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Constant Craving

~alone no more~
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
So..lassen wir die nächsten Bomben mal platzen :< Komplett anzeigen

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The blood's soothing ability

Reglos, nur in einer engen Panty, saß er auf der Kante seines Bettes, hatte sich die bordeaux-farbene Decke um seine Schultern gelegt. Seine Hände zitterten, wenn auch nicht vor Kälte. Langsam setzte er die Klinge an die Innenseite seines Oberschenkels. Unsicher knabberte er sich auf der Unterlippe herum. Er wollte das eigentlich nicht machen. Dennoch tat er es immer wieder, wenn ihm alles zu viel wurde. Er sich schlecht fühlte. Er etwas getan hatte, worauf er nicht stolz war. Heute war es alles zusammen.
 

Die Rasierklinge drückte gegen seinen Oberschenkel und langsam durchschnitt sie die Haut. Den Schmerz spürte er kaum. Es war nicht unangenehm. Wie in Trance zog er die Klinge von der Innenseite über seinen Oberschenkel nach links zur anderen Seite. Eigentlich vermied er solch langen Schnitte, doch gerade konnte er die Klinge nicht absetzen. Es blutete kaum. Nicht nennenswert. Er hob die Hand langsam und setzte einen neuen Schnitt an, unterhalb des frischen. Diesmal drückte er die Klinge tiefer in seine Haut, schon bald quollen die ersten Blutstropfen aus dem Schnitt, welcher kürzer war als der vorige. Karyu blinzelte und stoppte. Die Klinge fiel leise klimpernd zu Boden, während er die beiden neuen Schnitte betrachtete. Auf seinem rechten Oberschenkel befanden sich bereits einige kleine Schnitte. Von vorletzter Woche.
 

Er atmete tief durch und beobachtete die Wunden, die leicht bluteten. Langsam wurde ihm die Stille bewusst. In seiner Wohnung war es immer so furchtbar still... Stumm und wieder in eine Starre verfallen, starrte er auf seine Oberschenkel. Wie lange er so dasaß, mit der Bettdecke um die Schultern, wusste er nicht. Oft verließ ihn das Zeitgefühl.
 

Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Er schreckte auf und blinzelte. Eine SMS, es handelte sich lediglich um eine SMS... Seufzend stand er auf. Die Schnitte hatten bereits aufgehört zu bluten. Mit leichtem Schmerz im Oberschenkel, aber etwas Erleichterung im Herzen, verließ er das Schlafzimmer und griff sich im Flur das Handy. Sein Herz machte einen unangenehmen Satz. Eine Nachricht von Zero. »Bei dem Club hast du nicht viel verpasst. Du bist sicher noch im Probenraum, aber mach nicht zu lange! Z.«
 

Karyu schluckte und legte das Gerät wieder hin. Da er ohne die Decke um die Schultern fror, die er auf dem Bett zurück gelassen hatte, zog er sich seine Schlafsachen an und kochte sich dann in der Küche einen Tee.

Nach der heutigen Probe der Band hatten sie etwas zusammen unternehmen wollen. Sie hatten nicht gleich gewusst, was sie machen wollten und waren zu viert auf den Straßen umher gelaufen, bis sie schließlich vor einem der angesagten Clubs Tokyos stehen geblieben waren. Allerdings hatte sich herausgestellt, dass der Eintritt erst ab 20 möglich war - da war Karyu als Jüngster in der Band mit 5 Monaten zu früh dran. Er durfte nicht mit hinein. Er hatte den Anderen den Spaß nicht vermiesen wollen, die sich unsicher angesehen hatten. Karyu hatte abgewunken und so getan, als störe es ihn nicht, dass er nicht mitkommen konnte. Großspurig hatte er davon geredet, sich im Probenraum ein paar Ideen hinzugeben, woraufhin die Anderen in den Club gegangen waren. Er hatte ihnen hinterher gesehen und war seufzend nach Hause zurück gefahren. Auf den kalten, kargen Probenraum hatte er beim besten Willen keine Lust mehr. Er hatte sich furchtbar ausgeschlossen gefühlt und das tat er immer noch. Es war ihm unangenehm und peinlich gewesen, so vorgeführt zu werden. Als Einziger nicht hinein zu dürfen, weil er zu jung war...
 

Er versuchte den Gedanken zu verscheuchen und nahm die heiße Tasse Tee in sein Schlafzimmer. Wenn er jetzt weiter darüber nachdachte, würde er sich wieder die Klinge nehmen und weiter machen. Apropos Klinge... Er bückte sich und hob diese auf, um damit ins Bad zu gehen. Er wusch die Klinge und tupfte sich mit feuchten Tüchern den Oberschenkel ab, bevor er zurück ins Bett kletterte und den Fernseher anmachte. Zero schrieb er nicht zurück. Es war lieb von ihm gewesen, die Nachricht zu schreiben, aber es änderte doch überhaupt nichts an der Situation. Auf den Fernseher achtete er nicht. Abwesend nippte er ab und an am Tee, überlegte, ob er eine rauchen sollte oder sich die letzte Flasche Bier genehmigen sollte, doch statt es zu tun, schlief er irgendwann einfach ein. Das Flackern des Fernsehers, die einzige Licht- und Tonquelle, störte ihn dabei nicht.
 

Am nächsten Tag hatte die Band um die Mittagszeit herum Probe. Es tat dann doch ziemlich weh, so lange mit der Gitarre vor dem Körper stehen zu müssen. Verbissen spielte er weiter und versuchte, sich nichts von den Schmerzen in den Oberschenkeln anmerken zu lassen - denn nicht nur die frischen Wunden ziepten etwas. Nach einer Stunde Probe war er kurz davor, sich hinzusetzen. Eine halbe Stunde später konnte er sich nicht mehr richtig aufs Spielen konzentrieren und setzte sich tatsächlich zwischen zwei Songs auf einen der Hocker. Dies allerdings nahm Tsukasa, ihr Drummer, zum Anlass, eine Pause vorzuschlagen. Er und Hizumi wechselten einen unauffälligen, raschen Blick mit ihrem Bassisten, bevor sie den Raum verließen, um zu rauchen und einen Kaffee zu holen.

Zero stellte seinen Bass in die Halterung, während Karyu sitzen blieb und gedankenverloren auf den Saiten spielte. Er sah erst auf, als der Bassist sich auf die Couch ihm gegenüber setzte und ihn ansprach. "Du solltest besser aufpassen."

Verwirrt sah er Zero an. "Wie bitte?"

"Die Schnitte. Mach weniger oder zieh sie nicht mehr so tief."
 

Ihm wurde heiß und kalt zugleich. Er öffnete den Mund um zu widersprechen, den Unwissenden zu spielen, aber kein Ton kam aus seinem Mund. Zero schaute ihn ruhig, beinahe ausdruckslos an. Seine Stimme war sanft gewesen. Woher wusste er, dass er sich selbst weh tat?

Ein schwaches Lächeln umspielte die vollen Lippen des Anderen. Als hätte er seine Gedanken erraten. "Wir haben es alle gemerkt, Karyu. Aber wir hielten es für besser, uns nicht einzumischen. Es ist eine heikle Sache, jemanden darauf anzusprechen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass es in letzter Zeit schlimmer geworden ist. Du hast dich auch ein bisschen verändert.." Stumm erwiderte er Zeros Blick, ohne etwas zu sagen. "Du bist stiller geworden. Und, na ja...deine Noten sprechen Bände." Ernst sah der Bassist ihn an. "Tun sie sehr weh? Die Wunden an deinen Oberschenkeln?" Karyu runzelte nur unwillig die Stirn und schüttelte den Kopf, bevor er diesen senkte und wieder etwas die Saiten bespielte. Er wollte dieses Gespräch jetzt nicht.

Das schien auch der Bassist einzusehen. Seufzend erhob dieser sich. "Wir sind für dich da, Karyu." Mit diesen Worten verließ Zero den Raum. Aufgewühlt hob Karyu den Kopf und starrte auf die sich schließende Tür. Was war das gewesen? Aus heiterem Himmel hatte ihn der Andere darauf angesprochen und so schnell wie es gekommen war, war das Thema auch wieder fallen gelassen worden. Es war ihm lieber, als dass sie darüber sprachen, aber dennoch..es war alles sehr verwirrend.
 

Die Probe dauerte dann auch nicht mehr lange. Karyu beeilte sich, den Probenraum zu verlassen und nach Hause zu kommen. Er musste arbeiten. Zwar zahlten ihm seine Eltern die Miete, aber alles andere musste er ja von irgendetwas bezahlen, solange sie noch nicht von der Musik leben konnten. Er arbeitete in einer Buchhandlung im Stadtzentrum, doch auch seine Bandkollegen hatten Jobs: Zero war Bedienung in einem recht vornehmen Café, Tsukasa war Kellner in einem Ramen-Restaurant und Hizumi arbeitete in einem Modegeschäft.
 

In der Buchhandlung war an diesem Tag so viel los, dass es ihn ablenkte von seinen wirren Gedanken. Erst als er zu Hause zur Ruhe kam, fand er sich schnell wieder nackt auf dem Bett sitzend vor, hatte ein kleines, äußerst scharfes Messer in der Hand. Im Hintergrund lief leise Musik, die dunkel, orchestral dahin floss und bestens zu seiner Stimmung passte.

Fest presste er die Lippen zusammen, während er die ersten, feinen Schnitte setzte. Viel Druck benötigte das Messer dabei nicht. Trotz des süßen Schmerzes musste er an Zero denken. Daran, dass dieser etwas wissen musste. Ob er ihn nochmals darauf ansprechen würde? Ihm alles ausreden würde? Ihn für krank erklären würde? Karyu schämte sich nicht für das, was er machte, aber er wollte nur nicht, dass Anderes es erfuhren, um ihm dazwischen zu reden. Er brauchte das hier!
 

Abwesend glitt sein Finger zum 3. Schnitt, welcher leicht blutete. Mit der Fingerkuppe fing er den roten Tropfen auf und leckte ihn langsam ab. Mh, das gefiel ihm. Der Geschmack betörte seine Sinne. Er begann, ältere Schnitte zu öffnen die sich oberhalb seines rechten Knies befanden, streckte das Bein und leckte das warme Blut, das daraus hervorquoll, genüsslich mit der Zunge ab. Immer wieder kam jedoch der Gedanke an die Probe zurück, Zeros Gesicht, die leise Belehrung in dessen Stimme. Das gefiel ihm gar nicht.

Karyu dachte gar nicht mehr darüber nach, wie viele Schnitte er gesetzt hatte und wie viele alte offen waren - er war sich nicht bewusst, wie viel Blut er nach und nach verlor. Sein Kopf fühlte sich immer schwerer an, alles begann sich langsam vor seinen Augen zu drehen. Mit zitternden Händen legte er das Messer beiseite und ließ sich auf das Bett sinken. Mit der dunklen Musik im Ohr, dem betörenden Geschmack von Blut im Mund, schlief er beinahe sofort ein.
 

Erst der Wecker holte ihn aus seinem tiefen Schlaf. Murrend starrte er das Teil an und streckte den Arm aus, um das Gerät zum Schweigen zu bringen. Dann drehte er sich auf die Seite und kuschelte sich wieder tiefer in seine Bettdecke. Leicht verzog er das Gesicht. Am Abend stand wieder Bandprobe an. Die Ungewissheit, ob Zero noch mal etwas zu ihm sagen würde, machte ihn nervös.

Es war nicht ungewöhnlich, dass seine Bandkollegen sich um ihn kümmerten und sorgten. Er war der Jüngste in ihrer Band, und das war immer wieder zu spüren. Er genoss es eigentlich sogar, wie die Anderen nach ihm sahen und auf ihn Acht gaben. Sie nannten ihn manchmal sogar süß, er wehrte sich dagegen und schmollte, stellte dann irgendetwas an, was die Anderen wieder dazu brachte, ihn süß zu nennen, nur damit er wieder schmollte. Ein Teufelskreis, den er genoss. Er mochte es, umsorgt zu werden.

Doch wirklich reden, auch über sehr private Sachen, tat er mit ihnen nicht. Auch vom Ritzen hatte er ihnen nichts erzählt. Er hatte Angst, dann noch ganz andere Dinge preiszugeben - dass er oft von ihnen träumte. Für einen jungen Mann in seinem Alter war es sicher normal, erotische Fantasien zu haben, in denen er es mit Frauen trieb - vielleicht war es auch noch normal, dass er diese offensichtlich dominierte, Spaß daran hatte, sie zu unterwerfen. Doch in den letzten Monaten tauchten häufiger seine Freunde in seinen Träumen auf - und nicht er war es, der sie kontrollierte, es war genau andersherum. Tsukasa, der ihn mit der Rasierklinge schnitt, Zero, der ihn fesselte und für seine Zwecke missbrauchte, Hizumi, der ihn bis zum Orgasmus würgte. Das waren Karyus dunkle Fantasien, wirre Visionen, erotische Träume und Gedanken, die ihn des Nachts heimsuchten - und von denen er niemandem erzählte. Keiner würde das verstehen. Er wollte seine Freunde auch nicht verlieren. Er war froh, trotz dieser schmutzigen Gedanken noch normal mit ihnen umgehen zu können. Er konnte sie ansehen und mit ihnen reden, ohne rot zu werden. Das sollte so bleiben. Also führte er möglichst oberflächliche Gespräche mit ihnen, um sich selbst und auch ein Stück weit die Anderen zu beschützen.
 

Schwerfällig quälte er sich aus dem Bett und machte sich etwas zum Frühstück, ging duschen, bevor es zur Arbeit ging. Viel war an diesem Mittag nicht los in der Buchhandlung. Nachdem er die neue Ware einsortiert hatte, verzog er sich zur Ausgabe bestellter Bücher, wo er wartete, dass die Leute ihre Bestellungen abholten. In der Zwischenzeit spielte er leise und unauffällig auf seiner Gitarre, um etwas zu üben für später. Sein Chef war da tolerant und auch die anderen Mitarbeiter kannten das mittlerweile - wenn es ruhig war und wenig bis nichts zu tun gab, durfte er sich ein bisschen zurück ziehen und üben. Solange kein Kunde bedient werden musste.
 

Als er am frühen Abend den Probenraum betrat, war er der letzte, der dort ankam. Tsukasa und Hizumi saßen gemeinsam auf der Couch, während Zero einfach auf dem Boden saß, den Bass angeschlossen und darauf spielend. Drummer und Sänger unterhielten sich leise, um den Bassisten dabei nicht zu stören.

Karyu nickte nur stumm in die Runde, wollte ebenfalls niemanden stören, und lief hinüber zu seinem Verstärker, um die E-Gitarre anzustöpseln. "Wie war die Arbeit?", erkundigte sich der Bassist plötzlich und sah zu ihm.

Er zuckte mit den Schultern, während er die Gitarre auspackte. "Es war nicht viel los", antwortete er. So begann sie ihre Gespräche immer. Tsukasa und Hizumi stiegen mit ein und erhoben sich dabei. Langsam kamen sie in die Gänge, damit die Probe beginnen konnte.
 

Während sie gemeinsam die Lieder durchgingen, spielte er die Blicke der Anderen auf sich. Immer wieder starrte Tsukasa ihm ein Loch in den Rücken, Zeros Blick brannte beinahe, und Hizumi sah immer wieder über den Spiegel zu ihm. Karyu biss sich ständig auf die Unterlippe, um ein leises Wimmern zurück zu halten. Seine Schenkel machten schmerzvoll auf sich aufmerksam.
 

Während das letzte Lied ausklang, verlagerte er sein Gewicht auf den anderen Fuß und genau in diesem Moment schoss ein scharfer Schmerz durch sein Bein, weswegen er das Gesicht verzog und sich ein leises Keuchen nicht verkneifen konnte. Er hatte es gestern Abend definitiv übertrieben! Sofort hatte er alle Blicke auf sich gezogen, doch keiner sagte etwas.

Tsukasa sprach ein paar Punkte der Probe an, die es noch zu verbessern galt, dann räumten sie schnatternd ihre Sachen zusammen, einzig Karyu blieb still und kniete sich umständlich auf den Boden, um seine Gitarre zu verstauen. Tsukasa und Hizumi hatten sich schnell verabschiedet, so dass er mit Zero allein zurück blieb. Sofort fühlte er sich unwohl. Er mochte jeden seiner Bandkollegen, aber er vermied es, alleine mit ihnen zu sein. Da bekam er zu viel Aufmerksamkeit und konnte nicht aus der Situation fliehen, wenn sie zu unangenehm wurde. Im schlimmsten Falle wurde er über irgendetwas ausgefragt, worüber er keine Auskunft geben wollte, aber das wäre unhöflich...und es wäre keiner weiter da, mit dem er ablenken konnte.
 

Er schluckte, nahm seine Gitarre und schulterte seine Tasche, bevor er rasch auf den Ausgang zuging. Doch Zero bat ihn, zu warten. Zögernd drehte er sich um und nahm auf der Couch Platz. Hoffentlich würde es schnell gehen...

Zero stand auf und nahm seine Sachen zusammen, bevor er sich zu ihm umwandte. "Hör auf, es zu verstecken, okay? Wir wissen schon lange, dass du dich ritzt, und wir akzeptieren das. Aber versteck es einfach nicht vor uns." Karyus Augen weiteten sich, sein Herz klopfte unangenehm schnell gegen seinen Brustkorb. "Du konntest dich heute kaum auf den Beinen halten. Hätte ich gewusst, dass es dir so schlecht geht, hätten wir dich einfach auf einen der Stühle gesetzt, das ist doch kein Problem. Wenn du uns gegenüber offen bist, können wir dir helfen oder dir zumindest entgegen kommen, ja?" Zero kam auf ihn zu, während er verwirrt zu ihm aufsah.

"Woher weißt du das denn?"

Der Bassist hob eine Schulter. "Es war nicht schwer, Großer, das zu sehen." Die warmen Hände des Älteren legten sich an seine Wangen. "Wir machen uns Sorgen um dich. Du kannst mit uns reden, wann immer dir danach ist. Wie ich schon sagte, wir sind für dich da. Das meine ich wirklich so, Karyu. Du bist nicht allein." Plötzlich landete ein sanfter Kuss auf seinen Lippen, dann richtete Zero sich auch schon wieder auf und lächelte ihn an. "Wir sehen uns übermorgen, denk dran." Leicht streichelte der Bassist ihm noch über das blond gefärbte Haar, dann verließ er den Probenraum. Mit großen Augen starrte er ihm hinterher. Zwar war er verwirrt, aber zeitgleich durchströmte ihn ein warmes Gefühl. Zeros Worte taten gut, das musste er sich eingestehen. Unruhig auf seiner Unterlippe knabbernd ging auch er nach Hause.
 

An diesem Abend war ihm nicht danach, zur Rasierklinge oder zu einem seiner kleinen Messer zu greifen. Mit einem warmen Tee in der Hand und schon in den Schlafsachen, saß er am Schreibtisch und versuchte, seine Gedanken in Noten zu fassen, schrieb diese dann nieder. Doch es waren nur Teile, Teile die nicht zusammen passten. So entstanden mehrere Ideen für verschiedene Lieder. Irgendwann, aber nicht mehr heute, würde er das alles ordentlich ausarbeiten.
 

Als er am nächsten Tag vom Nachmittag an arbeitete, erhielt er eine Nachricht von Tsukasa, der ihn zum Karaoke einlud. Ihr Drummer ging öfter im Monat singen, so oft, dass er manchmal keine Freunde mehr fand, die mit ihm hingingen. So wohl auch heute, dem Wortlaut der SMS nach. Allerdings lehnte er höflich ab. Alleine mit Tsukasa singen gehen? Am Ende sprach dieser ihn auch noch auf seine Schnittwunden an. Allerdings befürchtete Karyu auch, den anderen dann zu intensiv zu betrachten. Das passierte ihm öfter, dass er seine Bandkollegen lange anstarrte, während im Hinterkopf seine Fantasien aufstiegen. Nicht selten war er in einen Tagtraum versunken und schließlich rot angelaufen, als man ihn angesprochen hatte...
 

+++
 

to be continued

Fetish

"Kommt schon, es ist Freitag! Seid keine Langweiler", strahlte Hizumi in die Runde und sah jeden seiner Bandkollegen leicht bittend an.

Karyu hob eine Schulter. "Weiß nicht...", murmelte er elanlos. Wirklich nach feiern gehen war ihm nicht.

Tsukasa seufzte. "Ich würde schon mitkommen, denke ich. Lasst uns erstmal proben, und dann schauen wir, ob wir noch Lust auf den Club haben.", schlug er diplomatisch vor.
 

Nervös warf Karyu Zero immer mal wieder einen flüchtigen Blick zu. Er hatte den Drang, mit ihm zu reden. Irgendetwas wollte er ihm sagen, auch wenn er selbst nicht wusste, was das sein sollte. Auch der Bassist schien leicht unkonzentriert.

"Was soll das?" Unvermittelt, beim 4. Song, hörte Tsukasa auf zu spielen und sah die beiden stirnrunzelnd an. "Eure Anspannung kann ich ja richtiggehend fühlen." Er stand auf. "Machen wir eine Pause." So hatte das ja keinen Sinn.

Karyu verzog das Gesicht und stellte die Gitarre beiseite, bevor er sich kurzerhand auf den Boden setzte. Tsuksa nahm mit Hizumi auf der Couch Platz, während Zero sich auf einen Stuhl fallen ließ. Der Gitarrist zog die Beine an und schlang die Arme darum. Zum Glück schmerzten seine Oberschenkel schon etwas weniger...

"Ist etwas zwischen euch vorgefallen?", erkundigte sich Tsukasa, woraufhin er den Kopf schüttelte.

"Nicht direkt", antwortete Zero ruhig. "Ich habe ihm letztens gesagt, dass er aufhören soll, zu verstecken, was er tut..."

Hizumi hob die Augenbrauen. "Was er tut...?"

"Sich ritzen."

Hizumi nickte, während Tsukasa seufzte. "Wir haben doch darüber gesprochen. Wir wollten ihn nicht darauf ansprechen." Verärgert sah der Drummer zum Bassisten, während Karyu sich kleiner machte und versuchte, nicht allzu geschockt zu sein, dass alle 3 offenbar Bescheid wussten.

"Ich weiß, aber..." Zero presste kurz die Lippen aufeinander. "Wir nehmen das schweigend hin und alle tun so, als wäre nichts. Ich will nur nicht, dass wir das weiter ignorieren. Wenn er deswegen kaum noch stehen kann, soll er es uns sagen, anstatt sich unnötig zu quälen während der Probe."

Tsukasa brummte und sah zu Karyu. "Du hast ihn gehört. Bist du einverstanden?" Karyu summte nur.

"Gut, wäre das alles?", erkundigte sich der Drummer, woraufhin er kurz inne hielt. Das war ja nicht ganz alles..

"Ja, mehr war nicht.", antwortete da Zero.

"Stimmt das?"

Sofort nickte Karyu. Den beiden jetzt etwas über den kleinen Kuss zu erzählen, war vielleicht nicht so gut. Er wusste auch nicht, wie die beiden darauf reagieren würden. Er mochte Zero auch nicht in Schwierigkeiten bringen.

Tsukasa zog einen Mundwinkel nach unten. Er ahnte, dass da noch etwas vorgefallen war. "Schön, ihr seid erwachsen. Denkt ihr, ihr könnt jetzt weiter machen?"

Der Bassist bejahte das, doch Karyu zögerte. Die Lust war ihm vergangen. In diesem Augenblick stand Hizumi auf und schüttelte den Kopf. "Nein danke, ich mag nicht mehr. Nehmt es mir nicht übel." Tsukasa nickte und erhob sich ebenfalls. "Dann lasst uns für heute Schluss machen."

In aller Ruhe packte Karyu zusammen. "Zero, ich würde dich bitten, unseren Großen sicher nach Hause zu bringen, ja?", bat der Drummer plötzlich, weswegen Zero und Karyu einen verwirrten Blick miteinander wechselten.

"Ja, in Ordnung", murmelte der Bassist, woraufhin sich Tsukasa und Hizumi zufrieden von ihnen verabschiedeten.
 

Schweigend verließ er mit Zero wenig später das Gebäude. Auf halber Strecke lud der Dunkelhaarige ihn auf einen Kaffee ein und deutete auf ein kleines Café auf der anderen Straßenseite. Widerwillig folgte Karyu ihm. Es wäre unhöflich gewesen, abzulehnen. Das Schweigen zwischen ihnen war unangenehm und er wollte einfach nur nach Hause...
 

Nachdem sie ihre Getränke erhalten hatten, lehnte sich Zero seufzend vor und sah ihn an. "Es tut mir leid, Karyu. Ich hätte dich nicht so überrumpeln sollen. Weder hätte ich dich konfrontieren noch küssen sollen. Das war wohl nicht so gut..." Milde lächelte Zero ihn an. "Ich mag dich, weißt du. Du bist mir wichtig."

Karyu schluckte und errötete etwas, weswegen er den Blick verlegen senkte. So etwas hatte noch nie jemand zu ihm gesagt... "Ich..ich mag dich auch. Sonst wären wir ja nicht in einer Band..", erwiderte er leise.

"Hm..." Zero lächelte ihn sanft an und legte vorsichtig die Hand auf Karyus. "Ich mag dich wirklich. Es ist schade, dass du dich so zurück ziehst." Er blinzelte. Tat er das wirklich? Verbrachten sie schon so viel Zeit zusammen, dass Zero das überhaupt einschätzen konnte? Die warmen Finger des Bassisten strichen sachte über seinen Handrücken. "Ich will ehrlich zu dir sein: ich würde dich gern besser kennen lernen. Ich will für dich da sein." Eindringlich sah der Bassist ihn an. "Du denkst wahrscheinlich, dass du ganz allein auf der Welt bist und sich keiner wirklich ernsthaft für dich interessiert. Du machst selten etwas mit uns. Vielleicht siehst du uns nicht mal als deine Freunde an." Zero neigte den Kopf. "Du kannst ehrlich sein. Bin ich für dich ein Freund oder nur ein Bandkollege?"

Unsicher erwiderte er den Blick und nagte an seiner Unterlippe. Ja, was war Zero für ihn? "Im weiten Sinne schon ein Freund", meinte er leise und räusperte sich.

"Hm...vielleicht definieren wir 'Freund' unterschiedlich. Ein Freund ist für mich jemand, dem ich vertrauen kann. Dem ich alles erzählen kann und mit dem ich gern meine Zeit verbringe. Ich kenne sein Leben fast so gut wie mein eigenes...ja, so stelle ich mir das vor. Und wir beide sind weit davon entfernt, Karyu. Aber das würde ich gerne ändern." Flüchtig leckte sich der Bassist über die Lippen und ließ Karyus Hand los, bevor er sich zurück lehnte und von seinem Kaffee trank.
 

Erneut räusperte sich Karyu. Er war irgendwie sprachlos. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen. Eigentlich würde er auch gern mehr mit Zero unternehmen, aber nach wie vor gab es da ja etwas, was der Andere nicht wissen sollte... Seine Hände krampften sich in seine Hose, während er den Blick gesenkt hielt.

"Was bedrückt dich, hm? Noch kann ich nicht Gedanken lesen." Zero schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln, statt sauer zu sein, dass er nicht antwortete.

"Mh...ich..na ja, ich..kann das nicht erklären."

Zero seufzte. "Fangen wir mal kleiner an: was hältst du von meinem Vorschlag? Dass wir uns besser kennen lernen? Und wirklich Freunde werden im besten Fall?"

"Ich finde ihn gut...ich würde gern mehr mit dir machen, aber es wird sicher Dinge geben, die ich dir nicht erzählen will...", antwortete er leise.

"Alles musst du mir nicht erzählen. Aber ein bisschen wäre schon ein Anfang." Er machte eine kurze Pause. "Ich kann verstehen, dass du uns nicht sofort etwas über deine Bedürfnisse gesagt hast." Bedürfnisse...? Nachdenklich tippte Zero sich gegen das Kinn. "Weißt du, ich denke, wir haben ähnliche Interessen." Das bezweifelte er, weswegen er langsam den Kopf senkte. "Schau nicht so verschämt weg. Karyu, egal woran du auch denkst, du bist weder unnormal noch abartig oder sonstwas. Die meisten haben schmutzige Gedanken, und bei manchen sind sie eben noch etwas schmutziger. Du bist nicht der erste und einzige, der glaubt, sich für seine Gedanken schämen zu müssen."

Aus großen Augen sah er ihn an. Ihm war, als könne Zero genau in seine dunkle, verschrobene Seele gucken. Er schluckte und nickte langsam.

"Hast du das verstanden, Karyu?" Er nickte erneut. "Dann sag was dazu. Irgendwas."

"Ich werd versuchen..offener zu sein", murmelte er, weswegen Zero ihm ein Lächeln schenkte.

"Das klingt gut." Zero ergriff seine Hände. "Ich will dich zu nichts drängen, was du nicht willst. Du musst mir auch nicht alles sofort anvertrauen. Aber ich denke, du kannst jemanden an deiner Seite brauchen. Du solltest nicht so viel allein sein. Ich hab immer ein offenes Ohr für dich, ok?" Er ließ ihn wieder los und fuhr sich durch die Haare. "Ich verspreche dir, dich auch nicht mehr zu küssen. Ich hatte nicht nachgedacht. Alles klar soweit zwischen uns?"

Karyu nickte und versuchte zu lächeln. "Es war nicht wirklich schlimm...das mit dem Kuss. Ich hatte nur nicht mit gerechnet." Er musste schmunzeln. Das war noch untertrieben.

Zero sah ihn interessiert an. "Du fandest es nicht schlimm? Es war also ok für dich?"

"Ja, ich denke schon.."

Der Bassist summte und trank seinen Kaffee aus. "Das ist schön, dann bin ich beruhigt, dir nicht zu nah getreten zu sein."
 

Karyu schüttelte den Kopf. Nein, es hatte ihn wirklich nicht gestört, wenn er ehrlich war. Es sah aus, als ob Zero noch etwas sagen wollte, aber er tat es nicht. Doch die Stimmung war dennoch aufgelockert. Als auch Karyu ausgetrunken hatte, zahlte Zero für sie beide, betonte, Karyu eingeladen zu haben, und sie verließen das leere Café.

"Tsukasa überlegt, nächste Woche mit uns den Club-Besuch nachzuholen, der ja heute ausgefallen ist. Dienstag Abend nach der Probe. Würdest du mitkommen?"

Karyu nickte. "Ja, ich denke schon."

Lächelnd steckte Zero das Handy weg. "Schön. Dann bis dann."

Sie verabschiedeten sich und gingen ihrer Wege. Der Bassist hatte für ihn extra einen Umweg gemacht. Während Karyu keine 5 Minuten mehr heim brauchte, musste Zero noch mit der U-Bahn fahren.
 

Das Wochenende über hatte Karyu einen erstaunlich klaren Kopf. Er nutzte die freie Zeit, um gewissenhaft ihre bisherigen Songs zu üben und abends machte er sich immer daran, an den neuen Ideen und Melodien zu feilen, die ihm letztens eingefallen waren. Aber ganz zufrieden war er nicht.
 

Nicht ein einziges Mal verspürte er den Drang, nach der Rasierklinge zu greifen. Auch wenn das mit Zero eine neue Situation war, verwirrte es ihn nicht mehr so sehr, wie es vielleicht sollte.

Die Probe am Dienstag verlief ausgezeichnet. Seine Bemühungen hatten sich ausgezahlt. Er bemerkte am Rande, wie Tsukasa und Hizumi ab und an Blicke miteinander wechselten. Ihnen war klar, dass etwas gewesen sein musste, dass Zero und Karyu sich wieder gefangen hatten. Aber nachfragen taten sie nicht. Sie waren nur erleichtert.
 

Fröhlich zogen sie wenig später durch die beleuchteten Straßen. "Gehen wir wieder ins CC?", erkundigte sich Hizumi, worauf alle nickten. Warum nicht. In dem Club waren sie schon öfter gewesen, es wäre also nichts Neues, aber er war gut. Er befand sich auch nur ein paar Straßen weiter.

Dort angekommen holte Hizumi an der Bar Getränke, während sie einen Platz suchten, etwas abseits der tanzenden Menge. Karyu teilte sich eine Bank mit Zero, während Tsukasa und schließlich auch Hizumi sich ihnen gegenüber setzten. Sofort setzte sich ein angeregtes Gespräch in Gang. Sie wollten bald unbedingt wieder auftreten, da das letzte Mal doch schon sehr viele Wochen her war. Einige Mädchen hatten sich auch schon erkundigt - Zero und Tsukasa wurden von manchem Stammgast gefragt, die wussten, was ihr Hobby war.
 

Als sich unvermittelt einige interessant aussehende Leute in Lack und Leder verirrten in den Club, hielten die Vier inne. "Haben wir was verpasst?"

"Vielleicht ist heute eine Fetisch-Party", mutmaßte Hizumi grinsend, während sie alle ungeniert die Personen betrachteten.

"Oh, schaut mal, der eine hat doch tatsächlich eine Peitsche dabei!", sagte Tsukasa und deutete auf ein Pärchen. "Seine Freundin lässt sich das so einfach gefallen?"

Karyu senkte lieber den Blick. Er fand es unhöflich, die Leute so anzustarren. Hizumi lenkte das Gespräch dann passend auf Fetische. Ob sie denn welche hätten. Karyu schwieg beharrlich und hielt sich lieber zurück, anstatt dazu eine Antwort abzugeben. Hizumi gab offen zu, überhaupt nichts gegen Fesseln zu haben, obwohl das auch nur die oberflächliche Wahrheit zu sein schien. Tsukasa hatte auch nichts dagegen, zu seinen Vorlieben zu stehen: Rollenspielen. Da hörten sie alle interessiert zu.

Zero für seinen Teil erzählte etwas zu ausschweifend von seinem Sex- und Liebesleben, dass es allen klar war, dass er nur Spaß machte und zur Wahrheit nicht bereit war. Enttäuscht, aus Zero und Karyu nichts Vernünftiges heraus zu bekommen, stand Tsukasa auf. "Ich will tanzen! Kommt wer mit?" Hizumi bot sich sofort an und sie verschwanden auf die Tanzfläche - und konnten nicht mehr stören.
 

Sofort rutschte Zero etwas näher an den Gitarristen heran, sagte aber nichts. Neugierig und mit leichtem Rotschimmer sah er den Bassisten an. "Also du...stehst drauf, wenn die Frauen High-Heels beim Sex anhaben? Und am liebsten hast du deine Dates im Tierpark?" Zero grinste nur. "Und Löwen-Kigurumis turnen dich so richtig an?"

Der Bassist kicherte dunkel. "Wenn sich eine Frau da hineinwirft, kann sie mich zu hundert Prozent verführen.." Zero schüttelte den Kopf und sah ihn dreckig grinsend an. "Nein, eigentlich stehe ich auf groß gewachsene, blonde Gitarristen, die allein beim Wort 'Fetisch' rot anlaufen.."

Der Rotschimmer auf Karyus Wangen wurde stärker. "Uhm...ah ja?"

Zero lächelte ihn leicht an und lehnte sich dicht zu ihm. "Ja, das ist mein Ernst. Karyu, ich mag dich sehr. Ich will dich...", hauchte er in sein Ohr, woraufhin er schluckte und den Kopf zu ihm wandte, sodass ihre Gesichter nur einen Zentimeter voneinander entfernt waren. Ihm wurde ganz heiß, während er den dunklen Blick des Bassisten erwiderte. Zeros Hand legte sich auf sein Bein, strich sanft über seinen empfindlichen Oberschenkel hin zu seinem Knie. "Hast du, abgesehen von meinem Überfall letzte Woche, schon mal einen Mann geküsst?" Mit großen Augen schüttelte er leicht den Kopf, spürte Zeros Atem auf seinen Lippen. "Würdest du es gern mal probieren?" Bevor er es sich wirklich überlegen konnte, nickte er schon angedeutet. Lächelnd überwand Zero den letzten Zentimeter zwischen ihnen und küsste ihn sanft, legte die Lippen leicht auf Karyus. Sofort durchströmte ihn ein warmes, zufriedenes Gefühl. Beinahe automatisch klammerte sich seine eine Hand an Zeros Seite, während er sich leicht in die Polster zurück sinken ließ. Etwas fester, gieriger presste er seine Lippen gegen die des Bassisten. Leise seufzte er auf, als die warme Hand des Anderen sich in seinen Nacken legte, ihn sanft kraulte, aber auch in Position hielt. Diese Chance nutzte Zero, und sogleich strich dessen Zungenspitze über seine Unterlippe. Langsam öffnete Karyu die Lippen, hieß die fremde Zunge schüchtern in seinem Mund willkommen. Immer wenn er zu verlangend wurde, zog Zeros Zunge sich ein Stück zurück, wenn er ihr folgte, drängte der Bassist ihn kurz zurück, weswegen er mehr oder weniger geduldig wartete, bis die Zunge des Anderen wieder zu ihm kam und die seine erneut umspielte. So war er ganz vertieft in den Kuss, war entzückt und drängte sich leicht an den Bassisten, dessen Hand er ganz genau auf seinem Bein spürte. Doch eigentlich wollte er noch weiter angefasst werden!

Zero aber trennte sich langsam von seinen Lippen. "Hat's dir gefallen?", wisperte er und lächelte ihn leicht an. Stumm nickte er. "Dann sollten wir das..woanders hin verlagern." Dem stimmte er zu. Zero nahm seine Hand von Karyus Oberschenkel und rutschte ein Stück zurück.
 

Tsukasa und Hizumi standen währenddessen etwas abseits und hatten die beiden beobachtet. "Na was ist denn da los?" Amüsiert betrachtete der Sänger die beiden.

"Da muss ja noch einiges zwischen ihnen passiert sein", meinte Tsukasa und lächelte leicht, während die beiden sich sanft und ausgiebig küssten. "Sie könnten sich gegenseitig gut tun, was denkst du?"

Hizumi nickte. "Wir sollten uns nicht zu viele Sorgen machen. Wahrscheinlich wäre es gerade für Karyu gut, jemanden an seiner Seite zu haben."
 

"Hättest du übermorgen Zeit? Du kannst mich nach der Arbeit besuchen", schlug Zero leise vor. Karyu errötete und dachte kurz darüber nach. An dem Tag hatte er frei. "Ich kann dich dann abholen..", stimmte er zu.

"Gut, ok. Ich hab nachmittags Schluss, um 4." Sie lächelten sich an, und in dem Moment kamen Tsukasa und Hizumi wieder zu ihnen.

Der Drummer räusperte sich und setzte sich neben Hizumi. "Na ihr zwei, habt ihr euch gut amüsiert?" Zero nickte nur, sagte aber nichts weiter. "Die Lack und Leder Leute sind übrigens sehr nett", grinste er.

Hizumi kicherte. "Am liebsten hättest du dich doch von dem einen Typen auspeitschen lassen, so wie du die Peitsche angeschaut hast.."

"Neugierig wäre ich schon..", meinte Tsukasa schulterzuckend. "Aber der Typ ist nicht ganz so mein Fall, auch wenn er freundlich ist."
 

Nochmals drehte sich ihr Gespräch zum Glück nicht um Fetische. Dazu hatte Karyu nichts zu sagen. Es war schon schwierig genug, sich Zero gegenüber etwas zu öffnen... Noch lange saßen sie an diesem Abend zusammen. Erst nach Mitternacht kamen sie alle nach Hause. Dementsprechend gut und tief schlief Karyu in dieser Nacht.
 

Er war froh, am nächsten Tag rechtzeitig zur Arbeit zu kommen. Müde ging er in der Pause eine Straße weiter und holte sich einen Kaffee. Als er zurück kehrte, gab es einiges im Lager zu tun - zu seinem Bedauern war auch noch der stellvertretende Chef da. Dieser nörgelte gern und oft an ihm herum, scheuchte ihn von links nach rechts. Diesmal war es genauso.

"Was machst du denn immer noch hier im Lager!? Sei etwas schneller und dann ab zur Kasse, es ist voll!" Er nickte nur und versuchte sich etwas mehr zu beeilen. Als er wenig später hinaus in den Kundenbereich ging, schnaubte er. Es war nicht viel los. Er sah 5 Leute im ganzen Verkaufsraum. Seufzend widmete er sich den Einsortierungen, hatte aber immer ein Auge auf die Kasse, die zur Zeit unbesetzt war. Als der Mann das sah, meckerte er gleich wieder mit ihm und war für logische Argumentation nicht zugänglich. Karyu biss die Zähne zusammen und ging zum Kassenbereich. Dort staunte er nicht schlecht, als Zero sich ihm näherte. "Hi..du hier?"

Auch der Bassist war überrascht. "HIER arbeitest du? Hätte ich das vorher gewusst." Er hatte vermieden, ihnen den genauen Laden zu nennen.. Zero deutete in Richtung Lager. "Wer ist dieser Kerl? Alles in Ordnung?"

"Oh..du hast das mitbekommen?"

"Wie er dich angeschnauzt hat? Ja, das...ich stand in der Nähe", antwortete Zero und hielt ihm ein Buch hin. Es war ein Roman.

Karyu nahm ihn entgegen und scannte ihn ein. "Das ist der stellvertretende Chef. Irgendwas hat der gegen mich..", seufzte er und nahm das Geld von Zero entgegen. Er zahlte passend.

"Lass dich nicht unterbuttern."

Karyu schüttelte den Kopf. "Der ist zum Glück selten hier. Viel Spaß mit dem Buch und danke für deinen Einkauf", sagte er lächelnd.

Zero sah ihn freundlich an. "Unsere Verabredung morgen steht noch?"

Er nickte. "Aber natürlich. Um 4 bei dir im Café."

"Schön. Dann hoffe ich, dass du den restlichen Arbeitstag noch überstehst.." Der Bassist warf dem Stellvertreter einen finsteren Blick zu, bevor er sich von Karyu verabschiedete.
 

+++
 

tbc

At Zero's apartment

Am nächsten Tag schlief er bis in den Nachmittag hinein aus und gönnte sich den Luxus, sich einmal nicht vom Wecker aus seinen Träumen reißen zu lassen. In aller Ruhe frühstückte er trotz der Mittagsstunde, duschte ausgiebig und räumte ein bisschen die Wohnung auf, bevor er seine Tasche packte - vielleicht würde er ja bei Zero übernachten, wer wusste das schon, und das bisschen frische Kleidung passte in seine Umhängetasche und würde nicht weiter auffallen.
 

Während er die letzte Stunde darauf wartete, losgehen zu können, wurde er langsam doch etwas nervös. Es hatte ihn überrascht, dass Zero ihn nun doch geküsst hatte - wenige Tage zuvor hatte dieser noch versprochen es nicht mehr zu tun. Allerdings musste er ihm ja zu Gute halten, dass er ihn gefragt hatte, ob er es nicht doch noch mal tun durfte. Und Karyu hatte das gewollt. Und nun? Was würde ihn jetzt bei Zero erwarten? Es war das erste Mal, dass er ihn bei sich zu Hause besuchen würde.
 

Aufgeregt ging er zum Café und wartete draußen auf den Bassisten. Die Sonne schien zwar, aber ganz so warm war es nicht mehr zu dieser Jahreszeit. Eng schlang er Mantel und Schal um sich und sah zum Café. Er war um einiges zu früh... Reinsetzen ins warme Café wollte er sich jetzt aber nicht - er wollte Zero nicht stören oder drängen... Es war ja seine eigene Schuld, dass er zu früh hier war.

Also hielt er die nächsten 5 Minuten auch noch aus und schon trat Zero, etwas zu früh, aus dem Café. "Hi, da bist du ja schon", begrüßte der Bassist ihn. "Wartest du schon lange? Du siehst ziemlich durchgefroren aus." Sie liefen in Richtung U-Bahnhof.

Er lächelte verlegen. "10 Minuten vielleicht.."

"Du hättest doch rein kommen können. Ich hätte dir auch einen Kaffee umsonst gemacht", meinte Zero schmunzelnd und sah ihn an. "Ich kann dir zu Hause einen Tee zum Aufwärmen machen, wenn du willst." Karyu nickte. Die Idee klang gut. "Wie war dein freier Tag bisher?"

"Sehr angenehm." Er wollte nicht zu sehr schwärmen, schließlich hatte Zero heute arbeiten müssen. "War bei dir auf Arbeit viel los?"

Zero hob eine Schulter. "Es war in Ordnung. Hätte schlimmer sein können. Da war allerdings wieder diese ältere Dame..." Unsicher strich er sich durchs Haar. "Na ja, sie ist Stammgast und schon lange darauf aus, mich zu einem Date mit ihr zu bewegen. Aber ich schlage das immer aus und versuche schon, ums Bedienen drum rum zu kommen. Aber heute war ich alleine und konnte keinen Kollegen bitten, sie zu übernehmen.", erzählte der Dunkelhaarige leise.

Karyu verzog leicht das Gesicht. Dass Zero mit solchen Gästen zu kämpfen hatte, war ihm nicht bewusst gewesen. "Das ist ja unangenehm... Was soll man da auch gegen machen?"

Zero nickte. "Ich muss höflich bleiben. Aber lassen wir das." Neugierig wurde Karyu angesehen. "Hast du schon was an den neuen Songs machen können?"

"Ein bisschen, ja. Allerdings stecke ich etwas fest. So richtig fertig werde ich damit nicht."

"Mh...ich kann ja mal einen Blick drauf werfen, wenn du möchtest. Vielleicht fällt uns zusammen was ein."

Zusammen...Karyu lächelte und nickte. "Ich hab die Sachen auch dabei, um ehrlich zu sein." Wenn es ihn überkam, und er wusste nie genau, wann das passieren konnte, war es ihm so immer möglich, es gleich aufzuschreiben. "Wir können uns also gern noch zusammen setzen und ich stelle dir die Ideen mal vor."

"Sehr schön, das machen wir."
 

Sie stiegen in die U-Bahn und fuhren 4 Stationen, bis sie bei Zero angekommen waren. Karyu war neugierig. Locker unterhielten sie sich weiter über die Musik und die Band, doch als sie Zeros Appartement betraten, änderte sich die Stimmung. Karyu spannte sich an. Er war doch etwas nervös... Er zog sich im Flur aus und stellte die Tasche im Wohnzimmer ab, während Zero ihnen beiden einen grünen Tee kochte.
 

In fremden Wohnungen fühlte er sich generell unwohl. Aber da er Zero nicht im Weg stehen wollte, tigerte er unruhig durch das Wohnzimmer, nahm eher am Rande die Einrichtung wahr. Er war kein Experte, aber ihm kam sie sehr geschmackvoll vor. Zeros Wohnung war wohl das Gegenteil zu seiner eigenen: nicht vollgemüllt, sondern aufgeräumt und mit dem nötigsten ausgestattet, wobei sich das ein oder andere Accessoire finden ließ. Karyu hingegen sammelte über die Monate allen möglichen Kram an und stellte ihn in freien Ecken. Bunt war Zeros Wohnung nicht. Möbel und Teppiche schienen aufeinander abgestimmt, waren in gedeckten Farben gehalten.

"Hier, bitte. Setz dich doch", erklang unvermittelt die tiefe Stimme des Bassisten, weswegen er sich zu ihm umwandte. Zero stellte die dampfenden Teetassen auf den Couchtisch aus Glas und nahm auf dem Ledersofa Platz. Zögerlich setzte Karyu sich ihm gegenüber auf das andere Sofa und bedankte sich für den Grünen Tee. Bevor sich unangenehmes Schweigen zwischen ihnen ausbreiten konnte, erhob der Bassist wieder das Wort. "Hast du mal wieder was von deinen Eltern gehört?"

Verwundert öffnete er den Mund und schloss ihn wieder. "Wie kommst du denn nun darauf?"

Zero lächelte ihn an. "Wir wollten uns doch besser kennen lernen oder hast du das schon wieder vergessen?"

"Oh..." Er lächelte verlegen. "Tja, also...mhh.." Er senkte den Blick. "Nein, da habe ich schon eine Weile nichts mehr gehört. Ich hatte sie ab und an angerufen, aber sie sind nicht rangegangen und haben auch nicht zurück gerufen."

Zero runzelte die Stirn. "Das ist sicher ungewöhnlich. Ob es ihnen gut geht?"

Karyu zuckte leicht mit den Schultern. "Ich denke schon. Die Miete bekomme ich immer noch überwiesen, und ich weiß, dass es kein Dauerauftrag ist. Meine Mutter geht jeden Monat zur Bank."

Zero summte und zog die Beine an, bettete sie auf die Couch. "Und du hast keine Ahnung, was da los ist?"

Leicht schüttelte er den Kopf. "Vielleicht ist irgendwie das Telefon kaputt, keine Ahnung. Als ich ihnen vor ein paar Wochen deswegen eine Nachricht schickte, kam nur eine knappe Antwort. Als würde ich stören oder sowas." Er runzelte die Stirn. Nein, er verstand das nicht. "Möglicherweise hab ich irgendwas gemacht und bin mir dessen nicht bewusst.."

"Wenn ich mich richtig erinnere, waren sie alles andere begeistert davon, dass du hierher ziehst, richtig? Aber sie haben dich weiterhin unterstützt. Wenn sie das akzeptiert haben, was sollte sie dann jetzt noch plötzlich so in Unmut versetzen?", warf Zero ein, woraufhin er sich auf die Unterlippe biss. Er wusste es nicht und wollte darüber möglichst nicht nachdenken. Es tat ihm nur weh.

"Ich habe keine Ahnung. Ich komme da jetzt auch nicht weiter. Können wir über etwas anderes reden, bitte?" Scheu sah er zu Zero auf. Wenn er so darüber nachdachte, wusste er nicht viel über ihn.
 

"Hmm.." Der Bassist beugte sich vor und griff nach seinem Tee, um ein paar Schlucke davon zu nehmen. Karyu tat es ihm nach. Er wollte ja nicht unhöflich wirken, weil er vergaß, den Tee zu trinken.. "Gut, was willst du wissen?"

Überrascht sah er ihn an. Zero hatte ihn wohl bisschen durchschaut. "Ich eh..ich weiß nicht...mh..." Er runzelte die Stirn. Was wusste er über Zero, an das er anknüpfen konnte? Außer, dass dieser eigentlich nicht von hier war, Bedienung im Café war und bemerkenswert gut Bass spielte? "Du kommst eigentlich aus Saitama, richtig?"

Er nickte nur. "Kumagaya", meinte er knapp und behielt die Teetasse gleich in den Händen.
 

Unsicher nagte er an seiner Unterlippe. Es sah nicht wirklich danach aus, als würde Zero über sich und seine Herkunft reden wollen.. "Ich kenn die Stadt gar nicht..", meinte er leise, woraufhin Zero sachte schmunzelte.

"Ich muss zugeben, ich weiß auch nicht gerade, wo Ube in Yamaguchi genau liegt...", sagte er zwinkernd. "Kumagaya ist eine Kleindstadt unweit der Bergkette. Da ist wirklich nicht viel los."

Karyu musste lächeln. "Das ist in Ube das Gleiche", gab er zu. "Aber ich bin bisher froh, hierher gekommen zu sein. Bist du eigentlich auch nach Tokyo gezogen, weil du dir hier mehr Chancen erhoffst?"

"Hm.." Zero lehnte sich zurück. "Zum Teil. Ich wollte aber aus der Stadt raus. Ich hab wenige gute Erinnerungen.." Der Dunkelhaarige nagte abwesend an seiner Unterlippe. "Ich war auch seit über zwei Jahren nicht mehr da. Nichts wäre da mehr, was mich ruft."

Karyu nickte nur. Zu gerne hätte er da nachgefragt, aber trauen tat er sich nicht. Zero warf ihm einen kurzen Blick zu. "Ich hab Probleme mit meiner Mutter. Meinen Vater kenne ich nicht." Dann presste er die Lippen aufeinander. Das Thema war erledigt. Karyu lächelte schwach. Ja, so ging ihm das auch. Warum den Scheiß namens Vergangenheit und Familie an die Oberfläche zerren?
 

"Haben wir uns erstmal genug kennen gelernt?", erkundigte er sich bei dem Bassisten, der leicht grinsen musste und seine Teetasse zurück auf den Couchtisch stellte.

"Ja, meinetwegen. Erstmal muss das reichen." Der Bassist setzte die Füße wieder auf den Boden und rutschte ein Stück vor. "Ich will aber mal was anderes wissen. Hattest du schon mal Sex?"

Augenblicklich lief er rot an. "Uhm..was? ...ja, ja natürlich. Ich hatte schon Freundinnen, weißt du..", murmelte er. Und daher hatte er auch schon mal Sex gehabt, mehr als einmal.

"Okay. Und wie sieht das mit Jungs aus?" Zero war unbarmherzig. Er brummte leise. Da er ihm doch erst letztens im Club offenbaren durfte, dass er noch nicht mal ein männliches Wesen geküsst hatte, brauchte er ihm doch diese Frage nicht stellen. Die Antwort lag auf der Hand.

"Nein..", er schüttelte den Kopf und zog einen leichten Schmollmund.
 

Zero nickte sich selbst bestätigend zu und stand langsam auf. "Dann habe ich das ja letztens im Club richtig gemacht, dich nur zu küssen.."

Aus großen Augen sah er ihn an. "Wie..was hattest du denn eigentlich vor?"

Zero grinste dunkel. "das sage ich dir besser nicht, sonst läufst wieder rot an und willst am liebsten flüchten. Aber das letzte, was ich will, ist dich zu bedrängen, ok?"

Langsam nickte er. Dass Zero so rücksichtsvoll war... Er fragte besser nicht weiter nach, was sich Zero nun eigentlich gedacht hatte. Hatte er gleich über ihn herfallen wollen, an dem Abend? Ihn in die Toiletten schleifen und dort...? Karyu schluckte und konzentrierte sich wieder auf den Bassisten vor sich, der um den Tisch herum ging und vor ihm stehen blieb. Unvermittelt legte sich dessen Hand in seinen Nacken und schon befanden sich die weichen Lippen auf seinen eigenen. Automatisch senkten sich seine Augenlider, während wieder dieses warme, angenehme Gefühl Besitz von seinem Körper ergriff.

Gierig, etwas zu gierig, erwiderte den Kuss, weswegen Zero die Hand in seinen blonden Strähnen vergrub und leicht daran zog, sodass ihre Lippen für einen kurzen Moment wieder voneinander getrennt wurden. Langsam und geduldig nahm er den Kuss wieder auf, drückte seine Lippen gegen Karyus und bestimmte das Tempo. Auch wenn es schwer war, versuchte Karyu nicht sofort den fremden Mund mit der Zunge zu stürmen, sondern blieb mehr oder weniger geduldig, wartete ab, bis die Zungenspitze des Anderen um Einlass bat, welchen er ihr auf der Stelle gewährte.

Dieser Kuss blieb nicht lange schüchtern und zart, sondern wurde leidenschaftlich und verlangend. Zeros Zunge drängte die seine immer wieder zurück, aber davon ließ er sich nicht stören. Er kostete ausgiebig vom verführerischen Geschmack des Bassisten und seufzte wohlig in den Kuss hinein. Das hier war weit von den laffen Küssen entfernt, die er immer mit den Mädchen ausgetauscht hatte.. Doch Zero zu küssen, gefiel ihm da schon weit besser. Allein dessen weiche, vollen Lippen, die geschickte, warme Zunge, ließen heiße Schauer durch seinen Körper fahren. Unwillkürlich wurde es auch in seinem Schritt ein bisschen enger...
 

Leise murrte er, als Zero sich von ihm löste, musste aber auch nach Luft schnappen - insofern war es wohl gut, dass der Bassist ihnen eine Verschnaufpause gab. Dieser lächelte ihn nur wissend an und betrachtete amüsiert die roten Wangen des Blonden. "Wir wollen es doch nicht gleich übertreiben, hm? Willst du erstmal so weitermachen oder doch schon den nächsten Schritt wagen?"

Ob der nächste Schritt gleich..Sex wäre? Wollte er das überhaupt? Sex mit Zero? Bei dem Gedanken lief er knallrot an und senkte verlegen den Blick. "So weitermachen..", murmelte er, woraufhin der Bassist nickte und sich neben ihn setzte, kurz an seinem Ohrläppchen knabberte.

"Gut, damit bin ich auch zufrieden.", hauchte er ihm ins Ohr und löste sich von ihm. "So, du hattest doch Probleme bei deinen neuen Song-Ideen. Darf ich immer noch einen Blick darauf werfen?"

Karyu brauchte einen Moment, um sich zu sammeln und räusperte sich, dann nickte er. "Aber ja, gern.." Manchmal kam es vor, dass er den Anderen nicht sofort seine Melodien zeigen wollte, einfach weil er sie zu unausgereift fand. Aber bei den zwei neuen Ansätzen war er bisher ganz zufrieden. Nur fielen ihm schlichtweg keine Übergänge ein oder ein passendes Ende. Er stand auf und kramte aus seiner Tasche die Noten hervor, mit denen er sich wieder zu Zero setzte. "Hier.." Der Bassist brauchte sich das nur anschauen und hatte eine ungefähre Vorstellung von dem, wie es sich anhören sollte. Unruhig spielte Karyu mit seinen Fingern und betrachtete Zero unauffällig. Er schluckte, als dieser eine Augenbraue hochzog und weiterblätterte. "Sehr interessant. Wenn wir das ordentlich umsetzen - und das wird Arbeit - sollte das schon ein richtig gutes Lied werden. Schöne Idee, wenn auch gewagt.." Die andere Melodie schien ihm ebenfalls zu gefallen. Zero sah auf. "Würdest du mir die Teile mal vorspielen?"

Überrascht weiteten sich seine Augen. "Ja, gern. Aber das wird bis übermorgen warten müssen.."

Zero schüttelte den Kopf und stand auf. "Kannst du nicht auf meiner Gitarre spielen?" Fragezeichen in Karyus Gesicht, weswegen Zero lachen musste. "Hast du sie nicht gesehen? Im Flur." Zero verschwand für einen Moment und kam mit einer rot-weißen E-Gitarre wieder. "Schau sie dir mal an." Vorsichtig und ehrfürchtig nahm er das Instrument entgegen. Er wusste, wie sehr Zero auf seinen Bass achtete und ihn ungern aus der Hand gab, das war bei der Gitarre bestimmt ähnlich. Leicht schlug er die Saiten an und sah auf, als Zero die Gitarre an einen kleinen Verstärker anschloss.
 

"So wäre es am besten, oder?", erkundigte sich Zero und setzte sich, während Karyu nickte und auf die Noten sah. Als er alles niedergeschrieben hatte, war er Teile der beiden Songs so oft durchgegangen, dass er es schon fast auswendig, ohne viele Schnitzer spielen konnte.

Sein Bassist starrte währenddessen abwesend in die Luft, hörte aber konzentriert zu. Als er nach einem Zettel griff und darauf etwas notierte, bekam Karyu das zwar am Rande mit, spielte aber das bisschen, was er schon hatte, noch durch und sah Zero schließlich neugierig an. "Und?"

Der Bassist nickte und tippte mit dem Stift auf das Blatt. "Mir ist da glatt die ein oder andere Möglichkeit in den Sinn gekommen bezüglich der Übergänge.."

Eine Weile saßen sie so zusammen und grübelten über die fehlenden Teile, tranken dabei den Tee, von dem Zero zwischendrin auch noch mal neuen machte.

Es machte richtig Spaß und lenkte ihn von seinen wirren Gedanken ab, die er so oft hatte.
 

"Na gut, legen wir eine Pause ein. Ich mach uns was zu essen, einverstanden?", wollte Zero wissen, während er schon aufstand.

"Uhm..ja...kann ich dir was helfen?", erkundigte er sich, woraufhin der Bassist kurz inne hielt und darüber nachzudenken schien.

Schließlich nickte er und schenkte ihm ein Lächeln. "Ja, ich glaube schon! Komm mit."
 

Als er neben Zero in der Küche stand und dieser Zutaten aus dem Kühlschrank und dem Vorratsschrank hervorholte, schluckte er. Ob er Zero darüber informieren sollte, dass er vom Kochen nicht viel verstand? Er versuchte sich darauf zu beschränken, das Gemüse zu schneiden, was auch nicht gerade fachmännisch aussah. Beinahe schnitt er sich auch noch in den Daumen. Fest presste er die Lippen zusammen. Er brauchte einen Tipp, wie man das am besten machte...

Karyu räusperte sich und sah Zero zögerlich von der Seite an. "Hey, ehm...wir wollten uns ja besser kennen lernen.."

Der Bassist schaute auf und erwiderte den Blick. "Ja, schon."

"Also, mh...dann will ich mal ehrlich sein. Ich..kann nicht kochen und habe keine Ahnung, was ich gerade mache.."

Zero lächelte. "Ach, deswegen bist du so langsam. Soll ich das für dich machen?"

"Nein, ich will das schon machen, aber..zeigst du mir, wie es besser geht?"

Zero kicherte und nickte. "Du kannst jetzt schon Gitarre spielen wie ein Gott, du hast die geschicktesten Finger, die ich kenne! Aber wenn es ums Gemüse schnippeln geht, dann bist du hilflos." Das fand er wohl sehr amüsant.

Karyu seufzte nur resigniert und überließ Zero das Feld, der ihm erklärte, wie das schnell ging. "Wie kommt es eigentlich, dass du nicht so gut kochen kannst? Du lebst doch schon eine Weile allein.."

Er seufzte. "Na ja, ich bin doch erst vor 13 Monaten hierher gezogen und..davor hat mir eben meine Mutter oder die Haushälterin was zu essen gemacht", gab er leise zu. "Und hier gehe ich entweder essen oder ich lebe von Instant-Ramen und anderem Fast Food.."

Zero hielt inne und sah ihn kritisch an. "Deswegen bist du so dünn."

"Hä..?"

"Na in deinen Pizzen und Nudeln sind nicht gerade viele Nährstoffe drin. Es wundert mich, dass du noch so viel Energie hast. Ich hoffe, dass der plötzlich Vitaminschock dich nicht von den Socken haut."

Karyu zog einen Schmollmund. "Das wird schon gut gehen", erwiderte er nur und übernahm wieder das Messer, doch für einen Moment hielt er inne und starrte das blitzende Silber an. Er hatte schon eine Weile nicht mehr... Er schluckte und widmete sich rasch dem Gemüse. Hoffentlich hatte Zero gerade nicht mitbekommen, wie er das Messer angestarrt hatte... Das wäre ihm mehr als unangenehm. Nicht, dass der Bassist dann noch davon ausging, dass er sich gleich ritzen gehen wollte..

Aber Zero sagte auch nichts, also hatte er es wohl nicht gemerkt.
 

Satt und zufrieden ließ er sich um einiges später auf Zeros Bett fallen. In dessen Schlafzimmer fühlte er sich ganz wohl. Es war gemütlich - und dunkel anmutend. Der Bassist lag neben ihm und wandte ihm langsam den Kopf zu. "Es ist doch in Ordnung, wenn du hier bei mir schläfst - also im Bett?"

Verwirrt sah er Zero an. "Mh...denke schon. Oder muss ich Angst haben?"

Der Bassist grinste leicht und richtete sich auf. "Ich weiß nicht. Musst du..?" Und schon beugte er sich über ihn und küsste ihn. Die dunklen Strähnen kitzelten über Karyus Gesicht, während er den Kuss genießend erwiderte. Zeros Körperwärme ging direkt auf ihn über. Er fühlte sich gerade wieder besonders wohl - genau das gaben ihm die Küsse und die Nähe. Er gab einen zufriedenen Laut von sich und hob eine Hand, legte sie auf Zeros Schulter und strich darüber.
 

Der Dunkelhaarige blieb über ihn gebeugt, stützte sich neben ihm ab und hielt so ein wenig Abstand, aber Karyu wollte ihn noch viel näher haben, wenn er ehrlich war. Er schob seine freie Hand in Zeros Nacken und versuchte ihn etwas tiefer zu sich heran zu ziehen, bis der Körper des Anderen sich dicht an seinen schmiegte und er so noch viel mehr Wärme spüren konnte. Das sanfte Gewicht auf sich ließ ihn in den Kuss keuchen.
 

Zero löste sich und sah ihm in die Augen. "Ist das gut so?", wollte er leicht lächelnd wissen, woraufhin er nur nickte. "Ok", gluckste der Bassist gegen seine Lippen und nahm den Kuss wieder auf. Eine Weile blieben sie so liegen und küssten sich ausgiebig, schmiegten sich sanft aneinander.

Er war so daran gewöhnt, einzig die verführerischen Lippen und das leichte Gewicht auf sich zu spüren, dass er erschrocken zusammen zuckte, als Zeros Hand über seinen Oberschenkel glitt. Sofort hielt der Bassist inne und sah ihn fragend an. "Tut das weh? Hab ich-..?"

Er schüttelte den Kopf, während Zeros Hand nun über seinem Bein schwebte, anstatt es länger zu berühren. "Nein, es tut nicht weh. Ich bin da nur..empfindlich und.." Er behielt für sich, dass er sich zum Großteil auch einfach nur erschreckt hatte.
 

Der Bassist lächelte nachsichtig. Dass die unzähligen Schnitte, verheilte sowie noch heilende, Karyus Beine extrem sensibel machten, lag auf der Hand. Zeros Finger strichen wieder über den Stoff seiner Jeans, streichelten hin und her über seinen Oberschenkel, weswegen er ein Wimmern unterdrückte. Das Gefühl war nicht unangenehm, aber ungewohnt - er vermied es, seine Haut dort zu berühren. Sie fühlte sich nicht gerade schön an..

Wieder legten sich Zeros weiche Lippen auf die seinen, lenkten ihn etwas ab. Er entspannte sich wieder ein wenig, versuchte sich fallen zu lassen, während die fremden Finger über die Innenseite seines Oberschenkels glitten, ihn dort reizten. Mit einem leisen Keuchen löste er den Kuss, als eben jene Finger den Knopf samt Reißverschluss seiner Hose öffneten. Das überforderte ihn jetzt doch etwas. Aus großen Augen starrte er zu Zero hoch, doch dieser lächelte nur dunkel und richtete sich auf. "Lass mich nur machen..", säuselte der Bassist leise und zog ihm die Jeans ganz aus. "Die brauchst du in meinem Bett sowieso nicht. Oder wolltest du mit Jeans schlafen?" Stumm und langsam schüttelte Karyu den Kopf.
 

Zero rutschte zwischen seine Beine und hielt sie genau in den Moment fest, als Karyu sie unruhig anwinkeln wollte. Er zog eine kleine Schnute und beobachtete den Dunkelhaarigen dabei, wie dieser den Kopf senkte und mit den Lippen über sein Knie geisterte, langsam höher wanderte und die vernarbte Haut federleicht küsste. Seine Beine begannen leicht zu zittern und er drückte den Kopf ins Kissen, presste die Lippen fest aufeinander. Das Gefühl, das die fremden Lippen auf seiner Haut auslöste, war bitter-süß und ließ seinen Körper erbeben, schickte warme Stromstöße durch sein Inneres, die alle an einem Ort zusammenfanden: in seinem Unterleib. Mit Mühe hielt er ein leises Stöhnen zurück und schloss kurz die Augen.

Den Stoff seiner Shorts mit der Hand höher schiebend, leckte die feuchte, warme Zunge des Anderen über seine Narben. Es war ein merkwürdiges Gefühl, es brachte ihn völlig durcheinander, weswegen er sich unruhig auf dem Bett wandte, sich aber den Berührungen nicht entzog. Seine Atmung ging in ein stetes Keuchen über, als Zero zu seinem anderen Oberschenkel wanderte und auch dort Küsse auf den Narben verteilte, bevor er leicht darüber leckte.

"Zero..", wimmerte er leise den Namen seines Bassisten und zog nun doch die Beine etwas an, woraufhin der Andere sich lächelnd von ihm löste und sich wieder über ihn beugte.

"Fühlt sich doch gut an, oder?"

Er lächelte nur sachte und summte leise. Gut, hm.. "Ja, irgendwie so..", murmelte er leicht schmunzelnd, weswegen Zero leise lachte und ihn küsste. Eine ganze Weile noch blieben sie so beieinander liegen, waren vertieft in Küsse und Fummeleien. Das war richtig angenehm so.
 

Zufrieden und von Zero umschlungen, schlief er später am Abend ein. Er fühlte sich in Zeros unmittelbarer Nähe geborgen. Er fragte sich, ob sie solche Abende jetzt öfter teilen würden...
 

+++

Welcome to the Jungle I

Leise fluchte er und atmete tief durch. Heute war so furchtbar viel zu tun. Er kam gar nicht mehr hinterher. Und wie sollte es anders sein, war heute der stellvertretende Chef anwesend. Der half natürlich seinen Angestellten nicht, sondern kommandierte sie nur herum und machte alles schlimmer anstatt besser. Mittlerweile war Karyu völlig verwirrt. Ständig schickte man ihn hin und her, egal wo er war, irgendwas war immer zu helfen, aber das reichte nicht. Immer wieder wollten Kunden oder Mitarbeiter was von ihm, weswegen er den Überblick schon längst verloren hatte.
 

Das Ende vom Lied war, dass in einer Kasse Geld fehlte, einige Kartons an frisch eingetroffenen Büchern nicht erfasst und einsortiert waren, die Buchhandlung und vor allem das Lager wie ein Saustall aussahen, alle Mitarbeiter müde und erledigt waren und nicht dazu bereit, heute noch einen Finger zu rühren. Viele hatten für eine extra Schicht bleiben müssen, und nun standen sie zu Neunt vor dem stellvertretenden Chef, der nur meckerte. Keiner wagte es, seinem Unmut freien Lauf zu lassen und den Mann darauf hinzuweisen, dass dieser ja auch mal hätte helfen können, anstatt sie mit hastigen und unangebrachten Anweisungen zu verwirren. Keiner konnte den Takashima leiden, doch sie murrten nur leise und sagten nichts.
 

Karyu wollte einfach nur noch nach Hause. Auf der anderen Seite machten ihn die Worte des zweiten Chefs sauer. Dieser brüllte nahezu in den stillen Raum, während alle betreten zuhörten. Karyu blickte in die Gesichter seiner Kollegen. Alle hatten die Köpfe gesenkt, während Takashima, der stellvertretende Chef, ihnen mit Kündigungen drohte und ihnen vorstöhnte, wohl noch extra Geld in Fortbildungskurse investieren zu müssen, was er den Mitarbeitern vom Lohn abziehen würde. "Ob ich den Laden allein schmeiße oder ihr alle zusammen, dass Ergebnis wäre wohl ähnlich!", schimpfte er. "Aber würde ich das allein tun, würde vermutlich immer noch alles geordneter ablaufen und wir könnten uns diese unnützen Personalkosten sparen!"
 

"Dann tun Sie es doch beim nächsten Mal! Wenn Sie alles so viel besser können, kümmern Sie sich doch mal ein paar Tage allein um die Buchhandlung und wir schauen Ihnen zu und lernen, wie wir das in Zukunft richtig machen." Die kühle Stimme triefte vor Sarkasmus.

Seine Kollegen hoben den Kopf und starrten Karyu aus großen Augen an. "Wie war das?" Takashima sah ihn an. "Wie ist dein Name, hm?"

"Tse...", machte Karyu und erwiderte den Blick kühl. "Sie haben mich schon richtig verstanden. Wenn Sie das nächste Mal hier sind, fragen Sie nach Matsumura Yoshitaka. Ich werde Ihnen gern zeigen, wie man diesen Laden am besten schmeißt - ohne alle Mitarbeiter zu verwirren." Er wandte sich um. "Ich werde jetzt besser noch etwas aufräumen, anstatt mich weiter grundlos anschreien zu lassen. Hilft mir jemand?"

"Oi, bleib stehen! Wir sind noch nicht fertig! So kannst du mit mir nicht reden! Das wird Konsequenzen haben!" Während Takashima nun direkt auf ihm rumhackte und Drohungen aussprach, winkte er nur ab und sah seine Kollegen fragend ab. Wollte ihm wohl doch keiner helfen. Wortlos machte er sich daran, den Verkaufsraum wieder herzurichten, damit sie morgen nicht allzu viel zu tun haben würden.
 

"Ich bringe das Lager in Ordnung", erklang auf einmal die Stimme seiner Kollegin Ruri, lächelte ihn schüchtern an und verschwand aus dem Verkaufsraum. Einer seiner Kollegen folgte ihr. Und auch ein weiterer erklärte sich bereit, ihm zu helfen, der Rest ging wenig später wortlos nach Hause. Während sie aufräumten, kam Takashima noch mal zu ihm und zischte ihm ins Ohr, dass sein Auftritt Folgen haben würde..
 

Um Mitternacht war er wieder zu Hause. Er fiel sofort ins Bett, ohne zu duschen. Am nächsten Morgen brauchte sein Wecker mehrere Versuche, um ihn wach zu bekommen. Stöhnend setzte er sich auf. Er war todmüde, musste aber sofort wieder zur Arbeit. Dort würde er heute mit seinem Boss sprechen müssen... Er seufzte. Vielleicht würden sie ihn rausschmeißen. Das wäre ungerecht, aber da konnte er nichts machen. Eigentlich konnte es ihm egal sein. Das Geld brauchte er nicht unbedingt. Zumindest nicht solange seine Eltern ihm weiterhin regelmäßig die Miete für seine Wohnung überwiesen...
 

Seufzend begab er sich wenig später zur Buchhandlung. Dort erwartete ihn schon der Chef, der sich von ihm die Geschichte noch mal erzählen ließ. Der Stellvertreter war zum Glück nicht da. Dennoch stellte sich schnell raus, dass alles Vetternwirtschaft war. Wirklich Verständnis begegnete ihm nicht. Er solle froh sein, überhaupt so einen Job anvertraut bekommen zu haben. Sein Stundenlohn wurde gekürzt. Wolle er gleich viel verdienen, müsse er eben mehr arbeiten. War er damit nicht einverstanden, solle er kündigen. Und er war kurz davor, das zu tun. Er war sich eben nicht so sicher, dass er weiterhin das Geld für die Miete bekommen würde. Denn es gab ihm mittlerweile schon zu denken, dass nicht einmal seine Mutter sich mehr bei ihm meldete.
 

Karyu schluckte seinen Ärger herunter und willigte stumm ein. Erstmal würde ihm nichts übrig bleiben, als mehr zu arbeiten. Am Nachmittag kam Ruri zur Spätschicht und erkundigte sich, wie das Gespräch verlaufen war. Sie bedauerte, dass er so behandelt wurde und versuchte ihn aufzumuntern. Von jetzt an würde er jeden Tag außer Montag kommen müssen. 10 Stunden pro Tag. Und würde nicht wesentlich mehr verdienen als bisher.
 

Zähneknirschend kam er abends um halb 11 nach Hause. Sein Handy sprang ihm fast ins Gesicht: er hatte ein paar Nachrichten und zahlreiche Anrufe von seinen Bandkollege erhalten. "Shit..." Heute war Probe gewesen. Dafür würde er so schnell keine Zeit und auch keine Lust mehr haben. Kurz schrieb er eine SMS an alle 3, dass er zu viel arbeiten müsse und sie ihre Zeitpläne neu abstimmen müssten.
 

Einzig von Zero bekam er vor dem Schlafengehen noch eine ausführliche Antwort. »Was ist denn passiert? Muss ich mir Sorgen machen? Dir geht es doch gut? Wir sollten uns treffen oder wenigstens telefonieren, damit du das erklären kannst. Ich kann morgen bei dir im Laden vorbeikommen, wenn du sonst keine Zeit hast. Wir tarnen das als Kundengespräch, sollte dir dein Chef im Nacken sitzen. Bis morgen.«
 

Eine zeitlang starrte er auf das Display, nachdem er sich auf sein Bett gesetzt hatte. Zeros Worte ließen ihn langsam den Blick heben. Er sah zu seiner Kommode. In der einen Schublade hatte er die Klingen und Messer. Ja...
 

Er dachte nicht weiter nach. Kaum dass er es sich versah, stand er mit einem kleinen, scharfen Messer in der Hand in der Mitte des Raumes. Schon waren die ersten Schnitte gesetzt. Eine sanfte Welle der Erleichterung ergriff ihn und er war bereit, die Sache etwas positiver zu sehen. Ein paar Gedanken verschwendete er noch an seine verzwickte Lage, hoffte darauf, dass sich alles noch bessern oder klären würde. Dann öffnete er einen älteren Schnitt, konnte dem Drang nicht widerstehen. Es tat gut.
 

Zero schrieb er nicht mehr zurück, das vergaß er ganz.
 

~~~
 

Stöhnend öffnete er die Augen. Er fühlte sich furchtbar. Gestern Nacht war er noch zufrieden in den Schlaf gefallen, nachdem er sich die Beine blutig geschnitten hatte. Erst der Schwindel in seinem Kopf hatte dem Ganzen ein Ende bereitet. Seine Beine taten weh und dennoch musste er sich beeilen. Er würde zu spät kommen..vielleicht nahm man das als Anlass ihn zu feuern - sofern einer der Chefs denn schon da war.
 

Ungeduscht, ohne Frühstück und Kaffee gehabt zu haben, verließ er eilig seine Wohnung. Er hatte immerhin insofern Glück, als dass noch keiner der Chefs im Laden waren. So hatte er Zeit, wenigstens noch etwas Wasser zu trinken, bevor er sich an die Arbeit machte.
 

Um die Mittagszeit machte er Pause und verzog sich ins Lager, nachdem er sich etwas zu Essen gekauft hatte. "Matsumura-kun? Ein Kunde sucht dich...er sagt, er heißt Zero.." Erschrocken sah er auf, als Ruris Stimme erklang. Zero...den hatte er ganz vergessen.

"Oh...ja." Er stand auf und ging zu ihr an die Tür. Er winkte Zero zu sich, der etwas abseits stand. Er wollte lieber hier in Ruhe im Lager mit ihm sprechen als im Verkaufsraum.
 

"Du siehst nicht gut aus", stellte der Bassist fest, nachdem Ruri wieder gegangen war.

Er zuckte mit den Schultern. "Hab hier ziemlich Stress."

Zero bedachte ihn mit einem ernsten Blick. "Was ist denn nun überhaupt los?" Kurz umriss er für seinen Freund die ganze Geschichte, woraufhin Zero die Augenbrauen hob. "Das ist Ausbeutung. Unfair. Nicht recht. Das ist..das geht doch so nicht, Karyu. Lass das nicht mit dir machen."
 

Er seufzte. "Ich würde den Job sofort schmeißen, wenn ich mir sicher sein könnte, dass ich erstmal weiterhin die Miete von meinen Eltern bezahlt bekomme. Es macht mir Sorgen, dass sie sich nicht bei mir melden. Ich habe ja nicht mal mehr Zeit, mich nach was neuem umzuschauen. Selbst an diesen Job bin ich nur grad so durch Zufall rangekommen..", sagte er und ließ die Schultern hängen. "Ich weiß grad nicht, wo mir der Kopf steht. Ich muss von morgens bis abends arbeiten..nur montags hab ich Zeit. Vielleicht können wir auf den Tag die Probe legen?"
 

Doch Zero verzog das Gesicht. "Da müssen wir alle 3 arbeiten..Tsukasa sogar bis abends. Ich werde ihn fragen, ob er danach mit uns proben könnte." Er seufzte. "Wenn wir gar nichts mehr machen, wird die Chance auf ein Konzert oder einen neuen Song noch kleiner." Zero fluchte unfein und fuhr sich durchs Haar. "Ich schau mal, was ich machen kann. Und du solltest dir wirklich überlegen, ob du das hier lange durchhältst...wenn du nicht mal dazu kommst, dich um die Band zu kümmern, was soll das ganze hier dann? Du bist doch deswegen erst überhaupt hergekommen."

"Ja, das weiß ich auch. Gib mir etwas Zeit, ja? Ich mach das schon."

Zero betrachtete ihn ganz genau. "Verletz dich nicht zu sehr.", sagte er schließlich. "Wir vermissen dich übrigens sehr, also gib auf dich Acht." Er streichelte ihm tröstend über den Arm. "Ich sollte wieder los."
 

Karyu nickte nur und begleitete ihn in den Verkaufsraum zurück. Seine Mittagspause war sowieso vorbei..

Und erst als er neue Bücher einsortierte, bemerkte er, dass Zero ihn weder umarmt noch geküsst hatte. Sie waren sich wohl doch noch nicht so nah. Dabei hätte er genau jetzt solch eine Geste gebraucht... Niedergeschlagen versuchte er sich irgendwie mit seinen Aufgaben abzulenken, die ihn aber eigentlich wiederum auch nur an seine Misere erinnerten.
 

Tatsächlich schaffte die Band es, sich gleich am Montag zur Probe zu treffen. Eigentlich hätte Karyu am liebsten den ganzen Tag einfach nur durchgeschlafen. Er fühlte sich wie gerädert.

Am späten Nachmittag quälte er sich aus dem Bett und ging duschen, trank einen Kaffee und nahm einen Energy Drink mit auf den Weg zum Probenraum. Zum Üben hatte er gar keine Zeit mehr gefunden, aber er hoffte, das alles dennoch halbwegs über die Bühne zu bekommen. Da er der Erste war, der aufschlug, machte er sich gleich daran, ein paar Noten durchzugehen. Sie hatten sowieso erst 7 Songs, daher hatte er alle immer recht gut im Kopf.
 

Hizumi und Zero kamen fast gleichzeitig an. Es tat gut, sich mit den beiden zu unterhalten. Dem Sänger erzählte er noch mal ausführlich, was nun das Problem auf Arbeit war. Tsukasa kam etwas später und entschuldigte sich tausendmal, dann begann sie gleich zu proben. Ein bisschen leid tat es Karyu schon, den Drummer direkt nach der Arbeit hierher bestellen zu müssen. Aber sonst würden sie gar nicht mehr zusammen spielen können.

Allerdings lief es doch schlechter, als er erwartet hatte. Weil er müde war, spielte er unkonzentriert. "Es tut mir leid", seufzte er in der Pause und ließ sich auf den Boden fallen. "Ich hatte keine Zeit zum Üben, und das kommt dabei raus.." Er machte sich klein.
 

Tsukasa seufzte und ließ sich neben Hizumi auf die Couch fallen. "Mach dich nicht so fertig. So schlimm spielst du doch gar nicht. Wenn du dich an den neuen Rhythmus gewöhnt hast, findest du vielleicht zwischendrin mal wieder Zeit zum Spielen. Oder irgendwas anderes fällt uns ein, damit du fit bleibst, hm?", meinte er zuversichtlich und lächelte ihn an. Er nickte nur. Er und Tsukasa, sie beide waren perfektionistisch. Es gab noch einiges zu tun. Sie nahmen einen weiteren Anlauf, aber es brachte nicht mehr viel. Karyu war enttäuscht von sich selbst. Die anderen versuchten ihn noch, aufzumuntern und redeten ihm gut zu, aber die Worte erreichten ihn nicht wirklich.
 

Gemeinsam mit Zero trat er spätabends den Heimweg an. Schweigend zündete der Bassist sich draußen auf den Straßen eine Zigarette an. "Willst du mal?" Fragend hielt er ihm die Kippe hin. Er zuckte mit den Schultern, nahm den Glimmstängel aber an und zog zwei Mal daran.

Es war nicht das erste Mal, dass er rauchte, aber er machte es auch nicht jeden Tag. Nur ab und an, wenn ihm einer eben was anbot. Das kam eh selten vor. Stumm gingen sie weiter die beleuchtete Straße entlang, ihre Instrumente geschultert.
 

"Ich vermisse dich", sagte Zero unvermittelt.

Er senkte den Blick und summte leise. "Ich..ich vermisse dich auch", murmelte er leise, meinte es aber durchaus ernst. "Ich wäre gerne mal wieder bei dir. Oder du kommst zu mir", fügte er zögernd hinzu.

Der Bassist nickte leicht. "Ja.." Er sah auf. "Ich könnte jetzt mit zu dir. Ich muss morgen erst mittags im Café sein."

Er dachte nicht lange darüber nach, sondern nahm den Vorschlag an. Das war doch besser als diese Nacht alleine zu sein! Zero schenkte ihm ein kleines Lächeln.
 

Als sie seine Wohnung betraten, war es ihm dann doch etwas peinlich: er hatte schon eine Weile nicht mehr richtig aufräumen und sauber machen können. Er entschuldigte sich bei dem Bassisten dafür. "Ach komm, lass uns einfach ins Bett, da bekommen wir das Chaos nicht mit", meinte dieser glucksend. Wenig später lagen sie in Schlafsachen, in Zeros Fall bis aufs nötigste ausgezogen, beisammen im Bett. Karyu kam nicht umhin, möglichst dicht an die Wärmequelle heran zu rutschen. Seicht klammerte er sich an den Bassisten, sog den mittlerweile doch recht vertrauten Duft ein. Es tat gut, Zero hier zu haben. Dieser versuchte ihn nochmals auf das Problem anzusprechen, das Karyu hatte, aber dafür war er wirklich zu kaputt. Ab morgen würde er wieder viel arbeiten müssen... Erschöpft schmuste er sich an Zero, stahl ihm einen trägen Kuss. Der Bassist streichelte ihn, bis er eingeschlafen war.
 

Am Montag darauf schwor er sich, den Job hinzuschmeißen. Wieder war er nicht zum Üben gekommen, doch heute stand ja eine weitere Probe an. Seine Knochen taten ihm vom Arbeiten weh, er hatte Muskelkater und was sonst nicht noch alles. Karyu fühlte sich schon mit seinen 20 Jahren völlig alt. Bei der Probe verkündete er seinen Bandkollegen die Entscheidung: er würde kündigen und ließ das nicht mehr mit sich machen.

"Darauf sollten wir nachher einen trinken gehen!", meinte Hizumi, während Tsukasa ihm auf die Schulter klopfte. "Das ist vielleicht doch das beste, was du machen kannst. Wir werden für dich die Ohren aufsperren, vielleicht können wir dir bei der Jobsuche helfen." Kurz umarmte er den Drummer. Das war ein sehr nettes Angebot.

Viel zum Proben kamen sie nicht. Frustriert schmiss Karyu nach dem zweiten verpatzten Song hin. "Ich brauch ne Pause", maulte er und fuhr sich durch die Haare. Er hatte das Gefühl, sogar noch schlechter geworden zu sein.
 

Während sich Tsukasa und Hizumi mit ihm zusammen setzten, wurde Zero angerufen. "Ich geh mal kurz ran, Leute..", informierte der Bassist sie knapp und ging mit seinem Handy auf die Flure hinaus. Kurz sahen sie ihm hinterher, dann senkte Karyu niedergeschlagen den Kopf, weswegen Tsukasa ihm tröstend über den Rücken strich.

"Sei nicht zu hart zu dir. Du wirst bald sicher wieder mehr Zeit zum Üben haben, wenn du das mit deiner Arbeit geklärt hast. Das ist schon ok."

Karyu brummte nur leise. Er hoffte, dass das wirklich so einfach war.

Auch Hizumi versuchte ihn aufzumuntern. "Hey, ich verrate dir mal was: manchmal verlerne ich richtiggehend ordentlich zu singen."

"...hä?"
 

Hizumi lächelte schief. "Ja, wenn ich mich absolut nicht konzentrieren kann, sing ich eine schiefe Note nach der anderen. Oder manchmal ist mir eben nicht richtig nach singen. Aber ich muss halt üben. Ich will dir nicht sagen, wie sich das ganze manchmal unter der Dusche anhört.." Unvermittelt musste Tsukasa kichern, weswegen Karyu ihn fragend ansah, aber der Andere erklärte sich nicht weiter.

Er seufzte und lächelte die beiden schwach an. "Ich hatte mich wirklich auf die Probe gefreut, aber so macht das glaube ich wenig Sinn..", sagte er leise, weswegen Tsukasa nachdenklich summte.

"Nutz doch die Zeit hier und übe ein bisschen, hm? Wir bleiben auch hier."

Mit schlechtem Gewissen sah er den Drummer an. "Das müsst ihr nicht. Und du kommst ja auch noch direkt von der Arbeit.."

"Na und? Ich will hier sein, mach dir da mal keine Gedanken. Und jetzt schnapp dir deine Gitarre!", ordnete Tsukasa lächelnd an, woraufhin er nickte. Na gut, er konnte es ja mal versuchen.
 

Unvermittelt ging die Tür auf und Zero rauschte wieder herein. "Tut mir leid, Leute, ich muss leider dringend weg. Mir ist was wichtiges dazwischen gekommen", sagte er knapp und packte schon seinen Bass ein. Verblüfft sah er ihn an, und auch Tsukasa und Hizumi zeigten sich beunruhigt.

"Ist was schlimmes passiert?", erkundigte sich der Sänger.

"Das versuche ich jetzt rauszufinden. Wir sehen uns nächste Woche, ok?" Zero nahm seine Sachen und wandte sich ihnen zu, sah dann zu Karyu und strich ihm über die Schulter. "Zieh das durch und kündige. Und am Montag proben wir wieder ordentlich zusammen, ja?" Er winkte ihnen und war auch schon verschwunden.

Verwundert sah er ihm hinterher. Kurz herrschte Schweigen zwischen ihnen, dann klatschte Tsukasa motiviert in die Hände. "Du hast ihn gehört! Lass uns was Sinnvolles machen."

Karyu nickte und nahm sich seine Gitarre, legte die Notenblätter zurecht und begann, wenigstens einen Song nochmal genau durchzugehen, damit er diesen wieder drauf hatte. Tatsächlich blieben Tsukasa und Hizumi bei ihm. Der Sänger brütete über Lyrics für Melodien, die bisher noch nicht mal geschrieben waren und der Drummer...saß mal bei Hizumi, mal bei ihm, um sie wenigstens mental zu unterstützen und ein bisschen zu beraten.

Alles in allem war die Probe zumindest für Karyu doch noch produktiv.
 

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tbc

Welcome to the Jungle II

Dem nächsten Tag sah er nervös entgegen. Er würde die Buchhandlung nur zur Kündigung betreten. Aber natürlich, wie sollte es anders sein, war der stellvertretende Chef da und machte ihm deswegen die Hölle heiß. Wenn er den Lohn des Monats erhalten wolle, sollte er den Monat bei der Arbeit bleiben und sie beenden, statt einfach, wie er lustig sei, alles hinzuschmeißen.
 

Zähneknirschend fügte er sich dem. Ob das überhaupt legal war, so wie der Mann ihn behandelte, bezweifelte er. Aber es interessierte hier sowieso keinen. Verklagen konnte er den nicht, woher sollte er das Geld für einen Anwalt nehmen?
 

Am Ende der Woche war er kaputt und stinkwütend. Am Montag war alles zu Ende. Zero schickte ihm und seinen Bandkollegen eine Nachricht, dass er nicht würde zur Probe kommen können. Es täte ihm leid und er wisse nicht, ob es in der Woche darauf überhaupt klappen würde. Einen Grund nannte er nicht. Da Karyu eh die Woche über mal wieder nicht hatte Gitarre spielen können, bliesen sie die Probe ganz ab.
 

Sauer, niedergeschlagen, ratlos und übermüdet saß Karyu abends auf seinem Bett. Er hatte Zero versucht anzurufen, aber er war nicht rangegangen. Er hatte ihm Nachrichten geschickt und nachgefragt, was los sei. Wann würden sie sich mal wiedersehen? Keine Antwort. Nichts.

Karyu fühlte sich leer und allein. Auf Arbeit war viel zu tun, ein Danke erhielt er nie. Nicht mal mehr proben konnte er. Und Zero sah er auch nicht. Dabei war es schön gewesen, mit ihm abends noch zusammen zu sitzen.
 

Seine Hände zitterten. Ihm war kalt. Und gerade verlor er alle Hoffnung. Solche Phasen hatte er öfter. Gerade wenn es dunkel wurde, war es leicht, sich den negativen Gedanken hinzugeben.

Er ließ sich aufs Bett sinken und starrte ins Leere. Vielleicht würde er nie aus dem Würgegriff seiner Arbeitsstelle finden. Und wenn, woher bekam er neue Arbeit? Bald war Ende des Monats, und dann müsste eine Überweisung seiner Eltern anstehen. Es würde ihn nicht wundern, wenn die ausblieb, einfach um sein Leben noch komplizierter zu machen. Das Proben brachte ohne Zero erst recht nichts. Dessen Nachricht nach hatte der Bassist selbst keine Ahnung, wann sie wieder zusammen kommen könnten. Wahrscheinlich stand eine Trennung bevor...

Es verletzte ihn zutiefst, dass Zero ihm nicht mal im Ansatz erklärt hatte, was überhaupt vorgefallen war. Er hatte mittlerweile gedacht, dass sie sich vertrauen würden und einander viel erzählen würden, wenn auch nicht alles. Er hatte sich ihm nahe gefühlt, aber das war wohl nur eine Illusion gewesen. Im nächstbesten Moment ließ Zero ihn fallen. Er war unwichtig geworden..
 

Er strich sich die Tränen vom Gesicht und stand langsam auf. Ihm war klar, dass er unendlich schwach war. Von jedem kleinsten Fissel ließ er sich fertig machen. Es war doch eh alles seine Schuld. Er nahm es viel zu schwer. Er war ein emotionaler, ängstlicher Mensch, der schnell überfordert war. Das hasste er an sich am meisten.

Blind griff er in die Schublade und holte irgendein Messer hervor. Es war ihm so egal. Er starrte im Halbdunkel auf seine zitternde Hand, die den Griff fest packte. Der erste Schnitt, den über seinem Knie tat, brachte überhaupt nichts. Er spürte es nicht mal wirklich. Im nächsten Moment hatte er den Drang, sich einfach den Bauch aufzuschlitzen. Allem ein Ende zu bereiten. Aber nicht mal dazu war er fähig. Stattdessen blieb er bei seinen Oberschenkeln, leckte das Blut auf, das seine Gedanken nach und nach betäubte. Er dachte gar nicht mehr darüber nach, was er tat. Er wollte sich einfach nur besser fühlen.

Im nächsten Moment lag er in einer Blutlache.
 

Als er das nächste Mal zu sich kam, drehte sich seine Welt. Er lag auf dem Boden, fühlte sich benommen. Etwas war passiert, das spürte er. Ihm war gar nicht wohl und er hatte den metallischen Geschmack von Blut im Mund. Blinzelnd hob er etwas den Kopf. Wo war sein Handy...? Vielleicht war es besser, jemanden anzurufen...Zero...?
 

Als er mit der Hand nach dem Bett tastete, versuchen wollte, sich hochzuziehen, sah er erst das dunkle Blut an seinen Fingern. Er schluckte und hielt inne. Ein dumpfes Pochen machte auf sich aufmerksam, aber so ganz sicher war er sich nicht, woher das kam. Vielleicht sein Unterleib? Er stöhnte leise und gab es auf, sich auf das Bett ziehen zu wollen. Stattdessen robbte er etwas vorwärts und hob die blutverschmierte Hand erneut, um auf den Nachttisch zu greifen. Sobald er das Handy unter seinen Fingern erfühlte, nahm er es zu sich auf den Boden und wählte Tsukasas Nummer. Denn Zero würde ihm ja nicht antworten.

Er fror furchtbar, weswegen er mit der anderen Hand langsam die Bettdecke zu sich herab zog. Der Drummer ging zwar nicht ran, aber die Mailbox. "Mh, Tsuka...mir gehts nicht gut, kannst du...bitte..vorbei kommen? Bitte..", murmelte er und kniff die Augen zusammen. Shit, da tat irgendwas ganz furchtbar weh, und es waren mal nicht die Oberschenkel. Diese brannten etwas, aber noch lange nicht so schlimm. Heiße Tränen bahnten sich ihren Weg über seine Wangen, während er sich gegen das Bett sinken ließ und die Augen schloss. Er war schnell eingeschlafen und selbst das Klingen seines Handys eine Stunde später weckte ihn nicht auf. Als es Stunden später an seiner Wohnungstür klingelte, wachte er davon auch nicht auf.
 

Er hatte Glück, dass Tsukasa früher viel Zeit auf den Straßen verbracht hatte und ohne mit der Wimper zu zucken die Tür aufbrach, um nach ihm zu sehen, da er sich doch große Sorgen machte.
 

~~~
 

"VERDAMMTE SCHEIßE, was soll das?! Ich sagte, ich habe ihn halbtot in seiner Wohnung gefunden! Zero, wir reden hier nicht nur davon, dass er sich mal am Oberschenkel ritzt, er hat sich selbst den Bauch mit einem Messer-..." Tsukasa biss sich auf die Unterlippe und seufzte. "Ok, schön. Ich sag ihm, dass du anderweitig beschäftigt bist. Das wird ihm sicher bei der Genesung helfen", knurrte er, hörte noch Zeros Erwiderung, schnaubte und legte dann auf. Hizumi sah ihn aus zusammengezogenen Augen an, weswegen er sich zu ihm setzte. "Zero tut es leid, aber er kann einfach nicht zu uns kommen."

Hizumi schüttelte verständnislos den Kopf. "Tsuka, ich sag es nicht gern, aber...ich meine, sie müssen ihn sogar operieren. Er könnte ihnen auf dem Tisch sterben", sagte er leise. "Zero wird sich das nie verzeihen.."

Doch der Drummer schüttelte den Kopf. "Mal bitte nicht gleich den Teufel an die Wand...das wird schon wieder. Der Arzt sagte doch dass sie es aus Sicherheitsgründen so machen, damit sie wirklich nichts übersehen.." Stumm lehnte Hizumi sich an den Drummer. "Ich weiß gar nicht, warum er das getan hat. Es war wieder mal so still um ihn herum, dass ich den Grund für..seinen Ausbruch nicht kenne.."

"Und erzählen wird er es uns wohl kaum", murmelte Hizumi und schloss erschöpft die Augen. Mit ihrem Gitarristen hatten sie es nicht leicht. Aber mit ihrem Bassisten, sonst immer so besonnen und beherrscht, nun auch nicht.
 

~~~
 

5 Stunden später bekam Tsukasa eine SMS. Seufzend wandte er sich an Hizumi. "Das ist eine Nachricht von Zero.. Er will wissen, wie es Karyu geht."

Hizumi nickte und hob sein eigenes Handy in die Höhe. "Mir hat er auch geschrieben."

"Hast du ihm geantwortet?", wollte der Drummer wissen, woraufhin er seufzend nickte.

"Ja, natürlich. Er ist unser Freund, und er wird seine Gründe haben, warum er nicht kommen kann."

Grummelnd tippte Tsukasa eine Nachricht an Zero. "Was ist denn aber wichtiger als Karyu? Er hätte sterben können, dieser Idiot. Beides Idioten", zischte der Drummer und sah zu Hizumi. "Weißt du, die beiden hatten einen Draht zueinander. Ich hatte schon immer das Gefühl, dass Zero etwas in Karyu berührt. Die beiden haben sich schon immer gut verstanden. Sie waren einander nahe und sie sind so richtig auf einer Wellenlänge, weißt du. Ich glaube, sie erzählen einander mehr als sie uns erzählen würden. Wenn wir wissen wollen, was Karyu sich bei seiner Aktion gedacht hat, dann wird es wahrscheinlich nur Zero herausbekommen, aber dieser lässt sich nicht mehr blicken. Wollen wir wissen, was Zeros Problem ist, könnte Karyu das herausfinden. Zumindest eher als wir. Wir können gar nichts tun." Tsukasa knurrte. Er war richtig angefressen. Hizumi betrachtete ihn traurig und legte stumm einen Arm um ihn. Denn im Grunde sah er es genauso. Und er war ratlos.
 

~~~
 

Schweigend starrte Karyu aus dem Fenster. Jetzt war er also im Krankenhaus gelandet. Hätte er sich doch wenigstens gleich richtig umgebracht, als nur so halb den Versuch im Delirium zu starten.

Wenn er ehrlich war, konnte er sich nicht mal dran erinnern, was passiert war. Er hatte den Ärzten und auch Tsukasa sowie Hizumi gegenüber von einem Unfall gesprochen. Mehr oder weniger stimmte das auch. Er wusste es ja nicht mehr so genau. Natürlich wirkte seine Aussage vor dem Hintergrund seiner eindeutigen Verletzungen an den Beinen fragwürdig. Aber ihm war es egal, und den Ärzten auch.

In 5 Tagen würde er vorzeitig entlassen werden. Er bekam eine Bestätigung seiner Arbeitsunfähigkeit, und damit war seine Arbeitsstelle hoffentlich gezwungen, ihn auszubezahlen auch wenn er den Monat über nicht mehr arbeitete. Ach, eigentlich war es ihm auch egal.

Tsukasa und Hizumi hatte er bereits kurz sehen können. Natürlich hatten sie wissen wollen, warum er sich das angetan hatte, doch er war ihnen ausgewichen. Als er nach Zero gefragt hatte, hatten sie einen kurzen, unsicheren Blick ausgetauscht und geantwortet, dass der Bassist verhindert war und ihn nicht besuchen kommen konnte, aber dass er sich erkundigt hatte, wie es ihm ging. Dann hatten sie arbeiten gehen müssen.
 

Nun war Karyu wieder allein. Er seufzte. Was hielt ihn eigentlich davon ab, sich mit dem Kopfkissen selbst zu ersticken, dachte er niedergeschlagen. Aber das wäre den Ärzten gegenüber unfair, die ihn gerade erst operiert und gerettet hatten.
 

~~~
 

Wütend und traurig zugleich stapfte er die Straßen entlang. Seit über einer Woche war er wieder aus dem Krankenhaus raus, aber von Zero hatte er nichts mehr gehört. Tsukasa und Hizumi waren schon soweit gewesen, den Bassisten besuchen zu gehen, aber niemand hatte auf gemacht.

Jetzt versuchte er sein Glück. Erst machte Zero ihm Hoffnungen, dass aus ihnen richtige, enge Freunde werden könnten oder sogar mehr als das, und dann ließ er sowohl ihn als auch die ganze Band fallen. So mies hatte er ihn nicht eingeschätzt. Würde niemand aufmachen, dann würde er eben warten, bis Zero mal durch die Tür kam. So einfach war das.
 

Als er am Reihenhaus ankam, machte er sich nicht die Mühe, schon unten beim Bassisten zu klingeln. Stattdessen wartete er an der Ecke des Hauses, bis die Tür aufging und er schlüpfte hindurch in das Haus. In der obersten Etage angekommen, klopfte und klingelte er, nachdem er eine Weile gelauscht hatte - er hatte was gehört, Schritte und eine Stimme. Zero war also da!
 

Zuerst tat sich nichts. "Mach auf, ich weiß, dass du da bist..", sagte er und klopfte erneut. "Ich geh hier auch nicht weg. Irgendwann musst du mal rauskommen."
 

Es dauerte eine Minute, und er wollte sich gerade schon vor Zeros Tür setzen, als eben jene aufging und der Bassist ihn aus funkelnden Augen ansah. "Was willst du?"

Langsam hob Karyu eine Augenbraue. "Das ist eine freundliche Begrüßung.."

Der Bassist brummte und nagte an seiner Unterlippe. "Es ist grad ungünstig."

"Das scheint es immer zu sein, Zero. Denkst du nicht, dass du uns mal erzählen solltest, was das Problem ist? Wir sind deine Freunde..wir haben eine Erklärung verdient. Danach lassen wir dich vielleicht auch in Ruhe.", meinte er leise.

"Vielleicht?" Der Bassist seufzte. "Es tut mir wirklich sehr leid. Aber..." Er schüttelte leicht den Kopf. "Wie geht's dir eigentlich?"

Karyu verschränkte die Arme. "Tut mir leid, das kann ich dir nicht sagen.", erwiderte er bissig, weswegen Zero ihn böse ansah. Aber er gab nicht nach.

"Schön, dann nicht."

"Ok."
 

"Nii-chan, ich hab Hunger!"

Zero fuhr zusammen und wandte sich kurz um. "Ich komm ja gleich. Sei still.", rief er zurück und drehte sich sichtlich unwohl wieder zu Karyu. "Könntest du jetzt gehen? Bitte?"

Leicht runzelte er die Stirn und öffnete den Mund. Eigentlich wollte er nicht. Unvermittelt lief ein Kind durch den Hintergrund. "Ehm...da rennt ein Kind durch dein Wohnzimmer", murmelte er.

Kurz wandte Zero sich um und knurrte. "Ja...ich weiß."

Das Kind lief wieder durchs Bild, blieb stehen und kam in den Flur. "Wer ist das?" Es war ein Junge, höchstens 9 Jahre alt. Aber da konnte Karyu sich auch irren, er war nicht sehr gut im Schätzen.

"Aki, ich hab dir doch gesagt, du sollst in der Küche bleiben!"

Der Junge verzog das Gesicht und starrte zu Karyu hoch. "Du bist aber groß...wer bist du?"

Karyu guckte nicht schlecht. Was war denn hier nur los? "Ich bin ein Freund", meinte er und hockte sich hin, damit das arme Kind nicht noch Nackenstarre bekam. "Ich heiße Yoshitaka. Und wer bist du?"

"Ich bin Aki, Mi-chans Bruder!" Er lächelte den Kleinen an, anstatt geschockt zu Zero zu schauen, während der Junge zum Bassisten aufsah. "Machst du mir jetzt was zu essen?"

"Ja, sofort, ich will nur noch Yoshi verabschieden..", erwiderte Zero und wuschelte ihm durch die Haare, schob ihn dann hinter sich, damit er ging.

"Wenn ich es mir recht überlege", sagte Karyu, "dann hab ich auch Hunger. Ich darf doch bestimmt mitessen." Das war weniger eine Frage.

Zeros Gesichtszüge entgleisten. "Was? Aber...nein..."

Er klopfte ihm auf die Schulter. "Bleib locker." Mit diesen Worten drängte er sich an Zero vorbei. Unter normalen Umständen hätte er sich das nicht getraut, aber jetzt war er neugierig. Zero hatte einen Bruder?! Das war ihm neu.
 

Entgeistert sah der Bassist ihm hinterher, sagte aber nichts. Resigniert seufzend folgte er dem Gitarristen. "Ich mach Nudeln, ja?"

"Mit ganz viel roter Soße?", wollte Aki wissen.

"Ja, mit ganz viel roter Soße..."

"Ich will dir helfen!"

"Dabei kannst du mir nicht helfen, Aki."

"Mir fällt da was ein", schaltete sich Karyu ein, woraufhin der Junge begeistert in die Küche sprang. Er lief ihm nach und hob ihn hoch. "Wo hast du die Töpfe?", erkundigte er sich bei Zero, der ihm sofort einen aus einem der Schränke holte.

"Hier.."

"Danke.." Zusammen mit Aki füllte er den Topf mit Wasser und stellte ihn auf den angeschalteten Herd, dann drückte er ihm die Packung Nudeln in die Hand und passte auf, dass ihnen der Inhalt nicht gleich komplett um die Ohren flog.
 

Zero kümmerte sich währenddessen um die Soße, behielt sie beide aber misstrauisch im Blick. Als das Wasser kochte, ließ er den Jungen die Nudeln in den Topf schütten und den Deckel drauflegen.

"So, was machen wir in der Zwischenzeit?", wollte er wissen, während er Aki runterließ. Der flitzte gleich ins Wohnzimmer. Zero seufzte und wollte ihm hinterher, aber er winkte ab. "Ich kümmer mich um ihn."

Argwöhnisch beobachtete der Bassist sie kurz, dann wandte er sich wieder dem Essen zu. Bis das Essen fertig war, spielte Karyu mit Zeros Bruder. Dieser zeigte ihm ein paar seiner Bilderbücher. "Hast du denn auch welche mit Schriftzeichen? so zum Lesen?", erkundigte Karyu sich nebenbei, aber Aki schüttelte den Kopf.

"Ich kann noch nicht lesen."

Verwundert sah er ihn an. "Wie alt bist du denn?"

"Acht Jahre und..4 Monate", antwortete der Kleine ihm stolz.

"Hm..hast du denn in der Schule noch nicht lesen gelernt?"

"Ich durfte nie zur Schule gehen", sagte Aki leise und sah ihn ein wenig traurig an. Karyu war verwirrt. Warum durfte er nicht zur Schule?! Gerade wollte er nachfragen, als Zero in der Tür erschien und ihn streng ansah.

"Das Essen ist fertig. Helft ihr mir, den Tisch zu decken?", lenkte der Bassist ab, woraufhin sie beide nur nickten.
 

Nachdem der flache, kleine Tische im Wohnzimmer gedeckt war, knieten sie sich ganz in japanischer Manier davor und schlangen ganz unjapanisch die Pasta herunter, die dem Bassisten hervorragend gelungen war.

Unauffällig beobachtete er Zero ab und an. Er schien müde zu sein... "Ich helf dir beim Abwaschen", bot er Zero an, welcher ihm dankbar zunickte.

"Aki, warum malst du nicht ein bisschen?", schlug der Bassist dem Jungen vor, der begeistert nickte und aufsprang, um seine Malsachen zu suchen.
 

Beim Abspülen sah er Zero vorsichtig an. Sollte er ihn fragen, was das hier sollte? Der Bassist seufzte. "Starr mich nicht so an. Ist irgendwas?" Er schüttelte nur stumm den Kopf. Er wollte ihm jetzt nicht auf die Nerven gehen. Zero sah so schon gestresst aus. "Gehst du jetzt?", wollte der Dunkelhaarige dann unvermittelt wissen, woraufhin er mit den Schultern zuckte.

"Ich weiß nicht..ich bin gern bei dir."

"Hm, ja...bei mir vielleicht.. Aber ich hab jetzt ein Kind im Gepäck, falls du das nicht bemerkt hast."

"Ja und..?", erwiderte Karyu nur leise und trocknete das Geschirr ab. Zero sah ihn zwar schief an, sagte aber nichts weiter und sie machten stumm weiter mit Abwaschen und Abtrocknen.
 

Als sie zu Aki ins Wohnzimmer gingen, saß dieser am Tisch und war dieser noch fröhlich am Malen. Karyu setzte sich neben den Jungen und Zero nahm ihnen gegenüber Platz, beobachtete Aki dabei, wie dieser irgendwelche Bäume und bunte Striche aufs Papier kritzelte. Während Karyu dann auch begann, zu malen, achtete er nicht darauf, dass Zero irgendwann am Tisch einschlief.
 

"Onii-chan...?" Fragend beugte Aki sich vor und tippte dem Bassisten gegen den Kopf, welchen dieser mit den Armen auf den Tisch gebettet hatte.

"Mach dir keine Sorgen, er schläft nur. Hey, mal ihn doch mal", schlug Karyu vor und Aki zeigte sich ganz begeistert. Als es um die Haare ging, hielten sie prüfend verschiedene braune Wachsmalstifte gegen sein Haar. "Lieber schwarz", meinte Aki schließlich und griff nach der Farbe, bevor er die Haare von Zero malte.

Karyu grinste. Das Bild des Jungen von Zero war schon süß. Als es fertig war, sah Aki zu ihm auf. "..wie schreibt man Nii-chan?", wollte er wissen, woraufhin er es ihm in Hiragana auf das Blatt schrieb.

"So sieht das aus. Ganz einfach." Aki nickte und schrieb es selbst noch mal daneben, dann betrachtete er das stolz und machte Anstalten, den Bassisten zu wecken.

"Lass ihn sich ausruhen. Lass ihm das Bild doch hier liegen, wenn er aufwacht, sieht er es gleich, hm?" Aki summte und schien drüber nachzudenken, dann nickte er und gähnte. "Bist du müde?" Der Kleine nickte. "Oh..ok. Wo schläfst du denn?"

"Im Bett, wo denn sonst?" Karyu kratzte sich am Kopf. Viel Platz hatte Zero in der Wohnung nicht und soweit er wusste, gab es hier nur ein Bett - im Schlafzimmer. Schlief er dann mit seinem Bruder im gleichen Bett?

"Na komm, dann ziehen wir dich um und putzen dir die Zähne." Er nahm Aki an der Hand und machte ihn bettfertig. Als er ihn ins Bett steckte, bat Aki ihn um eine Gute-Nacht-Geschichte. So spontan kannte er keine, aber er räusperte sich und dachte sich was aus. Darin schien er ganz gut zu sein, denn Aki gefiel es und er machte wenig später zufrieden die Augen zu. Lächelnd schaltete Karyu das Nachtlicht aus und schloss die Tür hinter sich.
 

Zero schlief immer noch und saß in eher unbequemer Position über den Tisch gebeugt. Schief lächelnd wollte er eine Decke um seine Schultern legen, aber genau da wachte Zero auch schon auf. "Was..wie...wo...." Er rieb sich verschlafen über die Augen. "Aki?"

"Ich hab Aki ins Bett gebracht", informierte er den Bassisten und setzte sich ihm gegenüber. Verwirrt sah ihn der Andere an. "Er war halt müde..ich hab ihn umgezogen, mit ihm Zähne geputzt...damit er das auch freiwillig gemacht, haben wir das Zahnfee-Lied gesungen.."

"Es gibt ein Zahnfee-Lied?"

Er zuckte mit den Schultern und grinste. "Jetzt schon. Ich hab ihm auch eine Gute-Nacht-Geschichte erzählt..und jetzt dürfte er schlafen."

Zero richtete sich auf. "Wow...danke.."

Der Bassist fuhr sich durchs Haar und gähnte leise.

"Vielleicht solltest du auch ins Bett?"

Zero lächelte schwach. "Eher auf die Couch. Ich lass Aki allein im Zimmer. Nicht, dass er sich daran gewöhnt, immer jemanden bei sich zu haben. Dann kann er irgendwann nicht mehr einschlafen, wenn niemand mehr bei ihm ist.."

Leise summte er darauf. Das klang logisch. "Darf ich hier bleiben?" Verwirrt sah der Bassist ihn an, weswegen er seufzte. "Sieh mich nicht so an. Ich habe dich sehr vermisst und würde gern bei dir bleiben, über Nacht.."

"Hmm...wenn du unbedingt willst." Zero stand auf und zögerte kurz. "Ich hab dich auch vermisst...und es tut mir ehrlich leid, dass ich..nicht zu dir kommen konnte, aber..."

Doch er winkte ab. "Ist okay. Vergessen wir das."

Kurz musterte der Bassist ihn, dann ging er zur Couch. "Brauchst du Schlafsachen?", wollte er wissen, während er die Couch auszog und Decke sowieso Kissen darauf warf.

"Nein, geht auch so..", murmelte er.
 

Wenig später legte er sich auf die gemachte Couch, hatte sich gewaschen und Zähne geputzt. Nun war Zero im Badezimmer. Abwesend starrte er an die Decke hinauf. Woher kam dieses Kind nur plötzlich? Ob sich der Bassist seit Tagen nun schon um es kümmerte und deswegen keine Zeit mehr hatte? Aber eigentlich gehörte es auch in die Schule..das würde Zero durchaus etwas Zeit verschaffen. Er seufzte. Er würde ihn fragen müssen! Ob Zero nun gestresst war oder nicht.

"Hey..worüber denkst du nach? Du hast da wieder diese Sorgenfalte..", meinte Zero und fuhr ihm mit dem Finger über die Stirn.

Er lächelte nur leicht. "Über dich.", antwortete er schlicht, während Zero sich zu ihm legte, sie beide aber noch nicht zudeckte.

Der Dunkelhaarige seufzte und kuschelte sich an ihn. "Tut mir leid.."

"Hör auf dich zu entschuldigen", erwiderte er leise. "Erklär mir lieber, was eigentlich los ist.."

Zero legte eine Hand an seine Wange und strich darüber, während er sich dichter an ihn schmiegte und ihm einen Kuss auf die andere Wange gab. "Es ist kompliziert", seufzte er. "Ich werde es dir erklären, ja? Aber nicht heute.."

Karyu summte leise und nickte schließlich. "Na gut..."
 

"Danke", hauchte Zero in sein Ohr und richtete sich ein Stückchen auf, um ihn auf die Lippen zu küssen. Sofort erwiderte er den Kuss und vergrub eine Hand in Zeros dunklen Strähnen, zog ihn näher an sich. Zeros Zungenspitze leckte über seine Lippen, welche er gleich öffnete um den Kuss gierig zu vertiefen. Zero beugte sich mehr über ihn, hielt ihn fest. Da war es wieder, das warme Gefühl, das diese Nähe und Vertrautheit zum Bassisten auslöste. Leise seufzte er in den Kuss und leckte langsam über die Zunge des Anderen. Das genoss er jetzt richtig. Aber unvermittelt fummelte Zero an seiner Hose. "Ich will es sehen..", murmelte er gegen seine Lippen, weswegen er ihn verwirrt anschaute. "Die Narbe.."

Karyu machte große Augen. "Was..? Wieso denn? Ist nur eine Narbe.." Aber der Bassist zerrte unbarmherzig an seiner Hose und zog sie ein großzügiges Stück hinab, schob dann sein Shirt etwas höher. Und schon war die langgezogene, frisch verheilte Narbe auf Karyus Bauch zu sehen.
 

Zero schnappte nach Luft. "Sie haben das nett ausgedrückt...", murmelte er, während er die rote Narbe betrachtete. "Tsukasa und Hizumi haben das runtergespielt... Das..das ist..." Er hob den Blick und sah Karyu an. "Warum hast du das gemacht?"

Sein Gesichtsausdruck verhärtete sich und er sah beiseite, wich dem Blick aus. Schon wieder diese Frage. "Bitte, frag mich das nicht."

"Du hast auch keine Antwort, hm?" Er schüttelte nur stumm den Kopf. "Karyu, das ist..schlimmer, das weißt du? Du darfst das nicht noch mal machen. Versprichst du mir das?" Er zuckte nur mit den Schultern und wünschte sich, der Bassist würde das nicht von ihm verlangen. "Hey...versprich es mir."

"Meinetwegen", rang er sich durch, doch damit war Zero nicht zufrieden.
 

"Meinetwegen?! Karyu, da hättest dich beinahe umgebracht! Ist es das, was du willst? Sterben?"

Immer noch sah er beiseite. "Keine Ahnung. Ich weiß nicht. Ich weiß nur, dass alles schief läuft."

"Deswegen willst du das Handtuch werfen. Dir ist es egal, ob du stirbst oder nicht, stimmts?" Er hob eine Schulter. Wahrscheinlich war das so. "Schön, aber mir ist das nicht egal! Ist das nichts wert? Bin ich dir egal?"

"Nein", erwiderte er gequält und sah ihn kurz an. "Du bist mir nicht egal.."

"Dann hör auf, so eine Scheiße zu reden. Sicherlich ist es momentan schwer, aber es kann nur besser werden. Und du bist auch nicht alleine."

"Da wäre ich mir nicht so sicher", gab er zurück und sah ihn ernst an. "Wäre ich heute nicht bei dir aufgetaucht, würde ich dich wahrscheinlich im nächsten Jahr noch nicht wiedergesehen haben."
 

Zero zuckte zurück, schnaubte und rutschte zurück, bevor er sich auf die Seite drehte und sich zudeckte. Damit war das Gespräch wohl beendet. Kurz betrachtete er im Halbdunkeln den Rücken des Bassisten, dann seufzte er lautlos. Wirklich ungerecht gewesen war er jetzt doch gar nicht!

Auch wenn er neben Zero lag, konnte er nicht so schnell einschlafen. Er war ihm zwar nahe, aber nun war es eine unsichtbare Barriere, die sie trennte. Irgendwann drehte er sich zu ihm auf die Seite und schlang einen Arm um Zeros Mitte, kuschelte sich an dessen Kehrseite, sog den vertrauten, angenehmen Duft von dessen Haaren ein. Er wurde etwas ruhiger und konnte wenig später doch endlich einschlafen.

Aki

Als am nächsten Tag weiche Finger sanft über seinen Arm streichelten, kam er langsam zu sich und regte sich blinzelnd.

"Bist du auch wach?", erklang Zeros leise Stimme, woraufhin er nur zustimmend brummte. Der Bassist drehte sich zu ihm um. "Ich bin immer noch sauer auf dich", ließ er verlauten, streichelte ihm aber unter der Decke über die Seite. Karyu brummte nur leise, anstatt etwas darauf zu erwidern. "Aki wird auch bald wach sein...wir sollten aufstehen. Ich mach uns einen Kaffee", sagte Zero leise und ließ ihn los, um aufzustehen.
 

Als Karyu später aus dem Badezimmer kam, sprang Zeros kleiner Bruder tatsächlich schon fröhlich durch die Wohnung. "Nicht so laut, Aki-chan! Hier wohnen noch andere Leute", murmelte Zero und drückte ihm eine Tasse warmen Kakao in die Hand. "Setz dich, ich bring dir deine Cornflakes."
 

Beim gemeinsamen Frühstück quengelte Aki, dass er mal wieder rausgehen wollte. "Ich will Enten füttern!"

"Enten?", erwiderte Zero verblüfft.

"Hier gibts doch Enten, oder?"

Der Bassist seufzte. "Ja, gibt es. In Ordnung, wir gehen nach dem Frühstück in den Park, Enten füttern."

Der Junge jubelte und beeilte sich, seine Cornflakes aufzuessen. Zero schüttelte nur den Kopf und trank in Ruhe seinen Kaffee aus.
 

"Nii-chan, kommt Yoshi-chan mit?", hörte er Aki wenig später seinen großen Bruder fragen, während er selbst gerade in der Küche das benutzte Geschirr in die Spüle stellte.

"Ich weiß nicht, Aki..", antwortete Zero zögernd, weswegen er zu ihnen zurück kehrte und lächelte.

"Ich komm gern mit. Ich liebe Enten!"

Aki strahlte und lief in den Flur, um sich anzuziehen. "Du musst das nicht machen, Karyu", meinte Zero und lächelte ihn schief an, doch er zuckte nur mit den Schultern.

"Ich hab sonst nicht viel zu tun. ich suche nach Jobs und übe auf der Gitarre, das war's. Das kann ich auch nachher noch machen." Er zögerte kurz und wollte noch hinzufügen, dass er wusste, wie es schwer und anstrengend es sein konnte, ein kleines Kind zu betreuen, vor allem alleine, aber das hob er sich für ein anderes Mal auf. Aki musste es nicht unbedingt hören. "Lass uns gehen."

Zero nickte. "Ich hole nur noch etwas Brot für die Enten."
 

~~~
 

Stumm betrachteten sie den kleinen Jungen, der ab und an etwas Futter ins Wasser warf und sich vorsichtig den schnatternden Enten näherte. Zero hatte ihm eingeschärft, nicht zu nahe an das Ufer zu gehen. Wenn Aki nasse Füße bekommen würde, würde er sich vielleicht bald erkälten und sie würden früher nach Hause gehen müssen. Der Kleine hatte sich das zu Herzen genommen und passte auf, nicht ins Wasser zu tapsen.

Etwas abseits vom Ufer hatten sie eine Picknickdecke auf dem Rasen ausgebreitet, worauf Karyu nun mit Zero saß. Er räusperte sich. Ob es jetzt der richtige Moment war, den Anderen auf seinen Bruder anzusprechen? Gestern Abend hatte er nicht mehr drüber reden wollen. Unsicher sah er ihn an und knabberte auf seiner Unterlippe.
 

"Nun frag schon", seufzte der Bassist nach einer Weile und lächelte ihn milde an.

"Also..Aki ist dein kleiner Bruder..?", wollte er sich noch mal vergewissern. Er wollte das mal ganz genau verstehen.

"Na ja...nicht ganz. Er ist mein Halbbruder. Denke ich." Verwundert sah er Zero an. Dachte er? "Ich sagte ja gestern, dass es etwas komplizierter ist", murmelte der Bassist und sah ihn kurz an, bevor er auf den See blickte. "Ich kenne meinen Vater nicht, und von wem Aki ist, weiß ich nicht. Denn er kennt seinen Vater auch nicht. Wir wissen nur, dass wir dieselbe Mutter haben. So ist sie..hat mit vielen rumgemacht und den Überblick verloren, welches Kind von wem ist. Na ja, so ein paar Ideen hatte sie..aber sicher war sich nie einer." Er zuckte mit den Schultern. "Ich hab damals im Proberaum einen Anruf von einem Freund aus Kumagaya bekommen - meiner Heimatstadt in Saitama, wenn du dich erinnerst. Er hat mir erzählt, dass er meine Mutter schon vor einer Weile dort wiedergesehen hatte - sie war zwischenzeitlich verschwunden - und dass sie oft ein kleines Kind bei sich hatte. Und da hab ich mich entschieden, mal hochzufahren und nachzuschauen, ob es dem Kind gut geht. Und ich wollte dringend mal mit einer Mutter reden. Sie ist nicht gerade..die beste Mutter gewesen. Ich war besorgt um den Jungen. Tja, und als ich da war, saß er alleine in der Wohnung. Er war ganz verängstigt und hat mir erzählt, dass seine Mama schon ein paar Tage weg ist und nicht wiedergekommen sei. Er hatte kaum noch was zu essen... Einen 7-Jährigen kannst du nicht mal eben für ein paar Tage alleine lassen." Zero schüttelte mit finsterem Blick den Kopf. "Das ist unverantwortlich, aber da wurde mir klar, dass meine Mutter sich überhaupt nicht verändert hat. Ich bin bei ihm geblieben und habe mich um ihn gekümmert. Ich hatte gehofft, dass sie zurück kommen würde, aber das tat sie nicht. Ich hab versucht, sie ausfindig zu machen, das tue ich auch jetzt noch, aber es ist nicht einfach, sie zu finden. Immer noch hab ich keine Ahnung, wo sie nun ist... Ich konnte nicht ewig in dieser Wohnung mit Aki bleiben. Die Miete wurde nämlich nicht gezahlt und Strom und Wasser haben nach der ersten Woche, in der ich da war, nicht mehr funktioniert. Also hab ich ihn mit hierher genommen...und was ich jetzt machen soll, weiß ich nicht. Ich finde unsere Mutter einfach nicht.." Zero seufzte und senkte betrübt den Kopf.
 

Karyu schluckte und räusperte sich. Das musste erstmal sacken lassen. "Er hat..keine anderen Verwandten?"

Zero zuckte mit den Schultern. "Ich wüsste niemanden, dem ich Aki anvertrauen könnte. Ich muss mich allein um ihn kümmern. Zur Schule schicken kann ich ihn nicht, da er ja eigentlich nicht zu mir gehört, ich hab kein Sorgerecht. Außerdem war er noch nie in einer Schule. Meine Mutter hat es offenbar versäumt, ihn dorthin zu schicken."
 

Vorsichtig sah er Zero an. "Müsstest du nicht eigentlich zur Polizei gehen wegen der ganzen Sache?", wollte er leise wissen, woraufhin Zero tief seufzte.

"Ja. Dann würde sich das Jugendamt einschalten und ihn mir wegnehmen. Dann kommt er ins Kinderheim und das will ich wirklich nicht. Es ist...dort ist einfach nicht der richtige Ort für ihn. Er braucht jemanden, der ihn liebt. Ich kümmer mich gern um ihn", sagte der Bassist leise und starrte abwesend ins Leere. "Warum sollte er ins Kinderheim, wenn er doch eigentlich Familie hat? Der Aufenthalt dort würde ihn nur kaputt machen.." Zero klang, als würde er wissen, wovon er redete. Karyu hegte da einen düsteren Verdacht - war Zero selbst in einem Kinderheim gewesen?
 

"Ich verstehe... Aber Zero, du..bist erst 21. Du kannst dich nicht für die nächsten..10,11 Jahre oder so um ihn kümmern. Wie soll das gehen? Du hast kein Sorgerecht, er braucht eine Ausbildung, er braucht seine Mutter..und du, du musst arbeiten. Und dann..ist doch da auch unsere Band", sagte er und wurde gegen Ende immer leiser. Wahrscheinlich war dem Bassisten die Musik unwichtig geworden, jetzt wo er Wichtigeres zu tun hatte...

Zero vergrub das Gesicht in den Händen. "Ich weiß. Das weiß ich ja. Aber ich kann Aki nicht weg geben. Ich würde es mir nie verzeihen, wenn er im Heim landet! Das tue ich ihm nicht an. Und seine Mutter ist nun mal nicht für ihn da, was soll man da also machen?!" Der Dunkelhaarige klang überfordert und traurig.
 

Vorsichtig legte er einen Arm um ihn und dachte über eine Lösung nach. Aber das war schwierig. Und eine Teillösung? "Hmm...gehst du dann zur Zeit eigentlich arbeiten?" Zero schüttelte stumm den Kopf. "Wie bezahlst du denn dann..die Miete, das Essen und so?", fragte er leise nach.

"Hab ein bisschen was angespart", murmelte der Bassist. "Aber lange wird das auch nicht mehr reichen.. Aki hatte fast nichts in dieser Wohnung, weißt du. Ich meine Spielsachen und sowas..ich hab ihm also erstmal das ein oder andere gekauft", sagte er leise. Und das war natürlich auch ins Geld gegangen.

"Uns fällt da was ein", meinte Karyu zuversichtlich. "Ich will dich nicht drängen, aber... Vielleicht solltest du Tsukasa und Hizumi auch von Aki erzählen. Sie können das sicher verstehen, und möglicherweise fällt ihnen auch noch eine Lösung ein." Unsicher sah Zero ihn an. "Bring Aki doch mit zu den Proben. wir sollten zusammen darüber reden. Was denkst du denn, was passiert? Es gibt nichts zu befürchten", war er sich sicher.

"Mh...ich weiß nicht..", murmelte der Bassist, aber Karyu ahnte, dass er ihn überredet hatte.
 

"Wir beide haben ja nun eigentlich genug Zeit. Ich rufe Tsukasa an und bitte ihn, einen Tag für uns zu finden. Dann bringst du Aki mit und erklärst den beiden, was passiert ist. Ich passe solange auf den Kleinen auf. Vielleicht haben die beiden einen Vorschlag, wie wir die Sache einfacher machen können."

"Hmm..davon bin ich nicht überzeugt. Aber du hast Recht, ich sollte die Karten auf den Tisch legen. Das haben sie verdient..." Zero sah ihn reumütig an. "Ich hätte euch allen schon früher davon erzählen sollen. Aber so einfach war das eben nicht.."

"Schon gut." Karyu griff nach seinem Handy. "Bevor ich es vergesse, sage ich ihnen gleich Bescheid." Zero nickte und stand auf, um zu Aki ans Ufer zu gehen. Mittlerweile war ihm das Futter ausgegangen und hockte sich hin, um mit den Händen im Wasser zu planschen.
 

"Tsukasa? Hier ist Karyu. Es geht um Zero. Ich hab mit ihm reden können."

"Geht's ihm denn gut?"

"Ja, er ist gesund und munter. Könnten wir uns alle schnellstmöglich im Probenraum treffen? Ich hab ja keine Arbeit und er hat frei...es richtet sich nach euch."

"Kommt Zero also auch?"

"Ja, er will erklären, was los ist."

"Das freut mich zu hören. Am Wochenende passt es. Freitag Nachmittag?"

"In Ordnung. Wann genau?"

"16 Uhr würde ich vorschlagen."

"Dann machen wir das", willigte Karyu ein. Das war schon übermorgen. "Je schneller, desto besser."

"Ok. Dir geht's auch gut?", wollte Tsukasa dann noch wissen, was er bejahte und wenig später verabschiedeten sie sich voneinander.
 

Da das Entenfutter leer war, kam Zero mit Aki zu ihm zurück. Sie überlegten, ein Eis essen zu gehen, wo er natürlich gern mitmachte. Es machte Spaß, mit Zeros kleinem Bruder unterwegs zu sein und mit ihm zu spielen. Er kam wunderbar mit dem Kind klar. Das schien auch Zero zu bemerken und sich darüber zu freuen.

Am Nachmittag wollte Karyu sich auf den Weg nach Hause machen. Er musste duschen und die Kleidung wechseln.

"Wann kommst du denn wieder?", wollte Aki wissen, als sie im Flur standen.

Er hob die Schultern und sah zu Zero. "Wir wollten morgen Nachmittag ins Kino gehen. Hättest du Lust? Ist natürlich ein Film ab 6...", sagte er schief lächelnd. "Irgend so ein Animationsfilm."

"Der heißt..Wolkig..mit Aussicht auf...Fleischklöße", meinte Aki stirnrunzelnd, woraufhin Zero lachte.

"Mit Aussicht auf Fleischbällchen, Kleiner.", korrigierte der Bassist ihn.

"Ich komme mit euch mit!", sagte Karyu begeistert. Den ersten Teil hatte er mal im Internet gesehen und es hatte ihm gefallen. "Um 11 hab ich aber ein Vorstellungsgespräch. Danach komme ich her und hol euch zwei ab."

Zero sah ihn interessiert an. "Ein Vorstellungsgespräch? Das ist schön. Wo denn?"

"Es wäre ein Bürojob. Quasi Aushilfskraft. Bei den Öffentlichen Verkehrsmitteln. Nichts Besonderes." Er zuckte mit den Schultern.

"Aber ein Job", erwiderte Zero, woraufhin er nickte.

"Genau. Na dann ihr beiden, bis morgen." Er wuschelte Aki liebevoll durchs dunkle, lockige Haar, dann umarmte er Zero und machte sich auf den Weg nach Hause. Gern wäre er bei den beiden auch wieder über Nacht geblieben, aber sie lebten ja nun mal nicht zusammen.
 

~~~
 

Er lachte leise und nahm Zero den schlafenden Aki ab. Es war Abend und sie kamen gerade vom Kino nach Hause. Über den Kinderfilm hatten sie sich alle drei amüsiert. In der U-Bahn war Aki dann auf dem Rückweg eingeschlafen. Ihn sicher auf dem Arm, folgte Karyu dem Bassisten zum Reihenhaus und ließ sich aufschließen. Zusammen legten sie den Jungen ins Bett und Zero zog ihm noch die Schlafsachen an.

"Ob das moralisch noch vertretbar ist, dass ich ihm jetzt nicht die Zähne geputzt habe?", fragte sich der Bassist und lächelte Karyu im Wohnzimmer schief an.

Dieser grinste nur. "Wenn er aufwacht, putzt er sich die eben gleich zweimal", schlug er vor, weswegen Zero lachte.

"Wäre eine Möglichkeit. Willst du auch ein Bier?", erkundigte er sich dann, woraufhin er nickte.

"Ja, gerne."
 

Eine Minute später saßen sie zusammen auf der ausgezogenen Couch, ließen den Fernseher nebenbei laufen und tranken ihr kühles Bier. "Das Treffen morgen steht also noch?", fragte Zero und sah ihn von der Seite an.

Er nickte. "Ja, ich denke schon. Die Anderen haben sich zumindest nicht mehr gemeldet."

"Hmm..." Zero seufzte. "Ich hab schon seit über 2 Wochen nicht mehr auf meinem Bass gespielt. Hab bestimmt schon alles verlernt."

Karyu schüttelte den Kopf. "Ach was. Das dachte ich letztens auch noch, aber seit ich aus dem Krankenhaus raus bin, hatte ich wieder Zeit zum Üben. Und es läuft besser. Das wird bei dir auch so sein."

Zero schnaubte. "Ja, fragt sich nur wann. Wenn das so weitergeht..kann das dauern."

"Sieh das nicht so eng. Nur weil du dich um Aki kümmerst, heißt das nicht, dass du zu nichts Anderem mehr kommst. Pass auf, morgen sieht schon alles anders aus. Und zwar besser!"
 

Zero rang sich ein sachtes Lächeln ab und kuschelte sich an ihn, nachdem er sein Bier abgestellt hatte. "Dein Optimismus ist so ungewöhnlich.", stellte er trocken fest.

"Aua.. Aber du hast wohl Recht. Keine Ahnung, woher der Optimismus kommt."

"Du willst mich nur aufmuntern, das ist ok. Sehr lieb von dir." Der Bassist beugte sich zu ihm hoch und küsste ihn. Stürmisch erwiderte er den Kuss und drückte Zero gleich in die Polster nieder. Dieser kicherte leise. "Wie war das, du hast mich vermisst, richtig?"

Er nickte und drückte ihm gleich wieder seine Lippen auf. Er liebte es, diese weichen Kusspolster auf seinen zu spüren. "So oft haben wir uns auch gar nicht geküsst..", hauchte er gegen die vollen Lippen des Anderen. "Das war bisher zu wenig, als dass ich es wirklich genießen und genug Küsse für die Zeit ohne dich sammeln konnte.."
 

Zero lächelte ihn leicht an und strich ihm über die Wange. "Was ist das eigentlich zwischen uns?", wollte er unvermittelt wissen. Das traf Karyu unvorbereitet. Er sah auf den Bassisten nieder und summte nachdenklich.

"Ich weiß auch nicht. Ist das wichtig?"

Zero lachte. "Eigentlich ist das schon wichtig, Karyu. Wir lassen uns hier auf eine enge emotionale Bindung ein." Er machte eine kurze Pause. "Wir dürfen's nicht verpfuschen. Das heißt, du bringst dich nicht um, ob nun aus Versehen oder mit Absicht. Und ich..ich sehe zu, dass ich mit euch allen gleich über meine Probleme rede, statt alles totzuschweigen in der Hoffnung, dass sich alles schnell von selbst erledigt damit es keiner mitbekommt." Er lächelte Karyu zuckersüß an, der leise seufte.

"Ja, so ist es wohl. Du hast Recht."

"Ist das jetzt ein Versprechen?"

Kurz hielt er inne, dann nickte er seufzend. "Ja, ist wohl ein Versprechen."

"Du klingst ja begeistert", murmelte Zero und zog ihn wieder zu sich herab, um ihn zu küssen. Anstatt was darauf zu erwidern, widmete er sich lieber dem Kuss, aber bevor er diesen vertiefen konnte, wälzte Zero sich mit ihm auf der Couch herum, bis er über ihn gebeugt lag. Karyu spreizte die Beine, damit der Bassist sich dazwischen legen konnte. "Dann holen wir die Küsse jetzt eben nach", meinte dieser lächelnd und sah ihn an. "Wir haben auch noch gar nicht miteinander geschlafen." Karyu lief rot an. "Weißt du, das hatte ich eigentlich schon am Anfang vor."

"Am eh..Anfang?", hakte Karyu nach, woraufhin Zero leise lachte.

"Schau mich nicht so verängstigt an. Du bist doch neugierig, oder? Das kannst du ruhig zugeben. Mir sind die Blicke nicht entgangen, wenn du uns in Momenten beobachtet, wo du dachtest, wir würden es nicht merken."

"Wir..?", fragte er mit dünner Stimme und ahnte Böses.

Zero nickte bestätigend. "Ja, du hast ja nicht nur mich, sondern auch Tsukasa und Hizumi mit eindeutigen Blicken bedacht..als würdest du uns ausziehen."

Karyus Kopf wurde nun knallrot. "Und..haben die Anderen das auch gemerkt?"

"Du kannst sie ja fragen", kicherte der Bassist.

Er zog eine Schnute. "Als ob."

Zero seufzte, schmunzelte aber und küsste ihn wieder. Eng drängte er sich an den warmen Körper auf sich.

Der Bassist biss ihm in die Unterlippe. "Weißt du, du hast so eine Ausstrahlung. Sie sagt mir, dass du gern dominiert wirst. Du brauchst jemanden, der die Regeln macht, damit du dich nicht kümmern musst und dich fallen lassen kannst. Das kommt mir nur entgegen." Der Bassist sah ihn aus dunklen Augen an. "Ich kann Regeln aufstellen, und wenn du mich lässt, kann ich dir Schmerz und Vergnügen zugleich geben, wie du es willst", schnurrte er mit gesenkter Stimme. Atemlos erwiderte er den Blick. Der Andere hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. Sollte er dem einfach zustimmen? Zero schenkte ihm ein anzügliches Lächeln. "Ich werde dich für nichts verurteilen, Karyu. Wofür auch immer du dich entscheidest und wovon auch immer du im Geheimen träumst." Bestimmt war Zero schon so erfahren, dass er alles mögliche gesehen hatte. "Ich sagte doch, ich mag dich wirklich. Ich will dich..", sagte er leise und wich Karyus Blick aus. 'Ich liebe dich' konnte er zu diesem Punkt noch nicht sagen, aber wahrscheinlich lief alles gerade genau darauf hinaus.
 

Langsam nickte Karyu und rang sich ein zurückhaltendes Lächeln ab. "Ich mag dich auch sehr und..will dich", erwiderte er leise. Zufrieden blickten die schwarzen Augen ihn an und im nächsten Moment waren sie in einen heißen Kuss verwickelt.

Karyu keuchte leise auf und klammerte sich an seinen Bassisten, schlang ein Bein um die schlanke Hüfte des Anderen, während er den Kuss verlangend erwiderte. Auch Zeros Atem ging schneller. Sie wälzten sich auf der Couch, versanken in ihrer Leidenschaft und aus Zeros gierigen Küssen wurden kleine Bisse. Leise stöhnend drückte Karyu den Kopf in den Nacken, während die Hand des Anderen dabei war, ihm das Hemd aufzuknöpfen. Gerade wollte er sich aufrichten und es sich von den Schultern streifen, als Akis Stimme unweit erklang. "Nii-chan..!"
 

Seufzend hielt Zero inne und setzte sich auf, sah in Richtung Flur. "Aki, du solltest schlafen."

"Ich hab Durst..und ich muss auf die Toilette.."

Zero fuhr sich durch die Haare und sah auf Karyu hinab. "Warte kurz, ja?"

Karyu nickte lächelnd und sah dem Bassisten hinterher, der ein Glas Apfelsaft für seinen kleinen Bruder holte und in das Schlafzimmer verschwand.

Er atmete tief durch und rollte sich auf die Seite. In seinem Unterleib hatte sich Hitze angestaut, seine Wangen waren rot vor Erregung. Er schloss genießend die Augen, während er auf den Dunkelhaarigen wartete. Dieser ging noch mit Aki Zähne putzen und setzte ihn auf die Toilette, dann brachte er ihn zurück ins Bett und las ihm eine kurze Gute-Nacht-Geschichte vor. Als er zu Karyu ins Wohnzimmer zurück kehrte, war dieser aber schon eingeschlafen.

Schmunzelnd zog Zero sich um und zerrte dem Gitarristen wenigstens die Jeans aus, bevor er sich zu ihm auf die Couch legte und sie beide in die Bettdecke einhüllte.
 

"Zero noch nicht da?"

Tsukasa und Hizumi schüttelten den Kopf. "Wir hatten gehofft, dass er mit dir zusammen kommt..", meinte Hizumi.

"Oh...nein, ich hatte heute meinen ersten Arbeitstag beim neuen Job. Aber Zero kommt sicher gleich."

Die beiden zuckten mit den Schultern. Während Karyu seine Gitarre abstellte, wandte sich Tsukasa an ihn. "Wie lief denn dein erster Tag?"

"Sehr gut!", antwortete er lächelnd. "Nette Leute, viele verschiedene Aufgaben...ich kann mir meine Arbeitszeit recht flexibel einteilen und muss mich nur mit einer Person abstimmen. Wenn alles so bleibt, wäre das wunderbar. Die Bezahlung ist auch ok."

"Freut mich zu hören.", erwiderte Tsukasa und schenkte ihm ein Lächeln.
 

Nachdenklich sah Hizumi währenddessen zur Tür. Immer noch kein Bassist. Dafür meinte er, Schritte zu hören.

"Also Kleiner, du erinnerst dich, was ich dir gesagt habe? Du lernst jetzt meine Freunde kennen, mit denen ich was klären muss. Fass nichts an, ok?" Das war eindeutig Zeros Stimme. Verwirrt tauschten Hizumi und Tsukasa einen Blick.

"Zero kommt in Begleitung. Das hätte ich euch wohl sagen können", schaltete Karyu sich schief lächelnd ein, als auch schon die Tür aufging. Zero hatte Aki auf dem Arm und nickte leicht in die Runde.

"Hi Zero", begrüßte er seinen Bassisten.

"Hallo ihr beiden", sagte Tsukasa mit großen Augen, während Zero näher kam. Karyu ging zu ihm und tätschelte Aki den Kopf.

"Na Großer, alles klar?"

Aki grinste und nickte. "Das hier ist Tsukasa. Und das Hizumi", stellte Zero dem Jungen seine Freunde vor und stellte ihn auf den Boden. "Aki hier..ist mein Halbbruder."

Drummer und Sänger staunten nicht schlecht.
 

"Aaaha...", machte Hizumi nur, lächelte den Jungen aber freundlich an. Aki sah etwas verloren zwischen ihnen allen hin und her, weswegen Karyu einen Arm um ihn legte. "Komm, willst du dir mal meine Gitarre anschauen?", fragte er ihn und führte ihn von seinen Bandkollegen weg, damit die drei in Ruhe reden konnten.
 

Kurz sahen Tsukasa und Zero ihnen hinterher, dann setzten sie sich auf die Couch und der Bassist begann ihnen leise zu erklären, wie das mit Aki gekommen war. Wenn Karyu ehrlich zu sich selbst war, dann hatte er da eigentlich noch selbst die ein oder andere Frage.

Zero Eltern schienen sehr unverantwortliche Menschen zu sein - wie es ihm wohl ergangen war? Es musste eine schwere Zeit gewesen sein. Wie schwer, konnte er sich vermutlich gar nicht vorstellen.
 

Karyu nahm sich seine E-Gitarre und setzte sich mit Aki auf den Boden, erklärte ihm kurz etwas dazu, zumal der AMP auch nicht angeschlossen war und er das auch nicht vorhatte zu ändern, damit der Sound die Anderen nicht stören würde.

Ein bisschen spielte er ihm was vor, aber dann kam ihm eine andere Idee. "Magst du auch mal spielen?", fragte er Aki und dieser sah ihn aus großen Augen an.

"Aber Nii-chan hat gesagt, ich darf hier nichts anfassen." Sanft streichelte er ihm übers Haar. "Stimmt. Nichts, was hier im Raum ist. Aber nebenan hab ich eine Akustikgitarre. Auf der kannst du spielen. Ich zeig dir, wie das geht", bot er ihm an, worauf Aki leicht nickte. Ganz überzeugt schien er noch nicht. "Bin sofort wieder da." Einen Moment später gab er ihm seine Akustik und setzte sich hinter ihn, um ihm die Griffe zu zeigen. Die Arme und Hände von Aki waren natürlich noch viel zu klein, als dass er viel machen konnte, aber mit Karyus Hilfe entlockte er ihm sogar eine Melodie: Happy Birthday. Aki war begeistert und sie strahlten sich gegenseitig an.

"Ok..was machen wir jetzt?" Fragend sah Karyu sich kurz um, aber in diesem Moment stand Tsukasa schon auf.
 

"Wir spielen jetzt Schlagzeug?"

"Hä?" Verwirrt sahen ihn alle an. Der Drummer setzte sich an sein Drumset und lächelte Aki an. "Wie sieht's aus? Hast du Lust, mal hierauf zu trommeln?"

Zögernd sah der Kleine zu seinem Bruder auf, der mit den Schultern zuckte. "Wenn du willst, mach es." Sofort sprang Aki auf die Beine und lief zu dem Drummer, welcher den Jungen zu sich auf den Schoß nahm. Während Tsukasa ein bisschen mit ihm zusammen aufs Drumset einschlug, wanderte Karyus Blick zu dem Bassisten - dieser hatte ein seliges Lächeln auf den Lippen. Lautlos kicherte er und stellte sich nah neben ihn. "Du siehst aus wie ein stolzer Papa.."

Erschrocken sah Zero ihn an und schüttelte den Kopf, boxte ihm leicht in die Schulter. "Mach mal halblang.." Karyu grinste nur und schaute wieder Aki und Tsuka beim Drums spielen zu. Es war wirklich furchtbar süß. Dem Kleinen gefiel es richtig gut und seine Augen glänzten, als Tsukasa ein Drumsolo hinlegte. "Ich will auch mal so spielen können wie du!" Zero lachte und war sich sicher, dass der Drummer da jetzt was angerichtet hatte und aus dem Kleinen später auch einer werden würde.
 

"Hey Aki, was denkst du: meinst du, du kannst dich noch etwas mit deinen Bilderbüchern beschäftigen? Oder mit malen? Dann würden meine Freunde und ich noch ein bisschen Musik machen. Es dauert auch nicht lange."

Aki nickte. "Ok..ich kann ja euch malen!", meinte er motiviert und kramte in Zeros Tasche herum.
 

Nachdem der Bass ausgepackt und zusammen mit der Gitarre angeschlossen war, Hizumi seine Stimmbänder etwas angewärmt hatte und auch Tsukasa hinter den Drums bereit war, konnte die Probe beginnen.

Zero war nicht mehr ganz im Spiel drin, aber sie schafften es trotz der kleinen Fehler, über die sie hinweg sehen konnten, immerhin 3 Lieder durchzugehen. Danach hatte Aki keine Lust mehr auf Malen und der Musik zuhören. Nachsichtig beendete Zero die Probe und sie räumten auf und packten zusammen. Doch bevor sie den Probenraum verließen, richtete Tsukasa sich noch an den Bassisten.
 

"Du kannst Aki gern immer mitbringen. Wir denken uns was aus, wie wir ihn beschäftigen, während wir proben. Vielleicht können wir uns ja auch wieder öfter als nur einmal in der Woche treffen. Wir sollten wirklich was tun, und ich denke nicht, dass dein kleiner Bruder stört."

Zero nickte und sah ihn dankbar an. Es war eine gute Lösung. Draußen auf der Straße trennten sie sich alle voneinander. Karyu musste am folgenden Tag noch mal kurz arbeiten, wollte danach aber Zero und Aki besuchen kommen.
 

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Hard Work

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Auseinander gerissen

Verdattert blieb Karyu kurz stehen, dann ging er ins Treppenhaus. "Warte! Was willst du jetzt machen?"

Zero warf ihm einen Blick über die Schultern zu. "Ich werd mit der scheiß Polizei reden, wie du es vorgeschlagen hast.", erwiderte dieser knapp.

"Gut, ich komme mit, ja?"

Zero seufzte, aber widersprach nicht, sondern wartete auf ihn. Rasch zog Karyu sich eine Jacke über und schlüpfte in seine Schuhe, dann holte er zu Zero auf und begleitete ihn zur nächsten Polizeibox, wo er das Problem aufgelöst erklärte.
 

Natürlich sagte er nicht die ganze Wahrheit, sondern erzählte die Geschichte so, wie Karyu es vorgeschlagen hatte. Zero wurde zunehmend blasser. Nachdem er es geschafft hatte, auf konkrete Nachfragen zu antworten, begannen die Polizisten endlich den Fall zu bearbeiten. Sich hier in Details zu verstricken, konnte schnell passieren. Er musste sehr aufpassen was er sagte und sich auch erinnern, was er erzählt hatte. Aber das Wichtigste war erstmal, dass man den Jungen fand.

Unruhig machten sie sich auf den Weg zu Zeros Wohnung. Ein Polizist hatte ihnen geraten zurück zu kehren. Vielleicht kam Aki ja doch wieder nach Hause. So oder so, in der Polizeistation störten sie am Ende doch nur.
 

Der Bassist setzte sich schweigend und bleich im Gesicht aufs Sofa und starrte ungesund lange auf das Telefon, in der Hoffnung, dass die Polizei endlich anrief.

Karyu schrieb ihren beiden Freunden eine SMS, damit sie Bescheid wussten. Er rechnete kaum damit, dass den beiden Aki über den Weg lief, aber man wusste nie. Abgesehen davon aber sollten sie einfach davon wissen. Sie hatten den Kleinen mittlerweile auch in ihr Herz geschlossen. Wenn sie sich alle im Probenraum trafen, spielten sie mit dem Jungen, dann auf ihren Instrumenten und danach machten sie manchmal noch etwas zusammen. Einzig Hizumi war der Junge etwas suspekt gewesen. Er konnte nicht so gut mit Kindern umgehen, aber mittlerweile hatte er sich an ihn gewöhnt und machte mit ihm die eine oder andere Dummheit.
 

Karyu steckte das Handy beiseite und setzte sich mit Getränken für sie beide zu dem Bassisten, legte einen Arm um Zero. Worte des Trostes fielen ihm nicht ein. Was auch immer er sagen würde, es wären leere Worte. Solange Aki nicht lebend wieder gefunden wurde und zurück in ihrer Obhut war, war eben einfach nicht alles gut.

Irgendwann lehnte Zero sich stumm an ihn und sie klammerten sich aneinander, um sich besser zu fühlen. Gefunden wurde Aki-chan an diesem Tag nicht mehr.
 

Als sie sich schließlich irgendwann nachts auf die Couch legten und versuchten zu schlafen, hielt er Zero fest in den Armen, da dieser zu zittern anfing. Jeden Moment rechnete Karyu damit, dass der Bassist zu weinen beginnen würde, aber kein Laut kam über dessen Lippen. Als er ihn leise ansprach und mit den Fingern über dessen Wangen strich, waren auch keine feuchten Tränenspuren zu fühlen. Zero antwortete ihm auch nicht: er schlief.
 

Seufzend streichelte er ihm durch die Haare und schloss wieder die Augen, fand aber keinen Schlaf. So blieb er für Zero wach, damit er das Telefon hören würde, falls die Polizei anrief.
 

Um 8 Uhr ging tatsächlich ein Anruf ein. Sofort schoss der Bassist, der bis eben noch geschlafen hatte, in die Höhe und sprang auf das Telefon zu und nahm ab. Karyu beobachtete ihn aus kleinen, geschwollenen Augen. Er war müde, und am liebsten hätte er jetzt geschlafen. Aber Zero telefonierte gerade aufgeregt und stellte Fragen wie 'Wo ist er?' und 'Wie geht es ihm?'.

Schwerfällig setzte Karyu sich auf. Sie hatten Aki also gefunden?

Zero nickte. "In Ordnung, ich werde sofort kommen." Schon legte er auf und winkte Karyu hoch. "Los komm! Sie haben Aki am Hauptbahnhof aufgegriffen. Er wird noch ärztlich untersucht, ob alles ok ist, aber sie meinen, es scheint ihm gut zu gehen."
 

Karyu sprang auf und folgte Zero hinaus. Sie machten sich nicht die Mühe, andere Kleidung anzuziehen oder sich Zähne putzen. Der Bassist wollte bloß seinen kleinen Bruder wieder in die Arme schließen.

Nervös betraten sie die Polizeistation und erkundigten sich nach dem entlaufenen Jungen. Wenig später kam der Beamte, der ihnen so viele Fragen gestellt hatte. "Ich muss mit Ihnen vorher leider noch etwas abklären", begann dieser. Das klang unheilvoll. "Im Zuge der Suche haben wir natürlich auch seine Mutter versucht zu kontaktieren, was aber leider nicht erfolgreich war."

"Ich sagte ja, sie ist im Urlaub.."

"Richtig, das sagten Sie. Dennoch hätte sich das Kind ja dort befinden können. Die Streife traf allerdings auf Nachbarn, die behaupteten, die Mutter schon seit vielen Wochen, vielleicht Monaten nicht mehr gesehen zu haben." Der Bassist erwiderte den aufmerksamen Blick des Polizisten starr und sagte nichts darauf. "Sie sind sich sicher, dass der Junge Ihnen von ihr übergeben wurde vor 1 1/2 Wochen?"

"Natürlich. Nur weil diese Nachbarn meine Mutter nicht sehen, heißt das doch nichts."

"Nun, wir waren so frei und haben einmal bei den Vermietern nachgefragt. Die Miete für die Wohnung wurde schon länger nicht mehr überwiesen. Wir haben Indizien und Aussagen, dass Ihre Mutter schon lange nicht mehr dort lebt. Wie sind Sie zu dem Jungen gekommen? Was wissen Sie über das vermutete Verschwinden Ihrer Mutter?"
 

Der Polizist ließ ihm überhaupt keinen Spielraum. Er schien genau zu wissen, dass Zero gelogen hatte. Doch der Bassist beharrte auf seiner Geschichte, und der Beamte ließ ebenfalls nicht locker. So zögerte sich ihr Wiedersehen mit Aki weiter hinaus. Irgendwann hielt Karyu es nicht mehr aus. Der Mann drängte Zero immer weiter in die Ecke. Wahrscheinlich würde der Bassist ihn für den Rest seines Lebens hassen, aber er würde jetzt mit der Wahrheit rausrücken. sie hatten schließlich nichts verbrochen.
 

Als er begann, der Polizei zu erzählen, dass Zero sich des Kindes angenommen hatte, gerade weil die Frau plötzlich nicht mehr auftauchte, sah er dem Bassisten an, dass dieser stinkwütend war. Beinahe wäre er ihm an die Gurgel gesprungen, das sah er ihm an.
 

Seufzend schüttelte der Polizist schließlich den Kopf. "So ist das also. Wir werden das Sozialamt verständigen müssen." Zero flippte bei dem Satz total aus.

Er begann den Mann anzuschreien, dass er nicht zulassen würde, dass man ihm den Jungen wegnahm. "Ich bin der Einzige, den er noch hat! Was soll er denn im Kinderheim?!"

"Der Junge braucht seine Mutter. Wir werden sie suchen und ihn zu ihr zurück bringen."

Zero ballte die Fäuste. "Der Junge braucht seine Mutter, ja. Aber offensichtlich ist sie ja nicht für ihn da. Warum ist er wohl bei mir? Weil sie ihn im Stich gelassen hat. Sie ist abgehauen, ohne einen Gedanken an ihn zu verschwenden! Das ist auch nicht das erste Mal. Meine Geschwister und ich haben das auch schon durchgemacht. Ich habe sie schon Jahre nicht mehr gesehen! Meine Geschwister sind immer noch im Kinderheim!! Sie haben uns alle voneinander getrennt. Aki soll bei seiner Familie aufwachsen, und das bin momentan wohl nur ich!"
 

Doch der Polizist schüttelte den Kopf. "Das habe ich nicht zu entscheiden. Das Gesetz sieht vor, dass wir hier das Sozialamt einschalten. Besprechen sie das mit dem Sozialarbeiter. Der müsste auch schon auf dem Weg hierher sein. Solange können Sie sich mit dem Jungen unterhalten."

Zero sah aus, als würde er dem Polizisten gleich ins Gesicht schlagen wollen, doch nach ein paar Sekunden, wandte er sich wütend ab und verließ das Zimmer, um nach Aki zu fragen. Zögernd folgte Karyu ihm. Er fühlte sich furchtbar. Das Kind war zwar wieder gefunden, aber zu welchem Preis? Der Bassist stand völlig neben sich, verständlicherweise bei den Aussichten.
 

"Onii-chan!!" Aki rannte Zero aufgeregt in dem größeren, kargen Raum der Polizeiwache entgegen. Nur eine Polizistin stand in der Nähe und hatte ein Auge auf sie. Sofort kniete der Bassist sich hin und schloss den Jungen in die Arme.

"Aki-chan..geht's dir gut? Tut dir was weh?" Der Kleine schüttelte nur den Kopf und schmiegte diesen wieder an Zeros Schulter. "Warum bist du einfach weggelaufen? Ich habe mir furchtbare Sorgen um dich gemacht! Hab ich dich irgendwie geärgert?"

Aki wurde sichtbar kleiner in Zeros Umarmung. Leise wimmerte der Junge, dann sah er vorsichtig auf und erwiderte Zeros Blick reumütig. "Nein, du hast mich nicht geärgert, aber...ich wollte dir nicht länger zur Last fallen." Die Augen seines großen Bruders wurden groß. "Du warst immer so müde. Und Karyu auch..Ihr habt so viel geschlafen, und das nur wegen mir." Aki senkte den Blick. "Wenn ich wie andere in der Schule wäre, würde ich euch nicht so viel Umstände machen..."

Zero runzelte die Stirn, während Karyu alles mit etwas Abstand beobachtete. Er wollte die beiden nicht stören. "Und deswegen bist du gegangen? Weil du dachtest, du würdest uns nicht gut tun?" Schüchtern nickte der Kleine, woraufhin Zero ihn fest in die Arme schloss und knuddelte. "Aki, du kleiner Dummkopf. Ich hab dich sehr lieb und du machst mir keine Umstände! Ich kümmere mich gern um dich, hörst du! und dass ich öfter müde bin, liegt nicht an dir, klar?"
 

Der Junge gab nur einen vagen Laut von sich und sah Zero wieder in die Augen. "Ich hab dir eine Nachricht schreiben wollen, aber..ich kann ja nicht schreiben."

Zero seufzte und streichelte ihm übers Haar. "Du wirst schon noch schreiben und lesen lernen, keine Sorge."
 

"Kann ich denn jetzt wieder mit zu dir nach Hause?", fragte Aki leise und immer noch reumütig, weswegen Zero augenblicklich zusammen sank.

Er streichelte dem Kleinen über den Rücken und schüttelte widerstrebend den Kopf. "Nein, ich glaube nicht, dass du mit mir kommen kannst...", sagte er leise.

Sofort wurden Akis Augen groß und Tränen sammelten sich in seinen Augen. "Was?! Warum darf ich denn nicht wieder mit dir kommen?! Es tut mir ja leid!"

Der Bassist verzog das Gesicht. "Ich weiß doch, dass es dir leid tut. Ich will dich auch gar nicht bestrafen, Aki. Aber weißt du..ich darf mich eigentlich nicht um dich kümmern. Du gehörst zu Mama. Sie muss sich um dich kümmern.", erklärte er eher unwillig.

Aki klammerte sich an Zero fest und schniefte. "Aber Mama ist doch gar nicht da..."

"Ich weiß...aber da gibt es Leute weißt du...die Polizei und einige andere wichtige Menschen finden es nicht gut, wenn du nicht bei ihr bist.." Zero stockte und geriet in Erklärungsnot. Wie sollte er dem Kleinen erklären, dass sich nun fremde Menschen einmischten?

Auch er klammerte sich nun an Aki, welcher total verwirrt und verängstigt war. Plötzlich räusperte sich jemand - der Polizist, mit dem sie zuvor gesprochen hatten, trat ein. "Die Sozialarbeiterin ist hier. Sie wird sich nun um das Kind kümmern."
 

Aki sah ängstlich, Zero verzweifelt auf. Karyu folgte ihrem Blick langsam. Eine unscheinbare, aber nicht unsympathisch erscheinende, zierliche Frau im cremefarbenen Kostüm lächelte sanft in die Runde.
 

Der Bassist stand auf und hob Aki zu sich auf die Arme. "Wollen Sie ihn mitnehmen?" Die Frau nickte und machte den Mund auf um sich vorzustellen, aber Zero starrte sie feindselig an. "Ich werde ihn behalten, er ist mein Halbbruder! Ich kann mich besser um Ihn kümmern, als Sie es können." Er war wieder in Diskutierlaune. Kampflos würde er Aki nicht weggeben.

Die Frau sah ihn verständnisvoll an. Wahrscheinlich war es nicht das erste Mal, dass sie auf protektive Verwandte traf. "Wie alt sind Sie?"

Zeros Gesichtsausdruck verhärtete sich und er trat einen Schritt zurück. "22. Ich bin also schon volljährig und berechtigt, mich um Minderjährige zu kümmern!"

Sie nickte. "Das mag stimmen. Aber noch haben Sie kein Sorgerecht für das Kind." Sie seufzte. "Sie sind noch so jung. Sie sind sicher gerade in einer Ausbildung oder arbeiten sogar schon Vollzeit, richtig? Sie müssen Geld verdienen, um die Miete und Essen zu bezahlen. Haben Sie die Zeit, sich um ein kleines Kind zu kümmern? Das ist ein Vollzeitjob. Wie ich gehört habe, geht der Junge nicht einmal zur Schule. Aber er braucht eine solide Grundausbildung. Darum müssten Sie sich kümmern. Sie müssen ihm das Schulmaterial bezahlen, ihm neue Kleidung kaufen, und das in seinem Alter noch recht oft. Sie mögen sich die größte Mühe geben, den Jungen gut zu erziehen und für ihn da zu sein, aber manchmal gibt es Situationen, in denen man sein Bestes tun kann - es reicht nicht." Mitfühlend sah sie die beiden an. "Wir hingegen haben die Möglichkeiten, uns hinreichend um das Kind zu kümmern. Wir haben die finanziellen Mittel, wir haben psychologische Betreuung, und vor allem haben wir Zeit. Aki kann sich mit anderen Kindern unserer Einrichtungen anfreunden und er wird endlich zur Schule gehen können. Wir werden ganz für ihn da sein. Ich unterstelle Ihnen nicht, dass sie überfordert wären, aber überlegen Sie sich genau, ob Sie dem Jungen das bieten können, was wir können."

Zero presste die Lippen aufeinander, während Aki verwirrt zwischen ihm und der fremden Frau hin und her sah.
 

Zeros Mimik fror ein und Karyu sah ihm an, dass dieser am liebsten losgebrüllt hätte. Aber wegen Aki hielt er sich zurück und lief fast schon rot an. "Was der Junge auch braucht, ist seine Familie! Und die bin ich. Ich weiß, was es heißt ein Kind aufzuziehen! Ich habe eine ganz genaue Vorstellung davon, was auf mich zukommt und ich werde mich gerne um Aki kümmern! Er braucht die Liebe seiner Familie und keine fremde Umgebung", zischte er die Frau an. Die Sozialarbeiterin erwiderte seinen Blick bekümmert.
 

"Ich verstehe, was Sie mir sagen wollen. Aber Sie sind selbst noch so jung. Sie bürden sich viel damit auf. Wir werden erstmal versuchen, die Mutter des Jungen zu finden. Dann überprüfen wir, ob sie wirklich fähig ist, sich um ihn zu kümmern."

"Das ist sie nicht!", brüllte Zero. "Mir und meinen Geschwistern hat sie bereits das gleiche angetan! Man hätte ihr gar nicht erlauben dürfen, ein weiteres Kind zu bekommen." Aki in seinen Armen wurde immer kleiner und fürchtete sich. Karyu schluckte und ging langsam auf die beiden zu.
 

Beschwichtigend hob die Frau die Hände. "Wenn wir die Nachweise dafür haben und Ihre Mutter das Sorgerecht verliert, können Sie gerne einen Antrag stellen. Wir prüfen das dann. Natürlich ist es auch uns lieber, wenn Verwandte sich um die Kinder kümmern. Sie haben Recht, ein Kind braucht die Liebe seiner Familie. Wir würden Ihnen den Jungen gerne überlassen, sobald wir sehen, dass Sie qualifiziert sind."

Zero schnaubte nur und sah verwirrt auf, als Karyu sich neben ihn stellte. "Ich nehme ihn dir kurz ab, ok? Er hat Angst.." Mit dem Blick deutete er auch auf die Sozialarbeiterin. Dass Zero die Frau anblaffte, schüchterte Aki doch sehr ein.

Doch der Bassist knurrte leise. "Du, du bist doch überhaupt erst Schuld." Betroffen hielt Karyu inne und ließ die Schultern hängen. Er hatte nur helfen wollen...
 

Die Frau seufzte und kam näher. "Es tut mir wirklich leid, aber ich muss Aki-chan jetzt mitnehmen. Sie können ihn jeden Tag besuchen kommen und sich vergewissern, dass es ihm gut geht. Aber das Gesetz sieht es leider vor, dass sich staatliche Behörden um das Kind kümmern, bis der Fall entschieden ist." Je näher die Frau kam, desto fester umschlang Zero seinen kleinen Bruder. Langsam wich der Bassist zurück. "Bitte geben Sie ihn mir. Wir werden uns gut um ihn kümmern, das versichere ich Ihnen."

Aber Zero weigerte sich. Und als sich ihnen dann auch noch die beiden Polizisten näherten, wurde auch Aki unruhig und wimmerte herzergreifend. Er hatte furchtbare Angst und krallte die kleinen Hände in Zeros Schultern.
 

Karyu stand reglos daneben. Sein Herz krampfte sich zusammen, während er beobachtete, wie man seinem sonst so beherrschten Bassisten das kleine Kind gewaltsam aus den Armen riss. Die beiden wollten offensichtlich nicht voneinander getrennt werden, aber da kannte man kein Erbarmen. Zero wehrte sich mit Händen und Füßen gegen die Polizisten, die ihn festhielten. Schließlich schlang Karyu die Arme um ihn, damit die Anderen ihn loslassen konnten.
 

"Aki-chan!! Nehmt ihn mir nicht weg! Bitte, gebt ihn mir zurück!", schrie der Dunkelhaarige und streckte den Arm nach dem Kind aus, welcher in den Armen der Frau strampelte und versuchte, loszukommen.

Auch Karyu stiegen Tränen in die Augen, als der Junge anfing, zu schreien. "Onii-chan..! Nii-chan! Ich will zurück zu meinem Bruder! Lass. Mich. Loooos!!" Aki quengelte, kreischte und heulte Rotz und Wasser, es wurde immer schlimmer, je mehr er sich von seinem Bruder entfernte. Schließlich waren er und die Sozialarbeiterin aus dem Raum verschwunden, doch man hörte ihn noch lange toben und panisch nach seinem Bruder rufen.
 

Zero war völlig außer sich und rannte los, aber geistesgegenwärtig packte Karyu ihn und hielt ihn fest. "Nicht. Geh nicht.", bat er ihn leise, da die Polizisten schon auf dem Sprung waren und kurz davor, Zero festzunehmen, damit er keinen Ärger machte.

"Ihr könnt ihn mir nicht einfach wegnehmen! Er ist MEIN Bruder!" Er versuchte sich mit aller Kraft loszumachen und Karyu hatte so seine Probleme, den Kleineren unter Kontrolle zu halten. Der Bassist begann zu fluchen.
 

Die Schreie des verzweifelten großen Bruders und das verängstigte Kreischen des Kleinen hallten noch lange in Karyus Kopf wieder. Er fühlte sich furchtbar. Zu sehen, wie die beiden auseinander gerissen wurden, brach ihm das Herz.

Als Zero plötzlich zu Boden sank, wurde ihm kalt. Er ging mit ihm in die Knie und hielt ihn in seinen Armen.
 

Er fühlte sich hilflos, ohnmächtig. War das wirklich gut? War es richtig, die Geschwister voneinander zu trennen, wenn sie sich beide so dagegen wehrten? Hatte er mit seinem Vorschlag, und später mit seiner Aussage dem Polizisten gegenüber, vielleicht doch einen Fehler gemacht?

Er konnte ein Schniefen nicht zurück halten und senkte beschämt den Blick. Hatte er das falsch gemacht? Zero erzitterte in seinen Armen, doch als er ihn ansah, weinte er nicht. Zero sah starr zu Boden.
 

Nach einiger Zeit schmiss man sie doch tatsächlich aus dem Gebäude. Zero machte Anstalten, sich wieder zu wehren, weswegen er wieder eine Festnahme riskierte. Aber Karyu versuchte ihn zum friedlichen Gehen zu bewegen. Als die Tür sich vor ihrer Nase schloss, packte der Bassist ihn am Kragen und presste ihn gewaltsam gegen die Mauer der Polizeistation. "Du bist daran schuld! Hätte ich nur nicht auf dich gehört!"
 

Aus großen Augen sah er ihn an, dann machte er den Mund auf um sich zu entschuldigen, doch Zero schleuderte ihn unsanft zu Boden. Vor Schmerz verzog er das Gesicht, sah gerade noch, wie der Bassist über ihn hinweg stieg. "Ich wollte nur helfen!", wimmerte er, aber Zero schnaubte und warf ihm einen Blick über die Schulter zu.

"Dann versuch bitte nie wieder, mir zu helfen." Mit diesen Worten verschwand der Bassist. Einen Moment blieb Karyu reglos liegen, dann stand er langsam auf und ächzte leise. Zero hatte ganz schön Power. Hilflos starrte er in die Richtung, in die der Andere verschwunden war. Was sollte er denn jetzt nur machen? Er hatte Zero verärgert, verletzt, enttäuscht - er war Schuld daran, dass sie ihm seinen kleinen Halbbruder weg genommen hatten. wenn das nicht wieder in Ordnung kam, würde Zero dann je wieder mit ihm reden?

Kinderheim

"Dann versuch bitte nie wieder, mir zu helfen." Mit diesen Worten verschwand der Bassist. Einen Moment blieb Karyu reglos liegen, dann stand er langsam auf und ächzte leise. Zero hatte ganz schön Power. Hilflos starrte er in die Richtung, in die der Andere verschwunden war. Was sollte er denn jetzt nur machen? Er hatte Zero verärgert, verletzt, enttäuscht - er war Schuld daran, dass sie ihm seinen kleinen Halbbruder weg genommen hatten. Wenn das nicht wieder in Ordnung kam, würde Zero dann je wieder mit ihm reden?
 

Karyu schluckte und wusste nicht, wohin mit seinen Emotionen. Er fühlte sich völlig allein und war verzweifelt. Unvermittelt begann er loszurennen. Während sein Kopf noch nicht entschieden hatte, wohin es gehen sollte, trugen seine Beine ihn einfach zurück nach Hause, zu seiner eigenen Wohnung.

Planlos sah er sich um. Was sollte er hier jetzt machen? Er sollte eigentlich mit Zero reden... Diesen versuchte er dann auch gleich mal anzurufen. Auf Handy und zu Hause. Aber der Bassist nahm nicht ab, weswegen er ihm eine Sprachnachricht hinterließ und sich entschuldigte, darum bat, mit ihm reden zu dürfen. Ob der Bassist darauf irgendwann einmal reagieren würde, konnte er wirklich nicht abschätzen.
 

Bekümmert dachte er an die Szene auf der Polizeiwache zurück. Es war herzzerreißend gewesen. Je länger er Akis Heulen im Ohr hatte und Zeros panische Rufe, desto elender ging es ihm und sein schlechtes Gewissen wurde größer. Es brauchte nicht lange und er stand im Schlafzimmer, ließ die Finger über die die Messer und Rasierklingen im obersten Schubfach der Kommode gleiten. Das kühle Metall löste eine Gänsehaut auf seinem Arm aus.

Er verzog das Gesicht, da die erste vermeintliche Welle der Erregung schnell wieder abflaute. Er wusste, wenn er jetzt anfangen würde, sich in die Haut zu schneiden und sich das Blut im wahrsten Sinne des Wortes auf der Zunge zergehen lassen würde, dann würde er nicht mehr aufhören können - höchstwahrscheinlich würde er wieder in einer Blutlache enden. Ob er das überleben würde oder nicht, konnte er nicht einschätzen.
 

Mit zitternden Händen wandte er sich ab und suchte noch mal nach seinem Handy. Wenn schon Zero nicht mit ihm reden wollte, dann ja vielleicht Tsukasa. Dieser und Hizumi wussten sicher auch noch nicht, was passiert war. Er sollte sie informieren und vielleicht bekam er noch einen Rat... Er wollte Zero nicht verlieren. Das war das letzte, was er wollte!
 

~~~
 

Am Abend war Tsukasa bei ihm und hielt ihn tröstend in den Armen. "Hast du etwas von Zero gehört?"

Der Drummer schüttelte zu seinem Bedauern den Kopf. "Nein, leider nicht." Tsukasa seufzte. "Wir haben also keine Ahnung, wo er ist und was er tut...er sollte jetzt nicht allein sein.."
 

Langsam nickte Karyu. Das sah er genau so. "Was machen wir denn jetzt?", jammerte er leise, während er sich an den warmen, sehnigen Körper des Anderen klammerte. "Ich will nicht, dass er mich hasst...", fügte er tonlos hinzu, weswegen Tsukasa ihn fester in die Arme schloss und ihm über die Schulter streichelte.

"Gib ihm etwas Zeit, sich daran zu gewöhnen, wieder ohne Aki zu sein. Jetzt ist er sauer auf alles und jeden. Er wird sich hoffentlich wieder beruhigen und dann redest du noch mal mit ihm.", sagte der Drummer. Er summte nur und schwieg darauf. Bisher war so vieles schief gelaufen.. "Karyu, du musst morgen doch arbeiten, oder? Du solltest dich ausruhen. Ich bleibe auch bei dir, ja?" Tsukasa schenkte ihm ein sanftes Lächeln. "Ich kann ja mal versuchen, Zero zu erreichen. Vielleicht wird er mit mir reden."

Zögernd nickte er daraufhin. Er selbst konnte nichts mehr ausrichten, zumindest nicht momentan. Langsam stand er auf, wobei Tsukasa ihn nicht losließ. Sogar ins Schlafzimmer begleitete dieser ihn.
 

Relativ schnell fand Karyu Schlaf. Währenddessen rief der Drummer tatsächlich Zero an. Zumindest versuchte er es. Aber er gab nicht auf und ließ es immer wieder klingeln. Entweder würde das Handy bald ausgestellt werden oder der Andere würde rangehen.
 

"Was. Ist. Denn.", knurrte es Tsukasa nach fünf Versuchen entgegen, weswegen er lautlos seufzte.

"Hi. Ich muss mit dir reden. Wie geht es dir denn? Karyu hat mir erzählt, was alles passiert ist.", sagte er. "Es ist schrecklich, dass Aki nicht mehr dir sein kann." Schweigen am anderen Ende. "Wir sind für dich ja, hörst? Uns fällt was ein. Ich will dich sehen."

Ein Seufzen löste sich von Zeros Lippen. "Was soll einem da schon einfallen? Wenn wir Reden schwingen, bringt das auch nichts.", meinte der Bassist eher kühl.

Tsukasa zog ein bekümmertes Gesicht. "Zero, es ist noch lange nicht vorbei! Lass uns bitte persönlich darüber reden. Am besten du kommst zu Karyu. Ich bin gerade bei ihm." Er machte eine kurze Pause. "Ich will dich nicht zusätzlich belasten, allerdings..." Er suchte nach den richtigen Worten und schwieg einen Moment, weswegen Zero unruhig wurde.

"Was ist denn? Ist was passiert?"

"Nein...noch nicht." Tsukasa seufzte. "Ich mache mir Sorgen um Karyu. Du weißt, wozu er fähig ist. Er ist momentan mindestens genauso fertig wie du! Und er hat Angst, dass du ihn jetzt hasst. So hat er mir das gesagt. Er ist mit den Nerven am Ende, wahrscheinlich so wie du. Nur mit dem Unterschied, dass er sich jeden Moment wieder was antun könnte. Ich will ihn kaum noch aus den Augen lassen...", gab er leise zu. "Bitte, wenn du mit ihm redest, geht es euch beiden bestimmt besser.."

Zero brummte unwillig. "Na meinetwegen", murmelte er dann. "Aber nicht mehr heute, es ist schon spät und ich muss morgen zur Arbeit.."

"Okay. Komm doch am Nachmittag zu Karyu. Geht das?"

"Ja..."

"Gut, dann machen wir das so. Pass auf dich auf und lass den Kopf nicht hängen!"

Zero erwiderte nichts, sondern legte auf. Seufzend begab Tsukasa sich zu Karyu, nachdem er Hizumi eine kurze Nachricht geschrieben hatte, damit dieser auch im Bilde war.
 

~~~
 

Verwirrt öffnete Karyu die Augen. Ihn erwartete nicht die furchtbare Kälte, mit der er gerechnet hatte - mit welcher er zu Bett gegangen war. Leer fühlte er sich aber immer noch. Und verloren.

Blinzelnd drehte er sich auf den Rücken. Direkt neben ihm lag Tsukasa. Dieser war also wirklich geblieben. Einerseits war er dankbar, nicht alleine zu sein, aber andererseits fühlte es sich schon etwas seltsam an: er hatte immer vermeiden wollen, mit einem seiner Bandkollegen allein zu sein. An Zero hatte er sich gewöhnt, mit diesem war es sowieso etwas anderes. Sie hatten ein besonderes Verhältnis. Aber mit Tsukasa plötzlich in einem Bett zu liegen... Da kamen ihm unwillkürlich wieder seine Fantasien in den Sinn. Verdammt. Zum ungünstigsten Zeitpunkt. Beschämt stand er langsam auf und warf einen Blick auf den schlafenden Drummer. Tsukasa war ohne Frage äußerst hübsch. Aber damit konnte er sich jetzt wirklich nicht beschäftigen. Das war vorne und hinten falsch. Er sollte sich überlegen, wie er sich bei Zero entschuldigen könnte.
 

"Hey, Ka-chan...schau nicht so traurig drein", murmelte der Drummer verschlafen, weswegen er ihn überrascht ansah. Tsukasa streckte die Hand nach ihm aus. "Komm mal her, mein Großer."

Zögernd setzte er sich an den Bettrand, doch der Kurzhaarige ergriff seinen Arm und zog ihn neben sich, drückte ihn an sich. "Ich hab gestern noch mit Zero geredet. Er kommt nachher vorbei, nach der Arbeit. Er ist dir nicht böse."
 

Karyu hatte den Atem angehalten. "Hat er das gesagt...?", hakte er leise nach.

"Gesagt hat er es nicht, aber wäre er es, würde er nicht widerstandslos herkommen. Wir wollen uns was wegen Aki überlegen. Wir müssen für ihn da sein. Und für einander."

Karyu summte nur leise, anstatt etwas zu erwidern. So ganz beruhigt war er noch nicht. Aber es war wohl ein Anfang. Seine Verzweiflung legte sich etwas.

So nah an Tsukasa gepresst zu liegen, dessen Geruch einzuatmen, war ihm dann doch etwas unangenehm. Wieder wurde er an seine Fantasien erinnert: wie der Drummer ihn fesselte, ihm mit scharfen Klingen in die Haut schnitt, sodass das Blut hervorquoll, von welchem er ihn kosten ließ.
 

Karyu wimmerte leise und kniff die Augen zu, dann löste er sich abrupt von Tsukasa, welcher ihn besorgt ansah. "Ich muss zur Arbeit."

"In Ordnung..wir sehen uns dann nachher, wenn du möchtest. Ich komme wieder zu dir."

Langsam nickte er. Ja, wenn Tsukasa dabei war, würde er sich vielleicht sicherer fühlen. Wenn ihm die Worte ausgehen würden, würde der Drummer ihm vielleicht helfen können. Er musste sich bei Zero entschuldigen!
 

~~~~
 

Es herrschte unangenehmes Schweigen in Karyus Wohnung. Es war nicht, weil Zero übermäßig angefressen gewesen wäre. Er starrte nur vor sich her und gab einsilbige Antworten, wenn man ihn etwas fragte. Mit den Gedanken war der Dunkelhaarige offenbar ganz woanders.

Betroffen wandte Karyu den Blick ab. Es war deprimierend. Aber er konnte es ja nachvollziehen. Sie alle vermissten Aki. Er lehnte sich zurück und zog die Knie an.
 

Tsukasa seufzte. "Jetzt schaut nicht so wie die Trauerweiden! Es ist noch nichts verloren. Zero, sieh mich mal an." Unwillig hob dieser den Blick. "Der Fall wird doch erstmal geprüft. Und du weißt besser als jeder andere, dass deine Mutter nicht fähig ist, ein Kind zu erziehen. Du bist Akis nächster Verwandter. Sie können gar nichts anderes tun, als ihn dir zu überlassen. Das ist für ihn das beste, das wissen die doch. Jetzt können sie ihn dir wegen den gesetzlichen Regelungen nicht geben, das ist eben so. Die haben auch nur Schiss vor der Bürokratie." Tsukasa verdrehte die Augen. "Vergiss also nicht, dass du gute Chancen hast! Und denk daran, ihn zu besuchen. Das sollte ja möglich sein, schließlich haben sie ihn nicht weg gesperrt. Wenn du jeden Tag hinkommst und zeigst, dass er dir wichtig ist, nehmen die das schon mal positiv auf."
 

Nachdenklich und vor allem zuversichtlicher sah Karyu den Drummer an. Dieser hatte immer einen Rat und war besonnen, blieb ruhig in jeder Situation. Ihm war leichter ums Herz. Er sah zu Zero, welcher den Blick des Kurzhaarigen ausdruckslos erwiderte. Schließlich seufzte der Bassist. "Vielleicht hast du Recht.."

Der Drummer lächelte. "Willst du nicht nach Aki sehen?"
 

Zero brummelte irgendetwas unverständliches daher und sah unentschlossen drein. Daher nahm Tsukasa alles in die Hand. Mit einem Umweg über die Polizeiwache, um sich zu erkundigen, wo Aki nun genau hingebracht worden war, fanden sie alle drei sich schließlich vor dem Gebäude ein. Es war ein Kinderheim...
 

Reglos stand Zero davor. Es war ihm sichtlich unangenehm, diesen Ort betreten zu müssen. Von außen sah er unscheinbar aus, nicht einschüchternd, aber auch nicht gerade einladend und sympathisch. Waren Anderen ein Krankenhaus ein Gräuel, war es bei Zero eben das Kinderheim.

Tsukasa musste ihn beinahe hinein zerren. Karyu lungerte im Foyer herum. Es gab hier keinen Empfang, daher wartete er, bis er eine junge Dame abpassen konnte, die aussah, als würde sie hier arbeiten. Rasch erklärte er ihr die Situation. Sie nickte und lächelte, konnte sich genau an den Neuankömmling erinnern. "Ich bringe Sie zu ihm." Nachdem Zero bestätigte hatte, der Bruder zu sein, lief die Frau mit ihnen durch ein paar Gänge. Das Heim war recht lebendig: in den bunt gestrichenen Gängen und Spielräumen rannten überall Kinder herum. Viele schienen fröhlich zu sein.
 

Aki saß mit einer kleinen Gruppe anderer Kinder in seinem Alter in einem weitläufigen, hellen Raum. Man fühlte sich ein bisschen wie im Kindergarten, so wie die Spielzeuge und Bücher verteilt waren. Alle sahen auf, als die Frau durch die Tür trat mit dem Besuch, als würde jedes der Kinder darauf warten, von Mutter oder Vater besucht zu werden...

Einzig Aki sprang jedoch auf und rannte im Eiltempo auf Zero zu, als könnte dieser jede Sekunde wieder verschwinden, sich in Luft auflösen. "Onii-chaaaaaaaaaaaaaaan!!!", brüllte der Kleine außer sich und warf sich in die ausgebreiteten Arme seines großes Bruders.

Erleichtert sank Zero auf die Knie und zeigte sogar ein leichtes Lächeln. Karyu betrachtete die beiden und wuschelte Aki durchs Haar. "Wie geht's dir denn hier, Kleiner?"

Aki schniefte und sah auf, legte den Kopf in den Nacken. "Ich will lieber wieder bei euch sein..", sagte er leise. "Darf ich denn jetzt nach Hause?"
 

Zero hob Aki zu sich auf den Arm, während die Frau wieder ging und sie in Frieden ließ. Die Kinder um sie herum ignorierte Zero und ging stattdessen mit Aki hinaus auf die etwas ruhigeren Gänge. "Nein, das geht leider nicht. Aki, es ist sehr kompliziert." So wirklich wusste der Bassist offenbar nicht, wie er dem Jungen das jetzt erklären sollte. Aber genau dafür war Tsukasa da. Dieser sprang ihm sofort bei und erzählte dem Kleinen kurz und verständlich, was das Problem war. Zufrieden war Aki dennoch nicht. Er war recht quengelig und klebte an seinem Bruder, ließ ihn nicht los. Gemeinsam waren sie ins Spielzimmer zurück gekehrt und versuchten Aki aufzumuntern und abzulenken. Doch auch für sie selbst war es eine Aufmunterung.
 

Als die Frau, an die sich im Foyer gewandt hatten, wieder kam, stand Zero auf, um kurz mit ihr zu sprechen. Auch wenn sie abseits standen und Karyu gerade dabei war, sich Aki auf die Schultern zu setzen, damit dieser einen Eindruck bekam, wie es war, so groß zu sein, so konnte er doch mithören, was Zero mit ihr besprach. Er wollte wissen, ob er den Kleinen nicht mal mit zu sich nehmen konnte oder sie gemeinsam außerhalb des Kinderheims etwas unternehmen konnten. Doch sofort schüttelte sie Kopf und lächelte ihn mitfühlend an. "Das tut mir leid, aber so etwas ist nicht möglich. Erstens soll sich das Kind an den Aufenthalt hier gewöhnen und nicht den Eindruck bekommen, jederzeit zu Ihnen zurück kehren zu können. Dieses Hin und Her jeden Tag wäre nicht gut für ihn. Sie können ihn natürlich immer hier besuchen in den angegeben Besucherzeiten. Das ist kein Problem." Sie seufzte. "Das Sozialamt hat das so angeordnet. Die Kinder dürfen nicht einfach weg gebracht werden. Es könnte ja jeder kommen und bringt das Kind vielleicht nicht wieder. Das unterstelle ich Ihnen nicht, aber die Kinderheime hatten schon die dollsten Fälle. Es tut mir wirklich sehr leid. In wenigen Wochen werden Sie vielleicht schon das Sorgerecht für den Jungen haben. Sie wollten es doch beantragen?"
 

Zero nickte nur und dankte ihr leise, bevor er etwas niedergeschlagen zu ihnen zurück kehrte. Karyu hatte es schon befürchtet. Das wäre zu schön gewesen, wenn sie Aki wieder hätten mitnehmen können, wenn auch nur für ein paar Stunden. Er hob den kichernden Jungen von seinen Schultern und setzte ihn kurzerhand Zero auf den Rücken. "Schau, wenn du so klein wie Zero wirst, ist das nicht so spannend...du musst also immer schön deinen Spinat aufessen, dann wirst du so groooß wie ich! Das ist viel toller."

Zero schnaubte. "Deswegen beschwerst du dich ja auch so oft, dass du gegen Türrahmen laufen würdest..."

Karyu winkte ab, schaute aber etwas ertappt drein. Aki jedoch quietschte glücklich. Für ihn war auch Zero ziemlich groß.
 

So glücklich sie waren, wieder zusammen zu sein, so furchtbar war der Abschied. Aki begann zu weinen und wollte seinen großen Bruder nicht mehr loslassen. Dieser kniete bekümmert auf dem Boden und hielt den Jüngeren eng an sich gedrückt. Er wollte eigentlich nicht gehen - nicht ohne Aki.
 

Tsukasa und Karyu wechselten einen traurigen Blick. Der Drummer wühlte schließlich in seiner Tasche herum und holte einen giftgrünen Lolli hervor, mit dem er sich zu Zero und Aki kniete. "Hier, Aki-chan, schau mal. Magst du den haben?" Aus wässrigen Augen schaute der Junge auf und kniete, während er sich den Rotz mit dem Ärmel von der Nase wischte. "Ok, gern. Ich geb ihn dir, wenn du wieder zu den anderen Kindern gehst und mit denen weiterspielst. Wenn du nachher schlafen gehst und der nächste Tag anbricht, dann bekommst du den nächsten Lolli. Welche Farbe hättest du gerne?" Der Kleine überlegte nicht lange. "Pink.."

"Pink? Gut, so einen bekommst morgen, wenn wir wiederkommen, ja?"

Unsicher sah Aki zu Zero auf. "Ihr kommt morgen wieder?"

Der Bassist nickte und strich ihm lächelnd über den Kopf. "Aber natürlich. Ich komme dich jeden Tag hier besuchen. ich lasse dich nicht alleine." Langsam nickte der Kleine, dann griff er nach dem Lolli und bedankte sich leise. Jeder von ihnen drückte dem Jungen einen Kuss auf, dann verabschiedeten sie sich von Aki. Die Frau aus dem Foyer kam wieder und kümmerte sich das traurige Kind.
 

Auf dem Heimweg schüttelte Zero den Kopf. "Ich weiß nicht, ob ich das schaffe.."

"Hm?" Fragend sah Karyu ihn an.

"Ihn jeden Tag so traurig zu sehen...diese ständigen Abschiede..wenn das jetzt immer so sein wird...das tut weder ihm noch mir gut..." Dem Bassisten ging es nicht wirklich besser als zuvor.

Tsukasa klopfte ihm sanft auf die Schulter. "Für dich mag es schwer zu glauben sein, aber ich denke, ihr gewöhnt euch daran. Die erste Zeit ist es schwer, das ist normal. Gib euch etwas Zeit. Es ist ja auch nur übergangsweise so. Ich bin mir sicher, wenn eure Mutter nicht plötzlich auftauchen sollte, dann bekommst du ihn bald."
 

Die Worte des Drummers sollten aufmunternd wirken und Karyu fühlte sich auch glatt besser, aber Zero nickte nur stumm und erwiderte nichts, zeigte nicht einmal ein schwaches Lächeln.

"Was machen wir jetzt?" Es war früher Abend.

Ratlos sah er Tsukasa und Zero an. Der Bassist starrte eher lustlos vor sich her. Sicher würde er nach Hause gehen.

"Was macht Hizumi jetzt?", erkundigte sich der Dunkelhaarige, woraufhin Tsukasa die Schultern hob.

"Zu Hause Tee trinken?"

"Mh...wir könnten proben."

"Ernsthaft?" Erstaunt sahen sie Zero an, welcher leicht nickte.

"Ja, warum nicht. Das würde vielleicht mal wieder ganz gut tun."

Tsukasa und Karyu wechselten einen kurzen Blick, dann nickten sich die beiden zu. "In Ordnung. Ich rufe Hizumi rasch an", sagte der Drummer.
 

Wenig später fanden sich alle Vier im Probenraum ein. Der Sänger ließ sich erstmal erzählen, was es Neues gab. Auch er war bekümmert, dass Aki nun im Heim war. "Morgen komme ich mit. Da habe ich relativ viel Zeit. Der Kleine soll mich ja nicht gleich wieder vergessen!"

Das Spielen tat tatsächlich gut. Zero war wieder ganz gut in den Noten drin, Karyu hatte schon längst wieder sein Defizit aufgeholt. Tsukasa und Hizumi waren sowieso perfekt.

Zufrieden machten sie mitten in der Nacht Schluss. Karyu war todmüde, und auch die anderen sahen nicht besser aus.
 

"Du lässt mich die Nacht doch nicht alleine, oder?", wollte Zero wissen, als sie zu zweit draußen standen und Tsukasa sowie Hizumi verabschiedet hatten. Der Bassist schmiegte sich an ihn und gurrte leise, weswegen er leicht lächeln musste.

"Ich komme gern mit dir, wenn du das willst."

Zero nickte nur und ergriff seine Hand um ihn mit sich zu ziehen. Weitere Fragen wurden nicht gestellt.

Engelsflügel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]


Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel bekommt Karyu ordentlich Stress und gerät in die Bredouille >.< Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
(Das Arbeitsrecht in Japan lassen wir mal außen vor xD Was ich dazu gelernt hatte, habe ich gleich am Ende des Semesters auch wieder vergessen gehabt, weil es so interessant war, wie einer Schildkröte beim Schlafen zuzuschauen :D Aber ich halte es schon für möglich, dass es so kommen kann. Mit Kündigungsschutz haben die es da nicht so, wenn ich mich recht erinnere. Wer Langeweile hat, kann mich gern eines besseren belehren xD)

Ein anderer Punkt: eigentlich wollte ich das Kapitel länger machen und bereits meinen Special Guest einbauen. Aber irgendwie wäre das Kapitel dann doch ZU lang, von daher: freut euch im nächsten Kapitel auf einen ganz besonderen jungen Mann ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Euch sei gesagt, mit Aki und Zero werden wir noch Drama erleben ûu
Und ich habe keine Ahnung, wie das Ganze ausgehen wird. Komplett anzeigen

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Kommentare zu dieser Fanfic (19)
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Von:  yamimaru
2017-10-24T16:50:37+00:00 24.10.2017 18:50
Hallöchen, ^^

nun bin ich auch mit Lesen fertig geworden. und ich kann nur sagen wow. Das Ende!!! Wow. Ich bin noch immer sprachlos *lacht* Darf ich Karyu mal eine Runde ganz, ganz fest drücken. Der arme Kerl, mit sowas rechnet doch keiner.
Aber mal allgemein zur Story. ^
Auch wenn gleich im ersten Kapitel Szenen vorkommen, die mich so ein bisschen triggern, bin ich jetzt im Nachhinein froh, weitergelesen zu haben. ^^
Es ist erstaunlich wie du hier den Bogen zu so vielen verschiedenen und auch gänzlich unterschiedlichen handlungssträngen legst, ohne das sich die Story irgendwie unzusammenhängend oder so lesen würde.
Diese angedeuteten Fetischelemente, gerade zu Beginn in Karyus Gedanken waren wirklich ... *Luft zu fächert* XD
Und dann Zeros verständnisvolle, ruhige Art, als er Karyu auf sein Verhalten anspricht. Generell fand ich die Banddynamik sehr schön und, ja, erwachsen? Unaufgeregt?
Ich glaube auch, ich weiß nun, was du mit dramatisch gemeint hast. *lacht* Da hat Karyu aber wirklich übertrieben. Dass zero ihn dann aber im Krankenhaus nicht besuchen kommt ist hart und ich bin erstaunt, dass Karyu da tatsächlich die Kraft hatte, zu ihm zu gehen und ihn zu konfrontieren. Natürlich versteht man spätestens dann, Zeros Beweggründe, aber so im ersten Moment hat mir Karyu einfach nur unendlich leid getan. Auch wenn er ein riesengroßer Dummkopf ist.
Tja und dann kommt Aki. ich liebe ihn einfach. ^___^ So ein süßes Kind.
Als er weggelaufen ist, weil sein großer Bruder immer so viel geschlafen hat, musste ich mir tatsächlich ein Tranchen verdrücken. Und da sagt noch jemand, Kinder bekommen eh nichts mit.
Die Szene auf der Polizeiwache war dann auch wirklich herzzerreißend traurig. Du hast das hier so gut geschrieben. Wie Karyu Zero und Aki beobachtet und ihm selbst die Tränen kommen, als er das Leid der beiden Brüder mit ansehen muss. Gott, das war schlimm.
Ja und dann denkt man, dass alles gut werden würde ... und dann legst du einem so ein Ende dahin, *lacht*
Du hast mich ja schon vorgewarnt, dass es ein Cliffhanger sein wird, aber DAS? *schnüff*

Hier und da sind mir Kleinigkeiten an Vertippern etc. aufgefallen, aber bei der Länge der Story waren die so minimal vorhanden, dass mich das auf keinen Fall gestört hat. ^^

Alles in allem eine wirklich tolle Geschichte und sollte es dazu echt mal eine Fortsetzung geben, werde ich die auch wieder lesen. ^^ Hast du wirklich toll gemacht.

Lg
yamimaru
Von: daietto_usagi
2015-05-10T21:41:58+00:00 10.05.2015 23:41
*FF endlich zu Ende gelesen hab* UUuund *Vorschreiber Zerita zustimm*
Ja das Ende ist... aahh irgendwie voll fies. Gut bei dem Kapitelname "Engelsflügel", dachte ich zunächst noch an ein richtig fieses Ende, das sich irgendwer doch noch umbringt. Aber das jetzt.... puhh, auch nicht grad rosig. Ich glaub die Folge wird sein, das Karyu wirklich tief fällt und wieder mit Ritzen beginnt... bei so einer Antwort q.q

Ein gaaanz klein wenig fehlte mir noch mehr Hizumi, muss ich zugeben,
aber ich bin auch ein sehr großer Hizumifan, von daher fiel mir das schnell auf, das Hizumi am seltensten dran kam XD.
Aber sonst eine echt gute FF. Lese gerne mehr von dir von so einer Genre. ~.^
Von: daietto_usagi
2015-03-10T22:18:19+00:00 10.03.2015 23:18
Haha die Frage, ob Karyu Angst haben muss mit Zero in einem Bett zu schlafen ist geil.
Und dann auch noch Zero's Antwort: "Ich weiß nicht. Musst du?" So geil XD
Von:  bloodinstinct
2014-08-29T12:47:04+00:00 29.08.2014 14:47
Heute komplett durchgelesen und ich bin geflasht ♥
Aber das kann doch nicht so enden! q__q
Bitte bitte Fortsetzung... das halte ich sonst nicht aus ><
Antwort von:  Phoenix_Michie
29.08.2014 17:51
Danke für deinen Kommentar :3 Das Ende ist wirklich gemein, das gebe ich zu! Aber keine Sorge, ich arbeite an einer Fortsetzung ^^ So lasse ich das Ganze natürlich nicht stehen!
Antwort von:  bloodinstinct
30.08.2014 18:49
Oh zum Glück ♥
Da bin ich wirklich erleichtert ^o^
Von:  ZERITA
2014-01-17T21:26:56+00:00 17.01.2014 22:26
NEIN! NEIN! NEIN! und noch mal NEIN!!!!!!
Du kannst dieses Kapitel doch nciht so enden lassen!!!
Zero hat Aki was toll ist, Karyu ist an sich glücklich
und dann das? QQ Der Arme! Der fällt doch wieder in ein dunkles Loch und wird sich ritzen ;___;
Dann will er bestimmt auch Zero weiterhin helfen, aber dann muss er ihn ständig sehen und das wo ihm an sich gerade das kleine Herz gebrochen wurde. QQ
Los setz dich hin und schreib ein Kapitel mit Happy End! :<<<<
Von:  ZERITA
2014-01-17T20:55:08+00:00 17.01.2014 21:55
Nicht aufgeben Jungs!!!! Ihr könnt Aki da rausholen!!! *anfeuer*
*schnief*

Von:  ZERITA
2014-01-17T20:42:46+00:00 17.01.2014 21:42
*schnief*
*heul*
Das ist so gemein QQ
Die können die beiden doch nicht so trennen
Armer Zero und Armer Aki und auch armes Karyu ;__;
Auch wenn das jetzt so gelaufen ist, so hat Karyu dennoch das richtige getan.
Von:  ZERITA
2014-01-17T20:21:20+00:00 17.01.2014 21:21
Aki haut einfach ab? Der ist doch noch so klein. QQ Kann doch nicht sein QQ
Und die Mutter scheint wohl auch etwas damit zu tun zu haben...

Von:  tayo
2013-12-02T09:29:40+00:00 02.12.2013 10:29
Ich bin so neugierig auf das nächste Kapitel~ gib uns mehr ;D
Von:  Tsuki_no_Kage
2013-11-27T16:37:08+00:00 27.11.2013 17:37
Oh interessante Story :-D da bin ich gespannt wie es weiter geht.


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