Nur ein Tag von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Ohne Dich -------------------- Panisch schreckte ich zurück. Er hat... was?? Nicht willens, meinen Ohren zu trauen, verfolgte ich fassungslos weiter den Dialog zwischen Ukyo und Ranma. Langsam und ungläubig schüttelte sie ihren Kopf, als sich ihre Augen angsterfüllt weiteten. "Nein...", flüsterte sie. "Ran-chan... Du hast doch nicht wirklich... Das...... bringt dir doch...." Ukyos Stimme erstickte in einem Schluchzer. "Hör auf zu heulen", forderte Ranma verständnislos. "Sie hatte es nicht anders verdient. Ich war sogar noch zu nett zu ihr." "Ranma!" rief Ukyo jetzt aus und hielt in ihren zusammengekniffenen Augen die Tränen zurück. "Glaubst du allen Ernstes, das ist es, was..." In einer schnellen Bewegung befand sich Ranma plötzlich direkt vor ihr und presste ihr fest seine zitternde Hand auf den Mund, während er seine andere zu einer bebenden Faust ballte. Ohne zu ihr auf zu blicken sprach er langsam, ganz langsam. "Wage-es-nicht-weiterzusprechen..." Sein fransiger Pony fiel ihm ins Gesicht und verbarg seine Augen. Nur das Knacken seiner Gelenke durchschnitt die nun aufgekommene unheimliche Totenstille. Fassungslos drehte ich mich von ihnen weg und lehnte mich steif gegen die Wand. 'Was geht da bloß vor sich?' fragte ich mich verwirrt. Unmöglich, dass Ranma zu einem Mord imstande wäre. Oft hatte er bis zur Ohnmacht seines Gegners gekämpft, nicht selten war er unsensibel und rücksichtslos, aber nie... NIE erlebte ich ihn so eiskalt wie an jenem Tag. Nie, das hätte ich zuvor schwören können, hätte er jemanden ermorden können. Nie hätte er es so reuelos ausgesprochen. Die Welt um mich herum begann sich zu drehen. Zu viel, das war einfach zu viel auf einmal. Irgendetwas war da noch. Irgendetwas. Tief in mir wusste ich es, spürte es. Doch ich konnte diese so gut versteckte Erinnerung nicht wieder hervorrufen. Etwas fehlte in diesem ganzen, riesigen Chaos. Ein Puzzleteil. Etwas, das mir erklärte, warum alles so anders war an diesem merkwürdigen, dusteren Tag. Ranma ein Mörder? Das konnte nicht wahr sein. Aber dennoch war es das, was er soeben gesagt hatte. Ich selbst hatte es gehört. Immer mehr Fragen drangen in meinen Kopf. So viele bis mein Verstand irgendwann nachließ und es auf einmal ganz dunkel wurde. Es kam mir vor, als sei nur eine Sekunde vergangen, doch als ich meine Augen wieder öffnete, war es bereits Nacht. Der Regen hatte sich gelegt und nun war nur noch das laute Heulen des Windes durch die dünnen Hauswände zu vernehmen. Warum hatte mich keiner geweckt? Benommen tappte ich durch den unbeleuchteten Flur. Mein Kopf fühlte sich so leer an. Was hatte Ranma als letztes gesagt? Richtig, er hatte Shampoo umgebracht. Angestrengt überlegte ich: War das alles wirklich geschehen? Oder war ich gerade aufgewacht aus einem langen, schrecklichen Albtraum? Auf einmal wurde ich durch ein lautes Geräusch in die Gegenwart zurückgerufen. 'Was ist das?' wunderte ich mich erschrocken und folgte instinktiv dem lauten, schmerzerfüllten Heulen, das wie eine warnende Sirene an mein Ohr drang. Immer schneller bewegte ich mich auf die Quelle des fürchterlichen Geräusches zu, fuhr die Treppe hinunter, durch den dunklen Teeraum, über die Terrasse, durch den Garten und machte schließlich, als ich gefunden hatte, wonach ich suchte, Halt im Dojo. Es brannte kein Licht und doch befand sich jemand darin. Unsicher näherte ich mich dieser Person und erkannte aus einem Abstand von wenigen Metern in dem schwachen Licht, das der Mond hineinwarf, meinen Vater. Mit dem Gesicht zur Wand gerichtet hockte er zusammengerollt in einer Ecke und weinte. "Warum? WARUM??" schrie er ins Nichts. Seine Tränen tropften auf den hölzernen Boden, während sein Körper sich in einem monotonen Rhythmus auf- und abwog. "A-aber Paps..." flüsterte ich und verspürte den Wunsch, ihn fest in den Arm zu nehmen, so wie ich es zuletzt als Kind getan hatte. Doch etwas in mir sträubte sich. Wie erstarrt schaute ich ihn an und konnte mich einfach nicht bewegen. "So jung... Sie war doch noch so jung, Kami-sama. Warum musste sie auf so grausame Art und Weise sterben?!" Hart durchzuckte es mich. Erst ganz langsam, aber immer schneller und heftiger schüttelte ich meinen Kopf. Es war also tatsächlich wahr. Shampoo war wirklich tot. Ranma, mein Ranma war ein Mörder. Der Ranma, der mir so oft das Leben gerettet hatte. Der Ranma, der sich um das Wohl einer kleinen Puppe gesorgt hatte. Der Ranma, der selbst seinen schlimmsten Feinden in Notsituationen immer geholfen hatte. Der Ranma, der mir dann und wann mal sein so liebevolles Lächeln schenkte, das mir zeigte, dass ich ihm nicht egal bin. Wieder begann sich alles zu drehen. Die Wände um mich herum verformten sich, verflüssigten sich, flossen zusammen mit dem Boden, der Decke, dem Schrein, dem Altar und verschmolzen in ein einziges tiefes Schwarz.. Doch plötzlich fuhr ich hoch und die Formen festigten sich schlagartig wieder. 'Seit wann hatte Paps eine so gute Beziehung zu Shampoo?' schoss es mir durch den Kopf. Nur ein mal zuvor hatte ich ihn so hart weinen sehen. Das war als meine Mutter gestorben war. Wie konnte man den Tod einer praktisch fremden Person, die ständig nur Unheil ins Haus brachte, mit dem seiner eigenen geliebten Ehefrau gleichstellen? Irgendwie hatte ich das Gefühl, einen wichtigen Aspekt bisher außer Acht gelassen zu haben. Aber mir wollte partout nicht einfallen, was es war. Plötzlich war ich traurig, tieftraurig und verließ still den Dojo, nachdem das Weinen meines Vaters langsam und allmählich erlosch und nur noch ein dumpfes Geräusch zu hören war, als er immer und immer wieder mit seinem Kopf winselnd an die Wand schlug. Melancholisch streifte ich zurück ins Haus. Der starke Nachtwind wehte mir laut um die Ohren und doch fror ich nicht. Erst als ich ins Teezimmer trat erkannte ich zwei vertraute Stimmen, die aus der Küche drangen. "Ranma verhält sich sehr seltsam", hörte ich Kasumi besorgt sagen, doch aus irgendeinem Grund vermisste ich ein Fünkchen mehr Mitgefühl in ihrem Ton, so wie ich es sonst von ihr gewohnt gewesen war. "Was macht er eigentlich immer noch hier in diesem Haus?" fragte Nabiki kalt, ohne auf Kasumis letzten Satz einzugehen. "Es ist doch nur seine Schuld. Hätte er sie richtig beschützt, dann..." "Nabiki", fiel unsere ältere Schwester ihr tadelnd ins Wort, doch sie sprach weiter. "Er will uns ja nicht einmal sagen, womit er so abgelenkt war. Wer weiß was... Aber was auch immer es war, es ist dafür verantwortlich zu machen, dass ein junges, hübsches Mädchen nicht mehr den nächsten Frühling erlebt... gar nichts mehr." Schluckend lauschte ich dem Dialog. Er hatte sie nicht richtig beschützen können, sagte Nabiki. Also brachte Ranma Shampoo nicht vorsätzlich um. Es war alles bloß ein Unfall... von welcher Art auch immer. Wie konnte Nabiki nur so grausam sein und es Ranma vorenthalten? Und das, wo sie Shampoo doch noch nie ausstehen konnte. Scheinbar hatte sie es ihm so deutlich ins Gesicht gesagt, dass er selbst schon glaubte, ein Mörder zu sein. Armer Ranma... Plötzlich zuckte ich zusammen. Aus der Küche vernahm ich das laute Klirren von zersplitterndem Glas. Erschrocken lief ich zu meinen beiden Schwestern und stoppte abrupt im Türrahmen. "So ein Mist. SO EIN VERFLUCHTER MIST!!" fluchte Nabiki laut heraus und sank auf die Knie. "Sie kann doch nicht so... so einfach...." Kasumi schaute einen langen Augenblick mit erschöpftem Ausdruck zu ihr hinab. Nervös wischte sie sich mit dem Handrücken über die Stirn und holte dann zögerlich, aber genauso gierig aus der Tasche ihrer Schürze ein Päckchen Zigaretten heraus. Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Lediglich ein heiseres Krächzen brachte ich hervor, als ich sah, wie sie sich plötzlich eine Zigarette anzündete und dann den Qualm in inniger Befriedigung tief inhalierte. Erst nach drei hektischen Zügen beugte sich unentschlossen zu Nabiki hinunter, um ihr die Arme um den zitternden Körper zu legen. "Pshhh.... meine Arme Kleine...." beruhigte sie sie, und nahm über ihre Schulter hinweg einen weiteren Zug. Ergriffen öffnete ich meinen Mund und wollte etwas sagen, doch ich konnte nicht. Was sollte ich daraufhin schon entgegnen? Wann hatte ich Nabiki zuletzt weinen gesehen? Nabiki war immer so gelassen und stark. Und Kasumi war sehr beherrscht und außerdem stets darauf bedacht, ihre Mitmenschen mit einem Lächeln zu beglücken. Und hier sah ich sie schließlich, ihr Teint war leichenblass, tiefe Augenringe verdunkelten ihr Gesicht und... sie rauchte?! Einen Moment lang blieb ich noch stehen und starrte sie ungläubig an, wie sie sich nun gegenseitig hielten und weinten, ehe ich mich entgeistert entschied, sie mit ihrem Kummer alleine zu lassen. War ich tatsächlich so eine gefühllose Person? Jedem in diesem Haus ging der Tod scheinbar unwahrscheinlich nah, doch alles, was in mir vorging, war der Schock, dass Ranma von sich selbst sagte, ein Mörder zu sein. Zu viele verrückte Dinge waren geschehen. Und das an nur einem einzigen Tag. Wie spät war es eigentlich? Ich hatte keine Ahnung. Aber ich war müde, sehr müde vom vielen Nachdenken. Müde von dem Gefühl, dass ich trotz allem noch etwas übersehen hatte. Etwas sehr Wichtiges sogar. Leise begab ich mich ins Obergeschoss und bemerkte so gedankenverloren, wie ich war, erst als ich bereits in mein dusteres Zimmer getreten war, das tiefe, aber ruhige Atmen, das von meinem Bett aus hervorging. "Wer ist da?" rief ich erschrocken. Keine Antwort. Hektisch tappte ich nach dem Lichtschalter, doch ich war zu nervös. "Akane..." hörte ich plötzlich Ranma leise meinen Namen sagen. "Ranma, du? Was machst du hier in meinem Zimmer?" Vorsichtig trat ich näher und erkannte erst dann, dass er ausgestreckt auf dem Rücken in meinem Bett lag. Sein glasiger Blick fixierte die Decke. Eingeschüchtert starrte ich ihn an. Seine Regungslosigkeit raubte mir die Stimme. "Es regnet, es regnet, die Erde wird nass..." begann er kaum hörbar in einer monotonen Melodie zu singen; fast wie ein Trauerlied. Ich schluckte, unsicher darüber, was ich davon halten sollte. Plötzlich erhob er sich ganz langsam. Sein Blick war geradeaus gerichtet, als er mit schwacher Stimme sagte: "Du bist immer noch hier..." Mit einer Hand griff er fest nach meiner Bettdecke und zog sie zitternd und langsam zu seinem Mund und seiner Nase herauf, um dann vorsichtig einzuatmen. "Hör zu, Ranma..." setzte ich schließlich mit schwacher Stimme an. "Ich weiß zwar nicht genau, was passiert ist, aber ich bin mir sicher, dass es nicht deine Schuld war..." Sein Gesicht verzerrte sich als erleide er unerträgliche Qualen. "Du bist IMMER NOCH hier!" wiederholte er auf einmal sehr laut und wütend und ließ mit einem kraftvollen Ruck die Decke los. "WARUM KANNST DU NICHT EINFACH VERSCHWINDEN?!" Noch immer schaute er mir nicht ins Gesicht, als er mit schnellen Schritten und doch wie in Zeitlupe mein Zimmer verließ. --- ~ Ende von Act II Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)