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Nicht weinen sollst du, Hanako

Geschichten über Konoha
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ein Jahr vor Kyuubi. Komplett anzeigen

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Shintaros Geschichte, Teil eins – Ihr habt noch nicht verstanden, warum ihr hier seid.

Shintaro ist sich nicht sicher, ob heute ein Trauertag oder ein Festtag ist. Auf dem Platz vor dem Hokageturm drängen sich die Einwohner Konohas, Shinobi und Zivilisten gleichermaßen, Kinder auf den Schultern ihrer Eltern, Uniformen, feierliche Kleidung. Seine Mutter Kaede neben ihm hat ein Taschentuch hervorgezogen und drückt es sich vor den Mund.

„Dieser Tag“, schallt die Stimme des dritten Hokage über die Menschenmenge hinweg, „soll in die Geschichte eingehen als der Tag, an dem der dritte große Krieg der Shinobi ein Ende gefunden hat.“

Er sieht alt aus, findet Shintaro, dieser kleine Mann in weißem Mantel und weißem Hut. Sein Gesicht ist müde und grau, aber er hält sich aufrecht, wie ein alter Baum, knorrig, aber ungebrochen. Einen Schritt hinter ihm steht der Vierte, den Blick ins Leere gerichtet, als sei er mit den Gedanken woanders. Anders als der Dritte hat er im Krieg gekämpft, denkt Shintaro. Er ist einer von ihnen.

„Unsere Gedanken sind heute bei all denen, die ihr Leben gelassen haben für unseren Frieden. Lasst uns diesen Frieden, dieses Geschenk, für immer in Ehren halten.“

Kaede schluchzt leise auf, und Shintaro legt ihr den Arm um die Schulter. Nächste Woche wäre Vater dreiundfünfzig geworden, sie wären gemeinsam Essen gegangen, Shintaro hatte den Tisch schon reserviert. Jetzt bleibt ihnen nichts übrig, als mit den Gedanken bei ihm zu sein.

„Aber“, fährt der Hokage sanft fort, „lasst uns nicht ausschließlich trauern. Wir würdigen das Andenken an die Toten nicht dadurch, dass wir verzweifeln. Freuen wir uns an dem Neuanfang, der Konoha ermöglicht wurde. Heute ist ein Festtag.“

Also doch, denkt Shintaro. Das ist gut zu wissen.

„Freue dich an deinem Frieden, Konoha, und deine Ahnen werden sich mit dir freuen.“

Der Applaus, der aufbrandet, ist nur an wenigen Stellen mit Jubel gemischt.
 

„Ich muss nach Hause“, sagt Kaede leise.

„Erinnerst du dich an das, was Hokage-sama gesagt hat? Vater hätte nicht gewollt, dass du verzweifelst.“

Sie lächelt und lehnt kurz den Kopf an Shintaros Schulter. „Ich verzweifle nicht. Ich brauche nur ein bisschen ... Zeit. Wahrscheinlich ziehe ich mich an einen stillen Ort zurück und berichte deinem Vater darüber, wie glücklich alle sind.“

Shintaro runzelt die Stirn und sieht sich um. Das Friedensfest ist in vollem Gange. An Marktständen werden Süßigkeiten und gegrillte Speisen verkauft, in den Bäumen hängen bunte Girlanden und Lampions, ein undurchdringliches Stimmengewirr erfüllt die Luft. Ein paar Akademieschüler, sieben oder acht Jahre alt, singen ein Lied, das schon Generationen von Akademieschülern vor ihnen lernen mussten. Shintaro kennt es noch immer auswendig.
 

Hanako, Hanako, Blumenkind, sie lief zum Tor

Die Stimme ihres Liebsten noch in ihrem Ohr

Sie wartete lang, sie wartete lang,

sie wartete, bis die Sonne sank

Zehn Wochen war ihr Liebster fort

Sie weinte jeden Tag.
 

„Wie du meinst, Mutter“, sagt Shintaro, obwohl er gar nicht findet, dass alle so glücklich aussehen.

Erneut lächelt sie. „Pass auf dich auf. Trink nicht so viel, und geh nicht zu spät nach Hause.“

„Ich bin fünfundzwanzig, kein Kind mehr. Ich komme schon zurecht.“

„Natürlich tust du das.“ Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um und schlurft davon. Sie sieht so alt aus. Shintaro sieht ihr nach, das Singen der Kinder in den Ohren.
 

Der Vater sprach zu Hanako: Hanako, weine nicht!

Dein Liebster kämpft im Kriege, denn ihn ruft die Pflicht.

Und wer nicht kämpft, und wer nicht hört

auf Konohas Ruf, ist deiner nicht wert!

Nicht weinen sollst du, Hanako, Hanako,

Konohas schönstes Kind.
 

*
 

Shintaro hat lange überlegt, was er am ersten Tag mit seinen neuen Schülern unternehmen soll. Letztendlich stehen sie auf einem kleinen Balkon über dem steinernen Kopf des zweiten Hokage und sehen über das Dorf. Es ist Winter, der Wind ist kalt, ein feiner Nieselregen liegt in der Luft. Die drei Jungen sind vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, in seinen Augen Kinder, keine Männer. Auch, wenn sie ihren ersten Krieg bereits hinter sich haben.

„Ich will ehrlich mit euch sein. Noch vor ein paar Monaten hätte ich mir nicht vorstellen können, ein Team von Genin auszubilden. Ich kenne all die Grundlagen, die ihr lernen müsst, aber ich bin mit Sicherheit kein geborener Lehrer.“

Sie sehen ihn aufmerksam an, drei Augenpaare, braun, dunkelgrau, hellgrün.

„Im Krieg war ich ständig auf Missionen, deswegen haben sie mir damals noch keine Genin anvertraut. Ich habe gekämpft und bin unverletzt zurückgekehrt, aber es war Glück, kein Können. Viele, die besser und erfahrener waren als ich, sind gestorben ... zum Beispiel mein Vater. Zu viele Jounin und auch Genin sind gefallen, alles ist durcheinander geraten. Es wird Zeit brauchen, bis wieder Normalität einkehrt.“

Er verschweigt ihnen das, was ihm eigentlich auf der Zunge liegt, dass es nämlich momentan viel zu viele Genin gibt. Im Krieg haben sie Achtjährige, die eigentlich noch ein paar Jahre Akademie hätten vertragen können, zu Genin gemacht, um schnellen Nachschub für die Front zu haben. Das Ergebnis ist ein heilloses Chaos. Man kann einen Zehnjährigen, der schon Blut an den Händen hat, nicht zurück an die Grundschule schicken, als sei nichts gewesen.

Der größte der drei Jungen lässt Shintaro nicht aus den Augen. Sein Blick ist ruhig, aber stechend und seinem Alter absolut unangemessen. Shintaro reißt sich zusammen.

„Also – ich habe die Rolle eingenommen, in der ich Konoha momentan am meisten nützen kann. Und ich werde mein Bestes geben, um meine Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit zu erfüllen.“

Er fährt sich durch die Haare und macht eine kurze Pause. „Jetzt seid ihr dran. Seht nach vorn.“

Sie drehen sich um und betrachten das Dorf.

„Was seht ihr?“

Er weiß, dass die Frage etwas seltsam ist, weshalb er den Jungen einige Zeit zum Überlegen lässt. Ein Glück, dass sie ihm keine Mädchen gegeben haben. Wenn er sich schon mit Kindern befassen muss, was ohnehin nicht seine Stärke ist, dann wenigstens nicht mit pubertierenden Mädchen. Wenn Konoha es verlangt hätte, hätte er natürlich auch das getan, aber so ist es besser.

„Also, fängst du an?“, sagt er nach einer Weile und deutet auf den Jungen ganz rechts. „Tonbo war dein Name, richtig?“

Tonbo nickt und dreht sich um. Er hat dunkelgraue Augen mit auffallend langen Wimpern, eine Wollmütze über den Kopf gezogen und das Stirnband davor gebunden. Trotz der winterlichen Temperaturen trägt er keine Jacke, sein Pullover ist an den Ärmeln zu kurz.

„Also, ich sehe ... Konoha. Da hinten wohne ich.“

Er deutet auf ein Randviertel, sicher meint er eins der Mehrfamilienhäuser. Aus der Entfernung kann man die kreuz und quer gespannten Wäscheleinen und die abblätternden Werbeplakate an den Mauern nur erahnen.

„Mit meiner Mutter und meinen Geschwistern, Vater ist tot. Vielleicht ziehen wir bald um, sagt Mama. Sind ja Wohnungen freigeworden, wegen dem Krieg.“ Unter der Mütze runzelt Tonbo die Stirn. „Na ja, und ... was sehe ich noch? Da hinten ist die Akademie. Ich bin froh, dass ich damit fertig bin. Es war echt langweilig. Keine Action und so.“

„Du hast im Krieg gekämpft?“, fragt Shintaro.

„Ja. Ich bin mit elf Genin geworden und in ein Team mit meinem großen Bruder Akira gekommen.“

„Wer war dein Sensei?“

„Ich hatte verschiedene. Einer ist gestorben. Zuletzt hatte ich Mikoto-sensei, aber sie musste das Team abgeben. Sie kriegt ein Baby.“

„Eine gute Nachricht.“

Shintaro nickt und wendet sich dem mittleren Jungen zu, der auf einer kinnlangen weißen Haarsträhne herumkaut. Seine Größe ist durchschnittlich für sein Alter, aber sein rundliches Gesicht lässt ihn kindlich und arglos wirken.

„Mizuki, nicht wahr?“

„Ja.“ Er nimmt die Haare aus dem Mund. „Na ja ... wie gesagt, das ist Konoha. Ich wohne genau am anderen Ende, da. Wir haben ein bisschen wenig Platz, ich teile mein Zimmer mit meinem kleinen Bruder. Aber der ist in Ordnung. Direkt neben dem Haus ist der alte Baum, der ist so groß, dass man ihn von hier aus noch sieht. Wir haben darauf klettern gelernt, das machen alle aus der Straße.“

„In welchem Team warst du bisher?“

„Mit Ibiki, seit wir zehn waren.“ Er deutet auf den Jungen ganz links. „Unsere Dritte im Bunde haben sie irgendwo anders hin gesteckt, weil sie eh zwei Jahre jünger war.“

„Dann bist du also Ibiki“, sagt Shintaro.

Der letzte Junge nickt. Er hat ein kantiges Gesicht, dominiert von diesen stechenden Augen. Die Hände hat er in den Taschen seines Mantels vergraben, und Shintaro kann nicht recht erkennen, ob die Schultern des Mantels gepolstert sind oder ob er wirklich so breitschultrig ist.

„Bei allem Respekt, Shintaro-sensei, ich habe Ihre kleine Übung längst durchschaut. Darf ich auflösen?“

Shintaro zieht die Augenbrauen hoch. „Du bist einer von der ganz gerissenen Sorte, was?“

Ibiki bemerkt, dass die anderen beiden ihn anstarren, und lächelt. „Darf ich?“

„Versuch es.“

„Jeder der beiden hat erzählt, was ihn mit diesem Dorf verbindet. Das ist es, was Sie uns zeigen wollten, nicht wahr? Dass wir mit Konoha verbunden sind. Und danach werden Sie uns erklären, dass diese Bindung in Friedenszeiten genauso wichtig ist wie im Krieg. Auch wenn man nicht mehr jeden Tag hört, für Konoha, ist Konoha immer noch da. Und wir müssen dafür einstehen.“

Zum ersten Mal seit langer Zeit muss Shintaro lachen. „Ich sollte mich wohl vor dir in Acht nehmen, Ibiki.“

„Nicht Sie“, erwidert Ibiki bescheiden. „Aber alle anderen.“
 

*
 

Der erste Trainingstag ist beendet, und Shintaro muss zugeben, dass sogar er ins Schwitzen geraten ist. Tonbo liegt mit geschlossenen Augen lang im Gras ausgestreckt, Mizuki hat das verschwitzte Kopftuch abgezogen und knotet daran herum, Ibiki nuckelt an seiner Trinkflasche.

„Hört mal, Jungs“, spricht Shintaro das an, was ihm schon den ganzen Tag auf der Seele liegt. „Wenn ihr so weitermacht, haben wir ein echtes Problem.“

Sie blinzeln verwirrt.

„Wir haben doch alles gemacht, was Sie wollten, Sensei“, sagt Tonbo und setzt sich schwankend auf. Gras klebt in seinen Haaren.

Es ist nicht einfach, das, was ihn stört, in Worte zu fassen. „Wenn ich gesagt habe, lauft fünf Runden um den Platz, habt ihr das getan. Aber man hat gesehen, dass ihr keinen Grund dafür gesehen habt – nur den, dass ich es euch gesagt habe. Ihr habt noch nicht verstanden, warum ihr hier seid.“

Sie sehen einander an.

„Warum denn, Sensei?“, fragt Mizuki höflich.

„Was haben sie euch bisher beigebracht? Denkt nicht nach, sondern befolgt eure Befehle, denn sonst seid ihr tot?“

„So ungefähr“, sagt Ibiki schmunzelnd.

„Natürlich haben sie das. Es ist die einfachste und einzige Art, Genin, die noch nichts vom Kämpfen verstehen, vor dem sicheren Tod zu bewahren. Aber ich bilde euch nicht als Genin aus, sondern als Shinobi. Ihr sollt später selbst diejenigen sein können, die Befehle geben, das ist mein Ziel. Und dazu müsst ihr verstehen, wozu es gut ist, was ihr tut. Wenn ihr mit dem Herzen bei der Sache seid, werden auch eure Leistungen sich verbessern.“

„Waren Sie heute nicht zufrieden?“, fragt Tonbo, und die Enttäuschung in seinem Blick irritiert Shintaro. Spricht er mit einem Vierzehnjährigen oder einem Fünfjährigen?

„Nein, heute war ich nicht zufrieden. Aber wir werden zusammen dafür sorgen, dass ich es in Zukunft sein kann. Ich weiß, dass wir das schaffen. In Ordnung?“

„Ja, Sensei.“

Shintaro nickt und überlegt kurz. „Und um diesen Tag etwas gemütlicher ausklingen zu lassen, als er angefangen hat, lade ich euch zum Essen ein.“

Ihre Reaktionen schwanken zwischen Verblüffung und Begeisterung. Vermutlich haben sie mit keinem ihrer bisherigen Senseis etwas unternommen, und Shintaro kann seinen Vorgängern nicht einmal einen Vorwurf daraus machen. Sie hatten keine Zeit. Er hat sie.
 

„Meine Mutter ist tot“, erzählt Ibiki zwischen zwei Bissen. „Ich wohne bei meinem Vater, aber er ist bei der ANBU und ständig auf Missionen. Meistens lebe ich allein.“

„Bei mir ist es mein Vater, der tot ist“, sagt Tonbo und zieht die zu kurzen Pulloverärmel über seine Handgelenke. „In der ersten Kriegswoche verschollen. Aber Mama sagt, wir schaffen das schon. Wir sind zu sechst zu Hause, aber Akira wird bald Chuunin, und ich verdiene ja auch Geld. Und Mama kriegt so ein bisschen Witwenrente von Konoha.“

„Muss schön sein. Mein Vater hat sich erst scheiden lassen und ist dann gestorben. Mama verflucht ihn immer noch dafür.“ Mizuki lacht kurz auf. „Gut, dass mein kleiner Bruder so ein verdammtes Genie ist. Er ist seit einem halben Jahr von der Akademie weg, und jetzt sind wir alle vier Shinobi. Das läuft schon.“

„Dein kleiner Bruder hat sie nicht mehr alle“, knurrt Ibiki. „So ein kleines Kind, das an nichts denken kann als töten, töten, töten.“

„Nichts gegen meinen Bruder, okay?“

„Lebt Ihre Mutter noch, Shintaro-sensei?“, fragt Tonbo.

Offenbar hat er sich das gemerkt, was Shintaro über seinen Vater gesagt hat. „Ja, es geht ihr gut. Vater und sie haben sich im Waisenhaus kennengelernt und später geheiratet. Ich erinnere mich, dass sie oft auf Missionen mussten, als ich klein war. Ich erinnere mich auch, dass ich deswegen Angst hatte. Aber sie haben mir immer gesagt, wenn sie sterben würden, würde Konoha sich um mich kümmern.“

„Konoha“, sagt Tonbo leise.

„Der Gedanke hat mich beruhigt. Er tut es immer noch.“ Shintaro runzelt leicht die Stirn. „Mein Vater hat gesagt, Die Regeln dieses Dorfes lauten, zehn Blätter zu opfern, um eines zu retten. Wenn du alles für Konoha tust, wird es auch alles für dich tun.

Die Jungen sehen ihn an, mit schief gelegten Köpfen, fast verträumt. Shintaro errötet leicht und reißt sich zusammen.

„Aber ich bin niemand für Sentimentalität. Esst weiter, bevor es kalt wird, Jungs. Wer hart an sich arbeiten will, muss auch ordentlich essen.“

„Wird gemacht, Sensei!“
 

*
 

Ein Shuriken zischt geradewegs an Shintaros Ohr vorbei, und er fährt herum.

„Mizuki! Ich habe gesagt, du sollst da hinten üben!“

„War doch gut gezielt, oder, Sensei?“

„Du bist ein Shinobi, kein Zirkuspferdchen! Du wolltest unbedingt, dass ich dir Kuchiyose beibringe, damit du im Notfall Nachschub an Waffen heraufbeschwören kannst. Also arbeite daran!“

Hai, hai, Sensei.“ Mizuki grinst entschuldigend und läuft hinüber zum anderen Ende der Wiese, wo die Zielscheiben stehen. Hoffentlich kommt er zurecht, denkt Shintaro und sieht ihm mit gerunzelter Stirn nach. Er hat ihm das einfachste Kuchiyose gezeigt, das er kennt, aber Beschwörung bleibt Beschwörung und ist damit eine komplizierte Technik, selbst wenn es nur um leblose Waffen geht.

„Hoffen wir, dass er sich durchbeißt. Wo steckt denn Ibiki schon wieder?“

„Weiß ich nicht, Sensei“, antwortet Tonbo aufgeregt. „Gerade habe ich es fast geschafft, sehen Sie mal!“

Sie haben bald festgestellt, dass Tonbo mit Shintaro die Begabung für das Element Feuer teilt, und Shintaro gefällt das – er würde fast sagen, er fühlt sich geschmeichelt, auch wenn er dieses Gefühl nicht begründen kann.

„Dann lass sehen.“

Tonbo nickt, atmet tief durch und hebt die Arme. Er schließt die Siegel so schnell vor der Brust, dass man seine Finger kaum noch erkennen kann.

Katon: Goukakyuu no Jutsu!

Mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand formt er einen Kreis und pustet hindurch. Ein Feuerstrahl schießt hervor, der sich vorne zu einer faustgroßen Kugel ballt, von einzelnen Flammen umzüngelt. Shintaro zieht die Augenbrauen hoch.

„Noch recht klein, aber deine Technik ist sehr gut. Darauf kannst du aufbauen.“

Tonbo schnappt nach Luft, und der Ball verschwindet. „Mir geht ein bisschen die Puste aus.“

„Das ist normal. Es wird sich legen, wenn du Gewohnheit bekommst.“

„Machen Sie nochmal vor, wie das am Ende aussehen muss, Sensei!“

„Wie oft habe ich es dir heute schon gezeigt?“

„Es ist motivierend, ein Ziel vor Augen zu haben. Sie haben doch gesagt, wir müssen verstehen, warum wir tun, was wir tun.“

„Also gut.“

Shintaro führt dasselbe Jutsu aus wie Tonbo. Seine Feuerkugel erreicht einen Durchmesser von etwas über einem Meter, nicht gigantisch, aber für eine Demonstration ganz ordentlich. Tonbo weicht einen Schritt vor der Hitze zurück, aber Shintaro bleibt stehen. Er liebt den heißen Luftzug an seinem Gesicht, den Geruch von Schwefel und das Gefühl, mächtig zu sein. Macht ist eine Droge, die mit Vorsicht genossen werden muss, haben seine Eltern ihm eingebläut. Aber sie ist so schön.

„Die war noch größer als beim letzten Mal, Sensei!“, sagt Tonbo. „Wissen Sie, was ihr Rekord ist?“

Shintaro lässt die Hand sinken und die Feuerkugel erlischt auf einen Schlag. Er will antworten, hält aber inne, als er zwei Schritte weiter eine Gestalt stehen sieht.

„Ist das Ibiki?“, fragt Tonbo erschrocken.

„Sensei“, krächzt Ibiki, die Haut rot verbrannt, die Kleider in verkohlten Fetzen herunter hängend. „Passen Sie doch auf, wohin sie pusten.“

Shintaro lächelt dünn und wendet sich Tonbo zu, der Ibiki schockiert anstarrt. „Nun, Tonbo? Was tun wir, wenn so etwas passiert?“

„Einen ... einen Arzt rufen, Sensei?“

„Nein, viel einfacher.“ Shintaro hebt die Hand. „Kai.“

Eine Staubwolke steigt vom Boden auf, und als sie sich wieder legt, steht Ibiki unversehrt direkt vor ihnen.

„Sie haben die Illusion sofort durchschaut, Sensei. Wie langweilig.“

„Beim Training überprüfe ich immer vorher, dass niemand dem Feuer im Weg steht. Das wäre ja sonst noch schöner.“

„Sie hätten wenigstens so tun können, als hätten Sie sich erschreckt.“

„Warum denn das?“

„Weil es mich gefreut hätte“, sagt Ibiki und mustert ihn eingehend. „Nehmen Sie's mir nicht übel, Sensei, aber manchmal sollten sie ihr Leben ein bisschen lockerer angehen. Sie machen sonst weder uns noch sich selbst eine Freude.“

Shintaro blinzelt irritiert und weiß nicht, was er dazu sagen soll. Sein ganzes Leben lang hat er getan, was von ihm verlangt wurde. Noch nie hat jemand von ihm verlangt, locker zu sein.

„Wie auch immer. Das Genjutsu an sich war jedenfalls nicht schlecht, Ibiki.“

„Auch wenn es nur für einen Witz gedient hat“, sagt Tonbo. „Du bist doch kein Zirkuspferdchen, Ibiki.“

„Es hat immerhin dazu gedient, dir eine Lektion über Genjutsus zu erteilen. Du darfst nicht immer alles glauben, was du ...“ In einer einzigen Bewegung zieht Ibiki ein Kunai aus seiner Tasche und blockt einen Shuriken ab, der neben seinem Kopf entlang fliegt.

„Verdammt!“

„Steh früher auf, Mizuki!“, brüllt Ibiki quer über den Platz. „Und lass dir langsam etwas Neues einfallen!“

Mizuki schlendert zu ihnen herüber, nachdenklich auf einer Haarsträhne kauend. „Sagen Sie mal, Sensei? Gibt es Shuriken nicht auch in größer?“

Shintaro lacht auf. „Es gibt welche, bei denen ein Zacken länger ist als dein Unterarm.“

„Im Ernst?“

„Ja, aber natürlich sind sie dementsprechend schwer und hindern dich daran, dich frei zu bewegen. In einem längeren Kampf sind sie deshalb eher von Nachteil – das heißt, solange du deine Beschwörung nicht beherrschst.“

„Aber wenn ich sie beherrsche, kann ich es mit den großen versuchen, Sensei?“

In Mizukis Augen leuchtet eine kindliche Begeisterung, dieselbe wie bei Tonbo, wenn Shintaro seine Feuerkugel vorführt. So war er früher auch, denkt Shintaro. Oder etwa nicht?



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