Vor der Nase von Hotepneith (Lord Sesshoumarus 25. Fall) ================================================================================ Kapitel 1: Mord im Schloss -------------------------- Nichts ist trügerischer als eine offenkundige Tatsache. Arthur Conan Doyle: Sherlock Holmes - The Boscombe Valley Mystery Der Inu no Taishou kam von seinem kleinen Ausflug durch seine Länder zurück. Noch immer streifte er gern durch das Fürstentum, liebte die Wildnis um sich. Die höfische Kultur war eben nur Makulatur. Darunter lag der Dämon, ein Wesen, das die Natur verkörperte, zumal als Hundedämon ein Raubtier. Er wusste, dass es auch seinem Sohn deutlich lieber war durch die Wälder zu spazieren – aber was notwendig war, musste eben getan werden. Aus verschiedenen Gründen, einer war die Einsamkeit, einer die Beobachtung eines gewissen jungen Menschenmädchens, von der jedoch wirklich niemand wissen sollte, hatte er Sesshoumaru bereits vor Tagen vorausgeschickt, nachdem sie zwei gemeinsame Wochen erfolgreich mit der Jagd nach Feuerratten verbracht hatten. Als er über den Hof ging, ignorierte er die Dämonen und Menschen, die sich eilig vor ihm verneigten, warf nur einen Blick herum. Vor der Hütte des Heilers wartete niemand. Da er kaum annahm, dass Neigi bereits mit allen Patienten fertig wäre – immerhin reisten einige Verzweifelte viele Tage an, um mit dem berühmten dämonischen Heiler zu sprechen – war dieser wohl auf Hausbesuch, vielleicht lag eine Frau in den Wehen. Er erwartete alles in Ordnung vorzufinden und konnte auch noch Stunden später nicht sagen, warum er dies getan hatte. Weil Sesshoumaru sich gewöhnlich keine Fehler leistete und es auch niemand anderer in Gegenwart des Erbprinzen wagte? Er stutzte zum ersten Mal als sich aus den Schatten des Einganges des Hauptschlosses ein weißhaariger Hundedämon in Rüstung löste, der heraneilte, sich jedoch vor ihm niederkniete und den Kopf senkte. „Kaito,“ sagte der Herr der westlichen Länder unangenehm überrascht. Kaito war sein Heerführer – und wenn der ihn unverzüglich sprechen wollte gab es Ärger. „Ich bin überaus erfreut, dass Ihr bereits zurück seid, mein Herr.“ Das war höfisch, aber kaum das, was der sagen wollte. Was wollte er vor allem, das er nicht Sesshoumaru hatte berichten können? „Komm mit.“ Im Arbeitszimmer des Fürsten sprang der dort Sitzende unverzüglich auf und kniete neben dem bereits auf dem Boden befindlichen Sekretär nieder, verneigte sich jedoch nicht so tief wie dieser. Vater war bereits zurück? Und was wollte dieser Kaito? Hatte er selbst etwa etwas falsch gemacht und der Heerführer sich sofort bei dem Heimkehrer beschwert? Das konnte mehr als Ärger für ihn bedeuten. Vaters alte Mitarbeiter hatten stets dessen Ohr. Und seine letzte Strafe lag keinen Monat zurück....Ein wenig unbehaglich sagte der Hundeprinz jedoch nur höflich: „Willkommen zurück, mein Herr und Vater.“ „Danke. Setze dich auf deinen Platz, mein Sohn. - Du kannst gehen, Ohiru.“ Ein wenig erleichtert, ohne es freilich zu zeigen, nahm Sesshoumaru an der Rechten seines Vaters Platz, während der Heerführer sich vor den Beiden niederkniete und mit gesenktem Kopf wartete, bis sein Name erneut fiel. Dann erst sah Kaito auf, ohne jedoch die Unverschämtheit zu besitzen, dem Fürsten oder dem Prinzen in das Gesicht zu blicken: „Ich muss Euch einen Mord melden.“ NEIN! Sesshoumaru schrie es förmlich in Gedanken, bewahrte aber nach außen die kühle Fassade. Ein erneuter Mord unter seinem Dach, dachte der Herr der Hunde dagegen empört – und, wieso hatte Kaito nichts davon seinem Sohn mitgeteilt? Immerhin wusste der doch, dass dieser schon öfter erfolgreich ermittelt hatte. Kaito fuhr bemüht sachlich fort: „Ich habe mir erlaubt, Neigi und seine Schülerin zu der Leiche zu rufen. Sie sind wohl noch mit dem Toten beschäftigt.“ Fast ein wenig behutsam ergänzte er: „Es handelt sich um, einen der fünf Dämonen, die Masaru unterstehen. Haru.“ Also einer der fünf Dämonen, die eine Sonderausbildung erhielten, um später einmal als Hauptleute des Heeres zu dienen. Der Fürst nickte: „Da Neigi noch beschäftigt ist, wurde der Tote wohl erst zuvor gefunden?“ Der Heerführer war zu diszipliniert und selbstbeherrscht um seine Erleichterung über die sachliche Reaktion seines Gebieters zu zeigen. „Ja, Herr. Da Haru unentschuldigt fehlte, suchte ihn Masaru nach den Übungseinheiten. Er fand ihn erschlagen auf. Vor ungefähr zwei Stunden. Haru entstammte dem Clan Ashinomaki, wie Euch selbstverständlich bekannt ist. Seine Zimmernachbarn berichteten Masaru, da auch sie aus dieser Gruppe sind, dass Haru sich gestern Abend mit einer vornehmen jungen Dame seines Clans in seinem Zimmer stritt.“ Vater und Sohn sahen sich an. Der Clan Ashinomaki? Eine vornehme junge Dame? Ein wenig mühsam erklärte Sesshoumaru: „Ich wüsste nicht, dass Prinzessin Tokushima hier war.“ Kaito neigte vorsorglich den Kopf tiefer: „Ich habe mir erlaubt bereits Erkundigungen einzuziehen, edler Herr, Lord Sesshoumaru. Die Prinzessin war gestern in ihrer Eigenschaft als Oberhofmeisterin der Fürstin hier und gab Briefe auf. Sie reiste noch am Abend zurück. Sie war die einzige junge Dame aus dem Clan Ashinomaki gestern im Schloss.“ Auch das noch. Sesshoumaru warf einen vorwurfsvollen Blick nach oben, zu der unbekannten Macht, die stets aufs Neue ihm Leichen zwischen die Beine warf – und als Ergänzung die holde Prinzessin noch gleich dazu. Sein Vater hatte dagegen hatte das leise Klopfen gegen den Holzrahmen des Eingangs gehört: „Ja?“ Der Sekretär schob die Tür auf und verneigte sich bereits im Knien tief: „Sakura bittet um Audienz, im Auftrag Neigi-samas.“ „Lass sie herein.“ Es gab sicher Nachrichten in Bezug auf den Toten. Die junge Heilerschülerin kam in das Arbeitszimmer, verbeugte sich tief vor dem Fürsten, etwas weniger vor dem Erbprinzen, ehe sie, sich des Unterschiedes zwischen Dämon und Mensch nur zu bewusst, etwas hinter dem Heerführer niederkniete und zu Boden blickte. „Neigis Bericht?“ erkundigte sich der Inu no Taishou. „Mein verehrter Lehrer lässt Euch ausrichten, dass er den Toten in seine Hütte bringen lässt, um ihn noch genauer auf Abwehrverletzungen und anderes zu untersuchen. Dennoch ist er sicher, dass Haru von vorn erschlagen wurde, das Gesicht durch mindestens einen, eher mehrere Hiebe förmlich zerschlagen wurde,“ berichtete sie geübt sachlich. Die Leiche hatte nicht mehr sonderlich hübsch ausgesehen, obwohl Haru das lebend sehr wohl gewesen war. „Eine Wunde am Hinterkopf stammt vermutlich durch den Sturz. - Auf dem Boden fand sich jedoch Blut einer zweiten Person, nicht sonderlich viel. Mein verehrter Lehrer will es noch genauer untersuchen, aber er vermutet einen Hundedämon.“ „Weiblich?“ erkundigte sich der Prinz sofort, wenngleich nach einem Blick zu seinem Vater, ob er reden dürfe. „Das lässt sich so nicht sagen, Lord Sesshoumaru. Mein verehrter Lehrer will zunächst das Alter des Blutes überprüfen. Genau lässt es sich nicht eingrenzen, aber wenn es von heute oder spätestens gestern Abend sein sollte, sollte es sich mit kaltem Wasser und Alaun noch auflösen lassen, und der Geruch wohl bemerkbar sein, ist es bereits Monate alt, wird dies nicht gelingen.“ Der Fürst nahm zufrieden zur Kenntnis, wie genau und sachlich sie blieb – sicher ein wesentlicher Faktor in ihrer Überlebenskunst bei seinem Sohn. „Noch etwas, Sakura? Nein? Dann geh und hilf Neigi. Sobald Neuigkeiten vorliegen, erstatte Lord Sesshoumaru Bericht.“ Na bitte, dachte der Erbprinz resigniert. Er hatte es doch gewusst. Die vornehme Hundedame auf dem Thron des schwebenden Schlosses sah auf, als sie die unerwarteten Gäste bemerkte, die sich auf dem untersten Absatz der Treppe einfanden – und sie konnte nicht verhindern, dass sie sich unwillkürlich aufrichtete. Gleich sechs Dämonenkrieger gehörten nicht zu ihrem gewöhnlichen Besuch. „Willkommen,“ sagte sie dennoch oder deswegen: „Ihr bringt Nachricht von meinem Fürsten und Gemahl?“ Ja, das taten sie, natürlich. Es fragte sich nur welche unangenehme Neuigkeit sie mitbrachten. Sie musterte schweigend die Männer, die emporstiegen, sah mit gewisser Erleichterung deren Verneigung vor sich. Also galt es nicht ihr, sie wurde nicht verhaftet. Sie hätte zwar keinen Grund gewusst – aber wozu benötigte ein Fürst eine Ursache, wenn es darum ging sich einer unpassenden Gemahlin zu entledigen? Ihr war durchaus bewusst, dass ihr Getrenntleben, und noch dazu mit solchen Privilegien, nur auf Abruf war. Der Inu no Taishou war gerecht und sie war die Letzte, die das je bezweifeln würde, aber dennoch unterschätzte sie die Möglichkeiten einer geschickten Dämonin, einer neuen Anderen, keineswegs. Früher oder später würde er eine attraktive Frau finden in deren Armen er zufrieden wäre – und es müsste sich schon um ein sehr naives Wesen handeln, wenn die nicht als erstes versuchen würde sie und auch ihren Sohn auszustechen. Sie bemerkte, dass sich ihre Oberhofmeisterin unwillkürlich fast neben sie begeben hatte. Ach, Tokushima. Sie schätzte die unabhängige Dämonin, aber diese war jung, manchmal impulsiv und töricht. Der Anführer der Krieger warf einen kurzen Blick herum, ehe er antwortete: „Befehl des Fürsten. Prinzessin Tokushima ist verhaftet, wegen Mordes.“ Die junge Hundedämonin rang fast nach Luft. Sie sah, wie die Herrin kurz die Hand hob. Natürlich. Die Fürstin mochte sie schätzen, aber das bedeutete nicht, dass diese sich für sie in die Nesseln setzen würde. Nur: wieso Mord, warum sie? Noch während sie schweigend den Kriegern folgte, überlegte sie was passiert wäre. Haru etwa, gestern? Nein, das konnte nicht sein. Als sie ihn verlassen hatte, hatte der Narr doch noch gelebt. Oder war der etwa gestorben, nur, um sie zu ärgern? Ähnlich hätte es ihm gesehen. Erst, als sie in einem dunklen Raum allein gelassen wurde, dessen einziges Licht und Luftzufuhr ein schmaler Spalt unter der Decke war, der ebenso wie die Tür von Bannkreisen gesichert wurde, begriff sie wirklich: sie war des Mordes angeklagt. Und ganz offensichtlich lagen Beweise vor, die den Fürsten zu ihrer Verhaftung bewogen hatten. Mord – das bedeutete die Todesstrafe. Wie konnte sie nur den Herrn überzeugen, dass dieser dämliche Haru noch gelebt hatte? Was für Beweise mochten das sein? Und: wer hatte diesen Idioten denn bloß umgebracht? Sie sah auf, als die Bannkreise vor der Tür erloschen und diese fast übereifrig geöffnet wurde. Sie erkannte den Eintretenden: „Lord Sesshoumaru!“ Dann sollte er sie verteidigen? Solche Aufgabe hatte er schon öfter bei Mordfällen übernommen – und immer mit Erfolg. Ja, sie konnte ihn nicht leiden und seine kühle Arroganz reizte sie bis aufs Blut, aber wenn er ihr hier heraushalf....Sie verneigte sich eilig, wie es dem Erben des Fürstentums zustand, verzichtete jedoch darauf niederzuknien. Das tat sie nicht einmal bei seiner Mutter. Er nahm es zur Kenntnis: „Du bist wegen Mordes an Haru angeklagt.“ „Duzt mich nicht!“ fuhr sie trotz aller guten Vorsätze auf. „Ich duze Mörder.“ Die Prinzessin nahm sich zusammen. Er konnte sie retten: „Ich bin keine Mörderin, Lord Sesshoumaru.“ „Du hast dich gestern mit Haru gestritten – heute wurde er tot aufgefunden.“ Keine Verletzung an ihr, stellte er fest, aber eine so starke Dämonin verfügte auch über Selbstheilungskräfte, die es ihr ermöglichen würden selbst eine blutende Wunde bis heute zu verschwinden zu lassen. „Das habe ich durchaus mitbekommen. Aber, als ich diesen Narren verließ, lebte er noch.“ Und einige Leute hatten sie wohl gesehen, natürlich. „Soweit ich mich entsinne sind für dich in gewisser...Schlichtheit alle männlichen Wesen Narren. Warum also er?“ Er hatte das Wort Naivität nicht ausgesprochen, aber sie wusste, dass er es gemeint hatte – und wusste, dass sie es wusste. Zorn wallte heiß in ihr auf. Sie musste jedoch nüchtern und ehrlich bleiben, durfte ihn nicht wegschicken. Aber die Wahrheit war ja doch unangenehm. Sie sollte es eben umschreiben: „Ich kenne....kannte Haru seit meiner Kindheit. Es ging...um einen Zwischenfall von damals, den er wieder....nun, aufleben ließ. Ich war darüber sehr verärgert und da er mich allein sprechen wollte, ging ich in sein Zimmer. Natürlich nahm ich an, dass es nur eine kurze Sache wäre, aber....es....nun, ich wurde zornig.“ „Und schlugst ihn?“ Er duzte sie immer noch! „Nein. Er schlug mich.“ „Das erklärt dein Blut.“ „Oh. Neigi ist sehr aufmerksam. Oder war es dieses Menschenmädchen? Gleich. Ja, ich blutete. Und ich schlug zurück. Er taumelte nach hinten und prallte ein wenig gegen die Wand. Ehe er sich gefasst hatte, war ich gegangen. Diese ganze Szene war....unwürdig.“ Sie richtete sich etwas auf: „Nun, ich bin sicher, Ihr werdet meine Unschuld beweisen.“ Seine Lordschaft musterte sie kurz, ehe er ruhig sagte: „Du irrst wieder einmal. Ich vertrete die Anklage.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)