Von unserer Scherbenwelt von Phoenix_Michie (Fortsetzung zu 'Von Dir und Mir') ================================================================================ Kapitel 4: Von einem nervigen Barkeeper, einer Katze, die überall hinmacht und einem Chef, der einen zur Weißglut treibt ------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------ ======================================= 4. Kapitel ======================================= Mit leerem Blick starrte ich in mein halbleeres Glas Pflaumenwein. Ich hatte bereits meine zweite Attacke Schluckauf hinter mir. Nach der ersten hatte ich mich von der Theke der Bar nach hinten in eine Ecke verzogen. So viel Verstand hatte ich noch gehabt, damit mich keiner bei meinem Absturz sehen konnte. Ich war immer ein ruhiger Betrunkener. Nur wenn ich Schluckauf bekam, konnte man mich unter Umständen hören. Über ein Monat war vergangen, aber nichts hatte sich geändert. Karyu und ich, wir waren uns zwar einig gewesen, dass sich etwas ändern musste, aber wir hatten nie darüber gesprochen, wie das konkret aussehen sollte. Und es war nichts passiert. Karyu hatte viel um die Ohren, wahrscheinlich hatte er vergessen, worüber wir geredet hatten. Oder er fand einfach nicht die Zeit, um sich Gedanken zu machen. Und ich sah ihn ja kaum, da er ständig im Krankenhaus war. Die Möglichkeiten, mit ihm darüber zu reden, waren begrenzt. Wenn ich mal bei ihm war, jammerte er nur über seinen Job und seine Patienten, darüber, wie müde er war. Und wenn ich anfing, über Veränderungen zu sprechen, nickte er immer nur und murmelte Zustimmendes, aber er hatte nicht wirklich ein Ohr für meine Belange. Ich hatte wieder mit dem Trinken angefangen. Seit ich umgezogen war, hatte ich Alkohol nur in Maßen angefasst, aber jetzt war mir wieder danach. Es war deprimierend. Was machte ich hier eigentlich? Ich leerte den Drink und bestellte an der Theke einen weiteren. Als ich wieder an meinem Platz saß, warf ich einen Blick auf die Uhr. Es war schon Mitternacht. In einer Stunde musste ich spätestens gehen. Hoffentlich würde ich das nicht vergessen. Ich sah auf, da sich plötzlich Hizumi zu mir setzte. Er trocknete sich die Hände flüchtig an seiner Schürze ab und sah mich schon so frech an. "Na du Trinker." "Klappe", murrte ich und drehte das Glas in meinen Händen hin und her. "Hey, schlechte Laune? Trinkst du deswegen so viel?" Ich schwieg nur. "Meistens gehst du zusammen mit deinen Kollegen, aber in den letzten Tagen bleibst du immer viel länger als sie, um dich dann volllaufen zu lassen." "Willst du auf irgendwas Bestimmtes hinaus?", wollte ich mürrisch wissen, woraufhin er mich angrinste. "Ja, schon. Was ist denn passiert bei dir? Hat dich dein Arzt verlassen?" Ich rollte mit den Augen und schwieg. Lieber nahm ich das Glas um daraus zu trinken. Mit einem leisen Klirren stellte ich es ab und senkte den Blick. "Der kann mich gar nicht verlassen, das hat er schon vor einem Jahr gemacht", brubbelte ich bissig. Fragend sah Hizumi mich und lehnte sich zurück. "Wie, du bist schon ein Jahr allein? Das hast du uns gar nicht erzählt." "Geht euch auch nichts an", erwiderte ich genervt. "Ich bin allein, seit ich hierher gezogen bin. Es war eine Illusion, als ich dachte, ich hätte einen Freund. 'Gemeinsam einsam' nenne ich meinen derzeitigen Beziehungsstatus." Verwirrt hob Hizumi die Augenbrauen. "Man, was geht denn nun bei dir ab? Ist dein Arzt nun weg oder nicht?" Stöhnend leerte ich meinen Drink. "Kann dir doch total egal sein. Geh nach Hause zu deiner Schnecke anstatt mich zu belästigen." "Welche Schnecke?" "Na diese heiße Sahneschnitte, die sich dir am Valentinstag um den Hals geworfen hat", erinnerte ich ihn. Er grinste. "Ach ja, die. Das war mein Date. Echt scharf." Das Grinsen fiel von seinen Lippen. "Aber es ist nicht viel gelaufen. Sie war hübsch, doch das war's auch." Er zuckte mit den Schultern, während ich die Augenbrauen hoch zog. "Willst du mir sagen, dass dir Schönheit nicht ausreicht?" Er erwiderte meinen Blick. "Du glaubst, ich geb mich mit dummen Hühnern zufrieden, solange sie nur gut aussehen?" Er schüttelte leicht grinsend den Kopf. "Wow, du musst echt ein schlechtes Bild von mir haben." Ich schnaubte. "Klar, du hast ja auch nur fiese Sprüche für mich übrig." Zu meiner Überraschung schwieg er für einen Moment und ich dachte fast, er würde sich mal Gedanken machen, aber dann grinste er schon. "Was soll ich sagen? Du hast doch ein schönes Leben. Jammer nicht so viel." Ich runzelte die Stirn. Was redete er da? Böse sah ich ihn an. "Du hast doch überhaupt keine Ahnung, also halt endlich die Klappe. Wenn ich ein schönes Leben hätte, würde ich bestimmt nicht hier sitzen und mich mit dir unterhalten." Ich leerte mein Glas und stand auf, während er gesenkten Blickes sitzen blieb. Ohne ein weiteres Wort ging ich zur Theke und schmiss dem Barkeeper das Geld hin, bevor ich die Bar gereizt verließ. Dieser Giftzwerg! Der nahm sich echt viel raus. Die Nachtluft war erfrischend, wenn auch kühl. Ich nahm einen tiefen Zug, spürte, wie mein Kopf trotz Alkohol ein wenig klarer wurde. Ich musste wirklich nach Hause und mich schlafen legen. Morgen war ein Arbeitstag. Das lenkte mich immerhin ab und ich hatte ein bisschen Kontakt zu netten Menschen. Was mein Leben anging, so befand ich mich in einer Sackgasse. Mein Job war ganz gut, aber ich wollte dennoch nicht die nächsten 40 Jahre in dem Verlag arbeiten. Irgendwann würde ich eine Veränderung brauchen. Ich musste mir etwas einfallen lassen. Dann war da mein magerer Freundeskreis - der war so mager, dass ich nicht mal jemanden hatte, mit dem ich über Karyu sprechen konnte. Und Karyu selbst, der war ja mein größtes Problem. Die Beziehung, die wir führten, war hinfällig. Wir sahen uns kaum. Das war nicht das, was ich wollte und ich hatte gedacht, ihm ginge das auch so. Aber wie man sah, war ihm das total egal. Er hatte seine Patienten im Kopf, nicht mich. Nach wie vor war ich also allein. Ob ich nun hier war oder in Tokyo oder in Miyagi - es machte überhaupt keinen Unterschied, ich war überall allein und führte ein unerfülltes Leben. Mit diesen Gedanken im Kopf war mir sofort wieder nach Trinken zumute. Aber zu Hause angekommen, griff ich nicht nach der nächsten Flasche. Stattdessen blieb ich im Flur stehen und lehnte mich gegen die Wohnungstür, während die Katze mich von unten her erwartungsvoll ansah. Sie wollte gestreichelt werden, aber ich dachte noch immer nach. Übertrieb ich? War ich zu empfindlich? Sah ich alles viel zu negativ? Eigentlich führte ich doch ein gutes Leben. Ich hatte einen schönen Job, hatte einen freundlichen Kollegenkreis, ich konnte eine liebenswerte Katze halten und ich hatte einen Freund - zumindest irgendwie. Ab und an sah ich ihn mal. Wir redeten ein bisschen. Aber mehr über ihn und sein Leben als über mich. Also hatte ich nur irgendwie einen Freund. Aber besser als gar keinen, oder nicht? Vielleicht sollte ich aufhören zu jammern. Ich sollte mich zusammen reißen und einfach glücklich sein. Es könnte ja alles viel schlechter laufen! ========================================================= Als ich am nächsten Morgen zu mir kam, war es nicht mein Wecker, der klingelte. Ich roch etwas. Und es war kein angenehmer Duft. Ich verzog das Gesicht und setzte mich auf. Was war denn hier los? Ich warf einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr morgens. Ich seufzte gequält und stand langsam auf. Ich musste rausfinden, was hier so müffelte, sonst könnte ich nicht weiterschlafen. Kurz sah ich mich im Schlafzimmer um, aber ich entdeckte nichts Außergewöhnliches, weswegen ich in den Flur ging - und da schon die Bescherung sah. "Oh nein..." Ich starrte auf etwas am Boden, von dem ich nicht ganz wusste, ob es ein Häufchen oder eher ein Pfützchen war. Auf jeden Fall sah es nicht gesund aus. Hatte die Katze sich übergeben, oder war es Durchfall? Ich blinzelte und rief nach Amaya. Langsam umging ich das Häufchen und sah mich nach der Kleinen um. Sie schaute im Wohnzimmer hinter der Couch hervor, ganz so, als wüsste sie, dass sie etwas Falsches getan hatte. "Kleines, komm her. Es ist alles gut. Ich bin nicht böse", sprach ich mit sanfter Stimme, während ich vorsichtig auf sie zuging, doch sie wich zurück. Ok, die Katze konnte ich erst später begutachten. Seufzend ging ich in die Küche, befeuchtete einen Lappen und nahm mir Küchenpapier, um die Sauerei zu entfernen. Beim Aufwischen war ich mir schließlich sicher, dass sie Durchfall hatte. Vielleicht hatte sie es nicht mehr halten können? Ich schüttelte den Kopf, machte alles sauber und wusch mir abschließend die Hände. Ich hoffte inständig, dass das eine einmalige Sache war. Bevor ich zur Arbeit ging, schaute ich mir die Katze genauer an, aber ich entdeckte nichts und mir erschien sie putzmunter wie sonst auch zu sein. Das beruhigte mich ein wenig und ich konnte das Haus verlassen, ohne mir zu viele Sorgen zu machen. Das würde schon wieder werden. Aber der Morgen hätte wirklich schöner anfangen können. Im Verlag ertrank ich in Aufgaben. An diesem Tag kam zu viel zusammen. In meinem Büro stand ein Karton voller englischer Bücher, von denen ich eine Kurzzusammenfassung auf Japanisch anfertigen sollte - natürlich musste das noch heute erledigt werden. Am Mittag sollte ein Schriftsteller unseren Verlag besuchen kommen, der mit Tsukasa über mögliche Erstveröffentlichungen seiner nächsten Romane sprechen wollte. Es sah sehr gut für den Autor aus. Es war ein Amerikaner, der seit vier Jahren hier in Japan lebte. Er veröffentlichte auf Englisch, und meine Aufgabe würde es heute sein, dem Gespräch beizuwohnen und bei Problemen zu dolmetschen. Sollte er hier unter Vertrag kommen, würde ich seine Erscheinungen übersetzen. Zusätzlich überhäuften mich meine Kollegen mit Kleinigkeiten, die sie selbst nicht hinbekamen oder wozu sie keine Lust hatten. Natürlich war ich hier der Depp, der alles erledigen musste, schließlich arbeitete ich hier noch nicht mal ein Jahr und war immer noch der Fußabtreter für alle. Bisher hatte es mich kaum gestört, weil ich die Zeit für sowas hatte, aber nun saßen mir eben auch mal wichtige Dinge im Nacken. Nur interessierte das keinen und das erstaunte mich dann doch. Ich hatte gehofft, dass sie mir wenigstens heute den Rücken freihalten würden, wenn ich ihnen erklärte, was ich alles zu tun hatte. Gestresst lief ich durch die Gänge und kam nur ab und an zu meinen Zusammenfassungen. Heute würde ich bestimmt nicht alle schaffen - außer ich würde eine Nachtschicht einlegen, aber das ging nun wirklich nicht, schließlich hatte ich eine Katze zu Hause. Im Handumdrehen hatten wir auch schon den 13-Uhr-Termin. Ich war bereits seit Sieben Uhr Dreißig im Verlag, und dennoch hatte ich das Gefühl, bisher nichts geschafft zu haben. "Kommst du? Er wartet bereits in meinem Büro. Bring doch etwas zu trinken mit, ja?", rief Tsukasa mir zu, als er an meinem Büro vorbei kam. Ich nickte nur und unterbrach meine Arbeit an den Zusammenfassungen. Nachdem ich aus der Küche ein Tablett mit Gläsern und eine große Flasche Mineralwasser geholt hatte, brachte ich das in Tsukasas Büro, wo wie angekündigt auch schon der Schriftsteller Platz genommen hatte. Ich stellte das Tablett auf dem großen Tisch ab und begrüßte den Mann - sein Name war David Gordon. Er war mir nicht sonderlich bekannt, aber wenn Tsukasa eine Mitarbeit in Betracht zog, würde er schon talentiert sein. Ich setzte mich dazu und ließ die beiden reden. Gordon konnte Japanisch sprechen, allerdings klang es nicht besonders schön. Zuweilen war es schwierig, ihn zu verstehen, aber aus Höflichkeit kämpfte Tsukasa sich so weit wie möglich durch. Bis der Autor selbst es für besser hielt, auf Englisch umzuschwenken. Ich wachte aus meinen Tagträumen auf und war froh, ein wenig behilflich sein zu können. Es lief ganz gut, soweit ich das beurteilen könnte. "Ach Zero", wandte sich Tsukasa dann leise und wieder auf Japanisch an mich. "Könntest du noch rasch die Zusammenfassungen holen, die du vorhin übersetzt hast? Ich möchte, dass er einen Eindruck von den neueren Büchern bekommt, die wir anbieten werden. Er soll ja wissen, wie er in den Verlag passt. Ich würde gern einige Titel besprechen." Ich runzelte etwas die Stirn. "Die Zusammenfassungen? Du meinst die der Bücher in dem Karton?" Er nickte nur. "Das...das hab ich nicht alles geschafft. Die Zeit war zu knapp." Er bekam für einen Moment große Augen, riss sich aber wegen Gordon zusammen. "Die Zeit war zu knapp?!", zischte er leise. "Du bist doch seit heute früh hier und hattest fünf Stunden Zeit! Das kann doch nicht so schwer sein, diese paar Bücher jeweils auf ein, zwei Seiten zusammen zu fassen. Wie steh ich denn jetzt da?" Er schüttelte den Kopf und ich machte den Mund auf, um etwas zu erwidern. "Ich wusste nicht, dass ich sie für diese Besprechung übersetzen soll! Diese Information hat mir gefehlt, dann hätte ich natürlich rechtzeitig angefangen", stellte ich klar. "Gibt es keinen Ausweg? Er kann das doch lesen." "Ja, toll, aber ich nicht. Ich habe die Liste der zu bestellenden Bücher vor vielen Wochen einmal durchgelesen. Mittlerweile habe ich die ganzen Inhalte total vergessen. Ich brauche eine Gedächtnisstütze, sonst brauche ich mit ihm die Bücher nicht durchzugehen. Und du hast es versäumt, das rechtzeitig zu übersetzen." Er seufzte leise und wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln an Gordon. In ruhigem Tonfall erklärte er ihm, dass wir ihm eine Liste mit Kurzzusammenfassungen der neuesten Werke zukommen lassen würden. Noch seien sie nicht verfügbar und bei Rückfragen stünden wir natürlich zur Verfügung. Auch ich entschuldigte mich, dass wir die Liste nicht rechtzeitig vorlegen konnten. Gordon erschien mir allerdings nicht sonderlich bekümmert oder verärgert zu sein, weswegen ich geneigt war, ein Gefühl der Erleichterung zu verspüren. Aber Tsukasa saß mir ja auch noch im Nacken - er war sauer. Auch wenn ich es für überzogen hielt, zumal mir keiner gesagt hatte, wie dringend das übersetzt werden sollte - nämlich noch am gleichen Tag. Hätte ich gewusst, wie hoch der Druck war, hätte ich mich nicht von meinen Kollegen für Kinkerlitzchen abkommandieren lassen. Genau wie Tsukasa war ich auch sauer. Aber ich durfte ja nicht meckern, im Gegensatz zu ihm. Der Chef war eben er. Nach dem Gespräch, während wir Gordon winkten, sprach er mich an. "Du machst dich sofort daran, die Zusammenfassungen zu machen - auf englisch, damit er was damit anfangen kann. Füge Kommentare bei, warum seine Romane und Kurzgeschichten in das Konzept des Verlags passen." Mir wich das Blut aus dem Gesicht und ich ließ die Hand sinken. Ich hätte mir gern beschwert, aber nachzufragen, ob das wirklich nötig war, würde nichts bringen. Ich fand es überflüssig, diese Zusammenfassungen samt Kommentaren zu schreiben, aber das interessierte ihn nicht. "Bis wann?" "Heute noch. Leg mir das bis 18 Uhr vor." "Und wenn es länger dauert?" Er blickte mich an. "Du hast noch vier Stunden. Nutze sie. Das schaffst du schon. Bei Rückfragen kommst du zu mir. Aber dann ist es wichtig, verstanden?" Ich nickte nur und schaute zerknirscht, während er wieder zurück in sein Büro ging. Man, was war denn heute mit dem los?! Er behandelte mich genauso herablassend wie die Anderen es heute getan hatten... Gereizt holte ich mir einen frischen, heißen Kaffee am Automaten, bevor ich mich in mein Büro verzog und von allen acht Büchern Zusammenfassungen auf Englisch samt Kommentaren anfertigte. Teilweise war mir nicht ersichtlich, wie die ein oder andere Geschichte zu jenen von Gordon passen sollten. Ich sog mir etwas aus den Fingern, beschrieb alles knapp und vage, damit Interpretationsspielraum entstand. So waren Tsukasa und Gordon hoffentlich halbwegs zufrieden und ich hatte meine Ruhe... Gegen Ende musste ich mich immer mehr beeilen und mir schnell etwas ausdenken, damit ich die Frist würde einhalten können. Ich war sehr gespannt, ob Tsukasa sich beschweren würde - bei seiner Laune ja schon. Aber so weit ich wusste, machte er zumeist um 18 Uhr Feierabend. Ob er das noch lesen würde? Aber wenn nicht, wäre es ja umsonst gewesen, dass ich mich beeilte... Ich beschloss, es nicht wissen zu wollen. Kurz vor Sechs stand ich in seinem Büro und legte ihm alles vor. Ich hätte schon seit einer halben Stunde auf dem Nachhauseweg sein sollen. "Gut, danke. Dann erledige bitte noch deine restlichen Aufgaben, die liegen geblieben sind." Er sah kurz zu mir auf, als ich stehen blieb und nichts tat, statt das Büro zu verlassen. "Ist noch was?" Ich atmete durch. War das sein Ernst? Kurz nagte ich an meiner Unterlippe, während ich überlegte, ob ich mich beschweren sollte. Eigentlich wollte ich es nicht tun, aber dann dachte ich daran, wie mich heute einfach jeder herum schubste. "Ich hab schon seit einer halben Stunde Feierabend", erinnerte ich ihn schließlich leise, woraufhin er eine Augenbraue hob. "Das mag ja sein, aber hast du heute überhaupt irgendwas geschafft?" "Ich hab das Gespräch übersetzt und dir diese Zusammenfassungen gemacht." "Die du zu spät fertig gestellt hast", wandte er ein. "Ja, und ansonsten? Deine täglichen Aufgaben sollten sich nicht zu einem Berg anhäufen, also mach das jetzt noch. Die Post ist auch liegen geblieben, weil Nakamura krank ist. Du bist seine Vertretung in dem Fall." Ich unterdrückte ein Murren. "Jeder hat heute seine Aufgaben auf mir abgeladen. Natürlich komme ich da nicht zu meinen eigenen. Ich war heute nicht untätig, ganz im Gegenteil." Er seufzte leise. "Die Post muss verteilt werden. Heute noch. Also ab. Und das Email-Postfach ist voll. Wenigstens diese beiden Dinge solltest du erledigen. Dann bleibst du heute eben ein wenig länger. Beeil dich halt, wenn du es so eilig hast, nach Hause zu gehen." Er stand auf und griff nach seinem Mantel. "Ich muss los. Du schaffst das ja sicher ohne mich." Er warf mir einen kurzen Blick zu, der signalisierte, dass ich verschwinden sollte. Ich sah ihn finster an, damit er merkte, was ich von all dem hielt, dann verließ ich das Büro ohne mich zu verabschieden. Das hatte er eh nicht verdient. Dieses engstirnige Arschloch. Warum behandelte er mich in den letzten Tagen und Wochen wie Dreck? Das war ja nicht zum Aushalten. So lange war alles gut zwischen uns gewesen, auch nach diesem peinlichen Zwischenfall am Valentinstag.... Ich verstand nicht, wieso er nun anders war. Ich hatte mich nicht anders als sonst verhalten. Zähneknirschend setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch und begann mit der Beantwortung der wichtigsten Emails. Alle würde ich mir heute sicher nicht mehr vornehmen. Ein bisschen Stolz hatte ich und ich würde Tsukasa spüren lassen, dass ich nicht alles mit mir machen ließ. Danach ging ich hinunter in die Postabteilung und holte einen kleinen Packen ab. Zum Glück dauerte das nicht allzu lange, alle Büros mit den Briefen und Päckchen zu versorgen. Dann war es schon 20 Uhr und ich machte mich mit Freuden auf nach Hause. Eigentlich hatte ich noch einkaufen gehen wollen, aber jetzt hatte der Supermarkt schon zugemacht. Glücklicherweise hatte ich noch etwas zu essen, aber das wurde nun wirklich knapp. Es war eigentlich das, was für den nächsten Arbeitstag vorhergesehen gewesen war. Morgen früh musste ich also im Konbini vorbei gehen. Unterwegs warf ich einen Blick auf das Handy. Karyu hatte sich heute noch nicht gemeldet. Ich mich bei ihm zwar auch nicht, aber das sah ich auch gar nicht mehr ein. In den letzten Tagen war ich immer derjenige gewesen, der ihn angerufen oder ihm eine Nachricht geschickt hatte. Von ihm aus kam gar nichts. Das einzige, was er tat, war mich aus dem Bett zu klingeln, wenn er mal um Mitternacht Feierabend hatte machen können. Dann kam er hoch zu mir, nur um fünf Minuten später auf meiner Couch oder in meinem Bett einzuschlafen. Wahnsinn. Einzig er schien unsere Beziehung nicht zu hinterfragen. Aber dazu hatte er sicher auch keine Zeit. Irgendwas war ja immer im Krankenhaus los, was ihn dann beschäftigte. Sobald ich die Tür meiner Wohnung öffnete, kam ich aber auf andere Gedanken. Es stank. Und zwar nach Katze. Nach Ausscheidungen einer Katze. Ich verzog das Gesicht. Es stimmte was nicht. Wäre das nämlich im Katzenklo gelandet, würde es nicht so stinken. Nachdenklich sah ich mich um Flur um, nachdem ich meine Sachen abgestellt hatte. Ich sah nichts, weswegen ich ins Bad ging - VOR dem Katzenklo lag wieder etwas, das eine Mischung aus Häufchen und Pfützchen war. Oh man. Als nächstes ging ich ins Wohnzimmer und suchte es ab: ich entdeckte an zwei Stellen Erbrochenes. Super. In der Küche fand ich es auch. Das war nicht zu fassen. Die Katze entdecke ich auf dem Boden liegend. Sie blinzelte mich verschlafen von ihrem Liegekissen aus an. Ich kraulte sie kurz und machte mich dann daran, alles sauber zu machen. Danach öffnete ich ein paar Fenster, damit frische Luft reinkam. Ich machte mir ernsthaft Sorgen um die Katze. Das war wirklich nicht normal, dass sie überall hin machte. Ob sie krank war? Natürlich hatte die Tierarztpraxis schon geschlossen. Ich musste bis morgen warten, bevor anrufen konnte. Die Katze im Auge behaltend schaute ich später im Internet nach, was das sein konnte. Sie hatte ja offensichtlich Magen-Darm-Probleme. Hoffentlich nichts Ernstes und Langwieriges. Noch während ich nachschaute, hörte ich komische Geräusche. Als ich den Kopf hob, hatte Amaya auch schon vor das Liegekissen gekotzt. Ob das die restliche Nacht noch so gehen würde? Ich gab ihr lieber kein Extra-Futter heute. Nachdem die Sauerei weg gewischt war, frischte ich ihr Wasser auf und streichelte sie ausgiebig, dann legte ich mich ins Bett. Kurz entschlossen schrieb ich Karyu eine Nachricht und erzählte ihm von den Katzen-Problemen. Vielleicht wusste er einen Rat. Dieser Tag war einfach furchtbar gewesen. ================================== Am nächsten Morgen hatte ich natürlich keine Antwort von Karyu erhalten. Nicht einmal das bekam er noch hin. Ich schüttelte bloß den Kopf darüber und stand auf. Heute durfte ich mich ja weiter anpatzen lassen von Tsukasa. Wobei ich mir vornahm, diesmal alles besser zu machen. Nicht, dass wieder so etwas wie gestern passierte...aber das konnte ich wohl nicht komplett verhindern, schließlich waren mir Informationen vorenthalten worden, und das war bestimmt nicht das letzte Mal gewesen. Heute würde ich mir auch nicht alle möglichen Aufgaben von den Anderen aufhalsen lassen. Es war Zeit, sich zu wehren. Im schlimmsten Fall würden die sich bei Tsukasa beschweren und der...würde der mich rausschmeißen? Eigentlich waren wir ja sowas wie Freunde. Gewesen. Ich seufzte. Da hatte ich zwei Männer in meinem Umfeld, die irgendwie ein Problem mit mir hatten. Oder ich mit ihnen. Nachdem ich mir einen Kaffee in meiner - erneut stinkenden - Küche aufgebrüht hatte, machte ich mich daran, die neuerliche Sauerei in der Wohnung zu entfernen. Die Katze schlief geschafft auf ihrem Kratzbaum. Es ging ihr nicht besser. Beim Tierarzt konnte ich aber erst auf Arbeit anrufen, da er noch geschlossen hatte und erst vormittags öffnete. Es gefiel mir gar nicht, Amaya jetzt alleine zu lassen. Aber ich konnte es vergessen, früher Schluss machen zu können. Ich konnte Tsukasa zwar fragen, aber ich machte mir keine Hoffnungen, dass er mir zwei, drei Stunden erließ. Außer, er war heute besser gelaunt als die letzten Tage. Trotz aller Zweifel, die ich hatte, klopfte ich an Tsukasas Tür an und trat ein. "Guten Morgen", begrüßte ich ihn, während er mich vom Schreibtisch aus ansah. "Morgen. Was gibt's?" Ich seufzte lautlos. "Um ehrlich zu sein, geht es um meine Katze. Sie ist krank. Ich muss mit ihr zum Tierarzt, so schnell es geht. Wenn es nicht allzu viele Umstände macht, würde ich heute gerne ein wenig früher gehen." Tsukasa blinzelte mich an. "Nein, das geht nicht. Das kannst du vergessen, tut mir leid." Mein Herz rutschte mir in die Hose. "Wenn sie vier Stunden alleine durchhält, dann schafft sie auch acht Stunden oder mehr. Gehst du eben morgen mit ihr zum Tierarzt." Mein Auge zuckte, aber ich riss mich zusammen, nicht missbilligend die Stirn zu runzeln. "Es geht ihr wirklich schlecht! Sie kotzt und kackt mir die ganze Wohnung voll, immer wieder!" Tsukasa schien zusammen zu zucken. Ich sah irgendeine Regung in seinem Gesicht, aber deuten konnte ich es nicht, dazu war alles zu schnell wieder vorbei. "Es geht nicht, Zero. Ich kann dich nicht früher gehen lassen." Meine Hände ballten sich zu Fäusten, ohne dass ich es verhindern konnte. Ich war kurz davor, ihn anzuknurren. Er schwieg für einen Moment und starrte auf den Schreibtisch, dann seufzte er tief. "Vielleicht eine Stunde früher. Mehr geht einfach nicht." Er sah mich mit einem Blick an, der keine weitere Diskussionen duldete. "Mh. Ja, das ist besser als nichts. Danke", brachte ich gereizt hervor und verließ das Büro, allerdings nicht ohne mit der Tür zu knallen. So sehr ich mich auch zu benehmen versuchte, es war einfach zu schwer. Ich verstand seine plötzliche Strenge nicht. Die Welt würde hier nicht untergehen, wenn ich mal früher ging. Zurück in meinem Büro rief ich sofort beim Tierarzt an. Wenigstens im Unglück hatte ich Glück: ich bekam den allerletzten freien Termin, den die Praxis noch hatte, und der war eben am Abend, kurz bevor sie zumachten. Sie baten mich, eine Stuhlprobe mitzubringen, und das würde kein Problem sein. Amaya verteilte ihren Kot ja überall... Mit einem Blick aufs Handy stellte ich fest, dass Karyu immer noch nicht auf meine Nachricht reagiert hatte. Da würde bestimmt auch nichts mehr kommen. Mir war nach trinken zumute. Aber ich lenkte mich lieber mit Arbeit ab. Nach einiger Zeit erst fiel mir auf, dass bisher noch keiner meiner Kollegen angeklopft oder mich auf den Gängen abgefangen hatte, um mir irgendwas überzuhelfen. Vielleicht warteten sie nur bis zur Mittagspause, um sich dann auf mich zu stürzen... Zutrauen war es ihnen und meinem 'Glück' leider auch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)