieren, dabei schüttelte er heftig den Kopf. "Wollt Ihr Eure Königin anlügen, Andrè?" mischte sich die Königin ein. "Aber nein, Eure Majestät?" "Ihr lügt! Dies war Lady Oscar Warum folgt Ihr ihr sonst?" "Damit Ihr nichts passiert, Eure Majestät ... aber ich lüge Euch nicht an," beeilte sich er zu versichern. "Oscar Francois de Jarjaye wurde für tot erklärt, von ihrer Familie, vom Staat, auf dem Papier. Ihre Titel wurden ihr aberkannt, sie ist aus der Familienchronik gestrichen und ihr Vermögen wurde eingezogen." "Aber körperlich existiert sie noch?" hackte der Graf nach. "Das schon," räumte Andrè widerstrebend ein. "Aber dann ..." Marie-Antoinette zupfte aufgeregt an von Fersen's Ärmel. "Aber wenn Oscar noch lebt...." "Nein, Eure Majestät," unterbrach sie Andrè. "Aber ..." "Ich weiß, was Ihr sagen wollt, aber ich werde es nicht zulassen. Oscar hat Euch 20 Jahre lang gute und treue Dienste geleistet. Sie ist aus dem Militärdienst entlassen. Wir werden fortgehen. Dieses Land hat ihren Namen für tot erklärt und sie selbst fast getötet. Ich werde sie fortbringen, bevor sie es ganz schaffen." "Vielleicht möchte mir Oscar wieder dienen?" widersprach die Königin. "Sicherlich wird sie sich verpflichtet fühlen, aber von dieser Pflicht werde ich sie entbinden. Darum wird sie auch nichts über dieses Treffen erfahren und nun entschuldigt mich bitte, bevor ich sie aus den Augen verliere!" Die Königin hielt Andrè am Arm fest. Ihre Augen schimmerten vor Tränen. Die letzten Monate hatten ihr körperlich zugesetzt. Die Knochen in ihrem Gesicht schienen nichts lieber zu sein, als die blasse Haut durchstoßen zu wollen. "Ich habe sonst niemanden. Die Revolutionen hat mir jeden meiner Vertrauten genommen. Ich bin allein, schrecklich allein." "Es tut mir leid, Eure Majestät," Andrè sah sie ruhig an. "Ich habe mein gesamtes Leben darauf gewartet, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Ständen fallen, damit ich sie endlich lieben darf ... ich ein einfacher Bürgerlicher, ohne Titel, ohne Vermögen." Tränen rannen über Marie-Antoinettes Wangen. Von Fersen löste sanft ihren Hand von André's Arm und nickte diesen verstehend zu. "Au revoir mein Freund und viel Glück Euch beiden." Mit einem dankenden Nicken verschwand Andrè in der Dunkelheit. Die Königin weinte kummervoll in den Armen ihres Liebhabers. Andrè hastete die Rue de Revolin entlang. Endlich kam ihr Fluchtort in Sicht. Die wenige Zeit, die ihnen noch in Frankreich blieb, verbrachten sie in den zwei Zimmern, in der Rue de Revolin. Andrè beschleunigte nochmals seine Schritte. Er beeilt sich, um vor Oscar zurück zu sein. Es war ein langer Nachmittag gewesen, seit Oscar aufgebrochen war und er ihr wie ein Schatten folgte. Nicht sicher, ob sie sein Verhalten gutheißen würde riss er die Tür auf und stand ihr direkt gegenüber. " "Ehm..." Es mangelte dem Wort an Aussagekraft. Oscar legte ihm lächelnd den Finger auf den Mund, packte seinen Mantelkragen, zog ihn hinab, um ihn zu küssen, dass es ihm Atem und Sprache verschlug. Der Geruch ihrer Haare, die Süße ihre Lippen luden seine Haut statisch auf. Wollige Erregung im Lendenbereich und die Auslastung der Produktionsfähigkeit seiner Drüsen waren die Folge. "...," brachte er hervor. "Du bist mir gefolgt?" "Ähm, ja." Sie sah ihn liebevoll an. "Du warst es, schon immer." "Was meinst du?" "Es warst immer du. Ich dachte immer, ich wäre die Starke, die Unverwundbare. Dabei bist du es." Andrè strich ihr sanft die vorderen Haarsträhnen aus ihrem Gesicht. "Seit unserer Kindheit bist du an meiner Seite, der Schatten, der mich beschützt," fuhr sie fort. "Ich konnte mich in Versailles nur frei bewegen, weil du an meiner Seite warst, du bist mit mir in die France Garde gewechselt, obwohl sich unsere Wege getrennt hatten. Du hast dich gegen mein Vater gestellte und wolltest für mich sterben. Nie werde ich diese Nacht vergessen. Du hast dein Auge verloren, um mich zu befreien. Du hast dich Robespierre ausgeliefert, um mich zu schützen. Obwohl du es mir hättest sagen könne, du Narr. Das hätte uns viel Ärger erspart." Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel darüber, dass Narr als Äquivalent für eine eher handelsüblichere Koseform für Verliebte stand. "Es tut mir leid, Oscar. Ich würde meinen Arm hergeben, um es ungeschehen zu machen." Oscar tätschelte seinen Rücken. "Mit zweien bist du besser dran." Andrè öffnete langsam ihren Umhang und folgten dem schweren Wollstoff mit seinen Händen. "Selbst bei meinem Schmerz wegen von Fersen hast du mir geholfen." Ihre Stimme wurde sanft und zart, wie Seide. Erstaunt hielten Andrè's Hände auf halbem Weg. "Nicht aufhören!" Ein Befehl kaum mehr als ein Flüstern. Seine Hände setzten ihre Wanderung fort. "Ich war so zerrissen. Das deine Worte der Wahrheit entsprachen, wollte ich nicht akzeptieren, aber dennoch haben sie mir geholfen und nun sieh, wohin du mich gebracht hast! Ich fange an Frauenkleider zu tragen." Oscar lachte leise. "Obgleich mir deine Leidenschaft in dieser unseligen Nacht Angst eingeflösste. All die Jahre dachte ich dich zu kennen, nur das du mich innerhalb weniger Minuten eines besseren belehrtest. " "Sprich nicht mehr davon." "Was wäre gewesen, wenn du mir früher deine Liebe gestanden hättest? "Du hättest mich früher von dir fortgeschickt!" Er bog ihren Kopf zurück und liebkoste federleicht mit den Lippen ihren Hals. "Du wärst nicht gegangen." Oscar schloss die Augen und gab sich den Gefühlen hin, die seine Hände und Lippen in ihr auslösten. Die Häarchen auf der Hautoberfläche richteten sich auf, der Magen zog sich zusammen, als die Wollust, wie heiße Lava durch sein Inneres fuhr, ihr Nervensystem begann an seinen Abermillionen Endpunkten zu kribbeln. Hormone signalisierten schon fast schmerzhaft höchste Bereitschaft. "Meine Mutter ist tot, mein Vater so gut, wie gestorben ... er stand einfach vor mir und bezeichnete mich als Schandfleck. Ein Schandfleck ... während unmittelbar neben ihm meine Mutter in meinen Armen starb." "Schhhh, ich weiß, Oscar." Er hielt mittlerweile ihr Hemd in der Hand und runzelte die Stirn, als versuche er sich an einen Einkaufszettel zu erinnern. Berauscht im Hormonstrudel landete Kleidungsstück >B< tapfer gezielt neben dem Stuhl. "... im ganzen Schloss haben sie gewütet und geplündert und Sophie saß inmitten des Elends..." Als wäre der Damm gebrochen sprudelten die Worte aus Oscar. Teils Empörung, teils Entrüstung. Andrè ließ sie gewähren. Vielleicht musste sie darüber sprechen, jetzt und hier, damit nicht mehr darüber gesprochen werden musste. Wohin mit der Hose? Das letzte Kleidungsstück fiel. Mit fliegender Hast entledigte sich Andrè seiner Sachen und warf diese von sich. "... woher nahmen sie sich das Recht mich einzusperren. Habe ich mich nicht auf die Seite des Volkes gestellt, habe ich nicht bewiesen, dass ich für ihre Sache kämpfe ..." Oscar verlor den Faden, da Andrè sich an ihrer bloßen Haut zu schaffen machte und ihr den Verstand raubte. Sie musste sich an ihm festhalten, da sonst ihre Beine nachgegeben hätten. "... Jean-Luc erzählte, dass ... Robespierre uns überwachen ließ und keiner unserer Schritte ihm unbekannt wären. Wie kann dieser Mann derart anmaßend sein ... o-h-mein-Gott, Andrè ..." Andrè hob sie hoch und trug sie zum Bett. Er ächzte, als sein kaum verheilter Arm schmerzhaft zog. Abstützend mit dem Arm sah er sie an. "Sie haben mich in die Conciergie gesteckt." "Ich weiß!" "Sie haben mir die Kraft genommen, die ich brauchte. Es hatte keine Chance zu überleben." "Ich weiß!" sagte er sanft und küsste sie. "Nimmst du mich überhaupt ernst?" "Aber natürlich, so erst, wie es mir möglich ist, wenn wir uns an diesem Punkt befinden." Und dann bewies er warum Liebe das süßeste ist, was es gibt. Süß genug, dass es Honig daneben bitter schmecken lässt, süß genug, um das Elend der vergangenen Monate auszulöschen, süß genug, um die Ängste der Zukunft zu vergessen. *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)