Entscheidung
Einige Monate vorher
Uzumaki Naruto wachte von seinem Schläfchen auf aufgrund des riesigen Krachs an der Wand seiner Wohnung. Das Haus nebenan war nach Pains Angriff immer noch im Wiederaufbau, und der ständige Lärm reizte Naruto ins Unermessliche. Alles, was er wollte, war doch bloß ein Nickerchen!
Vor sich hin fluchend, stieg Naruto langsam aus dem Bett und lief zum Balkon.
Die Sonne war gerade dabei unterzugehen, und der Himmel wechselte in einen blau-rosafarbenen Ton. Die Straßen von Konoha waren immer noch voller Leuten: Männer mit kalten Drinks; Frauen, die einkaufen gingen und plauderten; und Kinder, die spielten.
Naruto konnte nicht umhin, über eine kleine Gruppe von kleinen Jungs zu lachen, die aufgeregt erzählten, wie sie Ninja werden wollten.
„Ich werde super stark!“, brüllte einer von ihnen. „Wie die Sannin! Jeder wird meinen Namen kennen!“
„Baka! Du bist noch nicht einmal in der Akademie!“
„Ich werd's schon schaffen. Du wirst's schon sehen!“
„Mein großer Bruder sagte, dass ich sehr gut in Shurikenwerfen bin“, sagte ein anderer voller Stolz. „Ich werde ein großartiger Shinobi – wie er und mein Vater.“
Ein anderes Kind sprang vor seinen Freunden und breite seine Arme aus. „Ich will ein großer Held werden“, sagte er. „Wie Naruto-sama!“
Die anderen Jungs fingen an zu lachen und behaupteten, dass es für ihn unmöglich sei, so stark zu werden.
„Naruto hat die ganze Welt gerettet! Mein Vater sagte, er ist der stärkste Ninja auf der Welt. Du kannst unmöglich wie er werden.“
„Pff.“
„Naruto wird der nächste Hokage. Hör auf, blöde Sachen zu sagen!“
Naruto lachte ein wenig, als die Kinder hinter einer Ecke verschwanden.
Konoha war zwar immer noch im Wiederaufbau nach Pains Angriff, aber glücklicherweise erlitt das Dorf keine schweren Schäden während des Vierten Shinobi-Kriegs. Er hatte dies ermöglicht. Madara war tot; Akatsuki hatte sich aufgelöst; und Kabuto war verschwunden. Sasuke allerdings …
Narutos Augen wurden leblos, als er sich an seinen Teamkameraden erinnerte. Er ging zurück in sein Zimmer, setzte sich am Rand seines Bettes hin und nahm sein Lieblingsfoto.
Im Gegensatz zur Realität änderten sich Bilder trotz des Zeitablaufs nicht.
Sasuke … Ich wünschte wirklich, ich hätte dich retten können …
Sein Kampf war der Schwierigste und Intensivste, den er je hatte. Als Naruto als Sieger hervorgegangen war, war Sasuke auf den Boden gelegen – verwirrt und außerstande zu glauben, dass er sich von dem Idioten hatte besiegen lassen, den er schon immer verabscheute.
Naruto hatte Sasuke seine Hand ausgestreckt, erfüllt von Hoffnung, dass er ihn von seinem Hass, seiner Dunkelheit befreit hatte …
Indem Sasuke seine Stärke anerkannte, so war er sich sicher, würde er Narutos Freundschaft erkennen.
Stattdessen starrte Sasuke ihn zornig an, seine Augen mit mörderischer Wut und Schande erfüllt, ehe er in den Wald verschwand. Und Naruto hatte ihn einfach gehen lassen …
Als internationaler Verbrecher wurde Sasuke seit Monaten von jedem einzelnen Dorf auf der Welt gesucht. Ihre Befehle lauteten, ihn zu töten, sobald sie ihn sichteten, aber Sasuke wurde nie gefunden. Es war, als wäre er von der Erde verschwunden. Bis vor zwei Monaten …
„Guren-san! Lass uns was essen gehen!“, brüllte draußen eine ihm vertraute Stimme.
„Beruhig dich … Wir essen in ein paar Sekunden.“
Als Naruto die Stimmen wiedererkannte, verließ er das Haus und rannte auf die überfüllte Straße. Da sie nicht zu weit entfernt von ihm liefen, konnte er sie schnell ausfindig machen.
„Guren! Yukimaru!“, schrie der blonde Ninja, während er auf sie zulief.
Guren war überrascht und zeigte Naruto ein wildes Grinsen. Yukimaru lächelte glücklich.
„Nun … lange nicht mehr gesehen“, sagte die stolze Frau, während sie Yukimarus Hand leicht hielt.
„Naruto!“, schrie Yukimaru auf.
„Schön, dich zu sehen!“, sagte Naruto und erinnerte sich an das letzte Mal, wo er Guren gesehen hatte: in einen See fallend, der von ihrem eigenen Kristall umgeben war. „Ihr habt mir echt Angst eingejagt.“
„Es tut mir so leid, Naruto. Wir wollten dich nicht erschrecken.“ Yukimaru schaute traurig drein.
„Nah! Ist schon in Ordnung! Ich bin einfach nur froh, dass es euch gut geht!“
Gurens Grinsen wuchs immer mehr. „He, immer noch derselbe Idiot!“
„Also, was führt euch hierher? Seid ihr grad auf 'ner Besichtigung?“, fragte Naruto neugierig.
Guren und Yukimaru schauten sich gegenseitig an, die Stirn runzelnd.
„Was ist los?“, fragte Naruto.
„Wir … Wir sind nach Konoha gekommen, um ein paar Informationen zu überbringen. Wir sind grad eben vom Büro des Hokage gekommen.“
Naruto blinzelte. „Informationen? Über was denn?“
Guren seufzte laut. „Über Uchiha Sasuke …“
Naruto spürte, wie sein Herz schneller schlug und sein Mund trocken wurde. „Wie viele hat er … diesmal getötet?“, fragte er.
Guren schaute Naruto in die Augen und hielt inne. Wie konnte sie ihm es erzählen? „Über 300 Dorfbewohner und einige Ninja.“
Naruto fühlte, wie seine Augen brannten. 300? Das war weitaus mehr als beim letzten Mal!
„Wir kamen gerade vorbei, als wir die Überlebenden gesehen haben, die aus dem Dorf geflohen sind. Ich sagte Gozu, dass sie auf Yukimaru aufpassen sollte. Dann bin ich dorthin gegangen. Leichen lagen um den Uchiha herum, und … er lachte, er schrie deinen Namen.“
Naruto schluckte. Nicht schon wieder …
„Er erweckte den Eindruck, als er ob er zu seinem Bruder und seinen Eltern sprechen würde, die ihn anfeuerten. Dann … zerstückelte er ein Kind. Ich hoffe, es war schon tot.“
Naruto konnte es nicht mehr hören; er wollte es nicht mehr hören. Aber er musste es, er musste von Sasukes Gräueltaten erfahren, weil … Sasuke wegen ihm töte.
„Es tut mir so leid, Naruto.“
Es war nicht schwer festzustellen, dass Sasuke verantwortlich an der Auslöschung der Dörfer war. Er bildete den Uchiha-Massaker in jedem einzelnen nach und fand großen Gefallen daran. Die meisten Verletzungen waren durch Chidori entstanden; Kakashi hatte diese Beobachtungen selbst gemacht. Das Jutsu, das er erschaffen hatte, um die Liebenden zu beschützen, wurde nun benutzt, um sie zu zerstören.
Naruto wusste, dass sein Sensei sich schuldig fühlte, Sasuke jenes Jutsu beigebracht zu haben, das dieser dafür verwendete, das Leben vieler Menschen zu beenden.
Aber nicht so schuldig wie ich.
Sasuke versuchte, ihn in den Kampf zu ziehen. Die Berichte der Überlebenden aus den zwölf Dörfern, die er ausgelöscht hatte, waren im Grunde immer dieselben: Ein rotäugiger Junge hatte das Dorf betreten und verkündet, es zu Staub zu zermahlen.
Als die Dorfbewohner versuchten anzugreifen, brachte er sie um, bevor sie sich mit allen anderen zusammenschließen konnten. Männer und Frauen, Junge und Alte, nichts hielt den Uchiha auf. Alle, die seinen Weg kreuzten, wurden durch Chidori erstochen und getötet, lebendig verbrannt oder von einem Monster zermalmt, das ihn wie ein schützender Dämon einhüllte – Susanno. Und Sasuke würde einfach nur lachen. Der Junge, an den Naruto dachte und den er wie einen älteren Bruder bewunderte, ja für den er sogar freiwillig sein Leben hergeben würde, war zu einem Monster geworden.
Sasuke schrie nach seinen Namen, während er tötete und behauptete, dass er der Stärkste sei, dass Naruto ein Feigling, ein Schwächling sei, der nur durch pures Glück gewinnen konnte.
„Siehst du's, Naruto?“, rief er mit einem teuflischen Lächeln, das sein attraktives Gesicht entstellte. „Du warst niemals stärker! Nie! Komm, kämpf gegen mich, und ich zeig's dir! Komm und kämpfe gegen mich, du Wichser!“
Naruto hatte eingreifen wollen, doch Tsunade würde ihn nicht gehen lassen. Es war zu gefährlich und würde Sasuke genau das geben, was er wollte: Aufmerksamkeit und ein Gefühl von Macht über ihn. Stattdessen hatten andere Ninja eingegriffen, nicht nur die aus Konoha, sondern auch solche aus allen bekannten Dörfern. Die Zahl der Todesopfer stieg. Wahnsinn gab dem letzten Uchiha die Kraft zum Leben. Naruto konnte es nicht mehr aushalten.
Nachdem er sich von Guren und Yukimaru verabschiedet hatte, ging er direkt zum neuen Büro des Hokage.
Das Gebäude glich sehr dem ehemaligen und roch immer noch nach frischer Farbe, doch Naruto war so in sich gekehrt, dass er noch nicht einmal den neuen Look bemerkte oder die neugierigen Blicke der Ninja, die seinen Weg kreuzten. Nun stand er an der Tür des Hokage und klopfte an.
Tsunade und Shizune waren im Büro, beide umgeben von Bergen aus Dokumenten, die wie eine Lawine aus weißem Papier zu fallen drohten.
Als Tsunade den jungen Blonden sah, blickte sie verärgert drein. „Naruto! Was hat das hier zu bedeuten?“, brüllte sie, während Shizune zurückwich.
„Baa-chan … Ich kann mich nicht mehr länger zurückhalten. Ich werd' Sasuke suchen gehen – auch ohne deine Erlaubnis!“
Tsunade lehnte sich im Stuhl zurück und schnaubte verärgert. Sie hatte geahnt, dass Naruto heute aufkreuzen würde.
„Wir hatten dieses Gespräch schon mal, Naruto“, sagte sie, deutlich darum bemüht, ruhig zu bleiben. „Soll ich dich etwa gehen und gegen ihn kämpfen lassen?“
„Ich bin der Einzige, der Sasuke besiegen kann!“, erwiderte Naruto. „Hast du doch selbst gesagt.“
„Aber du willst gegen ihn allein kämpfen. Kannst du dir vorstellen, wie dumm das ist?“
„Noch mehr Ninja nach ihm zu schicken, fordert nur noch mehr Tote. Ich … Ich bin verantwortlich für Sasuke. Ich will das mit ihm allein regeln.“
Tsunade stützte ihren Ellbogen auf den Tisch und schaute Naruto in die Augen. Der Junge hatte sich weiterentwickelt, darüber gab es keine Zweifel. Trotzdem war er immer noch ein Junge, und Jungs machten Fehler.
„Bist du in der Lage, ihn umzubringen, Naruto? Wirst du die Mission akzeptieren, Uchiha Sasuke zu eliminieren?“
Naruto schluckte. Die Frage war wie ein Schlag ins Gesicht.
Konnte er Sasuke töten?
Während des Kriegs war er genauso nah dran gewesen zu sterben, wie seinen besten Freund umzubringen, und er wusste, ihm würde beides gelingen. Aber Sasuke zu verfolgen würde keine Mission sein, in der er ihn davon überzeugte, nach Hause zurückzukehren. Denn Sasuke hatte kein Zuhause mehr, nur zu viele Verbrechen, die er begangen hatte. Die ganze Welt wollte ihn brennen sehen, und er würde nicht aufhören, ehe die ganze Welt in Flammen stand.
Naruto stellte sich seinen alten Traum vor, einen, in der Team 7 sich versammelte und gemeinsam lachte und eine neue Mission vorbereitete. Kakashi mit seinem perversen Buch in der Hand; Sakura-chan zwischen ihnen und lächelnd; und Naruto, der immer wieder versuchte, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, während Sasuke ihn als Idiot bezeichnete. Sie alle sollten jetzt zumindest Chūnin sein. Sasuke wäre vielleicht Jōnin. Sie würden den größten Rekord erfolgreicher Missionen erzielen. Sasuke würde irgendwann seinen Klan wiederaufbauen, Sakura würde die beste Iryōnin und Naruto zum Hokage ernannt werden. All diese Dinge hätten passieren sollen …
Wie er sich an sein altes Team erinnerte, erkannte Naruto schließlich die grausame Realität. Er war so dumm gewesen, so naiv. Itachi hatte recht; er war bloß ein Kind voller unmöglicher Träume.
Der Sasuke, den ich kannte, wird niemals zurückkommen. Der Hass der Uchiha hat ihn vollkommen verzehrt.
„Also, Naruto?“
Naruto blickte kurz auf und starrte den Hokage mit einem niedergeschlagenen Ausdruck an.
„Ja, Baa-chan. Ich akzeptier' sie.“