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Lost Tales

von

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Shannon

Am nächsten Morgen war ausnahmsweise Shannon die erste, die wach war. Sie hatte einen völlig konfusen Traum gehabt, von Alexa, Dante, Gero, Less und einem seltsamen Krieger. Beim näheren überlegen kam sie zu dem Schluss, dass dies der Drachengardist sein musste... ja, zweifellos, denn dieser Krieger hatte kein Gesicht gehabt, sondern sie hatte nur seine Ausrüstung gesehen, denn die hatte Alexa mehr als genau beschrieben. Im ihrem Traum hatte Dante versucht, Alexa umzubringen. Gero war dazwischen gegangen und schwer verletzt worden, dann tauchte dieser seltsame Krieger auf, schwang sein Escudon und plötzlich standen er und Alexa auf der kleinen Wiese hinter dem Schloss. Dante war spurlos verschwunden, die beiden sahen sich einfach nur an. Dann fing das Schloss plötzlich Feuer, alles brannte lichterloh, und aus diesen Flammen kam ein schwarzer Drache geschritten. Noch bevor Alexa und der Krieger reagieren konnten, verwandelte sich der Drache in einen dunkelhäutigen Mann mit roten Augen und einer pechschwarzen, dämonisch geformten Rüstung, zog einen gewaltigen, schwarzen Krummsäbel und rannte auf den Gardisten zu. Er holte mit seinem Säbel aus, schlug nach dem Krieger und schrie dabei, völlig außer sich: "Tod allen Drachen und ihren Freunden!" Doch sein Schlag wurde mühelos von dem Krieger in weiß pariert. Nach einem kurzen Gemenge rannte der Mann in schwarz wie im Berserkerrausch auf Alexa zu und zog seine Säbel einmal quer über ihren Bauch. Das Mädchen brach blutend zusammen, und gleich danach startete der Gardist einen weiteren Angriff mit den Worten: "Tod allen Drachentötern und ihren Verbündeten!" Dann schlug er dem Anderen den Kopf ab. Schwarzes Blut klebte an seiner Klinge und begann zu dampfen, doch es kümmerte ihn nicht. Er kniete sich zu Alexa, berührte mit der Handfläche ihre Wunde, murmelte irgend etwas in einer Sprache, von der Shannon nicht einmal eine Vorstellung hatte, welche es sein könnte, und innerhalb von Sekunden war die Wunde des Mädchens verschwunden. Sie richtete den Oberkörper auf, warf sich in die Arme des Kriegers und ließ sich dann von ihm verführen... hier endete der Traum. Was träumst du bloß für einen Schwachsinn?, machte sich Shannon über sich selbst lustig. Alexa würde so etwas nie tun, das weißt du...du kennst sie lang genug! Ja, lang genug kannte Shannon ihre Freundin wahrhaftig...

"Papa, mir ist soooooo langweilig!", quengelte die Kleine. Pierre seufzte. "Ach Shannon... Papa kann jetzt nicht mit dir spielen!" Er überlegte kurz. "Frag doch mal Silva, ob sie mit dir spielt!" Shannon verzog das Gesicht. "Ich will mal mit wem anderen spielen als immer nur mit Silva!" Ihr Vater schüttelte den Kopf. "Tut mir leid, meine Süße, aber heute musst du noch einmal mit Silva spielen! Ich kümmere mich darum, dass du einen neuen Freund bekommst, mit dem du spielen kannst, in Ordnung?" Shannon nickte zufrieden und trollte sich grinsend. Sie suchte Silva, ihre beste Freundin. Silva war ein halbes Jahr älter als Shannon, also gerade sechs geworden, und hatte fast nie etwas zu tun, also spielte sie mit Shannon in der Umgebung des Schlosses. Die beide hatten schon so viele 'Abenteuer' erlebt... sie waren Räuber gewesen, Prinzessinnen, wilde Tiere, kühne Ritter... doch langsam wurde es Shannon langweilig, immer nur mit der selben Person zu spielen. Sie wünschte sich einen neuen Spielkamerad! Silva wusste davon natürlich nichts. Sie war fest überzeugt davon, dass Shannon sie vergötterte und sie ihr sogar wichtiger war als Pierre. Als sie ihre Freundin kommen sah, rief sie ihr entgegen: "Hallo Shannon! Ich hab mir wieder ein ganz tolles Spiel für uns ausgedacht!" Shannons Herz machte einen Sprung. Silvas Ideen waren immer gut, das musste sie zugeben. "Au fein! Was spielen wir heute? Und wohin gehen wir?" Das ältere Mädchen lächelte. "Überraschung! Komm einfach mit!" Dann sprang sie auf und rannte weg. Shannon hatte immer Mühe, ihr zu folgen, denn Silva war viel größer als ihre Freundin und hatte daher auch längere Beine. Und sie war schnell. Sie rannte aus dem Schlosstor hinaus, die Straße hinunter, auf die Wiese hinter dem Schloss und weiter zum nicht weit entfernten Fluss. Es war der selbe Fluss, der auch durch das verlorene Tal floss, aber die Mädchen wussten nichts von der Existenz dieses Tales und es interessierte sie überhaupt nicht, woher der Fluss kam und wohin sein Weg führte. Was sie interessierte war, dass er da war. Und Silva interessierte im Moment die steilste Stelle des Ufers, einer recht steil abfallenden Felswand, voller riesiger Brocken. Sie ging direkt zu dieser Stelle. "Schau, Shannon, hier spielen wir!" Shannon sah der Sache mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. "Aber Silva... mein Papa sagt immer, dass..." Silva erwiderte forsch: "Du immer mit deinem Papa! Ist doch egal, was er sagt, hier kann doch nichts passieren!" Shannon war anderer Meinung. Pierre hatte ihr immer gesagt: 'Shannon, wenn du unten am Fluss spielst, meide die Stelle, an der die Felsbrocken sind... auch, wenn es stabil aussieht, diese Stelle ist viel brüchiger, als man denkt und es kann schnell etwas passieren!' Das Mädchen hatte schon immer viel auf das Wort ihres Vaters gegeben. Ihre Mutter hatte sie nie kennengelernt, die war ums Leben gekommen, als ihre Tochter ein halbes Jahr alt war. Shannon wusste nicht, wie sie gestorben war, aber wenn sie es gewusst hätte, wäre ihre Angst wahrscheinlich noch gewachsen: Ihre Eltern hatten damals ein Picknick gemacht, an eben dieser Stelle, an der sie jetzt stand. Ihre Mutter hatte die kleine Shannon an Pierre gegeben, war auf einen der Felsen geklettert und hatte angefangen zu tanzen. 'Schau, Pierre, ich bin eine Fee! Nein, eine Elfe! So leicht wie eine Feder und so frei wie ein Vogel!' Pierre hatte schmunzelnd hinzugefügt: 'Und schön wie der Morgen, Geliebte! Du überstrahlst den Mond bei Nacht!' Sie hatte gelacht, war von einem Felsen zum nächsten gesprungen, leicht wie eine Feder und immer tanzend. Dann war es passiert. Ein Stein unter ihr hatte sich gelöst und eine kleine Lawine ausgelöst. Elena -so hatte Shannons Mutter geheißen- war gestürzt, hart auf den Boden aufgeschlagen und hatte sich ihr Bein gebrochen. Es war von einem Stein, der von oben herabfiel, zertrümmert worden. Pierre wollte ihr helfen, doch gerade, als er aufsprang, löste sich weiter oben ein Fels von der Größe eines Pferdes und fiel direkt auf Elena. Er zerschmetterte alle Knochen in ihrem Körper und hinterließ einen todunglücklichen Witwer mit einem sechs Monate alten Baby. Pierre hatte es nie vergessen und er trug immer dieses schreckliche Bild mit sich herum, wie seine geliebte Frau von diesem Felsen erschlagen wurde, er hörte das furchtbare Geräusch der brechenden Knochen, er sah den blutigen Arm unter dem Felsen herausschauen und das Blut in den Fluss hinab rinnen. Irgendwann würde er Shannon vom grausamen Tod ihrer Mutter erzählen, doch noch war sie zu jung, um dies zu verstehen.

Nun war es Silva, die auf den Felsen tanzte. Shannon bat sie mehrmals, damit aufzuhören, doch sie erwiderte immer nur lachend: "Wieso denn? Es passiert doch nichts! Ich bin heute eine Elfe, schön wie der Morgen und leicht wie eine Feder!" Silva verkaufte dies als ihre eigenen Worte, aber Shannon wusste genau, dass das die Worte waren, mit denen ihr Vater immer von seiner toten Frau sprach: 'Elena war eine Hochelfe gewesen, Shannon, wahrscheinlich die letzte, doch sie war unerkannt... trotzdem, sie war leicht wie eine Feder und schön wie der Morgen... ich wünschte, ich hätte ihre Schönheit festhalten können...' Sie wurde zornig, als Silva so dreist diese Worte kopierte. Böse rief sie: "Sprich nicht von dir, als wärest du Elena die Elfe! Du bist nicht schön wie der Morgen und auch nicht leicht wie eine Feder! Du bist ein Mensch, genau wie ich!" Silva unterbrach ihren Tanz. "Elena die Elfe? Die Elfe?? Willst du mich zum Lachen bringen? Elena war schön wie eine Elfe, aber wenn sie eine gewesen wäre, hätte sie eine schöne Tochter zur Welt gebracht und nicht dich!" Dann lachte sie gehässig. Shannon wünschte ihr den Tod an den Hals, nahm einen kleinen Stein, der neben ihr lag und warf ihn Silva genau an den Kopf. "Ich hasse dich, du widerliches Biest!", fauchte sie zornig. Silva rieb sich erschrocken den Kopf, dann griff sie ebenfalls nach einem Stein und warf ihn nach Shannon. Er war mindestens dreimal so groß wie der, den das jüngere Mädchen geworfen hatte, doch Shannon konnte zum Glück ausweichen. Silva jedoch hatte den falschen Stein gewählt. Ein Fels nach dem anderen sprang das Ufer hinunter und traf sie. Zuerst prasselten Tausende kleine Kiesel auf sie hinab und schlugen ihr blaue Flecke und kleine Platzwunden, dann kamen die großen Brocken ins Rollen. Den ersten beiden vermochte sie noch auszuweichen, dann jedoch löste sich der Fels, auf dem sie stand, und sie stürzte wie vor fünf Jahren Elena. Und auch sie wurde von einem gewaltigen Felsen erschlagen. Shannon stand zuerst wie paralysiert da, als sie das furchtbare Krachen hörte, starrte auf den einzelnen Arm, der noch unter dem Felsen hervorragte, beobachtete das Blut, das in den Fluss hinunter floss. Dann rannte sie zu Silva, ergriff den Arm, der frei lag und versuchte, ihre Freundin unter dem Felsen herauszuziehen. Es war vergeblich. Sie schluchzte: "Silva, es tut mir leid! Das wollte ich nicht! Komm schon, tu den dummen Stein weg und steh auf!" Doch Silva bewegte sich nicht. Kurz entschlossen rannte sie davon, sprang das Ufer hinauf, fegte über die Wiesen und rannte ins Schloss. Als sie dort ankam, verdreckt und mit Silvas Blut befleckt, schrie sie panisch und weinend: "Silva ist gestürzt! Sie hat sich weh getan!" Einer der Soldaten, die gerade Wache schieben 'durften', kam lächelnd zu ihr, kniete sich vor sie und fragte: "Was ist denn los, Kleine? Was hat sich Silva denn getan?" Shannon erzählte unter Schluchzen, dass Silva gestürzt war und das Ufer ins Rollen gekommen und dass sie nun unter einem großen Stein eingeklemmt war und sich nicht bewegte und nicht antwortete. Die Miene des Mannes verfinsterte sich sofort. "Silva... das ist doch..." Er drehte sich zu dem anderen Soldaten, der das Tor bewachen musste und rief ihm zu: "Hey, Roy, ist Silva nicht deine kleine Schwester?" Dieser nickte. "Wieso, was ist mit ihr?" Da erst entdeckte er Shannon. Sofort sprang er von der Bank auf, auf der er es sich gerade bequem gemacht hatte und rief entsetzt: "Oh Gott, Shannon, was ist mit Silva?" Der zweite Soldat schilderte ihm kurz, was er aus Shannons verwirrten Worten hatte heraus hören können. Roy überlegte nicht lange. "Trommel ein paar Leute zusammen, wir müssen ihr helfen!" Dann rannte er los. Shannon lief zur Küche, zu ihrem Vater und rief ihn auch zur Hilfe. Pierre war immer hilfsbereit und rannte sofort los.

Nur wenige Minuten später waren mehr als zwanzig Leute am Flussufer versammelt. Sie machten sich gerade daran, den Stein beiseite zu schaffen. Pierre wollte helfen, doch dann schaute er sich die Szenerie an, drehte sich um und flüsterte: "Oh mein Gott...Elena!" Shannon schaute ihn an. Dann sagte sie, immer noch unter Tränen und schluchzen: "Sie hat gesagt, sie wäre leicht wie eine Feder und schön wie der Morgen und eine Elfe... dann hab ich gesagt, dass sie nicht Elena die Elfe ist und so etwas nicht sagen soll und sie meinte dann, dass Elena keine Elfe gewesen sein kann, weil sie keine schöne Tochter hatte!" Sie setzte kurz ab, schluchzte und sagte dann: "Und dann ist es passiert..." Roy trat zu den beiden. Er blickte zu Boden und sagte dann traurig: "Sie ist tot. Ihr wurden von dem Felsen alle Knochen zerschmettert... genau wie damals bei..." Pierre unterbrach ihn: "Wenn das stimmt, was meine Tochter sagt, dann hat Silva sich über Elena lustig gemacht und ihre Tochter beleidigt... scheinbar hat sie Elenas Geist verärgert und wurde dafür bestraft... es tut mir leid, Roy!" Roy erwiderte: "Nein, Pierre, das braucht es nicht... es hatte niemand wissen können. Und wenn sie sich wirklich über Elena lustig gemacht hat, geschieht es ihr Recht. Sie wusste genau, wie wunderbar deine Frau war und wie grausam ihr Tod war." Shannon schaute zu ihrem Vater auf, zog an seiner Schürze und fragte dann leise: "Ist Mama etwa das Gleiche passiert?" Pierre nickte. "Ja, meine Kleine... deine Mutter ist genauso gestorben wie Silva... es war genau das gleiche Bild, damals..." Dann seufzte er. "Sie hat mir immer gesagt, dass sich dich vor allem schützen wird, bis du jemanden findest, der dich besser beschützen kann. Sie war eine sehr starke Frau, weißt du... mutig, mit einem starken Willen und immer bereit, sich für einen geliebten Menschen zu opfern. Und scheinbar hat Elena die Elfe heute ihre erste blutige Tat begangen, um einen geliebten Menschen zu schützen..." Shannon blickte wieder zu Boden. Sie sprach nicht mehr, auch wenn ihr viele Sorgen auf der Seele brannten. Sie wusste, dass sie jetzt nie wieder mit Silva spielen könnte, und sie konnte sich auch nicht für den Steinwurf entschuldigen. Jetzt war sie ganz allein und hatte niemanden mehr...

Einige Wochen nach diesem einschneidenden Ereignis verließ Silvas Familie das Schloss. Shannon hörte nie wieder etwas von ihnen. Da sie von nun an allein war, konnte sie viel nachdenken. Sie machte sich Vorwürfe und dachte, sie wäre schuld an diesem Unglück. Wenn sie den Stein nicht geworfen hätte, hätte Silva den Anderen auch nicht geworfen und es wäre nichts passiert. Dann würde sie immer noch mit der Sechsjährigen spielen! Als sie im Schlosshof saß und wieder einmal so etwas dachte, fuhr ein Wagen durch das Tor in den Hof. Es war der Wagen eines fahrenden Händlers, voll mit nutzlosem Ramsch, nützlichen Gebrauchsgegenständen und Luxusgütern, die sich fast nur Adlige leisten konnten. Auf dem Kutschbock saß ein großer Mann mit einem sehr seltsamen, gefiederten Hut, der ein guter Freund ihres Vaters war, was die Kleine jedoch nicht wusste. Neben ihm saß ein kleines Mädchen, das unglaublich verstört aussah. Als das Mädchen auf dem Kutschbock Shannon entdeckte, sprang sie hinab und rannte zu ihr. Sie stellte sich vor sie und fragte: "Warum siehst du so traurig aus?" Shannon schaute sie an, antwortete aber nicht. Die Kleine fuhr unbeirrt fort: "Ich bin Alexa, und du? Wollen wir Freunde sein?" Das Wort 'Freunde' klang wie Musik in Shannons Ohren. Sie schaute auf, lächelte und erwiderte: "Ich bin Shannon! Und ich wäre gerne mit dir befreundet!" Als Pierre auf den Hof kam, um Shannon zu sagen, dass Alexa ab heute bei ihnen wohnen würde, traute er seinen Augen nicht... die beiden rannten über den Hof, lachten, spielten miteinander, und keiner von beiden war mehr einsam oder traurig. An diesem Tag begann für die beiden die wichtigste Freundschaft ihres Lebens.
 

"Shannon? Hallo? Lebst du noch?" Alexa wedelte mit der Hand vor dem Gesicht ihrer Freundin herum. "Ähm, ja... was hast du gerade gefragt?" Alexa seufzte. "Ich wollte wissen, was du zu der Geschichte von gestern Abend sagst!" Shannon war jetzt wieder voll bei der Sache. "Meinst du die Begegnung mit diesem...ähm...wie hieß er noch gleich...Rofas?" "Rufus.", korrigierte Alexa. "Achja, genau, Rufus... also, die Begegnung mit Rufus oder Dantes komisches Verhalten?" "Beides.", erwiderte die Andere halb abwesend. Shannon bemerkte dieses unverkennbare Glitzern in Alexas Augen, dieses Glitzern, das bei jedem Mädchen zutage trat, wenn... "Sag mal, Süße, bist du in diesen Rufus verknallt? Oder in Dante?" Alexa schüttelte schnell den Kopf. "Nein! Aber du solltest ihn mal sehen... dieses Gesicht... diese Augen... ich sage dir, sowas hab ich noch nicht gesehen! Er hat goldene Augen, die sehen aus wie der See im verlorenen Tal bei Sonnenuntergang!" Shannon grinste und sagte: "Hört sich gut an... wenn du ihn das nächste Mal triffst, sag ihm, er soll sich mir vorstellen!" Alexa kicherte. "Ich stell mir gerade dein Gesicht vor, wenn Rufus vor dir steht..." Shannon hakte jetzt nach, Sie war neugierig geworden. "Sieht er denn genauso gut aus wie Dante?" Alexa winkte ab. "Vergiss Dante, Schätzchen! Rufus sieht viel besser aus, VIEL besser! Du kannst einen Ork neben einen Hochelf stellen und hast den selben Effekt! Und er hat so eine glitzernde Aura... so ein Leuchten, das ihn nachts umgibt... und überhaupt, er strahlt Wärme und Geborgenheit aus. Wenn er in der Nähe ist, fühlst du dich einfach sicher! Dante macht einem ja eher Angst..." Ihre Freundin nickte leicht. "Stimmt, jedes Mal, wenn Dante mit einem spricht, jagen einem die Schauer über den Rücken... das liegt an seinem Dämonenblut, oder?" "Wahrscheinlich..." Damit war das Gespräch für die beiden beendet. Es war seltsam. Normalerweise redeten sie stundenlang miteinander, aber auf dieser Reise sprachen sie sehr selten. Jede verlor sich in ihren eigenen Gedanken und sorgte sich um ihre eigenen Angelegenheiten. Sehr ungewöhnlich für die beiden. Dies war in all den Jahren ihrer Freundschaft eigentlich nie vorgekommen...
 

"Shannon!" Alexa kam angerannt und viel fast über ihr viel zu großes Kleid. "Schau mal, was Pierre mir geschenkt hat!" Heute war Alexas zwölfter Geburtstag und Pierre hatte ihr ein schönes, weißes Kleid geschenkt, das die Attrappe eines großen Diamant auf der Brust hatte und von diesem Stein auch weitgehend zusammengehalten wurde. Über die Schultern zogen sich noch jeweils drei dünne Träger, die ebenfalls an diesem Stein befestigt waren. Das Kleid an sich war gerafft und umspielte mit seinen vielen Falten Alexas schlanken Körper, der jedoch noch keinerlei Anzeichen von weiblichen Rundungen erkennen ließ. Das Kleid war ihr sowieso viel zu groß, aber sie freute sich riesig über dieses Geschenk. "Wow, das sieht ja toll aus!", rief Shannon begeistert. Sie wusste genau, dass dieses Kleid Alexa erst richtig passen würde, wenn sie noch einige Jahre älter geworden war, doch sie fand es jetzt schon sehr schön. Ihre Freundin stellte sich vor sie, drehte sich einige Male schwungvoll und präsentierte sich dann von allen Seiten. "Ich sehe doch fast aus, wie eine Königin!" Shannon erwiderte lächelnd: "Nein, Alexa, du siehst aus wie eine Elfe! Oder eine Hohepriesterin!" Das Volk der Elfen hatte bis vor 500 Jahren auf Amlug -dies war der Name der Welt, in der auch Shannon und Alexa lebten- gelebt, dann waren sie spurlos verschwunden. Niemand wusste, wohin sie gegangen waren und ob sie je wieder zurückkehren würden, doch die Schönheit der Elfen war über die Jahre hinweg ein Mythos geworden. Und die Hohepriesterinnen waren die am meisten geehrten Frauen Amlugs. In ihnen wurden direkte Sendboten der Götter gesehen, und besonders hoch verehrt wurden diejenigen, die den Drachengöttern geweiht waren: Die Hohepriesterinnen Ifrits, Shivas, Typhoons, Fenrirs und Kains. Sie wurden in wunderschöne Kleider gehüllt und fast so verehrt wie die Menschengötter. Doch eine einzige Priesterin wurde gefürchtet: die Hohepriesterin des schwarzen Chaosdrachen Kron, dem bösesten Drachen, der existierte. Alle schwarzen Drachen stammten von Kron ab und dies waren die Drachen, die andere Drachenarten töteten, um ihren Herrn zum mächtigsten Wesen Amlugs zu machen. Dies war einer der gründe, warum ein Großteil der Bevölkerung Amlugs froh war, dass alle Drachen verschwunden waren und sie fürchteten Krons Erwachen, denn er hasste die Menschheit und würde sie sicher vernichten. Seine Hohepriesterin Airin war eine mächtige Hexe und praktizierte die schwärzeste Magie. Ihre Macht war verheerend und wenn Kron erwachen würde, sie hätte die Menschheit durch die Kraft, die sie dadurch erhielt, ausgelöscht. Alexa erschauerte bei diesem Gedanken. "Ach hör auf, du erinnerst mich wieder an Airin... ich habe Gerüchte gehört, dass sie ein Ritual plant, um Kron wiederzuerwecken! Furchtbare Vorstellung, oder?" Shannon legte sich auf einen Heuberg. "Ach, und wo soll das sein? Ich meine...Airin wird doch wohl in keiner Stadt oder in keinem Königreich Zuflucht finden für ihre schwarzen Riten?" Alexa schüttelte den Kopf. "Es heißt, sie lebt jetzt in den schwarzen Bergen und beherrscht die Orks und Trolle dort durch eine Terrorherrschaft. Sie hat ihre Häuptlinge getötet und sich die Köpfe über ihren Thron gehängt und jetzt herrscht sie dort und plant Böses..." Jetzt war es Shannon, die erschauerte. "Grausam... hoffentlich ist das wirklich nur ein Gerücht, ansonsten sieht übel aus für uns..." Alexa nickte. "Ja, hoffentlich..."
 

Es war bereits später Nachmittag, als die Gruppe endlich rastete. Viele hatten auf Rast gedrängt: Ihre Pferde waren erschöpft, sie waren hungrig und durstig und wollten sich im Schatten irgendeines Baumes ausruhen, während die Tiere ebenfalls Nahrung aufnahmen. Nur widerwillig gab Dante nach. Er war es gewöhnt, nach dem Frühstück erst am Abend wieder zu essen, denn er war an das Leben im Wald gewöhnt. Doch er rief sich immer wieder ins Gedächtnis, dass er es hier mit einer Gesandtschaft des königlichen Hofes zu tun hatte und diese sicherlich nicht so abgehärtet war wie er. Er und seine Männer saßen wie immer etwas abseits der Gruppe, aßen ein wenig, tranken etwas und unterhielten sich über den Weg, der noch vor ihnen lag und noch viele andere Dinge, die allerdings keiner der Reisenden einordnen konnte.
 

Shannon seufzte. Irgendwie war diese Reise tödlich langweilig... die Reisenden hatten schon fast das Gebirge erreicht und diese Reise war komplett ereignislos verlaufen! Shannon hatte sich schon die tollsten Abenteuer ausgemalt und war entsprechend enttäuscht, dass nichts Aufregendes geschah. Sicherlich war es gut, schnell voranzukommen, aber wäre nicht wenigstens ein winzig kleiner Überfall möglich gewesen? Shannon wollte Action, und das so schnell wie möglich! Noch während sie sich in diesem Gedankengang befand, lichtete sich der Wald urplötzlich und die Gruppe befand sich auf freier Flur: Das Gebirge war erreicht. Dante hielt wie immer an und rief: "Hier werden wir die Nacht verbringen! Der Weg übers Gebirge ist bei Dunkelheit zu gefährlich!" Weitere Worte sprach er nicht, sondern er setzte sich abseits der Gruppe auf einen der Felsbrocken, die hier aus dem Boden ragten, die letzten Ausläufer des Gebirges. Mit gesenktem Kopf dachte er wieder an seine Vergangenheit...

"Dante? Alles okay?" Dante schaute auf, direkt in Less' besorgtes Gesicht. "J...ja... mir geht's gut..." Less packte ihn am Kinn und zog sein Gesicht wieder nach oben, als er gerade den Kopf senken wollte. "Das glaube ich dir nicht! Was ist los?" Dante seufzte. "Weißt du, dieser Ort hier... das ruft Erinnerungen wach..." Less nickte. "Ich versteh schon... weißt du was? Leg dich am besten hin und schlaf ne Runde, ich übernehme deine Wache!" Dante wollte gerade widersprechen, als Less noch einwarf: "Du hast die letzten paar Tage kaum geschlafen und immer aufgepasst... jetzt bin ich mal dran! Ich kann sowieso nicht schlafen, warum soll ich da nicht die Wache übernehmen?" Dante war einverstanden. Er nickte leicht lächelnd, bedankte sich bei Less und legte sich dann zum Schlafen hin. Binnen von Sekunden war er eingeschlafen und versank in einem tiefen Traum...



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