Jemand von Ur ("1 neue Mitteilung erhalten") ================================================================================ Kapitel 2: Erstkontakt ---------------------- Mein selbstgebastelter Argonier namens Deevan rennt mit schwerer Orkrüstung durch die frostige Weite von Himmelsrand, als mein Handy vibriert. Ich rufe das Menü auf, um Deevan eine Pause zu gönnen und wende mich von meinem Monitor ab, ganz sicher, dass Manu mir eine klagende SMS über ihre Französischhausaufgaben geschrieben hat. Aber nein. Ein mir unbekannter Kontakt, den ich vorher ganz sicherlich nicht eingespeichert hatte, hat mir eine SMS geschrieben. Der Name des Kontakts lautet einfach nur ›Jemand‹. Ich öffne die Nachricht verwirrt und frage mich gleichzeitig, welcher von meinen bescheuerten Jahrgangsmitschülern sich einen dämlichen Scherz erlaubt hat. »Hallo Kim, wie war dein Wochenende bisher?« Ich blinzele verwirrt mein Display an. Jemand – haha –, der sich einfach nur einen Witz erlaubt hätte, würde wohl kaum fragen, wie mein Wochenende bislang war. Dann würde ich eher Nachrichten erhalten, die sich über mich lustig machen. »Wer will das wissen?«, tippe ich zurück. »Jemand, der sich für dein Wochenende interessiert.« Sehr witzig. Das Wortspiel mit ›Jemand‹ ist jetzt schon alt. Mein Argonier möchte wirklich gern die Höhle ganz in der Nähe durchsuchen und dabei ein paar Totenbeschwörer köpfen. Wann zum Teufel – und diese Formulierungen im Zusammenhang mit der Angst meiner Mitschüler werden nie alt – hat irgendwer seine Nummer bei mir eingespeichert und anschließend sich selbst angerufen, um auch meine Nummer zu bekommen? Die einzige Gelegenheit, die mir einfällt, in der ich mein Handy lang genug aus den Augen gelassen hab, ist der Sportunterricht. Toll. »Bisher war mein Wochenende ganz gut«, antworte ich ungehalten. Die Antwort kommt prompt. Aha. Vermutlich jemand mit einer Flatrate. Aber gut, wer hat die heutzutage nicht? »Und wieso ist es jetzt nicht mehr gut?« »Weil irgendein Dödel seine Nummer in mein Handy eingespeichert hat.« »Benutzt du oft das Wort Dödel? :-D« Ich muss amüsiert schnauben. Ok, vielleicht war das ein bisschen witzig. Und wenn der unbekannte Mensch am Ende der Leitung mir irgendwann auf den Wecker geht, dann kann ich die Nummer immer noch blockieren. So ist es womöglich ein kleines Abenteuer. Deevan muss sich noch kurz gedulden. »Nur manchmal, wenn die Situation es verlangt.« »Vielleicht übernehme ich das jetzt auch in meinen Wortschatz. Was hat dein Wochenende bisher gut gemacht?« Ich betrachte mein Handy. Es ist schon eine ziemlich abgefahrene Situation, in der ich mich hier wiederfinde. Aber wieso denn nicht mal ein paar verrückte Dinge tun? Da alle Welt ohnehin denkt, dass ich nachts bei Vollmond Hühner oder kleine Kinder opfere, kann ich mich auch mal ein wenig leichtsinnig verhalten. »Ein Hotdog-Wettessen mit meiner besten Freundin und das Erreichen von Stufe 30 mit meinem Argonier.« »Wer hat das Wettessen gewonnen? Und was ist ein Argonier?« Ich muss lachen und wende mich meinem PC zu, um Deevan in eine besonders beeindruckende Position zu bringen und ihn dann in seiner schweren Rüstung – allerdings ohne Helm – mit meinem Handy zu fotografieren. Für einen Echsenmenschen ist er schon ziemlich heiß. Ich sende das Foto an ›Jemand‹ mit der Unterschrift »Deevan, Stufe 30. (Und ich hab gewonnen!)«. Diesmal dauert die Antwort des Unbekannten ein wenig länger, so als wäre er ein wenig geschockt angesichts der Tatsache, dass ich ihm einen gefährlich aussehenden Echsenmenschen mit einem riesigen Schwert in der Hand geschickt habe. »Verstehe, du spielst irgendein Computerspiel. Ist das eine riesige Echse in einer Rüstung?« »Jap. Er ist resistent gegen Krankheiten und kann unter Wasser atmen. Außerdem ist er total badass, wenn er Vampire mit zwei Schwertern köpft.« »Wie heißt das Spiel? Herzlichen Glückwunsch übrigens zum gewonnenen Wettessen!« »Danke. Es heißt Skyrim. Ist aus der The Elder Scrolls Reihe von Bethesda. Solltest du auch mal probieren. Die Grafik ist awesome.« »Ich werd das mal bei Google suchen. Benutzt du gern englische Wörter?« Ich prüfe die bisherige Unterhaltung und stelle fest, dass ich ›badass‹ und ›awesome‹ geschrieben habe. Awesome ist eins meiner Lieblingsworte. »Viel Spaß dabei. Ja, ich find Englisch super. Sag Bescheid, wenn du Übersetzungen brauchst ;-)« »Ich bin selber eigentlich ganz gut in Englisch, aber danke für das Angebot. Magst du noch andere Dinge, außer Hotdogs, Englisch und Skyrim?« »Schandmaul, meine Ratte Chewbacca, schwarz und Nieten, Sex, Apfelkuchen und Turnen. Und du so?« Eine ganze Weile kommt nichts und ich bin mir beinahe sicher, dass die Information über Sex zu viel für den armen Tropf am anderen Ende war. Ich nutze die Gelegenheit und sprinte mit Deevan bis zu der Höhle, in der sich laut meinem Informanten eine Bande von Totenbeschwörern befindet. Schleichen und Heimlichkeit sind nicht Deevans Sache, er rennt einfach mit erhobenem Schwert mitten ins Getümmel. Das Handy vibriert erneut. Ich ertappe mich bei einer gewissen Neugier dafür, was der seltsame Mensch am anderen Ende wohl mögen könnte. »Spaghetti Bolognese, Hunde, Volleyball, rot, The White Stripes und dich.« Ich starre eine halbe Minute hinunter aufs Display und frage mich, ob ich mir jetzt veralbert vorkommen soll. Aber es klingt nicht so, als würde jemand mich veralbern. Ich meine, der Mensch hat auch andere Sachen aufgezählt. Oder? Einen Augenblick lang überlege ich, ob ich Manu anrufen und ihr davon erzählen soll, aber Manu hasst Menschen und würde mir sicherlich sagen, dass es irgendein irrer Stalker ist, der sich durch nette Worte bei mir einschleimen will, um mich dann in einer dunklen Gasse rücklings niederzuschlagen, sobald ich ihm meinen Wohnort verraten habe. Kurz wünsche ich mir, zu wissen, wer dieser Mensch ist, damit ich besser einschätzen kann, wieso er tut, was er tut, und ob es tatsächlich ernst gemeint sein könnte. Unschlüssig lege ich das Handy beiseite und widme mich wieder Deevan und den Totenbeschwörern. Ich sterbe zweimal, bevor ich sie alle erledigt habe und finde zum Trost für die Mühen immerhin einige nützliche Tränke, Gold und ein nicht zu verachtendes Paar verzauberter Stiefel. Das Handy vibriert erneut, als ich wieder aus der Höhle und in den Schnee trete. »War das zu direkt?« Ich muss glucksen. Die Vorstellung, dass jemand für mich zu direkt sein könnte, ist eigentlich völlig absurd. Aber es stimmt. Die SMS hat mich aus der Bahn geworfen. Menschen mögen mich nicht. Mit Ausnahme von Manu, meiner Familie und meinen wenigen Freunden. Aber sie mögen mich nicht einfach so, ohne mich zu kennen. Und jemanden, den ich näher kenne, kann ich ausschließen. »Nur sehr unerwartet. Glaub ich.« »Wieso? Ist es so unwahrscheinlich, dass jemand dich mögen könnte?« Diese Frage entlockt mir tatsächlich ein Lächeln. Also, wenn irgendjemand versucht mich reinzulegen, dann gibt der Mensch sich ganz schön Mühe dabei. Ich möchte mir allerdings nicht ausmalen, was es über mein Unterbewusstsein aussagt, dass ich wirklich gern glauben möchte, dass da am anderen Ende jemand hockt, der mich gut leiden kann. »Die wenigstens Leute mögen mich«, antworte ich schließlich. Eigentlich hab ich damit ja auch kein Problem, aber wenn ich es so hinschreibe, klingt es so, als würde ich versuchen Mitleid zu heucheln. Was ich nicht tue. Ich kann mich gut leiden. Schulter zuckend schicke ich die SMS ab und wende mich Deevan zu. Es kann ja wohl nicht angehen, dass ich meinen Lieblingsargonier völlig vernachlässige, nur weil ein fremder Mensch mein Handy geklaut und seine Nummer eingespeichert hat. Ich finde auf dem Weg nach Einsamkeit eine Quecksilberader und schürfe geschäftig daran herum, als mein Handy wieder vibriert. Ganze drei Minuten widerstehe ich dem Drang, die neue Nachricht zu lesen, dann muss Deevan doch wieder auf mich warten. »Dann sind die meisten Leute offensichtlich Dödel.« Ich muss lachen. Na toll. Selbst wenn am anderen Ende ein echter Armleuchter sitzt, hat er oder sie es echt drauf, einen netten Menschen zu mimen. »Wenn du in meinen Jahrgang gehst, dann hast du es bisher ja gut verschleiert, dass du mich nicht für einen Hühnerblut trinkenden Satanisten hältst ;-)« Die Antwort kommt wahnsinnig schnell. »Natürlich halte ich dich nicht für einen Hühnerblut trinkenden Satanisten. Aber ich bin sicher, dass du mich beknackt findest.« Wenn ich bedenke, dass ich eigentlich alle Leute aus meinem Jahrgang blöd finde, dann ist die Trefferquote tatsächlich ziemlich hoch. Aber andererseits kenn ich die Leute auch nicht wirklich und finde sie vor allem dämlich, weil sie denken, dass ich kleine Kinder opfere. Dieser Mensch scheint nicht zu denken, dass ich Kinder opfere. Das allein ist ja eigentlich schon mal eine sympathische Eigenschaft. »Das heißt, ich werd solang nicht wissen, wer du bist, bis du mich dazu gebracht hast, dich zu mögen?« »Dass du anfängst mich zu mögen, ist natürlich der Idealfall.« »Magst du Star Wars?« »Ja, schon.« »Dann ist das schon mal eine gute Basis.« »Turnen mag ich auch.« »Es wird immer besser.« Die nächste Antwort dauert wieder länger. Ich hab Deevan beinahe völlig vergessen, während ich auf mein Handy starre und warte. »Und Sex find ich auch gut.« Wenn ich mir rückblickend überlege, bei welchen SMS die Antwort länger gedauert hat, dann kommt mir ein Bild von einem verlegenen, weniger direkten Menschen in den Sinn, der jetzt all seine Register zieht und über seinen Schatten springt. Die Vorstellung von einem verlegenen und hibbeligen SMS-Schreiber ist doch recht entzückend, muss ich sagen. Ich räuspere mich und mein Finger schwebt einen Moment lang dramatisch über dem Display. Manchmal tu ich gern so, als wäre ich in einem Film. »Dann sind wir ja praktisch füreinander geschaffen :-D« Ich frage mich, ob das zu viel des Guten war, aber hey, man lebt nur einmal. Recht energisch schalte ich mein Handy aus und lege es beiseite. Ich sollte mich wirklich wieder um Deevan kümmern. Der unbekannte Handy-Dieb wird mich nicht davon abhalten, bis Sonntagabend Stufe 35 zu erreichen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)