Broken Genius von caladriuss ================================================================================ Kapitel 22: Aussprache ---------------------- Bei ihren letzten Besuchen hatte Lauren ihn angeschrien, niedergemacht und sein Modell zerstört. Mir war wirklich nicht wohl dabei, dass er ihr trotzdem nochmal die Gelegenheit bot, sich mit ihm unter vier Augen zu unterhalten. Mokuba knuffte mir in die Seite. „Machst du dir Sorgen?“ Ich nickte unwillig. „Ihre letzte Konfrontation verlief für deinen Bruder nicht gerade gut.“ „Ich weiß.“ Der Kleine nickte ernst. „Aber Seto kann gut auf sich selbst aufpassen. Er weiß, was er tut.“ „Ich zweifle ja auch nicht an ihm sondern an ihr.“ Auch wenn er auf sich aufpassen konnte, Lauren hatte die Fähigkeit, ihn emotional zu treffen. „Hm.“ Mokuba dachte kurz nach. „Eigentlich bin ich überhaupt nicht dafür, aber wenn du wissen willst, was abgeht, könntest du über Setos Arbeitszimmer auf die Terrasse kommen.“ Stimmt, die Terrasse war wirklich groß. Ich hatte nicht darauf geachtet, aber es konnte ja sein, dass man sie von mehreren Zimmer begehen konnte. „Und das Arbeitszimmer ist nicht abgeschlossen?“ „Nein. Seto arbeitet ja momentan nicht darin. Er schließt es nur ab, wenn er da wichtige Dokumente oder seinen Laptop hat.“ Gut, das war zumindest eine Möglichkeit. Ich wollte mich schon auf den Weg machen, als mich Mokuba zurückhielt. Ungewohnt ernst sah er mir in die Augen. „Ich rate dir, lass dich nicht von meinem Bruder dabei erwischen. Wenn er merkt, dass du ihm nachspionierst, wird er dir das verdammt übel nehmen.“ Ich nickte zögerlich. Verdammt, da hatte er recht. Vielleicht war es nicht ganz angebracht von mir, ihnen nachzuschleichen, aber ich tat es ja nur, weil ich mich sorgte. Und ich würde vorsichtig sein. Ich kam mir vor wie ein Dieb, als ich durch sein Arbeitszimmer schlich. Das Zimmer war dunkel und angenehm kühl im Vergleich zur vorherrschenden Sommerhitze. Allerdings hatte ich gerade keinen Nerv, mich genauer umzusehen. Möglichst lautlos wollte ich die Glastür aufschieben, doch da hörte ich schon Stimmen. Mist! Seto und Lauren waren nicht im Zimmer sondern auf der Terrasse. Um ein Haar wäre ich ihnen in die Arme gerannt. Hastig presste ich mich an die Wand, um mich zu verstecken. Hoffentlich hatten sie mich nicht gesehen. Ich hielt gespannt den Atem an, lauschte ob jemand näherkam. Nein, ein Glück. Immerhin hatte ich es geschafft, die Tür einen Spalt breit aufzuschieben. Ideal, um zu lauschen. „Also hast du mich tatsächlich durch diesen blonden Anfänger ersetzt?“, fragte Lauren. Redete sie von mir? Ich und sie ersetzt? Mein Herz schlug schneller bei dem Gedanken. Genau das war mein Ziel, aber hatte ich das tatsächlich schon erreicht? Seto hatte mir gegenüber nie amouröse Geständnisse hingelegt, allerdings trug er sein Herz ja auch nicht unbedingt auf der Zunge. Ich konnte mir ein glückliches Grinsen bei der Vorstellung nicht verkneifen. „Er hat natürlich nicht deine Erfahrung oder dein Geschick, aber für die letzten Sitzungen reicht es schon aus.“ Was redete Seto denn? Das ergab keinen Sinn. „Schön!“ Lauren schnaubte leicht. „Die Massage war ja auch nur ein Angebot als Wiedergutmachung.“ Oh... Es ging nur um die Massagen. Blöd von mir. Da hatte ich mich wohl zu falschen Hoffnungen hinreißen lassen. „Ich denke, diese körperliche Nähe wäre für uns beide nicht gut.“ Ah, er blieb in der Defensive. Sehr gut. Hoffentlich akzeptierte sie es. „Aber seine körperliche Nähe ist okay, oder wie?“ „Das ist etwas anderes.“ Sie schnaubte. „Warum ist dieser Kerl überhaupt ständig hier? Nur für die Therapie? Wohl kaum!“ Oha! Jetzt schoss sie gegen mich. Wenn sie mich als Dorn im Auge empfand, wusste sie dann um meine wahren Absichten? „Es geht hier nicht um Joey.“ „Was will er von dir?“ Er schwieg einen Moment, ehe er antwortete. „Ich bin mir nicht sicher.“ Was hieß das? Er war sich nicht sicher? „Du weißt es nicht?“ Ihre Stimme wurde ein wenig sanfter. „Warum duldest du ihn dann?“ „Er hilft mir und versteht mich.“ „Also seid ihr sowas wie Freunde?“ Ich horchte gespannt auf seine Antwort. Ja als was sah er uns denn? „Keine Ahnung.“ „Oder mehr?“ „Mehr?“ Laurens Stimme klang wirklich ungewohnt ruhig und weich. Anscheinend erzürnte der Gedanke sie nicht mal. „Hast du denn nie darüber nachgedacht, dass er mehr von dir wollen könnte?“ Sie ahnte es also doch. Seto seufzte schwer. „Ich weiß es nicht. Kurzzeitig hatte ich auch den Eindruck, aber inzwischen werde ich aus seinem Verhalten nicht mehr schlau. Er verhält sich völlig irrational.“ Bitte? Ich tat hier alles, um seine Zuneigung zu gewinnen und er fand mich irrational? Das war nicht gut. Ich hätte gedacht mein Spiel aus bezirzen und Abstand halten, würde ihn neugierig machen. Aber wenn ich ihn damit nur verunsicherte, würde er sich nie auf mich einlassen. „Würdest du denn mehr wollen?“, fragte Lauren. Ja, das interessierte mich auch. „Was?“ „Naja, für mich wäre das natürlich äußerst schmeichelhaft. Dann könnte ich mir auf die Fahne schreiben, dass mich keine Frau ersetzen konnte und du deswegen das Ufer gewechselt hast.“ Ihrer Stimme nach meinte sie es wohl neckend, aber Seto fasste es nicht so auf. „Du bist nicht mehr Teil meines Liebeslebens, also halt dich da raus! Es geht hier auch nicht um Joey, also komm endlich zum Punkt und sag, warum du hier bist!“, knurrte er. Defensive hoch, wie immer, wenn es ihm zu privat wurde. Also war er auch Lauren gegenüber kein offenes Buch. Eine Weile herrschte Stille. Was jetzt? War sie gegangen? Knutschten sie rum? Ich konnte nichts sehen und das machte mich irre! Irgendwie musste ich einen Weg finden, sie beobachten zu können und unentdeckt zu bleiben. Vielleicht bot der Schreibtisch einen Sichtschutz. Vorsichtig schlich ich durchs Zimmer, genau darauf bedacht, nicht in ihr Sichtfeld zu kommen. Ich kroch unter den großen Schreibtisch. Das Versteck schien wirklich ideal zu sein, denn der Tisch reichte an drei Seiten bis zum Boden, perfekter Sichtschutz. Und der Fußraum darunter war gigantisch groß. Ich konnte ganz locker sitzen und die beiden beobachteten. Sollten sie doch mal in meine Richtung schauen, wäre immer noch genug Platz, um mich komplett vor ihren Blicken unter dem Tisch verstecken zu können. Wahrscheinlich würden sie mich aber sowieso nicht sehen. Der Raum war immerhin doch recht düster durch die zugezogenen Vorhänge vor den Fenstern. Das einzige Tageslicht drang durch die Terrassentür. Jetzt waren Seto und Lauren in meinem Blickfeld, aber ganz schlau wurde ich aus dem Anblick nicht. Sie standen beide einfach nur da und schauten sich an. Vielleicht fochten sie ein stummes Duell, das ich nicht nachvollziehen konnte. Schließlich seufzte Lauren geschlagen auf. „Ich bin nicht hier, um zu streiten.“ „Bis jetzt hast du noch nicht gesagt, was du willst.“ Wie angespannt er wirkte, das sah ich selbst von hier. Anscheinend wusste er noch nicht, worauf das Ganze hinauslief. Lauren wirkte mindestens genauso gespannt, aber sie schien tatsächlich nicht auf Streit aus zu sein. Sie senkte den Blick, als wäre ihr das Gespräch unangenehm. „Weißt du eigentlich, wie sehr dein Argwohn mir wehtut? Früher hättest du mich nie so angesehen.“ „Ich behaupte mal, dass meine Haltung berechtigt ist.“ Er gab kein bisschen nach. Irgendwie hart. „Warum bist du nun hier?“ „Um genau zu sein, bin ich mir noch nicht sicher.“ Seto wich einen Schritt zurück, baute mehr Abstand auf. „Für uns gibt es keine gemeinsame Zukunft, Lauren.“ Er sagte es ruhig, doch in seiner Stimme hörte ich einen Unterton, den man als Bedauern interpretieren könnte. „Es gibt einfach keinen Weg, der uns beide nochmal zusammenführen würde.“ „Das ist mir klar.“ Sie wandte sich ab, trat an die Brüstung und ließ ihren Blick über den Garten gleiten. Sie schwieg einige Minuten. Die Szene wirkte in der Zeit fast schon eingefroren. Niemand bewegte sich, beide standen sie einfach nur steif da. Sie sollte endlich zum Punkt kommen, verdammt! Diese Spannung brachte mich um. Konnte es etwa tatsächlich sein, dass Lauren bereit war, einen Schlussstrich zu ziehen? Machte sie endlich Platz für mich? „Siri hat mir erzählt, was zwischen euch vorgefallen ist.“ Laurens Stimme klang monoton, fast schon sachlich. Trotzdem zuckte Seto unter dem Satz unmerklich zusammen. „Und falls du dich fragst, ob mich das getroffen hat: Ja. Das hat es mich in der Tat.“ Jetzt sah sie doch auf, bedachte ihn mit einem ernsten Blick. „Mir ist klar, dass du nach unserer Trennung andere Frauen hattest, aber Siri ist etwas anderes.“ „Es war nicht meine Absicht, dich damit zu treffen.“, sagte er zögerlich. Vielleicht zweifelte er ja seine eigene Aussage an. Ob es nicht eventuell doch eine kleine Rolle gespielt hatte, wusste nur er selbst. „Darum geht es nicht.“ „Nein?“ Sie schüttelte den Kopf. „Als Siri es mir erzählt hat, war ich unglaublich wütend. Ich bin gleich hergekommen.“ Ihr Blick wurde sehr nachdenklich und auch traurig. „Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie du das nur tun konntest. Es kam mir vor, als hättest du mich betrogen.“ Sie lachte, doch es klang unecht, fast schon hysterisch. „Und auf einmal wurde mir klar, was das heißt. Als wir zusammen waren, hättest du mich nie im Leben betrogen. Du warst immer ehrlich und treu.“ „Wir sind aber nicht mehr zusammen.“ „Du hättest nicht mit ihr geschlafen, wenn in deinen Augen noch die kleinste Chance für uns bestanden hätte.“ „Lauren...“ Seine Stimme wurde ein wenig sanfter und ich sah, dass er unkontrolliert über seinen Daumenrücken kratzte. Im Moment wirkte sie sehr verletzlich und das brachte ihn in Zwiespalt. Sollte er sie trösten? Sie tat mir ja schon selber leid. „Vielleicht hast du recht und wir sollten endlich damit abschließen.“ „Vermutlich wäre es wirklich das beste.“ Er atmete schwer aus. „Solange wir nicht loslassen, werden wir nie in der Lage sein, mit anderen an unserer Seite glücklich zu werden.“ „Richtig.“ Jetzt lächelte sie schwach. „Alles, was wir noch füreinander tun können, ist Frieden zu schließen.“ Ja! Sie schlossen miteinander ab. Besser konnte es nicht für mich laufen. Da konnte ich es auch tolerieren, dass sie sich nun in seine Arme schmiegte. Eine letzte Umarmung war schon erlaubt. Eine sehr lange, feste Umarmung. Ich sah, dass sie ihm leise Worte ins Ohr hauchte, doch ich verstand nichts. Er nickte, wisperte ebenfalls etwas, ehe sie sich voneinander lösten. Eine gefühlte Ewigkeit standen sie sich gegenüber und sahen sich an. Sein Gesicht konnte ich nicht erkennen, aber in ihrem war der Abschiedsschmerz deutlich erkennbar. Nach allem, was sie zusammen durchgemacht hatten, all den gemeinsamen Erinnerungen, konnten sie nun in Frieden auseinander gehen. Für beide ein schwerer aber notwendiger Schritt in die Zukunft. Mit feuchten Augen schenkte sie ihm noch ein letztes, trauriges Lächeln, ehe sie zügig von der Terrasse stürmte. Oha! Eigentlich hatte ich gerade genau das beobachtet, was ich mir wünschte. Sie ließ ihn gehen, machte den Weg frei für mich. Aber der Abschied gerade war von solcher emotionaler Intensität getragen, dass selbst mir davon ganz flau im Magen wurde. Ich spürte den Abschiedsschmerz wie ein unangenehmes Prickeln auf der Haut. Seto lehnte inzwischen an der Brüstung. Er hatte die Augen geschlossen, atmete tief durch. Irgendwie wirkte er ein bisschen gequält. So leicht nahm er es anscheinend doch nicht, denn er kratzte schon wieder über seinen Daumenrücken. Irgendwie tat es mir leid, aber ich konnte ihn jetzt schlecht trösten. Offiziell hatte ich ja nichts mitbekommen. Vermutlich war es auch am besten, wenn er jetzt einfach mal ein paar Minuten seine Ruhe hatte. Möglichst lautlos schlich ich zurück ins Erdgeschoss. Ich setzte mich auf die Stufen. Egal, wie lange es dauerte, ich würde warten. Ich wollte einfach sichergehen, dass es ihm gut ging. Allerdings verging Stunde um Stunde und nichts geschah. Hatte er sich jetzt in seinem Zimmer verschanzt? Vielleicht sollte ich nachschauen. Nur ein kurzer Blick, ob er zurechtkam. Ich klopfte an seine Zimmertür, doch es kam keine Antwort. Vorsichtig trat ich ein. Das Zimmer war leer, aber dafür stand die Terrassentür offen. Draußen fand ich Seto dann. Er lag auf der Liege und starrte gedankenverloren vor sich hin. „Hey.“ Ich ging vor ihm in die Hocke, strich vorsichtig über sein Knie, damit er auf mich aufmerksam wurde. Ein wenig erschrocken zuckte er zusammen. Anscheinend hatte er mich wirklich nicht bemerkt. Er sah mich aus so traurigen blauen Augen an, dass es mir schier das Herz brach. Allein dieser Blick reichte aus, damit ich einen Klos im Hals und feuchte Augen bekam. „Alles klar?“, fragte ich sanft. Er nickte. „Sicher.“, meinte er lahm. Schien mir nicht so. Ich stand auf und holte aus dem Bad einen feuchten Lappen. Damit bewaffnet ging ich zu ihm zurück und setzte mich an den Rand seines Stuhls. Wortlos griff ich nach seiner Hand und wusch sie ab. Er hatte seinen Daumenrücken dermaßen aufgekratzt, dass das Blut in einem dünnen Rinnsal bis über seinen Zeigefinger und sein Handgelenk geflossen war. Wahrlich eine schlechte Angewohnheit. Teilnahmslos beobachtete er, wie ich seine Haut säuberte und schließlich die Verletzung kühlte. „Ich habe dich warten lassen.“, murmelte er leise. „Das war unhöflich, entschuldige.“ Immer so auf Etikette bedacht. „Ist egal.“ Ich schüttelte beschwichtigend den Kopf. Wegen mir brauchte er sich wirklich keine Gedanken zu machen. „Sicher, dass alles klar ist?“ „Warum fragst du?“ Ich hob kurz den Lappen an, der sich inzwischen rot gefärbt hatte und deutete auf die Wunde, aus der immer noch ein ganz dünnes Rinnsal Blut quoll. Wahrscheinlich hatte er die Stelle immer wieder und wieder aufgekratzt, seit Lauren vor einigen Stunden gegangen war. „Das machst du immer, wenn du aufgebracht bist.“ Andächtig betrachtete er die Wunde. „Sowas weißt du?“ „Ich kann deine Mimik und Gestik ziemlich genau lesen. Wenn wir uns gestritten haben, musste ich ja schließlich rechtzeitig wissen, wann der Bogen überspannt ist.“ „Du kannst mich lesen?“ „Ein bisschen.“ Sein Blick ruhte auf mir, musterte mich nachdenklich. Da war immer noch diese tiefe Traurigkeit, aber vielleicht konnte ich ihn davon ablenken. „Und was kannst du im Moment lesen?“, fragte er lauernd. Hm, was sollte ich darauf antworten? Sollte ich ehrlich sein und ihn auf Lauren ansprechen. Ich könnte ja mal ausreizen, ob er mir genug vertraute, um mir zu erzählen, was geschehen war. Ich holte tief Luft. „Ich kann lesen, dass du traurig bist und aufgewühlt. Wahrscheinlich wegen Lauren.“ Dass es stimmte, wusste ich ja und er selbst wirkte auch nicht sonderlich überrascht. „Man muss kein Hellseher sein, um das zu erraten.“, murmelte er. Sein Blick glitt abwesend zum strahlendblauen Himmel, als hätte er das Interesse am Gespräch verloren. Ich allerdings fand es doch ziemlich erstaunlich, dass man ihm das so deutlich ansah. Normalerweise gewährte er ja auch nie so einen deutlichen Einblick in seine Gefühlswelt. Also konnte ich das wohl als Vertrauensbeweis betrachten. „Ist sie wieder ausfallend geworden?“, fragte ich vorsichtig. Ich kannte das Gespräch ja, aber ich wollte sehen, ob er mir davon erzählte. „Nein, wir haben alle Differenzen beigelegt.“ Trotzdem sah er mich nicht an. „Aber das ist doch gut, oder nicht?“ „Sicher.“ „Und warum schaust du dann so aus traurig drein, als wäre jemand gestorben?“, fragte ich behutsam. Jetzt sah er doch wieder zu mir. Sein Blick wurde ein bisschen dunkler, defensiver. „Warum kommst du eigentlich immer wieder her?“ Ah, die Frage, die Lauren aufgeworfen hatte. Ich wusste sehr genau, warum ich hier war, aber der Zeitpunkt, ihm das zu sagen, war ungünstig. Der Abschied von Lauren traf ihn doch schwer und er brauchte Zeit, das zu verdauen. Da konnte ich ihm ja schlecht jetzt meine Aufwartung machen. „Ich denke einfach, meine Nähe und meine Gesellschaft tun dir ganz gut.“, antwortete ich ehrlich. Er zog die Augenbraue hoch. „Also bist du hier, um mich mit deiner Anwesenheit zu therapieren?“ „Nein, keine Therapie. Ich bin nur der Meinung, dass wir einander etwas geben.“ „Und was gebe ich dir?“ Ich nahm den Lappen von seiner Hand. Inzwischen war die Blutung gestillt und die Wunde glänzte rötlich. „Soll ich dir das verbinden?“ Er sah mich schief an, beließ aber seine Hand in meiner. „Was gebe ich dir?“, fragte er erneut. Bei seinem erwartungsvollen Blick musste ich lächeln. „Du bist der faszinierendste Mensch, der mir je begegnet ist. Allein in deiner Nähe sein zu dürfen, gibt mir mehr als du ahnst.“ „Ja, aber was denn?“ Dass er so neugierig sein musste. Wäre die Situation nur ein bisschen anders, wäre es ideal, um ihm meine Liebe zu gestehen. Aber dieser Funken Traurigkeit in seinen Augen wollte einfach nicht verschwinden. Ich musste irgendwie ausweichen. „Ich kenne dieses Gefühl, das dich gerade beschäftigt. Nach einer Trennung habe ich auch immer an mir gezweifelt und mich gefragt, was ich denn überhaupt zu bieten hab.“ In seinen Augen sah ich, dass ich den Nagel auf den Kopf traf, ihn die Antwort jedoch nicht zufriedenstellte. Trotzdem fuhr ich einfach fort. „Aber das musst du nicht. Du hast so viel zu bieten. Du bist wahnsinnig schön, unfassbar intelligent und so einzigartig in deinem Wesen. Du hast mehr zu bieten als man sich je erträumen könnte.“ Er senkte den Blick. Anscheinend machten ihn meine Worte verlegen, denn seine Wangen nahmen eine rötliche Nuance an. Niedlich. Vielleicht war ihm das noch nicht oft gesagt worden. „Habt ihr euch voneinander verabschiedet?“, fragte ich sanft. Er nickte, vermied es aber weiter, mich anzusehen. „Bist du unglücklich darüber?“ Darüber musste er wohl selbst erst mal nachdenken. Er schwieg eine ganze Weile, ehe er leise antwortete: „Wir haben uns schon vor langer Zeit getrennt, aber es war nie so abschließend wie heute. Bisher war da immer noch irgendwie ein sporadischer Kontakt. Jetzt ist es endgültig vorbei.“ Das verstand ich und ich hatte ja auf der Terrasse auch gesehen, wie schwer ihm dieser Abschied fiel. „Jemanden gehen lassen zu müssen, tut immer weh.“ Ich sah, dass er schon wieder dazu ansetzte, über die frische Wunde zu kratzen. Anscheinend war dieser Reflex tief bei ihm drin. Ich fasste seine Hand fester, um ihn davon abzuhalten und drückte sie tröstend. Als er aufsah, fing ich seinen Blick auf, erwiderte ihn. Wenigstens sah ich in seinen Augen, dass ich den Punkt traf. Hoffentlich fühlte er sich verstanden von mir. „Aber der Schmerz wird vergehen und Platz für etwas Neues, vielleicht viel Besseres machen.“ Seine blauen Augen waren einfach zum Verlieben, wenn er mich so fragend ansah. „Du klingst, als wärst du dir da sicher.“, murmelte er. „Was Trennungen angeht, habe ich ausnahmsweise mehr Erfahrung aus du.“ Ich strich über seinen Handrücken. „Glaub mir, es wird wieder besser.“ Und am besten mit mir. „Vielleicht.“ Er seufzte leise. „Ich muss es nur erst mal verdauen.“ Ja, daran würde er noch zu knabbern haben. An sich war es ja damit für ihn die erste große Trennung. Wahrscheinlich sollte ich mich lieber zurückziehen und ihm seine Ruhe lassen. Ich stand auf und ging ins Bad. So ein Ordnungsfreak wie Seto hatte natürlich auch einen perfekt gefülltes Medizinschränkchen. Ich schnappte mir einen Verband daraus und ging wieder zu ihm auf die Terrasse. „Gib mir deine Hand.“ Zögerlich kam er meiner Aufforderung nach und reichte sie mir. Er beobachtete teilnahmslos, wie ich sie bandagierte. Dicker als nötig und optisch kein Kunstwerk, aber es hielt. Zufrieden mit mir betrachtete ich das Meisterwerk. „Das sollte deinen Daumen vor weiterem Schaden schützen.“ Er nickte nur knapp, während er kritisch seine Hand betrachtete. „Ich gehe lieber, damit du deine Ruhe hast, okay?“ Wieder nur ein Nicken. „Wenn es dir recht ist, komm ich dann für eine letzte Massage wieder, bevor du deinen Gips loswirst.“ Irgendwie musste ich ja noch einen Fuß in der Tür halten. „Okay.“, wisperte er. „Das wird schon wieder.“ Sein trauriger Blick war wirklich herzzerreißend, aber im Moment konnte ich ihm nicht helfen. Also ging ich lieber, bevor ich mich noch zu etwas Dummen verleiten ließ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)