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Misfits: Kreuzdame

{ boy x boy }
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Waaaaat. Es ist doch gar nicht Mittwoch?! Stimmt genau. Momentan habe ich jedoch frei und extrem viel Zeit, weshalb ich bei dieser Geschichte das neue Kapitel dann hochladen werde, wenn es fertig ist. Das bedeutet, es könnte möglich sein, dass zwei Kapitel pro Woche kommen werden. Ansonsten nehme ich mir die Mittwoch immer als Deadline, also das nächste Kap kommt aller spätestens nächsten Mittwoch.

Wie ihr merkt, ist dieses Kapitel hier beinahe doppelt so lang wie die anderen normalerweise. Was haltet ihr von den längeren Kapiteln? Gut oder lieber wieder Kürzere schreiben? Komplett anzeigen

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Lukas - Ferien sollten eigentlich Spaß machen

Wehmütig seufzend saß Samantha neben mir in der Raucherecke und starrte ins das Notizbuch, welches sie als Hausaufgabenheft benutzte. Gemeinsam saßen wir gegen die Wand gelehnt auf dem harten Asphaltboden und ausnahmsweise steckte eine Zigarette in meinem Mund, obwohl ich normalerweise nur auf Partys rauchte. Kräftig zog ich den Rauch in meine Lungen, was mich zum husten brachte und Sam seufzte noch ein wenig lauter, um meinen Lärm zu übertönen.

„Ich kann nicht glauben, dass wir so viel über die Ferien auf bekommen haben“, klagte sie und hielt mir das Notizbuch vor die Nase, als hätte ich selbst nichts von den Hausaufgaben mit bekommen. „Das ist eine Katastrophe, Bambi, wir sollten den Notstand ausrufen.“

„Sag das nicht mir.“ Ich musste ein wenig über sie lachen und drückte die Zigarette auf dem Boden aus. „Simon kommt die zwei Wochen zu mir, ich habe überhaupt keine Zeit für Hausaufgaben.“

„Hat der denn keine auf?“ Sam klappte ihr Buch zu und verstaute es in der Umhängetasche, die sie als Schulranzen benutzte. Heute war unser letzter Schultag vor den Herbstferien, was bedeutete, dass wir nur die ersten vier Stunden Unterricht hatten. Zwei waren bereits vorbei und wir befanden uns in der Viertelstunde Zwischenpause. Die meisten unserer Stufe haben es vorgezogen für den letzten Schultag gar nicht aufzutauchen. Viele von ihnen hatten gerade mal ein oder zwei Stunden Schule und dafür wollten sie sich nicht abmühen herzukommen. Zu diesen Leute zählten zu meinem Entsetzen auch Gaara.
 

Man könnte meinen, ich wäre glücklich darüber ihn für einen Schultag mal nicht um mich zu haben und ständig darüber nachzudenken, wie gerne ich wieder etwas mit ihm anfangen würde. Doch leider hatte ich Gaara in unserer Halbbeziehung gut genug kennen gelernt, um zu wissen, dass er keine Minute, die er nicht Zuhause verbringen musste, versäumen würde. Was nichts anderes bedeutete, als dass es etwas anderes als die Schule gab, das ihn noch besser von der Einsamkeit ablenkte. Oder er war krank. Ich ertappte mich dabei, wie ich hoffte, dass er krank war. Vielleicht unternahm er auch einfach etwas mit Kaito... obwohl dieser in letzter Zeit nur von seiner Freundin erzählte. Sky und er waren offiziell zusammen. Noch nicht seit sehr langem und sie fingen genauso an, wie Chris und Samantha: Sie verbrachten nur noch Zeit miteinander und mit sonst niemandem.
 

„Außerdem kann ich nicht glauben, dass so wenige gekommen sind“, fuhr Sam mit ihren Beschwerden vor. „Ich meine, dass Schifti für den letzten Schultag nicht mehr herkommt, war ja wohl zu erwarten. Aber Gaara, Kaito und Noah?“

„Noah geht es nicht gut“, sagte ich und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Bereits gestern hatte er ein Gesicht wie Sieben Tage Regenwetter gemacht und mir heute Morgen dann in einer SMS geschrieben, dass er sich unwohl fühlte. In anderen Worten bahnte sich wieder eine Depressionsphase an und das zog mich nur noch mehr herunter. Ich wünschte so sehr, ich würde nach Nordrhein-Westfalen fahren und nicht Simon zu mir, doch bei seinem Betteln war ich schwach geworden.
 

Denn er hatte es momentan ebenso wenig leicht wie ich und wollte ebenso sehr dem Ganzen entfliehen und, da ich meinem besten Freund noch nie etwas ausschlagen konnte, hatte ich nachgegeben und nun kam er her. Viel lieber wäre ich für zwei Wochen aus Berlin verschwunden, hätte mit Genesis ein ausgiebiges Gespräch geführt und Lynn mal wieder gesehen... ein anderes Mal. Irgendwann würde ich wieder zu ihnen fahren, dessen war ich mir ganz sicher. Vielleicht im Winter. Mum hatte darüber gesprochen, dass wir über Weihnachten zu Verwandten nach NRW fahren. Bisher war es nur eine Idee, doch ich hoffte es sehr.
 

„Na super“, seufzte Sam schwermütig. Als eine etwas kühlere Brise über den Schulhof wehte, zog sie ihre dünne Stoffjacke fester zu und blickte mich aus braunen, großen Augen an.

„Es gibt da etwas, was du wissen solltest“, sagte sie und spürte, wie mir augenblicklich heiß wurde. Der Tonlage ihrer Stimme war ungewöhnlich ernst, weshalb ich mich ein wenig aufrichtete und sie mit zusammen gepressten Blicken erwartungsvoll anblickte. „Wegen Gaara.“

„Was ist mit ihm?“ Die Worte schienen mir im Hals zu trocknen und kamen nur geröchelt hervor.

„Gestern war ich mal bei ihm gewesen“, erzählte Sam. „Und, da habe ich erfahren, dass er in letzter Zeit ständig etwas mit einem Mädchen namens Annalina macht. Er hat sie über eine gemeinsame Freundin von uns kennen gelernt. Ich will dir nicht unnötige Sorgen bereiten, aber du solltest mal langsam etwas unternehmen, wenn du nicht möchtest, dass Gaara etwas mit jemand anderem anfängt.“
 

Mein Herz pochte schmerzhaft gegen meine Brust. So schmerzhaft, dass ich den Blick von Sam abwandte, weil ich Angst hatte, sie könnte mir ansehen, wie verletzt ich war. In mir bahnte sich ein widerliches Gefühl hoch, das abscheulichste Gefühl, das ich mir nur vorstellen konnte: Eifersucht. Und augenblicklich hasste ich dieses Mädchen, von dem ich gerade mal den Namen kannte. Vielleicht hatte es nichts zu bedeuten und Gaara traf sich mit nur als gute Freunde, aber vielleicht würde sich zwischen den Beiden auch etwas entwickeln und das würde ich nicht aushalten. Bisher hatte ich nichts machen müssen, um von Gaara das zu bekommen, was ich wollte, da Gaara immer alle Schritte getan hatte und mir ständig hinterher gerannt kam. Egal, wie häufig ich ihn von mir weg stieß, egal, wie häufig ich sagte, wir würden es ein anderes Mal miteinander treiben, er war immer an mir dran geblieben. Jetzt hatte er darauf offensichtlich keine Lust mehr.
 

„Wenn du ihn nicht verlieren willst, musst du etwas machen“, bestätigte auch Sam diese Vermutung. „Dir bleibt gar keine andere Wahl, Lukas.“

„Wie ist diese Annalina so?“, fragte ich und verschluckte die Worte halb an dem Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte.

„Die ist gar nicht so übel“, gestand Sam. „Sollte sie sich jedoch an Gaara ran machen, werde ich sie abgrundtief hassen.“

Das brachte mich ein wenig zum Schmunzeln, doch das Lächeln erstarb schnell wieder auf meinen Lippen. Na toll. Ich hatte schon zu lange gewartet. Annalina. Schon alleine ihr Name klang beschissen. Kurz nach dem Gedanken vergrub ich das Gesicht in den Händen und stöhnte genervt. Wie konnte ich ein Mädchen schon hassen, wenn ich nichts über sie wusste? Ich sollte nicht immer direkt den Teufel an die Wand malen, obwohl der bei meinem Glück vermutlich schon längst dort tanzte.
 

„Ich hätte es dir nicht sagen sollen“, murmelte Sam. „Jetzt machst du dir Gedanken... obwohl das richtig ist! Ja, verdammte Scheiße! Das passiert, wenn du nicht dran bleibst!“

„Für einen Moment dachte ich echt, du würdest so etwas wie Mitgefühl besitzen“, sagte ich und zwang mir eine schiefes Lächeln auf die Lippen.

Nach der Pause erwartete mich eine Doppelstunde Erdkunde, die nur schleppend vorbei gehen wollte. In meinem Kopf schwirrten unzählige Szenarien, wie ich Gaara wieder für mich gewinnen konnte, aber keine endete mit dem von mir gewünschten Ergebnis. Mein Herzschlag pochte gegen die Innenseite meiner Schädeldecke und verursachte Kopfschmerzen, die meine Konzentration forderten. Warum musste der Lehrer auch noch am letzten Tag vor den Herbstferien seinen scheiß Unterricht machen?
 

Ich könnte Gaara wieder eine SMS schreiben, aber das war wohl die feige Möglichkeit wieder richtigen Kontakt mit ihm aufzunehmen. Ansonsten wäre es am einfachsten über die Schule, doch die würde für die nächsten zwei Wochen ausfallen und in zwei Wochen konnte viel geschehen. Auf jeden Fall war ich jetzt ein wenig froh darüber doch nicht nach NRW zu fahren. Es wäre kaum auszuhalten gewesen am anderen Ende von Deutschland zu sitzen und mir ständig vorzustellen, wie Gaara mit dieser Annalina rummachte. In meiner Vorstellung entwickelte sie sich zu einer blonden Schönheit mit langen Locken und einem lieblichen Grinsen, die einen so reinen Charakter hatte, dass man sie gar nicht hassen konnte. Ohne irgendwelche Probleme mit denen sie Gaara belastete, doch dafür mit der Fähigkeit einfach jeden Menschen auf dieser Welt glücklich zu machen. Je weiter ich mich dort hinein steigerte, desto mehr konnte Annalina und am Ende war sie ein Gesangstalent, das obendrein noch kochen konnte.
 

Endlich befreite mich die Schulglocke von meinen wirren Fantasien. Schnell packte ich mein Zeug zusammen und verließ das Schulgebäude. Von den wenigen Schülern meiner Stufe, die nicht geschwänzt hatten, verabschiedete ich mich und traf mich vor dem Gebäude mit Sam, die eine Doppelstunde Geschichte bei der Furie hinter sich hatte und dementsprechend genervt aussah.

„Drei mal darfst du raten“, murrte sie. „Die hat uns noch mal Hausaufgaben über die Ferien aufgegeben.“

„Du musst mir Annalina beschreiben“, verlangte ich. „Oder hast du eine Foto von der?“

„Wie wäre es, wenn du sie dir selbst anschaust“, schlug Sam Schulterzuckend vor, während wir in Richtung Straßenbahn schlenderten. Wie so häufig hakte sie sich bei mir unter. „Gaara schmeißt nächste Woche Donnerstag eine Hausparty und er meinte wir könnten so viele einladen wie wir wollen. Ich lade hiermit Simon und dich ein.“

„Denkst du das geht klar?“, fragte ich unsicher.

„Ja, auf einer Party könnt ihr euch besser wieder näher kommen“, antwortete Sam. „Wenn ihr erst mal wieder miteinander glücklich seid, werdet ihr mir das noch danken.“

Ich bezweifelte zwar, dass es so einfach gehen würde, doch ich behielt mir ihre Einladung im Hinterkopf. Am besten besprach ich das Ganze erst einmal mit Simon... obwohl ich meinen besten Freund gut genug kannte, um zu wissen, dass er sich eine Party bei Gaara nicht entgehen lassen wollte.
 

An der Straßenbahn trennten wir uns voneinander, da Sam ihren Heimweg zu Fuß ablegte und ich mit der Bahn weiter musste. Noch am Bahnhof traf ich auf Alex, die jedoch mit ein paar Freundinnen in die entgegengesetzte Richtung wollte. Zum Abschied drückte sie mir einen Kuss auf die Wange, dann war sie auch schon verschwunden und ich fuhr alleine nach Hause, um meine Schulsachen abzulegen und direkt weiter zum Hauptbahnhof zu fahren. Wie immer dauerte der Weg eine gefühlte Ewigkeit, so hatte ich mehr als genug Zeit über Sams Vorschlag nachzudenken. Ich wollte wirklich zu dieser Party, in der Hoffnung, dass es zwischen mir und Gaara etwas ändern würde, doch kam ich mir auch dämlich vor bei ihm Zuhause aufzukreuzen, obwohl wir in den letzten Wochen kein Wort miteinander gesprochen hatten. Dann wiederum würde ich in dieser Nacht nicht schlafen können bei der Vorstellung, dass er im Alkoholrausch mit dieser Annalina anfing rum zu machen. Alleine bei dem Gedanken daran wurde ich wieder eifersüchtig.
 

Am Hauptbahnhof herrschte wie immer ein reges Durcheinander. Berlin hatte den wahrscheinlich unübersichtlichsten Hauptbahnhof aller Zeiten, der sich über drei Stockwerke erstreckte und auf zwei dieser Stockwerke Bahngleise hatte, was meiner Meinung nach schon ziemlich absurd war. Wie immer war ich erst einmal auf der Suche nach dem Gleis, auf dem Simon erscheinen würde und musste dort feststellen, dass sein Zug ein paar Minuten Verspätung hatte. Ungeduldig wartete ich in düsteren Gedanken an Gaara und Annalina. Alleine ihr Name war schon furchtbar. Annalina, wie konnte man nur so heißen... Es war doch seltsam, wie voreingenommen Liebeskummer machen konnte. Vielleicht war sie ein nettes Mädchen und wollte nur mit Gaara befreundet sein. Hoffentlich. Sonst musste ich sie leider umbringen.
 

Endlich fuhr der Zug ein und nach einem Schwall fremder Menschen, die den Bahngleis erfüllten, sah ich auch endlich Simon mit seiner Reisetasche und einem eher genervten Gesichtsausdruck. Als er mich jedoch ebenfalls erblickte, begannen wir Beide zu grinsen und Gaara und Annalina und alles andere, was mir Sorgen bereitete, war vergessen. Die letzten Schritte lief ich auf ihn zu, zog ihn dann in eine feste Umarmung. Erst als seine dunklen Haare in meinem Gesicht kitzelten und ich seine Stimme hörte, die mich begrüßte, wurde mir bewusst wie sehr ich ihn vermisst hatte. Einfach alles an ihm hatte ich vermisst, selbst diesen vertrauten Geruch, der stets an ihm haftete. Der nach nichts Bestimmten roch, sondern einfach nur nach Simon. Ich ließ meinen Kopf auf seine Schulter fallen und ihn nicht mehr los.
 

„Du hast es wieder nicht leicht, oder?“, hörte ich ihn fragen. Zur Antwort schüttelte ich den Kopf.

„Da sind wir ja schon Zwei“, meinte Simon. Nun ließ ich ihn doch los und blickte ihn an. Simon hatte einen frechen Kurzhaarschnitt und sah unverschämt gut aus. Selbst im Winter hatte seine Haut einen dunkleren Teint als hätte er den ganzen Tag in der Sonne gelegen und aus seinem schmalen Gesicht blickten mich tiefbraune, große Augen an.

„Wenn es dir nichts ausmacht, fahren wir heute zusammen zu Felix, dann können wir uns alles erzählen“, sagte ich und Simon nickte zustimmend. Gemeinsam fuhren wir mit der Straßenbahn weiter, in der etwas passierte, was mir seit dem Umzug nach Berlin nicht passiert war: Unsere Fahrkarten wurden kontrolliert! Da ich mit der Bahn jeden Morgen zur Schule fuhr, hatte ich von dieser aus eine Karte bekommen, Simon hingegen hatte sich eine Wochenkarte am Hauptbahnhof gezogen. Doch als die Kontrolleurin bei uns war, sagte sie nur grummelig: „Die Karte muss noch abgestempelt werden.“

„Was muss die?“, fragte Simon verstört.

„Du musst die Karte stempeln lassen, damit das Datum drauf steht, an dem du sie gekauft hast“, erklärte ich und an die Frau gewandt fragte ich: „Können Sie das nicht machen?“

„Nein, bei der nächsten Station aussteigen, stempeln lassen und wieder einsteigen. Du hast genug Zeit dafür.“ Sie ging weiter, blieb jedoch in unserem Abteil, um darauf zu achten, dass Simon auch wirklich seine Karte stempelte.
 

Bei der nächsten Station stieg er also aus und lief zu den Automaten herüber, an denen man die Stempel machen konnte. Ich blieb in der Straßenbahn an der Tür stehen und war mir ziemlich sicher, dass Simon wusste, wie es ging, doch scheinbar hatte er keine Ahnung, denn er brauchte viel zu lange und blickte schließlich gestresst zu mir herüber.

„Wie geht das?!“

„Reinstecken!“, rief ich zurück, da ertönte schon das Piepsen der Türen. Verzweifelt versuchte ich sie aufzuhalten, doch die Türen der Straßenbahn gingen einfach zu, wenn die Wartezeit an der Station vorbei war. Schließlich sah ich mich dazu gezwungen einen Schritt zurück zu gehen. Von außen versuchte Simon per Knopfdruck die Tür wieder aufzumachen und blickte mich mit riesigen Hundewelpenaugen an, als wollte er sagen, dass ich ihn retten sollte. Ich konnte nur mit den Schultern zucken. Die Straßenbahn setzte sich in Bewegung und Simon streckte noch wehmütig die Hand nach mir aus, doch ich rauschte mit der Bahn einfach weiter. Es war schwierig sich das Lachen zu verkneifen. Sofort griff ich zu meinem Handy und rief meinen besten Freund an. Kaum, da er abgehoben hatte, begann ich zu lachen.

„Warum hat das denn auch solange gedauert?“, fragte ich ihn. „Du hast mich angeschaut als hätte ich dich ausgesetzt!“

„Der Automat war verwirrend“, sagte Simon gespielt beleidigt. „Was machen wir jetzt?“

„Wann kommt bei dir die nächste Bahn?“

„Hmm... in sechs Minuten.“

„Du weißt ja, wo du aussteigen musst, dann treffen wir uns dort.“
 

Ich legte auf und hatte immer noch ein breites Grinsen auf den Lippen. Und genau wegen solchen Erlebnissen hatte ich meinen besten Freund vermisst. Vielleicht war es wirklich eine gute Idee auf diese Party zu gehen, mit Simon an meiner Seite traute ich es mir sogar zu, Gaara wieder anzusprechen.
 

Später an diesem Tag fuhren wir den ewig langen Weg bis aufs Land hinaus, wo die Familie von Felix lebte. Da meine Mutter keine Zeit hatte uns zu fahren, mussten wir den Bus nehmen und ich hatte mehr als genug Zeit, um Simon ein wenig über die Familie zu erzählen. Kennen gelernt hatte ich sie, als ich den Hund Joker adoptieren wollte, er jedoch bei dieser Familie landete. Wir machten aus, dass ich Joker immer mal wieder besuchen und auf ihn aufpassen darf. Mit der Zeit freundete ich mich besonders mit dem – mittlerweile – zwölfjährigen Felix an, welcher seit einem schweren Autounfall querschnittsgelähmt war. Bei dem selben Autounfall starb der Vater der Familie. Nun bestand sie noch aus der Mutter, den vier Kindern, drei Hunde und einer Katze. In einem dementsprechend großen Haus lebten sie. Von der Bushaltestelle aus, mussten wir noch einige Minuten gehen ehe wir bei dem Einfamilienhaus ankamen, welches im Schatten von einigen hohen Bäumen lag, deren Blätter im Wind raschelten. Hier draußen erkannte man gut, dass es langsam Herbst wurde, denn die Kleider der Bäume bestanden aus roten, gelben und braunen Farben und viele Blätter bedeckten den Boden und federten unsere Schritte ab.
 

Vor der Haustür erwartete uns die Zweitjüngste der Familie, die vierzehnjährige Ella, gemeinsam mit ihrer Shiba Inu Happy. Stutzig blieben wir stehen, denn Ella war in einer Rüstung aus Karton gekleidet. Auf ihrem Kopf saß ein quadratischer Papphelm, der ihr ein wenig in die blauen Augen rutschte und die braunen Locken verdeckte. In einer Hand hielt sie außerdem ein rundes Pappschwert, mit welchem sie nun auf uns deutete und feierlich rief: „Ihr seid Narren, wenn ihr glaubt, ihr könnt so einfach die Burg erklimmen! Mein treues Ross Happy wird auch aufhalten!“

Ihr treues Ross bellte glücklich. Happy war eine Shiba Inu von heller Farbe mit langer Schnauze, dunklen Knopfaugen und einem buschigen, geringelten Schwanz. Sie sah einfach nur niedlich aus. Ella wirkte nicht als wäre sie bereits vierzehn Jahre alt, doch genau dies gefiel mir so an ihr. Meine Schwester war gerade mal ein Jahr älter, verhielt sich jedoch wie 18... und zog sich auch so an. Wohingegen Ella sehr jungenhafte, sportliche Klamotten trug.

„Los, Happy!“ Und Happy rannte glücklich auf mich zu und sprang an meinem Bein hoch. Erst als ich mich zu ihr herunter kniete, hörte sie auf. Mit einem Lächeln auf den Lippen streichelte ich sie und ließ sie über meine Hände lecken.

„Ich glaube, dein Ross hat nichts dagegen, wenn wir rein kommen“, sagte ich zu Ella gewandt, die nun ebenfalls mit einem Lächeln zu mir gelaufen war. Kaum, da ich stand, warf sie sich in meine Arme und schlug mir dabei ihren Papphelm ins Gesicht.

„Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr her!“, sagte sie und klopfte mir tadelnd mit dem Schwert gegen den Kopf. „Und, wer ist das?“ Sie wandte sich an Simon, der ein wenig verwirrt, aber auch amüsiert aussah.

„Mein bester Freund Simon“, stellte ich ihn vor.

„Dann kommt mal rein, Felix wird sich freuen dich zu sehen!“ Überraschenderweise packte sie mit ihrer freien Hand Simons Arm und zog ihn mit sich hinterher ins Haus.
 

Wie immer fühlte ich mich schon beim Eintreten wohl. Die Familie hatte ein schönes Haus mit Erdgeschoss und einem oberen Stockwerk, in welchem sich die Zimmer befanden. Gleich, wenn man durch die Eingangstür ging, gelangte man in einem riesigen Raum, der sich in der Mitte durch eine kleine Theke teilte. Hinter der Theke befand sich die große Küche mit Esstisch, davor das Wohnzimmer in welchem jedoch kein Fernseher stand. Stattdessen stand dort ein Kamin, in dem heute kein Feuer knisterte. Zwischen den Couchs lagen Decken, Kissen und Felle auf dem Boden und dort saß, wie so häufig, Felix. Er war damit beschäftigt etwas aus Pappe zu basteln. Neben der bedeckten Fläche standen Wasserfarben. Ein wenig Rot klebte in seinem Gesicht und seine Finger waren voll mit Flüssigkleber. Als ich vor ihm zum Stehen kam, hielt er mit sein Gebasteltes unglücklich hin. Eigentlich war es nur eine rechteckige Pappe, auf der etwas gekritzelt war und, die an einer eingerollten Pappe klebte. Leider hielt es nicht. Die bekritzelte Pappe fiel dumpf zurück in die Kissen.
 

„Och Manno, Felix“, klagte Ella und klopfte mit ihrem Schwert gegen seinen Kopf. Die Beiden sahen sich ziemlich ähnlich. Auch Felix hatte dunkle Haare und blaue Augen, sein Gesicht war recht schmal und blass und, obwohl er erst zwölf Jahre alt war, schien er immer einen traurigen Eindruck zu machen. „Ich brauche eine Flagge, die ich führen kann.“

„Ich kann aber nicht basteln und noch schlechter zeichnen“, sagte Felix. „Du musst warten bis Chris wieder zurück ist, dann kann er dir die Flagge basteln und Mia kann dir was darauf zeichnen.“

„Aber die Beiden kommen doch erst heute Abend zurück“, jammerte Ella.

„Solange ist das auch wieder nicht!“

„Für mich schon!“ Ella drehte sich zu mir und klopfte mit ihrem Schwert einmal auf meine rechte, dann auf meine linke Schulter und verkündete feierlich: „Hiermit schlage ich dich zum Ritter. Und dich auch.“ Simon konnte sich dem Ritterschlag ebenfalls nicht entziehen, dann rannte Ella los und rief noch, dass sie den Rollstuhl holen würde.
 

Aus Richtung Küche kam Joker zu uns und ließ sich von mir streicheln, während ich Felix begrüßte und ihn fragte, wie es ihm heute ging.

„Wie immer“, antwortete Felix. „Ist das Simon?“

„Ja, ja.“ Simon streckte ihm die Hand entgegen. „Hi, du bist dann wahrscheinlich Felix.“

„Ja, leider.“ Wenn Simon über diese Aussage geschockt war, ließ er sich nichts anmerken. Wir hoben Felix in den Rollstuhl, den Ella vorbei brachte und brachen gemeinsam mit ihr und den beiden Hunden zum Spaziergang auf. Außer ihnen schien momentan niemand im Haus zu sein. Wir gingen denselben Weg, den ich immer mit Felix ging. Wenn man der Straße folgte und sich immer rechts hielt, gelangte man irgendwann an einen Fluss mit weiten Wiesen. Im Sommer hatten wir uns immer Decken mitgenommen und hier niedergelassen, doch heute war es dafür etwas zu kühl.
 

Während Ella mit den Hunden spielte, erkundigte sich Felix, wie es zwischen mir und Gaara aussah. Manchmal fühlte ich mich schuldig mit einem Zwölfjährigen über meine Probleme zu sprechen, doch ich kannte niemanden, der mir in Charakter und Meinung so ähnlich war wie Felix. Ihm ging es ebenso. Auch er klagte über seine Probleme und Gefühle und ich schien die einzige Person zu sein, die diese vollends nachvollziehen konnte. Wir waren wie Seelenverwandte.

„Immer noch gleich“, antwortete ich. Felix wurde von uns nicht geschoben, er rollte die Räder mit seinen Händen. Häufig wurde ihm dies irgendwann zu anstrengend und den Rückweg schob ich ihn dann, doch er wollte irgendwann komplett unabhängig von der Hilfe anderer sein. Bis dahin war es jedoch noch ein weiter Weg.

„Also redet ihr immer noch nicht miteinander“, stellte Simon fest, dem ich schon zuvor einmal am Telefon mein Leid geklagt hatte.

„Ja, aber Sam sagt, Gaara startet am Donnerstag wieder eine Party und sie hat mich eingeladen hinzu gehen. Das ist wieder so eine, zu der einfach jeder kommt und ich überlege ernsthaft hinzu gehen.“

„Du solltest dazu keine Party brauchen“, sagte Felix. „Aber ich kann verstehen, wenn du dich nicht traust von dir aus hinzu gehen. Trotzdem könnte es seltsam sein, wenn du zu seiner Party gehst, obwohl du wochenlang nicht mit ihm gesprochen hast.“

„Vielleicht freut er sich, wenn du kommst“, meinte Simon.

„Er freut sich bestimmt“, korrigierte Felix.

„Ja und ich komme als Unterstützung mit, damit du auch wirklich mit ihm redest“, sagte Simon. Wir diskutierten noch ein wenig darüber und kamen zu dem Entschluss, dass wir wirklich auf diese Party gehen würden. Während ich Sam eine Zusage per SMS schickte, begann Simon darüber zu klagen, dass Lynn beinahe mit Adrian zusammen war. Lynn, seine beste Freundin in die er sich unglücklicherweise verliebt hatte und Adrian, ein guter Freund ihrer älteren Schwester, in die sie sich verliebt hatte.
 

„Hast du ihr schon gesagt, was du für sie empfindest?“, fragte Felix.

„Nein“, antwortete Simon sofort. „Das könnte -“

„- die Freundschaft kaputt machen“, endeten Felix und ich gleichzeitig den Satz.

„Versteh schon“, nickte Felix. „Habt ihr eigentlich nur Probleme mit Liebe oder auch welche, bei denen ich besser mit reden kann? Ich bin noch nicht so alt, wisst ihr.“

„Mein Stiefvater hat mich vor ein paar Tagen raus geschmissen“, sagte Simon und schlagartig blieb ich stehen. Entsetzt blickte ich meinen besten Freund an.

„Was? Davon hast du mir gar nichts erzählt!“

„Ich erzähle es dir jetzt“, merkte Simon an. „Ich dachte, ich mache das lieber so als über das Telefon. Es ist nicht so schlimm, wie du denkst. Wir hatten uns wieder mal gestritten mit dem Ergebnis, dass er mich endgültig rausgeworfen hat. Jetzt wohne ich komplett bei meinem Vater. Und ich meine so komplett, dass mein Stiefvater schon Pläne macht mein Zimmer zu renovieren und es als Arbeitszimmer zu nutzen.“

„Das ist nicht schlimm?“, fragte Felix mit großen Augen. „Das klingt total heftig, du...“

„Ich bin das gewohnt“, zuckte Simon mit den Schultern. Als sich Felix' Augen nur noch mehr weiteten, begann mein bester Freund sogar zu grinsen.

„Anfangs ist es scheiße“, erklärte er und verstaute die Hände in den Hosentaschen. „Die Eltern lassen sich scheiden und dann kommt dieser Kerl in dein Leben, der dich von Anfang nicht ausstehen kann und sich gar nicht die Mühe macht mit dir klar zu kommen. Am Härtesten ist, dass es deiner Mutter egal ist. Du glaubst gar nicht, wie enttäuscht man von der eigenen Mutter sein kann und, wie schmerzhaft das ist. Aber irgendwann steht man über diesen Dingen und man versteht, dass ein Mann, er ein Kind schlägt, einfach nur erbärmlich. Und irgendwann ist es einem auch zu schade sein Leben damit zu verschwenden sich über Dinge zu beschweren, die nicht zu ändern sind. Meine Mutter hat ihn mir vorgezogen, dafür hat mein Vater eine feste Freundin, die mich wie ihren eigenen Sohn behandelt. Ich weiß, dass es genug Leute gibt, die es viel schlimmer haben als ich, also was soll's. Ich werde nicht mehr versuchen mich mit meiner Mutter zu verstehen, ich habe es lange genug probiert.“

„Das ist bemerkenswert“, stellte Felix leise fest. „Ich wünschte, ich könnte mein Problem auch so einfach bekämpfen.“ Er deutete auf seine nutzlosen Beine.

„Manchmal muss man auch schlechte Dinge akzeptieren, damit sie besser werden.“
 

Zu diesem Zeitpunkt hatten wir nicht gewusst, dass Simons Worte ziemlich viel in Felix bewirkt hatten. Als wir zurück zum Haus kehrten, hatten die Hunde Ellas Schwert zerstört und sie verdonnerte uns dazu ihr ein Neues zu basteln. Wir bastelten ihr auch eine Flagge, die Simon mit einem Hundekopf bemalte. Er war im Zeichnen noch lange nicht so gut wie Kaito, aber um Längen besser als wir anderen Drei. Ella war mit dem Ergebnis sehr zufrieden und bedankte sich sogar mit einer Umarmung. Mit Felix vereinbarte ich, dass wir nächste Woche noch einmal wieder kamen, damit er das Ergebnis der Party hören konnte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Onlyknow3
2014-08-16T12:12:11+00:00 16.08.2014 14:12
Das Kapitel ist gut und Traurig zu gleich. Simon tut mir genau so leid wie Felix doch denke ich das sich Felix die Worte von Simon zu Herzen nimmt und es ihm dann trotzdem besser geht.Mach weiter so freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Onlyknow3
Von:  tenshi_90
2014-05-14T15:31:31+00:00 14.05.2014 17:31
Hm.. ich weiß nicht so recht, was ich davon halten soll, dass Lukas zu dieser Party geht... Auch wenn Simon dabei ist, glaube ich nicht dass er sich mit Gaara aussprechen wird... Vielleicht irre ich mich ja auch :)

Ich lass mich überraschen
Antwort von:  Hushpuppy
14.05.2014 18:07
Zumindest mal ein Schritt in die Richtung... :D
Danke für den Review!


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