Stumme Sehnsucht von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 12: Geführt ------------------- "War er es?" "Ja." "Kein Zweifel möglich?" "Kein Zweifel möglich." "Hat er dich entdeckt?" "Ja." "Dann ist deine Rechnung aufgegangen?" "Ich habe es nicht anders erwartet. Ist dein Freund ihnen gefolgt?" "Ja, er hat alles gemacht, worum du ihn gebeten hast." "Haben sie ihn entdeckt?" "Nein, er kennt die Stadt besser als sie. Wenn er es vermeidet gesehen zu werden, dann sieht man ihn nicht. Ihr Zielort wird dein Interesse wecken." "Hat er herausgefunden, wo ich ihn finden kann?" "Ja." "Kann ich unbemerkt zu ihm?" "Er wird ständig bewacht. Es ist unmöglich für ihn, sich unbemerkt zu entfernen, aber mit seiner Hilfe kommst du ungesehen zu ihm." "Mehr möchte ich nicht. Ich danke dir." Wenig später stiegen sie zusammen die wacklige Treppe hinunter, der ehemalige Soldat und sein Oberst, zu ihrem ganz eigenen Kampf. Oscar trug wieder ihre gewohnte Männerkleidung, verborgen unter einem dunklen Umhang. Es waren erst wenige Stunden vergangen, seit ihre Mutter in ihren Armen gestorben war und die Verbindung zu ihrem Vater brach. Ihre Seele und ihr Körper wollte in Ruhe trauern und alles, was einst ihre Familie und ihr Zuhause war, verabschieden, aber beides verbot sie sich. Jetzt war nicht der rechte Zeitpunkt zu Ruhen. Alan konnte sie zu André führen. Sie war ihm wieder einen Schritt näher gekommen. Die Sonne war untergegangen. Im Treppenhaus war es finster. Über Paris hatte wieder ein leichter Nieselregen eingesetzt, der bald zu einem dichten Schauer umschlug. Angetrieben von starken Windböen wehte ihnen der Regen direkt entgegen. Oscars raffte ihren Umhang enger und stieg über den Dreck und die Abfälle, welche der Regen die Gasse hinunter spülte, hinweg. Die heruntergekommenen Häuser entlang der engen Gasse gaben stummes Zeugnis von Hunger und Armut. Hier gingen Kinder mit leeren Mägen ins Bett. Irgendwo miaute eine Katze gequält. Der drohende Hunger hatte sie auf die Speisekarte einiger Bettler erwählt. Selbst Katzen waren Mangelware in Paris. Zielgerichtet steuerte Alan das Ende der Straße an. Der Mond hatte sich hinter den Wolken verkrochen. Die fehlende Straßenbeleuchtung konnte jeden Hauseingang, jede Abzweigung zu einer tödlichen Falle werden lassen. Die Dunkelheit verbarg alle Attentäter. Schweigend folgte Oscar ihm durch die verwinkelten Gassen. Vereinzelte Nachtschwärmer kreuzten ihren Weg. Nässe und Dunkelheit vertrieben den Alkoholnebel aus ihren Köpfen und sie eilten mit eingezogenen Schultern nach Hause, sofern sie eines hatten. Alan erhöhte das Tempo und rückte zum Schutz näher an Oscar heran. Die Hand schützend in ihren Rücken, passte er sie seinem Schritt an. Sie waren über eine halbe Stunde unterwegs. Ihre Kleidung war längst durchnässt. Selbst das dicke Leder der Stiefel bot keinen Schutz vor dem Regen. Ihre Umhänge zogen ihre Bahnen durch Unrat und Pfützenwasser. Endlich verlangsamte Alan seine Schritte und sah sich suchend um. Das Straßenbild unterschied sich kaum von der Gegend um Alans Wohnung. Dicht gedrängt reihte sich Wohnhaus an Wohnhaus. Der Regen peitschte gegen Fensterläden und Türen. Baufällige Dachgiebel hielten längst nicht mehr dem Regen stand und ließen das Wasser ins Hausinnere. Dachrinnen bogen sich unter den Wassermassen. Das überfällige Wasser rann jeden Schutzsuchenden in Haare und Nacken. Ein Mann, nur Abbild eines dunklen Schattens trat aus einem der Hauseingänge und winkte die Beiden zu sich. Mit Mühe stemmte er sich gegen den Wind und schloss die Tür hinter ihnen, dann begrüßte er Alan mit der zurückhaltenden Freude, welche unter Männern üblich ist. Ein kurzer Schlag gegen die Schulter reichte aus, um ihre Verbundenheit auszudrücken. In der trügerischen Annahme, hinter Alans Begleiter verberge sich ein Mann, bekam Oscar den gleichen freundschaftlichen Schlag gegen ihr Schulterblatt. Alans Freund stellte sich als Marius Forquet vor und führte sie, ohne weitere Vorreden tief in das Gebäudeinnere. Er war derjenige, der André gefolgt war und seinen Aufenthaltsort kannte. Alan zufolge wusste niemand in Paris besser Bescheid als sein Freund Marius Forquet. Den Weg, den er wählte, würde kein Außenstehender gehen können. Schweigend erklommen sie Mauervorsprünge, liefen durch Hintertüren, dunklen Fluren und schmalen Treppenstiegen, schlichen durch leere Wohnungen. Diesmal waren sie eine Viertelstunde unterwegs. Wortlos folgte Oscar ihrem Führer, obgleich sie annahm, dass sie erhebliche Umwege liefen, nur um Monsieur Forquets Eitelkeit zu schüren. Dieser lief mit stolz vorgereckter Brust vorneweg. Er kannte wirklich die verborgensten Wege durch Paris. Endlich stoppte er und bat sie mit einer abrupten Handbewegung zu halten. Der Hausflur lag im Dunkeln. Treppe und Türen zeichneten sich kaum als schwarze Schemen in der Dunkelheit ab. Hinter der Tür war Gelächter zu hören. Dunkles Männerlachen wurde von hohen Frauenstimmen begleitet. Vorsichtig öffnete er die Tür und sah sich um. Grinsend bedeutete er ihnen, ihm zu folgen. Angesichts der großzügigen Samtvorhänge im dunkelroten Satin und der golddurchsetzten Dekoration war sofort klar, in welchen Räumlichkeiten sie sich befanden. Hätte jemand an der Art ihres Aufenthaltsortes gezweifelt, so wäre Marius's breites Grinsen, welches sein gesamtes Gesicht umspannte, Rückschluss genug gewesen. Spärlich bekleidete Mädchen räkelten sich lasziv auf Sofa und Kissen. Oscar rutschte tiefer unter ihren Umhang und hoffte, dass die Kapuze ihr Gesicht verbarg. Nicht aus Unbehaglichkeit, sich in einem Bordell zu befinden, sondern aus Angst, ihre Anwesenheit hier hätte etwas mit André zu tun. Ihr stockte der Atem, fast wünschte sie sich, André nicht wiederzusehen. Nicht an solch einem Ort. Eine dralle Frau mit üppigen rotblonden Locken und tiefen Dekolleté kam auf sie zu. Ihr Lachen klirrte gekünstelt, wie das aneinander schlagen zweier Kristallgläser. "Mein lieber Marius, wie kann ich dir und deinen Freunden dienlich sein?" fragte sie mit honigsüßer Stimme, während sie sich bei ihm unterhackte. "Madeleine, meine Liebe, wo ist unser Freund?" Madeleine ließ wieder ihr Lachen klirren und führte sie durch den Salon. Mit einem anmutigen Kopfnicken wies sie ihn nach rechts. "Monique hat sich seiner angenommen." Hinter einem weiteren dunkelroten Samtvorhang waren eindeutige Laute zu vernehmen. Sie hob den Samtvorhang. Der blonde Begleiter von André war angestrengt am Rotieren. Sein blanker Hintern sah den Zuschauern entgegen, während er die quiekende Monique bearbeitete. Wider besserer Vernunft sah Oscar hin, unendlich erleichtert, dass nicht André der Besucher dieses Etablissements war. Es hatte etwas hypnotisches, das stetige auf und ab des weißen Männerhinterns zu sehen. Mit einem diabolischen Grinsen wünschte Oscar ihm ewige Impotenz. Marius lachte leise. "Alan, du wolltest eine Möglichkeit, deinen Freund allein zu sprechen, ohne dass sein blondhaariger Begleiter die ganze Zeit um ihn ist! Ich war sehr überrascht, als ich herausfand, dass Monsieur Jean-Luc und ich eine gemeinsame Bekannte haben. Er weiß die Künste von Madame Madeleines Mädchen genauso zu schätzen, wie ich. Zufällig überkam ihm gerade heute die Lust diese zu genießen." Hierbei kniff er Madeleine spielerisch in ihre gepuderte Wange. "Kannst du ihn bis in die Morgenstunden beschäftigen, meine Liebe?" Madeleine legte nachdenklich ihren Kopf schief. In ihren Augen stand die Gier nach einer angemessenen Bezahlung. Marius sah zu Alan, der wiederum Oscar ansah. Diese nickte und ließ ihre letztes Goldstück in die Hand der Bordellbesitzerin fallen. Madeleine biss drauf, nickte zustimmend und entfernte sich. Marius sah ihr bedauernd nach. "Euer Freund befindet sich nicht weit von hier. Die Ausgänge werden ständig beobachtet.", erklärte er Oscar. "Ich führe Euch zu ihm!" Sie verließen das Bordell wieder durch den Hinterausgang und schlichen durch das dunkle Treppenhaus weiter. In der Ferne grollte das Herannahen eines Gewitters. Draußen peitschten Wind und Regen durch Paris. Wie versprochen befand sich ihr Ziel in einem der angrenzenden Wohnhäuser. Es dauerte nicht lange und sie standen am Fuße eine wackligen Treppe. Wieder donnerte es, diesmal lauter und langgestreckter. "Euer Freund befindet sich in der mittleren Wohnung im zweiten Stockwerk," wandte sich Marius an Alan und Oscar. Beide nickten. "Wie lange werdet Ihr brauchen?" fragte er. "Das kann ich Euch nicht sagen," antwortete Oscar. Marius hob erstaunt eine Augenbraue, als die hohe Stimme aus den Untiefen der Kapuze erklang. "Sollen wir in der Nähe warten, falls du Hilfe brauchst?" fragte Alan. Oscar lachte kurz und leise auf. "Nein. Ich werde keine Hilfe brauchen. Achtet darauf, dass Andrés blonder Freund nicht unverhofft zurück kommt!" "Keine Angst, Oberst. Ich halte ihn dir vom Leib," grinste er. "Findest du den Weg zu Madeleine zurück?" Oscar nickte. "Wir werden dort auf dich warten. Egal, wie lange es dauert." Alan's Grinsen hatte Marius erreicht. Und wie sie warten würden. "Viel Glück." "Ich danke Euch." Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und stieg in die Dunkelheit hinauf. Ein Blitz erhellte für einen kurzen Moment die beiden zurückgebliebenen Männer. *** Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)