Berliner Nächte von Jeschi ================================================================================ Kapitel 16: Süßes Schmatzen --------------------------- „Was?“, meint er und lächelt nervös. Sein Blick fliegt unruhig über die Menge, die uns nicht wirklich wahrnimmt. „Davon sind wir doch da, oder?“, frage ich und füge hinzu: „Um Party zu machen.“ „Aber..“, ehe er protestieren kann, ziehe ich ihn genauso fordernd vom Stuhl, wie Maria es kurz zuvor bei mir getan hat und zerre ihn hinter mir her. Er folgt mir unsicher und Sekunden später stehen wir auf der Tanzfläche und diesmal bin ich es, der sich zu bewegen beginnt, während Dominik unsicher neben mir steht. Ich schnappe seine Hände und beginne, ihn ein wenig motivieren, bis er sich letztlich selbstständig bewegt. Es ist ein relativ schneller Song und obwohl wir miteinander tanzen, berühren wir uns nicht. Alles in Allem also recht harmlos, so dass sich auch keiner weiter daran zu stören scheint. Außer vielleicht Dominik, der zwischen Spaß und Angst sekündlich hin und her wechselt. „Was hat Maria gesagt?“, fragt er irgendwann und ich erkläre ihm, dass sie noch einmal um eine Affäre gebeten hat. „Und du hast ja gesagt?“, will er wissen und ich muss grinsen. „Du bist so ein Dummerchen. Wäre ich dann jetzt hier mit dir? Wohl kaum!“ Das scheint ihm einzuleuchten, also nickt er nur und meint: „Die Arme.“ „Sie wird es schon verkraften, sie hat ja schon eine Andere gefunden.“ „Eine Andere?“, echot er und blickt sich suchend nach Maria um, entdeckt sie aber nirgendwo. „Scheint, als wäre sie bi,“ erläutere ich ihm und er blinzelt erstaunt. „Soll’s geben,“ murmelt er dann und ich nicke. „Nun, ich bin das beste Beispiel, was?“, meine ich und bin selbst überrascht, dass es gar nicht mehr so bitter klingt, wie kurz zuvor in meinem Kopf, als ich mich dazu gezwungen habe, mir endlich darüber bewusst zu werden. Überrascht hebt er den Kopf und ich lächle ihn an und mache einen Schritt auf ihn zu, so dass uns nur noch ein paar Zentimeter trennen. Er schluckt und ich kann sehen, wie seine Augenlider nervös zu flattern beginnen. Meine Hände finden seine Hüften und ich brumme ihm ins Ohr: „Tanzt du dann jetzt endlich richtig mit mir?“ Es ist nicht so, dass wir jetzt wild und hemmungslos tanzen und uns gegenseitig am Arsch herumfummeln. Ich weiß auch gar nicht, wie der dieses böse Vorurteil in die Welt gesetzt hat. Mir genügt es förmlich, dass wir hier ganz normal tanzen, enger als zuvor, mit meinen Hüften an seinen Händen und seinen Armen um meinen Hals. Nicht, dass mich das alles komplett kalt lassen würde. Spätestens, als Dominik beginnt, die Hüften ein wenig aufreizender zu bewegen, spüre ich, wie sich auf meinen Armen eine Gänsehaut bildet. Ich packe seine Hüften fester, um ihn ein wenig Einhalt zu gebieten, aber so wirklich bringen tut das nichts. Im Gegenteil. Statt abzukühlen, spüre ich, wie es verheißungsvoll in meinem Unterleib zieht und finde diese Wendung alles andere als toll. Ich wollte das langsamer angehen lassen! Mich erst mal an diesen Gedanken gewöhnen! Und schon gar nicht wollte ich, dass die Öffentlichkeit etwas davon mitbekommt. Allerdings hätte ich damit wohl rechnen müssen, nachdem ich Dominik zum Tanz aufgefordert habe. Ich schlucke und spüre, wie Dominik sich gegen mich drückt. Was ist los mit diesem Jungen? Wo ist seine verdammte Zurückhaltung hingekommen. Ich schnappe nach Luft und versuche, mich ein wenig von ihm zu lösen, aber er lässt mich nicht, zieht mich nur näher an sich heran. „Hör auf,“ hauche ich hilflos in sein Ohr und spüre, wie er erschaudert. „Warum?“, fragt er, rückt aber zum Glück ein wenig von mir ab. „Ich wollte es eigentlich langsam angehen lassen,“ erkläre ich ihm und sehe, wie er grinst. „Zu spät, oder,“ flüstert er mir nun ins Ohr und ich bebe. „Du bist ein Monster!“, maule ich und sehe ihm zu, wie er belustigt vor sich hin grinst. Ich bin sicher, in seiner Hose hat sich auch etwas geregt, aber ich traue mich nicht, mich davon zu überzeugen. Stattdessen versuche ich, mich selbst zu beruhigen, in dem ich mir eklige Sachen vorstelle. Es klappt nur mäßig, aber ehe ich mich darüber ärgern kann, haben wir ein ganz anderes Problem. So langsam ziehen wir doch einige Blicke auf uns, weil mittlerweile auch der letzte Betrunkene gecheckt haben müsste, dass hier zwei Jungs miteinander am tanzen sind. „Lass uns gehen,“ bittet er mich, weil es ihm ganz offensichtlich zu viel geworden ist. Vielleicht will er auch nur Sex mit mir haben, aber das glaube ich nicht. Und selbst wenn, hätte er da wohl schlechte Karte. Meine Erregung hat sich wieder beruhigt und dafür ist mir mittlerweile schlecht vor Aufregung. Bevor wir also eine heiße Nummer im Bett schieben, schiebe ich wohl eher eine peinliche über der Kloschlüssel. Ich nicke und lasse mich von ihm wie in Trance durch den Club führen. Erst, als mir die kühle Nachtluft entgegenschlägt, beginnt mein Verstand wieder klar zu werden und ich bleibe stehen. Dominik sieht unsicher zu mir und ich drücke seine Hand in meiner fest. Weil ich nichts sage, fragt er: „Das ist kein Traum, oder?“ Ich schüttle den Kopf. „Und morgen… morgen wirst du nicht wieder so tun, als wäre nichts, oder?“ „Nein, wie kommst du denn darauf?“, frage ich irritiert. „Ich hatte einfach das Gefühl, dass bei dir Nachts andere Regeln gelten,“ gibt er zu und ich bin erstaunt. Aber vielleicht hat er Recht. Bisher habe ich seine Nähe zumeist nur im Schutz der Dunkelheit zugelassen. So wie jetzt. „Diesmal nicht! Versprochen!“ meine ich fest entschlossen und lächle ihn mit einem Mal zärtlich an. Er wird rot unter meinem Blick, aber dennoch fragt er weiter, um sicher zu gehen: „Auch, wenn alle über uns reden und uns komisch ansehen und…“ Ich unterbreche ihn, in dem ich ihn näher an mich ziehe und den Arm um ihn schlinge, während wir uns endlich in Bewegung setzen. „Ist doch egal, was alle anderen denken, oder?“ Er nickt nur langsam, wahrscheinlich wird er noch ein wenig länger Probleme damit haben, dass die Leute über uns reden. Aber vielleicht ist es Zeit für uns Beide, uns endlich wieder diese Leck-mich-am-Arsch-Einstellung anzueignen, die ich vor ein paar Wochen noch so angepriesen habe. Unbeholfen bleibe ich im Flur stehen. Ich komme mir vor wie Zwölf. Das erste Mal mit dem Schwarm alleine. Fehlt nur noch, dass mir lange blonde Haare wachsen, die ich zu einem Zopf flechten kann, dann könnte ich dämlich vor mich hin kichern und rot werden und alle würden sagen: Ach wie süß! Ich weiß aber auch wirklich nicht, was ich jetzt tun soll. Eigentlich müsste es ja das gleiche sein wie mit einem Mädchen, aber das ist es nicht. Schon alleine, weil ich immer noch Hemmungen habe, ihm einfach genauso nahe zu kommen, wie zum Beispiel Maria. Dabei ist er ja nicht mal mein erster Junge. Dafür waren damals auch keine Gefühle im Spiel. Damals ging es nur um unsere Befriedigung, aber heute Nacht hängt so viel mehr von allem ab. Dominik muss meine Unsicherheit spüren – na ja, sie ist ja auch ziemlich offensichtlich –, denn er ist so nett und macht den Anfang, in dem er sich an mich schmiegt. Ich gebe ein komisches Geräusch von mir, das mich wie eine sterbende Katze klingen lässt, ehe ich ihn langsam in die Arme schließe. Sein Duft steigt mir in die Nase, diesmal pur, ohne all die anderen ekligen Geräusche im Club, die ihn so verfälscht haben, und ich inhaliere ihn tief, als würde ich Dominik gänzlich in mich aufsaugen wollen. Ihm hingegen scheint das nicht zu genügen, sanft streichen seine Hände über mein Rücken und ich seufze wohlig auf. Offenbar wartet er darauf, dass ich irgendetwas tue, zum Beispiel sein Streicheln erwidere, aber ich habe vergessen, wie man sich bewegt. Ich kann mich nur langsam entspannen und irgendwann ist es ihm wohl zu blöd, weil er sich zurück zieht und mich fragend ansieht. „Weißt du, wenn du nicht willst, dann musst du dich nicht wegen mir dazu zwingen,“ erklärt er mir und sieht mich aus großen, traurigen Augen an. Hastig schüttle ich den Kopf. „Ich will wirklich, nur…“ Ich mache eine fahrige Handbewegung und suche nach Worten, aber wahrscheinlich habe ich nicht nur vergessen, wie man sich bewegt, sondern auch, wie man spricht. Jedenfalls kommt nicht viel Sinnvolles aus meinem Mund. Stattdessen sehe ich ihn nur hilflos an und hoffe, er versteht es auch so. Zumindest kommt er wieder näher und nimmt meine Hand. Schüchtern blickt er darauf und ich fühle seinen Daumen, der darüber streicht. „Jasper,“ nuschelt er leise, „Wir lassen das alles langsam angehen, ja?“ Fragend sieht er zu mir hoch und ich nicke und streiche ihm eine seiner Strähnen aus dem Gesicht. „Bitte flüchte nicht wieder, okay?“, fleht er und Tränen sammeln sich in seinen hübschen Augen. Ich schnappe überrascht nach Luft. Bisher hat er so gut überspielt, wie scheiße meine Aktion war, aber jetzt sehe ich all den Schmerz darüber in seinen Augen. Und die Angst, ich könnte es noch einmal tun. Er keucht überrascht auf, als ich ihn ruckartig wieder in meine Arme ziehe und an mich pressen. „Nein, werde ich nicht,“ verspreche ich ihm und wische die Träne hinfort, die sich einen Weg über seine Wange gebahnt hat. Sanft umfasse ich sein Kinn mit den Händen und zwinge ihn, mich an zusehen. „Nie mehr.“ Er schnieft und nicht und ich muss lächeln. Vorsichtig beuge ich mich nach vorn und hauche ihm einen ersten, flüchtigen Kuss auf die Lippen. Erschrocken von mir selbst, weiche ich ein Stück zurück und suche seinen Blick. Seine Hände kralle sich auf meinem Rücken in mein Shirt und er lächelt leicht. Ich lächle ebenfalls und dann küsse ich ihn richtig. Fest presse ich ihn an mich und spüre seine weichen Lippen auf meinen, wie sie meinen Kuss überraschend fordernd erwidern. Ich spüre, wie ich erschaudere und löse mich, ehe mein Blut auf Wanderschaft gehen kann. Ein wenig außer Atem sehe ich ihn wieder an. Nervös streicht er sich eine Strähne hinters Ohr und küsse ihn noch einmal kurz, ehe ich mich von ihm löse und seine Hand in meine nehme. „Schläfst du heute Nacht bei mir?“, bitte ich ihn und als er rot wird, füge ich hinzu: „Also… nur schlafen. Ich… weiß nicht, ich…“ Er unterbricht mich, indem er einen Finger seiner freien Hand auf meine Lippen legt. „Ich weiß! Wir lassen es langsam angehen, okay. Und ja, ich schlafe bei dir.“ Ich strahle ihn an, küsse seinen Finger und dann ihn, ehe ich ihn in mein Zimmer führe. Es ist nicht so, dass meine Aufregung jetzt irgendwie gemindert wäre, nur weil wir unsere Grenzen für diese erste Nacht klar abgesteckt haben. Spätestens, als sich Dominik sein Shirt über den Kopf zieht, bin ich wieder genauso nervös wie zu dem Zeitpunkt, als wir zur Tür herein gekommen sind. Ich versuche, ihn nicht anzusehen und ziehe mich lieber selbst aus, ihm natürlich den Rücken zuwendend. Ich höre Stoff rascheln, versuche aber, mich voll und ganz auf mich zu konzentrieren. Wenig später bin ich in ein T-Shirt geschlüpft und sehe zu ihm. Er war in seinem Zimmer und hat sich ebenfalls ein Shirt geholt. Eigentlich schade, ich hätte ihn gerne in einem meiner Shirts gesehen. Ich hätte es schön gefunden, wenn es morgen nach ihm gerochen hätte. Andererseits wird morgen wohl auch mein Bett nach ihm riechen – da möchte ich nicht wählerisch sein. Etwas unsicher grinst er mich an und bewegt sich kein Stück Richtung Bett, obwohl das ja eigentlich unser Ziel ist. Allerdings muss ich gestehen, dass ich ebenfalls noch dämlich herumstehe, statt mich einfach auf mein Bett zu werfen. Stattdessen strecke ich nur dämlich die Hand nach ihm aus und zum Glück ergreift er sie und tritt zu mir. Ich umschlinge ihn und atme seinen vertrauten Duft ein, nachdem ich schon nach so kurzer Zeit regelrecht süchtig bin. „Lass uns schlafen, okay?“, bitte ich ihn und spüre, wie er an meiner Schulter nicht. Ohne uns wirklich voneinander zu lösen, bewegen wir uns Richtung Bett und Sekunden später liegen wir tatsächlich nebeneinander. Wohlig schmiegt er sich an mich und ich lege den Arm um ihn und taste nach seiner Hand, bis sich meine Finger mit seinen verschränken lassen. Er lächelt, soweit ich das erkennen kann. „Gute Nacht,“ flüstere ich und weiß jetzt schon, dass ich so schnell wohl nicht schlafen werden kann. Mein Herz hämmert wie verrückt in meiner Brust. Ich spüre, wie er sich ein wenig zurechtrückt und im nächsten Moment habe ich seine Lippen auf meinen. „Gute Nacht,“ haucht er in den Kuss und spätestens jetzt ist es endgültig vorbei mit meiner Ruhe. Am liebsten würde ich jetzt doch über ihn herfallen, obwohl mir die Vorstellung, Sex mit ihm zu haben, Anflüge von Panikattacken beschert. Ich verstehe gar nicht, warum mich der Gedanke, mit einem anderen Jungen zu schlafen, auf einmal derart nervös macht. Wenn ich nur daran denke, was damals alles lief, dann frage ich mich echt, wo dieser Jasper abgeblieben ist. Was jetzt von mir übrig ist, ist wirklich nur ein klägliches Häufchen meiner selbst. Ich spüre Dominik sanft über meinen Rücken streichen und fühle seinen Atem an meinem Hals. Ich schlucke schwer und versuche ein wenig Selbstbeherrschung aufzubringen, ehe sich mein kleiner Freund selbstständig machen kann. Nichts wäre peinlicher, als jetzt hier neben ihm mit einem Ständer herumzuliegen. Schon alleine, weil ich dann all mein Gejammer, von wegen ich würde es gerne langsam angehen wollen, Lüge strafen könnte. Ob es ihm wohl ähnlich geht? Aber wahrscheinlich ist er solche Situationen gewöhnt. Nicht, dass ich glaube, er hätte schon so viele Jungs gehabt, dass er die kaum noch zählen könnte, aber er wird ja sicher schon mal neben einem Jungen gelegen und geschlafen haben. Am liebsten würde ich mal nachfühlen, wie es ihm so im unteren Bereich geht, aber ich traue mich nicht. Und es würde wohl auch ein wenig komisch rüber kommen, wenn ich ihm einfach so in den Schritt fassen würde – von seiner Reaktion ganz abgesehen. Eine wilde Nacht würde ich jetzt wohl nicht überleben, ich muss mich erstmal an seine Präsenz gewöhnen. Also vergrabe ich meine Nase in seinem Haar und hoffe darauf, dass meine Erregung bald wieder abklingt. Letztlich liegen wir Beide ziemlich lange wach, auch wenn wir versuchen, es den anderen nicht merken zu lassen. Irgendwann muss Domi doch wegdämmern, denn sein Atem wird regelmäßiger. Ich beschließe, dass ich mich so langsam auch mal zusammenreißen könnte und tatsächlich überkommt mich irgendwann der Schlaf. Als ich am nächsten Morgen von den ersten Sonnenstrahlen geweckt werde, verfluche ich mich selbst dafür, die Rollläden nicht zugezogen zu haben. Nun ist es so hell, dass ich sicher nicht mehr schlafen kann – und das nach dieser kurzen Nacht. Dominik scheint das nicht zu stören. Er schläft selig weiter und lässt mir somit die Zeit, ihn in Ruhe betrachten. Er ist wirklich wunderschön. Ich mag seine strubbeligen Haare und seine schönen langen Wimpern. Ich mag die schmalen Lippen und den schlanken Körper. Ich mag einfach ihn. Und ich mag, wie er hier neben mir liegt, sich an mich schmiegt, mein T-Shirt selbst im Schlaf umklammert und ab und an leise schmatzt. Vor allen Dingen das. Ich habe noch nie jemanden so süße Geräusche machen hören. Ich lächle selig und presse ihn an mich. Es war keine Laune, dass ich ihm gestern Nacht versprochen habe, ihn nicht wieder sitzen zu lassen. Diesmal habe ich wirklich vor, die ganze Sache durchzuziehen. Es mag anfangs vielleicht komisch werden und wahrscheinlich wird die Beziehung auch nicht für alle einfach zu akzeptieren sein, aber das ist es mir auf jeden Fall wert. Als es nur ein harmloser Kuss war, war es ein Leichtes, sich wieder zurückzuziehen, aber jetzt, jetzt ist es das nicht mehr. So viel mehr schein gestern Nacht geschehen zu sein, dabei ist eigentlich kaum etwas geschehen. Nur was passiert ist, das hatte Bedeutung und diese Bedeutung ist heute noch so greifbar in meinem Zimmer zu spüren, dass ich ihr niemals mehr entkommen kann. Und das möchte ich auch nicht. „Ihr wart gestern so schnell weg.“ Jonas sieht mich vorwurfsvoll an, als ich am späten Nachmittag in ihre Küche trete. Leon hat mich hereingelassen – noch total verkatert, was angesichts der Uhrzeit echt ein Kunststück ist. „Ja,“ sage ich nur, als würde das alles erklären. Als würde es irgendetwas erklären. Heute morgen, nachdem auch Domi endlich aufgewacht war, haben wir gefrühstückt und danach den Tag miteinander verbracht. Das sah so aus, dass wir eigentlich die meiste Zeit auf der Couch herumgegammelt sind, geredet und gelacht haben. Irgendwann haben wir dann einen Film geschaut, dabei gekuschelt und einfach genossen, dass endlich mal gar nicht kompliziert zwischen uns gewesen ist. Irgendwann hat sich dann mein schlechtes Gewissen gemeldet, weil ich zwar mit Jonas und Leon auf die Party gegangen bin, sie aber den ganzen Abend nicht weiter beachtet habe und letztlich sogar gegangen bin, ohne ihnen Bescheid zu sagen. Das war der Grund, warum ich mich irgendwann schweren Herzens von Domi losgesagt habe und zu den Beiden gelaufen bin. Allerdings bezweifle ich momentan, dass Leon überhaupt etwas mitbekommen hat, so wie seine Verfassung momentan ist. Jonas hingegen sieht fit aus. Er sitzt in der Küche und rechnet eine hochkomplizierte Aufgabe aus der letzten Lesung, eine Beschäftigung, die ich mir ja an einem Sonntag nicht geben würde. „Gab’s einen Anlass?“, fragt er, wirkt dabei allerdings recht desinteressiert. Wahrscheinlich glaubt er nicht daran, dass es einen wirklichen Anlass gab. Wer weiß, ob er sich nicht schon etwas zusammen gesponnen hat. Immerhin ist Dominik ja nicht so der Partygänger und fühlt sich unter so vielen Leuten schnell unwohl. Da kann ich mir gut vorstellen, dass die Beiden sich überlegt haben, ich sei mit ihm nach Hause gegangen. Bin ich ja auch, nur aus völlig an deren Gründen. „Wir wollten alleine sein,“ antworte ich unverfänglich und ziehe einen Stuhl zu mir, um mich endlich zu setzen. Bisher stand ich nur blöd in der Küche herum, bereit zur Flucht sozusagen. Dabei will ich eigentlich gar nicht fliehen, obwohl ich nicht weiß, ob mein Vorhaben, es Jonas anzuvertrauen, wirklich sinnvoll ist. Er sieht immer noch nicht auf, sondern nuschelt irgendetwas vor sich hin, was sich nach einem Bruch anhört, von dem ich bezweifle, dass er das richtige Ergebnis ist. Das scheint auch Jonas zu glauben, denn er streicht den Bruch durch und kramt nach seinem Taschenrechner, der unter einem ganzen Berg an Büchern und Notizzetteln vergraben liegt. „Hat er sich wieder beobachtet gefühlt?“, fragt er und bestätigt damit meine Vermutung, dass sie sich bereits Gedanken über unseren Verbleib gemacht haben. Es sollte mich nerven, aber das tut es nicht. Heute nervt mich gar nichts, ich bin viel zu glücklich, um genervt zu sein. „Nein,“ antworte ich erneut ein wenig knapp, was Jonas weiterhin nicht stört. Er nickt nur, tippt etwas in den Taschenrechner ein und stößt im nächsten Moment ein triumphierendes „Ha!“ aus. Scheint, als wäre die Lösung diesmal richtig. Tatsächlich besitzt er nun auch die Güte, den Kram wegzulegen und mich das erste Mal richtig anzusehen. Ich grinse dämlich zurück und er runzelt die Stirn. „Alles klar?“, fragt er und ich nicke. Ihn scheint das nicht zu überzeugen, aber er sagt nichts mehr. Stattdessen scheint ihm plötzlich was einzufallen, denn er reißt die Augen ein wenig auf und meint: „Rate, wen Leon gestern gesehen hat!“ Nun ist es an mir, die Stirn zu runzeln. Ich habe leider überhaupt keine Ahnung, wen Leon gesehen haben könnte und das sage ich ihm auch. Er scheint aber auch gar nicht mit einer Antwort meinerseits gerechnet zu haben, denn er brüllt fast: „Maria!“ Ich nicke langsam, weil ich nicht so wirklich weiß, was daran nun so überraschend sein soll, aber dann fällt mir Marias Auftritt von gestern ein und ich ahne plötzlich, was er mir gleich erzählen wird. Tatsächlich sprudelt die Information nur so aus ihm heraus: „Ich habe es nicht mit eigenen Augen gesehen, aber Leon meinte, Maria hätte mit einem anderen Mädchen getanzt. Und danach wären sie eng umschlungen und knutschend aus der Bar verschwunden!“ „Hast du nicht gesagt, deine Schwester sei auch lesbisch oder bi oder was auch immer? Dann sollte dich das doch nicht groß schocken!“, erwidere ich und er winkt ab. „Tut es ja auch nicht,“ meint er und sieht mich dabei an, als wäre ich schwer von Begriff. „Ich dachte nur, es würde dich interessieren. Immerhin hat die Kleine dich abserviert.“ Ich hebe eine Braue hoch und er seufzt auf. „Vielleicht kann sie sich einfach nicht auf Jungs einlassen?“, will er mir weiter auf die Sprünge helfen, dabei kann mir eigentlich egal sein, was Maria kann und was nicht. Das sage ich ihm auch und bringe ihn so dazu, die Brauen zusammen zu ziehen. „Du wirst gar nicht überrascht,“ stellt er fest und ich muss grinsen. „Bin ich auch nicht. Ich hab Maria gestern getroffen, wir haben kurz geredet und dann habe ich gesehen, wie sie mit dem Mädchen abgezogen ist,“ kläre ich ihn auf und er öffnet den Mund, schließt ihn aber wieder, ohne etwas zu sagen. „Habt ihr euer Verhältnis wenigstens klären können?“, will er dann wissen und ich schüttle den Kopf. „Da gab es nichts zu klären.“ Er sieht das wohl anders, aber er sagt nichts mehr dazu. Vielleicht hat er sogar Recht, immerhin hat Maria mich verletzt. Aber das ist mir mittlerweile egal, weil ich eh nicht mehr Maria will, sondern Dominik. „Worüber habt ihr dann geredet?“, will er dann wissen. Neugierig ist er ja echt gar nicht. Ich verdrehe die Augen und lehne mich im Stuhl zurück. Eigentlich wollte ich es ihm unbedingt erzählen, es ist mir wichtig, dass meine engsten Freunde darüber Bescheid wissen, was zwischen Dominik und mir läuft. Andererseits bekomme ich urplötzlich Angst, er könnte es nicht gut finden. Was eigentlich Quatsch ist, weil er ja sogar eine Schwester hat, die mit einem anderen Mädchen zusammen ist. Nur sind Lesben für Jungs irgendwie leichter zu akzeptieren. Die meisten Männer finden es ja sogar geil, wenn zwei Frauen miteinander rummachen. Aber Schwule, die sind immerhin eine Bedrohung für sie, auch wenn diese Ansicht Unsinn ist. Bei Fremden kann man darüber vielleicht noch hinweg sehen, aber bei Personen aus dem näheren Bekanntenkreis dann wohl nicht. Dennoch muss ich es ihm sagen, irgendwann wird er es sowieso erfahren. Und dann lieber von mir, als von irgendeinem Trottel aus der Uni. „Naja, sie hat mir ein wenig ins Gewissen geredet.“ Ihn klappt der Mund auf. Keine Ahnung, warum. Offenbar schockt ihn diese Ansage sehr, denn er weiß gar nicht, was er sagen soll. Ich bin ein wenig verwirrt, bis er loswettert, Maria solle sich zunächst an die eigene Nase fassen, ehe sie anderen Leuten Ratschläge gibt. Sie habe mich immerhin eiskalt abserviert und nun wolle sie mir auch noch sagen, was ich zu tun und zu lassen habe. Ein wenig muss ich grinsen. Zumindest ist Jonas loyal, wenn auch ein wenig unfair. „Es ging ja nur um Dominik,“ versuche ich ihn zu besänftigen und wecke damit zumindest seine Neugierde. „Warum das?“ In einer knappen Zusammenfassung erzähle ich ihm, was Maria zu mir gesagt hat und mit jedem Wort, dass meinen Mund verlässt, wird seien Miene ausdrucksloser. Letztlich kann ich gar nicht mehr erkennen, was er denkt und fühlt. Ein wenig unsicher rutsche ich auf meinem Stuhl herum. Es ist still in der Küche. So still, dass man sicher die berühmte Stecknadel fallen hören könnte. Ein wenig unbehaglich ist diese Schweigen schon, aber ich weiß nicht, wie ich die Stille unterbrechen sollte, denn mir will partout nicht einfallen, was ich sagen könnte, um die Situation zu entschärfen. Falls ich überhaupt etwas entschärfen muss. Und eigentlich habe ich ihm ja immer noch nicht gesagt, was Marias Predigt in mir ausgelöst hat. Er schluckt so laut, dass ich es hören kann, ehe er sich räuspert. „Und, ähm, hat es was gebracht, was sie da zu dir gesagt hat?“ Ich zucke hilflos mit den Schultern, weil die Frage relativ offen gestellt ist und ich wohl oder übel mit einem ganzen Satz antworten muss. Leider will mir kein wirklicher Satz einfallen. Überhaupt scheint mir nicht mal ein Wort einzufallen. Also antworte ich lahm mit einem „Ja“, was auch nicht wirklich hilfreich ist. „Und inwiefern?“, hakt er nach, weil ihm die Antwort natürlich zu vage ist. Ich seufze und versuche, mich zu sammeln. „Also… schon. Ich weiß jetzt zumindest, dass es nicht falsches ist, einen Jungen zu mögen und na ja…“, ich breche ab, weil ich einfach nichts weiter zu sagen weiß. Er lehnt sich ein wenig vor und ich beginne, nervös an meiner Jacke herumzuspielen, die ich irgendwie vorhin nicht ausgezogen habe. „Komm zum Punkt, Jasper,“ bittet er mich ein wenig ungeduldig und ich seufze erneut. „Also ehrlich gesagt… also… na ja… ich… also wir… wir haben getanzt und dan…,“ stammle ich dämlich und dann bricht es einfach in einem wilden Genuschel aus mir heraus: „Jedenfallssindwirjetztzusammen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)