Schmerzliche Wahrheit von Lilithen ================================================================================ Kapitel 4: Erkenntnis --------------------- Still konzentrierte er sich auf das harte Holz unter seinen Füßen, während die schmalen Finger sich tief in die Kante der Matratze gruben. Alles um ihn herum drehte sich und sein Magen rebellierte unangenehm. Aber Sasuke würde sich ganz bestimmt nicht wieder hinlegen. So verlockend ein weiches Bett auch für einige klangen mochte, bei ihm löste es momentan nur Abscheu aus. Noch immer konnte er den festen Griff an seinem Arm spüren, der ihn zuerst die Treppe hoch geschleift und kurz darauf aufs Bett gedrückt hatte. Es hatte weh getan, so viel mehr als die anderen Male. Aber auch wenn die Schläge härter gewesen waren, die intimen Momente roher, bereute er nicht eine einzige Sekunde davon. Das erste Mal seit den ganzen Lügen war er für Naruto da gewesen und auch wenn der Blondschopf es nie erfahren würde, tat es gut zu wissen, dass er keine vollkommene Niete darin war ein Freund zu sein. Ein letztes Mal atmete der Schwarzhaarige tief durch, ehe er langsam seine Finger entspannte und aufstand. Der Stille um ihn herum zu Folge war er allein. Wie immer wenn es vorbei war und der Ältere endlich ging. Für einen kurzen Augenblick hielt er inne, versuchte sich daran zu erinnern, wann der Bilderrahmen zu Bruch gegangen war, aber es gelang ihm nicht. Vielleicht hatte er es auch einfach nur nicht mehr wahrgenommen, weil es schon zur Gewohnheit geworden war. Sasuke musste sich nur noch einen Pullover überstreifen und dann konnte auch er endlich dieses Haus verlassen. Es würde alles sein wie immer, die selben Abläufe, die selben Muster. Eine Monotonie, die ihm zumindest für ein paar Stunden die Illusion von Sicherheit gab. Aber Illusionen waren nur ein Trugbild, nichts auf das man sich verlassen konnte, ganz egal wie sehr man es sich wünschte. Er war gerade im Begriff die Schranktür zu öffnen, als eine kurze Bewegung seine Aufmerksamkeit erregte. Wie versteinert hielt der Schwarzhaarige inne und fixierte seinen Vater. Der Ältere stand im Türrahmen und beobachtet ihn. Wie lange wusste er nicht, er hatte nicht auf seine Umgebung geachtet, sondern sich darauf verlassen, dass alles so sein würde wie immer. Schlagartig wurde ihm kalt und auch wenn es ein Beweis von Schwäche war, kam der Jüngere nicht umhin, bei jedem Schritt den sein Vater näher kam, nach hinten auszuweichen. Zentimeter für Zentimeter, bis er das harte Mauerwerk an seinem Rücken spürte. Alles in ihm schrie „Nein“. Sasuke konnte nicht mehr, er brauchte eine Pause. Kaum merklich schüttelte er mit dem Kopf, als der Witwer nur noch wenige Zentimeter von ihm entfernt war und wie schon so oft seine Rechte hob. Aber der Älteren schlug ihn nicht, sondern befühlte sanft seine Wange. Siedend heiß brannte die Berührung auf seiner Haut und die erneut aufkommende Übelkeit ließ ihn die Augen schließen. Behutsam fuhren die Finger weiter, streiften über seine Kinnlinie bis zum Schlüsselbein, bevor sie auf der Schulter zum erliegen kamen. Fest presste der Schüler die Lippen zusammen. Es stimmte, er konnte nicht mehr, aber er würde nicht betteln. Und das musste Sasuke auch nicht. Der Druck wurde nicht stärker, zog ihn nicht zurück ins Bett, sondern mündete in einer Umarmung. Irritiert verzog er das Gesicht, verharrte in den Armen und ignorierte das sanfte Reiben von Fugakus Wange an seiner Schulter. Es wirkte alles so surreal. „Das hier ist dein Zuhause, hörst du?“ Die Stimme seines Vaters klang dumpf, als sie auf seine Halsbeuge traf. „Es gibt nur noch uns beide.“ Der Schwarzhaarige war überfordert mit der Situation. Er versuchte zu erkennen, ob sein Vater getrunken hatte, aber das einzige was er roch war das teure Aftershave. „Ich weiß, dass du nicht wie Itachi bist und auch nicht wie Mikoto.“ Seine Sicht verschwamm bei der Erinnerung an die Beiden. Sasuke verstand nicht was das sollte. Langsam erhob sich der Kopf von seiner Schulter und die breiten Hände umfassten sanft sein Gesicht. Bestimmend wurde er dazu gezwungen seinem Vater ins Gesicht zu sehen. Jede Linie der Mimik spiegelte das wieder, was Sasuke schon so lange in ihr vermisst hatte – Väterlichkeit. Krampfhaft versuchte er diesen Ausdruck zu ignorieren, sich nicht blenden zu lassen, aber es war unmöglich. Das erste Schluchzen stieg seiner Kehle empor. „Ich werde versuchen mich zu bessern, aber du darfst nicht gehen“, sanft strichen die rauen Daumen über seine Wange, „Wir sind eine Familie.“ Quälend langsam breitete sich die Bedeutung der Worte in ihm aus. Sein Vater setzte an dem einzigen Punkt an, den er bislang unberührt gelassen hatte. Dem stillen Wunsch einer richtigen Familie. Der 17-Jährige fühlte sich erbärmlich. In dem Versuch sich aus dem Griff zu lösen schüttelte er heftig mit dem Kopf, während er immer weiter auf den Boden sank. Aber Fugaku ließ nicht los, sondern glitt mit ihm gemeinsam auf das harte Parkett. Diese Nähe fühlte sich so echt an und obwohl Sasuke wusste, dass er ihr nicht trauen konnte, wollte sich ein Teil von ihm fallen lassen. „Lass die Leute nicht reden.“ Hart entglitten ihm die Gesichtszüge. Das war mit Abstand das Schlimmste was sein Vater ihm je angetan hatte. „Das ist alles?“ Seine Stimme klang rau. Verbissen klammerte er sich an das letzte Bisschen was ihn zusammen hielt. Er liebt mich. „Die Firma“, eine beklemmende Enge breitete sich in seinem Brustkorb aus, „Das ist mein Leben. Ich würde alles verlieren. So etwas tut eine Familie sich nicht an, Sasuke.“ Etwas in dem Jüngeren brach, so schnell, dass es ihm gar nicht richtig bewusst wurde und doch so schmerzhaft, dass der Schaden nicht zu dementieren war. Der Schwarzhaarige brauchte einen Moment. Verzweifelt taktierte er den Blick seines Vaters, versuchte mit letzter Kraft hinter den braunen Augen etwas zu erkennen, dass den Älteren als Lügner strafte, aber das war er nicht. Fugaku ging es nur das Geschäft, um seinen Ruf und sein Ansehen bei den Anderen. Sasuke fühlte sich wie in Watte verpackt. Nur das beißende Stechen in seiner Brust und die schemenhaften Erinnerung daran, wie die rauen Finger seines Vaters immer und immer wieder über seine nackte Haut strichen, drangen klar zu ihm durch. Ohne es wirklich zu wollen begann er zu lachen, nur kurz und doch ausreichend genug, damit sein Verstand anfing zu arbeiten. „Du hast recht. So etwas tut eine Familie sich nicht an“, verließ das leise Flüstern die aufgebissenen Lippen. „Du verstehst es also?“ Sanft wurde seine Stirn geküsst. „Natürlich.“ Er liebt mich nicht „Sehr gut“, beinahe lautlos erhob der Ältere sich vom Boden, um kurz darauf den Kleiderschrank öffnen zu können, „Ich muss noch mal in die Firma.“ Mit einem Ruck zog sein Vater eine frische Decke aus der breiten Holzkonstruktion und schlug diese auseinander. Nur wenige Sekunden verstrichen, ehe der weiche Stoff über seine Schultern drapiert wurde und das milde Lächeln Fugakus wieder in sein Sichtfeld drang. „Aber wenn ich wiederkomme...“ Federleicht küsste der Ältere die jungen Lippen. Das reichte, er musste den Satz nicht weiterführen damit Sasuke verstand. „Natürlich“, flüsterte der Schwarzhaarige zu leise, als das man den bittenden Unterton hätte hören können. „Auf wiedersehen, mein Sohn.“ Ohne sich noch einmal umzudrehen ging Fugaku aus dem Zimmer und ließ die Person allein, die er heute zum ersten Mal seit Jahren wieder seinen Sohn genannt hatte. ~ Sasuke hasste sich. Dafür, dass er es nicht schaffte sich vollends zu beruhigen und endlich aufzustehen. Wie spät es war wusste er nicht, aber es war mittlerweile dunkel draußen. Trotz der Decke um seinen Körper fror er bei dem Gedanken daran, dass sein Vater wiederkommen würde. Der Ältere liebte ihn nicht, sondern die Ähnlichkeit zwischen ihm und seiner Mutter. Wahrscheinlich war auch das der einzige Grund dafür, dass der Ältere ihn in seinem Haus duldete. Das und die Tatsache, dass die Leute schlecht über ihn reden würde. Resigniert wischte der Schwarzhaarige sich bei diesem Gedanken über die Augen. Er hatte kein Recht traurig zu sein. Es war immerhin seine Schuld. Der Uchiha hatte seine Mutter getötet und somit dafür gesorgt, dass sein Bruder über Nacht ihre Familie verlassen hatte. Alles was sein Vater jetzt noch besaß war sein Job und jemanden, der ihn jeden Tag an seine verstorbene Frau erinnerte. Ein Gleichgewicht von dem er keine Seite loswerden konnte, ohne von der Anderen niedergerissen zu werden. Er wusste das alles und trotzdem tat es weh. Die schneidende Erkenntnis, dass er allein war. Sasuke hatte nie wirklich an diesen übernatürlichen Unsinn geglaubt, aber vielleicht war das der Ausgleich, die gerechte Strafe für seine vergangenen Handlungen. Leise schnaubte der Uchiha. Er hatte nicht sein ganzes Leben rational gedacht, um sich nun an das Universum zu klammern. Und doch lockte dieser Erklärungsansatz ihn. Er war allein, wer sollte ihn und seine Theorie schon verhöhnen? Ein unangenehmes Brennen trat in seine Augen und ließ ihn verzweifelt das Gesicht verziehen. Der Schüler erkannte sich selbst nicht mehr. Weder sein Leben, noch die Konstanten darin. Alles was ihn jemals ausgemacht hatte war verschwunden. Keine Stütze, kein Halt, rein gar nichts. Und obwohl es nur noch Leere zu geben schien fühlte es sich ganz anders an, als die unzähligen Ausschmückungen in den verschiedensten Literaturen. Weder befreiend, noch taub. Die Realität war erdrückend. Zitternd zog er die Beine an, als die Haustür mit einem unsanften Ton zugeschlagen wurde. Nein, Sasuke erkannte sich kein Stück wieder, aber das war unbedeutend. Deutlich knirschten die Glasscherben unter den Schritten in der Eingangshalle. Er war allein, es würde niemanden interessieren was mit ihm geschah. Laut dröhnte das Poltern der Treppenstufen in seinen Ohren nach, ließ ihn resigniert die Stirn auf die Knie senken und seine Hände auf die Ohren legen. Er wollte es nicht hören, nichts davon. Jahrelang hatte er versucht es allen recht zu machen, perfekt zu sein für jeden den er kannte. Denn Perfektion bot keine Angriffsfläche. Aber die Realität ist nicht perfekt. Alles woran der Schwarzhaarige je geglaubt hatte, alles worauf er selbst basierte, jede Einzelheit war falsch. Er musste nicht auf sehen, um das dumpfe Geräusch einer Hand zuzuordnen, die auf den Türbogen seines Zimmers aufschlug. Der Atem des Anderen ging schwer, wenn er es nicht besser wüsste, würde er behaupten, dass sein Vater gelaufen war, ja geradezu gerannt. Aber das war absurd, es gab für den Älteren keinen Grund zur Eile. Sasuke hatte keinen anderen Zufluchtsort. Das bedrohliche Zischen des Stehenden ließ ihn kurz zusammen zucken und den Druck um seine Beine erhöhen. Die Pause des Jüngeren war vorbei. „Sasuke?“ Ruckartig löste der Schwarzhaarige seine Starre und sah schockiert nach oben. Heiß stiegen ihm die Tränen in die Augen als er verstand. „Geh weg“, hauchte der 17-Jährige brüchig, „Bitte, geh weg.“ Verzweifelt verzog der Schwarzhaarige sein Gesicht, als die Aufmerksamkeit des Neuankömmlings zurück zu dem zerwühlten Bett glitt. „Bitte.“ Immer enger schlang er die Decke um seinen Körper. „Bitte. Geh weg, bitte, geh weg.“ „Nein.“ Mit leisen Schritten kam der Ältere näher, bis er schlussendlich direkt vor dem Schwarzhaarigen kniete. „Bitte, geh einfach, bitte“ Es war Sasuke egal wie sehr sein Tonfall einem Flehen glich. „Bitte.“ Sanft wurde der Schwarzhaarige in eine Umarmung gezogen. Der Druck war nicht stark, fast so als hätte sein Gegenüber angst ihn zu zerbrechen. Es tat gut, dieser Augenblick der Näher, aber das war falsch. So gut es ging legte er seine kalten Hände auf den warmen Brustkorb und versuchte den Anderen wegzudrücken, ohne Erfolg. Je stärker er drückte, desto fester wurde die Umarmung. „Du verstehst das nicht-“, weiter kam er nicht. „Pscht.“ Behutsam strichen die Finger über seinen Rücken. „Nein! Du musst gehen, du darfst nicht-“ „Sasuke es reicht“, wurde der Schüler erneut unterbrochen, „Ich werde nicht gehen. Du weißt doch, dass ich ein Dickkopf bin.“ Und wie er das wusste. Es war egal was der Schwarzhaarige sagen würde, genauso gut könnte er auch mit einer Wand reden. Sasuke hörte auf gegen die Brust zu drücken, vergrub stattdessen seine Finger in dem rauen Stoff der Jacke. Das war so falsch, so egoistisch und doch konnte er nicht aufhören sich der Wärme entgegen zu lehnen. Verzweifelt platzierte er seine Stirn am Schlüsselbein seines Gegenüber und registrierte sehr wohl, wie sich kurz drauf das Kinn des Anderen auf sein Haar legte. Ohne es wirklich kontrollieren zu können flossen die ersten Tränen seine Wange hinab, weiter entlang seiner Kinnlinie, bevor sie schlussendlich auf die dunkle Jeans des Älteren tropften. Ein letztes Mal, Sasuke wollte nur noch ein letztes Mal egoistisch sein. „Er liebt mich nicht.“ Kaum merklich nahm der Druck der Umarmung zu, als sich zu seinen Tränen auch ein leichtes Beben mischte. „Er liebt mich nicht, Naruto.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)