Dame in Rot
Die Party war in vollem Gange. Überall schlängelten sich Menschen in eleganten Kleidern und Anzügen durchs Gedränge, die meisten mit einem Glas in der Hand und mit bereits vom Alkohol geröteten Wangen.
Lavi streifte durch die Menge. Auch er trug einen Anzug und sah sich wachsam um. Alles in allem konnte man ihnen zu ihrem Plan nur gratulieren, hier auf dieser Party aufzutauchen, um einen Akuma zu erledigen, der es auf junge Frauen abgesehen hatte. Dumm nur, dass keine der Frauen auf dieser Party jung war. Lenalee und Miranda hatten beide nicht kommen können, da sie auf einer Mission in Griechenland unterwegs waren.
Lavi zupfte an seinem Anzug herum. Allen trieb sich draußen im Garten herum, da er mit seinem Auge und der Zeichnung in seinem Gesicht allzu schnell die Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätte. Lavi wich einem Rudel kichernder Frauen aus, das ihn bereits vor zehn Minuten ins Visier genommen hatte.
Gerade wollte er sich in Richtung Buffet wenden, als ihm Jemand auffiel, von dem er zwar erwartet hatte, dass er hier sein würde… doch ganz sicherlich nicht so.
Kanda bedachte ihn mit einem mörderischen Blick, als Lavi die Kinnlade herunter klappte. Nun gut, wenn er sich vorstellte, dass er in so einem Aufzug herumlaufen müsste… Kanda kam zu ihm herüber und er bewegte sich merkwürdig steif. Als er vor Lavi stand, sah er ihn zornfunkelnd an, als wäre Lavi an seiner Situation Schuld.
»Wieso… trägst du ein Kleid und hast dir… die Beine rasiert, Yuu?«, fragte er, wobei er sich bemühte, nicht zu lachen. Eigentlich stand Kanda der Aufzug ziemlich gut, wenn man die langen – heute ausnahmsweise einmal offenen Haare – betrachtete und die durchaus schlanken Beine, die in hohen Schuhen endeten. Die Schuhe erklärten zumindest, wieso Kanda sich so steif bewegte.
»Halt den Mund, oder ich stopfe ihn dir«, knurrte Kanda zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor und ballte die Hände zu Fäusten.
»Ich werde ihn umbringen. Jawohl. Komui wird dafür bluten…«
Lavi gluckste. Natürlich. Er konnte sich in etwa vorstellen, was genau Komui mit dieser Sache zu tun hatte. Sie hatten eine junge Frau für diesen Auftrag gebraucht, doch in all seiner Fürsorglichkeit hatte Komui dafür gesorgt, dass Lenalee außer Reichweite für den Job als Köder war… und er hatte Kanda dazu gezwungen, ihren Platz einzunehmen.
Lavi räusperte sich, als Kanda ihm einen weiteren Blick von der vernichtendsten Sorte zuwarf.
»Sollten wir uns nicht unters Volk mischen?«, erkundigte sich Lavi beiläufig. Kanda gab ein abfälliges »Tzes…« von sich, folgte Lavi aber, als dieser sich auf die Tanzfläche zu bewegte.
»Ich glaube, wir sind viel zu auffällig«, murmelte er Kanda aus dem Mundwinkel zu. Der brummte nur. Es schien nicht so, als könnte sich der Kleinere auf irgendetwas Anderes konzentrieren, als auf seine offensichtlich schmerzenden Füße und den Umstand, dass er tatsächlich ein Kleid trug.
»Rot steht dir übrigens hervorragend«, versicherte er Kanda, der schnaubte, aber nichts weiter dazu sagte. Lavi betrachtete Kandas freie Arme und die schlanken Beine einen Moment lang versonnen. Dann hüstelte er und riss den Blick los. Er ließ die Augen stattdessen über die Tanzfläche schweifen und wippte leicht im Takt der Musik.
»Komm Yuu, lass uns tanzen«, sagte er dann, strahlte Kanda an, der zurück zuckte und schon mit der Hand zu der Stelle fuhr, an der sich normalerweise Mugen befand… doch heute trug er nur ein Kleid und von Mugen war nicht die geringste Spur zu sehen.
»Vergiss es«, zischte er und wich einen Schritt zurück. Er stieß mit dem Rücken gegen einen Mann mittleren Alters, der ihn am Arm festhielt.
»Willst du tanzen, Süße?«, säuselte er und selbst Lavi, der drei Schritte entfernt stand, roch den Alkohol im Atem. Er verzog das Gesicht.
»Bedaure«, knurrte Kanda und riss seinen Arm los, »aber ich habe schon einen Tanzpartner!«
Lavi verkniff sich ein Lachen, als Kanda seinen Arm so fest packte, dass es wehtat und ihn in Richtung Tanzfläche bugsierte, allein zu dem Zweck, dem betrunkenen Mann zu entkommen.
»Ich dachte, du willst nicht tanzen«, raunte er Kanda ins Ohr und legte ihm eine Hand an die Hüfte, während er mit der Anderen Kandas Hand ergriff und ihn zu sich zog. Kandas Wangen waren zartrosa, als er zur Seite blickte.
»Lieber mit dir Vollidiot, als mit diesem Trunkenbold«, brummte er. Lavi gluckste und begann, Kanda zu führen. Zunächst schien es nicht so, als wollte Kanda sich führen lassen, doch mit der Zeit klappte es besser und Lavi zog den schlanken Körper etwas näher zu sich, als er es eigentlich gemusst hätte.
»Ich wusste gar nicht, dass du tanzen kannst, Yuu«, flüsterte er Kanda ins Ohr. Er sah aus dem Augenwinkel, wie Kandas Wangen sich noch etwas dunkler färbten. Er sog den Geruch des Kleineren in sich auf. Kanda roch gut…
»Kann ich auch gar nicht«, schnaubte Kanda ungehalten und zog den Kopf ein wenig von Lavis Mund fort, wohl damit Lavis Atem ihn nicht mehr am Ohr kitzeln konnte.
»Komui hat mir… einen Crashkurs gegeben«, brummte er. Lavi lachte leise.
»Vielleicht könnten wir öfters miteinander tanzen«, meinte er lächelnd, doch bevor Kanda etwas Barsches erwidern konnte, begann ein Tumult in ihrer Nähe, als der betrunkene Mann, der Kanda eben noch zum Tanz aufgefordert hatte, sich vor aller Augen in einen Akuma verwandelte und auf Kanda losstürmte.
Vielleicht, dachte Lavi, während er sich vor Kanda stellte und seinen Hammer aus der Tasche seines Jackets zog und während er hörte, wie Allen, der von draußen hereingestürmt war, sich lauthals Platz verschaffte, würde er Kanda fragen, ob er dieses Kleid in einer stillen Stunde noch einmal für ihn anzog…
