Stumme Sehnsucht von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 25: Bekanntschaften --------------------------- Oscar lief langsam die Straße hinab. Die Schwärze der Nacht wich langsam dem schattenlosen Licht der ersten Morgenstunden. Die Dämmerung tauchte die Straßen in düstergraues Licht. Geschmückt mit dem glitzernden Gewand einer frostkalten Nacht, war die morgendliche Welt erfüllt mit Stille und Ruhe. Derart Lautlos, dass das gleichmäßig dumpfe Geräusch ihrer Stiefelschritte der Stille mehr Tiefe gab. Ihre Schritte lenkten sie ohne ihr Zutun dem Ziel entgegen, aber ihre Gedanken trugen sie hilflos fort. Sie fühlte sich leer und kraftlos. Die Müdigkeit ließ ihren Körper bleischwer werden, die Last ihrer Sorgen deutlich auf den schmalen Schultern spüren. Sie fühlte sich schwindlig und benommen. Auf ihrer Zunge lag der metallen Geschmack eins leeren Magens. Seit der letzten faden Gefängnismahlzeit zur Mittagsstunde hatte sie nichts mehr zu sich genommen. Wie ihr Körper, sehnte sich ihre Seele nach Ruhe und Geborgenheit und dennoch, wie ihre müden Beine gezwungen waren sich weiter vorwärts zu bewegen, ließen ihre Gedanken sie nicht zur Ruhe kommen. Mit unsagbarer Schnelligkeit zogen Erinnerungsfetzen ihrer Vergangenheit an ihr vorüber. Bilder huschten durch das ganze Spektrum ihrer Wahrnehmung .... André leblos und starr, aufgebahrt in einer Kirche ... die Augen ihrer Mutter, gebrochen, eingebettet in pergamentartiger Haut ... von Fersen umfasst ihre Hand, ein Glas geht zu Boden und zerbricht .... Feuer, Rauch, Lunten zünden, die Kanonen am Fuße der Bastille beben von der Wucht der Zündung ... ein Schuss bohrt sich in den schutzlosen Rücken eines kleinen Jungen, Blut bedeckt das Pflaster... Eindrücke zogen vorbei, ohne Worte, fast wie Impressionen von Tieren, vervielfacht finster hervorgerufen durch die Müdigkeit. Das Morgenlicht wurde langsam gleißender. Oscar senkte den Blick und schloss für kurze Zeit die schmerzenden Lider. Kleine Lichtreflexe tanzten hinter ihren geschlossen Augenlidern. Warum sang ihr Herz nicht vor Glück? Sie war dem Kerker entronnen, André wartete auf sie, vor ihnen lag ihre gemeinsame Zukunft. Sie seufzte, was sie brauchte, waren Ruhe und Schlaf. Die Rue Grégoire de Tours kreuzte sich mit der Rue Saint Sulpice. An einer Hauswand gepresst wartete eine einsame Gestalt auf sie. Über ihr knirschte und quietschte schrill ein Tavernenschild in seiner rostigen Halterung. Das Gasthaus selbst war, sehr zum Leidwesen des Wartenden geschlossen. "Wie schön hätte die Zeit des Wartens sein können, wenn das örtliche Paradies seine Pforten geöffnet hätte," begrüßte Alan sie, während er im Selbstmitleid zerfloss. "Dies ist dein Paradies?" Oscar ließ skeptisch ihren Blick über die baufällige Fassade gleiten. "Es tut mir leid für dich, Alan, aber es ist entweder zu früh am morgen, oder zu spät in der Nacht, um die Pforten geöffnet zu haben. Je nach welchem Gesichtspunkt du es sehen möchtest." Alan war es letztendlich egal, aus welchem Blickwinkel man die Sache betrachtete. Zu seinem Bedauern war sie nicht offen und er war dazu verdammt mit trockener Kehle in der Kälte auf Oscar zu warten. Er trat verdrießlich von einem Bein auf das andere und gähnte herzhaft, dass sein kantiges Kinn erzitterte. Trotzdem strahlte er eine schon unverschämte Vitalität aus. Es wurde Zeit, sich auf den Weg zu machen. "Alles in Ordnung, Oberst?" Alan musterte sie aufmerksam. "Hat er dir Probleme bereitet?" Oscar schüttelte müde den Kopf. "Nein, er war viel zu sehr von sich und seinem kleinen Versteckspiel überzeugt, als das er eine wirkliche Gefahr hätte sein können." "Ha, ich hätte gern seinen Gesichtsausdruck gesehen. Du hättest mir erlauben sollen, mich seiner anzunehmen. Ich bringe dich jetzt zu André." "Dafür wäre ich dir sehr dankbar. Geht es ihm gut?" "Den Umständen entsprechend. Ich denke, du brauchst nichts zu befürchten," beeilte sich Alan zu versichern, als er ihren besorgten Gesichtsausdruck sah. "Nun," Alan räusperte sich verlegen. "Während du die heimische Gastfreundschaft der Conciergerie genossen hast, hat Rosalie dem armen Jungen zugesetzt. Sie wurde nicht müde darin, im alles vorzuhalten, was dir widerfuhr. Seine ohnehin schon beträchtlicher Ansammlung an Schuldgefühle hat reichlich Zuwachs bekommen. Ich dachte mir, dass solltest du wissen, wenn er wie ein Häufchen Elend vor dir sitzt." "Wie es mir erging? Was habt ihr ihm denn erzählt?" "Nun, deinen Bordellbesuch haben wir verschwiegen." "Meinen Bordellbesuch?" "Soll ich es ihm erzählen?" "Nein!" "Sicher? Die Geschichte ist sehr erheiternd." "Ist es vorbei, Alan? Alan sah sie nachdenklich an. "Bernard wird Euch schon bald aus der Reichweite Robespierres bringen. Ihr habt nichts mehr zu befürchten. André und du, ihr könnt jetzt ein neues Leben beginnen. Ich denke, was geschehen ist, konnte keiner von euch Beiden beeinflussen. Robespierre scheint innerlich ein sehr zerrissener Mensch zu sein, wenn nicht gar Schizophren." Neue Falten bildeten sich in seinem Gesicht, als er zu einem breiten Grinsen ansetzte. "Ach, ich stell mir das bildlich vor. Ein ganzes duzend kleine rotbackige wohlgenährte Kinder, der Braten durftet im Ofen ..." Er umfasste kameradschaftlich ihre Schultern und drückte diese, die breite Zahlreihe zu einem strahlenden Lächeln entblößt. "Mh, meine Vorstellungskraft reicht hier für längst nicht aus." Oscar's Lächeln wirkte indes reichlich schief und missglückt. "Was ist los, Oberst? Angst?" Angst? War es das? War dies das ungute Gefühl in ihrem Magen? Das Gefühl entwurzelt zu sein, ihrer Vergangenheit beraubt. Ihr Leben, so wie sie es gekannt hatte, würde sie nicht mehr weiterführen können. Sie brauchte Zeit zum Nachdenken. Bisher hatte sie nur die grundsätzliche Falschheit der Dinge erkannt, ohne die Situation sorgfältig zu analysieren. Was ihr blieb war die Zukunft, aber wie würde diese aussehen? So sehr sie auch André liebte und sich eine gemeinsame Zeit mit ihm in Frieden und Harmonie wünschte, machte sie sich keine Illusionen darüber, dass sie von nun an das Leben einer Frau führen musste. Die Fesseln der Gesellschaft, mit der die Frau in ihr gekettet war; nichts erschien Oscar befremdender oder beängstigender. -Du weißt wer und was du bist, Oscar. Deine Vergangenheit kannst du nicht vergessen, auch wenn die Pfeiler der Brücke, welche sie mit dir verbanden zerschlagen sind. Bist du so zerrissen, weil du nicht weißt, was dein Schicksal dir bringen mag?- Ihr innerer Monolog beschritt einen sozialphilosophisches Terrain, der ihr mehr als nur bloßes Unbehagen bereitete. In ihrem Bewusstsein diskutierten mehrere Gefühle miteinander. Die hitzige Debatte zwischen Angst, Stolz und Unsicherheit, würde je beendet, als Scham hereinkam. "Nein," log sie. "Nein?" "Nein!" "Oh, du wirst die Wunderwelt der Küche ergründen, backen, kochen, putzen, Hemden stärken, Kinder hüten ... alles um einen Mann glücklich zu machen." Er sagte nicht, dass er selbst gern dieser Mann gewesen wäre. Nur über sein Lächeln legte sich ein Hauch von Wehmut. "Nie wieder Befehle erteilen, kein strammes Salutieren ...." "Lass das, Alan!" Oscar erstickte ihre Unbeholfenheit in einem verunglückten Nieser. Alan wollte die Vorzüge des Militärs weiter ausführen, verstummte aber abrupt, als er den 6 Männer angesichts wurde, die ihnen entgegen kamen. Finstere Gestalten in zerlumpter Kleidung, dessen übler Geruch nach Dreck, Schweiß und billigem Wein ihnen vorauseilte. Sie versuchten den Eindruck von scheinbarer Harmlosigkeit aufrecht zu halten. Die mürrischen Gesichter, im halbdunkel der in der Stirn gezogenen Mützen, verbesserte jedoch den Eindruck nicht gerade. Schweigend und unmerklich angespannt, nährten sich Alan und Oscar der Gruppe. Sie zwangen sich nicht schneller zu werden. Als die Beiden auf gleicher Höhe mit den Männern angelangt waren, trat ihnen einer von ihnen in den Weg. Widerwillig blieb Oscar stehen und ließ seine Musterung über sich ergehen. Seine Augen wanderten provokativ über ihre Gestalt. Sie strahlten Hass und Unzufriedenheit aus. Eine gefährliche Mischung. "Na, seht Ihn Euch an!" Er grinste höhnisch. "Diese glatte Haut, das Haar, diese dünnen Ärmchen ... wenn dies keiner dieser entmannten Adligen ist?" Er trat näher und hüllte die junge Frau in eine Wolke aus Alkoholdunst und Mundgeruch ein. "Riechen tut er jedenfalls wie einer." Er lachte schallend. Alan knurrte, aber Oscar hielt ihn zurück. Sie lauschte aufmerksam. Ein- oder zweimal sah sie warnend zu Alan. Sie war klug genug, nicht zu protestieren. Einige Dingen sind zu offensichtlich, vor allem, wenn ein halbes duzend wütender Männer mit beträchtlichem Oberarmumfang einen darauf hinweisen. Die anderen Männer waren auch näher gekommen. Sie hatten einen Ring um sie gebildet, aber noch schien sie ihr Anführer zurückzuhalten. "Was will er hier?" rief einer, mit einem dumpfen Grollen in der Stimme. "Warum trägt er seinen parfümierten Arsch in unsere Gegend?" Ein anderer bohrte sich einfach nur ihm Ohr und betrachtet anschließend fasziniert seinen Finger Ihr Anführer übernahm wieder die Wortführung. Er war groß und zäh wie ein Ochse, aber Oscars Meinung nach bestand das Problem darin, dass man diesen Vergleich auf seinen Verstand beziehen konnte. In seinen Augen leuchtete nur ein schwacher Abglanz von Intelligenz. "Vielleicht, will er von uns, um seine Geldbörse erleichtert werden? Was ist, kleiner Schmarotzer, trägst du zu schwer an deinen Juwelen?" Sein Gesicht verzog sich langsam zu einem breiten, irren, völlig humorlosen Grinsen, einem mimischen Kampf gleich. Niemand hatte es für angemessen gehalten, sie darauf hinzuweisen, dass Adlige zu dieser Stunde zu Fuß und in einfacher Kleidung, dessen Gesicht vor Erschöpfung gezeichnet war, keinen nennenswerten Reichtum besaßen. Der Pöbel verstand sich nicht besonders gut darauf, Informationen dieser Art weiterzuleiten. Eine Anleitung zur Erleichterung reicher Bürger um ihr Eigentum stand nirgends amtlich niedergeschrieben. Man musste sich auf Erfahrungswerte verlassen. In diesem Fall war die aufgebrachte Menge einfach nur wütend, von dem primitiven Bedürfnis nach Gewalt beherrscht und in der Mehrzahl. Damit war die Erfahrung aufgebraucht. "Hör mal Freundchen!" bedächtig trat Alan dazwischen und schob den breiten Brustkorb beiseite. "Es wäre besser für dich, wenn du uns in Ruhe ließest." "Wer bist du denn? Bist du das Spielzeug von unserem Blaublütler?" Ein weiterer Schwall Beleidigungen ergoss sich über beide, während Oscar Alan, unter erheblichen Schwierigkeiten beiseite zog. "Alan, bitte versuche dem Ärger aus dem Weg zu gehen!" Alan zog seelenruhig seinen Umhang aus. Faltete ihn betdantisch und reichte ihn ihr. "Tut mir leid, Oscar. Ich wäre sehr gerne dein Spielzeug," erwiderte er rhetorisch. "aber der Ärger, wie du es so schön zu nennen pflegtest, ist Hass, der schon zu lange und zu tief in den Menschen sitzt, dass sich eine Auseinandersetzung nicht mehr vermeiden lässt. Und nun trete bitte beiseite!" Das Lachen der Männer hallt mit der selben Intensität durch die schmale Gasse, wie akustische Laute in einer Blechschüssel. "Warum willst du uns entgegentreten, Lustknabe?" Alan versuchte es ihm zu erklären. Der Mob versuchte es zu verstehen. Dann begann die Schlägerei. *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)