BCT - Auf der anderen Seite von Dornentanz ================================================================================ Kapitel 7: Labyrinthmauern -------------------------- Folge: 63 (Wanzen und andere Parasiten I) Ryou fuhr aus dem Schlaf und die panische Bewegung ließ ihn den Halt auf dem Sofa verlieren. Er landete schmerzhaft auf dem harten Holzfußboden und sah sich irritiert um. Noch immer lief der Fernseher; eine ältere Frau verrieb eine Creme auf ihrer Handfläche, ihre begeisterte Stimme hallte laut durch die Stille. „Bakura?“, fragte er vorsichtig. Keine Antwort. Hektisch tastet Ryou nach dem Ring, und das Metall klirrte leise. Es fühlte sich eigenartig warm an, und er zog die Hand wieder zurück. „Bakura? Bist du da?“ Eine vollkommen irrationale Angst ergriff ihn, die er nicht einordnen konnte, und die sich wie unzählige kleine Nadelspitzen in seine Haut bohrte. Was für eine idiotische Frage. Ryou atmete tief ein und streckte sich. Sein Nacken schmerzte von der unbequemen Haltung, in die ihn sein Schlafplatz gezwungen hatte, und sein Arm kribbelte unangenehm, als hätte er darauf geschlafen. „Es tut mir leid“, sagte er leise. Spar dir die leeren Worte. „Wir- wir arbeiten doch trotzdem noch zusammen, oder? Wie abgesprochen.“ Vorsichtig stand Ryou auf, und schaltete den Fernseher leiser. Leider tat ihm nicht nur der Nacken und der Arm weh, sondern auch die meisten anderen Muskeln, aber doch, hauptsächlich... Er spürte, dass sein Gesicht warm wurde, und ließ den Kopf sinken. Unbehaglich knetete er den schmerzenden Arm, und versuchte die Bilder zu verdrängen, die in ihm aufstiegen. Sicher, wie abgesprochen... Bakura lachte leise. Ryou ging hinüber ins Badezimmer und versuchte, den unangenehmen Geschmack in seinem Mund mit einer Überdosis Zahnpasta auszumerzen. 'Wir sind doch... naja, so etwas wie ein Team.' Team? Es war schwer herauszuhören, wie Bakura das Wort betonte, aber in der darauf folgenden Stille spürte Ryou Unglauben. 'Es tut mir wirklich leid.' Er spülte sich den Mund aus, obwohl noch immer Bitterkeit auf seiner Zunge lag, und zog sein T-Shirt über den Kopf, sorgfältig darauf bedacht, dass der Ring an Ort und Stelle blieb. Bakuras Gedanken zogen wie blasse Schemen an ihm vorüber. Ob er seinen Standpunkt nicht klar genug gemacht hätte. Ob Ryou dumm war. Oder gerissener, als er es glaubte. Du kennst meine Bedingungen, sagte er schließlich vage. Ryou stellte sich unter die Dusche. In der Hoffnung, das Wasser würde seine verspannten Muskeln lockern, drehte er die Temperatur so heiß, wie er es ertragen konnte. „Ich weiß“, seine Stimme hallte von den Fliesen wieder und wurde von dem heißen Wasserdampf geschluckt. Wir werden heute diesen größenwahnsinnigen Kerl mit dem Milleniumsstab suchen und ihm das Teil abnehmen. So naiv, wie der ist, kann da nicht viel schiefgehen. „Was liegt dir eigentlich an diesen Dingern? Wir haben das Milleniumsauge, aber du hast es nie benutzt, also worum geht es überhaupt?“ In Ryous Gedanken stieg ein Bild seiner selbst auf, wie er das Milleniumsauge in der Hand hielt. Wie ferngesteuert bewegte sich seine Hand auf sein Gesicht zu. Die goldene Kugel näherte sich seiner Augenhöhle, bis ihm schließlich Blut und eine zähe, weiße Flüssigkeit durch die Finger rann. „Hör auf.“ Wenn du willst, dass wir es benutzen, von mir aus. Ryou schluckte. Leise drängte sich ihm der Gedanke auf, warum Bakura diesbezüglich auf ihn Rücksicht nahm, aber er verdrängte die Frage schnell wieder; hätte er sie gestellt, hätte Bakura die Vision wahrgemacht, nur um zu beweisen, dass ihm nichts ferner lag als Rücksichtnahme. Sie gehören mir ohnehin, ich habe sie geerbt. Der Pharao hat sie damals meiner Familie geraubt. Und das Wasser wird kalt. Er drehte den Hahn zu und griff nach dem Handtuch. „Ich denke, deine Familie war arm?“ Das schließt sich nicht aus. Meine Familie war noch ärmer, nachdem seine Herrlichkeit sie ihnen entrissen hatte. Sehr, sehr viel ärmer. Ryou spürte Unbehagen und gleich darauf Zorn. Bakura gefiel es nicht, an diese Dinge zu denken, also war es besser, das Thema zu wechseln. „Du hast mir nie deinen Namen gesagt.“ Obwohl er in der Kleidung geschlafen hatte, entschied er sich, noch einmal das T-Shirt und das Hemd anzuziehen, um einer erneuten Diskussion vor dem Kleiderschrank aus dem Weg zu gehen. Bakura schwieg. „Warum nicht? Mit einem Namen kann ich nicht viel Schaden anrichten, oder? Und es wäre doch nett, wenn...“ Ich weiß ihn nicht mehr. Und was ist schon ein Name? Ich will schließlich kein verdammter Popstar werden. „Du weißt ihn nicht mehr? Wie kann man denn seinen eigenen Namen vergessen?“ Ryou griff in seine Hosentasche und holte Bakuras Duel Monsters Karten hervor. Aufmerksam überprüfte er, ob eine von ihnen zerknickt war. Stell keine Fragen, auf die du keine Antwort wissen willst. Und er war sowieso nichts Besonderes. Ein gewöhnlicher Name für einen gewöhnlichen Dieb. Ob du mich nun Bakura nennst, oder ein Monster. Es tut nichts zur Sache. „Warum sollte ich dich ein Monster nennen?“ Ryous Blick blieb an dem Bild eines geisterhaften Wesens mit einer kaputten Puppe in den Armen hängen. Weil ich eins bin. Wie viel Zeit willst du hier noch verschwenden? Ryou verließ das Bad und ging in die Küche. Er fühlte sich vollkommen ausgehungert und stellte den Frühstückstisch so voll, dass es für zehn Personen gereicht hätte. Aus einem Schrank nahm er einen Korb mit Süßigkeiten, bei deren Anblick ihm das Wasser im Mund zusammenlief. „Wie kommst du darauf, du wärst...“ Was soll diese ganze Schwachsinnsfragerei? Versuchst du dich abzulenken, damit du nicht an gestern denkst? Na, was ist? Tut dein Arm noch weh? „Was ist mit dir? Versuchst du abzulenken, damit ich keine unangenehmen Fragen stelle?“ Ryou holte Erdbeerdaifuku aus dem Kühlschrank. Denkst du, dass ich es vergessen hätte? Unvermittelt fühlte sich Ryou wieder aus sich selbst herausgerissen, an den Ort, an dem das Leben fern seiner Kontrolle war. Das ist nicht fair! 'Seit wann ist das Leben fair, Ryou? Noch nie etwas vom Recht des Stärkeren gehört?' Bakura stellte die Daifuku zurück und setzte sich an den gedeckten Frühstückstisch. Du bist nicht fair, nicht das Leben! 'Ich bin doch dein Leben. Sieht echt lecker aus.' Bakura schob sich eine Pflaume in den Mund. 'Auch wenn ich nie verstehen werde, warum ihr die Dinger so sauer esst. Süß sind sie viel besser.' Wie ist das, wenn man stirbt? Bakura stöhnte. 'Wenn du nicht endlich die Klappe hältst wirst du es bald wissen. Und ich erinnere mich nicht daran.' Er legte sich einen ganzen Berg geräucherten Fisch auf den Teller, und Ryous Zorn über das verweigerte Essen besänftigte ihn ein wenig. Aber du hast gesagt, dass du glaubst, dass nach dem Tod nichts kommt. Dabei weißt du es doch besser, sonst wärst du nicht hier. 'Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich bin ja nicht wirklich tot, nur mein Körper wurde dummerweise vernichtet. Ich bin ein Lügner, ein Betrüger, und ein Dieb. Sogar den Tod habe ich ausgetrickst, und das wird auch noch für eine sehr, sehr lange Zeit so bleiben.' Du tust immer so, als wären diese Worte Auszeichnungen. Oder machst du das nur, um andere Menschen von dir fern zu halten? Bakura ließ den Fisch sinken, und starrte finster den gegenüberliegenden Stuhl an als säße ihm sein Gesprächspartner gegenüber. 'Vielleicht sollte ich meine Bedingungen erweitern und hinzufügen, dass du die Klappe zu halten hast, solange ich noch deinen Körper brauche.' Die Gedanken sind frei. Du kannst mir nicht verbieten zu denken, Bakura. Das könnte ich nicht einmal, wenn ich wollte. Bakura stand auf und tastete in seinen Hosentaschen nach den Karten und dem Milleniumsauge. 'Dann denk doch über dich und dein zukünftig rosarotes Leben mit den tollsten Freunden der Welt nach.' Er schlüpfte in seine Turnschuhe und steckte den Haustürschlüssel ein. Hast du nicht gerade behauptet, dass du mein Leben wärst? Mach den Fernseher aus. Bakura ließ den Fernseher laufen, warf die Tür heftiger hinter sich ins Schloss, als nötig gewesen wäre, und der Knall hallte auf dem Gang wieder. Ryou war in aufsässiger Stimmung, obwohl er ihm gestern seine Grenzen hatte deutlich machen wollen. Allerdings schien es eher noch schlimmer geworden zu sein. Er durfte einfach nicht mehr antworten. Gut, dann reden wir eben über mich. Habe ich heute Nacht geträumt? 'Du träumst jede Nacht. Von Blumen und Sonnenschein. Wahnsinnig öde.' Noch immer herrschte in der Stadt die gleiche, merkwürdige Festtagsstimmung. Bakura ließ seinen Blick über die nichtssagenden Gesichter der Menschen schweifen, die an ihm vorbeiliefen. Solange er keinen anderen Ansatzpunkt hatte, war es sinnvoll, nach merkwürdigen Männern mit Springerstiefeln und auffälligen Umhängen Ausschau zu halten. Die Raritätenjäger waren nicht gerade Meister der Tarnung, und mit ein wenig Nachdruck würde sicher die ein oder andere sinnvolle Information aus ihnen herauszuholen sein. 'Du hast geträumt, wie du mit Anzu, Yugi, Honda und Jounouchi im Park ein Picknick machst. Erst schien alles gut zu sein, es war wirklich langweilig. Aber dann hast du angefangen, dich zu fragen, warum du all das von außen siehst. Und dann ist dir klar geworden, dass nicht du es bist, der bei diesen Idioten sitzt, sondern ich.' Bakura schmunzelte. 'Wahrscheinlich hattest du Hunger, dass du so etwas träumst...' Ryous Gedanken zitterten zwischen der Unsicherheit, ob er ihm die Wahrheit sagte, und Betroffenheit. Guck dir mal den merkwürdigen Typen da drüben auf der Parkbank an. Bakura sah zu dem Mann hinüber, der dort tatsächlich auf einer Bank stand. Reglos und mit toten, tief eingesunkenen Augen, die Hände erhoben als drücke er sie gegen eine unsichtbare Glasscheibe. 'Nur eine Pantomime, nichts weiter.' Sollte er dann nicht einen Hut zum Geldsammeln vor sich stehen haben? 'Wie oft soll ich es dir noch sagen? Du hast keinen Blick für das Wesentliche. Das ist nur irgendein Spinner, der uns auch nicht weiterhilft. Hör auf zu träumen und such lieber nach irgendetwas Nützlichem.' *** Mariks Lachen klang fremd in seinen eigenen Ohren, und seine Kehle schmerzte von den unkontrollierten Lauten. Lediglich das kalte Metall des Milleniumsstabes in seiner Hand gab ihm ein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle. Wie von selbst fiel sein Blick unter sich, an der scharfen, goldenen Klinge vorbei in das Gesicht das Pharaos, der unter ihm eingekeilt lag und voll Hass zu ihm aufblickte. Langsam, beinahe zärtlich zog Marik den Dolch von der Stirn seines Feindes bis hinab zum Kinn. „Ich hatte noch nie so viel Spaß bei einem Spiel, wie bei diesem“, hörte er sich sagen. Der Pharao zeigte kein Anzeichen von Schmerz oder Angst, stattdessen grinste er ihm frech ins Gesicht. „Bei einem anderen Spiel hattest du genauso viel Spaß.“ Marik hob die Klinge über seinen Kopf und bohrte sie in das weiche Fleisch des Halses unter sich. Mit Entsetzen und Begeisterung folgte sein Blick dem sanften Bogen, den die Blutfontäne beschrieb und lauschte dem gurgelnden Geräusch, dass aus der Kehle seines Erzfeindes drang. Er wollte dem Pharao in die Augen sehen, wenn er starb, sehen, wie die bittere Erkenntnis Einzug hielt, dass Marik gewonnen hatte, kurz bevor das kleine Licht erlosch. Doch unter ihm lag nicht der Pharao. Es waren Garas Augen, die eine Erkenntnis zeigten, und in denen ein Licht erlosch. Und noch immer lachte Marik, zog die Klinge aus der Haut und stach erneut zu. Dieses Mal war es Pandora, noch ein weiteres Mal, dann starrten ihm seine eigenen Augen voll Entsetzen entgegen. Sein Zwerchfell schmerzte von dem wilden Gelächter das ihn so sehr schüttelte, dass er kaum noch Luft bekam. Träge rutschte er zur Seite und ließ sich auf den Boden sinken, wo er tief Luft holte, damit ihm der Spaß nicht den Atem raubte. „Marik?“ Rishids Stimme hallte durch die Dunkelheit. Marik schrumpfte in sich zusammen. Sein Nackenhaar sträubte sich und er fletschte die Zähne. Dann erwachte er. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)