Sternenhimmel von abgemeldet ([EreRi]) ================================================================================ Kapitel 1: Sternenhimmel - OS ----------------------------- "Verdammt, da lässt man dieses elendige Balg beim Training einmal aus den Augen und dann findet man es den ganzen Tag lang nicht mehr", meckerte ein ziemlich aufgebrachter Corporal, dessen Aura vor Wut bestimmt schon mit schwarzer Farbe vergleichbar war. Tatsächlich wurde es bereits dunkel und von Eren war seit dem Training, welches er am Vormittag mit Hanji geführt hatte, keine Spur mehr. Hatte einer von Hanjis Versuchen den jungen Titan Shifter vielleicht krepieren lassen? Die Wissenschaftlerin behauptete zwar, nichts von Erens aktuellen Aufenthaltsort zu wissen, doch ob der Corporal dieser Aussage Glauben schenken sollte? Nun ja, es war auch egal. Letztendlich sollte Levi den Jungen einfach finden, bevor die Sonne sich gänzlich verabschiedet hatte. Leichter gesagt, als getan. Umgeben von Finsternis stand Levi draußen, vor dem aktuellen Stützpunkt der Survey Corps und sah nicht einmal die Hand vor Augen. "Jaeger?", rief er mit zorniger Stimme. "Wenn du mich hörst, komm' gefälligst raus", fügte er hinzu, bevor er weiter ziellos durch die Dunkelheit wanderte. Plötzlich rannte er gegen Etwas: Ein Baumstamm. Ein schmerzerfülltes "Tze...", kam über Levis Lippen, bevor er etwas peinlich berührt weiterging und nach dem Titan Shifter suchte. "Wenn du nicht gleich rauskommst, schlag ich dich windelweich!", murrte der Corporal wenig später unzufrieden, als er bei seiner Suche immer noch keinen Erfolg gehabt hatte. Er rechnete eigentlich schon gar nicht mehr damit, am heutigen Tage überhaupt noch ein Lebenszeichen von Eren zu erhalten. Dieser Gedanke verflog jedoch, als er über eine auf den Boden liegende Person stolperte und mit dem Gesicht voraus im Dreck landete. "Sie müssen nicht gleich so aggressiv mit mir reden..", beschwerte sich die Person, die sich nach dem kleinen Unfall aufrichtete und dem Corporal aufhalf. "Außerdem sollten Sie im Dunkeln genauer darauf achten, wo Sie hintreten..." Hätte man etwas sehen können, so wäre Levis drohender Todesblick optimal zur Geltung gekommen. Im nächsten Moment ging ein kleines Licht an. Es kam von einem Streichholz, welches nun an eine Kerze gehalten wurde, die in einer kleinen Laterne platziert war. Als die Kerze brannte, pustete die Person das Streichholz aus und steckte es weg, ehe sie die Laterne vor ihr Gesicht hielt. Sofort erkannte der Corporal, um wen es sich handelte. Die gesuchte Person war gefunden. Etwas schuldbewusst musterte Eren das Gesicht Levis. "Sie sind ganz dreckig im Gesicht...", bemerkte der Braunhaarige und musste anschließend leicht schmunzeln. "Und rate mal dank wem", zischte Levi zur Antwort "Was fällt dir eigentlich ein, einfach den ganzen Tag abzuhauen? Ich habe die Verantwortung für dich und dir definitiv nicht erlaubt, dich einfach so davonzuschleichen. Hoffentlich hast du eine ordentliche Erklärung vorbereitet", meinte der Corporal und verschränkte die Arme, während er Eren prüfend anstarrte. "Ich wollte etwas sehen", war die überraschend kurze und verständlicherweise auch kaum aufklärende Antwort. "Was sehen?", fragte der Corporal weiter und beobachtete, wie Eren die Laterne wieder auf dem weichen Gras abstellte und sich auf dem Boden niederließ. "Setzen Sie sich hin und warten Sie etwas mit mir hier. Dann werden Sie es schon sehen", schlug Eren vor und deutete auf die Grasfläche neben sich. "Nicht dein ernst", knurrte Levi und verdrehte die Augen. "Keine Sorge. Das Gras ist nicht dreckig und es krabbeln auch keine Insekten darin herum. Wahrscheinlich sind Sie gerade nur unglücklich gefallen und mit dem Gesicht auf einem Maulfswurfsloch gelandet", behauptete Eren und zog ein kleines Tuch hervor. Eher widerwillig setzte sich Levi in das Gras und blickte misstrauisch auf das Tuch. "Und worauf warten wir?" Ja, er war eindeutig nicht in der passenden Stimmung, jetzt auf irgendein sinnloses -oder vielleicht nicht einmal zukünftig vorhandenes- Ereignis zu warten. "Darauf, dass es richtig dunkel wird und...", begann Eren seinen Satz und stoppte kurz, als er etwas näher an Levi heranrückte und ihm vorsichtig die Dreckstückchen aus dem Gesicht wischte. Reflexartig kniff Levi die Augen zusammen. Er mochte es nicht, wenn jemand einfach so an seinem Gesicht herumfummelte. Er fühlte sich dann immer so klein und kindlich, was er zwar in gewisser Hinsicht war, aber niemals zugeben würde. "Und was?", forderte Levi Eren mit eiskalter Stimme zum weitersprechen auf und drehte sich nach einigen Sekunden von dem Jüngeren weg, welcher daraufhin leise kichern musste. Am liebsten hätte der Corporal das Balg aufgrund dieser Reaktion stranguliert. "..und darauf, dass die Sterne endlich zum Vorschein kommen", vollendete Eren seine Erleuterung und legte sich ins Gras. Ernsthaft jetzt? Der Junge hatte sich einfach aus dem Staub gemacht und den ganzen Tag lang versteckt, nur, damit er irgendwann mitten in der Nacht ein paar dämlich leuchtende Punkte am Himmel anglotzen konnte? Verständnislos schüttelte Levi den Kopf und wollte bereits wieder aufstehen, als er plötzlich einen starken Ruck spürte und sich wenige Sekunden neben Eren liegend im Gras wiederfand. "Was fällt dir ein, du-", zischte Levi mit deutlich aggressivem Unterton, was Eren aber nicht in geringster Weise einschüchterte. Trotz dessen ziemlich handgreiflichen Fluchtversuche, schaffte Eren es, den Corporal neben sich auf dem Gras zu behalten. Schließlich gab Levi nach und blickte den Titan Shifter völlig entnervt an. "Jaja, Sie können mir später gerne eine Moralpredigt in Form von einer brutalen Fasthinrichtung erteilen, aber bitte warten Sie noch etwas...", bat Eren und klang etwas enttäuscht. "Nichts da", widersprach Levi. "Du wirst jetzt augenblicklich deinen faulen Hintern hochschwingen und in deine dreckige Zelle verschwinden." - "Aber-" "Nein!" Mit bitterbösem Blick sah Levi den Jüngeren an. Er duldete keinerlei Widerstand. Als er dann aber Erens Reaktion auf sein Verbot sah, bröckelte seine sonst so kühle Fassade: Tatsächlich sammelten sich kleine, durch das schwache Licht der Kerze glitzernde, Tränen in Erens Augen, der sich langsam, ohne ein weiteres Wort zu sagen, aufrichtete. War es dem Jungen etwa so wichtig? Levi seufzte gedehnt. "Gut, meinetwegen. Wir bleiben. Aber nur, damit ich dein Gejammer später nicht ertragen muss." "W-wirklich?" Ein freudig auffunkelndes Augenpaar traf auf das leer dreinblickende Gesicht Levis. Ein stummes Nicken war die Antwort. "Arigato, Heichou!" Nichts als hässliche, kleine, weiße Punkte. Levi konnte immer noch nicht nachvollziehen, was Eren an dem Sternenhimmel so besonders fand. "Wieso wolltest du dir diesen Blödsinn noch einmal so unbedingt ansehen?" "Blödsinn!?", wiederholte Eren etwas entsetzt, beruhige sich aber schnell wieder. Levi, der wie auch er auf dem Rücken lag und zum Sternenhimmel rauf sah, stieß ein überraschtes "Hah?" aus. "Na ja, es ist... der Gedanke", meinte Eren und lächelte sanft. "Welcher Gedanke? Sprich Klartext, dreckiges Balg." "Ich verbinde viele Dinge mit dem Sternenhimmel...", murmelte Eren. "Zum Beispiel..?" Eren überlegte kurz, wie er es am besten formulieren sollte, dann begann er zu erzählen: "Zum einen wäre da diese mystische Erscheinung. Ich denke, dass der Sternenhimmel eines der wenigen Wunder ist, das sich über die Jahrhunderte hinweg kaum verändert hat. Es ist, als ob jeder einzelne Stern dort oben unsere Geschichte kennt und bereits das Leben vieler Menschen und anderer Lebewesen beobachtet und in gewisser Weise sogar behütet hat. Wenn Sterne reden könnten, wären sie bestimmt in der Lage, die bewegensten und atemberaubendsten Geschichten zu erzählen. Sie kennen gleichzeitig aber auch die schrecklichsten Geheimnisse dieser fragwürdigen Welt. Die Herkunft der Titanen. Die Beweggründe meines Vaters. Alles konnten sie sehen. Sterne sind Bücher, voll mit grenzenlosem Wissen, die man niemals als normaler Mensch öffnen und lesen kann. Nichts bleibt ihnen verborgen. Kein minimales Detail, selbst bei der Dunkelheit, die sie durch ihr Licht verdrängen." Mit offenstehendem Mund sah Levi Eren an. "So... habe ich noch nicht gedacht...", murmelte er und richtete seinen Blick wieder auf die vielen, funkelnden Punkte. Hieß das etwa auch, dass die Leben der vielen Soldaten, die unter seinem Kommando schon das Zeitliche segnen mussten, in den Sternen ihren Platz gefunden hatten? Dass ihre Namen und ihre gloreichen Heldentaten auf ewig irgendwo niedergeschrieben und festgehalten worden waren? Levi konnte es nicht verhindern. Seine Gedanken drifteten ab und er musste an sein Squad denken, wie es doch so mutig gegen den weiblichen Titanen gekämpft und doch verloren hatte. Erd. Gunther. Auruo und auch sie... Petra. Das Lächeln jener Personen, die ihn so akzeptiert hatten, wie er war. Ihre wundervollen Witze, über die er selbst zwar nie gelacht, aber im Nachhinein oftmals ab und zu geschmunzelt hatte, wenn er gerade alleine gewesen war. Ihre bewundernswerten Versuche, die Menschheit den lang ersehnten Sieg näher zu bringen, wobei sie selbst ihr schlagendes Herz aufopfern würden, wie sie es am Ende auch getan hatten. So viele Tode hatte Levi schon mitansehen müssen. Tode von Menschen, die erst durch seine Befehle in jene lebensgefährlichen Situationen geraten waren. Es waren Opfer nötig gewesen. Das wusste der Corporal ganz genau. Aber... würden die Geschichten von ihnen allen dort oben, im Nachthimmel, verewigt sein? "Heichou...?", fragte Eren, der Levi besorgt musterte. "Hm?", schreckte der Corporal auf und sah schnell seitlich weg. Er hatte nicht bemerkt, wie sich -wenn auch nur wenige- Tränen in seinen Augen gesammelt hatten. "Oft sagt man auch, dass jeder Stern die Seele eines verstorbenen Menschens sei", sprach Eren vorsichtig weiter, richtete sich auf und legte eine Hand auf die Schulter des Corporals, der kaum merklich zu zittern anfing. "Vielleicht stimmt es ja. Das würde heißen, dass all die verstorbenen Personen weiterhin mit uns vereint sind und wir uns trotz dieser weiten Entfernung ansehen und das gegenseitige Leben beobachten können." Eren flüsterte jene Worte leise, um die Atmosphäre ruhiger wirken zu lassen. Sanft zog er den Corporal in eine Umarmung. "Es ist vollkommen normal zu weinen, Heichou. Es wird ein Geheimnis bleiben. Ein Geheimnis, von dem nur der Sternenhimmel und ich Bescheid wissen. Und niemand wird je erfahren, was die Sterne schon alles gesehen haben." "Und du...?" schluchzte Levi schon nahezu, während die erste, flüssige Träne über seine leicht gerötete Wange rollte. "Ich werde es ebenfalls für mich behalten; das schwöre ich", murmelte Eren sachte in Levis Ohr. "Wenn das so ist...", ging Levis Satz nun in einem endgültigem Schluchzen unter. Die blassen Finger des Corporals krallten sich in den Stoff von Erens Hemd. "W-wenn das so ist, dann habe ich k-keine Bedenken...", sprach er ziemlich unverständlich und die angesammelten Tränen flossen in Strömen. All die Verzweiflung. All die Wut. Die angestauten Gefühle überkamen ihn. Schreckliche Bilder erschienen in seinem Kopf. Bilder von grausamen Ereignissen, die er sonst immer erfolgreich verdrängt hatte. "Sie sind wahrlich der stärkste Soldat der Menschheit", meinte Eren. Fragend blickte Levi zu ihm herauf: "Verspottest du mich gerade oder bewunderst du mich dafür?" "Weder noch. Bewunderung ist am weitesten von Verständnis entfernt", erklärte Eren und strich dem Corporal die nassen Tränen von den Wangen. "Also war es eine Feststellung?" "Ich wollte eher ausdrücken, dass es verständlich ist. Kein Mensch hätte solange so viel Druck wie Sie aushalten können. Sie sind nicht nur vom Umgang mit dem Gear her der stärkste Soldat der Menschheit...", antwortete Eren und hob das Kinn des Corporals vorsichtig an, ehe er fortfuhr: "... Sie sind gleichzeitig auch der tapfsterste, mutigste und vor allem freundlichste Mensch, der mie je begegnet ist. Sie lassen es sich vielleicht nicht anmerken, aber Sie können den Schmerz anderer um sich herum besser nachvollziehen, als es eine andere Person jemals könnte. Dafür bewundere ich Sie zwar nicht, aber ich liebe Sie dafür, wie Sie trotz dieser schmerzhaften Erfahrungen immer wieder aufstehen und weiterkämpfen, so zwecklos es auch scheint." Bevor Levi antworten konnte, versiegelte Eren seine Lippen und die des Corporals zu einem leidenschaftlichen Kuss. Der Corporal schloss die Augen und eine letzte Träne fand ihren Weg über seine Wange. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)