Liebeschaos! Teas Sprechstunde von Dornentanz ================================================================================ Kapitel 1: Erste Sitzung ------------------------ Disclaimer: Das Copyright an Yu-Gi-Oh!, sowohl dem Manga als auch dem Anime, liegt bei Kazuki Takahashi, nicht bei mir. Selbiges gilt für die Charaktere. Weder ich noch andere verdienen mit dieser Geschichte Geld; es handelt sich um ein nicht-kommerzielles Fanprojekt. Erste Sitzung Teas Augen brannten vom flimmernden Leuchten ihres Laptops. Stundenlang hatte sie gearbeitet, die ganze Nacht hindurch, und war nun hundemüde - jetzt war es schon wieder Mittagszeit. Ein letztes mal sortierte Tea die Dateien in dem Ordner, bis sie alle feinsäuberlich an Ort und Stelle gerückt waren. Für ein paar Minuten schloss sie die Augen, atmete tief ein, und dann geräuschvoll aus. Zwar war sie erschöpft, aber auch von tiefer Zufriedenheit erfüllt. Ihr Kopf sank auf die Tischplatte hinab. Kurz bevor der Schlaf seine Finger nach ihr ausstrecken konnte, klingelte es an der Tür. Hastig sprang sie auf, und dachte gerade noch daran, den Laptop zuzuklappen. Dann tänzelte sie durch den Flur zur Wohnungstür. Auf der anderen Seite stand Joey, der sich verlegen am Kopf kratzte. „Hey Tea, kann ich reinkommen?“ Tea trat einen Schritt beiseite, so dass ihr Freund hereinkommen konnte. „Sicher. Willst du zu mir, oder Yugi, oder dem Pharao?“ Sie lächelte, und Joey lief rot an. „Wie kommst du darauf, dass ich...!? Nein, ich wollte zu dir.“ „Soll ich dir einen Tee machen?“ Tea hielt in der kleinen Küche, die sie sich mit ihren Mitbewohnern teilte, und hielt den Wasserkocher hoch. „Jaaa... Nein. Ich weiß nicht!“ „Du bist ja heute noch zerstreuter als sonst!“ Tea lachte. „Ich meine, das ist heute nicht so wichtig. Wie läuft dein Studium im Moment?“ Tea stemmte die Hände in die Hüften und schüttelte den Kopf. „Du bist wirklich merkwürdig heute. Es läuft alles gut. Danke der Nachfrage, auch wenn sie ziemlich oberflächlich war.“ Joey winkte hastig ab und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Nein! So meinte ich das nicht. Ich wollte nur wissen, ob du schon Fortschritte machst.“ Tea seufzte, und begann nun doch einen Tee für sie beide zu kochen. „Mittlerweile glaube ich, dass ihr Recht hattet. Es war wirklich eine blöde Idee, Tänzerin werden zu wollen. Wie lange kann man da arbeiten? Und was ist, wenn man mal einen Unfall hat und irgendetwas am Körper nicht mehr einwandfrei funktioniert? Ich bin froh, dass ihr mich dazu überredet habt, hier zu bleiben. Und das Fach ist auch sehr spannend.“ Sie goss sich beiden eine Tasse Tee ein, und stellte die Kanne auf dem Tisch. „Ja, also, genau deswegen... Mit so einem Psychologiestudium, da lernt man ja auch, gute Tipps zu geben, wenn jemand nicht weiterweiß, oder?“ Joey nahm einen Schluck vom Tee, und verbrannte sich die Lippen. Viel zu heftig stellte er die Tasse ab, und die heiße Flüssigkeit lief ihm über die Hand. „Au au au!“ Tea sah ihn gespielt beleidigt an. „Joey, wenn du einen Rat von mir brauchst, wäre es mir lieber, du kämst als Freund zu mir, und nicht als Patient.“ Joeys schmerzverzerrtes Gesicht glättete sich, und er sah schuldbewusst auf die Tischplatte hinab. „Du hast Recht. Ich bin ein Trottel.“ „Na los! Jetzt spann mich nicht auf die Folter! Was ist los?“, fragte Tea. Joeys Mund klappte auf, und gerade noch rechtzeitig wieder zu, als Yugis Kopf in der Küchentür erschien. „Hallo Joey! Spielen wir nachher eine Runde Risiko?“ Joey sprang auf. „Wie lange stehst du da schon und lauschst? Das ist gemein, sowas macht man nicht, das ist absolut privat!“ Yugis Augen wurden noch größer, als sie ohnehin schon waren. „Ich weiß nicht, wovon du redest, ich wollte doch nur...“ Joey packte Tea am Arm. Diese hatte gerade noch Zeit, ihre Teetasse zu nehmen, dann zog er sie schon hinter sich her in ihr Zimmer. „Tut mir leid, Kumpel!“, rief er in den Flur, schloss er die Zimmertür, und hielt den Zeigefinger vor die Lippen, um Tea zu bedeuten, still zu sein. Dann öffnete er die Tür noch einmal, und spähte hinaus. „Yugi lauscht doch nicht!“, zischte Tea empört. „Ich weiß, ich weiß. Aber der Pharao vielleicht.“ Tea wollte widersprechen, aber Joey schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab. „Ich denke, es ist besser, wenn du dich setzt.“ Tea kam seinem Vorschlag nach, setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl, und drehte sich in seine Richtung. „Tea, ich bin verliebt.“ Joey sah ängstlich zu seiner Freundin herüber, die, entgegen seiner Erwartungen, nicht in schallendes Gelächter ausbrach. „Das freut mich für dich, Joey!“, Tea strahlte ihn an, aber er zog ein wehleidiges Gesicht. „Sag das nicht. Es ist... es ist...“ Joey begann, im Zimmer auf und ab zu gehen und öffnete noch einmal die Tür, um zu überprüfen, ob keiner lauschte. „Du lachst doch nicht, oder? Egal wie blöd es ist?“ Am liebsten hätte Tea entnervt aufgestöhnt. „Nein. Ich lache nicht.“ Joey schnaufte und verbarg sein Gesicht hinter den Händen. „Ich habe mich in Yugi verliebt.“ Tea schüttelte den Kopf. „Ja... und?“ Joey ließ die Hände sinken. „Was meinst du mit: 'Ja, und?' Ja, und, was?!“ „Ich dachte nur, da kommt noch irgendetwas Peinliches. Weil du Angst hattest, dass ich lachen würde.“ „Ist das nicht schon lächerlich genug? Ich fühle mich wie ein Vollidiot. Immerhin ist er mein bester Freund, wenn ich es ihm sage, könnte ich alles kaputt machen. Kennst du nicht dieses unangenehme Gefühl, wenn du glaubst, ein Freund könnte mehr von dir wollen, als du von ihm? Und du möchtest ihn auf Distanz halten, willst aber gleichzeitig nicht eure Freundschaft gefährden?“ Teas Gedanken schweiften zu Yugi. Sie nickte mit düsterem Gesichtsausdruck. „Ich kann's mir ungefähr vorstellen.“ „Ich will ihn nicht in so eine Situation bringen.“, schloss Joey seinen Gedankengang ab. Tea zog die Augenbrauen hoch. „Das ist erstaunlich weitsichtig von dir, Joey. Aber was willst du sonst ma-“ „Das ist noch nicht alles“, fiel ihr Joey ins Wort. „Ich bin mir nämlich nicht hundertprozentig sicher. Wenn ich an Yugi denke, dann habe ich das Gefühl, dass ich ihm grenzenlos vertrauen kann, und dass er immer für mich da sein wird. Und das möchte ich auch. Er hat so ein reines gutes Herz, dass es für mich ein Rätsel ist, dass nicht jeder ihn liebt.“ Tea zuckte mit den Schultern. „Für mich klingt das ziemlich sicher.“ Joey schnappte sich Teas Kuriboh-Kopfkissen, und drückte es gegen sein Gesicht, als wolle er sich selbst ersticken. „Ja, schon. Aber mir fehlt da auch etwas.“ „Verdammt, Joey! Jetzt lass dir doch nicht jedes Wort aus der Nase ziehen und sag endlich, was Sache ist!“ „Yugi ist einfach zu gut. In einer Beziehung sollte man sich ja eigentlich gegenseitig unterstützen. Aber ich glaube, an ihm gibt es einfach nichts, dass mit meiner Hilfe besser werden könnte. Und ab und zu muss man sich doch auch mal streiten, damit es spannend bleibt. Ich wünschte, Yugi wäre ein bisschen gemeiner zu mir und anderen Menschen. Jemand, bei dem ich dafür arbeiten müsste, dass er mich anerkennt, und mir nicht einfach alles durchgehen lässt. Jemand wie...“ Joey beendete den Satz nicht, und Tea seufzte erneut. „...wie Kaiba?“ Joey hielt Teas Kuriboh-Kissen fest umklammert, und versteckte sein halbes Gesicht dahinter. Nur seine Augen blinzelten vorsichtig zu ihr herüber, so dass seine Stimme gedämpft klang. „Wie kommst du so schnell darauf?“ Tea lächelte. „Es kann ja nicht jeder so schwer von Begriff sein, wie du. Tristan und Serenity machen sich schon seit Jahren über dich lustig, weil du es nicht mitbekommen hast. Ich war wirklich überrascht, als du eben mit Yugi angefangen hast.“ Joey schlug die Hände über dem Kopf zusammen. „Was soll ich denn jetzt machen, Tea? Es ist nicht nur so, dass ich mich entscheiden muss, und, dass ich mir mit Yugi alles kaputt machen könnte. Stell dir vor, wie Seto reagieren würde, wenn ich... wenn ich...“ Joey lief rot an. „Er würde mich so gnadenlos in der Luft zerreißen, auslachen, bloßstellen, dass ich dann sicher vor Scham sterben will. Selbst wenn er mich auch... du weißt schon... was ohnehin nahezu unmöglich ist... würde er das ja nie zugeben. Ganz egal also, was ich tue, eine falsche Bewegung, und ich könnte mein Leben für immer ruinieren.“ Seine Stimme war weinerlich geworden. Tea stand auf, und setzte sich neben Joey auf das Bett. Beruhigend legte sie ihm die Hand aufs Knie. „Jetzt beruhig dich erstmal. Du musst doch nicht immer alles so dramatisieren. Die Welt geht in keinem Fall unter, dass verspreche ich dir, und wenn doch, wird der Pharao schon rechtzeitig zur Stelle sein.“ Sie lachte leise, und auch Joey musste schmunzeln. Er ließ die Arme sinken, und gab sein Kuriboh-Schutzschild auf. „Pass auf“, sagte Tea. „Es gibt für alles eine Lösung. Ich schlage vor, du gehst langsam und Schritt für Schritt vor. Erst einmal überlegst du dir ganz genau, was du eigentlich willst. Du musst dir hundertprozentig sicher sein, dass wäre doch den beiden gegenüber sonst einfach unfair, oder? Du darfst nur auf dein Herz hören, alles andere ist ganz egal, verstanden?“, ermahnte sie mit strengem Tonfall und hob den Zeigefinger. Joey nickte langsam. „Und wenn du so weit bist, kommst du wieder her. Dann überlegen wir, wie du es angehen kannst.“ Sie zwinkerte Joey zu. „Glaub mir, ich habe Tricks drauf, mit denen du sogar Kaibas Herz erweichen könntest.“ Joey atmete durch, legte dann endgültig das Kissen beiseite, und seine Arme stattdessen um Tea. Er umarmte sie so heftig, dass sie keuchte. „Jetzt mach mal halblang, Joey!“ „Danke Tea. Man kann sich einfach keine bessere Freundin als dich wünschen!“ Er sprang vom Bett auf, und ballte die Hände zu Fäusten. „Ich habe eine geniale Idee! Ich gehe in den Stadtpark und suche Weevil. Und wenn ich ihn gefunden habe, verpasse ich ihm die schlimmste Niederlage, die je Einzug in die Geschichtsbücher gefunden hat. Dann ist mein Kopf so richtig frei, und wenn mir dann noch nichts einfällt, werfe ich einfach eine Münze!“ „Du kannst gerne mit Weevil den Boden aufwischen, aber wenn ich herausfinde, dass du eine Münze geworfen hast, bei wem du dein Glück versuchst, schreibe ich Kaiba in deinem Namen den peinlichsten Liebesbrief, den du dir nur vorstellen kannst.“ Joey schluckte schwer. „Das – das war ja nur ein Scherz! Das würde ich nie tun!“ „Gut...“, sagte Tea mit finsterem Blick. „Und jetzt wird es langsam Zeit für dich. Ich muss noch einkaufen, und irgendwann würde ich gerne schlafen.“ Joey trank seinen mittlerweile kalt gewordenen Tee in einem Zug aus, und ging dann in den Flur. Tea begleitete ihn bis zur Wohnungstür. „Also dann. Melde dich, sobald ich dir wieder helfen kann, ja?“ Joey winkte zum Abschied, und ging dann das Treppenhaus hinunter. Tea schloss die Tür. Aus den Augenwinkeln sah sie einen Schatten hinter der Garderobe hervorhuschen. Ein leiser Schrei entfuhr ihr, dann erst erkannte sie ihren Mitbewohner. „Yugi! Hast du mich erschreckt!“ „Naja, nicht ganz Yugi.“ Yami trat ins Licht, sodass Tea ihn besser sehen konnte. Er lächelte auf diese schwer zu deutende Art, und Teas Herz machte einen kleinen Satz. Sie spürte, wie ihr Gesicht warm wurde, und räusperte sich. „W-wo ist denn dein Puzzle?“ Sie deutete auf seine Brust, wo das jahrtausendealte Schmuckstück sonst immer hing. „Ich brauchte ein bisschen Privatsphäre“, antwortete der ehemalige Pharao. „Wenn es nicht da ist, kann der jeweils andere uns nicht hören.“ Er machte einen Schritt auf Tea zu. „Ich wollte mit dir reden, allein. Yugi ist einverstanden, keine Sorge.“ Teas Mund klappte vor Erstaunen auf. Sollte das etwa heißen...? Meinte er etwa? Sie knetete ihre Finger und lachte unsicher, gleich darauf ärgerte sie sich darüber. Was für eine blöde Angewohnheit! „Natürlich nur, wenn du Zeit hast“, fügte Yami hinzu. Tea vergaß den geplanten Einkauf, und von ihrer Müdigkeit war nichts mehr zu spüren. „Für dich habe ich doch immer Zeit. Kommst du mit in mein Zimmer?“ Kapitel 2: Das professionelle Therapeut-Patienten-Verhältnis ------------------------------------------------------------ Kapitel 2 - Das professionelle Therapeut-Patienten-Verhältnis Tea war heiß. Sie zog ihre Strickjacke aus, und zuppelte an ihrem Top herum, sodass ihre Oberweite besser zur Geltung kam. „Also, worüber wolltest du denn reden?“ Ihre Stimme rutschte ein wenig nach oben, und sie räusperte sich, damit es nicht zu sehr auffiel. Yami setzte sich auf ihr Bett. Genau genommen hatte er da schon so oft gesessen, dass Tea es nicht mehr hätte zählen können; hier hatten sie sich zusammen Tanzfilme oder Dokumentationen über das alte Ägypten angesehen, und jedes mal, wenn die Stimme im Hintergrund etwas Falsches erzählt hatte, regte Yami sich mehr auf, als es nötig war. Diese Abende hatte Tea immer genossen, manchmal war sie sogar ein Stück näher an ihn herangerückt, als es zwischen Freunden normal war. Aber solange Yugi jede Aktion des Pharaos mitverfolgte, konnte nichts weiter geschehen. Auch heute setzte sie sich zu ihm aufs Bett, nur, dass sie nicht gemeinsam zum Fernseher sahen, sondern Tea ihm direkt in die Augen schaute. „Es geht um Joeys Besuch“, sagte Yami mit ruhiger fester Stimme. Tea riss die Augen auf. „Oh, nein, nein! Das hast du falsch verstanden! Wir sind nur Freunde, mehr ist da nicht, dass weißt du doch! Ich könnte mir nie vorstellen, mit Joey, also...“ Wieder lachte Tea dieses nervöse, unsichere Lachen, dass sie selbst so überhaupt nicht mochte. „Das weiß ich doch. Es ist etwas anderes.“ Yami sah verlegen aus. „Gerade eben bin ich rein zufällig an deiner Zimmertür vorbeigekommen, als ihr euch unterhalten habt. Und da habe ich, obwohl ich versucht habe wegzuhören, einen kurzen Gesprächsfetzen mitbekommen.“ Tea biss sich auf die Unterlippe. So ein Mist! „Und was für ein Gesprächsfetzen war das genau?“ Yami stützte sein Kinn auf seiner Faust ab und blickte nachdenklich Richtung Decke. „Nicht viel. Aber es klang so, als ob Joey sich in Yugi verliebt hätte, aber gleichzeitig auch Gefühle für Kaiba hätte. Worauf hin du ihm geraten hast, dass er sich erst einmal entscheiden solle, und ihm dann helfen willst.“ Tea sah ihn empört an. „Sag mal – wie langsam bist du denn an meiner Tür vorbeigelaufen? Das ist kein Gesprächsfetzen, das ist ja nahezu ein Protokoll! Hast du etwas gelauscht?“ Einen Augenblick lang schien der einstige Pharao die Contenance zu verlieren, und hätte beinahe selbst so unsicher gelacht wie sonst Tea. „Lauschen klingt vielleicht etwas hart. Es geht nur darum, dass, wo er dich schon einmal danach gefragt hat...“ Tea warf ihm einen misstrauischen Blick zu. „Jaa...?“ „Wo er dich schon einmal danach gefragt hat, könntest du ihn ja vielleicht ein wenig unterstützen. Wir beobachten das alle seid Jahren, und Joey und Kaiba...“ Yami lachte. „Die beiden wissen es noch nicht, aber sie sind einfach füreinander bestimmt, findest du nicht? Es wäre doch wirklich schade, wenn Joey sich jetzt in dieser Yugi-Sache verrennt, und seine Chance verpasst.“ Tea schloss die Augen und versuchte, das was Yami gesagt hatte in einen Kontext zu bringen, aber es wollte ihr nicht so richtig gelingen. „Wieso verrennen? Ich finde, Yugi und er wären ein tolles Paar. Sie gehen gemeinsam durch dick und dünn, und das schon seit Jahren. Sie vertrauen und brauchen sich gegenseitig.“ Yami kniff die Augen zusammen, seine Lippen wirkten schmaler als sonst. „Das kannst du so nicht sagen! Das ist doch rein freundschaftlich. Und wenn diese Freundschaft wegen Joeys zeitweisem Irrglauben kaputt gehen würde, würde es Yugi das Herz brechen. Ich mache mir Sorgen um ihn.“ Langsam, wie die Teile eines Puzzles sich zusammensetzten, entstand ein Bild aus dem was Yami sagte, ein Bild, das ihr nicht gefallen wollte. „Er ist nicht fünf Jahre alt, und stärker, als du glaubst. Ich denke, dass Yugi für sich selbst entscheiden kann.“ Yamis Hand ballte sich für einen Augenblick zur Faust, dann öffnete er sie wieder, sichtlich um Ruhe und seine sonstige Erhabenheit über die Dinge bemüht. „Niemand kennt Yugi so gut, wie ich. Niemand steht ihm so nahe. Also gibt es auch keinen, der das so gut einschätzen kann, wie ich.“ Tea verschränkte die Arme. Nein, die Richtung, die dieses Gespräch einschlug wollte ihr ganz und gar nicht gefallen. „Sich einen Körper zu teilen und sich zu kennen sind doch wohl zwei ganz unterschiedliche Dinge“, erwiderte sie trotzig. „Das kannst du wohl kaum beurteilen!“, giftete Yami. „Oh ja, weil es noch nie jemanden gab, der meinen Körper für seine Zwecke benutzt hat, oder was?“, schoss sie zurück. Was war nur los? Vorher hatten sie sich noch nie gestritten. Yami spielte an den Lederriemen an seinem Handgelenk herum und zog einen Flunsch. Von Erhabenheit konnte keine Rede mehr sein. „Das ist etwas ganz anderes.“ Tea blickte an ihm vorbei, und akzeptierte langsam die Schlussfolgerung, die sich unumstößlich in ihr festgesetzt hatte. „Für mich klingt es eher so, als hättest du Angst, dass Joey Erfolg hat, weil du eifersüchtig bist. Warum sonst hast du an der Tür gelauscht?“ Yami spielte weiter an dem Verschluss seines Lederarmbandes herum. Wahrscheinlich überlegte er, ob es sinnvoller war, zu leugnen, oder zu versuchen, Tea ins Boot zu holen, indem er ihr die Wahrheit sagte. Frustriert zog Tea sich eine Strickjacke über und zog den Reißverschluss bis zum Kinn zu. Frieren schien ohnehin keinen Sinn zu ergeben, in dieser Situation. „Darum geht es hier ja eigentlich gar nicht. Yugi und Joey – das ist in jedem Fall eine Katastrophe. Und wenn Joey sich ohnehin mit Kaiba zufrieden geben würde...“ Yami zischte abfällig. „... hat er Yugi überhaupt nicht verdient.“ Er bemühte sich um einen sanfteren Ton. „Er hat dich um Hilfe gebeten und damit hast du die einmalige Chance, zwei Menschen glücklich zu machen. Nämlich Joey und Kaiba. Und deinem Freund Yugi Liebeskummer zu bewahren. Was gibt es da zu überlegen?“ Yami griff nach Teas Hand. In jedem anderen Moment hätte dies ihr Herz vor Freude höher schlagen lassen, jetzt aber fragte sie sich, ob er es nicht vielleicht sogar aus Berechnung tat. „Du kannst manchmal so verdammt egoistisch sein“, sagte sie verletzt. Yamis violette Augen weiteten sich, und er blinzelte unschuldig. „Egoistisch?“ „Und dann lässt du es auch noch so klingen, als meintest du es nur gut mit den anderen. Ich frage mich manchmal, ob du dir selbst glaubst.“ Irgendetwas in ihr wollte ihm wehtun, also setzte sie hinterher: „Als hättest du aus dem Duell gegen Raphael gar nichts gelernt.“ Die Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Sie sah es daran, wie er auf ihre Hand starrte, die noch immer reglos in seiner lag und ihr dann, deutlich kühler, in ihre Augen blickte. „Ist nicht gerade fair, alte Wunden aufzubohren, und mir Eifersucht vorzuwerfen, wobei das doch viel besser auf dich zutrifft.“ „Schon mal darüber nachgedacht, dass es ziemlich krank ist, sich in jemanden zu verlieben, über dessen Körper du ungefragt Kontrolle übernimmst, wann immer dir der Sinn danach steht? Der dir hilflos ausgeliefert ist, egal wie nett du tust? Da gehört schon ziemlich viel Narzissmus zu.“ „Ah, ist aus einer Freundin also doch eine Therapeutin geworden?“ Tea malte mit ihrem Finger kleine Kreise auf die Bettdecke. Ja, dieses Gespräch hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Sie hatte wirklich gehofft, dass sie von ihren Plan, der so sorgfältig vorbereitet war, und noch so viele Opfer verlangen würde, einfach ablassen konnte. Aber letztendlich hatte sie doch Recht gehabt. „Du wirst mir also nicht helfen, ja?“, fragte Yami resigniert. Tea überlegte. Wenn Yami handelte, und irgendetwas Unplanmäßiges geschah, könnte das alles durcheinander bringen. Dann würde sie nicht erfahren, was sie wissen wollte. „Doch“, sagte sie langsam. „Ich werde dir helfen. Wenn du mir vertraust und so lange die Füße still hältst.“ Yami sah sie abschätzend an. „Gut. Ich kann mir nämlich wirklich Verlockenderes vorstellen, als zukünftig Yugi und Joey bei gemeinsamen romantischen Nächten zuzusehen.“ 'Ja', dachte Tea. 'Und das ist natürlich alles, was dahinter steckt. Und nicht, dass du Yugi für dich allein haben willst.' Tea stand vom Bett auf, und öffnete die Zimmertür. „Wenn das dann alles war...“ Sie machte eine auffordernde Geste hinaus. „Ich gehe jetzt einkaufen.“ Yami folgte ihrer Aufforderung, und brachte noch ein steifes „Dankeschön.“ hervor. Tea nahm sich ihre Handtasche, und stürmte hinauf. Draußen atmete sie tief durch. Nach jahrelangem Warten würde es sie nur noch ein wenig Geduld erfordern. Auch wenn es ihr, gerade eben, besonders schwer gefallen war, durfte sie jetzt keinen Fehler machen. Und dann würde endlich alles besser werden. Kapitel 3: Soziopathisch (I) ---------------------------- Die Beutel, in denen die Einkäufe überquollen, schnitten in Teas Finger. Der Weg zu ihrer Wohnung war weit, und natürlich keine Bushaltestelle in der Nähe. Zwar konnte sie vom Supermarkt aus ein paar Kilometer in die richtige Richtung fahren, den Rest würde sie allerdings zu Fuß zurücklegen müssen. Jetzt wartete sie auf eben diesen Bus, der schon eine Viertelstunde Verspätung hatte. Trotzdem, an sich kein Grund zu klagen. Die Wohnung war viel billiger, als alles, was in der Innenstadt oder mit besserer Verkehrsanbindung zu haben war, und damit auch für ein schmales Studentenbudget geeignet. Endlich bog der Bus um die Ecke, und gerade wollte sie erleichtert aufatmen, als sie einen Blick ins Innere erhaschen konnte. „Oh nein...“, stöhnte sie. An der Glasscheibe der Bustür wurden die Gesichter zweier junger Männer plattgedrückt, die keine Chance hatten, einen Schritt zurückzutreten. Die Menschen waren so zusammengequetscht, dass selbst Umdrehen unmöglich war. Der Bus hielt, und die Türen öffneten sich zischend. Die beiden Männer fielen hinaus, und konnten nicht mehr einsteigen. Keine Chance, irgendeinen Platz zu erhaschen, schon gar nicht, wenn die Einkäufe am Ende des Weges nicht als Muß ankommen sollten. Mit hängenden Schultern machte Tea sich auf, zu Fuß bis zum Stadtrand zu kommen. „Schon blöd“, hörte sie neben sich eine bekannte Stimme. „Da wünscht man sich fast, dass man eine Luxuslimousine mit Chauffeur hätte.“ Tea schaute links neben sich, wo ein ausladender schwarzer Bentley in Schrittgeschwindigkeit neben ihr fuhr. Die hintere Fensterscheibe war heruntergelassen. Kaiba blickte auf sein Tablet, und arbeitete daran, als würde er Tea gar nicht bemerken. „War das eine Einladung, oder wolltest du dich nur daran ergötzen, dass ein armes Mädchen ihre schweren Einkäufe durch die ganze Stadt schleppen muss?“ Kaibas Mund verzog sich zu etwas, das wohl ein Lächeln hätte sein können, wenn sich auch irgendetwas in der Region um seine Augen herum getan hätte. „Steig ein“, sagte er ungerührt. Der Bentley hielt, ohne dass er auch nur einen Finger rührte oder ein Wort an den Fahrer richtete. Tea hastete auf die andere Seite des Autos und erkannte, dass Roland hinter dem Steuer saß. Überraschenderweise ließ Seto Kaiba sich dazu herab, ihr die Tür von innen zu öffnen, was Tea wegen der schweren Tüten sonst schwer gefallen wäre. „Danke.“ Sie setzte sich und schloss die Tür hinter sich. Drinnen war die Klimaanlage so kalt eingestellt, dass sie in ihrem kurzen Röckchen fröstelte. „Es überrascht mich, dass du wertvolle Zeit opferst, um mich nach Hause zu bringen.“ „Mich auch. War wahrscheinlich ein Fehler.“ Kaiba steckte das Tablet in eine Seitentasche. „Roland, sie kennen ja den Weg zu Yugi Muto.“ „Jawohl, Herr Kaiba.“ Kaiba drückte auf einen Knopf, der der neben dem Griff in die Autotür eingelassen war, und zwischen die Fahrgäste und Roland schob sich eine blickdichte Wand. „Es ist ja auch ziemlich ungewöhnlich, dass du hier in der Gegend unterwegs bist, fernab von allen großen Geschäftsgebäuden und den Häusern der wichtigen Leute“, griff Tea den Faden auf. „So etwas soll vorkommen.“ Kaiba rang sich dazu durch, in ihre Richtung zu sehen, was Tea noch ungewöhnlicher fand. Es war schwer vorstellbar, dass er gerade nichts Wichtigeres zu tun haben glaubte, als sich auf ein Gespräch mit ihr zu konzentrieren. Ausgerechnet mit ihr, der er bisher kaum mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als einem lästigen Insekt. „Wo du einmal hier bist“, begann Kaiba. „Du studierst doch Psychologie.“ Tea verdrehte die Augen. Wahrscheinlich wäre es besser gewesen, Informatik zu studieren, oder Agrartechnik. Andererseits... Interessant war es allemal, etwas Persönliches von Kaiba zu hören. „Ja, richtig. Warum? Hast du etwas auf dem Herzen, dass du erzählen möchtest?“, fragte sie liebenswürdig. „Auf dem...?“, Kaibas Augenbrauen senkten sich, und seine Augen blitzten so kalt wie ein Polarsturm. „Ich habe so einen neumodischen Firlefanz nicht nötig! Jemanden zu bezahlen, damit er sich das Gejammere anderer Menschen anhört!“ „Du bezahlst ja nichts“, sagte Tea lächelnd. Kaiba rückte ein paar Strähnen seines braunen Haares zurecht, dass sonst immer so perfekt saß, als habe er es per Vertrag in diese Form gezwungen. „Ich mache mir Sorgen um meinen kleinen Bruder.“ Natürlich, was sonst? Der einzige Grund, aus dem Kaiba sich erlaubt hätte, einen anderen Menschen um Hilfe zu bitten. „Was ist mit Mokuba?“, fragte Tea sanft. „Bist du mit der neuen Technologie vertraut, die meine Firma letzten Sommer auf den Markt gebracht hat?“ „Du meinst diese Helme, mit denen die virtuelle Welt der Kaiba Corp auch der breiten Masse zugänglich gemacht werden kann?“ Kaiba nickte. „Ganz genau. Wir haben uns davon entfernt, es nur für Computerspiele zu nutzen, und wollen das Internet zu einem frei begehbaren Erlebnis machen, dass gleichzeitig alle Funktionen beibehält, aber auch zusätzlich unterhält.“ Tea musste an die vielen Seiten im Internet denken, die ihr schon zweidimensional auf einem Bildschirm nicht so recht behagten. „Ist mir bekannt.“ Kaiba presste die Lippen aufeinander. „Mokuba verbringt sehr viel Zeit damit. Auch seine Klassenkameraden sind große Teile des Tages online, aber... auf eine andere Art und Weise. Sie chatten und treffen sich mit ihren Freunden, oder sie spielen und schauen irgendwelche unsinnigen Videos. Mokuba aber ist die meiste Zeit in dem unterwegs, was auch du damals als virtuelle Welt kennengelernt hast, als uns die Big Five in ihrer Gewalt hatten.“ Das Verlorengehen in virtuellen Realitäten war beileibe nichts, was es erst seit der Erfindung von Kaibas Superhelmen gab, und großes Suchpotenzial steckte auch schon immer darin. Nur – das Kaiba so direkt ins Gesicht zu sagen war möglicherweise nicht die klügste Taktik. Aber da Kaiba sich ja ungeheuer gerne selbst reden hörte, war er ohnehin mit seinem Monolog noch nicht am Ende angelangt. 'Wenn er nur häufiger die Klappe halten würde, könnte er eigentlich ziemlich sexy sein', dachte Tea. „Auch das ist natürlich nichts Neues.“ Kaiba strich den Ärmel seines Anzugs glatt, bevor er sich wieder Tea zuwendete. „Es geht eher darum, mit wem er sich dort trifft. Erinnerst du dich noch an Noah?“ So eine Frage konnte wirklich nur Kaiba stellen. Also ob irgendein normaler Mensch den Jungen hätte vergessen können, dessen Geist wohl ewig in der virtuellen Welt gefangen sein würde. „Als ich die Protokolle ausgewertet habe, war es mir Anfangs gar nicht klar. Noah modifiziert mittlerweile seinen Körper, um einen Altersprozess artifiziell nachzubilden, deshalb habe ich ihn beinahe nicht erkannt. Aber es besteht kein Zweifel.“ „Du spionierst deinem kleinen Bruder im Internet hinterher?“, fragte Tea. „Hast du mir nicht zugehört?“, brauste Kaiba auf. „Mokuba trifft sich heimlich mit diesem Spinner, dem schon längst der Stecker gezogen gehört. Ich habe schon versucht, ihm Viren einzuprogrammieren, aber die kleine Göre ist zu gerissen.“ „Die kleine Göre ist genauso alt wie du. Und wäre es nicht Mord, wenn du ihn mithilfe von Viren auslöscht? Er hat eine menschliche Seele“, gab Tea zu bedenken. „Paperlapapp! Mord. Zeig mir den Richter, der mich deswegen verklagen würde, wenn ich ein schadhaftes Computerprogramm mit einem kontrollierten Virus zur Selbstzerstörung bringe, das ist schlimmstenfalls Sachbeschädigung, wenn überhaupt – und letztendlich ist Recht doch immer nur das, von dem nicht in den Gesetzbüchern steht, dass es falsch ist. Und was das Alter angeht – umso schlimmer, wenn er sich mit meinem kleinen Bruder trifft! Das ist ja pädophil!“ Tea verzog das Gesicht. Immerhin war Mokuba selbst mittlerweile 17 und konnte gut allein entscheiden, mit wem er sich traf und mit wem nicht. Schon damals hatte sie das Gefühl gehabt, dass zwischen den beiden in der Zeit, in der Mokuba Noahs Geisel gewesen war, eine Bindung entstanden war, die Kaiba alles andere als Recht sein musste. „Hast du denn schon mal mit Mokuba darüber gesprochen?“, fragte sie. „Gesprochen?“, wiederholte er. „Was soll das bringen? Er wird nur versuchen, es zukünftig vor mir geheim zu halten.“ „Und das würde ihm gelingen?“ Kaiba sah ertappt aus. „Ich lass mich doch nicht von meinem kleinen Bruder austricksen.“ Tea zuckte mit den Schultern. „Dann hast du doch nichts zu verlieren. Frag ihn doch einfach, was die beiden machen. Vielleicht ist alles nur halb so schlimm. Du könntest ihn einfach darauf ansprechen, und ihm sagen, dass du dir Sorgen machst, wenn er sich mit Noah trifft.“ „Ihm sagen, dass ich...“ Es regte sich zwar nicht viel in Kaibas Gesicht, aber Tea kannte ihn nach all den Jahren gut genug, um zu wissen, dass er sich aufregte. Wahrscheinlich gefiel ihm der Gedanke nicht, über seine Gefühle sprechen zu müssen, oder der Gedanke, dass er Gefühle hatte. „Lenk nicht vom Thema ab! Ich war noch nicht fertig. Als Psychologe lernt man doch auch etwas über Konditionierung. Ich hatte mir überlegt, dass, wann immer Mokuba Noah trifft, ich ihm kleine Elektroschocks verpasse. Dann sollte er den Schmerz mit Noah assoziieren, und schnell die Nase voll von diesem Trojaner haben.“ „Mal ganz davon abgesehen, dass es viel einfacher wäre, mit deinem Bruder zu sprechen...“, begann Tea, „... und es unethisch ist, Mokuba Elektroschocks zu verpassen...“ Sie verdrehte die Augen. „Funktioniert bei der Konditionierung die Verstärkung viel besser als die Bestrafung. Also, gib ihm immer dann etwas, das ihm gefällt, wenn er nichts mit Noah gemacht hat, dann wird er häufiger nichts mit Noah unternehmen.“ Tea stöhnte inbrünstig auf. „Allerdings sind Menschen weder Maschinen, noch Laborratten. Mit ihm zu reden wäre viel einf-“ „Danke, danach habe ich nicht gefragt.“ Kapitel 4: Soziopathisch (II) ----------------------------- Tea lehnte sich zurück und sah aus dem Fenster. Warum nur hatte sie so großspurig vor Joey behauptet, sie könne sogar Kaiba erweichen? Das war ungefähr so aufschneiderisch, als hätte sie ihm versprochen, mit ihrer Hilfe das Herz des Fujiyama für sich zu gewinnen, oder eher noch das der Antarktis. Und Yami hatte sie zugesagt, sich bei Kaiba für Joey einzusetzen. „Joey hat neulich nach dir gefragt“, sagte sie vorsichtig. „Wer interessiert sich schon für Straßenköter?“, Kaibas Gesicht glättete sich wieder, und er holte erneut sein Tablet aus aus der Seitentasche. Das könnte ein hartes Stück Arbeit werden. „Er hat sich langsam bis an die Spitze der meisten Duel Monsters Liegen hochgearbeitet. Er stand in jedem Turnier mindestens im Viertelfinale. Was muss eigentlich passieren, damit du ihn respektierst?“ „Ich respektiere schon aus Prinzip niemanden, der nicht besser ist als ich.“ „Und die, die besser sind als du, hasst du.“ Kaiba sah von seinem Tablet auf und wirkte für einen Augenblick irritiert. „Hassen? Wie kommst du darauf?“ Tea schüttelte traurig den Kopf. „Du bist ja regelrecht besessen vom Pharao. Du warst sogar bereit, mit Selbstmord zu drohen, und wie sehr du es genossen hast, ihn danach zu demütigen. Wenn das kein Hass ist, was sonst?“ Ihre Stimme stockte, und ihr Hals fühlte sich leicht geschwollen an. Der Streit mit Yami saß ihr immer noch in den Knochen. Sie war kindisch gewesen. Ja, er hatte Recht gehabt dass sie eifersüchtig gewesen war. Aber weswegen eigentlich? Auf Yugi, der ihr Yami wegnehmen würde? Das war doch einfach lächerlich. Sie würden sich noch nicht einmal berühren können. Wie konnte sie da eifersüchtig sein? Kaibas Blick verharrte auf dem Tablet, aber er schien hindurchzuschauen, anstatt darauf. „Glaubt ihr alle, dass ich ihn hasse?“, murmelte er. Die Limousine hielt an, und Rolands Stimme drang aus einem Lautsprecher. „Fräulein Tea? Wir sind am Ziel.“ Kaiba drückte wieder den Knopf an seiner Tür, und die Sichtschutzwand fuhr herunter. „Roland, ich werde Tea noch dabei helfen, die Einkäufe nach oben zu tragen. Warten sie solange auf mich.“ Tea lachte nervös. „Das ist doch nicht nötig, ich wohne im ersten Sto-“ Kaiba schnitt ihr mit einer Geste das Wort ab, und nahm grimmig ihre Einkaufstüten. Tea stieg aus, und versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Bis eben hatte sie geglaubt, Kaiba habe sie nur mitgenommen, um Tipps für seinen blödsinnigen Konditionierungsplan zu bekommen – dann hätte er sie aber auch gut jetzt oder schon vor fünf Minuten aus dem Auto werfen können. „Das ist wirklich nett von dir“, sagte sie. „Ähm, kann ich dir dann noch etwas anbieten? Einen Tee vielleicht, oder hast du Hunger?“ Kaiba stampfte die Treppe hoch. „Ist Yugi da?“ „Ich denke schon.“ „Dann mach mir einen Kaffee, schwarz, ohne Zucker.“ Tea schloss die Wohnungstür auf, und Kaiba trat hinter ihr in ihren Flur. Hochgewachsen, in tadellos sitzendem und wahrscheinlich sündhaft teurem Anzug, und mit den Plastikbeuteln in der Hand, wirkte er fürchterlich deplaziert in dem kleinen, dunklen Flur. „Tea?“ Yami streckte seinen Kopf aus der Tür. „Es tut mir- Kaiba, was machst du denn hier?“ Seinem Gesichtsausdruck zu folgen fand auch er den Anblick von Kaiba, bepackt mit Plastiktüten in seinem Hausflur, etwas befremdlich. „Ich habe Tea geholfen, die Einkäufe nach oben zu tragen.“ Tea glaubte einen kleinen Flashback zu haben. Als sie noch Tänzerin hatte werden wollen, war einer ihrer Lieblingsfilme Dirty Dancing gewesen. „Ich habe eine Wassermelone getragen“, murmelte sie leise vor sich hin. Der Pharao sah zu ihr hinüber und grinste, denn sie hatten den Film auch schon zusammen gesehen. „Tja, dann will ich euch mal nicht aufhalten. Ihr habt sicher das ein oder andere zu besprechen.“ Er warf Tea einen vielsagenden Blick zu. Trotz Entschuldigung (auch wenn sie nur zwischen Tür und Angel stattgefunden hatte), hoffte er wohl immer noch, dass sie ein gutes Wort für Joey einlegte. „Nein!“, sagte Kaiba hastig. Er drückte Tea die Einkaufsbeutel in die Hand, räusperte sich, und seine Stimme wurde fester. „Yugi, ich fordere dich zu einem Duell heraus!“ Sein Zeigefinger schwebte vor Yamis Brust. Der seufzte. „Kaiba, ich habe jetzt keine Zeit dafür. Yugi und ich müssen ein Referat halten, das wollen wir noch üben. Außerdem hat meine DuelDisc im Moment keinen Saft, ich hatte sie schon ewig nicht mehr an der Steckdose.“ Kaiba kniff die Augen zusammen, und zuerst glaubte Tea, sie müssten sich jetzt wieder einen Vortrag darüber anhören, dass Yami ein Feigling sei, und sich vor der Herausforderung drücken wolle. Aber es kam anders. „Glaubst du, von solchen albernen Ausreden lasse ich mich abhalten? Du lädst jetzt sofort den Akku, und währenddessen kannst du ja deinen Vortrag mit mir als Testpublikum üben.“ Weder Tea, noch der Pharao reagierten, weil der Vorschlag so unkaibahaft war, wie ein gemütliches Wochenende im Schlafanzug auf der Couch. „Wolltest du nicht einen Kaffee machen?“, herrschte Kaiba Tea an. Von der Therapeutin zur Sekretärin degradiert. Tea folgte seinem Befehl, und tatsächlich verschwanden Yami und Kaiba im Zimmer des ersteren. Tea warf die Kaffeemaschine an, und räumte die Einkäufe in den Kühlschrank. Sie hatte keine Lust zu warten, bis der Kaffee durchgelaufen war, und schlurfte in ihr Zimmer. Als sie an Yugis Zimmer vorbeiging hörte sie Yamis Stimme, der über Demokratie in ostasiatischen Staaten dozierte. Die Wände waren wirklich viel zu dünn. Gleich konnte sie schlafen, nur noch ein paar Minuten - auf den Kaffee warten, und ihn den Jungs bringen. Sie war wirklich hundemüde, aber immerhin war alles nach Plan gelaufen. Nun ja, nicht ganz alles, aber das konnte passieren. Wenn der Rest reibungslos weiterlief, konnte sie die Testphase bald beenden und ernst machen. Sie setzte sich an ihren Schreibtisch und klappte den Laptop auf. Der schwarze Bildschirm spiegelte im Sonnenlicht die Gardinen, die im Wind des angekippten Fensters raschelten. Und ein paar Turnschuhe, die darunter hervorschauten. Tea schlug sich die Hand vor den Mund, um nicht zu schreien, und sah genauer hin. Ja, wirklich, da stand jemand. Vorsichtig griff sie nach dem Wälzer von Neurologielexikon, der auf ihrem Schreibtisch lag, und nahm ihn schlagbereit in die Hand. Langsam drehte sie sich auf ihrem Schreibtischstuhl herum und fixierte den Unbekannten hinter der Gardine. Der hatte einen deutlichen Nachteil, denn durch den dunkelvioletten Stoff hindurch konnte er sie nicht sehen. Auf Zehenspitzen schlich sich Tea an, und holte aus. Kapitel 5: Dissoziative Identitätsstörung (I) --------------------------------------------- Das Lexikon sauste auf die Gardine zu, ungefähr auf der Höhe, wo Tea den Kopf des Einbrechers vermutete. Tatsächlich krachte das Buch auf einen harten Widerstand, und ein gedämpfter Schrei erklang. Der Einbrecher wollte hinter der Gardine hervorspringen, verhedderte sich in dem Stoff, und riss ihn von den Halteringen. Das ganze Gardinen-Einbrecher-Knäul fiel über ihren Nachtschrank, und riss die kleine Leselampe zu Boden, die darauf stand. Mit einem Klirren zerbrach die Glühlbirne, und der Unbekannte landete auf dem Boden und jammerte leise vor Schmerz, der wohl nicht ganz unbeträchtlich sein durfte. Tea hielt ihr Lexikon wieder schlagbereit, und riss dem Einbrecher die Gardine vom Kopf. „Bakura!“, rief sie erbost. Der hob entschuldigend die Hände und sah ängstlich zu ihr auf. „Nein! Ich bin's! Ryou.“ Tea ließ das Buch ein Stück sinken und legte misstrauisch den Kopf schief. „Wenn du Ryou wärst, warum zum Teufel versteckst du dich dann hinter meiner Gardine!?“ Ryou rieb sich den schmerzenden Schädel. „Ich wollte mit dir reden. Aber ich dachte, wenn ich an der Tür klingele, und der Pharao mich sieht, schmeißt er mich gleich wieder raus, weil er mir nicht traut. Und Bakura hat gesagt, dass ich einfach durchs Fenster kommen soll. Er hat mir geholfen, es aufzumachen.“ Noch immer ließ Tea das Buch nicht vollständig sinken. „Schön und gut. Aber warum bist du dann eben nicht rausgekommen, als ich reingekommen bin? Du musst dich nicht wundern, dass dir der Pharao nicht vertraut, wenn du bei Leuten durchs Fenster einbrichst!“ Ryous große, braune Augen wurden noch größer. Er sah so hilflos aus, das Tea ihm fast nicht mehr böse sein konnte. „Tja, dass ist mir dann auch eingefallen. Und dann habe ich mich nicht mehr getraut, rauskommen.“ Ein Klopfen ließ die beiden zusammenzucken. „Tea? Alles in Ordnung bei dir?“ Es war Yami. Ryou rollte sich, noch immer im Vorhang eingewickelt, unter Teas Bett. Tea hastete zu ihrer Zimmertür, und öffnete sie einen winzigen spaltbreit, damit er das Chaos im Inneren nicht sehen konnte. „Ja, alles in Ordnung. Ich bin nur gestolpert, und die Lampe ist heruntergefallen.“ Yami zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. „Ich könnte schwören, dass ich Stimmen gehört habe.“ Tea lachte nervös. „Ich habe nur über meine eigene Ungeschicklichkeit geflucht.“ Er nickte langsam. „Na, wenn das so ist. Du sagst bescheid, wenn du Hilfe brauchst?“ Tea nickte, und der Pharao verschwand wieder in seinem Zimmer. Sie schloss ihre Zimmertür, und drehte den Schlüssel im Schloss herum. „Du kannst rauskommen“, flüsterte sie. „Ich stecke fest“, ächzte Ryou. Tea raufte sich die Haare, und kniete sich vors Bett. Sie packte die Gardine, und zog sie mitsamt dem weißhaarigen jungen Mann unter ihrem Bett hervor. Der Stoff knarzte, aber das war nun eh egal. Der Vorhang war ohnehin ruiniert. Mit einiger Mühe schaffte sie es, Ryou zu befreien, der sich heillos verheddert hatte. Der war auch nicht gerade hilfreich, weil er andauernd unkoordinierte Bewegungen machte, die das ganze Unterfangen enorm erschwerten. Endlich hatte sie es geschafft, und Ryou lehnte sich schweratmend an Teas Bett. „Oh man. Tut mir echt leid. Ich habe wohl ein wenig Chaos verursacht. Das war nicht meine beste Idee. Ich hätte vielleicht doch einfach klingeln sollen.“ Das Schlimme war, dass es auch nicht Ryous schlechteste Idee gewesen war. Aber er sah sie so verzeihungsheischend an, dass Tea die Klappe hielt. Er hatte es ja nicht absichtlich getan. „Also. Was ist denn so dringend, dass du meinst hier einbrechen zu müssen?“ Ryou rieb mit einer Hand über seinen schmalen, blassen Oberarm. „Du studierst doch Psychologie, oder?“ Tea schürzte die Lippen. Sie begann, diese Frage zu hassen. „Jaaa...“, sagte sie gedehnt. „Das heißt, wenn ich dich um Rat frage, dann würdest du dich strafbar machen, wenn du jemandem etwas weitererzählst, dass ich dir anvertraut habe.“ Tea knirschte mit den Zähnen. „Wenn du es mir in meiner Funktion als Psychologiestudentin erzählst, ja. Du hast Recht.“ Ryou atmete erleichtert auf. „Gut! Also...“ Sie setzte sich auf ihren Schreibtischstuhl. „Moment mal. Ich bin aber nicht dazu verpflichtet, mir anzuhören, was du sagen willst. Und um ehrlich zu sein habe ich gerade wirklich die Nase voll. Morgen, oder übermorgen, meinetwegen. Aber ich muss jetzt erst einmal schlafen.“ „Bitte, Tea!“, flehte Ryou. „Es ist wichtig!“ Sein Gesichtsausdruck war so verzweifelt, dass sie beinahe nachgegeben hätte. „Wenn es so wichtig ist, kannst du auch zur Campuscouch gehen. Da gibt es fertig ausgebildete Psychologen, die dir zuhören.“ Er schüttelte den Kopf, und seine Haare flogen wild. „Und was soll ich denen sagen? Das ich von einem altägyptischen, rachsüchtigen Geist besessen bin? Wer glaubt mir denn das?“ Tea musste ihm Recht geben. Mit seinen speziellen Problemen war es wirklich schwierig, mit irgendjemanden zu sprechen, dem nicht klar war, dass Ryou keineswegs verrückt war. Sie schloss die vor Müdigkeit brennenden Augen und blinzelte ein paar mal. „Also schön“, sagte sie schicksalsergeben. „Danke, Tea! Du bist die Beste!“ Wie schon der Pharao und Joey setzte Ryou sich auf ihr Bett. Tea schoss, durch den Kopf, dass sie sich besser eine Couch kaufen sollte. Ryous Dankbarkeit und Begeisterung flaute ab. Seine großen, dunklen Augen wurden melancholisch, und er schwieg eine Weile. „Es sieht so aus, als wenn es dir schwerfällt, einen Anfang zu finden“, sagte Tea einfühlsam. Ryou nickte langsam. „Ich glaube, ich werde wahnsinnig. Ich habe das Gefühl, dass ich mit niemandem darüber sprechen kann.“ Tea nickte, und gab ihm noch einen Moment. „Aber du hast ja schon ersten Schritt gemacht, und bist hierhergekommen. Das war bestimmt auch schon schwierig. Also schaffst du jetzt auch noch den letzten Schritt.“ Es dürfte sogar sehr schwierig gewesen sein, die Balkonbrüstung bot nämlich nur wenig Halt. Ryou nickte, und kratzte sichtlich sein letztes bisschen Mut zusammen. „Es geht um Bakura.“ Tea nickte. „Er ist wieder da.“ Ryou zerrte an der Kette um seinen Hals, und zog den Milleniumsring hervor. „Ja“, sagte er leise. „Wo hast du den her?“, fragte sie. „Ich dachte, Yugi würde auf ihn aufpassen.“ Ryou biss sich auf die Lippen, und sah schuldbewusst auf die Bettdecke. „Ich habe ihn geklaut“, er hatte Tränen in den Augen. „Ich kann einfach nicht mehr ohne ihn. Es fühlt sich furchtbar an, wenn ich allein bin. Aber es ist genauso schlimm, wenn Bakura da ist. Es ist ja nicht gerade so, dass er mich gut behandeln würde. Aber wenn er weg ist, habe ich das Gefühl, als ob ein schwarzes Loch mich verschlucken würde. So wie...“ Er stockte, und flüsterte das letzte Wort. „...Liebeskummer.“ Tea wusste, dass es falsch war, aber sie konnte nicht anders, als Mitleid mit Ryou zu haben. „Oh Ryou. Es tut mir so leid.“ „Nein!“, sagte er heftig. „Ich habe das nicht verdient. Das ist einfach krank und falsch. Ich sollte ihn nicht vermissen, wenn er weg ist. Ich sollte ihn überhaupt nie vermissen, ich müsste ihn doch hassen. Bei dem, was er euch angetan hat, und was er mir antut, jeden Tag! Ich höre seine Stimme in meinem Kopf, auch jetzt. Und sie sagt mir, dass ich Recht habe. Dass ich krank bin, wenn ich so für ihn empfinde. Und wenn ich nicht damit aufhören, wird er mir noch viel mehr wehtun.“ Die Tränen, die er bis eben zurückgehalten hatte brachen sich nun ungehemmt Bahn. „Ich- ich- …“ Es folgte nur noch Gestammel, als ob in seinem Hals ein dicker Knoten säße. Tea rückte mit aufs Bett, und nahm ihn in den Arm, auch wenn er sich sträubte. „Ssssst, hey“, sagte sie beruhigend. „Doch, du hast es verdient. Du kannst doch nichts für deine Gefühle. Ich lasse dich ein paar Minuten allein, damit du dich beruhigen kannst, in Ordnung? Dann reden wir weiter. Und wehe, du haust durchs Fenster ab.“ Sie löste ihre Umarmung, und sah ihn warmherzig an. Er nickte vorsichtig, und schluchzte. Tea stand auf, und schloss sorgfältig die Tür hinter sich. Weder Kaiba, noch der Pharao sollten versehentlich über einen in Tränen aufgelösten Ryou stolpern. Sie ging in die Küche, und goss vier Tassen Kaffee ein. Den hatte sie beinahe vergessen. Zwei Tassen ließ sie vorerst in der Küche stehen, die anderen beiden nahm sie in die Hand und ging zu Yugis Zimmer herüber. Wahrscheinlich würde Kaiba ausflippen, dass er so lange hatte warten müssen. Wenn er überhaupt noch da war. Tea drückte die Türklinke mit dem Ellenbogen herunter, und schob sich mit der Hüfte voran in das Zimmer ihres Mitbewohners. „Tut mir leid, ich habe-“ Sie erstarrte. Yami lag auf dem Fußboden. Kaiba kniete halb auf seinem Brustkorb, und nagelte seinen Oberarm mit einer Hand am Boden fest. Ihre Gesichter schwebten nur Zentimeter voneinander entfernt, und wendeten sich langsam Tea zu. Kaiba sah ertappt aus, der Pharao lief knallrot an. „Kaiba wollte mir die Fernbedienung wegnehmen!“ Yami zeigte mit der freien Hand auf die den kleinen, schwarzen Kasten, der eine Handbreit von seinen Fingerspitzen entfernt auf dem Fußboden lag. Tea betrachtete stumm die Szene. „Hast du noch nie etwas von Anklopfen gehört?!“, fuhr Kaiba sie an. Sie konnte nicht antworten, weil die Situation zu absurd war, als dass ihr irgendetwas dazu einfiel. Ja, es war Ende Mai, da konnten die Hormone schon mal verrückt spielen. Tea aber hatte eher das Gefühl, dass die Jungs in ihrer Umgebung vom Rinderwahn befallen waren. „Ich wollte euren Kaffee bringen“, sagte sie mechanisch. „Was glaubst du, wie lange wir auf dich warten? Wir haben schon Kaffee!“ Teas Blick fiel auf zwei Tassen, die auf dem Schreibtisch standen. Direkt neben dem Milleniumspuzzle. Es wurde wirklich Zeit, den Pharao mal wieder an die Kette zu legen, im wahrsten Sinne des Wortes. „Jetzt lass schon endlich los“, zischte Yami Kaiba zu. Der auch tatsächlich von ihm abrückte. „Du kannst gehen!“, sagte Kaiba wütend, und Tea ging ein paar Schritte rückwärts. Die Tür knallte vor ihrer Nase zu. Ein paar Sekunden blieb sie noch unschlüssig vor der Zimmertür stehen, aus der leises Getuschel kam. Yami hatte keine Probleme, sich mit Kaiba über den Boden zu wälzen, und für sie blieb nur ein braves Händetätscheln übrig. Und wie genau stellte der es sich vor, dass sie Kaiba von Joey vorschwärmte, wenn er selbst sich zu dessen größter Konkurrenz aufschwang. Und überhaupt – konnte man so einfach den Körper eines anderen missbrauchen. Ihr Griff um die Henkel der Kaffeetassen wurde fester. Entschlossen drehte sie sich zu ihrer Zimmertür herum, trat ein, und schloss von innen ab. Kapitel 6: Dissoziative Identitätsstörung (II) ---------------------------------------------- Ryou nahm den Kaffee, nippte daran, und stellte ihn auf Teas (nun leeren) Nachttisch ab. „Dankeschön“, er hatte sich etwas gefangen, und die Tränen von den Wangen gewischt. Verlegen sah er zu Boden. „Bitte entschuldige, wegen eben. Das war wirklich total übertrieben. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist.“ Er lachte unsicher, genau das Lachen, das sonst Tea von sich gab. Tea schenkte ihm einen langen Augenaufschlag. „Nein, das macht doch nichts. Ich verstehe, wie es ist, wenn man einsam ist, sogar sehr gut. Vielleicht...“ Sie rückte näher an ihn heran, und stellte die Kaffeetasse auf den Nachttisch, wo auch seine schon stand. „...vielleicht brauchen wir ja auch beide jemanden, damit wir nicht mehr so einsam sind?“, hauchte sie. Ryou schluckte, und starrte sie irritiert an. „Ahm, was genau-“ Tea ließ ihn nicht ausreden. Sie beugte sich zu ihm herüber und legte ihre Lippen auf seine. Sie fühlten sich genauso weich an, wie sie aussahen. Wenn sie schon den Pharao nicht haben konnte – jemand Verletzliches und Einfühlsames wie Ryou würde ihr sicher nicht wehtun. Und hatte sie nicht auch jemanden verdient, der sie liebte und begehrte? War der Kuss anfangs noch zart und vorsichtig gewesen, änderte sich dies von einer Sekunde auf die andere. Ryou packte Tea an der Hüfte und zog sie so eng an sich, wie es nur ging, ihr Herz machte einen kleinen Satz, und schlug dann schneller als vorher. Seine Hand vergrub sich in ihren braunen Haaren und zog daran, so dass sie den Kopf zurückbiegen musste. Tea hatte kaum mehr Kontrolle darüber, was mit ihr geschah. Sie wollte protestieren, und ein scharfer Schmerz schoss durch ihre Unterlippe. Hatte er sie gebissen? Tea schnappte nach Luft und legte ihre Hände gegen seine Schultern, versuchte, ihn von sich zu schieben. „R-ryou, äh...“ Seine Finger umklammerten ihr Handgelenk, und Tea stöhnte vor Schmerz auf. „Nicht Ryou, Schätzchen.“, knurrte er. Teas Herz flirrte noch immer, dieses Mal jedoch vor Angst. Bakura grinste. „Man erntet was man sät. Das wolltest du doch, oder?“ „N-nein“, stotterte Tea. „Lass mich sofort los, oder ich schreie.“ Er lachte leise. „Ja, warum nicht, ich hör das gerne. Und wenn ich mich richtig erinnere, hast du deine Zimmertür von innen abgeschlossen. Also musst du dir keine Sorgen machen, dass wir gestört werden, egal wie laut du wirst.“ Teas fühlte sich wie paralysiert, als ihr klar wurde, dass er Recht hatte. „Was ist denn?“, zischte Bakura. „Ich habe mich nicht verändert. Es sind die gleichen Lippen, die du eben noch küssen wolltest. Oder ging es nur darum, dass Ryou ein Schwächling ist, den du dir zurechtbiegen kannst, wie du willst?“ Obwohl sie geglaubt hatte, dass das nicht möglich sei, wurde ihr Kopf noch heißer als zuvor. „Noch ein eifersüchtiger Geist, der seine zweite Seele für sich allein behalten will?“ Tea zerrte an Bakuras Handgelenk, und dieser entschied sich großmütig, sie frei zu geben. Sie rückte hastig weg, und stand auf, um Abstand zwischen sich und den Grabräuber zu bringen. Der legte den Kopf in den Nacken und streckte sich. „Was heißt denn hier 'noch ein'? Das ist ja hochinteressant.“ Tea biss sich auf die Zunge. Soviel zur Schweigepflicht. „Das heißt nicht – was auch immer du da hineininterpretierst.“ „Ich habe mir fast gedacht, dass es eine gute Idee von Ryou ist, zu dir zu kommen. Jetzt gibst du mir diesen äußerst interessanten Hinweis – und es ist immer gut seine Feinde zu kennen. Dieses Wissen kann man nutzen. Und davor dieser Kuss.“ Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. Tea fiel es schwer, ihm in die Augen zu blicken. Noch eben waren sie sanftmütig und unschuldig gewesen, jetzt voller Verachtung und Rachsucht. „Aber davon hatten wir ja immerhin beide was, nicht wahr, Liebes? Das Angebot steht. Ich erzähle es auch niemandem.“ Für einen Moment – einen ganz kurzen, winzigen Moment, zog Tea es in Erwägung. Dann schüttelte sie den Kopf und schämte sich dafür. Bakura grinste breit, als könne man ihr jeden einzelnen Gedanken von der Stirn ablesen. „Tut mir leid. Wenn du etwas Langfristiges suchst, das ist nichts für mich. Ich frage mich nur, warum du den armen Ryou missbrauchen musst. Wenn du dir einen naiven Vollidioten suchen willst, nimm doch gleich Yugi. Der hechelt dir doch schon lange hinterher.“ Er trat hinter Tea, und drehte sie zu ihrem Spiegel herum. Sein Kinn legte er auf ihre Schulter. Nicht ohne sie festzuhalten, aber Tea merkte, dass er sie nur aufziehen wollte, was ihr Glück war. „Oder hast du Ryou geküsst, weil du dich nach der Gefahr sehnst? Hat ganz schön lange gedauert, bis du dich gewehrt hast.“ Tea verschränkte die Arme, versuchte aber nicht mehr, wegzulaufen. Bakura würde verschwinden, wenn es ihm passte, und dagegen konnte sie nichts ausrichten. Außer, sie wollte es riskieren, von Yami in einem halbdemolierten Zimmer und mit verstubbelten Haaren Arm in Arm mit Bakura erwischt zu werden. „Das ist absolut lächerlich. Wir beide – in 1000 Jahren nicht.“ „Ich bin es gewohnt, in solchen Zeitdimensionen zu rechnen. Allerdings habe ich keine Lust auf irgendwelche Überredungsversuche, da habe ich Wichtigeres zu tun. Der Plan steht an oberster Stelle. Schlimm genug, dass ich die ständigen Gedanken von Ryou ertragen muss, dieser ganze Gefühlsquatsch.“ Er lachte gehässig. Tea fragte sich, was in Ryou gefahren war, dass er sich nach der Nähe von diesem Monster sehnte. Da erschien ihr Yamis Eifersucht gleich deutlich nachvollziehbarer. „Ganz egal, wie lange du schon in deinem Milleniumsring warst. Sogar du hast Gefühle, auch wenn du dir das nicht eingestehen willst. Und du magst Ryou. Sonst hättest du ihn damals nicht auf dem Luftschiff gerettet.“ Sie zwängte sich von ihm vorbei, um einmal mehr Abstand zwischen sich zu bringen. Bakura lachte verächtlich. „Die einzigen Menschen, denen ich Wertschätzung entgegenbringe, sind die, die mir helfen, die restlichen Milleniumsgegenstände zu bekommen. Also fühle dich geehrt. Du gehörst jetzt in diese Kategorie, seit du die Geheimnisse deiner Freunde ausplauderst.“ Tea biss sich auf die Lippen. Sie versuchte sich abzulenken, indem sie die in Fetzen gerissene Gardine ordentlich zusammenlegte. „Dann solltest du dich wohl vielleicht besser mit Marik zusammentun, als mich zu belästigen.“, murmelte sie leise vor sich hin. Bakura war verdächtig still. So, als könnte er ihre genuschelten Worte verstanden haben. Tea drehte sich hastig zu ihm um. Auch er stand reglos da, und sah mit nachdenklich zusammengekniffenen Augen auf den Boden. „Marik... Yugi und der Pharao...“ Tea konnte regelrecht sehen, wie ihm ein Licht aufging. Nicht gut. „Tea...“, grollte Bakura. „Du bist wirklich die Beste.“ Mit wenigen Schritten ging er zum Fenster und riss es auf. Seine Haare und sein Hemd wehten im leichten Frühlingswind. Der Milleniumsring klirrte leise. Tea stand steif und ängstlich da, und fragte sich, was genau sie angerichtet hatte. Bakura kehrte noch einmal zurück, ging auf sie zu, und gab ihr einen Kuss. „Und sag bescheid, solltest du es dir anders überlegen.“ Dann schwang er sich aus dem Fenster, und war verschwunden, als Tea ihm nachblicken wollte. „Verdammte Scheiße!“ So viel zum Thema reibungsloser Ablauf. Sie kaute auf ihrem Daumennagel herum, und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Eigentlich müsste sie Yami und Yugi warnen, aber wie genau sollte sie erklären, was gerade passiert war? Außerdem war sie immer noch ziemlich beleidigt wegen der Sache mit Kaiba. Aber deshalb konnte sie ihre Freunde nicht blind in die nächstbeste Gefahr hineinlaufen lassen. Sie schloss die Zimmertür auf und ging rüber zu Yugis Zimmer. Dieses mal dachte sie daran, erst anzuklopfen. Hinter der Tür Rascheln; dann war es der Pharao, der ihr nur einen spaltbreit öffnete. „Wir sind gerade mitten im Duell“, erklärte er. Einen Augenblick lang überlegte Tea, ob sie fragen sollte, was für ein Duell das genau war, ließ es dann aber doch bleiben. „Ich würde euch nicht stören wenn es nicht wichtig wäre“, sagte sie kleinlaut. Jetzt musterte er sie genauer und runzelte beunruhigt die Stirn. „Was ist denn mit deinen Haaren passiert?“ Verdammt, da war ja noch was gewesen. Hastig strich sie sich die Haare glatt, und machte dann eine wegwerfende Handbewegung. „Ich muss mit dir und Yugi sprechen. Es ist für euch beide wichtig.“ „Was dauert denn da so lange?“, schnarrte Kaiba. „Merkst du nicht, dass wir beschäftigt sind?“ Yami schloss die Tür, und öffnete sie wenige Sekunden später wieder. Deutlich schlechter gelaunt und mit Puzzle um den Hals. „Bakura ist bei mir eingebrochen.“ „Warum hast du mich nicht gerufen?“, fragte Yami. Tea verzog das Gesicht. „Ich- ähm... Die Zimmertür war abgeschlossen. Und er – er hat mich – bedroht.“ Yami sah sie zweifelnd an. „Dein Lippenstift ist verschmiert.“ Tea machte ein paar Schritte rückwärts, und ballte dann die Hände zu Fäusten. „Was willst du damit sagen?“ „Ja, genau“, sagte Yami – nein, jetzt war es Yugi, der die Kontrolle über seinen Körper übernommen hatte. „Das ist lächerlich.“ Offensichtlich lauschte er der Stimme des Pharaos, die für Tea nicht zu hören war. „Ich habe noch nie etwas so Schwachsinniges gehört. Warum sollte Tea das tun?“ Wieder schwieg er, und Tea überlegte fieberhaft, wie sie es schaffen konnte, die Stimme des Pharaos in Yugis Kopf zum Verstummen zu bringen. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, Yugi das Puzzle vom Kopf zu reißen, aber das hätte ihre Vertrauenswürdigkeit auch nicht unbedingt in die Höhe schnellen lassen. „Eifersüchtig? Wieso sollte sie eifersüchtig sein?“ Yugi fuhr herum. „Was macht denn Kaiba hier?“ Sein Mund öffnete sich empört. „Und wa- Was ist hier überhaupt los?“ Ohne weiter auf Tea zu achten schloss er die Zimmertür. Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen. Was für ein Tag. Wenn sie nicht bald ein bisschen Ruhe bekam würde ihr Gehirn sicher einen Kurzschluss erleiden. Sie ging in ihr Zimmer zurück. Bakura und Marik – sie hatten bisher reines Glück gehabt, dass diese zwei nicht zusammengearbeitet hatten. Marik hatte seine Handlanger überall und ein anscheinend unbegrenztes Budget – nur war er glücklicherweise nicht in der Lage, einen vernünftigen Plan aufzustellen. Bakura war allein, dafür aber unberechenbar, und auch wenn Tea nicht genau wusste, was er vorhatte, glaubte sie zu spüren, dass hinter seinen Plänen deutlich mehr steckte. Keine gute Kombination. Allerdings - was sollte Bakura schon in der Zeit anstellen, in der sie schlief? Ein paar Stunden, nicht mehr. Da konnte nicht viel passieren. Kraftlos ließ sie sich auf ihr Bett sinken, auf dem heute schon so viele verschiedene Menschen gesessen hatten, und zog sich das Kuriboh-Kissen über das Gesicht, um die Frühlingssonne auszusperren. Nur Sekunden später war sie eingeschlafen. Kapitel 7: Supervision ---------------------- Es war schon dunkel geworden, als sie wieder erwachte. Ein Blick auf den Wecker ließ sie aufstöhnen. Halb neun Uhr am Abend, und jetzt war sie putzmunter. Sie würde wohl eine weitere Nacht durchwachen, und morgen genauso müde sein, wie heute. Auf ihrem Nachttisch standen noch immer zwei fast volle Kaffeetassen, die ihr ins Gedächtnis riefen, was an diesem Tag alles geschehen war. Am liebsten hätte sie sich umgedreht und nichts getan. Dennoch setzte sie sich auf, und ging zu ihrem Laptop herüber. Ganz automatisch ließ sie ihren Blick durchs Zimmer wandern, ob sie wieder irgendwo Ryous Schuhspitzen entdeckte, aber sie schien allein zu sein. Der Laptop ächzte und summte laut, als er hochfuhr. Ob Kaiba noch immer hier war? Tea musste sich vorstellen, wie Roland draußen vor der Tür mit der Stirn auf dem Lenkrad eingeschlafen war. Während Windows wiedereinmal widersinnige Updates installierte, stellte sich Tea vor Yugis Zimmertür. Nicht, dass sie lauschen wollte. Aber zufällig bekam sie doch einen Gesprächsfetzen mit. „Das ist nicht witzig!“, sagte Yugi. „Wolltest du nicht? Du kannst mir alles mögliche erzählen, aber ich weiß nicht, was du wirklich in der Zeit gemacht hast!“ Tea legte ihr Ohr an die Tür. „Wenn Kaiba in Unterhose in meinem Zimmer sitzt, dann vertraue ich dir nicht mehr!“ Yugis Stimme wurde lauter, und Teas Ohren wurden heiß. Schade, dass sie das verpasst hatte. „Was soll das heißen: 'Nicht wonach es aussieht.' Ich weiß, dass es schwer für dich sein muss keinen Körper zu haben, aber das kannst du nicht einfach so mit meinem machen! Nein, ich fand den Anblick nicht sexy, und die einzige Person, die in diesem Zimmer Strippoker spielt, ist Tea, und zwar nur, wenn ich sie dazu überredet habe! Ist das klar!?“ Tea prallte zurück, und schlich so schnell sie konnte in ihr Zimmer zurück. Es gab wohl doch Dinge, die man besser nicht hören wollte. Also setzte sie sich doch wieder an ihren Laptop, und wollte eigentlich den Arbeitsordner öffnen. Die Zeit wurde langsam drängend. Aber ihr war kein Glück beschieden. Kaum saß sie am Schreibtisch, klingelte Skype. Es war Mai. Immerhin, besser als Joey, oder Kaiba, oder Bakura. Oder wer auch immer da noch kommen würde. Sie nahm den Anruf an, ohne ihre Kamera einzuschalten. So konnte sie vielleicht doch noch arbeiten, ohne als unhöflich zu gelten. Mais Bild erschien auf ihrem Bildschirm, allerdings etwas anders als sonst. Ihr Gesicht war mit einer Art weißen Creme bedeckt, und ihre Haare auf Lockenwickler aufgedreht. Sie trug einen Bademantel, und winkte mit einer Flasche Nagellack in der Hand. „Hey Süße! Mach doch mal die Kamera an.“ Die Ausrede, dass sie gerade nicht besonders gut aussah, konnte Tea wohl nicht benutzen. Also schaltete sie doch ihre Kamera an, und schob ihren Arbeitsplan weiter nach hinten. „Hey, Mai.“, sagte sie niedergeschlagen. „Was ist denn los?“, fragte ihre Freundin, und steckte sich einen Karottenstick zwischen die Lippen. Tea sah sie missmutig an. „Heute war ein... hundsmiserabler Tag. Mehr kann ich leider nicht sagen.“ Mai seufzte theatralisch. „Nun raus mit der Sprache. Es wird nicht besser, wenn man den Kummer immer nur in sich hineinfrisst.“ Sie nahm einen zweiten Karottenstick, dippte ihn in ihr Gesicht, und steckte ihn sich dann in den Mund. „Quarkmaske“, fügte sie erklärend hinzu. „Ich kann es dir nicht erzählen, weil ich nicht fremder Leute Geheimnisse preisgeben kann“, erklärte Tea schicksalsergeben. Es war schwer zu sagen, welche Mine Mai unter dem ganzen Quark genau zog. Tea tippte auf eine Mischung aus mitleidig und neugierig, mir starker Tendenz zu letzterem. „Du kannst es ja einfach erzählen, ohne Namen zu nennen“, sagte sie betont gelangweilt. Tea überlegte, ob es möglich war, von Yugi und dem Pharao zu sprechen, ohne den anderen wissen zu lassen, welche Personen gemeint waren; die Beschreibung, dass es sich um zwei Seelen in einem Körper handelte war essentiell für diverse Problemstellungen, aber nicht gerade alltäglich. „Okay. Ich versuche es allgemein zu halten.“ Sie atmete tief durch, und versucht, weniger angespannt zu erzählen, als sie sich fühlte. „Ich habe mehrere Freunde. Und sie alle sind der Meinung, mit ihren privaten Problemen zu mir kommen zu müssen. Ganz besonders, wenn es um die Liebe geht.“ Mai schlug die Hände zusammen und kam mit dem Gesicht der Kamera ziemlich nahe. „Ja, wirklich? Wer ist verliebt?“ Tea lehnte sich zurück, und verschränkte die Arme. „Äh, das geht mich natürlich nichts an“, sagte Mai, und schraubte den Nagellack auf, den sie schon die ganze Zeit in der Hand hielt. „Aber für mich klingt das nicht unbedingt problematisch, sondern eher schmeichelhaft. Es ist doch schön, wenn man weiß, dass einem die eigenen Freunde bei so einem sensiblen Thema vertrauen, oder nicht...?“ Tea dachte nach. Das war schon wahr, das Problem ergab sich eher aus der Gesamtsituation. „Und wer achtet auf mich? Ich verbringe jetzt beinahe mein ganzes Leben lang damit, für meine Freunde dazusein, ihnen zuzuhören, ihnen nach bestem Wissen und Gewissen zu helfen. Aber nie fragt jemand nach mir.“ Ihre Stimme wurde energischer. „Ich bin auch nur ein Mensch. Ich wünsche mir jemanden, der für mich da ist. Einen Menschen dem nichts wichtiger ist, als ich.“ Sie kniff die Augen zusammen, als wären die letzten Worte, die sie sagte, ein schlimmes Eingeständnis. „Ich wünschte, ich hätte einen Freund!“ Mai hörte mit dem Lackieren ihrer Nägel auf, und wedelte mit der linken Hand in der Luft herum. Die Rechte schon automatisch eine weitere Karotte in ihren Mund. „Das möchte doch jedes Mädchen“, sagte sie sanft. „Bei diesen Liebesdingen stört es dich also, dass es dir immer vor Augen führt, dass es nie um dich geht?“ „So hässlich bin ich doch nicht, oder?“, fragte Tea. „Es kann doch nicht sein, dass ich umgeben bin von unzähligen gutaussehenden Männern-“, sie sog scharf die Luft ein, und stieß hervor: „Und dann sind sie alle schwul!“ Mai vergaß, ihre letzte Karotte zu essen. „Schwul? Redest du vom Pharao?“ Tea hob verteidigend die Hände in die Luft. „Ich habe von niemand Speziellem gesprochen!“ „Aber du bist schon an ihm interessiert, oder...?“, neckte Mai. „Die Aussage...“, ergänzte Tea, „...bezog sich auf keine Person im Besonderen, sondern eher auf mehrere.“ „Wow... Habe ich dir erzählt, dass ich Rex Raptor und Weevil Underwood neulich händchenhaltend im Park gesehen habe?“, fragte Mai, und schwieg dann fast eine Minute. Sie lackierte sich alle Finger ihrer rechten Hand, ehe sie weitersprach. „Und du bist sicher, dass du nicht zu schüchtern warst, und dein Interesse deutlich genug gemacht hast?“ Tea dachte daran, wie sie den armen Ryou einfach aus heiterem Himmel geküsst hatte, nur weil sie auf Kaiba eifersüchtig war. Und, wie sie immer näher an den Pharao gerückt war – der ihr Interesse ganz sicher nicht falsch gedeutet hatte. „Ich bin verdammt sicher. Wenn ich noch deutlicher werden würde, könnte ich Nachts nicht mehr ruhig schlafen. Und die einzigen, die Interesse angedeutet haben...“ Mai vergaß erneut ihren Nagellack, und schob sich Karotten in den Mund, wie andere Leute Popcorn. „Ja...?“ „Kommen überhaupt nicht in Frage! Nicht mal als Notlösung!“ Tea dachte wieder an Yugi, der in ihrer Vorstellung kaum die Pubertät erreicht hatte. Dann dachte sie an Bakura, der die Pubertät schon sehr weit hinter sich gebracht hatte, und konnte wieder fühlen, dass sie rot wurde. „Uh...“, sagte Mai süffisant. „Das klingt nicht ganz so nachdrücklich, wie du es dir selbst gern wünschen würdest. Wenn du wirklich sicher wärst, und so klingt es nicht, gäbe es nur eine Lösung.“ Tea sah sie erwartungsvoll an. Mai lachte. „Selbst ans andere Ufer wechseln.“ Sie wedelte mit der rechten Hand, und pustete auf ihre Fingernägel. Selbst unter der Quarkschicht konnte Tea sehen, dass sie die Augenbrauen anhob. „Glaub mir, Kleine. Mit diesem Gedanken bin ich mittlerweile durchaus vertraut.“ Sie atmete geräuschvoll in ihre Mikrofon, und ließ dann die Hand sinken. „Jetzt, wo du das erzählt hast... Darf ich davon ausgehen, dass im Bereich Joey keine Hoffnung besteht?“ Ihre violetten Augen schienen Tea durch die Kamera, durch den Laptopbildschirm, durchdringen zu wollen. Etwas so Persönliches gab sie sonst kaum von sich preis. Tea sah auf die Tastatur. Mai war genau wie sie. Sie war eine Freundin. Und sie hatte es nicht verdient, enttäuscht zu werden. Sie war genauso sensibel und loyal wie Tea selbst. Die lächelte grimmig. „An deiner Stelle würde ich noch ein wenig abwarten, bevor ich zu voreiligen Schlüssen komme. Manchmal...“, sie sah ihrer Freundin über den Bildschirm entschlossen in die Augen. „Erledigen sich die Dinge schneller in unserem Sinne, als wir es uns zu träumen wagen.“ Mai sah überrascht aus, und schien abzuwägen, ob Teas Worte einem Zweckoptimismus, oder einer begründeten Hoffnung geschuldet waren. „Das verwirrt mich jetzt eher. Manche Dinge kann man kaum ändern. Und sexuelle Orientierung gehört dazu.“ Tea schüttelte stur den Kopf. „Letztendlich geht es doch nur um die Seele, oder? Wenn zwei Personen zueinander passen und sich Lieben, ist der Rest dann nicht vollkommen egal?“ Mai sah sie zweifelnd an. „Hey, du hast mir gerade selbst gesagt, ich solle ans andere Ufer wechseln.“ Mai knurpste eine weitere Karotte. „Persönliche Präferenz. Aber ich kann ja nicht von mir auf-“ Anruf beendet. Tea runzelte die Stirn. Der Bildschirm flackerte. Einen Augenblick lang schien sich ein Bild vor die geöffneten Fenster zu schieben, aber es war so schnell wieder verschwunden, wie es gekommen war. Ohne ihr Zutun öffnete sich wieder das Anruferfenster, aber diese mal stand kein Name dabei, und es war auch nicht die eingequarkte Mai, die ihr entgegenblickte, sondern ein Junge im Teenageralter, der ihr wage bekannt vorkam. „Tea?“, rauschte es aus den Lautsprechern. Die Zahnräder hinter Teas Stirn arbeiteten auf Hochtouren. Schließlich war es ein auffälliges Merkmal, dass ihr sie zu einer Schlussfolgerung kommen ließ: türkisfarbene Haare. „Noah?“, fragte sie ungläubig. „Mein Gott, ich hätte dich fast nicht erkannt. Du siehst... älter aus.“ „Ich habe mich umprogrammiert, damit mein Äußeres mit mir mitaltert.“, erklärte er hastig. „Aber darum geht es nicht...“ Tea stöhnte. „Warte- lass mich raten. Du hast herausgefunden, dass ich Psychologie studiere und willst jetzt einen Rat wegen dir und Mokuba haben?“ Noah sah sie einen Augenblick irritiert an. Die Haut an seiner Wange schien zu zerfließen wie Wachs, und sich dann wieder zusammenzusetzen. „Nein, das ist es nicht. Es geht um Kaiba. Also, Seto Kaiba, nicht Mokuba. Wie ich eurem Gespräch entnehmen konnte hat er dir bereits erzählt, dass er versucht, mich mit einem Computervirus zu vernichten, weil es ihm nicht passt, dass ich mich mit seinem kleinen Bruder treffe.“ „Wie du unserem Gespräch entnehmen konntest? Woher weißt du das?“ Noah hob die Hand vor Augen, die ebenfalls zerfloss. Es schien ihn einiges an Anstrengung zu kosten, die Moleküle, oder Daten, oder was-auch-immer, beisammen zu halten. „Erinnerst du dich an die Smartphones, die Kaiba dir, Joey und Yugi geschenkt hat? Ich hoffe, du dachtest nicht, dass er das aus purer Nächstenliebe getan hätte. Die Dinger sind mit dem GPS-System der Kaiba Corp verbunden, so dass er euch jederzeit aufspüren kann. Und eure Gespräche abhören.“ Tea schnappte empört nach Luft. „Die habe ich angezapft. Kaiba versucht zwar, mich von seinen Systemen abzuschotten, aber das hier ist mein Reich. Es war ein leichtes, gleich mehrere Sicherheitslücken-“ Er stöhnte. „Du hast dich für mich eingesetzt. Du musst mir helfen. Er wird mich nicht zerstören können, aber es ist verdammt schmerzhaft.“ Teas Blick schweifte nach draußen. Durch das angekippte Fenster wehte ein leichter Luftzug. Aus ihr unerfindlichen Gründen kam ihr der Gedanke, dass es ein wirklich schöner Abend für einen Spaziergang wäre. „Ich weiß nicht, ob ich da etwas machen kann. Ich könnte mit Yugi reden, und der könnte mit Kaiba sprechen. Auf ihn wird er vielleicht hören.“ „Es ist mir ganz egal, wie, nur bitte hilf mir, und zwar schnell.“ Vor Teas Augen zerfloss Noahs ganz Gestalt. Ein Anblick, der furchterregend hätte sein müssen. Aber ihre Wahrnehmung war eigenartig gedämpft, als fände all das in weiter Ferne statt. So ein schöner Abend für einen Spaziergang. „Ja, dann werde ich mal...“, sagte sie langsam „... mit ihm reden...“ Aber zuerst ein Spaziergang. Der Frühling war wirklich herrlich. Es wäre doch wunderschön, bis zum Hafen zu gehen. Die Lagerhallen dort hatten ihren ganz eigenen Charme. „Geht es dir gut?“, fragte Noah ironischerweise. „Ja“, Tea klappte den Laptop zu, und stand mit steifen Bewegungen auf. Sie sehnte sich so sehr nach den Lagerhallen im Hafen. Entschlossen schlüpfte sie in ihre Schuhe im Flur, und lief hinaus in die Dunkelheit. Kapitel 8: Stockholm-Syndrom ---------------------------- Tea nahm die Welt wie durch einen Schleier wahr. Sie lief durch die dunkelsten Gassen, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, dass dies eventuell gefährlich sein konnte. Sie überquerte Hauptstraßen, ohne nach rechts oder links zu blicken, und hinter ihr hörte sie das Quietschen von Reifen und empörtes Hupen, ohne das Gefühl zu haben, dass es etwas mit ihr zu tun haben könnte. War das überhaupt sie, die ihren Körper näher und immer näher in Richtung des Hafens von Domino bewegte? Leichter Salzgeruch hing in der Luft, und aus einer Kneipe riefen ihr schmierige Typen obszöne Dinge hinterher. Ihr Ziel lag zwischen zwei Lagerhallen. Das Licht der Straßenlaternen drang kaum bis hierher vor, und die Müllcontainer stanken nach verwesendem Fisch und anderen Abfällen. Aus den Schatten lösten sich zwei Gestalten in schwarzen Umhängen. Raritätenjäger. Ein Zittern lief durch Teas Körper. Nein, das war definitiv nicht sie, die ihren Körper steuerte. Mit aller Macht zwang sie sich, innezuhalten. Sie kannte dieses Gefühl. Es erschien alles so leicht, es gab nichts zu entscheiden und keinen Grund, ihre Handlungen in Frage zu stellen – weil Marik diese Entscheidungen traf. Ihr nächster Schritt wurde schwerfälliger. 'Dreh um, und geh. Joey konnte es auch.' Es gibt keinen Grund, dich zu wehren, Tea., schmeichelte eine fremde Stimme in ihrem Kopf. Es gibt keine Gefahr. Lass dich treiben. Tea biss die Zähne zusammen. Kalter Schweiß perlte über ihre Stirn. Man sollte doch meinen, sie sei in den letzten Jahren stärker geworden. „Nein“, brachte sie gepresst hervor. Mariks Handlanger traten auf sie zu. Sie kamen ihr vage bekannt vor, allerdings sahen die auch irgendwie alle gleich aus, in den schwarzen Umhängen, mit den Schnürstiefeln und der Leere im Blick. Sie versuchte, vor ihrem geistigen Auge das Bild aufrecht zu erhalten, sie sei eine Marionette, die an Fäden geführt werde – solange, bis es ihr gelang, die Fäden zu durchschneiden. Mit einem Ruck, riss sie sich los, und wollte fortlaufen, aber einer der Raritätenjäger packte sie am Arm. Tea schrie und trat um sich, aber schon war der zweite neben ihr, und presste ihr ein unangenehm riechendes Tuch auf Mund und Nase. Jetzt verschwamm Teas Sicht endgültig, geronn zu brodelnder Dunkelheit, die sie mit sich in den Abgrund riss. Tea stöhnte. Ihr Kopf raste, als wäre er mit einer Dampflokomotive in voller Fahrt kollidiert, ihr Rücken war von ihrer unbequemen Körperhaltung angespannt, und Fesseln rieben ihre Handgelenke auf. Immerhin saß sie auf einem Stuhl. Sie hatte einen widerwärtigen Geschmack im Mund, und in der Nase noch immer den stechenden Geruch von Chloroform. „Wie geht es dir?“, fragte eine entfernte Stimme. „Was denkst du denn?“, nuschelte Tea. Es kostete sie ziemlich viel Kraft, die Augen zu öffnen. Marik stand direkt vor ihr, und hatte sich zu ihr heruntergebeugt. Seine helllila Augen waren besorgt zusammengekniffen. „Möchtest du etwas trinken?“ Zuerst wollte Tea reflexartig den Kopf schütteln, dann nickte sie aber dennoch. Sie fragte sich, ob sie es mit dem normal-durchgeknallten Marik zu tun hatte, oder mit dem vollkommen-durchgeknallten Psycho. Gegen letzteres sprach die Tatsache, dass sie noch lebte. Für letzteres sprach, dass er sie erst entführte, und dann so tat, als sorge er sich um ihr Wohlbefinden. Dass konnte nur eine ganz besonders perfide Foltermethode sein. „Was soll denn das? Ich dachte wir hätten die Freunde-entführen-und-gegen-Yugi-einsetzen-Phase schon hinter uns“, sagte Tea entnervt. „Darum geht es dieses mal nicht.“ Marik hielt ihr eine Flasche Wasser an die Lippen und kippte vorsichtig. Trotzdem rann etwas davon an Teas Kinn hinab. Sie wischte es sich an ihrer Schulter ab, und Marik setzte sich ihr gegenüber mit überkreuzten Beinen auf einen Stuhl. „Ich habe einige Fragen. Es geht um Mai.“ Wäre Tea nicht an ihren Stuhl gefesselt gewesen, wäre sie vermutlich herunter gerutscht. „Was? Mai? Wieso Mai?“ „Ich stelle hier die Fragen!“ Marik versuchte Autorität auszustrahlen, stand auf und fuchtelte mit seinem Milleniumsstab vor Tea herum. Die war nur wenig beeindruckt. Glücklicherweise schien es sich um den normal-durchgeknallten Marik zu handeln, nicht um den Psycho. „Du bist doch ihre beste Freundin. Redet sie manchmal vom mir?“ „Mai ist nicht gerade der Typ Mensch, der sehr viel über seine Gefühle spricht.“ „Gefühle?“ Marik kniff die schwarzumrandeten Augen zusammen und beugte sich ein Stück zu ihr herunter. „Welche Art von Gefühlen?“ Tea sah ihn entgeistert an. „Als sie das letzte mal von dir gesprochen hat war sie beinahe verrückt vor Angst, ist als Bikerin vor ihren Problemen geflohen, durchs Land gezogen und hat unschuldigen Menschen die Seele entrissen, damit sie nie wieder einen solchen Alptraum wie nach dem Duell gegen dich durchmachen muss. Diese Art von Gefühlen.“ Marik sah nachdenklich aus, als überlege er, ob das eher gut, oder eher schlecht war. „Aber das war ja nicht meine Schuld. Das war ja mein anderes Ich. Und es ist doch gut, wenn sie Menschen die Seele entreißt. Da macht man wertvolle Erfahrungen.“ „Du bist so ein Idiot!“, zeterte Tea. „Statt mich einfach zu fragen wie jeder normale Mensch lotst du mich halbkomatös durch die ganze Stadt, so dass ich mehrmals fast draufgehe, lockst mich in eine dunkle Gasse in einen Hinterhalt deiner Schlägertypen, betäubst mich mit Chloroform, fesselst mich in einer dunklen Lagerhalle, und fragst mich dann sowas? Was willst du überhaupt von Mai?“ Marik sah beleidigt aus. „Ich wüsste nicht, was die Alternative gewesen wäre. Und ist das nicht offensichtlich? Sie ist nicht nur schön und stark, sondern sie weiß auch, wann es nötig ist, zu handeln, selbst wenn es Opfer erfordert. Im Duell gegen mein finsteres Ich habe ich sie in jedem Augenblick für ihre Stärke und Entschlossenheit bewundert. Sie wäre die perfekte Königin an meiner Seite, wenn ich erst Pharao bin.“ Marik lachte schallend. Er lachte und lachte. Tea wartete, bis er fertig war. „Weißt du es nicht, oder willst du es nicht wahrhaben?“ Marik warf seine langen, blonden Haare über die Schulter. „Ich weiß, es wird schwer sie zu gewinnen. Aber das macht es doch nur umso reizvoller.“ „Marik, du bist schwul.“ Marik hielt inne. Dann fuchtelte er ihr wieder mit dem Milleniumsstab vor der Nase herum. „Was redest du da, Mädchen? Wie kommst du denn darauf?“ Tea musterte ihn, angefangen von der verdammt tief auf der Hüfte sitzenden Hose, über das bauchfreie, lavendelfarbene Top, dass seine Muskeln in Szene setzte, weiter aufwärts zum dem auffälligen Goldschmuck an Armen, Hals und Ohren, bis zu den dunkel geschminkten Augen. Er strich sich eine perfekt frisierte Haarsträhne aus dem Gesicht. „Weiß ich auch nicht“, sagte sie mit vor Sarkasmus triefender Stimme. „Meister Marik?“, einer von seinen Handlangern betrat den Lagerraum. Tea erkannte ihn als Odion wieder, der damals die Rolle seines Meisters auf dessen Geheiß hin gespielt hatte, damit Marik die Gruppe infiltrieren konnte. „Ich habe gesagt, ich will nicht gestört werden, Odion!“ Odion räusperte sich. „Meister, gerade ist jemand angekommen, der darauf drängt, sofort mit Ihnen zu sprechen. Er sagt, es sei wichtig.“ Marik verdrehte genervt die Augen. „Wer ist es?“ „Ein gewisser Bakura. Er behauptet, Euch zu kennen“, sagte Odion mit zu Boden gesenktem Blick. „Sag ihm, ich habe zu tun“, fuhr Marik ihn an. Odion verließ den Raum, und sein Umhang raschelte bei jedem Schritt um seine Füße. Tea sah ihm abschätzig hinterher. „Hast du schon einmal darüber nachgedacht, deinen Handlangern zu sagen, dass sie sich unauffälliger kleiden sollten?“ „Auftreten ist alles!“, dozierte Marik. „Man kann seine Feinde schon vor sich erzittern lassen, wenn man nur ein einschüchterndes Outfit wählt.“ Wieder ließ Tea ihren Blick über Mariks fliederfarbenes Top gleiten. „Aha“, sagte sie nüchtern. Hinter Marik wurde die Tür aufgerissen. Bakura stürmte herein, und drehte ihn an den Schultern zu sich. „Marik! Ich habe einen genialen Plan!“ Er warf Tea einen Seitenblick zu, und sagte an sie gewandt: „Du hast einen interessanten Geschmack. Wenn du mir gesagt hättest, dass du auf so etwas stehst...“ „Blödsinn!“, rief Tea, und fühlte schon wieder, wie ihr die Hitze ins Gesicht stieg. Wie schaffte er das nur immer? Marik schnitt ihr mit einem Wink seines Milleniumsstabes das Wort ab und entwand sich Bakuras Griff. „Siehst du nicht, dass ich zu tun habe? Außerdem habe ich schon einen Plan, bisher warst du nicht besonders nützlich. Du hast die Hälfte der Zeit irgendwo im Koma gelegen.“ „Ja“; grollte Bakura, „Und zwar wegen deiner Pläne! Außerdem habe ich mein Leben riskiert, bei dem Versuch, dir die Kontrolle über deinen Körper zurückzugeben, ein bisschen Dankbarkeit wäre also nicht ganz verkehrt.“ „Jaja“, sagte Marik genervt. „Dan-keee-schööön.“ Tea musste lachen. Ein Wunder, dass Yami so erwachsen geworden war; scheinbar war Macht, die man schon im Kindesalter bekam, nicht besonders förderlich für die Charakterbildung. „Was ist denn dein genialer Plan?“, fragte Bakura. „Ganz einfach. Wir bauen diese Lagerhalle in eine Todesfalle um. Da hinten...“ Marik zeigte auf den Eingang. „Werden Kreissägen der Verdammnis alles in Stücke reißen, was sich bewegt. Unter das Fundament kommt ein Haifischbecken, oder Piranhas, ich habe mich noch nicht entschieden. Und an den Wänden Selbstschussanlagen.“ Bakura zog eine Augenbraue in die Höhe und verschränkte die Arme. „Dann...“, fuhr Marik fort. „Lassen wir Flyer drucken, auf denen steht, dass hier ein Duel Monsters Turnier stattfinden wird. Natürlich bekommt nur Yugi so einen Flyer. Er wird nicht widerstehen können! Und wenn er erst einmal hier ist, dann komme ich heraus. Es ist schon viel zu spät für ihn zu fliehen, wegen der Kreissägen, und der Selbstschussanlagen. Dann duellieren wir uns, und der Verlierer fällt ins Haifisch-Piranha-Becken! Und dann werde ich der neue Pharao sein!“ Tea und Bakura schwiegen, während Marik anscheinend auf begeisterte Zustimmung wartete. Tea fragte sich, ob Marik je daran gedacht hatte, sich eine Pistole zuzulegen und den Teil mit dem Kartenspielen einfach wegzulassen, hütete sich aber dieses Mal davor, ihren Gedanken laut auszusprechen. „Es wird alles nach Plan laufen!“, schob Marik nachdrücklich hinterher. „Marik“, sagte Bakura. „Es nützt rein gar nichts, wenn alles nach Plan läuft, wenn der Plan idiotisch ist. Und jetzt, wo du ihn vor Tea erzählt hast, ist er ohnehin hinfällig. Außer du willst sie so lange hierbehalten. Solltest du dich für diese Variante entscheiden, würde ich mich um sie kümmern.“ Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen, und Teas Eingeweide schienen merkwürdige Bewegungen zu machen. „Verdammt, das habe ich ganz vergessen“, sagte Marik, und legte nachdenklich einen Finger an sein Kinn. „Das ist offensichtlich“, sagte Bakura kühl. „Pass auf. Wir bringen Tea ins Nebenzimmer, und ich erkläre dir meinen Plan. Dir wird auffallen, dass er weniger kompliziert ist und bessere Erfolgsaussichten hat. Dann setzen wir ihn in die Tat um. Ich bekomme deinen Milleniumsstab und darf einen Blick auf deinen Rücken werfen, und du nimmst dir die Götterkarten und tust, was auch immer du tun willst.“ „Ein Blick auf meinen Rücken?“, sagte Marik pikiert und begann, Teas Handfesseln zu lösen. „Verdammt, ich bin nicht schwul!“ Bakura lachte. „Ja sicher. Es ging auch eher um das nette kleine Andenken von deiner Familie. Aber wenn du es anders interpretieren willst, ich bin für alles offen. Und du Tea? Willst du auch dabei sein?“ Tea holte mit ihrer freien Hand aus und versuchte, Bakura eine Ohrfeige zu verpassen, aber er war zu weit entfernt. Ungerührt knotete Marik auch das zweite Seil wieder los, und Tea ballte ihre Hände zu Fäusten, bis wieder Blut hindurchfloss. „Ich will nicht mit solchem Geschwätz meine Zeit vergeuden. Ich habe noch andere Pläne, wie wir Yugi zu einem Duell bringen und ihn dann töten könnten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass dein lächerlicher Plan auch nur besser ist als ein einziger von meinen.“ Bakura schnaubte. „Wenn das nächste mal du derjenige bist, der im Krankenhaus landest, meinetwegen.“ „Ich habe nicht dich gefährdet, sondern nur den Menschen, dessen Körper du benutzt.“, verteidigte sich Marik. Tea stand auf, und machte einen vorsichtigen Schritt rückwärts, aber keiner der beiden nahm Notiz von ihr. „Und den brauche ich noch!“, ereiferte sich Bakura. „Wir passen perfekt zusammen! Also, sein Körper und meine Seele, meine ich.“ Tea bewegte sich langsam rückwärts Richtung Hintertür, aber noch immer schenkten ihr die zwei keine Beachtung. Wieder fuchtelte Marik mit seinem Stab herum. „Wenn du damals nicht wie ein Idiot deinen Wirt aus der Schussbahn genommen hättest, hätte der Pharao dich nicht angegriffen und dann wäre es gar nicht nötig, dass wir uns einen neuen Plan ausdenken.“ Bakura keuchte empört. „Der kleine Ryou ist empfindlich! Du bist doch damals wie ein Wahnsinniger mit deinem Dolch auf ihn losgegangen, und alles umsonst!“ Tea öffnete die Hintertür und schlüpfte leise hinaus. Eigentlich müsste man die Tür abschließen und die zwei ein paar Stunden allein lassen, dann hätte sich wahrscheinlich alle Probleme ihrer Freunde bald von selbst in Luft aufgelöst – oder besser gesagt, in zwei riesige Blutlachen. Draußen atmete sie die von Müll und Meersalz geschwängerte Luft ein, als wäre es der Duft der Freiheit. Dann nahm sie die Beine in die Hand, und rannte. Kapitel 9: Selbst- und Fremdgefährdung -------------------------------------- Der Hinweg war ihr deutlich kürzer erschienen, was daran liegen konnte, dass sie sich in einem sehr weit entfernten Teil ihres Unterbewusstseins befunden hatte. Als sie wieder in ihrer Wohnung ankam, war es bereits nach Mitternacht. Aus der Küche hörte sie noch immer Yugis Stimme, der mit sich selbst stritt, vielleicht auch die des Pharaos. „Es ist mir ernst, Yugi. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich das deutlich machen soll. Es ist mir schon schwer genug gefallen, dir das zu sagen, und es ist wirklich verletzend, wenn du so darauf reagierst.“ Tea wollte sich eigentlich an den beiden vorbeischleichen, aber er bemerkte sie trotzdem. „T-tea! Wo kommst du denn auf einmal her?“ Tea schnaubte verärgert. „Während ihr hier mit euch selbst beschäftigt wart, wurde ich von Marik entführt und musste fliehen!“ „Tea!“, rief Yugi ängstlich. Sein Tonfall machte klar, dass er es war, und nicht Yami. „Ist dir was passiert?“ Tea rieb die von den Fesseln schmerzenden Handgelenke. „Ich weiß nicht“, maulte sie. „Aber wenn ihr mir vorhin zugehört hättet, dann wäre das nicht passiert.“ Yami schaltete sich ein. Gott, war dieses häufige Körpergetausche verwirrend! „Hattest du nicht etwas von Bakura erzählt? Als du mit verschmiertem Lippenstift aus dem Zimmer gekommen bist, meine ich.“ Tea entfuhr ein wütender Schrei. Musste er wirklich noch immer darauf herumreiten?! Das war nicht fair. „Ich wollte erzählen, dass Bakura gesagt hat, dass er mit Marik zusammenarbeiten wolle. Und das fand ich wirklich beunruhigend. Und? Tada, die beiden arbeiten zusammen!“ „Ich bin wirklich beeindruckt. Wie hast du denn diese Information aus ihm herausbekommen?“ In der Stimme des Pharaos schwang mehr als nur leise Ironie mit. „Jetzt reicht es aber!“, schaltete Yugi sich ein. „Tea, es tut mir wirklich leid, dass er sich so aufführt, das hast du nicht verdient. Du hast vollkommen recht, und wir müssen sofort etwas unternehmen.“ Als habe das hinterhältige Schicksal nur auf dieses Stichwort gewartet, klingelte es in diesem Moment an der Haustür. „Wir sollten nicht hingehen. Welcher anständige Menschen würde um diese Zeit noch klingeln?“, sagte Tea. Eine Faust traf die Tür. „Macht auf, ich bin's Joey!“ Yugi ging zur Wohnungstür hinüber, und Tea folgte ihm in den Flur. Joey stolperte halb in den Flur und schmiss die Wohnungstür so heftig hinter sich zu, dass er vermutlich die gesamte Nachbarschaft aufweckte. „Verdammt, Joey, was ist los?“, fragte Yugi besorgt. Joey sank auf die Knie. „Ich kann nicht mehr länger warten. Ich muss es dir einfach sagen.“ Tea zuckte zusammen. Oh je, die Entscheidung war schneller gefallen, als sie gehofft hatte. Warum musste Joey nur so verdammt impulsiv sein? Und warum auch hatte sie heute jeder von der Arbeit abhalten müssen? Yugi drückte Joey die Hand auf den Mund, und sagte einschneidend. „Vielleicht will ich das aber überhaupt nicht hören!“ Tea ballte die Hände zu Fäusten, packte ihn an der Kette des Milleniumspuzzels, und zog ihn zurück. „Verschwinde sofort aus Yugis Körper, das ist nicht deine Angelegenheit, Pharao.“ Der gab ein gurgelndes Geräusch von sich, gab dann aber nach. Tea ließ los. Joey räusperte sich, und machte ungerührt weiter. „Yugi, ich liebe dich. Wir kennen uns jetzt so lange, und irgendwie war es mir nie richtig klar, dass es mehr ist als bloße Freundschaft. Ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen. Und ich musste es dir jetzt sagen, weil ich es nicht länger verheimlichen kann.“ Er sah erwartungsvoll zu seinem Freund auf. Nun ja, 'auf' war zu viel gesagt, dadurch, dass er auf die Knie gesunken war, waren die beiden jetzt fast auf einer Höhe. Yugi starrte ihn sprachlos an. „Joey, das, ähm...“ Joey hob abwehrend die Hände über den Kopf. „Ich weiß, das kommt jetzt überraschend. Und du musst auch jetzt nichts dazu sagen.“ Er seufzte. „Ich würde mich aber trotzdem freuen, wenn du es tun würdest.“ Yugi warf Tea einen hilfesuchenden Blick zu, die aber auch nur mit den Schultern zuckte. Es wäre richtig gewesen, sich unauffällig zurückzuziehen, aber sie war einfach zu neugierig. Außerdem konnte Yugi ohnehin nicht allein sein, da kam es auch nicht mehr darauf an, ob sie zusah, wie es ausging, oder nicht. Eigentlich drückte sie Joey innerlich die Daumen. Sie war immer noch sauer auf Yami, der sich in letzter Zeit benahm wie ein Idiot. Sollte der doch mit Kaiba glücklich werden, oder was immer er sich erhoffte. Falls er überhaupt nachgedacht hatte. Yugi atmete schwer aus, und griff nach Joeys Hand. „Es tut mir wirklich leid, Joey. Das geht nicht, mein Herz gehört schon jemand anderem.“ Joey sah aus, als stecke ihm eine Harpune im Zwechfell. Auf seinem Gesicht spiegelte sich pures Entsetzen. Er ließ den Kopf sinken. „Nein!“, sagte Yugi harsch. Sowohl Tea als auch Joey zuckten zusammen. „Jetzt hör mal zu!“, Yugi packte das Milleniumspuzzle mit beiden Händen und hielt es auf Augenhöhe. „Ich habe dir schon mal gesagt, dass das eine bescheuerte Schnapsidee ist! Wie kommst du da plötzlich drauf? Und dann noch diese Sache mit Kaiba!“ Joey blickte alarmiert auf. „Was ist mit Kaiba?“ Yugi reagierte nicht auf ihn, sondern sprach weiter mit seinem Puzzle. „Rein körperlich, ist klar! … Was heißt hier Seelenverwandte, ich bekomme das Gefühl, dass ich dich überhaupt nicht kenne! … Und was soll das überhaupt, wir sind uns noch nicht einmal begegnet, wir sind nur eine Stimme im Kopf des jeweils anderen! … Mir reichts, ich mach jetzt Schluss mit dem Ganzen.“ Yugi wandte sich in Teas Richtung und biss entschlossen die Zähne zusammen. Die verfluchte sich im Stillen dafür, dass sie nicht doch besser gegangen war. Bisher hatte es ihr kein Glück gebracht, in diese ganze Angelegenheit mit verwickelt zu werden. Ihr gefiel es viel besser, nur eine stille Beobachterin zu sein. „Tea, du weißt das sicher schon längst.“ Tea schüttelte wie betäubt den Kopf, nicht, weil sie es nicht wusste, sondern, weil sie es nicht hören wollte. „Als wir noch zusammen in die Schule gingen, habe ich dich immer angehimmelt. Du bist die stärkste Frau, die mir je begegnet ist. Ich bewundere deinen Mut und deine Aufrichtigkeit. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich jemals für jemand anderen so empfinden werde wie für dich.“ Mit etwas Nachdruck, weniger an sie sondern eher an andere gewandt, schob er ein deutlich kräftigeres: „Niemals!“ hinterher. Tea schwirrte der Kopf. Immerhin wusste sie jetzt, wie es Yugi bezüglich Joey ging – sie wollte Yugi nicht verletzen, aber trotzdem konnte sie sich nicht vorstellen, jemals mehr als Freundschaft für ihn zu empfinden. „Ich weiß“, sagte sie tonlos. „Aber für mich bist du nichts anderes, als ein Freund.“ Yugi nickte wie betäubt. In seinen Augen glänzten Tränen. Dann blinzelte er heftig, und ballte seine Hände zu Fäusten. „Aber du kannst es doch versuchen, oder? Wenn wir erst mal zusammen wären, vielleicht würdest du mich dann in einem anderen Licht sehen. Ich kann auch stark sein. Ich bin kein kleiner Junge mehr, auch wenn du das immer in mir siehst.“ Tea schüttelte den Kopf. „Ich weiß das doch alles. Aber es geht nicht. Damit würde ich viel mehr kaputt machen, als wenn du es einfach versuchst zu vergessen. Stell dir vor, Joey würde dich darum bitten. Würdest du das machen?“ Joey hatte sich inzwischen aufgerappelt und stand ein wenig bedröppelt da. Er sah so aus, als würde er nicht viel von dem verstehen, was gerade vor sich ging. Yugi schaffte es nicht mehr, seine Tränen zurückzuhalten. Er schluchzte hemmungslos, und Tea wollte sich abwenden, als er plötzlich das Puzzle abstreifte, und mit entschlossener Geste die Tränen fortwischte. „Da siehst du es! Ich habe doch gesagt, dass Yugi das nicht aushalten würde. Euretwegen ist er jetzt so verwirrt, dass er überhaupt nicht mehr weiß, was er will“, sagte der Pharao. „Schöne Freunde seid ihr! Also werde ich jetzt entscheiden.“ Eine wilde Flamme schien in seinen Augen zu glühen. Seit Jahren hatte Tea ihn nicht mehr mit diesem Gesichtsausdruck gesehen, oder mit derart entschlossener Finsternis in der Stimme sprechen gehört. Das letzte mal, dass das vorgekommen war, hatte er sie aus den Fängen eines zwielichten Wahrsagers befreit, der sie betäuben und ihr an die Wäsche gehen wollte. Es war der Tag gewesen, an dem sie sich in ihn verliebt hatte. Sie zitterte. „Und was hast du entschieden?“ Er fixierte sie. Sein Griff um die Kette des Milleniumspuzzels wurde fester. Er hielt sie genauso, dass das Puzzle ihn nicht berührte – und Yugi nicht eingreifen konnte. „Du sagst, Marik und Bakura vereinigen ihre Kräfte, weil sie mich ins Reich der Schatten schicken wollen? Gut, von mir aus. Ich werde zu Marik gehen, und uns beide ins Reich der Schatten bringen lassen. Dem einzigen Ort, an dem Yugi und ich beide einen Körper haben.“ Joey und Tea blickten ihn sprachlos an. Yami wandte sich ab und wollte gehen. Zeitgleich sprangen Tea und Joey auf, um ihn aufzuhalten. Schwungvoll fuhr er zu ihnen herum, und streckte die Hand aus. Tea blieb wie angewurzelt stehen. Ihr Kopf drohte zu zerspringen. Tausende und abertausende Bilder rasten durch ihren Kopf, manche waren klarer, wie der Anblick der riesigen Schattenkugel, in die Pegasus Yugi und sich selbst gesperrt hatten, oder Joey, der von Ra's Flammen verzehrt wurde und auf den Boden sank, andere waren verschwommen und fern, wie Joey und Yugi, die an einer Ankerkette festgebunden duellierten. Ein Heer von Emotionen schien durch jede Faser ihre Körpers zu marschieren, bis es zu viel wurde, und sie kraftlos zusammensackte. Kapitel 10: Präokkupiert-verstrickte Bindungseinstellung -------------------------------------------------------- Es gab keinen Zentimeter ihres Körpers, der nicht schmerzte. Ihre Hände waren fast taub, als wäre schon länger kein Blut durch sie hindurchgeflossen. Ihr Rücken tat so weh, als habe ihr jemand mehrfach kräftig hineingetreten, und ihr Schädel schien rundherum entzündet zu sein. Was war überhaupt geschehen? Gerade eben hatte sie noch vor dem Fernseher gesessen, ihr Deck sortiert und nebenbei ihre Lieblingsserie geschaut, und nun war Mai – ja, wo eigentlich? Stöhnend öffnete sie die Augen. Es umgab sie Halbdunkel, aber sie konnte ein paar Regale in dem schwachen Mondlicht erkennen, dass durch Oberlichter hereinfiel. Wahrscheinlich eine Lagerhalle, denn die Decke war ein ganzes Stück weit über ihr, und sie konnte die gegenüberliegende Wand nicht sehen. Sie wollte sich bewegen und ihre schmerzenden Arme entlasten, aber die waren links und rechts von ihr gefesselt. Mai keuchte. Diese Körperhaltung... aufrecht stehend und mit ausgestreckten Armen gefesselt... Das kam ihr schrecklich bekannt vor. Ihr Herz raste, und kalter Schweiß trat auf ihre Stirn. Sie wollte schreien, aber außer ersticktem Krächzen wollte nichts aus ihrer Kehle hervordringen. „Mai?“, hörte sie eine Stimme hinter sich. Eine Gestalt in schwarzem Umhang trat in ihr Sichtfeld, die Kapuze weit ins Gesicht gezogen. Mais Augen weiteten sich. Der Unbekannte zog die Kapuze vom Gesicht. Es war Marik. Mai schrie wie am Spieß. Sie riss und zerrte an ihrem Fesseln und wünschte nichts anderes, als aus diesem Alptraum zu erwachen. War sie wieder im Reich der Schatten? Allein, nur in Gesellschaft ihres Peinigers und schlimmsten Alptraums? Dieses mal für den Rest ihres Lebens? Marik hob beruhigend die Hände. „Es ist alles in Ordnung, nur keine Sorge. Ich habe dich nur erst einmal gefesselt, damit wir in Ruhe reden können.“ Hinter sich hörte Mai jemanden aufstöhnen. Eine zweite Person trat in ihr Sichtfeld, die ihr bekannt vorkam. War das nicht einer von Yugis Freunden? Dieser Ryou oder doch der Typ, der im Battle City Turnier mit den Schicksalstafeln gespielt hatte? Die zwei sahen sich einfach verdammt ähnlich. „Marik, was muss passieren, damit du einsiehst, dass das dein zweiter schlechter Plan ist?“, fragte Bakura. „Still! Gib ihr doch erst einmal Zeit, sich an alles zu gewöhnen.“, giftete Marik zurück. „Ich verstehe ja“, sagte Bakura. „Das es schwer ist, wenn man sein ganzes Leben in einem verlassenen Grab verbracht hat, Gefühle und Gedanken anderer Menschen zu verstehen. Aber selbst dir sollte klar sein, dass sich kein normaler Mensch an diese Situation gewöhnen kann.“ Mai zitterte. Sie verstand nichts von dem, was da vor sich ging. Wollten die sie töten? Oder jemanden erpressen, der ihr nahestand? Oder machten sie sich einfach nur einen Spaß daraus, sie noch etwas zu verwirren, bevor Marik ihre Seele verbannte? „Bitte, lasst mich runter. Ich tue alles...“, schluchzte sie. „Sag doch nicht so etwas!“, sagte Marik gebieterisch. „Die Königin an meiner Seite muss stark sein. Genau wie du es bist.“ Bakura vergrub das Gesicht in den Händen. „Zeitverschwendung...“, murmelte er. Mai hörte auf zu schluchzen, und sah Marik ängstlich an. „Ich verstehe das nicht. Was wollt ihr von mir?“ „Mai Valentine.“ Marik breitete theatralisch die Hände aus und streckte den Milleniumsstab von sich. Bakura warf ihm einen gierigen Blick zu. „Ich habe dich auserwählt!“, erklärte der Grabwächter. „Was ist ein Pharao, so mächtig und ehrfurchtgebietend er auch sein mag, ohne eine Königin an seiner Seite? Darum habe ich dich hierhergebeten, damit wir von nun an gemeinsam daran arbeiten können, die mächtigsten Herrscher der Welt zu werden!“ Bakura hustete, und wiederholte zynisch: „Hergebeten...“ „Was?“, fragte Mai. In ihrem Kopf wirbelten die Worte, die sie eben von Marik gehört hatte, wild durcheinander, ohne, dass sie ihnen einen Sinn zuordnen konnte. Sie spürte, dass Tränen über ihre Wange liefen, und ihre Arme drohten von schlimmen Muskelkrämpfen heimgesucht zu werden, so angespannt war sie. „Ich habe nichts getan, und ich schwöre, ich werde dir nicht in die Quere kommen. Ich liefere dir auch Yugi aus, oder was immer du willst, aber bitte, bitte tu mir das nicht an!“, flehte sie. Marik sah verlegen aus. „Ähm. Das ist gut. Siehst du, Bakura? Es läuft alles nach Plan. Sie ist bereit, auf meiner Seite zu kämpfen, wie ich es gesagt habe. Und es ist ja auch gut, wenn sie Respekt vor mir hat. Es hat also alles funktioniert.“ Bakura zog einen Stuhl aus den Schatten hervor, und stellte ihn seitlich von Mai und Marik auf, um sich darauf zu setzen. „Wirklich, Marik. Es fehlt nur noch Popcorn. Bitte, unterhalte mich weiter, während ich mir etwas Sinnvolles überlege.“ „Etwas Sinnvolles!“, äffte Marik ihn nach. „So sinnvoll, wie dieser Blödsinn, Yugi zu benutzen, um den Pharao zu beseitigen? Warum sollte das funktionieren? Du glaubst doch nicht, dass der Pharao sich für diesen jämmerlichen Wurm interessiert, mit dem er sich einen Körper teilen muss! Das ist vollkommen absurd.“ „Ist es nicht“, sagte Bakura genervt. „Ich habe es von Tea erfahren, warum sollte sie lügen? Das ist doch vollkommen logisch, wenn man so lange jede Sekunde seines Lebens teilt.“ Marik grinste fies. „Ja, ich kann mir vorstellen, dass ausgerechnet du diese Geschichte sofort geglaubt hast, so wie du an deinem Wirt hängst. Man könnte ja fast meinen...“ Bakura fletschte die Zähne. „Bist du eifersüchtig, oder was?“ Marik zog die äußere Hülle vom Milleniumsstab, so dass die scharfe, goldene Klinge darunter zum Vorschein kam. Mai kreischte. „Stoooooop! Haltet die Klappe!“ Ihr Blick klebte an einem Schatten, der dunkler war als das Halbdunkel der Lagerhalle. Langsam schritt er auf die kleine Gruppe zu. Marik und Bakura sahen zuerst zu ihr auf, und folgten dann ihrem Blick, bis der Unbekannte schließlich in das Licht der über ihnen schwebenden Lampe trat. „Yugi...“, flüsterte Mai. Wieder rollten ihr Tränen über das Gesicht. „Gott sei Dank bist du gekommen. Du musst...“ Er ließ sie nicht ausreden. „Marik. Tea hat mir erzählt, was du planst.“ Bakura schlug sich mit der Hand gegen die Stirn und es sah aus, als wolle der Grabräuber dem Grabwächter augenblicklich an die Gurgel gehen. „Großartig!“ Mai blinzelte irritiert. Warum trug Yugi sein Milleniumspuzzle in der Hand, statt um den Hals? Normalerweise würde er es doch nie abnehmen? „Du musst mir helfen, bitte...“, jammerte sie, obwohl sie wusste, wie würdelos sie klingen musste. Yugi kniff die Augen zusammen, und sah finster zu ihr auf. So konnte Yugi gar nicht gucken. Es musste dieser andere Yugi sein, der in der Doma immer der namenlose Pharao genannt wurde. Aber letztendlich war es vollkommen egal. Beide hatten ihr schon aus der Patsche geholfen. „Mai, halt bitte die Klappe. Es geht hier einmal nicht um dich, oder um irgendjemand anderen, den ich wieder einmal retten soll oder muss“, sagte der Pharao. Mais Augen weiteten sich verblüffte. „Es geht jetzt einmal um mich!“ Wieder wandte er sich Marik zu. „Du musst dir keine Umstände machen. Ich bin hierhergekommen, um mich mit dir zu duellieren. Ein Spiel der Schatten. Der Verlierer wird nicht aus dem Reich der Schatten zurückkehren, und auch keine andere Seele, die in seinem Körper wohnt.“ Er hielt das Milleniumspuzzle in die Höhe. Marik sah unsicher aus. „Moment – das heißt, du setzt nicht nur deine, sondern auch die Seele deines Partners aufs Spiel, obwohl ich dich weder in eine Falle gelockt, noch dich erpresst habe? Willst du mir eine Falle stellen?“ Er wandte sich an Bakura und zischte: „Soviel zu deiner Theorie.“ „Marik...“, murmelte der Pharao leise. „Du wirst dieses Spiel gewinnen. Das Reich der Schatten erscheint mir im Moment wie der beste Ort, an dem wir sein können – Yugi und ich.“ Bakura setzte dazu an, etwas zu sagen, dass ganz sicher nicht allzu freundlich gewesen wäre. Dann jedoch veränderte sich sein Gesichtsausdruck, als würde ihn irgendetwas furchtbar anstrengen. Mai wusste nicht mehr, was sie sagen oder an wen sie sich wenden sollte. Sie hing hier, von zwei Verrückten gekidnapped und gefesselt, aber es schien niemanden zu interessieren. Sie musste tatsächlich im Reich der Schatten sein, denn sie wurde genauso ignoriert wie damals von ihren Freunden. Letztendlich blieb sie eben doch immer allein. „Wartet!“, eine Stimme erschallte aus der Nähe des Eingangs, die Mai mehr als bekannt vorkam. „Tea?“ Kapitel 11: Gruppentherapie --------------------------- Tea keuchte. Gott sei Dank hatte Joey, der nun einige Schritte hinter ihr her wankte, genügend Geld für ein Taxi gehabt. Anders hätten sie es wohl nie rechtzeitig geschafft, bevor der Pharao seinen Plan in die Tat umsetzen konnte. Ihr Zustand war noch immer miserabel; der Kopf dröhnte und nicht alle ihre Erinnerungen schienen an dem Ort in ihrem Schädel zu sein, an den sie gehörten. Die ganze Situation, die sie jetzt vor sich sah, ergab erst nach und nach ein mehr oder minder schlüssiges Bild. Marik, der unsicher zwischen dem Pharao und Bakura hin und her schaute; Bakura wiederum, der sich die Hand vor das Gesicht geschlagen hatte, als schmerzte sein Schädel genau so schlimm wie ihrer. Mai, aufrecht gefesselt auf einem kleinen Podest. Yami, noch immer mit dem Puzzle in der Hand, um Yugi aus der Situation herauszuhalten. Er gönnte ihr nur einen kurzen Blick und hob dann die zweite Hand, an der die DuelDisc befestigt war. „Ich meine es ernst, Marik. Ich fordere dich heraus!“ Endlich waren Tea und Joey bei der Gruppe angekommen, aber sie wagte sich nicht näher heran. Wer wusste schon, zu welchen Mitteln der Pharao beim nächsten mal greifen würde? Joey hatte anscheinend weniger Bedenken. Er kratzte seine letzten Kraftreserven zusammen, holte aus, und schleuderte Yami seine Faust ins Gesicht. „Du hast wohl ne Vollmeise, Alter!“ Das Milleniumspuzzle flog dem Pharao aus der Hand und glitt über den Boden in Bakuras Richtung. Teas Herz setzte einen Moment aus. Jetzt riss auch sie sich zusammen, und wollte vor dem Grabräuber da sein. Aber entgegen ihrer Vermutungen machte der überhaupt keine Anstalten, danach zu greifen, sondern stand mit grimmiger Entschlossenheit auf. Jetzt, wo sie ihn genauer ansah, war sie sicher, dass es gar nicht Bakura war. Hatte Ryou es etwa aus eigener Kraft geschafft, die Kontrolle über seinen Körper zurückzugewinnen? Zwischen dem Pharao und Joey hatte sich mittlerweile eine richtige Schlägerei entwickelt, in die niemand eingreifen wollte. „Der Pharao hat Recht!“, sagte Ryou. „Marik, los. Schick mich und Bakura ins Reich der Schatten.“ Joey hörte auf, Yami mit seinen Fäusten zu traktieren, und sah sich erstaunt um. Sogar Mai schien aus ihrer depressiven Starre zu erwachen. Marik hob hilflos die Hände. „Seid ihr jetzt alle vollkommen irre? Seit wann reißen sich denn alle darum, ins Reich der Schatten verbannt zu werden? Und warum sollte ich Bakura dahin schicken?“ „Weil er dir auf die Nerven geht!“, konterte Ryou. „Gib's doch zu, du willst ihn loswerden, weil er dich die ganze Zeit kritisiert und nicht respektiert. Und statt dich einfach in Ruhe zu lassen, taucht er ständig hier auf und macht auch noch irgendwelche Bemerkungen, die dir nicht in den Kram passen.“ Ryous Stimme wurde verführerisch. „Na los, du willst uns doch los werden, oder?“ Marik sah unsicher aus und zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Wir könnten zusammen etwas erreichen, den Pharao beseitigen, und so weiter.“ „Da gibt es nichts mehr zu beseitigen!“, warf Ryou ein. „Er steht ja hier und ist schon so gut wie erledigt. Also, worauf wartest du?“ Tea war sich ziemlich sicher, dass ausnahmslos alle Anwesenden im Raum Ryous Meinung waren, außer vielleicht ihr selbst; sie war nicht so sicher, ob ihr der Gedanke gefiel, dass Ryou und Bakura für immer im Reich der Schatten verschwinden würden. Sie wagte sich nicht so Recht, diesen Gedanken vor sich selbst in Worte zu fassen, oder den Grund dafür herauzufinden. Alle Blicke waren jetzt auf Marik gerichtet, auf dessen bronzefarbener Haut man einen leichten Rotschimmer erahnen konnte. „Aber... Bakura...“ Er schluckte. „Streiten kann ja auch ganz unterhaltsam sein.“ „Das ist nicht dein Ernst, oder?“, keifte Ryou. „Warum hast du Mai hier angeschleppt, wenn du so darüber denkst?“ Marik schnappte empört nach Luft. „So habe ich das gar nicht gemeint! Ich meine, rein... freundschaftlich.“ Es fiel ihm ungeheuer schwer, das Wort über die Lippen zu bringen, und Tea hätte eine Menge darum gegeben, zu hören, was Bakura dazu zu sagen hatte. Marik biss die Zähne zusammen. „Kümmern wir uns erst mal um die wichtigen Themen. Pharao, das wird das einzige Mal sein, dass ich dir einen Wunsch erfülle, und dass sogar mit Freuden!“ „Kann mich jetzt vielleicht mal jemand losbinden?“, fragte Mai, aber niemand schenkte ihr Beachtung. Tea schlich sich zum Milleniumspuzzle hinüber, um es in Sicherheit zu bringen. „Was ist hier los?“, ertönte eine herrische Stimme aus dem Hintergrund. Mit schnellen Schritten kam Kaiba auf die Gruppe zu, hinter ihm stolperte Mokuba her, der einen silbernen Metallkoffer im Schlepptau hatte. Bis auf die Körpergröße schien er sich in den letzten Jahren nicht verändert zu haben. „Was machst du denn hier?“, fragte Mai. „Ich habe mich gefragt, was der ganze Kindergarten in einer abgelegenen Lagerhalle tut, und... deshalb.“ Tea könnte schwören, dass er sich Sorgen um den Pharao gemacht hatte, und nur deshalb gekommen war. Was er natürlich nicht zugeben konnte. „Woher wusstest du wo wir sind? Wir kommen sehr gut zurecht!“, fauchte Joey, der noch immer mit erhobener Faust auf Yami kniete. „Kaiba belauscht uns schon seit Ewigkeiten über die Smartphones, die er uns mal geschenkt hat. Damit kann er uns auch jederzeit orten“, erklärte Tea. Kaiba starrte das Joey-Yami-Duo entgeistert an. „Hey!“ mit wenigen Schritten war er bei Joey und packte ihn am Kragen. „Was glaubst du eigentlich, was du da tust, Straßenköter?“ „Was geht es denn dich an?“, knurrte Joey zurück und hob erneut die Faust, um zuzuschlagen. „Jetzt beruhigt euch mal beide!“, sagte Tea. „Wir können das doch wie vernünftige Menschen klären, ich bin mir sicher, dass das ein Missverständnis ist. Kaiba, lass Joey in Ruhe. Er hat den Pharao nur verprügelt, weil er im Begriff war, eine riesige Dummheit zu tun, das war auch in deinem Sinne!“ „Ach ja?“, sagte Kaiba. „Und was für eine Dummheit genau wäre das, die so ein Verhalten rechtfertigen würde?“ Tea seufzte. „Er wollte sich ins Reich de-“ Sie stockte. Kaiba würde ihr kaum zuhören, wenn sie von Reich der Schatten anfing. „Er wollte sich und Yugi von Marik umbringen lassen, damit sie vereint sein könnten.“ Kaiba sah sie irritiert an. „Was heißt da ihn und Yugi? Glaubt ihr immer noch an diesen antiken Seelen-Mist? Außerdem: Warum sollte er denn mit jemand anderem vereint sein wollen?“ Zum ersten mal, seit sie Kaiba kannte, klang ein zarter Hauch Verletzlichkeit aus Kaibas Stimme heraus. Yami meldete sich zu Wort. Er räusperte sich. „Kaiba, ich hoffe, du hast das nicht falsch verstanden. Diese, ähm, Sache, das war doch nur... Spaß?“, sagte er vorsichtig, um Kaiba nicht in Verlegenheit zu bringen. Kaiba starrte ihn an, als hätte er ihm einen kräftigen Schlag in den Magen verpasst. „Moment mal, was für eine Sache?“, fragte Joey. Die beiden sagte nichts, und Tea fühlte sich genötigt, ihn aufzuklären. „Es könnte sein, dass da eine kleine Sache zwischen dem Pharao und Kaiba lief, die...“ „Halt die Klappe, das geht niemanden was an!“, schnappte Kaiba, und, ja, tatsächlich, er lief rot an. „Seto...“, sagte Mokuba entgeistert. „Was?“ Joey schüttelte nun wiederum Kaiba am Kragen, der keine Anstalten machte, sich zu wehren. „Das kannst du doch nicht machen! Und du!“ Er ließ Kaiba los und wandte sich drohend zum Pharao um. „Das ist nicht dein Körper! Er gehört Yugi, glaub mir, dafür wirst du büßen, dagegen kommt dir das Schattenreich wirklich wie Wolkenwunderwonneland vor!“ „Stehst du etwa auf Yugi?“, fragte Mai unglücklich. „Hat damit irgendjemand ein Problem?“, rief Joey unbeherrscht. „Ich glaube, ich verstehe gar nichts mehr...“, sagte Mokuba und sah unsicher zwischen allen hin und her. Sein Blick blieb an Tea hängen. Die seufzte. „Also, Joey will was von Yugi, und hat ihm das auch gesagt“, erklärte sie. „Aber der hat gesagt, dass das für ihn nicht in Frage kommt, weil er in mich verliebt ist. Aber außerdem hat Joey auch noch ein Interesse an Kaib-“ Joey schrie auf. „Halt die Klappe, das war nicht ernst gemeint, wirklich!“ Kaiba lachte höhnisch. „Also ob du je an mich heranreichen würdest! Glaubst du ernsthaft, ich würde mich zu dir hinablassen.“ Tea sah ihn kalt an. „So ein Sadist, wie du sein kannst, definitiv! Und jetzt Ruhe, ich versuche hier ein bisschen Ordnung hereinzubringen! Vielleicht können wir das ja irgendwie zur Zufriedenheit aller aufklären.“ Tatsächlich wurde es still. „Kaiba wiederum steht auf den Pharao, der auch nicht abgeneigt war, allerdings war das wohl eher oberflächlich. Eigentlich liebt er nämlich Yugi. Aber weil sie sich einen Körper teilen, glaubt er, dass sie beide sich ins Reich der Schatten verbannen lassen sollten, wo sie zusammen sein können.“ Kaiba schnaubte, aber Tea fuhr unbeirrt fort. „Ryou findet die Idee klasse, und will das Gleiche für sich und Bakura, die ja auch einen Körper haben. Marik will das aber nicht machen. Er dachte zwar, er steht auf Mai, aber wie sich herausgestellt hat, hängt er doch sehr an Bakura.“ Marik fuhr dazwischen. „Hey, ich bin nicht-“ „Klappe!“, rief die halbe Runde im Chor. „Und was will dann dieser Bakura?“, fragte Mai. Tea seufzte. „Ich glaube, Bakura nimmt alles, was ihm in die Klauen gerät, egal ob Männchen oder Weibchen, solange derjenige nicht erwartet, dass es mit Gefühlen zu tun hat.“ „Wir könnten ja einfach mal bei Mai anfangen“, schlug Joey vor. „Mai, was hältst du denn von Marik?“, fragte er unbedacht. Die funkelte ihn finster an. „Machst du Witze, du verdammter Idiot? Was soll ich denn noch machen damit du es endlich kapierst?“ Joey sah sie verwirrt an und wollte etwas erwidern, aber Tea erhob ihre Stimme. „Gibt es hier irgendjemanden in der Runde, der sich hier jetzt glücklich, mit beiderseitigem Einverständnis, mit einem anderen zusammenfinden kann, rausgehen und ein Eis essen oder wie auch immer ihr euch ein Date vorstellt?“ Stille. Dann sagte Ryou schüchtern: „Was ist eigentlich mit dir?“ Er lief zartrosa an, wahrscheinlich erinnerte er sich an den Kuss, den sie ihm gegeben hatte. „Das steht hier nicht zu Debatte!“, sagte sie heftig. Eine Stimme dröhnte durch die Lagerhalle. „Du hast jemanden vergessen!“ Alle blickten verwirrt nach oben, zu den Lautsprechern, aus denen die Stimme kam. Dann klingelte das Handy von jedem von ihnen zur gleichen Zeit los. Tea sah auf das Display, von wo aus ihr Noah finster entgegenstarrte. „Mokuba und ich könnten sehr glücklich sein, wenn du uns nicht dazwischenfunken würdest, Kaiba! Wenn du nicht sofort aufhörst...“ „Niemals!“, rief Kaiba. „Du hast die Finger von meinem kleinen Bruder zu lassen!“ Mokuba zupfte an Kaibas Anzugjacke. „Ich bin alt genug, um das selbst zu entscheiden, großer Bruder.“ „Offensichtlich ja nicht! Sonst würdest du nicht solche Dummheiten machen!“ Das Licht flackerte. Aus der Ferne hörten sie eine Feuerwehrsirene. „Ich habe dich gewarnt, Kaiba...“ Noahs Gesicht auf den Displays erlosch. Die Sirenen wurden lauter, und vermischten sich mit Schreien in der Ferne. Einen Augenblick lang waren alle wie erstarrt. Dann stürmte Joey wie aus heiterem Himmel auf den Pharao zu. „Warnen ist ein gutes Stichwort!“ Wieder schlug er auf ihn ein, aber dieses mal war er nicht nur vorbereitet, auch Kaiba griff ein. Marik sah seine Chance gekommen, kniff die Augen zusammen, und hob den Milleniumsstab, aber noch bevor er etwas tun konnte, war ihm Ryou auf den Rücken gesprungen und würgte ihn. Tea und Mokuba standen unschlüssig herum, während um sie das vollkommene Chaos ausbrach. Mittlerweile zog Marik Kaiba an den Haaren und Joey schrie Ryou an, während Yami versucht, Marik und Kaiba voneinander loszueisen. Mokuba ging zu Mai herüber, und band sie los, was sie ihm mit einer etwas zu festen Umarmung dankte. Tea schaute sich um und lauschte dem Kampfgetümmel und den Schreien aus der Ferne. Was, um Himmelswillen, hatte sie nur angerichtet? Sie brauchte sich gar nicht einreden, dass es nicht ihre Schuld war, und selbst die inbrünstigste aller Freundschaftsreden würde nichts mehr ausrichten können, um die Wogen zu glätten. Es wurde Zeit, dass sie zu ihrer Verantwortung stand, und wieder gut machte, was sie getan hatte, bevor Noah die Apokalypse über die Stadt brachte und ihre Freunde sich gegenseitig zerfleischt hatten. Hastig drehte sie sich um und eilte aus der Lagerhalle, vorbei an Dutzenden ohnmächtigen Raritätenjägern. Über der Stadt lag dicker Qualm wie von Feuern, und Menschen rannten panisch über die Straßen. Wer hätte gedacht, dass Noah dazu in der Lage war? Vor der Lagerhalle stand ein Motorrad, und Tea glaubte zu wissen, dass es Marik gehörte. Sie dankte Duke dafür, dass er ihr beigebracht hatte, so ein Ding zu benutzen, als sie ein paar mal mit ihm ausgegangen war. Sie schwang sich in den Sattel, setzte den Helm auf, der am Lenker gehangen hatte, und fuhr los. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)