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Die Prinzessin aus dem Turm

von

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Hexenzuflucht

In den sieben Jahren im Turm hatte sie sich oft vorgestellt, weit fort zu gehen, viele Meilen zu laufen und Länder zu sehen, die sie nicht kannte, fremde Landschaften, die in ihren Träumen so bunt und fantastisch wie in den Märchenbüchern ihrer Kindheit gewesen waren.

Nun, da sie dies nachholen konnte, stellte sie allerdings fest, dass reisen durchaus anstrengend war. Bereits nach einem Tag brannten ihre Füße, krampften ihre Beine, verlangte ihr Magen danach, sich endlich wieder vollkommen sattessen zu dürfen. Während sie wanderte, blieb ihr nur, die wenigen Pflanzen zu essen, die am Wegesrand wuchsen und von denen sie ganz sicher wusste, dass sie nicht giftig waren.

In einem Dorf angekommen, klopfte sie an die Türen, fand aber nirgends Einlass. Man wimmelte sie ab, wenn man sie vor seinem Haus sah, verscheuchte sie sogar aus Ställen und Gassen, in denen sie lediglich Unterschlupf vor der kühlen Nacht gesucht hatte.

Aber sie verübelte es niemandem, sie konnte schwerlich noch als Prinzessin gelten und ihr Aussehen, trotz notdürftiger Säuberung in einem nahegelegenen Fluss, war sicherlich furchteinflößend und alles andere als vertrauenserweckend.

So verließ sie das Dorf wieder und kam in einen tiefen Wald, in den kaum ein Sonnenstrahl fiel, es war fast genau wie in ihrem Turm und ihr deswegen vertraut und lieb. Im tiefsten Herz des Waldes fand sie ein finsteres Haus vor, dessen windschiefes Dach ihr zu raten schien, sich ihm nicht zu nähern. Doch sie sah Rauch aus dem Schornstein steigen und die Aussicht auf menschliche Gesellschaft ließ sie Furcht und Vorsicht vergessen. So klopfte sie an die Tür und wartete darauf, dass man ihr öffnete.

Es dauerte nicht lang, bis geöffnet wurde und eine Frau mit eisgrauem Haar und grauen Augen herausschaute und freundlich lächelte. „Wen haben wir denn da? Oh, ist das lange her, dass wir einmal einen Gast bei uns hatten. Komm herein.“

Sie bat so freundlich, dass die Prinzessin bedenkenlos eintrat und von wohltuender Wärme empfangen wurde. Es war nur ein kleiner Raum, gerade groß genug für einen eisernen Ofen und einen hölzernen Tisch, aber er war gemütlicher als jener Ort, an dem sie sich in den letzten Jahren aufgehalten hatte. Im Ofen loderte ein Feuer, darauf kochte eine Suppe, die so angenehm duftete, dass ihr Magen wieder zu krampfen begann.

Außer der Frau an der Tür gab es noch eine weitere, die mit jener verwandt sein musste. Ihr Haar war ebenfalls grau, so wie ihre Augen, aber ihre Gesichtszüge wirkten verschlagen, ihre Mundwinkel waren derart tief eingegraben, dass es aussah als wäre sie eine Marionette, deren Spielmann sich außerhalb jedes Blickes befand. Die Prinzessin dachte sich nichts hierbei, außer dass dies vielleicht der Grund sein mochte, weswegen sie im Wald lebten, statt mit den anderen beisammen im Dorf. Doch ihr konnte das im Moment nur recht sein.

Die Prinzessin verneigte sich zum Dank vor ihren Gastgebern.

„Wie lautet dein Name?“, fragte die Mutter.

Wie lange es her war, seit sie sich zuletzt wirklich an ihren Namen erinnert hatte. Doch er kam ihr sofort in den Sinn, als sie daran zu denken versuchte.

Erst in jenem Moment, in dem die Prinzessin zum ersten Mal seit der Rückkehr in Freiheit den Mund öffnete, bemerkte sie selbst, wie heiser und brüchig ihre Stimme klang: „Seline.“

Sie verzichtete auf jeglichen Titel, der ihr ohnehin nicht mehr zustand und keiner ihrer Gastgeber schien es zu bemerken.

„Wie du aussiehst, Kind“, sagte die Mutter betrübt. „Setz dich und iss mit uns, danach wollen wir dir neue Kleidung geben, ehe wir dir ein angenehmes Ruhelager zukommen lassen.“

Überwältigt von so viel Gastfreundschaft, setzte Seline sich an den Tisch, ließ es sich bei Speis und Trank, so bescheiden sie auch sein mochten, gut gehen und aß sich das erste Mal seit sieben Jahren wieder so richtig satt. Nach dem Essen ließ sie sich abgetragene Kleidung der Tochter geben und legte sich im Anschluss schlafen, diesmal ohne von aufregenden Reisen zu träumen.
 

Glanz und Gloria von Königspalästen war er inzwischen gewohnt, das musste er auch sein, so oft wie er sich von Berufs wegen in ihnen aufhielt, wenngleich dies das erste Mal war, dass er sich nicht vor den Wachen in den Schatten ducken musste. Er war in offizieller Mission hier, um den Königssohn zu sprechen, statt ihn auszurauben, wie er es sonst tat.

Er war noch immer überrascht, dass gerade ihn die Brieftaube des Prinzen erreicht hatte, ohne dass sie abgefangen werden musste, sie war wirklich für ihn bestimmt gewesen, weil er zu einem Treffen gebeten worden war. Seine Vorsicht warnte ihn davor, zu leichtgläubig darauf einzugehen, doch seine Neugier hatte am Ende gesiegt und deswegen war er nun hier und folgte dem Diener, der ihn zum Treffpunkt bringen sollte.

Der Raum, in dem der Prinz ihn erwartete, war Teil der Quartiere der Bediensteten und vollkommen schmucklos, fast als fürchtete man, dass der Besucher etwas mit sich nehmen würde. Der Prinz grüßte ihn, indem er seine Brille zurechtrückte und ihn mit seinen dunklen, gelangweilt wirkenden Augen musterte, das schwarze Haar schien ein wenig zu lang und wirr. Es sah aus, als hätte der Prinz zu viele Sorgen, um sich noch um sein Aussehen zu kümmern.

„Warum wolltet Ihr mich sehen, mein Prinz?“, fragte der Besucher spöttelnd.

„Du bist also der Meisterdieb, von dem man im Land hört?“ Zweifelnd klang der Königssohn, er konnte es wohl nicht glauben, wenn er das auffallend grüne Haar seines Gegenübers sah und die abgewetzte Kleidung.

„Mich erstaunt, dass man mich nur als solchen bezeichnet und dabei meine Wohltätigkeit vollkommen unter den Tisch fallen lässt. Immerhin nehme ich von den Reichen und gebe den Armen.“

Der Prinz erwiderte nichts darauf, was dem Dieb ein schräges Lächeln entlockte. „Es wäre mir lieber, wenn Ihr mich mit Russel benennt.“

„Mir ist es gleich“, sagte der Prinz, „solange du wirklich der bist, für den alle dich halten.“

„Sicher bin ich der. Sagt mir nur, was man Euch gestohlen hat und ich werde es Euch wieder zurückholen, bevor Ihr Euch's verseht!“

„Es mag ein wenig unkonventionell erscheinen“, begann der Prinz zögernd. „Kennst du den Turm unseres einstigen Nachbarreiches?“

„Jener, in dem die Prinzessin eingesperrt worden sein soll? Wer kennt den nicht?“

Geschichten hatte er viele davon gehört, über Diebe, die versuchten, hineinzugelangen und gescheitert waren, oftmals nicht, um etwas zu stehlen, sondern nur zu beweisen, dass sie in der Lage gewesen waren. Er selbst hatte nie den Wunsch danach verspürt und es deswegen nie versucht.

„Ich möchte, dass du in ihn einbrichst und die Prinzessin stiehlst.“

Dies war wirklich ein unerwarteter Wunsch. Noch niemals war der Meisterdieb auf den Gedanken gekommen, gar eine Person zu stehlen. Geschmeide, Statuen, Kleidung gar, aber ein Mensch?

„Man erlebt eben immer was Neues“, murmelte er zu sich, ehe er die Stimme für den Prinzen wieder anhob: „Ihr habt Glück, dass ich derartigen Herausforderungen alles andere als abgeneigt bin. Die Unmöglichkeit dieser Aktion reizt mich, also werde ich sie angehen.“

„Es soll auch dein Schaden nicht sein“, versicherte der Prinz ihm rasch. „Ich werde dich reich dafür belohnen, wenn du die Prinzessin unbeschadet zu mir bringst.“

Russel zweifelte nicht im Mindesten, dass er das schaffen könnte, auch wenn der Turm über keinerlei Fenster und Türen verfügte und malte sich stattdessen aus, was er mit all dem, ausnahmsweise ehrlich verdienten, Geld anfangen würde.

„Seid unbesorgt, mein Prinz. Ich werde Euch die Prinzessin bringen, also bereitet lieber schon mal einen Raum für das Edelfräulein vor.“
 

Als sie erwachte, war die wohltuende Wärme fort. Dafür war eine unangenehm drückende Schwüle an ihre Stelle getreten, die es ihr unmöglich machte, weiterzuschlafen. Doch noch ehe sie die Augen aufschlug, hörte sie die aufgebrachte Stimme der Mutter an ihrem Bett: „Aufstehen, faule Gans!“

Von der gutmütigen Gastgeberin war nichts mehr zu sehen, ihre Brauen waren verärgert zusammengezogen, auf ihrer linken Wange war ein blaues Symbol erschienen, das in der Nacht zuvor noch nicht dagewesen war – und ihr sofort verriet, dass es sich bei ihrem Gegenüber um eine Hexe handelte.

Seline erhob sich rasch und tappte mit nackten Füßen auf den hölzernen Boden. Die Kleidung, die sie in der Nacht zuvor bekommen hatte, war zwar ein wenig zu groß, aber im Moment störte es sie nicht weiter, da die plötzliche Bedrohung doch wesentlich... schwerwiegender war.

Hexen, so wusste sie aus ihren Büchern, zerstückelten und aßen arglose Wanderer, die in ihrem Haus zu rasten gedachten. Sie schläferten sie ein und hackten dann die Wehrlosen in mundgerechte Stücke und Seline war überzeugt, nur noch erwacht zu sein, weil sie durch die sieben Jahre im Turm viel zu abgemagert war, um eine gute Mahlzeit zu ergeben.

„Du kommst hierher, weil du keine Heimat mehr hast, nicht wahr? Aber wenn du denkst, dass wir dich einfach ganz umsonst hier leben lassen, hast du dich geschnitten.“

„Das habe ich nie angenommen!“, erwiderte Seline rasch, doch die Hexe fuhr bereits fort: „Du wirst hier fortan arbeiten und alles tun, was meine Tochter und ich dir befehlen. Hast du verstanden?“

Die Prinzessin nickte. „Ich werde tun, was Ihr verlangt.“

Dabei überlegte sie bereits, wie sie entkommen und wohin sie laufen sollte, aber als hätte sie ihre Gedanken aufgefangen, sprach die Hexe mit einem listigen Grinsen: „Solltest du überlegen zu fliehen, so schlage dir das gleich wieder aus dem Kopf. Du hast von unserer Suppe gegessen, der Zauber darin bindet dich an dieses Haus, bis ich dir erlaube zu gehen.“

Sie lachte ein hohles, freudloses Lachen und ging dann davon. Doch kaum war sie im nächsten Raum, rief sie nach Seline, die dem Schrei seufzend folgte.

Eine Prinzessin, die zu einer Magd herabgestuft wurde, dachte sie dabei. So etwas gibt es sonst nur im Märchen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Lianait
2014-01-01T21:42:36+00:00 01.01.2014 22:42
Es ging si fix weiter, dass ich schon alles geschlossen hatte und mich erst mal wieder loseisen musste. xDD
Aber hey, mehr zu lesen! ♥_♥

> Nun, da sie dies nachholen konnte, stellte sie allerdings fest, dass reisen durchaus anstrengend war. Bereits nach einem Tag brannten ihre Füße, krampften ihre Beine, verlangte ihr Magen danach, sich endlich wieder vollkommen sattessen zu dürfen.
Naja, sie war ja auch sieben Jahre eingesperrt und hat sicher kaum Bewegung gehabt. D;

> ihr Aussehen, trotz notdürftiger Säuberung in einem nahegelegenen Fluss, war sicherlich furchteinflößend und alles andere als vertrauenserweckend.
Ich hab mich ja tatsächlich schon gefragt, wie sie wohl aussehen mag, so nach sieben Jahren in dem Turm. :,D

> es war fast genau wie in ihrem Turm und ihr deswegen vertraut und lieb.
Ich finde total cool, dass du den märchenhaften Stil beibehältst! =D

> „Seline.“
Mir wurde eben schon bewusst, dass du ihren Namen bis dato gar nicht verwendet hattest. Was den Märchenstil untermauert. Sehr gut~

> um den Königssohn zu sprechen, statt ihn auszurauben, wie er es sonst tat.
xDDDDDDDDDDDDDDD
Russel! ♥_♥
(Und keine Russen. xP)

> Es sah aus, als hätte der Prinz zu viele Sorgen, um sich noch um sein Aussehen zu kümmern.
Armer Albert~ D;
(Hoffentlich kann ihn Allegra später aufheitern~)

> Immerhin nehme ich von den Reichen und gebe den Armen.
Er ist Robin Hood! xD

> Sagt mir nur, was man Euch gestohlen hat und ich werde es Euch wieder zurückholen, bevor Ihr Euch's verseht!
Und später klaut er ihm selber die Prinzessin. :P

> und ihr sofort verriet, dass es sich bei ihrem Gegenüber um eine Hexe handelte.
[…]
Hexen, so wusste sie aus ihren Büchern, zerstückelten und aßen arglose Wanderer, die in ihrem Haus zu rasten gedachten

:O :O :O

> Du hast von unserer Suppe gegessen, der Zauber darin bindet dich an dieses Haus, bis ich dir erlaube zu gehen.
Das ist cool~
Hoffentlich kommt Russel bald und raubt sie! ♥_♥

> Eine Prinzessin, die zu einer Magd herabgestuft wurde, dachte sie dabei. So etwas gibt es sonst nur im Märchen.
xDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD
Herrlich dieser Verweis darauf~ xD

Sehr schönes Kapitel, das viel zu fix vorbei war.
Russel ist aufgetaucht~ *fieps* ♥
Eigentlich wollte ich ja immer Anti-Albert sein, wegen seinem Wahnsinn in CV und so, aber gewisse Bilder haben mich ja in einen Zwiespalt gebracht und ich freue mich ihn zu sehen. ;)
Ich hoffe ja, dass du noch lange Ferien hast und viel schreiben kannst. :,D



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