Chapter II – A Miss is as good as a Mile
Die Wärme nahm Hinata den Atem, keuchend stand sie im größten Einkaufszentrum, das Konoha zu bieten hat. Sie hatte ihre Augen geschlossen und stand einfach nur da, ihre Füße hatten sie ganz von selbst hierher getragen. Die grellen, bunten und schmerzhaft fröhlichen Lichter brannten immer noch in ihren Augen – alles war so weihnachtlich geschmückt. Überall glänzten Christbaumkugeln um die Wette, überall standen kleine, gedrungene Weihnachtsbäume und an den Decken hingen Mistelzweige. Alles war grün und rot oder einfach nur bunt.
Langsam öffnete sie ihre Augen wieder und setzte sich in Bewegung. Natürlich hatte sie das Einkaufscenter schon mal in weihnachtlicher Montur gesehen, aber nie allein und immer hatte Neji bestimmt, wo sie als nächstes hingingen werden. Gut ab und zu hatte er sie gefragt wo sie hinwollte, aber auch nur dann, wenn alles, was er vorhatte, erledigt war.
Klamotten! Hinata war sich bewusst, dass das ein schreckliches Klischee war, aber sie wollte tatsächlich in einen Klamottenladen und sich all die Dinge ansehen, für die sie – Nejis Meinung nach – nie Zeit hatten. Das Einkaufscenter zog sich über drei Stockwerke hinweg, hier drängte sich ein Laden neben dem anderen, es gab alles, was das Herz begehrte – Kleidung, Schmuck, Drogeriemärkte, Lebensmittelgeschäfte, Scherzartikelläden, Buchläden – einfach alles und zur Weihnachtszeit war das Center maßlos überfüllt. Die Eile war aus Hinatas Kopf und Gliedern verschwunden. Wenn sie erst einmal in den Läden abgetaucht war, konnte Neji lange nach ihr Suchen; hier gab es über zehn Klamottenläden, selbst ein Genie wie er konnte nicht einschätzen, in welchem sie sich herumtrieb, obwohl er sonst immer sehr gut darin war, ihre Gedanken und Aktionen vorherzusehen. Einer der Gründe, warum das Kampfsporttraining mit ihm keinen Spaß machte – kein Angriff kam für ihn überraschend und er wurde es auch nie müde, ihr mit seiner kalten Art klarzumachen, warum ihr Schlag ins Leere verlief.
„Weil ich immer weiß, was du denkst und das ist nie besonders viel!“
Wütend ballte sie ihre Hände zu Fäuste, gleichzeitig fühlte sie sich schon wieder den Tränen nahe. Sie wischte sich übers Gesicht und richtete ihre Konzentration wieder auf die Einkaufspassage vor ihr. Sie wollte doch frei sein, also musste sie sich auch so verhalten! In Hinatas Nase tobte ein Kampf aus Gerüchen – dort drüben verkaufte einer Pizza, direkt daneben gab es Döner, gegenüber stand ein Bäcker und eine Chocolaterie hatte sich in der Einkaufspassage breit gemacht und warb mit zuckersüßem Duft für ihre Pralinen. Überall drängten sich die Leute, und zu den penetranten Essensgerüchen mischten sich die Parfüms der unzähligen Frauen, die sich durch die Gänge und Läden schoben. Hinata nahm es ein Wunder, dass ihr nicht schlecht wurde. Scheinbar war sie zu glücklich, um sich von solcherlei physischen Eindrücken aus der Ruhe bringen zu lassen.
Ihr fiel ein, dass einer ihrer Lieblingsklamottenläden im zweiten Stock stand. Statt weiter vor sich hin zu trotten, setzte sie sich beschwingt in Bewegung; solange sie frei war, konnte ihr nichts und niemand diesen Tag kaputt machen, da war sie sich absolut sicher. Hinata wippte aufgeregt auf ihren Fußballen, als sie auf der Rolltreppe stand, vor und hinter ihr scharrten die Leute mit ihren Füßen, Weihnachten stand vor der Tür und jeder beeilte sich, ein Weihnachtsgeschenk für seine Liebsten zu ergattern.
„Gib mir noch ne halbe Stunde!“
Hinata blickte erschrocken nach oben, direkt neben der Rolltreppe stand … Sasuke Uchiha, der jüngste Spross der Uchiha-Familie. Sie waren eng mit Hinatas Familie befreundet, aus geschäftlichen Gründen versteht sich, auch zu gesellschaftlichen Anlässen sah man meist beide Familien nahe beieinander stehen.
„Wir sind schon spät dran, deine Prüfung ist in wenigen Tagen und du musst dringend lernen!“
Verflixt!
Wäre Sasuke allein gewesen, hätte Hinata sich sicher ungesehen an ihm vorbei schleichen können, sie wusste, dass sein Interesse an ihr so groß war, wie sein Interesse an allen anderen Mitmenschen – soll heißen, dass es gar nicht vorhanden war. Aber an Itachi Uchiha konnte sie sich nicht ungesehen vorbei schmuggeln und genau wie ihr Cousin Neji, war er ein Genie. Egal, welche Lüge sie ihm auftischen würde, Itachi würde sie mit Sicherheit durchschauen.
„Entschuldige, tut mir sehr leid, entschuldige!“ Hinata hastete die Rolltreppe wieder nach unten, überrascht wichen ihr die Leute mehr oder weniger aus, denn die Rolltreppe war sehr eng geschnitten – sie war zum Stehen, nicht zum Flüchten gebaut.
„Was soll das?!“
„Warte doch, bis du oben bist!“
„Aua!“
„Tut mir leid …!“
Mit einer letzten gehaspelten Entschuldigung, war Hinata gerade noch so der Rolltreppe entkommen. Was machen die beiden denn ausgerechnet heute hier?! Sie lief schnell an der Rolltreppe vorbei, stürmte einfach vorwärts, die Angst war zurückgekehrt und das schon nach so kurzer Zeit! Dabei wollte sie sich doch endlich hier entspannen, oder sollte es einfach nicht sein?
Keuchend stand Neji vor dem Einkaufscenter. Er hatte Hinatas Spuren nur bis zur nächsten Straßenkreuzung verfolgen können, dann war das Stadtzentrum gekommen; platt getrampelter Schnee und eine Menge Leute; dennoch, Hinata konnte nur hier sein. Neji fiel kein anderer Ort ein, an dem sich seine Cousine verschanzen könnte. Sie hatte keine engen Freunde, niemanden, bei dem sie sich verkriechen könnte und wenn doch, dann wüsste Neji, wo diese zu finden wären. Schließlich weiß er alles über Hinata.
Flüsternd drehte sich die Drehtür in den Angeln. Neji hasste es, warten zu müssen bis er ins Innere des Gebäudes kam, seine Gedanken überschlugen sich. Blitzschnell rechnete er aus, wo Hinata jetzt stecken könnte und seine Vermutung richtete sich auf die Klamottenläden; aus dem einfachen Grund, da sie ständig bettelte in einen gehen zu dürfen, sobald Neji beschloss, mit ihr hier einkaufen zu gehen. Fein, er hatte eine Ahnung, wo sie sein könnte, schön und gut, aber welches der unzähligen Geschäfte könnte sie sich ausgesucht haben? Hinata könnte in jedem sein, sie war ein Mädchen und hier musste Neji sich eingestehen, kannte er die Vorlieben seiner Cousine nicht besonders gut. Es gab Tage, da ging er abends zu Bett und konnte sich gar nicht erinnern, was Hinata eigentlich getragen hatte.
Die ersten paar Meter schnellte er die Einkaufspassage entlang, dann bremste er sich wieder. Hier durchzurasen brachte ihn nicht weiter, er musste irgendeinen Anhaltspunkt finden, ehe er mit der Suche fortfahren konnte. Neji schloss seine Augen und dachte nach: wo würde Hinata sich wohl am ehesten herumtreiben? Er blendete alle anderen Eindrücke und Gedanken aus, ignorierte gekonnt die Tatsache, dass er den anderen Passanten mitten im Weg stand und versuchte alles menschenmögliche, um sich in seine Cousine hineinzuversetzen; leider scheiterte er schon bei der Tatsache, dass sie überhaupt davon gelaufen war. Warum?!
Ein zorniges Gesicht tauchte in seinen Gedanken auf, wütend und enttäuscht – Hiashi. Knurrend schüttelte Neji den Kopf, er würde Hinata schon noch rechtzeitig finden, er hatte noch Zeit, genug Zeit. Und vielleicht noch genug Zeit, um ihr eine spezielle Trainingseinheit zu verpassen.
Die letzten paar Minuten war Neji durch die Passage getrottet und hielt erst einmal einfach nur die Augen offen. Er warf konzentrierte Blicke in jedes Geschäft, viele davon waren allerdings verwinkelt. Er müsste hineingehen, um sicher zugehen, dass Hinata dort nicht war – dazu fehlte ihm wiederum die Zeit. Verdammt! Seufzend stellte er sich auf die Rolltreppe und ließ sich gemächlich nach oben tragen, dabei drehte er sich um seine eigene Achse, die Masse an Menschen war unglaublich. Selbst wenn es nicht Weihnachten war, war das Einkaufscenter überfüllt, aber jetzt …?
„Komm jetzt endlich!“
Neji blickte auf, diese Stimme kannte er, sie gehörte Itachi Uchiha. Nicht weit von der Rolltreppe entfernt standen die beiden Uchiha-Geschwister. Sasuke hatte seine Arme vor seiner Brust verschränkt und machte ein trotziges Gesicht, Itachi runzelte verärgert die Stirn. Die beiden stritten sich doch nicht etwa? Wäre Neji nicht auf der Mission, seine Cousine zu suchen, hätte ihn das sogar ein wenig interessiert, aber die beiden konnten ihm jetzt trotzdem von Nutzen sein.
„Hey, ihr!“
Überrascht hoben die Uchihas ihre Köpfe. Aus Itachis Gesicht verschwand der Ärger, als wäre er nie dort gewesen und ein müdes Lächeln machte sich breit. Sasuke schaute noch genauso zerknirscht drein wie vorher.
„Was willst du, Hyuuga?!“
„Sasuke!“
„Auch schön, dich zu sehen“, antwortete Neji knapp und wandte sich lieber Itachi zu. Wenn jemand Hinata gesehen haben könnte, dann er. Sasuke ignorierte seine Umgebung am liebsten und wenn nicht, dann beschoss er sie mit giftigen Blicken – ein unangenehmer Typ und Neji war froh, eine Klasse über ihm zu sein.
„Haben Sie Hinata gesehen?“, fragte Neji Itachi, der runzelte wieder die Stirn.
„Sie ist alleine hier?!“ Seine Frage klang aufrichtig überrascht und Neji sackte ein kleines Stück in sich zusammen.
„Nicht direkt, ich bin ja auch hier, ich hab sie im Menschengewühl verloren. Haben Sie sie gesehen?“
Gib mir einen Tipp, irgendwas!
„Hm … Eigentlich nicht. Vorhin auf der Rolltreppe war plötzlich ein kleiner Tumult und ich hab mir eingebildet, sie zu sehen …“
„Wann?! Wie lange ist das her?“ Nejis Puls beschleunigte sich, ein kleiner Tumult auf der Rolltreppe, natürlich! Wenn Hinata wirklich hier war, dann hätte sie um jeden Preis verhindert, von Itachi gesehen zu werden! So dämlich war sie nun auch wieder nicht.
„Noch gar nicht so lange her, vielleicht zehn, fünfzehn Minuten …“
„Danke!“
Neji macht auf dem Absatz kehrt und jagte die Rolltreppe, die nach unten führte hinunter. Nur zehn Minuten, vielleicht ein bisschen mehr, weit konnte sie noch nicht gekommen sein!
„Hey!“
Er hatte die Rolltreppe mit einem gekonnten Sprung verlassen und blickte sich hastig in der Passage um – welche Richtung jetzt? Vermutlich weiter geradeaus, in der anderen Richtung lag der Ausgang, er war sich sicher, Hinata war immer noch hier. Wo sollte sie sonst sein?
„Heeey! Warte mal!“
Genervt drehte Neji sich um, was denn noch?! Sasuke kam die Rolltreppe hinunter gehastet und schließlich direkt vor ihm zum Stehen. „Ich helf dir suchen!“, antwortete der schnell atmend, doch sein Blick galt nicht Neji, sondern seinem großen Bruder, der ihm flink wie ein Wiesel gefolgt war.
„Was?!“ Neji traute seinen Ohren nicht, Sasuke bot seine Hilfe freiwillig an?! Da stimmte doch was nicht!
„Ja, ich helf dir suchen, ehrlich!“
Der Hyuuga folgte misstrauisch Sasuke Augen. Sein Blick galt voll und ganz Itachi, zwischen dessen Augen bildete sich eine steile Falte – schließlich zuckte Itachi ergeben mit seinen Schultern. „Na gut, du hilfst ihm Suchen. Wenn ihr Hinata gefunden habt, kommst du aber sofort nach Hause! Du musst unbedingt für die Prüfung lernen, deine Note ist zurzeit nicht das, was Vater von dir erwartet und ich habe ihm versprochen, dass ich dir helfe“, willigte Itachi mahnend ein.
Neji zog eine Augenbraue hoch. So ist das also!
Sasuke nickte stumm und tippte Neji auf die Schulter. „Komm, los. Hinata war doch eben erst hier, die muss hier irgendwo stecken“, drängte er den Hyuuga und machte ein paar Schritte nach vorn.
Neji behielt ihn kühl in den Augen. Was für ein Heuchler! Er hörte, wie Itachi sich von seinem kleinen Bruder und ihm verabschiedete, dann setzt Neji sich in Bewegung.
„Verzieh dich, du bist keine Hilfe!“, zischte er Sasuke an, der schaute nur kalt zurück.
„Ja, na und?! Ich hab kein Bock für die Schule zu lernen, ich kann das!“, maulte Sasuke und schob seine Hände in seine Hosentaschen.
„Ach ja? Warum dann die miese Note?“, stichelte Neji.
„Ich ha ne zwei, Mann! Ich hab nur keine Lust, das ist alles …“
„Aha.“
Schweigend gingen die beiden nebeneinander her und Neji richtete seine scharfen Augen wieder auf die Klamottenläden. Sasuke latsche nutzlos neben ihn her, Neji hasste es, von diesem verwöhnten Uchiha-Jungen ausgebremst zu werden und dass er für ihn nichts weiter als eine günstige Ausrede war, machte Neji erst recht wütend.
„Wie hast du es überhaupt geschafft, Hinata zu verlieren? Ich meine, die Kleine klebt doch wie ein Schatten an deinen Hacken“, murmelte Sasuke und schaute ihn fragend an.
„Hab ich da was von Schatten gehört?“ Überrascht drehten die beiden sich um, die Worte kamen von einer der vielen, kleinen Sitzgelegenheiten, die in der Einkaufspassage verteilt standen und auf der Sitzgelegenheit lümmelte Shikamaru Nara.
„Was treibst du denn hier?“, sagte Sasuke sichtlich ungläubig.
„Ich bin nicht freiwillig hier! Meine Alten besorgen Weihnachtsgeschenke, auf so was hab ich keinen Bock, also sitze ich hier meine Zeit ab. Weihnachten ist echt lästig!“, murrte Shikamaru und schien darüber nachzudenken, sich auf der Bank hinzulegen.
„Hast du meine Cousine gesehen?“
„Was?“ Verwirrt blickte Shikamaru auf, als Neji direkt vor ihm stand.
„Deine … Cousine? Hinata, oder?“ Nachdenklich kratzte er sich am Kopf und spielte an seinem Zopf herum, der Shikamaru wie eine Ananas aussehen ließ.
„Ja!“ Neji musste sich zusammenreißen, um nicht die Beherrschung zu verlieren, aber dieser Müßiggänger schien alle Zeit der Welt zu haben, was das Nachdenken und Antworten betraf.
„Ach doch, klar! Die hab ich gesehen! Hab mich schon gewundert, warum sie hier alleine unterwegs ist …“
„Gut, wo ist sie hingegangen?!“
„Was schreist du denn so? Da lang …“ Gelangweilt deutete Shikamaru weiter geradeaus, einfach die Einkaufspassage entlang.
Na toll, noch genauer geht wohl nicht!
„Da lang, und weiter?“, fragte Neji hoffnungsvoll nach.
„Nichts weiter, der schau ich doch nicht hinterher – am Ende legst du mich dafür um. Weiß nicht, hab sie nur an mir vorbeilaufen …“
„Danke!“
Neji wandte Shikamaru den Rücken zu, der verzog nur müde das Gesicht und lehnte sich wieder zurück. Sasuke stieß ein Keuchen aus, als Neji ihn in die besagte Richtung boxte und zum Weiterlaufen drängte.
„Wir haben nicht viel Zeit!“, zischte der Hyuuga aufgeregt. Er war nahe dran, da war er sich sicher.
„Haben wir nicht? Wann musst du denn mit deiner Liebsten zurück zu Hause sein?“ Sasuke haute die Bremse rein und Neji rannte in ihn hinein.
„Beweg dich gefälligst, du Lähmer! Hiashi kommt um sieben Uhr abends zurück, bis dahin …“
„Wir haben doch erst vier Uhr!“
„Trotzdem! Und außerdem ist sie nicht meine Geliebte, was faselst du da?!“ Er ließ von Sasuke ab und flitzte an ihm vorbei. Sollte der doch machen was er wollte, Neji hatte Dringenderes zu tun, als sich mit Sasuke über familiäre Eskapaden zu unterhalten. Dort vorne befand sich ein großes Bekleidungsgeschäft, hier würde er es als erstes Versuchen!